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Hard Skin



Leseprobe aus meinem Roman

Die Cola schmeckte verwässert. Vielleicht lag es an den drei Eiswürfeln, vielleicht daran, dass die Cola hier grundsätzlich gestreckt wurde. Wahrscheinlich fiel nur ihm das auf. Die wenigsten Gäste nahmen hier etwas ohne Alkohol zu sich.
Claas nahm einen weiteren Schluck und sah sich verstohlen um. Es war relativ hell am Tresen, wo Neonröhren über seinem Kopf genügend Licht abgaben. Die Wände waren dunkel gestrichen und wurden nur im oberen Teil von dem Licht aus den Wandlampen rot angestrahlt. Es war ein typischer Jugendclub mit Disco, die zum Glück in zwei Bereiche zum Tanzen und Sitzen eingeteilt war. Die Musik war hier gedämpfter, sodass man tatsächlich reden und verstanden werden konnte.
Wenn man jemanden zum Unterhalten hatte, dachte Claas seufzend und versuchte erfolglos, Gesichter in dem Halbdunkel auszumachen. Die Tanzfläche lag weiter hinten, wo die überwiegend jugendlichen Gäste mit dem flackernden Licht um die Wette tanzten.
Dieser Club war nicht die angesagteste Location, allerdings fiel bei den drei, die in erreichbarer Nähe zur Auswahl standen die Entscheidung nicht wirklich schwer. Es sei denn, man stand auf Flower-Power Musik in der einen oder Schwerlast Heavy Metal in der anderen. Nicht das Claas etwas gegen härtere Musik gehabt hätte, doch die Gesellschaft in letzterer schreckte ihn ebenso ab, wie die im Hippieclub.
Sein heutiger Besuch in diesem Club war im Grunde aber ebenso ein Reinfall, wäre es wohl, egal wo er hinging. Er wohnte im falschen Teil der Welt, in einem viel zu kleinen Städtchen, welches woanders gerade mal Dorf genannt werden würde. Zu klein und zu rückständig und für jemanden wie ihn, völlig ungeeignet, um mehr als freundschaftliche Kontakte zu knüpfen.
An den kleinen Tischen knutschten überall leichtbekleidete Pärchen herum und die Wahrscheinlichkeit, dass ihn eins der Mädchen anmachte, war viel größer als dass er einem Jungen auffiel.
Claas wusste sehr wohl, dass er zwar etwas unscheinbar wirkte, allerdings nicht unattraktiv war. Er trug einigermaßen enge Jeans und ein helles, modisches T-Shirt. Man sah ihm den Sportler an, auch wenn er die Aktivitäten im Hinblick auf das Abi im nächsten Jahr auf das Handballspielen eingeschränkt hatte. Er achtete durchaus auf sein Äußeres, war stolz auf sein Aussehen. Sein dunkelbraunes Haar mit dem modischen Schnitt hatte er an den Seiten etwas zurückgegelt und seine braungrünen Augen in dem schmalen Gesicht mit dem leichten Bartschatten wirkten durchaus anziehend. Zumindest auf Frauen.
Seufzend nahm er einen weiteren Schluck und ließ den Blick ausgerechnet zu der Gruppe von Jungs schweifen, bei denen er sich am allerwenigsten Chancen ausrechnen durfte.
Skins.
Jeder der vier trug schwarze, knöchelhohe Springerstiefel und grün oder braun gemusterte Armeehose. Zwei von ihnen trugen lediglich weiße Unterhemden, die anderen Muskelshirts, die ihre Oberkörper hervorhoben. Keiner von ihnen war extrem muskulös, der eine eher hager und ein anderer ein wenig rundlich, dennoch strahlten sie Kraft und rohe Wildheit, ja sogar eine gewisse Gefährlichkeit aus. Selbst jetzt, wo sie Bier trinkend und lachend beieinandersaßen.
