Begleitet mich in eine unbekannte Fantasywelt und ein langes Fantasyepos.
Alle Charaktere und Orte dieser Geschichte gehören ausschließlich mir und dürfen nicht ohne mein schriftliches Einverständnis verwendet werden! Wer es eingangs überlesen hat, es handelt sich um eine homoerotische Fantasy. Sie wird stellenweise recht hart und ich empfehle, die Alterangabe ernst zu nehmen. Ich werde die fertigen Kapitel- soweit möglich- täglich hochladen.
„Tu es endlich!“
Die harte Stimme hallte laut durch die große Halle wieder. Farjins Wut verzerrte sein sonst eher sanft wirkendes Gesicht mit den dunklen Augen, welche ihn so oft gütig, sogar fast liebevoll angeblickt hatten. Jetzt war es Arlyn fremd und flößte ihm immer mehr Angst ein, als ob er dieses Gesicht noch nie zuvor gesehen hatte.
Der Meistermagier trat einen weiteren Schritt auf ihn zu. Sein Gesicht zeigte rote Flecken und er bebte vor Anspannung. Sein Blick richtete sich erneut auf die kleine, schlanke Gestalt seines Schülers vor ihm.
„Ich habe dich geschaffen, ich habe dir alles beigebracht. Du bist nichts ohne mich. Nutze endlich deine Macht, benutzte sie, dazu wurdest du geboren. Dazu habe ich dich alles gelehrt. Tu es!“
Die Stimme seines Meisters war hart und fordernd, nichts davon erinnerte an die Sanftheit, mit der er sonst mit Arlyn im Unterricht sprach.
Die zierlich wirkende Gestalt mit der hellen, ungewöhnlichen Hautfarbe zwischen einem Creme- und Kupferfarbton, mit den weichen, rotblonden Haaren stand noch immer wie erstarrt, sah den wimmernden Mann vor sich voller Entsetzen an.
Stumm schüttelte er wieder und wieder den Kopf, während sein schmaler Körper erzitterte.
Farjin verlor endgültig die Geduld mit seinem Schüler. Entschlossen trat er vor, umklammerte hart von hinten Arlyns Arme, stieß ihn grob vorwärts und ergriff seine Hände. Er zwang Arlyn sie zu erheben , näherte sich dabei dem Mann, der voller Furcht zusammen gekauert da lag, wieder und wieder um sein Leben flehend.
Arlyn wand sich in Farjins Griff, sträubte sich, versuchte seine Hände zu befreien. Seine Magie tobte in ihm, wollte sich Bahn brechen, aber Farjins fordernde Magie drang auf ihn ein, wollte ihn zwingen, das Undenkbare zu tun.
Nur noch mühsam kontrollierte Arlyn seine heiße Magie, die plötzlich so voller Wut und Zorn war, die kurz unter der Oberfläche seiner Haut brodelte, bereit sich Bahn zu brechen, wenn er es nur zu ließ.
Nie zuvor hatte sie sich so wild, so heiß, so gefährlich angefühlt und so beängstigend.
Es kostete ihn unendlich Kraft, sie zu beherrschen zumal Farjin seine Forderung weiter auch magisch verstärkte. Arlyn kämpfte gegen seine Macht an, diese Magie, die so gewaltig war, dass sie seinen Willen fast hinweg zu fegen drohte.
Farjin war es schon zuvor gelungen.
Arlyn wusste, dass er der Magie seines Meister nur wenig entgegen zu setzen hatte. Er hatte ihn auch zuvor schon dazu gebracht, die Magie für ihn einzusetzen. Wenn er es wirklich wollte, konnte ihm Arlyn nicht widerstehen.
Aber dieses Mal nicht. Er würde nicht töten. Er konnte es nicht, er wollte es nicht, dazu würde er seine Magie nicht missbrauchen. Dieser Mann dort flehte um sein Leben. Er würde ihn nicht töten!
Farjin schrie vor Zorn und tiefer Enttäuschung auf, als Arlyn seine Barriere verstärkte, sich weiter vor ihm zurückzog. Farjins Magie prallte ab, vermochte nicht, Arlyns Magie zu erreichen, die so verlockend, heiß und wild an ihren Fesseln zerrte, alles darstellte, was Farjin beherrschen wollte.
Diese wilde, ursprüngliche, gewaltige Magie über die dieser Schüler von ihm verfügte, der mit seiner kleinen, schmalen Gestalt so viel jünger wirkte, als er es war. Seine Magie war seine, war alles, was er immer gewollt hatte seit er sie das erste Mal gespürt hatte. Nur deshalb war er hier.
Er hatte ihn geformt, ihn ausgebildet, seine Magie entwickelt, die so viel mehr war, als die jedes anderen seiner Schüler. Nun würde er sie vervollkommnen, zu seiner eigenen machen. Magie jenseits jeder Vorstellungskraft. Er würde ihm gehorchen, wie er es immer getan hatte. Nie zuvor hatte er sich gegen ihn gestellt.
„Töte ihn!“, brüllte der Magiermeister erneut, stieß Arlyn grob nach vorne, doch der blockte erneut den Zugriff ab und keuchte: „Nein! Das kann ich nicht tun, Meister! Bitte, ich kann das nicht tun!“
Farjin zog plötzlich seine Magie zurück und Arlyn dachte schon, er hätte es überstanden, als ihn die Magie erneut mit voller Wucht traf, zu schnell um einen Schutz zu wirken.
Er wurde hoch geschleudert, weit durch die Luft gewirbelt, als ihn Farjins Zorn traf. Noch in der Luft umgab Arlyn sich blitzschnell mit einem Schutz, so dass sein Sturz gemildert wurde. Dennoch trieb der Aufprall ihm noch die Luft aus den Lungen.
Er landete fast am Ende des Saals, drehte sich rasch um, sprang wieder auf die Beine, bereit den nächsten magischen Angriff abzuwehren. Sich gegen seinen Meister zu wehren, dachte er dabei entsetzt. Ich kämpfe gegen meinen Meister.
Farjin raste vor Wut.
Noch nie hatte Arlyn seinen Meister so erlebt. Keine Sanftheit war in seinem Blick, nichts von dem bewunderten Magiermeister, der ihn die letzten Jahre unterrichtet hatte. Kalte, entsetzliche Angst durchflutete ihn, als der die wutverzerrte Grimasse seines Meisters sah.
Rasch blickte er sich um, aber die Saaltüren waren geschlossen und es gab keine offene Tür durch die er fliehen konnte. Er stand ganz alleine dem zornigen Meister gegenüber.
Farjin hob seine Arme und Arlyn sammelte verzweifelt seine Magie, bereit sich zu verteidigen. Doch die Magie, die Farjin in seine Richtung schleuderte traf nicht ihn, sondern den unglücklichen Mann am Boden, zerfetzte ihn in der Luft, ließ nichts von ihm zurück.
Arlyn schrie erschrocken auf, fühlte wie Farjins Magie den Mann tötete und dann tödlich heiß weiter durch den Saal fegte.
Vollkommen entsetzt starrte er den großen Mann am Ende des Saals an, den Mann, dem er so vertraut hatte.
Farjin, der Magiermeister, sein Lehrer in den ganzen letzten Jahren. Der Mann zu dem er stolz aufgesehen hatte, den er ob seiner Weisheit und Macht bewundert hatte. Der ihm ein Zuhause gegeben hatte, ihn stets als seinen Meisterschüler bezeichnet hatte.
Diesen Mann, der dort stand, ihn hasserfüllt anblickte, diesen Mann kannte er nicht. Aber er wusste instinktiv, dass er ihn fürchtete sollte.
