Claas Herz raste so schnell, das ihm schwindelte.
Jockel. Hier. Direkt vor seinem Haus
Er weiß, wo ich wohne, schoss es Claas siedend heiß durch den Kopf. Er hat es herausgefunden. Er hat auf mich gewartet.
„Hey, Homo.“
Ignorieren, so tun, als ob er nicht da ist. Claas wollte sich abwenden, zurück zum Haus gehen, doch seine Füße blieben, wo sie waren.
Mit den Händen in den Taschen seiner ausgeblichenen Jeans kam Jockel herangeschlendert. Claas starrte ihn entgeistert an.
Der Skin trug kein Hemd. Die schwarzen Hosenträger liefen direkt über seinen blanken Oberkörper. An seinem Oberarm entdeckte Claas die verschnörkelten Linien eines Tattoos um das Wort „Oi!“
„Hier wohnst du also.“ Augenblicklich war die Furcht wieder da, griff mit kalten Spinnenbeinen nach Claas' Herz und presste es zu einem kleinen, harten Ball zusammen.
Jockel grinste zufrieden, die graublauen Augen funkelten, versetzten Claas im selben Moment zurück in die Garage und auf die Matratze. Er roch die muffige Luft, spürte Jockels heißen Atem, dessen Duft, den seiner eigenen Lust.
Claas' Hände fühlten sich feucht an und er krallte sie fest in den Stoff seiner Shorts. Je dichter Jockel ihm kam, desto weniger konnte er sich rühren. Überall spürte er die Hände auf sich, die Lippen, die feuchte Zunge, vernahm sein eigenes Stöhnen.
„Was … willst … du?“, brachte Claas mühsam über seine Lippen. Trotz der Hitze war ihm plötzlich kalt. Er konnte gehen, sich einfach umwenden, ins Haus verschwinden. Es war ganz leicht.
Und verdammt feige.
Scheiße, er war kein Feigling. Er würde nichts dergleichen tun, Jockel nicht die Befriedigung geben, dass er sich einschüchtern oder verunsichern ließ. Entschlossen schob Claas das Kinn vor.
„Was machst du hier?“ Seine Stimme klang fest genug, befand er. Langsam und möglichst unauffällig entspannte er seine Hände und löste sie aus den Shorts.
Jockel blieb vor ihm stehen. Sein Geruch drang an Claas' Nase, weckte Erinnerungen, die dieser wild entschlossen zurückdrängte und einsperrte. Noch einmal würde Jockel ihn nicht in so eine Situation bringen.
Der Skin lächelte unverwandt und zuckte die Schultern.
„Ich besuche meine Schwester“, erklärte er.
Verdammt, diese Augen. Claas hatte Mühe, sich auf seine Worte zu konzentrieren. Er hasste es, so nervös zu sein, derart unsicher vor dem anderen Jungen zu stehen. Schwach zu wirken.
„Verarsch mich nicht“, stieß er schnaubend aus, widerstand dem Impuls vor Jockel zurückzuweichen. „Verfolgst du mich jetzt etwa?“
Unverwandt sah ihn Jockel an, ohne zu antworten. Sein Blick glitt über Claas' Gestalt, der sich nackt und schutzlos vorkam.
Verflucht, Jockel hatte ihn vollkommen nackt gesehen. Er hatte ihn angefasst, er hatte ihm einen runtergeholt. Der Skin wusste ganz genau, wie er ohne Kleidung aussah.
„Lass mich in Ruhe“, stieß Claas hervor, wollte sich endlich abwenden. Nur fünf oder sechs Schritte und er wäre an seiner Haustür, konnte im Innern des Hauses verschwinden.
Jockel nahm die Hände aus den Hosentaschen und hakte die Daumen am Hosenbund in die Hosenträger. Sein Bauch war straff und glatt, die Brust offenbar glattrasiert, ebenso Kinn und Wangen. Sein herber Geruch zauberte Bilder aus Claas' Erinnerung, seine funkelnden Augen malten sie in bunten Farben aus.
Claas rührte sich keinen Millimeter, konnte den Blick nicht abwenden. Unverwandt lächelte ihn Jockel an.
„Was sollte das?“, flüsterte Claas. Die Worte waren da, ohne das er sie hatte steuern können. Wie gebannt hing sein Blick an den graublauen Augen.
Jockels Grinsen wurde breiter. Seine Daumen spielten mit den Hosenträgern.
„Hat es dir nicht gefallen?“, fragte er.