Es war vor allem der eine von ihnen, mit stoppeligen, dunklen Haaren und einem angedeuteten Hauch von Bartschatten, der Claas' Blicke wie magisch anzog. Sein verfluchtes Pech, das er auf Typen wie diesen total abfuhr. In etwa gleich groß wie er selbst, ein wenig breiter in den Schultern und ein markantes Kinn. Die Augenfarbe war auf die Entfernung nicht auszumachen, aber er hatte ein äußerst sympathisches Lächeln, und als er seinen Kumpel links freundschaftlich in den Arm nahm, musste Claas unwillkürlich leise aufseufzen.
Das kurze weiße Hemd ließ viel zu viel von den Bauchmuskeln des Skins erahnen und eine silberne Kette blitzte im Ausschnitt. Die Anhänger daran sahen aus, wie die amerikanischen Hundemarken aus der Armee.
Natürlich. Das passt zu einem solchen Typ, diese Skins gaben sich gerne militärisch, dachte Claas geringschätzig.
Er kannte sich nicht damit aus, aber die rechte Szene in dieser winzigen Stadt war zum Glück nicht wirklich nennenswert, wenn man den Zeitungsberichten Glauben schenkte. Es gab natürlich die Hakenkreuze in den Graffitis am Bahnhof, neben anderen, wilden Kürzeln, deren Bedeutung vermutlich nur die Sprayer selbst kannten. Von gewalttätigen Übergriffen gegen Ausländer und Homosexuelle war Claas allerdings nichts bekannt.
Er musste zugeben, dass diesem Typ der Armeelook durchaus gut stand. Vermutlich würde er auch sehr gut in einer engen Badehose aussehen, mit sonnengebräunter Haut, sich auf einem Laken räkelnd. Claas stellte sich vor, wie er ihm den Rücken eincremen würde, die Brust, den Bauch. Wie sich die Bauchdecke heben und senken, seine Finger darüber gleiten und jede Kontur nachzeichnen würden. Ein paar Tropfen im Bauchnabel, die er mit dem kleinen Finger verteilen würde ... Sein Atem beschleunigte sich und sein Herz klopfte verdächtig schnell. Verlegen senkte er den Blick.
Verflixt, ihm war ein wenig warm geworden und auch sein ganz privater Freund hatte sich geregt. Die Vorstellung war aber auch zu erregend gewesen. Nur zu schade, dass es beim sehnsüchtigen Anschmachten aus der Ferne bleiben würde. Ein Schwuler und ein Skin, das war ebenso unmöglich wie Wasser und Feuer zu vereinen.
Wenn der Typ nur nicht so unverschämt sexy aussehen würde. Diese kurzen Haare verlockten die Finger drüberzustreichen und zudem fand Claas, hob die Abwesenheit von langen Haaren das Gesicht besonders gut hervor.
Gerade prostete der Skin seinen Freunden zu. Laut lachend stießen sie ihre Bierflaschen gegeneinander. Hastig wandte Claas den Blick erneut ab. Nicht auszudenken, wenn der Typ bemerkte wie er ihn ansah. Der würde ihn gnadenlos am Boden zertrampeln, wenn er auch nur einen Funken von seinen wahren Gedanken ahnen würde. Ein Homo, der sexuelle Fantasien von einem Skin hat. Da konnte er auch gleich seinen Grabstein bestellen.
Missmutig widmete sich Claas seiner Cola. Seine Alibifreundinnen Kati und Sophie, mit denen er eigentlich hergekommen war, hatten sich schon vor mehr als einer halben Stunde aus dem Staub gemacht. Logisch, für sie war die Auswahl an Kerlen deutlich größer als für ihn. Es war im Grunde doch von vornherein klar gewesen, dass er alleine nachhause fahren durfte. Warum hatte er sich auch erst mitschleppen lassen? Blöde Idee.