Farjin zog die Magie zurück, als er Arlyn über die Entfernung anstarrte. Schwer atmend stand er da, beobachtete kühl, wie er sich gegen den nächsten Angriff spannte, doch als er kam, war Arlyn fast zu langsam. Farjin schleuderte ihm die Magie entgegen, die ihn abermals hoch hob, den schmalen Körper haltlos herumwirbelte und fast bis hoch an die Decke schleuderte.
Sofort wob Arlyn erneut einen wirksamen Schutz um sich, drehte sich in der Luft um, veränderte die Richtung des magischen Stoßes. Anstatt haltlos an die Decke zu prallen, wurde er nur seitwärts geschleudert, rutschte an der Wand wieder zu Boden. Schmerzen durchfluteten ihn. Die Magie hatte ihn nicht verletzt, wohl aber der Aufprall auf dem harten Holz der Wand. Seine Schulter fühlte sich taub an. Kurz schrie er auf, als er versuchte sie zu bewegen. Ein brennender Schmerz durchfuhr ihn.
Er schloss kurz die Augen, sammelte die Magie zum Heilen in der Schulter. Augenblicklich fühlte er den Schmerz nachlassen, spürte, wie Knochen heilten, die Beweglichkeit der Schulter wieder hergestellt wurde.
Doch es gelang ihm nicht schnell genug, den nächsten Angriff von Farjins Magie abzublocken, zu sehr war er auf das Heilen konzentriert. Wieder wurde er herum gewirbelt, über den Fußboden des Saals geschleudert. Unsanft kam er an der Wand zum Halten, hob schützend die Arme um einen neuen Schutz aufzubauen, doch Farjin fegte ihn erneut einfach zur Seite.
Panik wallte in Arlyn auf, als er in rascher Folge Salven von Farjins Magie abwehrte, die der große Mann ohne Unterlass auf ihn warf.
Sein Meister näherte sich mit vorgestreckten Armen dem am Boden liegenden Arlyn. Dessen Gesicht verzerrte sich vor Angst und Anstrengung. Er hob wieder und wieder die Hände, wehrte die Magie ab, doch er spürte, dass er dabei immer schwächer wurde. Er hatte dieser gewaltigen, wütenden, tobenden Magie seines Meisters nichts entgegen zu setzten. Die Furcht vor seinem Meister lähmte ihn zu sehr.
Unaufhaltsam näherte sich Farjin, das Gesicht nun starr, den Blick direkt auf sein Opfer gerichtet. Arlyns Bewegungen wurden langsamer, immer wieder durchbrach ein Teil der Magie seinen Schutz, ließ ihn wieder gegen die Wand krachen.
Sein Rücken schmerzte, er fühlte Blut hinab rinnen, wusste, dass er die Heilmagie nicht zusammen mit der Schutzmagie beherrschen konnte. Nicht, wenn Farjin ihn weiterhin mit dieser Wucht attackierte.
Hilflosigkeit machte sich in Arlyn breit. Er wusste nicht, ob Farjin ihn nicht sogar töten würde, denn diesen furchterregenden Magier kannte er nicht.
Als Farjin dicht vor ihm stand, senkte er endlich die Arme, betrachtet den zierlichen Körper vor sich voller Wut.
Arlyn hatte kaum noch Kraft, haltlos fielen die Hände hinab, er konnte kaum noch etwas sehen. Schwärze drohte ihn zu umfangen, er spürte wie die Magie ihn heilte, doch langsam, viel langsamer, als er es sonst konnte. Seine Knochen waren schneller gesplittert, als die Magie ihn heilen konnte.
Endlich stoppte Farjin seine Angriffe. Er stand nun direkt vor Arlyn, das Gesicht eine undurchdringliche, kalte Maske.
Seine linke Hand schoss unvermittelt hervor. Arlyns Abwehr verpuffte ohne Wirkung, als der Magier ihn magisch hoch anhob, fest und hart an die Wand presste. Es war, als ob seine Hand sich tatsächlich um Arlyns Kehle schließen würde, so real war die Magie. Seine Füße traten frei in die Luft.
Arlyn rang nach Luft, kämpfte mit seinem ganzen Körper gegen den magischen Griff an, zappelte hilflos in diesem festen Griff gefangen. Seine Magie heilte mittlerweile Knochen um Knochen.
„Du undankbarer Bastard. Ich habe dich erschaffen, ich habe dich deinen Eltern abgekauft, damit du das wirst, was ich wollte, damit du diese, deine Magie nutzt! Ich habe dich zu dem gemacht, was du bist! Ich kann dich zerquetschen, wie ein Insekt, zerstören, wie ein misslungenes Gemälde. Du verdienst eine Lektion, Arlyn. Eine Lektion, die du niemals vergessen wirst. Eine Lektion, die dir zeigt, wo du stehst und wem deine Magie gehört. Du wirst lernen, sie bedingungslos einzusetzen!“ zischte Farjin.
Seine drohende, grausame Stimme ließ Arlyn vor Furcht erzittern.
Er rang verzweifelt nach Luft, schwach entsandte er seine Magie, versuchte einen Schutz zu wirken, doch Farjin brüllte plötzlich auf, schlug den Schutz lässig beiseite. Dann zog er seine Magie urplötzlich zurück.
Arlyn fiel krachend vornüber auf den harten Boden. Er griff sich keuchend an den Hals. Der würgende Griff war weg, stattdessen aber fühlte er ein sehr feines Band, wie dünnes Metall, welches seinen Hals eng umschloss. Er griff danach, zerrte erschrocken daran. Sein Verstand ließ die Erkenntnis nur langsam durchsickern: ein magisches Band! Das musste ein magisches Band sein! Farjin hatte seine Magie damit gebunden.
Entsetzen breitete sich in Arlyn aus. Er warf sich zurück, doch Farjin war schneller, zog ihn rasch zu sich heran, Der Junge wand sich, versuchte frei zu kommen, aber der Meister ergriff seine Hände.
Auch hier schlossen sich plötzlich die feinen Bänder aus einem nicht sichtbaren Metall, welches nur unter magischen Licht matt golden schimmerte, um seine Handgelenke.
Farjin ließ ihn los und Arlyn keuchte auf vor Schrecken. Er fühlte wie seine Magie in ihm war, fühlte ihre Bereitschaft, spürte das feine, vertraute Kribbeln unter der Haut, doch das war auch alles.
Farjin hatte seine Magie in seinem Innern gebunden, unerreichbar für ihn.
Natürlich hatte Arlyn darüber gelesen. Es war Teil seiner Studien gewesen. Er wusste, dass es möglich war, dass diese feinen Bänder seine Magie in seinem Innern banden so banden, dass er sie nicht mehr einsetzten konnte. Diese Bänder machten ihn so hilflos wie einen ganz normalen Menschen, beraubten ihn gänzlich seiner Magie. Arlyn kannte es. Aber niemals hatte sein Meister diese Magie wirklich verwendet.
Er keuchte entsetzt auf, als ihn die Erkenntnis voll traf, zerrte verzweifelt an seinen Armbändern, versuchte, das kaum spürbare dünne Metall am Hals und an den Händen irgendwie abzustreifen, doch alles war vergebens.
Farjin trat zurück, betrachtete kalt und gelassen, die verzweifelten Versuche seines Schülers, die Bänder abzustreifen.
