„Bist du wirklich noch sauer?“
Seine Stimme ist leise und klingt wirklich latent besorgt. Langsam rollt mein Wagen an der Ampel an, nachdem sie auf Grün umgesprungen ist. Ich mache weiterhin ein finsteres Gesicht und schaue stur geradeaus. Natürlich bin ich nicht wirklich sauer, allerdings lasse ich ihn gerne noch ein wenig zappeln.
Leider funktioniert dass nicht so gut, wie ich geplant habe, denn mittlerweile kennt mein Tim mich schon ebenso gut. Ich schiele bald schon seitwärts zu ihm herüber und natürlich schaut auch er genau in dem Moment zu mir. Sofort grinst er verdammt unverschämt.
„Lach jetzt nicht wieder los!“, warne ich ihn und versuche dabei absolut ernst und böse zu schauen. Natürlich macht er genau das: Tim lacht und kriegt sich gar nicht wieder ein. Kleiner Mistkerl.
„Du bist echt sauer, weil du vor mir gekommen bist?“, fragt er grinsend nach. Ich grummle unverständliche Flüche vor mich hin. So etwas geht gegen meine Ehre. Und die ist - seit ich ihn kenne, also seit ungefähr einem Monat - ganz schön oft gekränkt worden. Dem alten Mark Benedikt wäre dergleichen niemals passiert.
Nicht nur, dass er mein ganzes Sexleben auf den Kopf gestellt hat, auch habe ich wegen ihm eine ganze Menge meiner eisernen Prinzipien über den Haufen geworfen. Alles wegen diesem, kleinen, englischen Typen, der mich um den Verstand küssen kann und der im Bett das Beste ist, was mir je passiert ist.
Und letzte Nacht ... nun ja …
Tim unterdrückt ein erneutes Lachen. Ich werfe ihm einen weiteren bösen Blick zu. Warte nur, mein Kleiner, bis heute Abend. Ich werde dir alles heimzahlen. Doppelt und dreifach.
„Nein“, erkläre ich ehrlicherweise. „Nicht weil ich vor dir gekommen bin, sondern weil du darüber gelacht hast.“
Er grinst süffisant und lehnt sich zu mir herüber. Ich bemühe mich, meine Augen ganz geradeaus auf die Straße zu richten. Nur nichts anmerken lassen. Ich spüre seinen Atem über meine Wange und den Nacken streichen. Sein wunderbarer Geruch macht mich ganz irre. Ebenso seine Nähe. Immer wieder, jeden Tag aufs Neue. Das ist schon verrückt.
„Nicht weil du so schnell gekommen bist, sondern wie“, flüstert er und behält diesen spöttischen Unterton bei. „Darüber habe ich gelacht. Über deine komischen Geräusche.“
„Und wie waren die bitteschön? Was war daran so komisch?“, frage ich scheinbar beleidigt nach.
Tim lehnt sich zurück, aber ich spüre, dass er mich dabei genau im Blick hat. Er leckt sich über die Lippen. Ich kann es aus dem Augenwinkel wahrnehmen und natürlich höre ich es.
„Naja, du hast total laut gestöhnt und immer nur: „Tim! Tim! Tim! Oh, du bist so gut, Tim! Mehr! Ja!“, von dir gegeben. Das war wirklich komisch.“ Er unterdrückt ein Kichern. Vergebens. Dieser kleine Sadist lacht schon wieder, zwinkert mir dabei tatsächlich noch frech zu. Hat er ein Glück, dass meine Hände fest auf dem Lenkrad liegen und ich ihn nicht durchkitzeln kann. Meine liebste Strafe für seine frechen Kommentare.
Genau das habe ich auch letzte Nacht gemacht, nachdem er mein Stöhnen kommentiert und nachgemacht hat. Also natürlich erst nachdem ich mich von dem Mega-Orgasmus erholt habe, den er, wirklich er, mir bereitet hat.
Kitzeln hilft immer. Tim ist herrlich empfindlich, vor allem an den Seiten. Erst als er um Gnade gewinselt hat, habe ich aufgehört. Aber er wird heute noch mehr dafür bezahlen müssen. Rache ist süß.
Ansonsten war es wirklich ein wenig peinlich. In mir ist noch immer etwas von dem alten Mark Benedikt vorhanden, für den es eine unverzeihliche Schwäche ist, wenn er vor dem anderen kommt und der nie …
Verdammt! Habe ich echt dabei laut und hemmungslos gestöhnt und seinen Namen gerufen? Muss wohl so sein. Hätte nie gedacht, dass es mich derart befriedigen könnte, wenn er in mich eindringt und meine Prostata und sein herrlicher Schwanz meinen Körper auf gefühlte 1000 Grad erhitzt.
Naja, früher habe ich ja auch nie solchen Sex gehabt. Erst seit ich ihn kennengelernt habe. Mit Tim ist es irgendwie anders.
Diesmal hat er oben gelegen und ich bin tatsächlich so stark gekommen, wie schon lange nicht mehr. Die Male vorher hat er sich dabei ja noch etwas ungeschickt angestellt, so langsam wird es jedoch immer besser. Übung macht den Meister, oder wie war das?
Ich muss schmunzeln, wenn ich an die ersten Male denke. Tim war viel zu aufgeregt, hat sich kaum getraut etwas Druck aufzubauen, um in mich zu stoßen, wollte mir auf gar keinen Fall wehtun. Gerade dass war toll daran. Ich hab ihn angeleitet und er hat es gemacht. Schließlich war es auch für mich so herum ungewohnt.
Nicht dass ich es lieber mögen würde, nein! Letztlich nehme ich ihn lieber, als dass ich mich von ihm nehmen lasse. Aber Holla, hätte nie gedacht, dass so viel Leidenschaft und Wildheit auch in ihm steckt. Es wird von Mal zu Mal besser. Und dass es mir soviel Spaß macht, hätte ich mir nie träumen lassen. Ganz bestimmt nicht.
Alex habe ich bislang nichts davon erzählt. Der bekommt einen Herzinfarkt, wenn der davon erfahren würde. Undenkbar! Mark, der unten liegt. Geheimhaltungsstufe. Top Secret!
Alex würde es auch nicht verstehen. Aber was wie der schon?
Tim hat endlich aufgehört zu lachen. Er zieht die Schultasche zwischen seinen Beinen zurecht.
Wie viel Bücher er mit schleppen muss. War es immer so? Ich kann mich an meine Schulzeit zwar erinnern, mache ich allerdings nicht gerne. Bin froh, dass sie hinter mir liegt. Aber Tim macht im Moment sein Abitur. Er ist ja gerade mal 19. Gut, so viel älter bin ich auch nicht. Fünf Jahre sind nun wirklich nicht viel, oder? Trotzdem komme ich mir manchmal viel älter vor, wenn ich ihn so ansehe.
„Heute Nacht darfst du ja auch wieder ran“, verspricht er reumütig und deutet meine Nachdenklichkeit falsch. Ich brumme etwas vor mich hin. Den Teufel werde ich tun, dass aufklären. Soll er doch ein schlechtes Gewissen haben. Davon habe ich dann mehr.
„Oder kommst du auf den Geschmack, so rum?“, fragt er schmunzelnd nach. Ich löse nun doch eine Hand vom Lenkrad und knuffe ihn in die Seite. Tim keucht empört auf, hört jedoch nicht auf zu grinsen.
„Hätte ich geahnt, was für ein sexbesessener kleiner Mistkerl du bist, hätte ich dich bestimmt nicht aufgegabelt“, behaupte ich.
Quatsch! Als ob nicht ich derjenige gewesen wäre, der immer nur auf einen schnellen, unkomplizierten Fick aus war. Damals. Bis ich ihn getroffen habe.
„Du hast mich aufgegabelt, weil du ein sexbesessener Kerl bist“, korrigiert er mich und lehnt sich zu mir herüber. Er haucht mir einen seinen wundervollen Küsse auf die Wange und fügt hinzu: „Wer hatte noch diese Wette laufen in der es um viel Sex ging? Aber ich liebe dich trotzdem. Gerade weil du ein sexbesessener Typ bist. Solange du den Sex mit mir hast, habe ich daran absolut nichts auszusetzen.“
Und da sind sie wieder, diese Worte, die mich jedes Mal dahin schmelzen lassen, wenn er sie sagt. Mir wird dabei sofort komisch. Dann will ich ihn an mich reißen, küssen, streicheln und lauter unmögliche andere, meist ziemlich romantische oder erotische Sachen mit ihm machen. Ich glaube ja wirklich, diese Worte sind magisch. Hätte ich nie gedacht, aber wenn Tim sie ausspricht, wird mir immer sehr warm. Im Herzen und vor allem deutlich tiefer. Eigentlich nicht warm. Eher sehr heiß.
Meistens vermeide ich trotzdem, das Gleiche zu sagen. Wo bleibt schließlich mein Stolz? Meistens tue ich es nur, wenn wir im Bett sind. Dann kann ich die Hitze, die dabei in mir aufsteigt, wenigstens auch gleich loswerden. Hier im Auto ist so etwas keine gute Idee. Nicht wenn wir nicht Grund für den morgendlichen Stau sein wollen.
Toll! Ein Verkehrsstau, weil zwei frisch verliebte Kerle ihre Finger nicht voneinander lassen können. Interessante Vorstellung. Ich schmunzle etwas. Aber ich sollte mich wohl besser zusammen reißen. Immerhin fahre ich ihn gerade zur Schule.
„Wann hast du heute Schluss?“, erkundige ich mich, um abzulenken und nicht immer an das eine zu denken. Was mir nie leicht fällt, wenn ich neben ihm sitze. Ständig möchten meine Hände über seinen perfekten, schmalen Körper fahren und ihm dieses schöne Stöhnen entlocken, welches ich so liebe.
Er lehnt sich in den Sessel zurück, ist ernst geworden.
„Gegen 14 Uhr“, meint er und wirkt nachdenklich. „Muss heute noch eine blöde Klausur schreiben. Da habe ich so gar keine Lust drauf. Und gelernt habe ich auch nicht wirklich dafür.“ Das gibt er so einfach zu. Aber ich bin ja auch nicht sein Dad. Ich halte mich da raus. Das ist sein Ding. Ich bin nur sein Freund.
Freund. Das Wort kommt mir mittlerweile schon leichter über die Lippen. Sein fester Freund. Sein Lover. Oder er meiner. Beides klingt klasse.
„Dazu warst du wohl zu beschäftigt mit anderen Dingen?“, frage ich lächelnd nach. Tim schmunzelt und beißt sich auf die Lippe.
„Ja, mit dir“, erklärt er ohne Umschweife. „Ich war die letzten Nächte quasi nie zuhause, sondern immer bei dir. Und da war nicht viel mit lernen.“
Das stimmt. Eigentlich verbringen wir jede freie Minute miteinander. Mein schlechtes Gewissen hält sich dennoch erstaunlich gut in Grenzen. Ich bin nicht sein Vater.
Was mich daran erinnert …
„Dann hole ich dich direkt ab. Wir können gemeinsam zu deinen Eltern fahren“, schlage ich vor. Tim schaut zu mir herüber und versucht in meinem Gesicht zu lesen. ich merke, es genau. Aber da gibt es nicht viel zu lesen.
Irgendwie freue ich mich wirklich darauf. Seinen Vater habe ich ja schon kennengelernt und der ist voll okay. Und seine Mum? Naja, mal sehen. Heute haben uns die zwei auf jeden Fall zur Teatime eingeladen. Nicht zum Kaffeetrinken, nein. Tims Vater ist Engländer. Da lädt man zur Teatime ein. Okay, ist im Grunde das Gleiche, auch wenn es heute eben eher Tee als Kaffee geben wird. Mag ich ohnehin lieber.
Bei der Gelegenheit können Tims Eltern mal seinen neuen, seinen ersten und bislang auch einzigen Freund kennen lernen: Mich. Wenn es nach mir ginge, ändert sich daran auch so schnell nichts. Wäre ja noch schöner. Mein Tim gehört schließlich ganz mir.
„Meine Mum ist ganz okay, die frisst dich bestimmt nicht auf“, meint er doch tatsächlich und schaut mich dabei verschmitzt an. „Zumindest nicht gleich.“
Als ob ich mich vor einer Frau fürchten würde. Habe ich noch nie. Ich weiß nur mit denen nicht so viel anzufangen. War schon immer so. Schon in der Schule.