Weil er sich auch mal richtig amüsieren sollte, hatten sie gesagt. Weil er jemanden kennen lernen sollte, tanzen, kuscheln, küssen und … Na toll, als ob das so einfach laufen würde, wenn man schwul war. Das klappte schon nicht auf irgendwelchen Schulveranstaltungen oder Geburtstagspartys von denen sich Claas deshalb auch fernhielt. Jeder Junge, der wusste, dass er schwul war, vermied auf einer Party den direkten Kontakt zu ihm. Die, die es nicht wussten, wurden bald schon von den anderen schief angeschaut und heimlich aufgeklärt. Niemand wollte sich gerne freiwillig in diese Schublade packen lassen.
Montag in der Schule würden die Mädels Claas ausführlich von ihren neuen Eroberungen berichten und er durfte neidvoll zuhören und weiterhin in Gesellschaft seiner treuen Hand davon träumen.
Fast jeder schien derzeit verliebt zu sein. Es war Sommer und täglich nahm die Hitze mehr zu. Die Zeit der Liegestühle und Pools, der heißen Luft, die den Schweiß auf die Stirn trieb und der eiskalten Getränke, die den Körper angenehm kühlten. Die Jahreszeit der stickigen Hitze und abendlicher Gewitter, des heißen Asphalts, flirrender Luft und von Blumenduft geschwängerter Nächte.
In ein paar Wochen begannen die Sommerferien, Claas' letzte vor dem Abitur. Lange Wochen, in denen er sich in der Sonne räkeln und lange schlafen konnte. Und darüber nachdenken, wie man erfolgreicher als bisher mit anderen, möglichst schwulen Jungs zusammenkommen könnte. Es gab in erreichbarer Nähe keine ihm bekannten Orte, an denen man Gleichgesinnte treffen konnte. Dies hier war der Osten. Und er kam sich mitunter sehr einsam vor.
Er war in der Nähe der holländischen Grenze geboren worden. Ein Teil der Verwandtschaft lebte in Deutschland, einige in den Niederlanden. Diesen hatte er auch seinen Namen zu verdanken. Diese Kleinstadt, in der er seit drei Jahren mit seiner Mutter lebte, war nicht unbedingt das tolerantesten und schwulenfreundlichste Pflaster. Vor allem nicht, wenn man diese Tatsache nicht ungewollt an die große Glocke hängen wollte. In seiner Klasse war er noch nicht bei allen geoutet, aber Kati und ein paar seiner Freunde wussten es sehr wohl. Seither war der Kreis seiner männlichen Freunde geschrumpft, der seiner weiblichen hingegen gewachsen. Nicht unbedingt zu seinem Nachteil, denn er war gerne mit Kati, Patricia und Sophie unterwegs.
Ja, er war schwul, trieb gerne Sport, sah Fernsehserien und er ging gerne shoppen. Nicht so exzessiv wie die Mädels, andererseits war er gerne dabei und gab seinen Kommentar ab. Claas mochte gute Klamotten, ging gerne ins Kino, liebte Tischtennis und Handball und konnte leidlich surfen. Und war mit seinen achtzehn Jahren noch immer Single und Jungfrau. Dämliche Sache.
Ärgerlich kaute er an dem Strohhalm in der Cola herum. Seine sexuellen Erfahrungen beschränkten sich bisher auf lächerliche gegenseitige Handjobs mit einem Jungen im Ferienlager vor zwei Jahren und einen Blowjob im angetrunkenen Zustand nach einem Konzert, an den er sich nur vage erinnerte. Beides waren nicht unbedingt die überragendsten Momente in seinem Leben gewesen. Für den Anfang war es aber wohl ganz okay. Mittlerweile hungerte er jedoch nach mehr. Nicht nur körperlich. Liebe war etwas, was ihn noch nicht erwischt hatte.
„Hey, du!“
Überrascht zuckte Claas zusammen und drehte sich um. Seine Augen weiteten sich erschrocken, denn der Skin mit den amerikanischen Erkennungsmarken kam auf ihn zugeschlendert, die leere Bierflasche in der Hand. Er lächelte breit, seine Augen blitzten.
Claas wurde heiß und kalt und sein Herz wummerte so schnell los, dass er seine Hand fest um das kühle Colaglas schloss, um zu verhindern, dass seine Finger zitterten. Das Lächeln war sympathisch, dennoch traute er dem Typ nicht. Meistens suchten diese Art von Jungs Ärger.