„Eine Lektion, mein junger Arlyn. Du wirst eine Lektion bekommen, die dich lehren wird, nie wieder meine Befehle in Frage zu stellen! Du wirst lernen zu hassen!“
Seine Worte waren hart und kalt. Er stand da, starrte auf seinen Meisterschüler herab, Verachtung und Kälte im Blick. Arlyn schluckte, kam schwankend auf die Füße.
Blut trocknete an seinem Rücken und ohne seine Magie, die ihn sonst sofort heilte, spürte er deutlich, schmerzhaft jeden Bluterguss, jede Schürfwunde, jede Prellung.
„Du bist für mich nichts wert, bis du deine Lektion gelernt hast. Geh! Geh mir aus den Augen.“
Farjins Stimme war leise, so voller kalter Verachtung, dass sie Arlyn Stiche in die Brust versetzte. Er wollte etwas sagen, wollte erklären, sich womöglich entschuldigen, aber er war so voller Furcht und Entsetzen über den Mann, den er zu kennen geglaubt hatte, dass ihm kein Wort über die zitternden Lippen kam.
Abrupt wandte sich Farjin um, die Mundwinkel missbilligend nach unten verzogen, durchschritt den Saal mit großen, hastigen Schritten.
Mit einem fast sanften, knarrenden Geräusch öffneten sich die großen Saaltüren hinter Arlyn und kalte Luft wehte herein. Gehetzt sah er sich um.
Sein Meister beachtete ihn nicht weiter, schritt durch den Saal zur hinteren Tür zu seinen Gemächern, aber hinter Arlyn war das Tor offen, winkte die Freiheit aus diesem plötzlichen Alptraum.
Arlyn zögerte nicht lange, drehte sich um und floh. Er rannte, so schnell er konnte durch die großen Türen, über den vertrauten Innenhof zur Mauer, durch das große Tor hinaus auf den Weg zum Wald.
So schnell er irgend konnte rannte er vor diesem grausamen, furchteinflößendem Mann weg, der einst sein Meistermagier und fast väterlicher Freund gewesen war. Seine Füße trugen ihn rasch vorwärts aus dem bekannten Gelände, weg von der Burg, in der er so lange Jahre gelebt hatte.
Die leise pulsierende Magie in ihm war so vertraut, war seine eigene, auch wenn sie nun in ihm verschlossen war und er sie nicht benutzen konnte.
Es war ein sehr merkwürdiges, völlig ungewohntes Gefühl. Als ob er einen seiner Sinne verloren hätte, als ob er nicht mehr Hören, Sehen oder Schmecken konnte.
Die Erfahrung war völlig neu für ihn. So fühlte sich also wohl ein ganz normaler, nicht magisch begabter Mensch.
Ein merkwürdiger Gedanke.
Arlyn war nun einer von ihnen, begriff er. Kein Meisterschüler mehr, nur ein unbedeutender Mensch, dachte er traurig. Er hatte seine Heimat, sein zuhause verloren, so wie seine Magie.
Aber immerhin würde er nun auch nicht tun müssen, was Farjin von ihm verlangt hatte. Er würde nicht töten müssen, würde seinem Meister nicht zu Diensten sein müssen.
Vor ihm lag auch eine ganze Welt voller Freiheit, weit weg von diesen entsetzlichen Forderungen des Meistermagiers. Und als Arlyn rannte war es eher, als ob eine Bürde von ihm abfallen würde, als ob er die harte Zeit seiner Lehre abschütteln würde und dabei mit jedem Meter leichter, freier werden würde.
Er rannte bis seine Lunge brannte und er in einen langsameren Trab überging, schließlich nur noch schritt, tief die Luft einsaugend. Seine Magie konnte ihm nicht helfen, dieses Mal musste sich sein Körper ganz von alleine erholen.
Es war ein sehr merkwürdiges, unbekanntes Gefühl, das Pochen und Brennen seiner Prellungen zu fühlen, ohne es heilen zu können. Arlyn fühlte sich unsicher, da er nicht wusste, wie sein Körper sich alleine heilte, wie es sich anfühlte. So war es für Menschen ohne Magie? Soviel Unsicherheit?
Hilflos und ängstlich fühlte er sich ohne den Schutz seiner Magie. Er stand nun allein mitten auf einer Straße ohne die vertrauten Mauern um ihn, ohne die vertraute Magie. Sie war so sehr Teil seiner Selbst, immer präsent, immer involviert.
Er würde erst mühsam lernen müssen, nur ein ganz einfacher Mensch zu sein.
Seit Jahren war er nicht aus der Burg gekommen, er wusste nicht, was sich in dem Wald verbarg oder wohin diese Straße führte, er würde ihr einfach folgen müssen und sehen, wohin sie ihn bringen würde. Zu seinem Unterricht hatte nie gehört, etwas über das Land um ihn zu lernen.
Die Luft kühlte fast unmerklich ab, als die Sonne den höchsten Stand erreicht hatte und sich langsam wieder dem Horizont näherte. Er genoss den Anblick, lauschte den Vogelstimmen, nahm den Geruch nach Erde und Feuchtigkeit in sich auf. Ihm war etwas leichter ums Herz und er konnte seinen Erinnerungen nachhängen, während er sich nur wenig auf seine Füße konzentrierte, oder wohin er lief. Die Straße wand sich wie in Bögen durch die Landschaft, verschwand schon bald im Wald.
Wie hatte er sich nur so in Farjin täuschen können?
Er kannte den Meistermagier nun seit so vielen Jahren, seit er in sein Dorf an der Küste gekommen war und seinen Eltern eine stolze Summe bezahlt hatte, für ihren fünften Sohn. Seine Eltern waren arme Fischer gewesen. Er erinnerte sich nur noch vage an diese harte Zeit.
Sie hatten vom Fischfang gelebt, wie die meisten Menschen an der Wilden Küste. Oft genug war es zu wenig, um alle satt zu machen. Hunger und Kälte hatten zu seiner Kindheit gehört, wie die harte körperliche Arbeit an den Netzen, der er oft genug nicht gewachsen war.
Als dieser hohe, vornehme Herr kam und den Fischersleuten Gold anbot, soviel Gold, wie sie kaum in einem Jahr verdienen konnten, für ihren jüngsten Sohn, da hatten sie nicht sehr lange gezögert.
Der Junge war ohnehin viel zu zart gebaut und würde in dem harten Leben der Fischer nicht gut bestehen können. Der vornehme Herr versprach, ihn gut auszubilden, seine Gabe zu fördern, seine Magie zu entwickeln. Eben diese Gabe, diese Magie war es, die ihnen ohnehin unheimlich war, die ihn aus der Gemeinschaft der Fischer ausgrenzte. Für sie war es ein Fluch gewesen.
Schon die Gilrand dra Ghil, die Namensgeberin des Dorfes hatte ihnen gesagt, das ihr jüngster Sohn, etwas Besonderes war. Sie hatte ihm diesen merkwürdigen Namen gegeben, einen Namen in der ganz alten nordischen Sprache, der Sprache der Inseln: Arlyn.
Arlyn erinnerte sich noch etwas an ihre Gesichter, an die Tränen seiner Mutter, doch es war eher wie eine Chance gewesen, der Armut zu entkommen, der schweren Arbeit, der Einsamkeit, weil er so anders war, ausgestoßen wegen seines Aussehens und seiner Magie.
Meister Farjin hatte ihn als Schüler mitgenommen, hatte seine Magie sofort erkannt und gefördert.