Aber diese Frau ist Tims Mutter. Okay, nicht wirklich, da er nicht ihr leiblicher Sohn ist, zumindest spielt sie jedoch diese Rolle in seinem Leben. Wie gut, kann ich nicht beurteilen. Soviel hat der Kleine mir auch noch nicht von sich erzählt. Ich denke aber, sie haben ein gutes Verhältnis. Es gibt verdammt viel, was ich noch nicht von ihm weiß. Und dass macht mir manchmal wirklich Angst.
„Du bist ja da, um mich zu beschützen“, stelle ich fest und lächle ihn breit an. Wir sind beinahe schon an der Schule, denke ich seufzend. Ich muss ihn gleich gehen lassen. Für gefühlte Ewigkeiten. Tatsächlich sind es ja nur ein paar Stunden. Viel zu lange. Und danach?
Bald ist er mit der Schule fertig. Und dann? Ich fühle, wie mich zum wiederholten Male diese dummen Ängste überrollen. Was, wenn Tim studieren will? Wohin wird er gehen? Weg von mir? Das könnte ich nicht ertragen. Aber er hat noch soviel vor sich. Er ist noch so jung.
„Und ich werde ihr nicht erzählen, was ich mit ihrem kleinen, unschuldigen, süßen Söhnchen alles schon angestellt habe“, verspreche ich, gewohnt cool, lenke meine unschönen Gedanken energisch in andere Bahnen.
Tim verdreht die Augen.
„Ist wohl auch besser so. Ich glaube, dass wollen die beiden auch gar nicht so genau wissen“, gibt er zu und wirkt ernster.
„Gut, also erwähne ich auch besser keine Erdbeeren?“, hake ich zynisch nach und lächle wissend, als er rot wird. Ich freue mich hämisch darüber, dass es mir immer noch gelingt, ihn verlegen zu machen. Tim, mein kleiner, roter Ferrari.
„Wenn du das Wort noch einmal sagst, falle ich sofort hier vor allen meinen Mitschülern über dich her“, droht er tatsächlich, als ich endlich auf dem Parkplatz anhalte. Dagegen hätte ich ja gar nichts. Nein. Aber ich glaube, dafür sollten wir unbedingt Eintritt verlangen. Jugendfrei wird es dabei eindeutig nicht zugehen.
„Komme ich drauf zurück“, verspreche ich daher und seine Wangen glühen. „Aber einer deiner wilden, leidenschaftlichen Küsse, würde mir auch völlig genügen, um den langen Arbeitstag ohne dich zu überstehen.“
Ich beuge mich zu ihm herüber, der den Gurt schon gelöst hat, lege meine Hand in seinen Nacken und ziehe ihn zu mir heran. Sofort schlingt er seine Arme um meinen Nacken, küsst mich so heiß, dass ich ernsthaft überlege, das Wort „Erdbeere“ laut zu rufen. Oder zu stöhnen, je nachdem.
Okay. Keine gute Idee mitten auf einem Schulparkplatz. Und ich kann eigentlich nur hoffen, auf dem Weg zur Arbeit auf andere Gedanken zu kommen, sonst haben meine Kollegen und Kolleginnen etwas zu bestaunen. Etwas, was ich jetzt schon kaum verbergen kann. Scheiße, wieso macht er mich so heiß?
Mein kleiner Tim hat leider absolut ein Auge für so etwas.
„Hast du etwa schon wieder einen Steifen?“, flüstert er in mein Ohr und seine Hand gleitet gefährlich tief, bis ich ihn entschlossen aufhalte. Ich keuche leicht auf. Wie bitteschön sollte ich solche Flecken im Büro auf meiner Hose sinnvoll erklären? Ist er verrückt?
„Nur vom Küssen?“, raunt er. Ich schaffe es halbwegs sinnvoll zu nicken, sprechen kann ich vermutlich nicht, ohne laut zu stöhnen.
„Dann gehe ich besser mal schnell, bevor noch mehr passiert“, erkennt er glasklar. Schlaues Kelchen. Ich muss an was wirklich Kaltes, Eisiges denken. Gletscher. Eisberge. Winterstürme. Zähne zusammenbeißen.
Ungern lasse ich ihn aus meinen Armen gleiten. Tim öffnet die Tür und steigt aus, nicht ohne mir noch einen lasziven Blick zu zuwerfen. „Bis später, Schatz.“
Ich verziehe missmutig den Mund.
„Viel Glück bei deiner Klausur und pass auf dich auf“, brumme ich ihm hinterher, schaue ihm nach, bis er im Gebäude verschwunden ist. Mein süßer Tim.
Ich vermisse ihn jetzt schon, Minuten, nachdem er fort ist. Bin ganz schön in ihn verliebt. Ich gebe es ja zu. Zumindest vor mir selbst kann ich es zugeben.
Seufzend fahre ich zum Büro.
Heute fällt es mir irgendwie schwer, mich wirklich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Immer wieder geht mein Blick aus dem Fenster meines Büros. Ich denke dabei an meinen süßen Tim und an das, was uns heute bevorsteht.
Zum Glück ist heute auch nicht so viel los.
Bin ich etwa nervös wegen der Teatime? Blödsinn. Stewart, Tims Vater, habe ich ja schon kennengelernt und der hat mich am Leben gelassen. Wird sich wohl kaum etwas geändert haben. Und Tims Mutter? Seine Stiefmutter?
Naja, ich kann nicht gut mit Frauen, ich gebe es offen zu. Ich kann sie prima abblitzen lassen, das fällt mir nicht schwer. Alex und ich haben uns öfter den Spaß gegönnt, wenn wir gemeinsam unterwegs waren. Aufgedonnerte Trutschen, die uns angeflirtet haben, auflaufen lassen. Oh ja, besonders Alex kann das sehr gut. Der spielt gerne mit seinem Sexapeal
Heute muss ich allerdings nett zu Tims Mutter sein. Zuvorkommend. Hoffentlich gelingt es mir. Schließlich will ich weder Tim blamieren noch mich selbst. Wie sie wohl sein wird? Muss ja eine starke Frau sein, denn immerhin hat sie zugestimmt, den Sohn aus der Affäre ihres Mannes aufzuziehen. Das imponiert mir ganz schön. So etwas kann bestimmt nicht jede Frau. Die muss ja einfach interessant sein.
Zugegeben, Frauen müssen schon was drauf haben, wenn sie mich beeindrucken wollen. Ich nehme sie sonst einfach nicht ernst.
Wenn ich da an meinen ersten und einzigen Ausrutscher mit einer Frau denke … Wie hieß sie noch? Keine Ahnung. Bei unbedeutenden Frauen vergesse ich dauernd den Namen. Große Titten hatte sie auf jeden Fall. Schien mir damals irre wichtig zu sein.
Jeder Junge in meiner Klasse stand auf Frauen mit großen Brüsten, also dachte ich, ich müsse das auch. Blöder Irrtum, aber da hatte ich ja noch nicht kapiert, dass ich eher auf einen knackigen Arsch als weiche, wabbelige Dinger da oben stehe.
Das Mädel hatte die größten Titten von allen und ich war ganz wild darauf, sie flachzulegen, weil alle andern Jungs es auch waren. Als es dann passierte … das war nach dem Kino, glaube ich. Sie hatte sturmfreie Bude und deshalb sind wir zu ihr. Schätze, jeder von uns hatte schon eine genaue Idee, was wir da tun wollten.
Grinsend spiele ich mit einem Bleistift, wenn ich daran zurückdenke. War echt ein bisschen peinlich.
Wie alt war ich da? Fünfzehn oder sechzehn. Ziemlich unerfahren auf jeden Fall.
Knutschen war ja noch ganz okay. Da ging alles glatt und ich entsprach dem zu erwartenden Verhaltensmuster eines draufgängerischen Jungen, der sein erstes Mädchen vernascht. Ich kam mir echt toll vor. Probleme gab es erst, als wir uns ausgezogen hatten. Sie war da durchaus erfahrener, deshalb hat sie wohl irgendwann auch was gemerkt. Keine Ahnung.
Wir haben uns überall gestreichelt. War auch noch ganz nett. Alles schien auf: Mark-hat-endlich-seinen-ersten-Sex hinauszulaufen. Eigentlich hätte plangemäß alles funktionieren müssen. Ich der tolle Typ, sie das begehrteste Mädchen. Aber irgendwie ging es gründlich schief. Dabei war sie der Männertraum schlechthin.
Auf jeden Fall haben mich ihre großen Brüste in natura eher abgeschreckt. Mann, waren die groß und irgendwie dauernd im Weg. Ständig hat sie sie an mich gedrückt und es wurde mir immer unangenehmer, wenn sie mir auf den Pelz rückte. Gut, als sie plötzlich tiefer rutschte und mein Glied mit ihrer Hand und anschließend Zunge verwöhnt hat, war es eigentlich ganz okay. Ich hatte da ja noch gar keine Erfahrung und zum ersten Mal hatte mein bestes Stück Kontakt zu was anderem als meiner eigenen Hand.
Zunächst war das echt geil. Sie wusste sehr wohl, was sie tat und hat mir echt einen geblasen. Ich bin so schnell gekommen, dass sie gekichert hat. Richtig mädchenhaft gekichert. Dummes Stück. Vielleicht war da der Punkt, wo es anfing falsch zu laufen.
Naja, sie wollte natürlich auch was von mir und da fingen die Probleme erst wirklich an. Egal was ich versuchte, mein kleiner Freund wurde bei der Vorstellung ihn gleich in sie reinzustecken nicht steif. Irgendwie hat mich ihr Arsch schon mehr interessiert, aber ich schätze, sie wäre wohl ausgeflippt, wenn ich ihr das gesagt hätte. Hätte ich mich eh nie getraut. Das war damals schwul und pervers.
Tja, blieb dann ein etwas einseitiges Vergnügen und ich hatte die Wahl, welche Version ich nachher lieber in der Schule von unserem Fehlversuch verbreitet haben wollte: Schwul oder impotent. Da war die Wahl nicht so schwer, wie man glauben sollte.
Schmunzelnd lehne ich mich in meinem Sessel zurück.
War also im Grunde genommen, mein erstes Outing. Danach war es gar nicht so schwer, denn natürlich hatte die Tussi nichts Besseres zu tun, als all ihren Freundinnen davon zu erzählen. Die wiederum allen anderen Freundinnen und natürlich Freunden. So war die Sache bald rum.
War wohl die Rache dafür, dass sie bei der Sache zu kurz gekommen war. Im Endeffekt war das gar nicht so schlecht, auch wenn ich vor Scham fast gestorben bin. Nur etwas später schon hatte ich eine sehr interessante Begegnung auf dem Jungenklo, als mich ein Typ, zwei Klassen höher, dort abpasste.
Viel Worte hat der nicht gemacht, mir nur in den Schritt gegriffen und dabei gesagt: „Habe gehört, du bist schwul? Lust es mir mal zu besorgen?“ Das war mein erstes Mal. Der hat mich ihn tatsächlich ficken lassen, fand das geil. Und ich auch. Oh ja und wie. Bei dem Anblick seines festen Hinterns hatte ich endlich einen Steifen und auch wenn es erst komisch war, ihn wirklich in den Hintern zu ficken, es war geil!
Danach habe ich halt ein bisschen mehr ausprobiert. Gab erstaunlicherweise genügend Freiwillige. Die Jungs waren ebenso wenig böse darum, dass ich ein Homo bin, wie ich.
„Herr Benedikt?“ Da unterbricht meine Gedanken die Tussi von nebenan. Frau S ... ; ach, scheiß drauf, keine Ahnung, wie sie heißt. „Da ist ein Herr Rotkamp, der sie sprechen will.“
Ah, Alex. Stimmt ja, der wollte heute vorbeikommen, wegen ein paar Entwürfen für Plakate. Ich nicke ihr zu. „Schicken sie ihn ruhig rein.“
Sie verschwindet rasch und kurz danach kommt Alex rein, grinst mich breit an. Gut sieht er aus. Heute mal wieder im Anzug. Steht ihm. Er ist ein echt toller Typ. Sonnengebräunt, Modellgesicht; kein Wunder, dass sich jeder darum reißt, mit ihm in die Kiste zu hüpfen. Weiblein träumt, Männlein darf.