„Darum geht es nicht“, schnappte Claas zurück. Ärger, Verwirrung und Unsicherheit spielten sich gegenseitig den Ball zu. „Warum? Was sollte das?“ Nicht eine Sekunde ließ ihn Jockel aus den Augen. Seine Mundwinkel bewegten sich minimal und schmunzelnd zuckte er die Schultern. Ohne eine Antwort zu geben, wandte er sich um und schlenderte über die Straße davon.
Claas starrte auf seinen Rücken, seine Lippen bebten. Er wollte schreien, Jockel nachrennen, ihm die Faust ins Gesicht schlagen, die Antwort aus ihm herausprügeln.
„Scheißkerl“, flüsterte er, bemerkte da erst, dass seine Hände sich erneut in seine Shorts verkrampft hatten und löste sie rasch. „Elendiger Mistkerl. Arsch.“
Jockel war unterdessen auf der anderen Straßenseite angekommen und setzte sich rittlings auf die kleine Mauer, hinter der der Trampelpfad zu den Garagen begann. Claas glaubte das breite Grinsen erkennen zu können und das triumphierende Glitzern in seinen Augen.
Ruckartig drehte Claas sich um, bewegte sich betont langsam, während Jockels Blick in seinem Rücken brannte. Erst als er die Haustür geschlossen hatte, begann das Zittern und seine Knie wurden weich. Mit dem Rücken rutschte er an der Tür hinab und stierte auf den gefliesten Flurboden.
Jockel weiß genau, wo ich wohne. Er sitzt da draußen. Wartet, lauert nur auf mich. Ich kann nicht mehr vor die Tür, das Haus nicht mehr verlassen. Was zur Hölle will er noch? Hat er mich nicht genug verarscht?
Lange Zeit saß Claas dort, die Gedanken rasten, fanden keinen Ausweg. Schließlich erhob er sich, ging in sein Zimmer und nahm das Handy an sich. Sophie wohnte nicht weit weg, er würde sie anrufen. Er brauchte ihre Hilfe.
„Hey, du fauler Langschläfer“, begrüßte sie ihn fröhlich. „Langweilst du dich etwa?“
„Sophie.“ Oh Mann, seine Stimme klang komisch. „Ich … du musst mir ...“ Das war so lächerlich, dämlich, entwürdigend.
„Was ist los?“ Sophie klang alarmiert. „Ist etwas passiert?“
Kann man so sagen. Claas seufzte und schloss die Augen. „Du erinnerst dich an den Skin? Den Typ, der mir mit seinen Freunden nach der Disko aufgelauert hat?“
„Claas! Scheiße! Ist was passiert? Du klingst ganz komisch.“
Zynisch verzog Claas den Mund. Wie sollte er das jetzt erklären?
„Ja. Also nein, er hat mich nicht … Es ist ... anders.“
Wie klang das denn? Ach verdammt, das war so schwer zu erklären. „Als ich gestern vom Bahnhof zurückkam, da hat er …“ Claas holte seufzend Luft. „Er war vor mir, ging den gleichen Weg. Und hinter den Garagen, auf dem Trampelpfad, dort hat er ... er hat mich abgepasst.“
Sophie gab ein ersticktes Geräusch von sich und Claas fuhr hastig fort: „Ich habe keine Ahnung, was der dort zu suchen hatte. Er stand plötzlich vor mir. Ich wollte mich vorbeidrängeln, aber er hat mich gepackt und mitgeschleppt.“
Claas' Worte sprudelten nur so hervor: „Er hat mir den Mund zugehalten und ich konnte mich nicht wehren. Erst in der Garage hat er mich losgelassen. Keine Ahnung, woher er die kannte, aber er hatte einen Schlüssel dafür und ...“
„Scheiße, Claas, hat er dich verprügelt?“ Sophies Stimme war sehr hell. „Zeig den Mistkerl an. Du musst sofort zur Polizei gehen. Damit darf dieser Arsch nicht durchkommen. Warte, ich komme gleich rüber, brauche nicht lange.“
Trotz seiner noch immer wackeligen Beine und dem Ernst der Lage musste Claas dennoch lächeln. Auf seine Mädels war immer Verlass.
„Nein, ich bin soweit okay“, beruhigte er sie. „Er hat mich nicht … verprügelt. Aber vielleicht kannst du trotzdem … herkommen?“ Er zögerte einen Moment. „Ich glaube, der sitzt jetzt da draußen vor meinem Haus. Ich kann ihn aber von hier drinnen nicht sehen.“
„Bin schon unterwegs und wenn der sich da rumtreibt, kann er was erleben“, schnaubte Sophie.