Es war nie eine leichte Zeit gewesen. Farjin war ein sehr strenger Magiermeister, forderte Arlyn immer wieder auf, das Beste zu geben, verlangte von ihm immer mehr, als von allen Anderen. Dennoch war er immer gut behandelt worden und genoss einen besonderen Status unter Farjins Schülern. Seine Magie war besonders stark. Das grenzte ihn von den Anderen ab. Er war auch hier eher etwas anderes, etwas besonderes, auch wegen seines ungewöhnlichen Aussehens.
Farjin hatte immer wieder verzückt reagiert, wenn ihm Lektionen gelangen, die den anderen Schülern noch Schwierigkeiten machten. Seine Magie war intuitiv, stark, wild und gerade zu Beginn noch oft unkontrolliert gewesen, aber er lernte sehr schnell, war stets bemüht, seinem Meister alles recht zu machen, seinen hohen Ansprüchen zu genügen. Er war sein Meisterschüler geworden.
Bis zu diesem Tag. Bis zu dieser letzten Lektion.
Hier hatte er versagt, hier war er gescheitert. Zum ersten Mal.
Gescheitert, als Farjin, sein Meister von ihm das Unmögliche verlangt hatte: seine Magie zum Töten einzusetzen.
Arlyn schauderte bei der Erinnerung an die letzten Ereignisse, er sah wieder das vor Furcht so schrecklich verzerrte Gesicht des gefesselten Mannes vor ihm, den Farjin ihm befohlen hatte, zu töten.
„Fühle den Fluss der Magie dich durchströmen. Ihre Kraft, ihre Wildheit. Nutze sie. Zentriere sie in einen einzigen Strahl. Lege alle Kraft hinein, jeden Impuls und dann lenke sie direkt in sein Herz“, hatte Farjin ihn aufgefordert.
Doch Arlyn hatte dabei nur das Wimmern gehört, die Augen des Mannes gesehen, der ihn flehentlich anstarrte, dessen Todesangst gefühlt.
„Ich kann es nicht“, hatte er geflüstert. „Das kann ich nicht tun.“
Und Farjin war hinter ihn getreten, hatte seine eigene Magie in ihn entsandt, hatte ihn wieder und wieder aufgefordert, doch er vermochte es nicht.
Dann hatte der Meister seine eigene Magie verstärkt, war tief in Arlyn eingedrungen, hatte sich seiner Magie bedient, sie versucht umzuleiten, versucht, ihn zu zwingen, sie zum Töten ein zusetzten.
Arlyn schauderte erneut bei dem Gedanken wie er in ihn gedrungen war, wie die fremde Magie ihn berührt hatte. Arlyn hatte sich gewehrt, hatte sich zum ersten Mal gegen seinen Meister gestellt, sich gegen die fremde Magie in ihm gewehrt.
Ein Schluchzen baute sich in Arlyn auf, als er die Ereignisse erneut rekapitulierte. Mit dieser Weigerung hatte er alles zunichte gemacht, alles zerstört. Sein ganzes Leben weggeworfen. Alles verloren. Sein Zuhause, sein Leben..
Nun war er ganz alleine und auf sich gestellt. Alleine aber frei von diesem Zwang.
Arlyn schüttelte jeden Gedanken an Farjin ab, dachte daran, dass er einen Platz zum Schlafen finden musste. Es war Frühling und noch recht kühl abends, er trug nur seine normale Kleidung, seine helle Leinenhose und ein ebensolches Hemd. Seine dünnen ledernen Schuhe waren nicht für solche Wanderungen gedacht. In der Burg hatten sie ihm gute Dienste erwiesen. Hier waren sie viel zu dünn, so dass er jedes Steinchen durch die dünne Sohle fühlte. Zudem hatte er weder eine Decke noch Proviant bei sich.
Gegen Abend musste er sich überlegen, was er machen sollte. Langsam, aber sicher verschwand die Sonne und es wurde dämmerig. Unbekannte Geräusche nahmen zu, je dunkler es um ihn wurde.
Auf der Straße wäre es sicherlich nicht gut zu bleiben, dachte sich Arlyn und betrachtete den Wald ringsum genauer. Es gab immer wieder Lichtungen und Arlyn suchte nach einen Platz an einem großen Baum, unter den er sich eventuell Schlafen legen konnte.
Er bog auf einen schmalen Wildpfad ab, entdeckte nur wenige Meter neben der Straße eine Lichtung mit dichtem Gebüsch und großen Bäumen.
Es würde schnell dunkel und so sackte er einfach mit dem Rücken an einem Baumstamm hinab, versuchte daran eine bequeme Position zu finden. Sein Gesicht wandte er nach oben in den Himmel in dem vereinzelt schon Sterne zusehen waren, je dunkler es um ihn her wurde.
Es war friedlich und ruhig, vereinzelte Vogelstimmen erklangen rings um ihn her, eine leichte Brise, die aber rasch kälter wurde. Arlyn schlang die Arme um seinen Oberkörper, wusste, dass er wohl frieren würde ohne seine Magie. Seufzend schloss er die Augen, versuchte Schlaf zu finden.
Er war frei. Aber auch völlig auf sich alleine gestellt. Zum ersten Mal überhaupt in seinem Leben.
Zitternd wachte Arlyn in der Nacht auf. Es war sehr kalt geworden.
Über ihm waren die Sterne durch das spärliche Blätterdach klar am Himmel zu sehen.
Fröstelnd rieb er sich heftig die Hände und die Arme, doch die Kälte ließ sich nicht so leicht vertreiben.
Zitternd veränderte er immer wieder seine Postion, schlief nur kurz ein, um immer wieder vor Kälte schlotternd aufzuwachen.
Merkwürdige Geräusche um ihn her ließen ihn immer wieder erschrocken zusammen zucken. Die Nacht war voll davon.
Was war gefährlich, was konnte er unbeachtet lassen? Arlyn wusste es nicht. Er hatte nie in einem Wald übernachten müssen.
Arlyns Herz schlug schnell und hart. Der nächtliche Wald war voller ihm gänzlich unbekannter Gefahren. Tiere bewegten sich raschelnd und knackend durchs Unterholz. Irgendwo schrien Eulen ihre unheimlichen Rufe.
Später in der Nacht war der Himmel bedeckt und erlaubte ihm kein Mondlicht um seine Umgebung genauer wahrzunehmen.
Eng drückte er sich gegen seinen Baum, versuchte, seine Magie einzusetzten, um sich zu wärmen, um ein Licht herbei zurufen, doch rasch wurde ihm wieder klar, das sein Meister ja seine Magie gebunden hatte. Er konnte sie nicht benutzen. So lag er bibbernd vor Kälte mehr oder weniger wach und lauschte aufmerksam in die Dunkelheit hinein
Mehrmals sprang er auf, wenn ein Geräusch so nahe kam, dass sein Herz vor Aufregung laut schlug und er vor Angst starr wurde, doch nichts näherte sich ihm. Als es nach vielen, vielen Stunden endlich dämmerte, tastete sich der Junge den Weg zurück zur Straße.
Zitternd vor Kälte begann er zu laufen. um endlich wieder warm zu werden, die klamme Steifheit aus seinem Körper zu bekommen. Er ging erst wieder in einen ruhigen Schritt über, als das diesige Grau um ihn her sich in den ersten Strahlen der Sonne in Nichts auflöste.
Nebel zog in flüchtigen Bahnen über die Straße, die Luft war kühl und voller intensiver Gerüche nach Erde und Pflanzen. Tief sog Arlyn sie ein, genoss die freidliche Stimmung um ihn her, als die Vogelstimmen immer lauter und zahlreicher wurden, den Tag begrüßend.