„Hallo Mark“, begrüßt er mich mit seiner wunderbar rauchigen Stimme. Alex könnte eine sehr erfolgreiche Telefonsexhotline haben. Wenn er wollte. „Na, noch immer verliebt, oder ist dein Süßer endlich frei für ein anderes Date?“
Mistkerl. Mir entgleiten kurzfristig die Züge. Klar, dass er damit anfängt. Der hat es noch nicht ganz verkraftet, dass ich solide geworden bin und noch mit dem gleichen Typ vögel. Kein Wunder, Alex hat ja so einen wie meinen Tim auch nie erlebt. Wird er auch nicht. Auch wenn er offensichtlich scharf auf ihn ist. Jedes Mal macht er Tim blöde an, wenn wir uns treffen und jedes Mal hofft er vergeblich, dass Tim ja sagen wird.
Tut der nicht. Tim ist mir treu. So wie ich ihm. Zumindest jetzt bin ich treu geworden.
Übel nehmen kann ich Alex den Versuch hingegen nicht. Mein Kleiner ist ja auch echt die Wucht. Und Alex ist ein ewig suchender. Er sucht den perfekten Sex und scheitert an seinen Ansprüchen.
Ich verziehe daher das Gesicht, als Alex sich mir gegenüber auf den Besuchersessel fallen lässt. Alex hat keine Ahnung davon, wie es ist, verliebt zu sein, jemand so sehr zu begehren, dass man verrückt wird.
„Muss ja wirklich toll sein“, meint er, noch immer süffisant lächelnd. „Vier Wochen hältst du es schon aus, immer nur mit diesem süßen Twink. Ich muss ihn wirklich mal ausprobieren, wenn es so toll mit ihm ist.“
Ich schnaube unwirsch. Tim kriegt er nicht. Ganz bestimmt nicht. Gibt doch genug andere. Soll er sich an die halten.
Alex lacht ich aus. Mein Gesichtsausdruck sagt wohl alles. Für ihn ist es ein großes Spiel. Er liebt es zu spielen, am besten noch eine Wette. Vermutlich hat er mit sich selbst gewettet, dass er Tim auch ins Bett bekommt. Aber diese Wette wirst du verlieren mein Freund.
„Muss Liebe schön sein.“ Alex seufzt übertrieben und sieht mich mit aufgestützten Ellenbogen, das Kinn auf die gefalteten Hände gelegt, schmunzelnd an.
„Ist es auch“, brumme ich und setze nach: „Davon hast du ja keine Ahnung.“
Alex wird kurz ernster und schüttelt langsam den Kopf. „Nein, habe ich wohl nicht. Reicht ja, wenn einer von uns monogam lebt, oder?“ Ich lächle zufrieden.
„Dir ist nur nie etwas derart Gutes untergekommen, dass es sich lohnt, dafür auf alle anderen Ärsche zu verzichten“, meine ich, während ich ihm die Papiere zu schiebe. „Hier, das sind übrigens die ersten Entwürfe.“
Alex zieht sie zu sich heran, betrachtet sie einen Moment nachdenklich. Er wirkt etwas abwesend und in sich gekehrt. Wenn ich ihn so betrachte, ist er recht blass. Ob er krank ist? Plötzlich schaut er mich direkt an.
„Sag mal, Mark“, fängt er zögernd an. Überrascht sehe ich ihn an. Mit einem Mal wirkt Alex, der selbstbewusste, tolle Typ, ein wenig unsicher. Da ist etwas Seltsames in seinem Blick.
„Hast du eigentlich auch mal unten gelegen?“, fragt er unvermittelt nach. Verblüfft starre ich ihn an. Was ist das denn für eine Frage? Von ihm?
„Klar“, gebe ich zu. Ist ja kein Geheimnis und auch keine Schande, denke ich. Ich mag es mittlerweile auch mal ganz gerne. Zumindest mit Tim. Eigentlich nur mit Tim. Wenn anders würde ich da gar nicht ranlassen.
„Mein erster fester Freund war Top und ich Idiot extrem verliebt in ihn. Wollte ihm alles recht machen, also habe ich ihm immer brav den Arsch hingehalten, wann immer er es verlangt hat. Leider hat er dann nicht nur mich bestiegen. Dem war scheinbar das Gesicht dazu ziemlich egal.“ Bittere Erfahrung. Danach habe ich auch nicht mehr drauf geachtet, welches Gesicht zu dem Arsch gehörte, den ich gerade fickte. Bis dazu ein paar irre blaue Augen gehörten und der süßeste Hintern, der mir je untergekommen ist.
„Hat es sich gelohnt?“, fragt Alex nach und sieht ein wenig nervös aus. Seine Zungenspitze benetzt kurz die Unterlippe.
Interessiert ihn das wirklich? Anscheinend. Okay, Alex war bestimmt noch niemals unten. Dazu ist er einfach nicht der Typ. Wer sollte jemanden wie ihn auch flachlegen? Woher soll er es also wissen?
„Ja, schon“, gebe ich vorsichtig zu. „Wenn der Andere es gut macht, siehst du nur Sterne vor Augen und verglühst dabei.“ So wie bei Tim letzte Nacht. Oh Mann, war das schön …
Scheiße, irgendwie grinst Alex schon wieder süffisant. Ich fürchte, der hat schon wieder in meinem Gesicht gelesen. Muss wohl ein wenig verklärt ausgesehen haben. Verdammt!
„Soso.“ Alex kann sehr unverschämt grinsen. „Und dein Kleiner? Darf der etwa auch mal bei dir?“
Nun hat er mich. Wieso weiß der Mistkerl nur, dass ich immer ehrlich bin? Verdammt, ich spüre genau, wie ich anfange, rot zu werden. Hoffentlich nicht so, wie mein kleiner Ferrari, genug allerdings, das Alex es registriert. So etwas bemerkt der immer sofort.
„Also: ja.“ Lässig lehnt er sich zurück. Ich würde ihm gerne was an den Kopf schmeißen.
„Ja, darf er“, brumme ich stattdessen entschlossen. Warum auch nicht? Tim ist mein Freund. Er ist gut und egal wie, es macht immer Spaß mit ihm.
Alex wird tatsächlich ernst, spielt gedankenverloren an dem Aufschlag seines Anzugs herum. Er wirkt eigenartig nachdenklich heute. So kenne ich ihn gar nicht.
„Stelle ich mir irgendwie … nicht so toll vor.“ Sein veränderter Tonfall lässt mich aufhorchen. Darin ist ein wenig Bitternis zu hören und … Angst? Nein, ich muss mich täuschen. Alex hat vor nichts und niemandem Angst. Aber warum fragt Alex mich so etwas? Da steckt doch was dahinter. So genau kenne ich ihn mittlerweile.
„Wieso? Hast du da eine entsprechende Anfrage?“ Der Gedanke amüsiert mich. Wer ist so lebensmüde, einen Alexander Rotkamp zu fragen, ob er ihn ficken darf? Ein potentieller Todeskandidat vielleicht, oder jemand ist schlichtweg strohdoof. Eher friert die Hölle zu, als dass Alex jemals eine so „unmännliche“ Position einnimmt.
„Naja ...“ Nicht zu fassen: Alex druckst doch tatsächlich herum und ich werde so etwas von hellhörig. Alex? Die Verkörperung des Tops schlechthin? Hat ihn echt einer gefragt? Und er überlegt? Nicht zu fassen. Mir entgleitet tatsächlich mein Gesicht. Mein Bleistift fällt polternd zu Boden.
„Sag nicht, du hast ...“, beginne ich ungläubig und bin überzeugt, dass gerade mein ganzes schwules Weltbild ins Wanken gerät.
„Nein! Nein“, versichert er hastig, wiegelt sogleich mit energischen Handbewegungen ab. Mann, ist der nervös. „War nur mal so ein Gedanke. Eine Spinnerei eben.“ Überzeugend klingt das nicht. Ich lege den Kopf schief, blicke ihn überaus misstrauisch an.
„Alex, hast du echt ernsthaft überlegt, ob du dich auch mal flachlegen lassen willst?“, frage ich nach, explizit und genüsslich seine nervösen Blicke aufsaugend. Von einem solch weltbewegenden Ereignis muss ich alles haargenau wissen.
„Quatsch“, verneint er sofort, aber Alex, der Alex, ist tatsächlich etwas verlegen geworden. Ich sehe es genau. Wunder geschehen anscheinend immer. Gerade in letzter Zeit.
„Ich kam nur ins Grübeln. Wenn sich die Kerle alle so bereitwillig von mir ficken lassen, muss es denen irgendwie Spaß machen. Die reißen sich ja förmlich darum.“
„Macht es auch“, gebe ich offen zu. „Ist was anderes, als wenn du so kommst.“ Alex sieht mich misstrauisch an, als ob er nicht recht wüsste, ob ich ihn nicht nur auf den Arm nehme.
Rasch zieht er die Entwürfe heran. Kritisch schaut er sie an und hat rasch seine gewohnte Alex-Mister-Obercool-Maske angelegt. Aber für einen Moment hat er mich dahinter schauen lassen. Mann, jetzt bin ich wirklich neugierig geworden. Ich weiß leider nur zu gut, dass Alex nichts weiter sagen wird. Egal wie sehr ich ihn jetzt noch löchern werde. Wenn er nichts sagen will, wird er es auch nicht tun.
Wir besprechen geschäftsmäßig die Entwürfe durch. Alex ist wie immer, egal wie oft ich ihm einen abschätzenden Blick zuwerfe. Er lässt mich nicht mehr hinter seine Fassade schauen.
Nachdenklich musterte ich sein attraktives Gesicht. Eigentlich weiß ich wirklich gar nicht viel über ihn. Er hat mal gemodelt und Pornos gedreht und dabei kenne wir uns schon lange. Eigentlich erst seit vier Jahren. Wir haben seither viel zusammen gemacht, waren oft zusammen in den Clubs unterwegs und haben uns über unsere jeweiligen Eroberungen ausgetauscht. Ich glaube, wir hatten sogar mal einen flotten Dreier zusammen.
Ich dachte immer, ich kenne ihn ganz gut. Zumindest den Teil von ihm, an dem er mich teilhaben ließ. Alex spielt immer eine Rolle und die verdammt gut. Er war immer derjenige, der ungerührt und locker durchs Leben ging, nie in blöde Herzschmerz-Sachen verwickelt war, sondern einfach nur immer seinem Vergnügen nachging. Das große Spiel. Sein Spiel.
Im Moment wirkt er gerade so, als ob er ... Ja, was? Alex hat doch bestimmt nichts am Laufen. Der doch nicht. Nie im Leben. Und ich traue mich tatsächlich nicht nachzufragen.
„Und schon was wichtiges heute vor?“, erkundigt er sich, als wir alles besprochen haben. „Oder kommst du noch mit mir, einen Kaffee trinken?“
Ich sehe rasch auf die Uhr. Mist. Ich muss los und Tim von der Schule abholen.
„Sorry, aber ich muss los. Tim wartet auf mich“, entschuldige ich mich zerknirscht. Ich wäre gerne noch mit Alex gegangen. Mir scheint irgendwie, er muss mit jemand reden und ich platze vor Neugier, was es sein könnte, dass ihn so bewegt. Leider will ich auch meinen Tim nicht versetzen und heute ist da ja noch ein wichtiger Termin für uns.
„Wir sind heute bei Tims Eltern eingeladen“, rutscht es mir heraus und ich bereue es gleich darauf auch schon. Das muss Alex ja in den falschen Hals kriegen. Tut er immer. Das klingt konservativ spießig.
Sofort grinst Alex süffisant.
„Soso? Ein Elternbesuch. Ein Anstandsbesuch? Willst du etwa schon um die Hand deines Kleinen anhalten?“ Zu seinem Glück eignet sich noch immer nichts auf meinem Schreibtisch dazu, ihm an den Kopf geworfen zu werden.
„Nein“, fauche ich ihn an. „Nur ein netter Nachmittag. Seine Eltern sind okay. Zumindest der Vater. Die Mutter lerne ich heute erst kennen.“
Für einen Sekundenbruchteil ist da ein merkwürdiges Leuchten in Alex' braunen Augen. Sehr seltsam.
„Ach so“, macht er wissend. „Heute ist wohl allgemeiner Familienbesuchstag.“ Seine schlanken Finger gleiten über das Revers.
Gar nichts: „Ach so“, denke ich ärgerlich und öffne den Mund zu einer entsprechenden Antwort.
Alex erhebt sich elegant.
„Die gefallen mir“, meint er mit Blick auf die Plakate. „Eventuell den Schriftzug noch etwas größer und das Datum mehr hervorheben, ansonsten prima.“ Damit nickt er mir zu und geht.