„Mach keinen Blödsinn“, warf Claas hastig ein. „Der Typ ist womöglich gefährlich. Vergiss nicht, was Kati über ihn gesagt hat. Komm einfach her. Ignoriere ihn, wenn er noch da ist. Soll er doch dort schmoren, bis er schwarz wird.“
„Okay“, willigte Sophie widerwillig ein. „Bis gleich.“ Sie legte auf und Claas ließ sich erleichtert auf sein Bett sinken.
Gott, er war echt erbärmlich. Da musste ein Mädchen kommen, um ihm beizustehen.
Feigling, Schisshase, schimpfte er sich, fühlte sich dennoch unsagbar erleichtert, dass Sophie kommen und er mit ihr reden konnte. Er hatte das Gefühl, dass sein Kopf sonst platzen würde.
Gespannt lauschte er auf die Türglocke und seufzte erleichtert auf, als sie endlich erklang. Schnell öffnete er die Tür und ließ seine Freundin ein.
„Ich habe ihn nirgends gesehen“, begrüßte sie ihn atemlos. Schweiß verklebte ihre halblangen braunen Haare. Ihr Atem ging schnell, sie musste im Eiltempo hergeradelt sein.
„Offenbar hat der sich rechtzeitig verpisst. Der hätte auch was erleben können.“ Sie schob ihre Brille hoch, maß Claas mit einem besorgten Blick und fiel ihm plötzlich um den Hals. „So ein verdammter Scheißkerl. Was hat er gemacht? Wieso kann der dich nicht in Ruhe lassen? Hat der mal was von Toleranz gehört?“
Gerührt schlang Claas seine Arme um sie. Es tat gut, dass sie so besorgt um ihn war und auch ihre Nähe tat gut.
„Ich bin okay“, versicherte er. „Er hat mir nicht … direkt etwas getan.“ Oh Mann, das war echt verdammt schwer zu erklären, ohne zu viel zu verraten.
„Er hat mich nur … geküsst.“ Mehr würde er nicht verraten. Es gab Dinge, von denen die Mädchen nichts wissen mussten. Das verstanden sie ohnehin nicht.
„Geküsst?“ Sophie löste sich mit einem überraschten Keuchen von ihm, die Augenbraunen hochgezogen. Claas nickte und fuhr hastig, über die eigenen Worte stolpernd fort: „Nur … geküsst. Dann … ist er abgehauen. Einfach so. Und dann war er vorhin wieder hier, als ich den Müll rausgebracht habe. Da stand er vor mir und ich … Er hat behauptet, er würde nur seine Schwester besuchen. Aber das war bestimmt gelogen.“
Seufzend strich er sich durch die Haare. „Was, wenn der mich jetzt stalkt? Ich habe absolut keine Ahnung, was das … sollte.“
„Wieso hat er dich denn geküsst?“ Sophie schaute ihn verwirrt an. Claas spürte, wie seine Wangen zu brennen begannen, senkte verlegen den Blick und hob unsicher die Schultern. „Keine Ahnung. Sollte wohl ein Scherz sein oder so.“
„Ein Scherz? Der beschimpft dich, schnappt dich, droht dir mit Prügeln und dann küsst er dich?“ Sophie zog argwöhnisch die Stirn in Falten und legte den Kopf schief. „Ist das etwa ein verkappter Schwuler, der auf dich steht?“
„Quatsch“, widersprach Claas, seine Wangen brannten heißer, sein Rückgrat überlief ein Schauder. Das war … unmöglich. Jockel? Niemals. Aber seine Hände, seine Lippen, sein ganzes Verhalten … Nein, das konnte nicht sein.
„Der hat mich verarscht. Der fand das vermutlich verdammt lustig, mich vorzuführen. War ja nicht das erste Mal“, gab Claas zu. Mit großen Augen starrte ihn Sophie an und er schilderte ihr seufzend seinen letzten Zusammenstoß mit Jockel.
„Oh Mann, warum hast du denn nichts gesagt?“ Seine Freundin blickte ihn betroffen an. „Der Typ hat doch echt einen an der Klatsche.“
Empört strich sie sich die braunen Haare zurück. „Wir sollten Kati und Patricia davon erzählen. Der Typ kommt mir wirklich gefährlich vor. So einem Skin traue ich alles zu.“
Claas nickte bedächtig. Er würde seine Begegnung mit Jockel ohnehin nicht geheimhalten können und ihm kam ein neuer Gedanke: „Kati sagte doch, ihr Bruder kennt diesen Typ? Vielleicht weiß der mehr über ihn?“
„Gute Idee.“ Sophie nickte begeistert. „Lass uns zu Kati fahren und ihn ausfragen.“ Claas öffnete den Mund, doch Sophie kam ihm schmunzelnd zuvor: „Den Teil mit dem Küssen muss er ja nicht unbedingt erfahren.“ Erleichtert seufzte Claas auf. Seine Mädels waren klasse.