Die Sonne gewann rasch an Kraft und Arlyn fühlte sich zwar müde und zerschlagen von der unruhigen Nacht, aber die Sonne wärmte endlich seine Knochen und gab ihm Kraft.
Leider meldete sich nun auch sein Magen zu Worte, der ja seit gestern nichts mehr zu essen bekommen hatte. Suchend blickte sich der Junge um, aber es gab am Wegessrand nichts, was er essen konnte. Oder von dem er wusste, das er es essen konnte. Einfach so zu probieren traute er sich dann doch nicht.
Irgendwann würde die Straße ja mal auf ein Dorf treffen müssen, dachte sich Arlyn zuversichtlich, ignorierte das zunehmend bohrende Gefühl in seinem Magen.
Leise seufzend dachte er daran, dass es jetzt in der Burg ein gutes Frühstück für alle Schüler geben würde. Warmes Brot, Käse, Milch, Äpfel. Arlyn verspürte fast den Geschmack des frischen Brotes im Mund und schluckte mehrmals schwer, bei dieser Vorstellung.
Fast sehnte er sich zurück, aber dann kamen die Bilder von seinem Kampf mit Farjin wieder in sein Bewusstsein.
Arlyn verzog kurz den Mund. Er würde schon etwas zu essen finden. Diese Straße musste ihn ja irgendwohin führen. Bestimmt gab es hier irgendwo ein Dorf oder einen Bauernhof in der Nähe.
Er konnte sich nicht dran erinnern, ob er mit seinem Meister, damals vor fünf Jahren, mit der Kutsche diese Straße entlang gekommen war. Daran erinnerte er sich nicht mehr. Viel zu aufgeregt war er gewesen bei dem was ihn alles erwarten würde. Zu verschüchtert, von dem großen Mann bei ihm, der meistens geschwiegen hatte, ihn nur hin und wieder nachdenklich musternd. Fünf Jahre lang hatte er Farjins Burg nicht verlassen, wusste nicht, was außerhalb der dicken Mauer vor sich ging.
Ja, er wusste nicht einmal, in welchem Teil des Landes er sich befand. Nun, zum ersten Mal außerhalb der burg fehlte ihm jegliche Orientierung.
Langsam stieg die Sonne höher. Gegen Mittag war sein Hungergefühl schon recht stark, doch noch immer hatte er kein Dorf, kein Haus gesehen. Arlyn wanderte die Straße völlig alleine entlang. Endlos begleitete ihn der Wald um ihn her, schien nie zurück zu weichen, umgab ihn ringsum, wie neue, hohe Mauern. Es gab nur wenige Lichtungen, meistens drängten sich die Bäume und das Unterholz dicht und dunkel bis an die Straße heran.
Die Sonne brach immer wieder durch das Blätterdach und schien ihn voranzutreiben. Aber nach und nach wurde Arlyn müde. Die kalte Nacht mit zu wenig Schlaf, holte ihn ein und er bemerkte mehrfach zu spät, wie er im Gehen kurz weg nickte.
Schließlich stolperte er, fiel schmerzhaft auf die Knie und blieb erstmal benommen liegen. Langsam stand er taumelnd wieder auf und suchte sich dann einen Baumstamm am Straßenrand, um sich, den Kopf dagegen gelehnt, auszuruhen und kurz die Augen zu schließen. Immerhin war es jetzt warm genug, so dass er wohl Schlaf finden würde. Die Augen fielen ihm fast sofort zu. Warme Luft umwehte ihn, ruhige Vogelstimmen lullten ihn sicher in den Schlaf.
Hufgetrappel ließ ihn aufschrecken. Die Geräusche näherten sich ihm rasch. Benommen stemmte er sich hoch und sah die Straße entlang, die hinter ihm einen Bogen schlug. Plötzlich bogen vier Männern zu Pferde um die Ecke und zügelten sofort ihre Pferde, als sie seine, im Schatten verborgene Gestalt erblickten. Der Junge trat vom Straßenrand weg auf sie zu, musterte sie aus dem Schatten seines Baumes hervor. Er sah sich vier, nicht unbedingt Vertrauen erweckenden Gestalten gegenüber. Die Männer verhielten ihre schwitzenden Pferde vor dem Jungen.
Arlyns Blick glitt über die Männer. Sie waren wie Söldner gekleidet, trugen dunkle Kleidung, Messer am Gürtel und Schwerter. Weitere Waffen waren auf ihren Rücken geschnallt oder hingen an ihren Sätteln.Ihre schmutzigen, ungepflegten und bärtigen Gesichter, musterten ihn unverhohlen neugierig.
Arlyn war zu überrascht und auch erleichtert, anderen Menschen zu begegnen, um ängstlich zu reagieren. Er trat noch weiter vor, verließ nun ganz den Schatten und blickte die Männer freundlich lächelnd an: „Verzeiht meine Herren“, begann er unsicher. „Wie weit ist es wohl bis zur nächsten Ansiedlung? Könnt ihr mir bitte sagen, wohin diese Straße führt?“
Die Männer sahen ihn sichtlich überrascht an, ihre Blicke glitten über seine ungewöhnliche Erscheinung mit der hellen Haut.
Der größte von ihnen drängte sein Pferd etwas nach vorne, sah ihn mit einem merkwürdigen Blick von Kopf bis Fuß an und stieß plötzlich hervor: „Bei den Göttern, du bist ja ne echte Schönheit, Kleiner.“
Die Männer sahen sich an und lächelten.
Der Mann, der ihm am nächsten war, grinste ihn an, musterte den Jungen von oben nach unten mit einem, Arlyn unbekannte Ausdruck.
„Schätze diese Straße führt dich nirgendwo mehr hin, Bürschchen. Du brauchst nicht weiter suchen, denn nun haben wir dich ja gefunden“, grinste er den Jungen an.
Die Anderen lachten bei seinen Worten rau auf, blickten nun eindeutig begierig auf den schlanken Jungen vor ihnen.
Arlyn durchlief ein Schauer, die Männer wirkten mit einem mal sehr bedrohlich auf ihn und ihre Blicke schienen ihn abzuschätzen. Der große Mann, den er angesprochen hatte, stieg vom Pferd und trat auf Arlyn zu. Er strahlte eine so unmittelbare Bedrohung aus, das Arlyn instinktiv seine Magie sammelte und... Nichts geschah.
Die Bänder! Erschrocken erinnerte er sich daran, was Farjin getan hatte. Er konnte keine Magie wirken. Er hatte keinen Schutz. Sein Meister hatte seine Magie gebunden.
Angst stieg in dem Jungen auf, als sich ihm der Mann weiter grinsend näherte.
Er war groß und sehr breitschultrig, sehr kurzes, ungepflegtes dunkles umrahmte sein hartes Gesicht und sein stoppeliger Bart wirke ebenso ungepflegt, voller fettiger Flecken darin.
„Du kommst am besten einfach mit uns, Jungchen“, meinte er, „Bevor du dich noch weiter verirrst.“
Er streckte die Hand nach Arlyn aus. Erschrocken trat der einen Schritt zurück.
„Ja, Jungchen. Wir haben ein nettes Plätzchen für dich. Da ist es warm und kuschelig. Glaub mir, uns wird allen dort schön warm werden“, warf einer der anderen ein und er sah den hellhaarigen Jungen auf eine sonderbare Art an, leckte sich dann demonstrativ die Lippen. Die anderen lachten auf bei seinen Worten.
Arlyns Blick glitt unsicher von einem zum Anderen. Er wusste nicht, was er von ihnen halten sollte, nur dass sie ihm Angst machten.