„Viel Spaß heute, Mark.“ Er ist an der Tür stehen geblieben und wirft mir einen sehr seltsamen, höchst verdächtigen Blick zu. „Grüß deinen süßen Twink von mir. Ich freue mich darauf, ihn wiederzusehen. Sag ihm, dass mein Angebot noch immer steht, wenn es ihm zu langweilig wird.“
Rasch verschwindet er, bevor ihn mein Radiergummi trifft. War eh schlecht gezielt. Der prallt vom Türrahmen ab und landet unter dem Schrank.
„Such dir gefälligst selbst einen“, rufe ich ihm nach und höre ihn lachen, während er den Gang hinunter geht.
Meinen Tim kriegt er nicht. Und auch sonst keinen. Alex braucht auch keinen. Der ist sich selbst doch genug.
Das übliche Gewusel nach Schulschluss. Ich fühle mich glatt an meine Schulzeit erinnert.
Belustigt beobachte ich eine kabbelnde Gruppe von Jungs, die an mir vorbei zur Bushaltestelle unterwegs sind. Die Haare sind kürzer, die Piercings mehr geworden und die Hosen sitzen tiefer, ansonsten die gleichen Typen wie zu meiner Zeit. Nur Tim ist nicht dabei.
Ich recke den Hals und suche den Schulhof ab. Ich kann es kaum erwarten, ihn endlich zu sehen. Ich habe ihn vermisst.
Eine weitere Gruppe von vier Typen geht an mir vorbei, wirft mir argwöhnische Blicke zu. Kenne ich einen davon? Nein, denke nicht. Komisch, wie die mich ansehen. Sind das Tims Kumpel? Nein, er hat mir gesagt, er hätte in der Schule keine Freunde. Warum schauen die dann so?
In meinem Magen ist ein merkwürdig mulmiges Gefühl. Wo bleibt mein Kleiner? Unruhig klopfen meine Finger auf das Lenkrad. Warum haben die vier mich so angesehen? Mir kommt ein Geistesblitz: die haben mich bestimmt heute Morgen mit Tim knutschen gesehen. Wir waren ja nicht gerade unauffällig. Deshalb also die Blicke.
Moment, wenn die mich erkannt haben, dann auch Tim und der braucht verdammt lange. Unruhig rutsche ich hin und her. Das gefällt mir nicht. Überhaupt nicht. Scheiße! Egal, was jemand denken mag, mir geht der Arsch auf Grundeis. Wenn meinem Tim was passiert ist, Gnade euch Gott. Hastig löse ich den Gurt und steige aus. Ich gehe ihn jetzt suchen, das dauert mir zu lange.
Mit großen Schritten eile ich auf das Schulgebäude zu und öffne schwungvoll die Tür. Mein Blick gleitet suchend über den langen Flur. Ein paar Mädchen kommen rechts aus einer Glastür mit der Aufschrift: „Cafeteria“. Wo ist Tim?
Ich habe nicht die allergeringste Ahnung, w sein Klassenzimmer ist, aber notfalls suche ich das ganze Gebäude ab. Mein Herz wummert hart und an meinem Rücken bildet sich kalter Schweiß. Unschlüssig laufe ich los und stoppe abrupt ab. Da ist Tim, er kommt gerade aus der Toilette und mein Herz bleibt stehen.
Verdammt! Mir wird kalt. Er sieht scheiße aus. Er hält sich ein Handtuch an die linke Wange. Rotes Blut ist daran zu sehen, ebenso an seinem T-Shirt. Seine Jeans ist dreckig. Da hatte ihn jemand in der Mangel. Eindeutig.
„Tim!“ Ich glaube, ich habe seinen Namen geschrien. Im nächsten Moment bin ich bei ihm, wage es kaum, ihn anzufassen. Was haben diese Schweinehunde mit ihm angestellt?
„Halb so wild“, wiegelt er sofort ab. Blut. Da ist viel zu viel Blut. „Ist nur ein Kratzer.“
„Lass sehen“, fordere ich und ziehe ihm auch schon die Hand weg. Ich bringe diese Kerle um. Seine Wange ist völlig verschrammt, bis runter zum Kinn. Frisches Blut quillt aus der Wunde. „Scheiße.“
Mir ist übel, kalt, ich kann mich kaum rühren, alles in mir schreit.
„Was ist passiert?“ Meine Stimme ist erstaunlich ruhig und scharf. Tim schluckt und hebt den Blick. An einer Haarsträhne und der Stirn klebt Blut und mein Daumen wischt es automatisch fort. Jemand hat meinem Kleinen wehgetan. Böser Fehler, ganz böser Fehler. In mir kocht eine kalte Wut, wie ich sie noch nie verspürt habe. Ich bin kein gewalttätiger Mensch, oh nein, aber wenn ich einen von denen in die Finger kriege, der Tim das angetan hat, ich breche ihm das Genick.
Tim zuckt die Schultern und verzieht gleich darauf sein hübsches Gesicht schmerzhaft. Mein Herz krampft sich zusammen.
„Mein freches Mundwerk wurde mir zum Verhängnis“, erklärt Tim und bewegt vorsichtig den Kiefer. „Da waren zwei Typen aus der anderen Klasse wohl etwas sauer, dass ich dich offen geküsst habe.“ Sein schiefes Lächeln misslang und er verzog abermals das Gesicht.
„Scheiße, das tut weh“, jammert er nun doch und ich sehe Tränen in seinen Augen glitzern.
„Was haben sie mit dir gemacht?“ Noch immer bin ich wie paralysiert.
„Im Grunde mich nur ein bisschen hin und her gestoßen. Dabei bin ich halt gefallen.“ Seine Wange sieht verdammt noch einmal nicht so aus, als ob er nur „gefallen“ wäre. Und obwohl er dieses Handtuch, in dem sich ein Kühlpack befindet, dagegendrückt.
Kurz entschlossen packe ich ihn am Arm. „Wir fahren ins Krankenhaus.“
Seine blauen Augen werden groß und er schüttelt den Kopf.
„Quatsch. Mir geht es gut, Mark“, wendet er ein, doch ich schleppe ihn einfach mit mir. Ich will von einem Arzt hören, dass er okay ist, eher habe ich keine Ruhe und dann Gnade diesen Idioten, die sich mit mir angelegt haben. „Mark!“ Tim protestiert noch, als ich ihn ins Auto stopfe. „Wir kommen zu spät zu Mum und Dad. Mir geht es wirklich gut.“
„Scheißegal“, knurre ich. „Wir fahren ins Krankenhaus.“ Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, steige ich ein und fahre los. Tim seufzt und drückt sich das Kühlpack gegen die Wange. Ich kann sehen, dass er Schmerzen hat. Von wegen alles gut. Vermutlich haben sie ihm was gebrochen. Arschlöcher.
„Wer war es?“ Meine Stimme ist ein drohendes Knurren.
„Du kennst sie eh nicht“, erklärt Tim und schiebt den Unterkiefer etwas trotzig vor, verzieht jedoch sofort wieder das Gesicht.
„Dann lerne ich sie eben kennen. Und sie mich.“ Meine Wut ist noch immer da, glimmt vor sich hin.
„Nichts wirst du, du Hornochse“, schimpft Tim. „Ich hätte sie nicht provozieren sollen, okay? Ich konnte meine Klappe nicht halten. Mein Fehler.“
„Die hatten dich in der Mangel, weil du mit einem anderen Kerl rumgemacht hast“, widerspreche ich ihm ärgerlich. „Homophobe Arschlöcher habe ich so was von gefressen.“
„Ja, die haben mich angemacht, weil ich mit dir rumgeknutscht habe“, bestätigt Tim und schaut mich herausfordernd an. „Die meinten, ich würde wie ein Mädchen aussehen und es deswegen toll finden, von Kerlen gefickt zu werden.“ Tim schnaubt und streicht sich mit der anderen Hand die strubbeligen Haare zurück. Seine Augen blitzen. „Ärgerlich sind sie erst geworden, als ich gemeint habe, ich würde ebenso gerne gefickt werden, wie meinen Freund ficken.“ Ein weiteres Seufzen entkommt ihm und er lässt die Hand fallen, wendet den Blick ab. „Und … ob sie etwa deswegen eifersüchtig wären.“
Ich verschlucke mich fast. Ja, verdammt, das klingt nach Tim. Ist er größenwahnsinnig?
Er reibt sich seine Schulter.
„Da haben sie mich eben etwas zu heftig gestoßen“, fährt er fort, ohne mich jedoch anzusehen. „Blöder Spruch, aber ich konnte mein Maul ja nicht halten.“
„Arschlöcher!“, entkommt es mir erneut. „Ich zeige die an.“
„Blödsinn.“ Tim hat den Kopf mir zugewandt und sein Mund ist hart. „Du hältst dich ebenso da raus, wie mein amoklaufender Bruder. Ist eben passiert. Ein Lehrer hat es mitbekommen und die kriegen schon ihr Fett weg deswegen. Ich bin bald mit der Schule durch, ich will da keinen Ärger wegen bekommen.“
Ich will etwas erwidern, doch in dem Moment legt er mir die Hand auf den Oberschenkel. „Bitte Mark, mach da keine Sache daraus, ja?“
Was soll ich da sagen? Alles in mir schreit nach Rache, aber er hat vermutlich Recht. Es sind nur noch ein paar Wochen. „Mal schauen, was der Arzt sagt“, erklärte ich ausweichend.
Es dauert viel zu lange. Unruhig tigere ich durch den Warteraum. Tim drückt sich das Kühlpack gegen die Wange. Er hat Schmerzen, ich sehe es genau. Und diese verdammten Weißkittel lassen ihn hier warten.
„Wie lange dauert es denn noch?“, fahre ich die Krankenschwester an, als sie den Kopf reinsteckt und einen anderen Mann heranwinkt, der sich offenbar die Hand verletzt hat. Sie schaut mich pikiert an. Mann, mein Freund hat ganz schön Schmerzen. Er wurde von zwei homophoben Mistkerlen zusammengeschlagen, möchte ich sie anbrüllen. Ein kleiner Teil von mir weiß jedoch, dass das keine gute Idee ist.
„Sie sind gleich dran“, erklärt sie kühl und wendet sich schwungvoll ab. Tim schaut mich an und macht eine verstohlene Geste mit der Hand. Seufzend lasse ich mich neben ihn auf den roten Plastiksessel fallen.
„Mark“, er mahnt er mich leise. „Damit geht es auch nicht schneller. Die machen nur ihren Job.“
„Wenn hier jemand zwischenzeitlich verblutet, bemerken die es nicht einmal“, brumme ich, weiß selbst, wie unfair und kindisch es sich anhört. Tim nimmt meine Hand und drückt sie fest. Meine Knie werden bei seinem Anblick zittrig und ich möchte ihn am liebsten ganz eng an mich ziehen und küssen. Aber nicht, solange seine Wange ausschaut, als ob ein Elefant sich draufgesetzt hätte. Sie ist angeschwollen und mit einem großen, blauvioletten Bluterguss verziert. Seine Eltern werden durchdrehen, wenn sie ihn so sehen. Sein Bruder vermutlich auch.
Zaghaft hebe ich die Hand und streiche ihm eine Strähne zurück. Wie gerne würde ich ihn umarmen.
„Timothy Ben Carter?“ Da ist die Krankenschwester wieder. Sie sieht mich finster an, als ich aufspringe, ihr Blick wird jedoch sofort weicher, als er auf Tim fällt.
„Der Arzt wird sich das jetzt ansehen, Timothy“, erklärt sie freundlich, nimmt ihn am Arm. Mich ignoriert sie völlig. Bis zur Tür des Behandlungszimmers. Sie öffnet die Tür, lässt Tim ein, vertritt mir allerdings den Weg. „Sind Sie Familie?“, fragt sie mich doch glatt.
Wütend schüttele ich den Kopf. Sie gibt ein resignierend klingendes Geräusch von sich. „Dann warten Sie bitte im Wartezimmer.“
„Ich bin sein Freund“, zische ich verärgert. Ihre gezupften Augenbrauen wandern nach oben. Tim nickt bestätigend.
„Bitte, darf er dableiben?“, fragt er und sieht sie flehend an. Diesem Blick könnte niemand widerstehen. Ganz gewiss keine Frau. Die Krankenschwester seufzt ergeben und lächelt ihn an. „Ausnahmsweise, wenn es dir wichtig ist.“ Ohne mich noch einmal anzusehen, verschwindet sie.