Obwohl ihm Sophie versichert hatte, dass Jockel nicht mehr da war, überkam ihn ein sehr mulmiges Gefühl, als sie die Straße betraten.
Der Skin wusste seine Adresse. Er konnte jederzeit wiederkommen. Andererseits hatte Claas ihn noch nie zuvor hier gesehen. Vielleicht war er wirklich nur auf Besuch gewesen und schon wieder verschwunden? Was machte Jockel eigentlich? Ging er zur Schule, arbeitete er oder gammelte er nur herum?
„Er ist wirklich weg“, versicherte ihm Sophie. Claas zuckte ertappt zusammen und sah sich trotzdem sichernd um. Oh Mann, er war wirklich erbärmlich. Angsthase.
Wovor hatte er eigentlich Angst? Es war taghell und selbst so ein grottendämlicher Skin würde ihn kaum mitten am Tag vom Fahrrad zerren.
Dennoch kam sich Claas beobachtet vor, während sie mit den Fahrrädern losradelten. Erst als sie einige Straßen weiter weg waren, ließ das beklemmende Gefühl nach.
Das kleine Eiscafé, über dem Kati mit ihren Eltern und ihrem Bruder Jakob wohnte, war gut besucht. Katis Vater, ein halber Italiener, der ihr ihr Temperament vererbt hatte, winkte ihnen grüßend zu, als sie ihre Fahrräder abstellten und rief etwas in Richtung Küche. Kurze Zeit später kam Kati nach vorne. Sie half regelmäßig in der Eisdiele aus und trug die hellgrüne Schürze mit dem Logo des Geschäftes. Sie winkte ihnen zu und zeigte auf einen Tisch am Rande.
„Hey!“, begrüßte sie ihre Freunde. „Soll ich euch was bringen? Mein Vater spendiert euch zwei Eisbecher, wenn ihr wollt.“
Sophie nickte sofort begeistert und auch Claas stimmte zu, obwohl er keinen Hunger hatte. Daher wählte er einen einfachen Eisbecher mit Erdbeer- und Vanilleeis.
Kati sah ihn kritisch an. „Was ist denn mit dir los?“
„Dieser dämliche Skin von neulich hat ihn schon wieder belästigt“, erklärte Sophie an seiner Stelle. „Ist Jakob auch da? Wir wollten ihn mal ausfragen, was er über diesen komischen Typ weiß.“
„Klar ist der da.“ Kati nickte nach drinnen. „Der macht gerade Pfefferminzeis. Ich frage ihn, ob er einen Moment Zeit hat.“
Kurze Zeit später kam Jakob mit Kati zu ihnen und brachte das gewünschte Eis. Er maß Claas mit einem flüchtigen Blick und lächelte Sophie dafür umso strahlender an.
Claas seufzte innerlich. Jakob stand seit Jahren auf Sophie, himmelte sie regelrecht an. Leider beruhte dies nicht auf Gegenseitigkeit und obwohl sie seither schon verschiedene Freunde gehabt hatte, gab Jakob die Hoffnung nicht auf.
Nach einem kurzen Gespräch über das letzte Konzert und wie toll das Wetter war, in welchem sich Claas zurückhielt, fragte Kati ihren Bruder direkt: „Sag mal, du kanntest doch diesen Skin, der damals an unserer Schule war, diesen Jochen?“
„Der Typ vom Fußball?“ Jakob zog die Nase kraus. „Nicht wirklich. Wir waren im gleichen Verein. Aber nach dem, was der sich geleistet hat, wollte keiner mehr was mit ihm zu tun haben.“
„Was ist denn passiert?“, fragte Sophie neugierig, während sie ihr Eis löffelte.
„Habt ihr das damals nicht mitbekommen?“ Jakob schaute verwundert von einem zum anderen. „Das war ein echt komischer Typ. Er hat einen Mitschüler krankenhausreif geschlagen. Ich glaube, dafür ist er sogar in den Knast gewandert. Skin halt, die suchen doch dauernd Ärger. Auch unser Trainer hat ihn mal verwarnt, weil er mit einem T-Shirt mit verbotenem Logo antanzte. Der Typ war echt ein bisschen merkwürdig, blieb immer für sich und hing nur mit anderen Skins herum.“
Jakob hatte sich in Fahrt geredet. „Mir kam der immer verdächtig vor. Der hat selten mit uns geduscht und wenn er sich ausgezogen hat, dann hatte er dauernd überall blaue Flecken und Schrammen. Der hat ja Kampfsport gemacht. Ich glaube, er hat sich einfach gerne geprügelt.“
Er seufzte und wandte hastig den Blick von Sophie ab, die ihren Löffel ausgiebig ableckte. Claas musste unwillkürlich verstohlen lächeln und sein Blick begegnete Katis, die ihm traurig wissend zunickte.