Unsicher sah er den Skin an. Der andere Junge bewegte sich lässig und doch voller Kraft. Die weite Hose saß unverschämt tief auf seinen Hüften, sodass man seine Hüftknochen sehen konnte, die von dem kurzen Hemd nur unzureichend verdeckt wurden.
Sonnenmilch auf brauner Haut. Das Bild wollte sich nicht wegdenken lassen. Unwillkürlich sammelte sich Hitze in Claas' Lenden. Peinlich berührt versuchte er den Blick abzuwenden.
Der Typ trat neben ihn an den Tresen und zeigte dem Barkeeper auffordernd seine leere Flasche. Er stellte sie ab und wandte sich Claas zu, musterte ihn mit einem süffisanten Grinsen, welches diesem eine kalte Gänsehaut über den Rücken sandte. Unwillkürlich machte sich Claas kleiner. Dieser Typ war eindeutig auf Ärger aus und er saß hier ziemlich alleine.
„Meine Kumpels behaupten, du bist ein Homo,“ eröffnete der Skin ohne Umschweife das Gespräch und stützte sich lässig auf einen Unterarm ab. Sein Lächeln blieb unverändert, leicht spöttisch. Claas' Magen zog sich eng zusammen und Kälte kroch ihm vom Rücken über die Arme. Betroffen starrte er den anderen an, den Mund leicht geöffnet.
Schweiß und der Geruch eines herben Männerdeos mischten sich zu einer unglaublich guten Duftnote. Blaue Augen, die am Rande etwas grau wirkten, starrten Claas herausfordernd an. Ein Blick, der sich tief in sein Herz senkte und den Pulsschlag unweigerlich höher trieb.
Der Skin beugte sich näher heran. Die silbernen Plättchen baumelten an der Kette vor seiner Brust, spiegelten das bunte Licht der Strahler auf der Tanzfläche wieder. Die wummernden Bässe der Musik durchdrangen Claas und verstärkten sein inneres Beben.
Was sollte er sagen? Das war eine klare Herausforderung, eine Beleidigung, der Auftakt zu einer Provokation, die zwangsläufig mit einer blutigen Nase enden würde, wenn er sich darauf einließ. Seiner blutigen Nase wohlgemerkt, denn auch wenn er sportlich war, konnte er es mit diesem Typ nicht aufnehmen.
Sein Blick huschte unstet über das runde Gesicht. Kleine Lachfältchen verliehen den Augen einen täuschend sanften Ausdruck.
„Bist du einer?“ Der Skin lächelte noch immer verwirrend freundlich. Dennoch hatte seine Stimme einen fordernden Ton, der Claas weitere Schauer über den Rücken sandte.
Tief holte dieser Luft, zögerte einen winzigen Moment, während er den anderen intensiv musterte und wog seine Antwort ab, bevor er möglichst gelassen antwortete: „Kann schon sein.“
Sein Herz schlug ihm hoch oben im Hals und er war froh, dass die Worte halbwegs normal herausgekommen waren. Dennoch musste der andere merken wie nervös er war. Es war schwerer selbstbewusst zu tun, als er gedacht hätte. Aber solche Typen suchten sich gerne schwache Opfer und er war nicht schwach, noch wollte er ein Opfer werden. Herausfordernd hob Claas den Blick.
Die graublauen Augen verengten sich und das Grinsen wurde breiter. Völlig unerwartet lachte der Skin los.
„Echt? Du bist wirklich einer?“ Sein Blick wanderte unangenehm aufmerksam über Claas' Gestalt, der sich regelrecht seziert vorkam. Gleichzeitig löste diese intensive Musterung ein warmes Gefühl aus und erregte ihn. Es war bislang nicht vorgekommen, dass ihn ein anderer Mann derart genau gemustert hatte.
Noch immer lächelte der Skin, nahm dem Barkeeper das Bier ab und bezahlte es.