Tim lässt sich auf die Behandlungsliege sinken.
Es dauert eine weitere Ewigkeit, bis endlich der Arzt auftaucht und sich Tims Wange anschaut. Er erkennt wenigstens gleich, dass es nicht so gut ausschaut, gibt ihm ein Schmerzmittel und schickt Tim zum Röntgen. Stunden - zumindest kommt es mir so vor - später gibt es Entwarnung: Nichts gebrochen und die Wunde muss auch nicht genäht werden.
Gott sei dank. Der Sack Steine, der mir vom Herzen fällt ist überall in Hamburg zu hören. Der Arzt verpasst Tim einen dicken Verband. Er schaut damit beinahe komisch aus, und als wir endlich das Krankenhaus verlassen, kann ich auch darüber schmunzeln. Er knufft mich in die Seite.
„Wehe du machst einen dummen Spruch.“
„Ich sage ja gar nichts“, rechtfertige ich mich, unterdrücke mein Grinsen mannhaft. Tim schaut süß aus. Nichts, was er gerne hört. „Ich hoffe, deine Eltern machen sich keine Sorgen?“
„Ich hatte Markus vorhin schon Bescheid gesagt“, erklärt Tim und kann ebenfalls wieder lächeln, ohne den Mund zu verziehen. Offenbar wirkt das Schmerzmittel.
Wortlos schlendern wir zum Auto und sprechen auch auf der Fahrt nicht viel. Was soll ich auch sagen? In mir gärt noch immer dies leise Wut und findet kein Ventil. Viel schlimmer, als dass jemand Hand an Tim gelegt hat, ist meine Hilflosigkeit.
Als Schwuler sieht man sich immer irgendwann solchen Übergriffen ausgesetzt, wenn man nicht verbringt, was man fühlt und denkt. Ich bin auch schon einmal mit so einem Schlaumeier aneinandergeraten. Zu meinem Glück, war ich schneller als er. Wer immer ihm erzählt hat, dass Schwule nicht zuschlagen können, hat gelogen. Nicht, dass ich mich danach gut gefühlt habe. Im Gegenteil. Danach habe ich wesentlich empfindlicher auf jede Art von Anmache diesbezüglich reagiert. Andererseits bewegte ich mich zunehmend in Kreisen, in denen meine Homosexualität akzeptiert wurde.
Tim ist anders. Ein klassisches Opfer. Er kann sich verbal gewiss wehren, doch was nützt ihm das, gegen jemanden, der ihm körperlich überlegen ist? Und ich kann ihn nicht schützen.
„Versprich mir, dass du zukünftig vorsichtiger bist“, fordere ich dumpf. Man hört mir meine Sorge an.
„Versprochen“, nuschelt er. „Ich bin auch nicht besonders scharf auf solche Begegnungen.“
Ich biege in die Straße seines Elternhauses ein. Markus' Geländewagen parkt auf dem kleinen, unbebauten Grundstück daneben. Tief atme ich durch und gehe in Gedanken mein Aussehen durch.
Ich trage die selbe Kleidung wie im Büro: eine Jeans und ein dunkelblaues Hemd. Nicht zu auffällig, aber halbwegs elegant, denke ich. Muss reichen. Einen kleinen Blumenstrauß habe ich für Tims Mutter auch besorgt.
„Nervös?“ Tim hat mich beobachtet, kleiner Mistkerl. Er lächelt und haucht mir einen Kuss auf die Wange. „Ich lenke sie mit meinem Verband ab, dann kannst du unerkannt reinschlüpfen“, schlägt er schmunzelnd vor. „Schnapp dir den Applepie, der ist saulecker und wenn du es nicht tust, verschlingt ihn Markus.“
Unwillkürlich muss ich lächeln und ein Teil Nervosität fällt tatsächlich von mir ab. Ich sehe mich schon mit Markus um das letzte Stück Kuchen ringen. Da würde ich vermutlich den kürzeren ziehen.
Welcher Mann könnte es schon mit Markus aufnehmen?
„Auf geht es.“ Entschlossen öffne ich die Autotür. „Teatime.“
Tim ist nervös. Er trippelt hin und her, während ich das Auto abschließe und den Blumenstrauß zurecht zupfe. Kein Wunder, dass er Panik schiebt, so wie sein Gesicht aussieht, wird er einiges erklären müssen. Auf dem Weg zum Haus nestelt er seinen Schlüssel heraus. Mein Blick bleibt auf seinem festen, runden Hintern hängen und unwillkürlich muss ich daran denken, wie er ohne diese Jeans aussieht. Da ist links diese kleine Stelle, etwas hellere Haut, wo er sich wohl mal verletzt hat und …
„Mark?“ Rasch schaue ich auf und renne beinahe in Tim hinein, der mich irritiert mustert.
„Kriegst du jetzt doch Muffensausen?“, fragte er schmunzelnd. „Du bist völlig weggetreten.“
„Quatsch“, erkläre ich und trete ganz dicht an ihn heran. „Ich überlege nur, was ich heute Abend mit dir machen werde. Ich dachte an meine Revanche.“ Tim lacht glucksend auf und streicht mir flüchtig über den Schritt.
„Behalte deine Gedanken ein paar Stunden fest verschlossen“, ermahnt er mich. „Mum ahnt nicht einmal, dass wir über das Küssen weit hinaus sind, ja?“
Lächelnd nicke ich. Wer würde dem unschuldigen Tim auch schon zutrauen, dass er im Bett eine echte Rakete ist? Am wenigstens wohl seine Mutter.
Tim öffnet die Tür und ich folge ihm mit zunehmend stärker klopfendem Herzen. Während er seine Schultasche auf der Treppe ablegt, kommt seine Mutter auch schon in den Flur.
„Timothy! Oh mein Gott, wie schaust du denn aus?“ Sie ist eine etwas unscheinbare Frau. Die Haare sind schon etwas angegraut und ihr Gesicht wirkt ein wenig hart. Wie zu erwarten, hat sie keine Ähnlichkeit mit Tim, aber ein paar Züge erinnern mich tatsächlich an dessen Bruder. Ich halte mich zurück, als sie auf Tim zukommt und nach seinem Gesicht greifen will. Ihre Augen spiegeln Besorgnis wieder, auch wenn Tim sogleich abwiegelt: „Halb so schlimm, wie es aussieht.“ Er entzieht sich ihrem Griff und zieht mich am Arm mit, benutzt mich quasi als Schutzschild, um an ihr vorbei zu gelangen. Ich hebe die Hand und lächle seine Mutter an.
„Hallo, ich bin Mark“, stelle ich mich höflich vor. Maria schaut jedoch Tim nach und hat kaum Augen für mich, schüttelt eher automatisch meine Hand, ehe sie Tim nacheilt.
Er entwischt ihren Händen knapp und ich höre ihn genervt aufstöhnen: „Mum! Alles okay! Wir waren eben schon im Krankenhaus und es sind nur ...“ Plötzlich bricht er ab und starrt jemanden im Raum an.
„Das stimmt“, pflichte ich ihm leise bei, bemüht zu lächeln und schiebe Tim in den Raum, der mir etwas im Wege steht. Wie angewurzelt steht er da und ich runzle die Stirn. Was hat er denn?
Da ist mein Vater und Markus, der ebenso stocksteif dasitzt und Tim anschaut wie ein Alien und neben ihm …
Das ist völlig unmöglich. Ganz und gar unmöglich. Das kann nie im Leben Alex sein. Was sollte der denn …?
Scheiße. Er trägt Klamotten wie Alex, die Haare gestylt wie dieser. Er sieht aus wie Alex. Er springt auf wie der und er guckt mich an wie nur Alex schauen kann. Mir klappt der Unterkiefer runter. Das ist ein Traum, das ist eine von diesen Shows mit versteckter Kamera, oder? Das ist doch nicht echt?
Ich schwanke einen Schritt nach vorne.
„Scheiße!“ Mein Hals ist komisch eng. Das ist definitiv, unwiederbringlich Alex.
„Was ...“, macht er, starrt mich an, als ob ch eine Fata Morgana wäre. Wie selbstverständlich führe ich seinen Satz fort: „... macht du ...“
„... hier?“, beendet er.
Ich kann nicht denken, ihn nur anstarren. Wie zur Hölle ist er hergekommen und vor allem: was will er hier? Offenbar hat er nicht damit gerechnet, mich hier zu sehen.
Neben mir lacht Tim hell auf und geht auf Alex zu. „Na, das nenne ich mal eine Überraschung.“Kräftig schüttelt er dessen Hand. „Ich freue mich dich nochmal kennenzulernen.“ er grinst und wendet sich an seinen Bruder und mir haut jemand einen Hammer über den Kopf.
„Markus? Willst du mir deinen Freund nicht vorstellen?“
Sein Freund? Tims Betonung lässt keinen Zweifel. Mein Kopf schießt herum und auch Alex schaut Markus fragend an. Dieser sitzt da und schaut ziemlich verlegen drein. Sein rundes Gesicht ist angespannt und im Grunde starrt er nur Alex an mit einem sehr komischen Gesichtsausdruck. So habe ich ihn noch nie gesehen. Er wirkt beinahe … verletzbar. Nicht der starke Kerl, den er gerne vorgibt. Aber er und Alex? Das ist komplett unmöglich.
„Kennt ihr euch schon?“, fragt Tims Vater und wirkt leicht irritiert. Tim gluckst noch immer. Offenbar ist der nicht so sehr überrascht, findet das Ganze höchst amüsant. Alex sagt nichts, also brumme ich: „Kann man so sagen. Alex und ich sind gut befreundet.“ Wir ziehen seit ein paar Jahren durch die Clubs und erzählen uns von den geilen Onenights die wir hatten, machen Schwanzvergleiche und schließen Wetten ab. Details möchte Stewart vermutlich nicht wissen.
„Befreundet?“, fragt Maria argwöhnisch nach. Frauen haben einfach ein unverschämt feines Gespür für Untertöne und so schüttle ich heftig den Kopf. Sie soll da gar nicht auf komische Gedanken kommen. Wie lächerlich, ich und Alex … Ebenso lächerlich wie er und … Markus.
„Nein, nein, nicht so. Nur gute Kumpels“, erkläre ich sofort beschwichtigend und bemühe mich um ein Lächeln. „Ich hätte nur nie im Leben erwartet, ihn hier zu treffen.“ Meine Gedanken rasen und ich muss an unser heutiges Gespräch zurückdenken. Was hat er noch gesagt? Alex' Blick tötet mich, durchbohrt mich und bringt mich zum schweigen, ehe ich noch Worte formulieren kann. Leicht fällt es mir nicht, tausend Fragen liegen mir auf der Zunge, aber irgendwie scheint es gerade kein guter Zeitpunkt zu sein, Alex zu fragen.
Also schaue ich Markus an, der noch immer diesen Ufoblick draufhat. Der ist weggetreten, hat nur Augen für Alex und mein Kleiner kugelt sich vor Lachen.
„Kann mich mal einer aufklären?“, verlange ich ein wenig hilflos. Ich fühle mich verarscht.
„Mich auch“, kommt es von Alex, der recht kühl klingt. „Mir fehlen da ein paar Informationen.“ Sein Blick wandert zu Markus, bleibt an dem hängen. Wahrhaftig scheint Markus in seinem Stuhl zu schrumpfen. Er wirft mir einen hilfesuchenden Blick zu.
„Also … Alex ist … ist mit mir hier“, erklärt er.
„Mit dir?“ Ich kann es noch immer nicht begreifen. Das ist völlig unmöglich. Abwechselnd schaue ich Alex, Tim und Markus an. Die verscheißern mich hier doch. Nie im Leben läuft da etwas zwischen den beiden. Sei sind doch beide ...
„Mit mir!“, knurrt Alex und hebt den Kopf. Sein Blick fordert mich heraus. „Hast du was dagegen?“ Das ist Alexander Rotkamp, der Geschäftsmann. Arrogant blickt er mich an, eine unübersehbare Drohung in seinen Augen.
„Ich?“ Meine Stimme quietscht peinlich. Ich möchte ihn anfahren, anbrüllen, endlich wissen, was hier gespielt wird. Tim kichert und ich muss mich beherrschen, ihn nicht ebenfalls anzuschreien und eine vernünftige Erklärung zu bekommen. Nur Stewarts und Marias Gegenwart hält mich davon ab, die beiden zur Rede zu stellen.