„Götter!“ warf ein anderer, schlankerer, jüngerer Mann ein, „Dieser Junge ist so schön, so etwas habe ich noch nie gesehen. Schaut euch nur mal diese helle Haut und diese schimmernden Haare an. Und dieser Körper! Das wird ja ein echtes Vergnügen werden. Wenn das keine verdiente gute Bezahlung ist!“
Wieder lachten sie.
Arlyns Angst nahm zu. Er verstand nicht was hier vor sich ging, schluckte schwer, wich weiter zurück, handelte dann instinktiv, drehte sich um und rannte los.
Er hörte, wie die Männer kurz hinter ihm fluchten, aber er blickte sich nicht mehr um, sondern rannte einfach so schnell er konnte die Straße hinunter.
Der Wald war dicht, überall verfilztes Unterholz. Arlyn vernahm Geräusche hinter sich und wagte es, im Laufen über die Schulter zu blicken. Sie folgten ihm! Er hörte den donnernden Hufschlag, als sich die Pferde ihm näherten. Direkt neben ihm tauchte plötzlich einer der Männer auf, drängte sein braunes Pferd an ihn.
Arlyn wich aus, stieß dabei fast mit dem nächsten Reiter zusammen, der sich ihm von der anderen Seite näherte. Sie nahmen ihn bewusst zwischen sich, versuchten ihn abzudrängen. Verzweifelt suchte Arlyn nach einer Lücke im Gebüsch, durch die er ihnen entkommen könnte.
Abrupt stoppte er ab, rannte zurück. Die zwei Männer zügelten ihre Pferde grob, aber hinter ihm waren noch die zwei anderen, die nun aufschlossen hatten, ihm so auch diesen Weg versperrten.
Verzweifelt nach einem Fluchtweg suchend, drehte sich der schlanke Junge im Kreis und wurde von einem Pferd hinter ihm grob umgestoßen, fiel unsanft zu Boden. Noch bevor er sich wieder hoch rappeln konnte, sprang einer der Männer direkt neben ihm aus dem Sattel, ergriff seinen Arm und drehte ihn herum.
Arlyn schrie auf vor Schreck und Schmerz, reagierte, indem er versuchte, ihm seine Magie entgegen zu schleudern, Magie, die er nicht mehr hatte, doch die Wucht der Bewegung seiner Hand versetzte dem grobschlächtigen Mann, der ihn festhielt, immerhin einen heftigen Schlag ins Gesicht.
Fluchend ließ er Arlyns Arm los. Der zögerte nicht lange, versuchte unter dem Hals des Pferdes hinweg zu tauchen und in Richtung Waldrand zu entkommen Weit kam er nicht, denn etwas Schweres traf ihn in den Rücken und ließ ihn wieder stürzen. Hart schlug er auf, spürte einen scharfen Schmerz an der Wange, als er sich an einem Stein eine Schramme zufügte. Erneut versuchte er aufzuspringen, doch sein erschöpfter Körper brauchte einen Moment und er kam nur schwankend hoch, da waren die Männer heran.
Zwei sprangen von ihren Pferden, ergriffen ihn grob und zerrten ihn hoch. Arlyn stemmte sich gegen den Griff, wand sich, trat um sich und versuchte sich zu befreien, aber die Männer waren ihm kräftemässig hoffnungslos überlegen. Sie zwangen seine Arme auf seinen Rücken, banden sie rasch mit einem Lederband fest.
Der hellhäutige Junge spürte Blut sein Gesicht hinunter laufen, als die Männer ihn erneut grob zu Boden stießen, wo ihn einer fest auf den Boden drückte. Zappelnd wehrte sich Arlyn gegen den Griff, atmete Staub ein und hustete ihn gequält wieder aus.
„So ein kleines Wildpferd“, keuchte der Mann, der ihn festhielt, „Hat Runko doch glatt nen Schlag ins Gesicht verpasst!“
„Runko, bist du okay?“, rief der andere zu dem breitschultrigen Mann hinüber, den Arlyn geschlagen hatte.
Ein Grunzen ertönte und der, mit Runko Angesprochene, näherte sich ihnen. Der jüngere Man zerrte den Jungen grob wieder auf die Füße und er sah, wie sich ihm der Mann mit den langen dunklen Haaren näherte.
Arlyn sah ihn angsterfüllt näher kommen. Sein Schlag hatte den Mann hart getroffen. Sein Gesicht war voller Blut welches ihm aus der Nase tropfte. Seine Augen waren zornig auf den Jungen mit den rotblonden Haaren gerichtet
Arlyn wand sich heftiger im Griff des Mannes, als er den wütenden Runko auf sich zukommen sah.
„Kleines Biest“, zischte Runko ihn an, betrachtete ihn wütend, wischte sich das Blut aus dem Gesicht und starrte beinahe hasserfüllt auf den ängstlichen Jungen. „Niemand verpasst mir einfach so einen Schlag. Das wirst du mir teuer bezahlen!“
Er trat dicht an ihn heran, griff nach Arlyns Hemd und riss den Leinenstoff grob mit beiden Händen auseinander, legte die blanke Brust des Jungen frei.
Arlyn keuchte entsetzt auf, wand sich noch heftig, aber der Mann hinter ihm ließ ihn nicht los, hielt seine gefesselten Arme nur umso fester umklammert.
„Lass das, Runko“, rief ihn der große Mann zurück, der nicht vom Pferd gestiegen war. „Dafür ist später Zeit. Laßt uns von hier verschwinden. Margon, du nimmst den Kleinen zu dir aufs Pferd.“
Als sich Runko nicht rührte und den rotblonden Jungen weiterhin wütend anstarrte, ritt der große Mann näher und setzte hinzu: „ Runko, du Trottel! Los vorwärts, lasst uns endlich von dieser Straße verschwinden. Engas, los auf die Pferde!“
Engas war der Man, der Arlyn festhielt. Er folgte dem Befehl sofort, stieß ihn auf den anderen Mann zu, den der große Anführer Margon genannt hatte. Dann trat er zu Runko, streckte seinen Arm nach ihm aus, als ob er ihm helfen wollte.
„Das geht vorbei!“, knurrte Runko, schlug den Arm weg, wandte sich ab und stieg wieder aufs Pferd.
Margon zerrte Arlyn mit sich,, hob ihn ohne Schwierigkeiten hoch auf sein Pferd. Der Junge war wie erstarrt, begriff nicht, was mit ihm geschah. Margon stieg direkt hinter Arlyn auf, umfasste seine Taille mit einem festen Griff. Als sich das Pferd in Bewegung setzte, kämpfte Arlyn bei der ihm ungewohnten Bewegung um sein Gleichgewicht, aber der starke Arm um seine Taille verhinderte, das er hinunter fiel.
Der Mann setzte das Pferd vom stoßenden Trab in den Galopp und folgte den Anderen die Straße hinunter.
Arlyn war so voller Angst, dass er nicht wagte, etwas zu sagen, geschweige denn zu fragen, was diese Männer von ihm wollten. Er kämpfte um sein Gleichgewicht, was ihn auch daran hinderte, sich gegen den festen Griff zu wehren. Sein zerrissenes Hemd flatterte um ihn her und die Bewegungen des Pferdes waren alles andere als sanft. Er wurde ziemlich durchgeschüttelt, klemmte immer wieder die Beine fest an den Sattel, um nicht hinab zu rutschen, spürte, wie der Stoff seiner Hose stellenweise seine Haut langsam auf rieb.