„Starrst du mich deshalb dauernd an, Homo?“, wollte er wissen. „Warum? Was gibt es da zu glotzen?“
Achselzucken war Claas' erste Antwort und er senkte ertappt den Blick. Leiser Ärger über die erneute Beleidigung regte sich unvorsichtig in ihm und er ermahnte sich zur Ruhe. Schlimm genug, dass dieser Typ jetzt wusste, dass er schwul war. Er musste ihm keine weiteren Gründe geben, ihm eine zu verpassen. Andererseits wollte er auch nicht angreifbar wirken und abstreiten, was er nun mal war. Hier waren genug Leute, die zusehen würden. Dieser Typ und seine Kumpel würden es sicherlich nicht wagen, ihm vor Zeugen etwas zu tun. Hoffte er einfach.
Claas nahm einen großen Schluck von seiner Cola und blickte den anderen offen an. Dessen Gesicht war wirklich attraktiv. Neben den festen Lippen bemerkte Claas ein feines Grübchen. Die millimetergroßen Stoppeln am Kinn wirkten weich, luden ebenso zu einer Berührung ein wie die auf dem Kopf.
„Wenn … du ein Mädchen attraktiv findest“, wagte sich Claas sehr weit vor, ließ den Skin dabei nicht aus den Augen, „guckst du sie dir doch auch genauer an.“ Seine Stimme hob sich, wirkte herausfordernd. Hastig nahm er einen weiteren Schluck. Sein Herz klopfte wie wild. War er zu weit gegangen?
Der Skin grinste breiter und öffnete die Bierflasche. „Ich schaue hin, ob sie schöne Titten hat.“ Er sah demonstrativ an sich hinab. „Die habe ich eindeutig nicht, also was guckst du bei mir dann an, Homo?“
Claas schwieg, spielte mit dem Strohhalm herum. Die Situation behagte ihm nicht. Was auch immer er sagen würde, der Skin konnte es ihm falsch auslegen und er hatte keine Luft auf blaue Flecken oder gebrochene Knochen.
„Du starrst mir auf den Arsch, oder?“, vermutete der Skin, nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. Sein Adamsapfel hüpfte unter der Schluckbewegung und Claas bemühte sich rasch, seiner Cola mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Seine Finger waren feucht und sein ganzer Körper angespannt. „Oder eher in den Schritt.“ Der Skin rückte noch näher, lächelte süffisant und griff sich mit der freien Hand in selbigen. „Du starrst mir echt auf die Eier?“
Claas antwortete nicht. Angst schnürte ihm die Kehle zu und er hatte Mühe zu atmen. Das lief nicht wirklich gut. Wie kam er da jetzt wieder raus? Andere Jungs fanden es nur halb so erregend auf diese Weise gemustert zu werden wie er und dieser Typ hier fand es ganz offensichtlich ganz und gar nicht erregend.
Der Skin war jetzt so nahe, dass Claas seinen Atem spüren konnte, den Duft von Bier wahrnahm. Vorsichtig schaute er den anderen an, die Hände fest um sein Glas gelegt. Verlegen versuchte er in den graublauen Augen zu lesen, abzuschätzen, was der Skin hören wollte. Seine Nähe ängstigte und erregte ihn gleichermaßen und der Gedanke war gleichfalls erschreckend.
„Macht dich das an, Homo?“ Der Skin hatte seine Stimme gesenkt und obwohl Claas sich der Gefahr bewusst wurde, sie kalt und ziehend durch seine Eingeweide kroch, zog ihm der Klang der Stimme die Hoden zusammen und ließ seinen privaten Freund zucken. Nur ein Griff und der andere Junge könnte ihn packen, seine Finger um seinen Oberarm schließen. Wenige Zentimeter trennten sein Gesicht von Claas.
Dessen Atem ging viel zu hastig, flog ihm von den Lippen. Der Herzschlag war viel schneller und lauter als die Beats der Musik. Feiner Schweiß perlte über Claas' Stirn und seine Haut fühlte sich kalt an.