„Quatsch!“, schiebe ich hastig hinterher, damit gerade Maria nicht auf falsche Gedanken kommt.
„Markus und Alex sind zusammen“, erklärt Tim, rückt vertraulich an mich heran und legt seine kleine Hand auf meine Schulter, Ob der merkt, wie es in mir brodelt? „Da haben sich halt die Richtigen gefunden.“
Ich kann es nicht glauben.
„Wirklich zusammen?“, rutscht es mir ungläubig heraus. Ich bin immer noch versucht, nach der Kamera zu suchen. Allerdings scheinen alle anderen die Sache ernst zu nehmen. „Aber Alex … du …“ Tim lächelt mich unentwegt an und mir entkommt ein komischer Laut wie ein Seufzen. Ich komme mir wie der letzte Idiot vor, der keine Ahnung hat.
„Habe ich da zwischendurch was verpasst? Irgendwie komme ich mir vor wie bei einem Filmriss!“, gebe ich offen zu.
„Och nicht so viel Wesentliches.“ Tim schmunzelt legt mir seinen Arm um die Taille und zieht mich an sich „Nur dass diese beiden tollen Typen hier offenbar sehr viel mehr Gefallen aneinander gefunden haben, als an anderen Männern.“ Er lächelt seinen Bruder an „Also ich finde es toll, Bruderherz.“
„Das ist dein Bruder?“, erkundigte sich Alex plötzlich. Offenbar geht dem auch gerade ein Kronleuchter auf. Prima, also bin ich nicht der einzig Unwissende hier. Wie beruhigend.
„Der süße Twink da ist dein Bruder?“, fragt er. Markus nickt und öffnet den Mund.
„Twink?“ Klar, dass Tims Vater über das Wort stolpern muss. Lachend erklärt Tim: „Alex hat mich mal angebaggert. Allerdings hatte er nie den Hauch eine Chance. Aber wie ich das sehe, hat er jetzt ohnehin was Besseres gefunden.“
Ich muss das jetzt genau wissen, auch wenn ich verdammt schwer von Begriff klingen mag: „Verstehe ich das richtig: Alex, du bist mit Markus … zusammen?“ Das klingt völlig falsch, auch wenn ich es ausspreche. Alex' Gesicht ist undurchdringlich, aber ich glaube, er seufzt ganz leise.
„Ja, kann man wohl so sagen“, erklärt er und sein typisches Grinsen erscheint. Meine Faust ballt sich ärgerlich. „Hat sich so ergeben.“ Plötzlich bin ich wütend. Das ist ein Spiel von Alex, oder? Ein weiteres, blödes Spiel. Ich mache mich von Tim frei und funkle Alex an.
„Hast du dich nicht heute noch in meinem Büro darüber lustig gemacht, dass ich zu den Eltern meines Freundes zur Teatime fahre? Der tolle Herr Rotkamp fand das doch recht amüsant, oder?“ Marias und Stewarts Augen richten sich auf Alex. Das saß. Für Sekundenbruchteile schwindet sein selbstsicheres Lächeln und er rückt näher an Markus heran. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, er greift unter dem Tisch nach dessen Hand. Aber nie im Leben. Nicht Alex.
„Nun, ich wusste ja nicht ...“ Alex kommt in Erklärungsnot und wirkt glatt verlegen, als er Tims Mutter anschaut und die Achseln zuckt. Jetzt bin ich allerdings in Fahrt gekommen und bohre weiter: „Und was sollte diese dämliche Frage …?“ Alex unterbricht mich viel zu hastig.
„Ich glaube, darüber sollten wir besser unter vier Augen reden, Mark“, verlangt er. „Der Tee wird kalt und ich persönlich möchte mich gerne über den köstlichen Kuchen hermachen, den Markus so angepriesen hat.“ Charmant zwinkert er Maria zu. Alex kann mit Frauen umgehen. Viel besser als ich. Dennoch lasse ich nicht locker. „Aber ...“
Alex' Blick stoppt mich. Das ist nicht der Alex, den ich kenne. Da ist etwas anderes in seinem Blick und das irritiert mich. Und er hat recht, das ist nichts, was wir hier erläutern sollten. Da wird noch ein Gespräch fällig sein, aber nicht hier. Tief hole ich Luft.
„Verzeihung, Frau Dawson“, entschuldige ich mich höflich. „Alex hat natürlich Recht, wir sind ja aus einem anderen Grund hier. Nur muss ich erstmal den Vorab-Überraschungskeks verdauen.“ Ich zwinge mich zu einem Lächeln, was allgemein charmant wirkt. Stewart rettet die Situation, indem er uns alle an den Tisch winkt. Einzig mein Tim scheint sich noch immer köstlich zu amüsieren. Na, warte, da ist auch noch ein Gespräch fällig. Der scheint viel mehr zu wissen als ich.
Er nimmt seinem Bruder gegenüber Platz und der scheint nun erst den Verband zu bemerken. „Was haben die Typen mit dir angestellt?“ Oh, er klingt verdammt wütend.
„Halb so wild“, meint Tim lässig und zieht sich die Teekanne heran. Ja, spiel es nur runter, Kleiner. Die Typen hatten dich ganz schön in der Mangel. Nachträglich kocht der Ärger und die Sorge abermals in mir hoch und ich widerspreche ihm energisch: „Im Krankenhaus meinten sie, er hätte Glück gehabt, dass kein Gesichtsnerv verletzt worden ist.“ Spiel es nur runter. Diese Typen können was er leben, wenn ich sie in die Finger bekomme.
„Krankenhaus? Du warst im Krankenhaus, Timothy?“ Maria schaut ihn entsetzt an und vergisst glatt, den Kuchen anzuschneiden.
„Mark hat darauf bestanden. So schlimm war es gar nicht! Es ist nur ganz schön angeschwollen.“ Er braucht mich gar nicht so anzuschauen. Das war nicht harmlos. Wütend schnaube ich: „Sie haben im Krankenhaus sogar überlegt, die Wunde zu nähen. Diese Mistkerle hätten ihm den Wangenknochen brechen können oder sogar mehr!“ Dann wären sie jetzt tot.
Tim verdreht die Augen und stößt mich an. Offenbar ist es ihm peinlich.
„Oh Mann, Mark, mach es nicht dramatischer, als es ist“, wirft er mir vor, aber seine Finger zittern ganz leicht, als er sich Tee einschenkt. Maria nimmt die Sache allerdings ernst genug und antwortet spitz: „Was gibt es daran noch dramatischer zu machen?“
„Was ist genau passiert?“, will sie wissen, wirkt mühsam beherrscht. Markus nimmt ihr wortlos das Messer aus der Hand und schneidet den Kuchen an. Mir wird gerade seltsam deutlich bewusst, wie behutsam dieser starke Mann mit seiner Mutter umgeht. So wie mit Tim. Dieser rutscht nervös hin und her. Ich helfe dir nicht, Kleiner, schau mich nicht so an. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten diese Arschlöcher jetzt eine Anzeige wegen Körperverletzung am Hals.
„Naja, so ein paar Typen haben mich halt heute Morgen gesehen, wie ich mit Mark im Auto geknutscht habe“, verrät er rumdrucksend. Er fischt nebenbei ein verirrtes Rosenblatt aus der Sahneschüssel heraus und leckt sich in einer unglaublich erotischen Geste die Finger ab. Scheiße, mir wird warm und ich muss verflucht noch einmal an Erdbeeren mit Sahne denken. Unpassender Zeitpunkt.
„Die fanden das wohl nicht so gut und haben mich in der letzten Pause halt in die Mangel genommen. Zum Glück hat es einer der Lehrer gesehen und ist dazwischen gegangen“, fährt Tim fort, ohne seine Mutter anzusehen.
„Oh mein Gott!“ Maria schlägt sich betroffen die Hand vor den Mund.
„Homophobes Pack“, zische ich. „Wenn ich die erwische, die können was erleben.“
„Weißt du, wer die waren?“, erkundigte sich Tims Vater. Er wirkt sehr ruhig.
„Ja, weiß ich“, gibt Tim zu und ergänzt sofort entschlossener:: „Aber ich werde da nichts machen.“ Seine Eltern schauen nicht gerade begeistert drein und er erklärt schnell: „Mann, Dad! Ich bin nur noch ein paar Wochen in der Schule, wenn ich da jetzt ein Drama daraus mache, machen die mir das Leben bis zum Abschluss zur Hölle und darauf habe ich echt keinen Bock! Ich halte mich einfach zukünftig von denen fern und die sich hoffentlich auch von mir.“ Verlegen lächelt er sie an und wirkt sehr jung.
„Aber Timothy, du kannst die doch nicht einfach so ...“ Versucht seine Mutter einzuwenden, doch sein Vater schüttelt bedächtig den Kopf.
„Deine Entscheidung“, erklärt er und fügt hinzu: „Tim ist erwachsen. Er kann selbst darüber entscheiden. Wenn er meint, es ist besser so, dann sollten wir ihm nicht dazwischenreden.“ Markus ist jedoch nicht überzeugt. Sein gutmütiges Gesicht ist verzerrt und ich erinnere mich sehr genau an einen Abend, wo ich in dieses Gesicht blicken durfte und seine Faust zu spüren bekommen habe. Muss ich nicht noch einmal haben. Mi Markus legt man sich besser nicht an.
„Kenne ich die Typen?“, will er wissen und was er mit ihnen machen wird, braucht er gar nicht erst erwähnen.
„Nein, kennst du nicht!“, meint Tim entschieden und funkelt ihn an wie es sich wohl nur Tim traut.
„Und das Letzte was ich gebrauchen kann ist, dass du Rambo die fertigmachst“, knallt er ihm an den Kopf und wendet sich sofort an mich. Sein hübsches Gesicht ist ernst. „Oder du mir als toller Supermann zu Hilfe eilst. Ich komme damit schon selbst klar, okay?“
Autsch, das hat gesessen. Betroffen starre ich ihn an. Gegenüber am Tisch gigglet jemand und ich brauche gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass es der dämliche Alex ist, der das alles höchst amüsant findet.
„Wenn sich schon zwei so starke Männer für dich prügeln, Kleiner, dann muss ich mich nicht mehr dazwischenwerfen, oder?“, fragt er spöttisch. Ich könnte ihn würgen. Tim allerdings grinst und schüttelte energisch den Kopf.
„Nicht nötig. Ich habe die schon im Griff“, erklärt er und boxt mich ohne Vorwarnung in die Seite. Bevor ich jedoch was sagen kann, küsst er mich. Verdammt, er weiß ganz genau, wie er mich zu nehmen hat.
Stewart ist es, der vorschlägt, endlich über den Kuchen herzufallen, auch wenn Tims Mutter noch immer diesen besorgt mustert und nicht ganz einverstanden zu sein scheint.
Bald schon sind wir in belanglose Gespräche über Wetter und Sport vertieft. Alex macht mich rasend, denn er tut völlig normal und antwortet souverän mit der ihm eigenen Art, mit der er jeden um den Finger wickeln kann. Es ist offensichtlich, dass Stewart ihn gut leiden kann. Nur Maria scheint ihm mit ein wenig Misstrauen zu begegnen, was mich wundert, denn Alex ist doch der Schwiegermuttertraum schlechthin. Ahnt sie, dass er das hier nie und nimmer ernst meinen kann? Durchschaut sie ihn?
Mir passt es nicht, wie er so tut, als ob das alles ganz normal wäre und er ein braver Typ, der wirklich in Markus verliebt ist. Er ist ein verdammt guter Schauspieler.
„Wie habt ihr euch denn kennengelernt?“, frage ich ihn irgendwann direkt. Tim boxt mich heftig in die Seite, aber mir ist es egal. Alex kann überall spielen, aber diese Menschen hier sind mir wichtig. Sie sind Tims Familie und ich kenne Markus gut genug, um zu wissen, dass dessen harte Schale einen verdammt weichen und verletzbaren Kern enthält. Mir kribbelt es in den Finger, Alex zu packen und vor die Tür zu schleifen, wo och ihn in ruhe zur rede stellen kann.
Der lächelt mich herausfordernd an und lehnt sich zurück. Er hat meine Herausforderung angenommen.