„Arme Sau. Das war eine ganz kaputte Familie, da gab es viele Gerüchte“, fuhr Jakob verschwörerisch fort. „Die Mutter hing an der Flasche und der Vater auch so ein Suffkopf, der von Hartz IV lebt. Genaueres wusste niemand von Jochen und er selbst hat ja nie den Mund aufgemacht. Seit der von der Schule geflogen ist, habe ich ihn nur ab und an mal am Bahnhof gesehen, wo er mit den anderen abhängt. Keine Ahnung, wo der jetzt wohnt oder was der macht.“
„Hast du ihm vielleicht zufällig mal gesteckt, dass Claas schwul ist?“, fragte Kati direkt. „Er hat ihn neulich mit seinen Schlägern nach der Disko abgepasst, als Homo beschimpft und Claas hat tierisch Glück gehabt, dass die ihn nicht verprügelt haben.“
Betroffen starrte Jakob Claas an und biss sich in die Wange. Rasch senkte er den Blick und zupfte an der Tischdecke herum.
„Ich … Kann schon sein … also, das Jochen es … irgendwie mitbekommen hat“, druckste er herum. Claas seufzte innerlich auf. Er ahnte, was da gelaufen war. Es war nun mal ein kleines Städtchen.
Kati hob die Augenbrauen und stieß ihren Bruder energisch an. „Was hast du ihm erzählt?“
„Also ich nicht“, widersprach Jakob schnell, warf Claas einen entschuldigenden Blick zu, der ihn abwartend ansah. Diese Art von Blicken kannte er nur zu gut.
„Naja“, begann Jakob gedehnt, konnte Claas nicht direkt ansehen. „Wir haben halt nach dem Training so ein bisschen ...“ Er schluckte hart und fing einen herausfordernden Blick seiner Schwester auf. Seufzend fuhr er fort: „Wir haben halt so ein wenig … über Schwule halt … also so ein bisschen ...“
„Rumgelästert“, ergänzte Sophie, die Stirn gekraust, die Stimme klang pikiert. Jakob warf ihr einen unsicheren Blick zu und nickte betreten.
„Ja, halt so Witze gerissen und so. Nicht böse gemeint“, versicherte er hastig. Nein, natürlich nicht, seufzte Claas resignierend. Schwulenwitze. Er kannte vermutlich jeden davon.
„Wie hat Jochen darauf reagiert?“, wollte Kati wissen. Claas löffelte sein Eis aus. Im Grunde konnte es ihm ja egal sein, was hinter seinem Rücken über ihn geredet wurde. Tatsächlich traf es ihn jedoch hart, dass auch Jakob zu jenen Menschen gehörte.
Dieser zuckte die Schultern. „Nichts. Der hat nie viel gesagt. Der hat wohl lieber Fäuste sprechen lassen und irgendwann hat dem eben die Nase eines anderen Typen nicht gepasst und er hat ihn zusammengeschlagen.“ Verschwörerisch beugte er sich vor. „Angeblich hat er dem sogar den Unterkiefer gebrochen. Irre der Typ. Ich war froh, dass der danach nicht mehr zum Training kam. Mit so einem will keiner was zu tun haben.“
Claas seufzte und schüttelte sich. Nein, mit so jemandem wollte wirklich keiner etwas zu tun haben. Das Bild, welches Jakob von dem Skin zeichnete, passte und passte wiederum nicht.
Der Jockel, den er gestern kennengelernt hatte, war ein anderer gewesen. Nur welcher war der wirkliche?
Und warum zerbrach er sich über diesen Typen andauernd den Kopf? Er sollte ihn einfach vergessen, ihm aus dem Weg gehen. Das beschloss er, als er wieder daheim war, Sophie mehrmals versicherte, dass er alleine klarkäme und diese ihm einschärfte, sofort anzurufen, wenn etwas sein sollte.
Leicht gesagt, denn Jockel wusste, wo er Claas finden konnte. Und irgendwie hatte dieser den Eindruck, es würde nicht das letzte Mal sein, das sie sich begegnet waren.
Welches Geheimnis verbarg der Skin? Welche Überraschung mochte er noch parat haben?
Texte: CPR
Bildmaterialien: (C) Coverbild unter Verwendung eines Fotos von Lisa Spreckelmeyer / pixelio.de
Lektorat: Ingrid Kunantz
Tag der Veröffentlichung: 06.11.2012
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