Mehrere Stunden waren sie so unterwegs und Arlyn spürte, dass er sich vor Erschöpfung und Muskelanspannung nicht mehr lange aufrecht halten können würde. Seine Beine fühlten sich schwer und wund an, alles tat ihm weh und er sackt immer wieder vornüber, wäre gefallen, wenn ihn Margon nicht wieder hochgerissen hätte.
Die vier Männer sprachen wenig. Engas erkundigte sich einmal nach Runko, der ihn grob anherrschte, seine Nase sei nicht gebrochen und hätte auch aufgehört zu bluten.
Als sie schon eine ganze Weile unterwegs waren, kam Runko neben sie geritten und sah grinsend zu Margon und dem Jungen hinüber.
„Na, Margon, du hast ja schon dein Vergnügen! Lass uns noch was zu tun, beim Einreiten des kleinen, blonden Wildpferdes“ lachte er grob, sah Arlyn dabei hämisch an. Der Junge wandte sofort den Kopf, wollte diesen Mann nicht ansehen, der ihm solche Angst machte.
„Runko, dass du nur immer an das eine denkst, wissen wir alle, vor allem wenn es sich um so ein schönes, schlankes und so wildes Fohlen handelt. Da tätschelt man gerne die Kruppe.“
Margon lachte zurück, zog gleichzeitig Arlyn dichter an sich heran, presste ihn kurz ganz eng an sich. „Fühlt sich sehr gut an. Oh ja!“
„Hört auf, da so rumzualbern“, brüllte der große Mann, den Arlyn für den Anführer hielt von hinten, „Ich will vor der Dunkelheit da sein!“
„Okay, okay“, beruhigte Margon den Anderen und Runko ließ sich noch immer grinsend wieder zurück fallen.
Sie kamen an eine Straßengabelung, bogen nach links ab. Arlyns Beine schmerzten von der ungewohnten Bewegung unter ihm immer mehr, sein Rücken tat ihm weh und die vielen Prellungen und Schürfwunden machten sich immer mehr bemerkbar. Und er hatte keine Magie sich zu heilen.
Schmerzhaft war er sich dessen bewusst, wie selbstverständlich die Magie für ihn geworden war. Sie war immer da, immer präsent, immer ein Teil von ihm, auch schon bevor Farjin ihn seinen Eltern abgekauft hatte. Er hatte die Magie in sich immer gespürt, auch wenn er damals nicht gewusst hatte, was es war.
Nun war sie nutzlos, unerreichbar und er in der Gewalt von vier fremden Männer. Was wollten sie nur von ihm? Warum hatten sie ihn gefangen?
Am späten Nachmittag waren sie wiederum auf einen schmalen Pfad abgebogen und erreichten irgendwann ein gedrungenes Holzhaus auf einer Lichtung mitten im Wald. Das Haus war recht groß, aus festen Holzstämmen gebaut und hatte einen Pferdepferch daneben.
Engas, der jüngste der vier, ein großer, schlanker Mann mit grünen Augen und krausem hellbraunem Haar, trat zu Margon heran, half Arlyn vom Pferd, als sie endlich vor dem Haus anhielten.
Leise seufzend glitt der Junge hinab. Seine Muskeln waren so erschöpft, das er nicht stehen konnte, sondern einfach vornüber auf den Boden fiel. Engas ergriff ihn, zog ihn wieder hoch, stützte den Jungen, der benommen schwankte.
„Runko, du kümmerst dich um die Pferde. Engas, bring den Kleinen hinten ins Zimmer. Margon, du kümmerst dich ums Feuer“, erteilte der große Mann seine Befehle.
Die anderen Männer gehorchten wortlos.
Arlyn war viel zu erschöpft und verängstigt, um jede Einzelheit wahrzunehmen. Dennoch warf er nun genauere Blicke auf die Männer, die ihn gefangen hatten. Der vierte Mann war sehr groß, breitschultrig mit ganz kurzen, dunklen Haaren, einem stoppeligem Bart, einem sehr harten Gesicht, mit scharfen Zügen und grauen Augen. Seine Nase war sehr schmal und er hatte ein starkes Kinn.
Margon war ein schmalerer Typ mit hellbraunen, langen Haaren, die aber schmutzig und ungepflegt wirkten, von einem Stirnband aus seinem Gesicht zurückgehalten wurden.
Der jüngste, Engas, hatte dunkle Haare, einen Schnurrbart und ebenfalls ein stoppeliges Kinn. Eine feine Narbe durchzog sein schmales Gesicht und gab ihm etwas verwegenes Aussehen, da die Narbe seinen Mund an einem Ende leicht anhob.
Er schob Arlyn vorwärts und stützte ihn gleichzeitig als dessen Kräfte ihn nun gänzlich zu verlassen drohten.
Der Mann schob ihn durch die Tür ins Haus, einen langen Gang hinunter. Am Ende öffnete er eine Tür, schob Arlyn hinein. Blinzelnd sah sich der blonde Junge in dem dämmerigen Raum um.
Es war ein schmaler Raum mit wenig Möbeln. Einem Tisch mit zwei Stühlen, ein Bett und ein vergittertes Fenster, durch welches die letzten Sonnenstrahlen herein fielen.
Engas stieß Arlyn Richtung Bett vorwärts, löste dann seine Handfesseln. Arlyn nahm die freien Arme erleichtert nach vorne und rieb sich mit den Händen darüber, um die angespannten Muskeln wieder zu lockern. Engas gab ihm noch einen Stoß, der ihn weiter vorwärts auf das Bett zu schob, drehte sich dann um und verließ wortlos den Raum, die Tür hinter sich zuziehend. Arlyn hörte deutlich, wie ein Riegel vorgelegt wurde.
Dann war er alleine.
Benommen wankte er aufs Bett zu. Sein Körper fühlte sich völlig zerschunden an, fast jeder Muskel tat ihm weh. Er hatte entsetzlichen Hunger und Durst, war verwirrt und verängstigt. Langsam ließ er sich auf die Bettkante nieder, massierte weiter seine tauben Arme. Dabei lauschte er auf die Geräusche die durch die Tür zu ihm drangen.
Die Männer gingen nicht leise durchs Haus, laute Stimmen riefen und antworteten, doch Arlyn vermochte nicht die Worte zu verstehen.
Vorsichtig sah er sich in dem Raum um. Er war ganz offensichtlich hier gefangen, das vergitterte Fenster machte ein Entkommen unmöglich.
Was geschah hier nur? Was wollten die Männer von ihm?
Diese Männer waren alle so grob und ungeschlacht, strahlten eine unmittelbare Bedrohung aus. Arlyn verstand einfach nicht, warum sie ihn gefangen hatten. Was konnten sie nur von ihm wollen?
Er ertappte sich dabei, dass er sich wünschte, er wäre noch in Farjins Burg. In der Wärme und in der Sicherheit, die diese ihm für die letzten fünf Jahre geboten hatte.
Schützend schlang er die Arme um sich.
Sein Zuhause, bis zu jenem schrecklichen Ereignis. Bis zu dem Moment, wo sein Meister ein so ganz anderes Gesicht von sich zeigte. Bis zu dem Moment, wo Arlyn ihn fürchten lernte.
Arlyn seufzte und Tränen glitzerten in seinen Augen, als er daran dachte, dass diese Sicherheit und Geborgenheit nie wieder da sein würde. Er würde Farjin nie wieder vertrauen können. Der Mann, der für ihn Lehrer und fast väterlicher Freund gewesen war, es gab ihn nicht mehr.