„Das würdest du zu gerne wissen, was?“ Seine Augen funkelten überaus gefährlich. Ich grüble angestrengt nach und mir kommt auch die Erleuchtung: „Die Massage? Ich hatte dir Markus empfohlen … Du hast dich von ihm massieren lassen ...“ Scheiße, ich habe die beiden miteinander bekannt gemacht, ja. Aber was hat Alex mit Markus getrieben?
„Wir haben uns im Club kennengelernt!“, erklärt Markus viel zu hastig, um harmlos zu wirken. „Wir waren beide auf der Jag ...“, Markus stockt, wirft seiner Mutter eine verlegenen Blick zu „Wir waren beide im Club zum … Tanzen.“
„Ja, getanzt haben wir zwischendrin auch.“Alex' Mund zuckt belustigt. Der Kerl spielt mit uns. Mit Markus. So ein Arsch.
„Naja, wir haben halt ein Bier zusammen getrunken“, erklärt Markus. „Dann hat mich Alex mal zum Essen eingeladen ...“
„Thailändisch scharf! Ein sehr heißes Essen, bei dem Markus ganz schön ins Schwitzen gekommen ist, wenn ich es richtig in Erinnerung habe.“ Alex grinst. Der amüsiert sich königlich.
Verärgert lehne ich mich mit verschränkten Armen zurück. Das ist alles höchst merkwürdig und klingt gar nicht nach Alex wie ich ihn kenne, daher frage ich: „Ihr wart miteinander essen?“
„Wir haben uns gut unterhalten und den einen oder anderen Vergleich angestellt“, bemerkt Alex trocken. Markus hustet plötzlich und Alex tätschelt ihm fürsorglich den Rücken. Ich könnte ihn würgen.„Dabei haben wir festgestellt, dass wir durchaus einige Gemeinsamkeiten und den gleichen Geschmack haben.“Souverän nimmt er Markus' Tasse aus der Hand und lässt sie wieder auffüllen. Formvollendet spielt er seine Rolle. Mistkerl.
„Eure Leidenschaft für Heißes und Scharfes?“, versuche ich ihn aus der Reserve zu locken. Ich könnte kotzen.
Alex lacht und zwinkert mit doch glatt zu. „Die auch, ja!“
„Wir … wir haben uns halt danach ein paar Mal getroffen“, erklärt Markus. Verdammt, der merkt echt nicht, was Alex hier treibt. Meine Wut wird größer, vor allem, als Alex Markus nun auch noch den Arm um die Schultern legt und einen auf ganz verliebt tut.
„Wir haben uns untereinander ausgetauscht“, erklärt er süffisant grinsend. „Dann haben wir einen Abend zusammen mit einem Gameboy gespielt. Das war sehr lustig!“ Markus wirkt verlegen und ich kapiere nicht so ganz, was Alex da erzählt. Ist ja auch egal. Er führt Markus vor und das kotzt mich echt immer mehr an. Ein unwilliges Geräusch entkommt mir.
„Markus hat schon immer gerne am Computer gespielt“, erklärt Markus Mutter, die nicht ahnt, was hier passiert.
„Das habe ich gemerkt, dass er gerne mit Dingen spielt.“ Alex lächelt unverbindlich und Markus hustet erneut. Verdammter Mistkerl, sogar mir entgeht diese Zweideutigkeit nicht. Er schaut mich abermals herausfordernd an. „Auf jeden Fall bekam ich von Mark dann den Tipp, meine Rückenschmerzen von einem Physiotherapeuten behandeln zu lassen. Er hat mir doch tatsächlich zufällig Markus empfohlen.“
Noch immer schaut er mich an und ich starre grimmig zurück. Warte nur, bis ich dich in die Finger bekomme. Du kannst was erleben.
„Markus war sehr gründlich bei der Massage und meine ganzen Spannungen waren danach mit einem Mal weg“, versichert Alex mit einem völlig unschuldigen Gesichtsausdruck. „Ich habe mich dafür natürlich umgehend revanchiert. Eine solche Exklusivbehandlung erfährt man ja nicht jeden Tag.“
Ich muss die Zähne zusammenbeißen, um nichts unüberlegtes zu sagen. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, was da in Wirklichkeit gelaufen ist. Ich kenne Alex. Viel zu gut. Tim beißt sich neben mir verstohlen in die Faust. Sein Gesicht ist puterrot und er kämpft mit einem Lachen.
„Ich musste leider beruflich für zehn Tage nach Sydney und wir haben dazwischen sehr viel miteinander telefoniert. Wir hatten uns viel zu erzählen“, setzt Alex seine Sülzstory gnadenlos fort. Wahrhaftig wirft er Markus jetzt einen liebevollen eher lüsternen Blick zu. Scheiße, er hat solche Blicke echt drauf. Jeder würde darauf reinfallen. Jeder. Aber ich kenne ihn besser.
„Markus war so lieb, mich vom Flughafen abzuholen. Mir ging es nicht so gut, ich hatte eine ziemlich starke Erkältung. Da hat sich Markus wirklich aufopferungsvoll um mich gekümmert.“ Ich kann ihn nicht mehr ansehen, nicht zuschauen, wie er mit Markus spielt.
„Tja und irgendwie waren wir dann halt zusammen“, beendet er seine Erzählung und drückt theaterreif Markus an sich. Er geht sogar noch weiter und küsst diesen. Und wie. So innig und wild, dass man es ihm echt voll abnehmen würde. Markus tut es, erwidert den Kuss kaum weniger leidenschaftlich. Und Maria und Stewart nehmen Alex die Rolle des verliebten Typen ebenfalls ab. Selbst Tim starrt sie ziemlich verzückt an.
„Na dann kann man euch beiden nur alles Gute wünschen“, unterbricht Stewart den peinlichen Moment, bevor ich Alex an die gurgel gehe. „Und dir und deinem Mark natürlich auch. Ich freue mich, dass meine beiden Söhne so nette Freunde haben.“
„Sie haben einfach zwei prachtvolle Söhne“, schleimt Alex herum und zwinkert doch glatt meinem Tim zu.„Da fällt die Auswahl schon schwer.“ Mistkerl. Arsch. Ist es dass, was du hier treibst? Willst du dich eigentlich an Tim heranmachen? Ehe ich reagieren kann, überrascht mich Markus, der sich Alex schnappt und zu sich zieht. Seine Geste ist äußerst besitzergreifend.
„Ich hoffe doch sehr, du entscheidest dich nicht um?“ Seine Stimme klingt einen Hauch nervös. Alex grinst und beugt sich zu ihm, raunt ihm etwas ins Ohr, woraufhin Markus zusammenzuckt und ihn anstarrt.
Abermals ist es Stewart, der die angespannte Situation unterbricht und noch etwas Kuchen anbietet. Während der gesamten restlichen Teatime beobachte ich Alex und Markus misstrauisch. Eindeutig, der muskelbepackte Markus fällt voll auf Alex rein. Der hat ihn eingewickelt und spielt sein eigenes Spiel. Eins, was nur er kennt.
Als Maria Markus und Tim zum abwaschen in die Küche bittet, nutze ich die Gelegenheit, mir Alex zu schnappen.
„Wir müssen reden“, knurr eich so leise, dass Stewart es nicht hören kann. Alex zieht die Augenbraunen gekonnt pikiert nach oben.
„Worüber denn?“, fragt er doch glatt nach.
„Hierüber“, zische ich wütend und zerre ihn mit mir in den Flur. Alex richtet sich auf, schaut mich recht hochmütig an und lehnt sich lässig gegen die Wand. Ich könnte ihm echt eine reinhauen und bin auf hundertachtzig. Tief hole ich Luft und fixiere ihn mit meinem Blick.
„Was für ein Spiel spielst du hier?“, verlange ich zu wissen. Alex lächelt mich unverwandt an.
„Das würdest du wohl gerne wissen“, gibt er zurück. Da ist ein eigentümliches Flackern in seinen Augen, welches ich mir nicht erklären kann.
„Ja, würde ich“, gebe ich zornig zurück. „Du hast mir einiges zu erklären.“
Alex nickt bedächtig und stößt sich von der Wand ab. „Das habe ich wohl. Aber nicht hier und nicht jetzt. Jetzt genieße ich meine Teatime.“ Damit dreht er sich um und geht zurück ins Wohnzimmer. Meine Blicke erdolchen ihn. Na warte, ich werde dich schon noch schnappen. Spätestens morgen Früh bin ich bei dir im Büro und dort wirst du mir Rede und Antwort stehen. Und dann werde ich dir den Arsch versohlen, Mister Cool.
Perfektes Timing.
Maria hat ihre zwei Jungs schon zum abtrocknen eingespannt und meine höfliche Frage, ob ich noch etwas helfen kann, wird nett abgelehnt. Der gute Wille zählt.
„Mum, ich bin dann mit Mark weg“, erklärt Tim und wirft das Geschirrtuch über eine Stuhllehne. Vielsagend grinst er mich an und schiebt die Zunge in die Wange. Wenn der offizielle Teil hier vorbei ist, haben wir beide schließlich noch was vor. Ich lächle zurück.
„Oh Timothy, das ist schlecht. Ich habe dich für morgen Früh fest für die Gartenarbeit eingeplant“, erklärt seine Mutter jedoch und ihm rutschen die Mundwinkel nach unten. Meine auch. Markus verzieht den Mund und Tim zeigt ihm unbemerkt von seiner Mutter den Stinkefinger. Er hat mir mal erzählt, dass Maria ihren Ältesten nicht mehr an ihre kostbaren Pflanzen lässt, weil Markus leider keine grünen Daumen, sehr wohl aber ungeschickte Finger und keine Ahnung hat. Nachdem Markus die zarten Pflänzchen irgendeines kostbaren Grünzeugs als Unkraut ausgerupft hat, misstraut Maria ihm und lässt ihn nicht unbeobachtet in den kleinen Garten.
Mir schwant schon, dass aus unsere Planung für den Abend und die Nacht wohl nichts werden wird. Und Maria erklärt mir auch mit Bedauern: „Es tut mir leid, Mark, aber üblicherweise ist Timothy nicht vor 11 Uhr wieder daheim, wenn er bei dir übernachtet.“
Kein Wunder. Meistens lassen wir uns viel Zeit, uns des gegenseitigen Problems der Morgenlatten anzunehmen. Macht sich wohl nicht so gut, wenn ich ihr das erkläre. Davon hat eine Frau keine Ahnung. Schildbewusst senke ich den Blick. Tims große Augen sehen mich flehend an, aber Hey, Kleiner, was soll ich denn gegen das Machtwort deiner Mutter machen?
„Mum!“, protestierte Tim und verspricht: „Ich beeile mich auch und komme ganz früh wieder heim.“
„Nein, Timothy, das wäre unfair Mark gegenüber und es wird dich nicht umbringen, wenn du mal eine Nacht in deinem eigenen Bett verbringst und vielleicht mal die Bügelwäsche wieder einsortierst, die ich dir vorgestern hingelegt habe.“
Wie ich es geahnt habe, bleibt sie hart. Maria ist eine zielstrebige Frau, wer bin ich, mich mit ihr anlegen zu wollen. Und sie hat Recht. Tim würde es nie im Leben schaffen, früh heimzukommen. Wobei er daran nur einen Teil Schuld tragen würde.
Sogar Markus schüttelt kaum merklich den Kopf, bedeutet mir, dass es unmöglich ist, seine Mutter umzustimmen. Ich schlucke jeden Versuch hinunter.
Tim hingegen gibt nicht so schnell auf. Beinahe muss ich lachen, als er es mit: „Vielleicht kann Markus dir ja diesmal helfen?“, versucht.
Marias Gesicht spricht Bände und Tim beißt sich auf die Unterlippe. Markus hingegen brummt unbestimmt.
„Timothy, du weißt genau, dass Markus Gartenarbeit einfach nicht liegt“, seufzt ihre Mutter. „Ich möchte hinterher noch etwas von meinen Pflanzen und vor allem meinem Garten wiedererkennen.“
Tim gibt mit einem mitleiderregenden Stoßseufzer auf. Markus grinst verstohlen und mir kommt der Verdacht, dass der große Muskelberg nicht immer so ungeschickt ist. Oder nichtsahnend.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich Alex und Tims Vater und nutze die unerwartete Chance, mir Alex gleich zu krallen: „Das ist dann eine gute Gelegenheit. Ich fahre dich nachhause und wir können in Ruhe reden.“
Bezeichnend funkle ich ihn an. Markus guckt etwas überrascht, doch Alex hält meinem Blick stand und nickt kaum merklich. Er hat es kapiert. Vielleicht ahnt er auch, wie sauer ich auf ihn bin.