Er wusste beim besten Willen nicht, was er sagen, ob er leugnen sollte. Ein Teil von ihm wollte hastig versichern, dass er nirgends anders als in das Gesicht gesehen hatte. Ein dummer, trotziger Teil hielt ihn allerdings davon ab, vor dem anderen Jungen zu kriechen und die Furcht, die er empfand, offen zu zeigen.
Sekunden dehnten sich unendlich, in denen diese graublauen, harten Augen ihn unentwegt musterten, herausforderten, ihn lockten.
Die Lippen des Skins zuckten und er näherte seinen Mund Claas' Ohr, der wie erstarrt sitzen blieb. Für einen winzigen, flüchtigen Moment wünschte er sich eine Berührung dieser Lippen, sehnte er das feine Gefühl von Feuchtigkeit auf seiner klammen Haut herbei.
„Behalt deine Augen besser bei dir“, raunte der Skin. „Niemand starrt mir so auf meinen Arsch, Homo.“
Das Wort durchdrang Claas' Furcht und weckte seinen versteckten Widerstand und Stolz. Als sich der Skin zurückschob und ihn provozierend angrinste, entkam ihm daher ein entschlossenes: „Claas. Mein Name ist Claas.“
Der Skin musterte ihn noch einen unendlich langen Augenblick und begann glucksend zu lachen. Er schüttelte den Kopf, prostete Claas zu und meinte: „Meiner ist Jockel und es ist mir scheißegal wie du heißt.“
Weiterhin lachend entfernte er sich und ging zu seinen Kumpels zurück, die ihn grölend begrüßten. Claas wurde sich nachträglich erst bewusst, dass sie ihn und Jockel ganz genau beobachtet hatten.
Mit brennenden Wangen, aber unendlich erleichtert entließ er die angehaltene Luft. Das hätte daneben gehen können. Dieser Skin fand den Umstand, dass er attraktiv auf einen Schwulen wirkte, zu seinem großen Glück scheinbar eher amüsant.
Mit noch immer heftig pochendem Herzen trank Claas seine Cola aus. Er spürte die Blicke der vier Skins in seinem Rücken wie eine körperliche Bedrohung. Obwohl er auf jedes Geräusch horchte, konnte er von ihrer lautstarken Unterhaltung nur wenig aufschnappen. Ein paar Mal vermeinte er das Wort „Homo“ und „Schwanzlutscher“ zu hören, aber er drehte sich nicht um, wollte ihnen keinen Grund zu weiteren Provokationen geben.
Er verfluchte Kati und Sophie und seine Gutmütigkeit mit ihnen hergekommen zu sein. Das war definitiv nicht sein Pflaster und zu hoffen, er würde unter den ganzen Heteros einen finden, der seine Interessen teilte, war eine der hirnrissigsten Ideen, die er je gehabt hatte.
Hinter ihm vernahm er die Stimmen der Skins dichter und wandte vorsichtig den Kopf. Jockel kam abermals zurück zum Tresen, beachtete Claas jedoch nicht, brachte lediglich die Bierflaschen zurück. Unter gesenkten Lidern beobachtete ihn dieser mit härter klopfendem Herzen. Allerdings tat Jockel so, als ob er gar nicht existieren würde.
Claas verfolgte ihren Aufbruch verstohlen und erst als er sich sicher war, dass sie es nicht bemerken würden, schaute er auf.
Man konnte nicht viel in der Armeehose sehen, aber schon aus Prinzip warf Claas einen langen Blick auf Jockels Rückseite. Ja, der Skin hatte eine ansprechende Figur und Claas kam sich gleichzeitig mutig wie kindisch vor, das er ihm tatsächlich auf den Hintern starrte und überlegte wie er wohl ohne Hose aussehen würde.


Impressum

Texte: CPR
Bildmaterialien: Unter Verwendung eines Fotos von Lisa Spreckelmeyer/ www,pixelio.de
Lektorat: Mel Finjon
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2012

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