Vielleicht schleimt er deswegen ganz besonders rum, als er sich von Maria und Stewart verabschiedet. Mister Liebster-Schwiegersohn persönlich. Was für ein beschissen guter Schauspieler er doch ist, verteilt Komplimente wegen des Kuchens, der natürlich super geschmeckt hat. Muss er das extra so betonen? Ich bekomme gleich ein schlechtes Gewissen, weil ich eventuell nicht genug gelobt habe. Aber darin bin ich eben auch nicht so gut wie Alex, der mit den Menschen spielt wie er es will.
Mein Kleiner schmeißt sich mir zum Abschied um den Hals und küsst mich als ob wir uns nie wiedersehen würden. Ja, mach es mir noch schwerer. Ich werde die ganze Nacht wachliegen und an deinen feschen Hintern denken, daran, wie du stöhnst, wie du dich an mich kuschelst, deine Haare mich kitzeln. Das leise, kaum hörbare Schnarchen, wenn du tief und fest schläfst und ich dich einfach verliebt betrachten kann, ohne, dass es jemand sehen kann. Ach Mann.
„Ich ruf dich an“, flüstere ich ihm zu, küsse ihn flüchtig und folge Alex hinaus. Betont munter schreitet der aus, jeder Zoll ein attraktiver Mann. Selbstsicher, arrogant.
Im Auto herrscht Schweigen. Ich starre stur geradeaus, während wir in die Stadt fahren. Soll Alex doch anfangen, der hat am meisten zu erzählen. Ich erwarte Erklärungen.
Tut er natürlich nicht, der Mistkerl. Er schweigt, schaut aus dem Fenster. Seine Finger spielen mit dem Jackenaufschlag, das einzige Zeichen, dass er noch lebt.
Mein Ärger wächst. Er soll einfach erzählen, mir erklären, was er da für ein dummes Spiel mit Markus treibt. Er soll mich nicht länger für dumm verkaufen.
Aber Alex ist der Meister hier. Er spielt. Auch mit mir und so bin schließlich doch ich es, der es nicht mehr aushält und ihm ein scharfes: „Und?“ zuwirft.
Er wendet den Kopf. Seine braunen Augen mustern mich gespielt erstaunt.
„Was und?“, fragt er, lächelt sein typisches Lächeln. Aktuell würde ich ihm gerne eine verpassen. Er hat Glück, dass ich am Steuer sitze.
„Tu nicht so“, blaffe ich ihn verärgert an. „Das weißt du genau.“
„Was weiß ich genau?“ Alex bleibt cool. Verdammter Scheißer.
„Was sollte dein dämliches Gerede heute Morgen und dann treffe ich dich ganz zufällig hier? Zur Teatime bei Tims Eltern“, schnappe ich zurück. Ich bin echt wütend, verschlucke mich beinahe. „Hältst du das für besonders einfallsreich?“
Für einen Moment schaut er mich verwirrt an, dann beginnt er zu lachen. „Du glaubst noch immer, ich wollte mich an deinen Süßen ranmachen? Und das mir dazu jedes Mittel recht ist?“
Der Gedanke scheint mir zwar absurd, aber ich sehe sonst keinen anderen Sinn hinter seiner Aktion.
„Ganz zufällig triffst du den Bruder von Tim und ganz zufällig machst du mit dem rum. Bullshit, erzähl mir doch was besseres“, gebe ich zurück. „Ihr seid beide Tops.“
„Ich wusste bis eben nicht, dass sie Brüder sind“, rechtfertigt sich Alex, schaut mich direkt an. „Du hast Recht: die Familienähnlichkeit hätte mir natürlich sofort auffallen müssen. Entschuldige.“
„Sie sind Halbbrüder. Tim ist ...“, erkläre ich sofort automatisch, doch er unterbricht mich: „Das weiß ich auch schon.“
Verblüfft starre ich ihn an, werde jedoch vom Straßenverkehr abgelenkt. Alex sagt nichts weiter und ich brüte vor mich hin. Mal ehrlich: das Alex bei Tim keine Chancen hat, weiß der ebenso. Im Grunde wirklich Blödsinn, ihm das zu unterstellen. Dämliche Eifersucht. Aber was ist sonst seine Motivation? Warum führt er Markus so vor? Ich grüble in eisigem Schweigen und auch Alex sagt kein Wort bis wir bei ihm angekommen sind. Als er sich abschnallt drehe ich mich zu ihm herum.
„Was auch immer du für ein Spiel spielst, lass es sein“, warne ich ihn. „Markus ist ein netter Typ, der hat es absolut nicht verdient, von dir beschissen zu werden.“
Alex' Augenbrauen wandern hoch und er schaut mich pikiert an. „Und wenn es kein Spiel ist?“
„Blödsinn“, schnappe ich zurück. Will er mich verarschen? „Du tust ganz plötzlich eine auf verliebt. Und ausgerechnet in einen halben Arnold Schwarzenegger, der überhaupt nicht dein Typ ist und ganz zufällig der Bruder meines Lovers ist. Alex, verarsch mich nicht. Markus ist ein starker Typ, aber eher einer von der gutmütigen Sorte. Keine Ahnung, was du mit ihm angestellt hast, aber es ist auf jeden Fall unfair und ich werde nicht zulassen, dass du ihm wehtust. Verstanden?“
„Oh, Mark, der große Rächer?“, spottet Alex. „Und wer sagt dir denn, dass er nicht mein Typ ist?“
Ich schnaube wütend. Der Kerl macht mich irre. „Er hat Muskeln, er ist aktiv und ich kann mir weder dich noch ihn unten vorstellen. Das ist Blödsinn. Du machst ihm falsche Hoffnungen, auch wenn er das nicht durchschauen mag. Das hat er nicht verdient.“
Alex' Gesicht verfinstert sich und er schiebt das Kinn minimal vor.
„Du hast ja keine Ahnung, was mein Typ ist?“, zischt er mich unerwartet heftig an. „Und Markus ist ganz bestimmt kein zurückgebliebener Hinterwäldler, klar?“
Holla, er reagiert ungewohnt heftig. So kenne ich Alex nicht. Argwöhnisch runzle ich die Stirn.
„Erzähl keinen Scheiß. Du schleppst immer nur Twinks ab. So ein Muskelpaket war noch nie dabei“, erkläre ich bestimmt. „Du nimmst immer welche, die in jedem Fall unten landen.“ Alex schnaubt einmal kurz durch die Nase und ich fahre fort: „Was reizt dich dieses Mal? Eine neue Herausforderung? Willst du Markus so um den Finger wickeln, dass der sich dir auf allen Vieren anbietet?“
Für einen Moment grinst Alex verdammt lüstern und meint achselzuckend: „Nette Vorstellung.“
„Scheiße, Alex. Markus mag dir vielleicht nicht so erscheinen, aber der Typ hat ein verdammt weiches Herz. Spiel deine dummen Spiele meinetwegen mit jemand anderem, aber lass ihn da raus“, verlange ich entnervt. Alex sagt eine ganze Weile lang gar nichts und ich werde aus seinem Ausdruck nicht schlau. Immerhin schient er drüber nachzudenken.
„Wenn du mich für so einen sexgeilen Superarsch hältst, dürfte es neu für dich sein, dass nicht immer alles ein Spiel ist“, sagt Alex plötzlich sehr leise. Seine Stimme ist anders als sonst und lässt ich aufhorchen. Verblüfft starre ich ihn an. Er erwidert meinen Blick, allerdings nicht so herausfordernd wie sonst, eher … unsicher und zum ersten Mal kommen mir Zweifel.
„Das ist doch ...“ Mir fehlen die Worte. Der spinnt doch. Nie im Leben glaube ich ihm, dass ihn plötzlich auch der Blitz ereilt hat. Und dann noch bei jemandem wie Markus.
„Absurd? Verrückt? Irre? Dämlich?“ Alex lacht bitter auf. „Was glaubst du, was mir dauernd durch den Kopf geht. Tatsache ist aber, dass Markus anders ist. Ganz anders. Und bevor du mich noch weiter in der Luft zerreißt oder mich im Morgengrauen zu einem Duell forderst, gehe ich jetzt. Seit Australien schleppe ich diese Erkältung mit mir rum und ich will jetzt gerne ins Bett und schlafen.“
Misstrauisch schaue ich ihn an und nun fällt mir auch auf, dass er ein wenig blasser als sonst ist. Das lenkt mich ein wenig von seinen Worten ab.
„Du bist krank?“
Alex macht eine abwehrende Geste. „Ich war krank. Mir geht es schon wieder ganz gut.“ Minutenlang weiß ich nicht, was ich sagen soll. Zu viel geht mir im Kopf herum. Ich kann noch immer nicht wirklich glauben, dass zwischen den beiden Typen was laufen soll. Wie denn? Was treiben die im Bett? Denen reicht doch nie im Leben Hand und Mund auf Dauer.
„Ich haue mich gleich ins Bett“, erklärte Alex und steigt endlich aus. Hastig mache ich den Gurt los und steige ebenfalls aus. „Soll … ich dir was besorgen?“ Plötzlich habe ich ein schlechtes Gewissen. Alex ist selten krank oder er gibt es zumindest nie zu. Mit einem mehr als hintergründigen Lächeln schaut er mich an.
„Markus hat mir schon die halbe Apotheke aufgekauft und mich gezwungen alles davon zu schlucken. Auch wenn es deinen Grundglauben erschüttern wird: er hat sich schon um mich gekümmert. Wenn dies je ein Spiel war, dann habe ich definitiv nicht mehr die Kontrolle darüber und ehrlich gesagt, will ich es auch nicht mehr haben.“
Verdammt. Das ist aus Alex' Mund schon fast eine Liebeserklärung. Mit offenem Mund starre ich ihn an. Mein Kopf ist gerade völlig leergefegt.
„Du meinst das … ernst?“, wage ich nachzufragen. Er lächelt. Ein ganz besonderes Lächeln, welches ich noch nie an ihm gesehen habe. Es steht ihm enorm gut, lässt die Züge weicher erscheinen, allerdings auch verletzlicher und … menschlicher. Alex nickt nur.
„Aber wie ...“ Ich beiße mir auf die Lippen. Nichts, was mich etwas anginge. Scheiße, es interessiert mich nur brennend.
„Diese Frage wurde noch nicht vollständig geklärt“, meint Alex weiterhin lächelnd. „Wir waren anderweitig … beschäftigt.“
„Ah“, mache ich sinnfrei und komme mir überaus dämlich vor. Eindeutig, Alex wird dazu nichts mehr sagen. Mit einem Mal komme ich mir reichlich dämlich vor mit meinen überzogenem Beschützerinstinkt. Oder der unbegründeten Eifersucht. Mann, wie dumm.
„Markus ist erwachsen und schon groß, ziemlich groß sogar“, meint Alex eindeutig zweideutig, „und auch wenn du ihn nicht für den Hellsten halten solltest, so weiß er schon, was er tut und ich auch.“
Betreten schaue ich ihn an. Was soll ich dazu schon sagen? Ich fühle mich verlegen. Kein gutes Gefühl.
„Normalerweise lasse ich mir gerne etwas den Marsch blasen“, erklärt Alex plötzlich verschmitzt grinsend, ganz der alte Alex. „Aber du kannst das auch ganz gut. Danke dafür.“
Ich grinse ihn schief an und zucke die Achseln. Ich werde ihm ganz bestimmt nicht sagen, was ich von Markus alles weiß. Das wäre nicht fair. Immerhin ahne ich nun, warum es zwischen Arne und Markus nicht geklappt hat. Was ist Arne gegen Alex? Armer Kerl.
„Dann … bis Montag“, verabschiede ich mich, komme mir seltsam entrückt vor. Zu viel geht mir im Kopf herum, zu vieles, was ich nicht einordnen kann. Das muss erstmal sacken, dass zwischen Alex und Markus wirklich was läuft. Also was Ernstes, nicht nur Sex. Ich kann es noch nicht wirklich glauben.
Alex hebt grüßend die Hand, schließt auf und verschwindet in seiner Wohnung. Ich stehe noch einige Minuten dumm herum, steige schließlich wie betäubt ein und fahre nachhause.
Alex. Mister Sexiest-Man-Alive hat sich verliebt …
Unfassbar.
Weiter geht es in Band II
Texte: CPR
Bildmaterialien: www.pixabay.de
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2012
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