Rückwärts sank der Junge auf das Bett, drehte sich auf den Bauch, vergrub seinen Kopf in dem strohgefüllten Kissen und die Tränen rannen nun doch sein Gesicht hinunter. Er schluchzte leise, fühlte, wie dabei ein Teil der Angst von ihm abfiel, ihn nur noch völlig erschöpft und unendlich müde zurück ließ.
Arlyn schreckte aus dem leichten Schlaf hoch, in den er gefallen war, als er Geräusche hörte und die Tür geöffnet wurde.
Engas betrat den Raum, eine Laterne in der einen Hand balancierend, die den Raum in flackerndes Licht tauchte. Er sah kurz zu ihm hinüber und stellte dann einen Teller mit Brot, Käse und einen Krug auf den Tisch. Er sah Arlyn, der sich bei seinem Eintreten aufgerichtet hatte auffordernd an, wies mit einer Geste zum Tisch.
„Hier ist Essen für dich. Du siehst so aus, als ob du hungrig wärst.“
Ein breites Grinsen überflog sein Gesicht, hob die Narbe besonders hervor.
Arlyn stand rasch auf, blieb unentschlossen stehen, näherte sich dem Tisch dann aber doch langsam, den anderen Mann misstrauisch musternd. Aber der schien ihm derzeit nichts tun zu wollen, also nahm er an dem kleinen Holztisch Platz und zog sich den Teller heran.
Engas lächelte, nahm ihm gegenüber Platz und sah ihn dann sehr interessiert an.
„Du bist wirklich ungewöhnlich schön“, stellte er fest, das hübsche Gesicht vor sich nachdenklich musternd.
Hungrig achtete Arlyn nicht weiter auf ihn, nahm Brot und Käse, verschlang es gierig. In dem Krug war verwässertes Bier, aber er war so durstig, dass er es austrank, obwohl es ihm nicht schmeckte. Sein Magen knurrte laut. In großen Brocken schlang er das Brot hinab, verschluckte sich, hustete, stopfte sich den Rest aber sofort hinterher.
Engas lachte.
„Wie heißt du, Kleiner?“, fragte er ihn dann unvermittelt.
Arlyn schluckte rasch einen großen Bissen Käse hinab und sah ihn unsicher an, aber der Blick war offen, schien ehrlich interessiert zu sein.
„Arlyn“, antwortete er leise, wagte es nicht, Engas dabei direkt anzusehen.
Der fremde Mann lächelte ihn weiterhin an, so dass Arlyn nun doch den Blick hob. Langsam hob der die Hand. Die Geste wirkte nicht bedrohlich, deshalb blieb Arlyn sitzen, sah ihn nur mit ängstlichen Augen an.
Vorsichtig berührte Engas sein helles Haar, strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht.
„Ich habe noch nie solche Haare gesehen“, meinte der Mann bewundernd, berührte die Wange des Jungen sehr sanft. „So helle Haut.“
Er wirkte ganz in Gedanken versunken und Arlyn hielt still, sah ihn nur an, unsicher, was der Mann von ihm wollte. Niemand hatte ihm bislang so etwas gesagt. In der Burg war er zwar wegen seines ungewöhnlichen Erscheinungsbildes bei den anderen Schülern aufgefallen, aber eher hatten sie ihn deswegen gehänselt, weil er kleiner und zierlicher als sie war, lange nicht so alt aussah, wie sie. Aber nur ganz am Anfang. Immerhin war er der Meisterschüler und insgeheim fürchteten sie ihn, seine mächtige Magie. Natürlich fürchteten sie vor allem Farjin, unter dessen Schutz er gestanden hatte. Niemand hatte ihn jemals zuvor schön genannt.
Sichtlich mühsam riss sich Engas von dem Anblick des feinen, rotblonden Haares los, stand auf und deutete auf den Rest des Essens.
„Iss besser alle auf, du wirst deine Kraft noch brauchen“, sagte er, verzog seinen Mund dabei zu einem unechten Lächeln. Sein Lachen wirkte gezwungen und aufgesetzt, als er den Raum wieder verließ, die Tür hinter sich zuziehend.
Laute Stimmen drangen durch die offene Tür. Arlyn vernahm nur undeutlich Wortfetzen.
„Warum so viel? “, „...unser Vergnügen, versprochen...“, „... worauf warten“, „endlich wieder mal“, erreichten seine Ohren, doch nichts davon machte wirklich Sinn.
Mit dem Schließen der Tür, verschwanden auch die Stimmen, ließen den Jungen alleine in der spärlich erleuchteten Kammer zurück.
Im Licht der Petroleumlampe sah sich Arlyn in dem Raum genauer um, erkundete die Wände und das Fenster genauer.
Das Haus war aus massiven Holzstämmen gebaut und mit Lehm verfugt worden. Das einzige Fenster enthielt ein Metallgitter mit winzigen Öffnungen und war solide eingesetzt. Hier gab es kein Entkommen.
Das Bett nahm fast eine Seite des Raumes ein, der Tisch und die Stühle die andere, mehr gab es hier nicht, dies war offensichtlich kein Wohnraum.
Arlyn legte sich erneut aufs Bett, nahm die dünne Decke, hüllte sich darin ein und schloss müde die Augen. Die Anspannung fiel langsam von ihm ab, sein gefüllter Magen machte ihn zusätzlich schläfrig. Ängstlich und aufgewühlt wie er war, wollte der Schlaf dennoch nicht sofort kommen. Erst Stunden später schlief er schließlich doch ein.
Er erwachte erst wieder, als der Riegel der Tür geräuschvoll geöffnet wurde. Tageslicht schimmerte durch das vergitterte Fenster herein und beleuchtete den Raum ausreichend. Draußen hörte er den Chor aus Vogelstimmen und schloss daraus, dass es schon später Vormittag sein musste. Er hatte so tief und erschöpft geschlafen, dass er nicht wie sonst bereits mit dem ersten Tageslicht aufgestanden war. In der Burg waren sie immer sehr früh aufgestanden. Hatten gemeinsam gefrühstückt, bevor sie in dem großen, kalten Raum, in dem sie der Meister unterrichtete, ihre erste Tageslektion hatten.
Hastig warf Arlyn die Decke ab, als er begriff, wo er sich befand und schwang die Beine aus dem Bett. Die Tür wurde ganz aufgestoßen als Engas den Raum betrat. Wieder brachte er ihm Essen, Brot, Käse, etwas Obst und einen Krug Wasser. Zudem stellte er ihm wortlos einen Eimer hin, von dem Arlyn ausging, dass er dort hinein seine Notdurft erledigen konnte.
Der Mann lächelte ihn wieder an, als er auf das Essen deutete.
„Bist du gestern satt geworden?“, fragte er freundlich nach, nahm die Lampe hoch, die in der Nacht ausgegangen war.
Zögernd nickte Arlyn, unsicher, ob er dem Mann trauen konnte, der ihn gestern noch mit den Anderen gefangen genommen hatte. Wieder überflog Engas verzerrter Mund ein Lächeln.
„Ich habe dir einen Apfel mitgebracht. Ist zwar nur ein Winterapfel, aber die sind besonders süß? Du magst doch Äpfel?“, fragte er nach, nahm wieder am Tisch Platz und wartete bis Arlyn sich zu ihm gesetzt hatte, hungrig das Essen verschlang.
„Wo stammst du wohl her, Kleiner?“, fragte er ihn dann, den Blick wieder und wieder über die ungewöhnlich helle Haut schweifen lassend. „Keiner hier im Norden hat so helle Haut.“
Wieder streckte er die Hand vor, berührte Arlyn vorsichtig am Arm, der kurz weg zuckte, dann aber ihn gewähren ließ. Seine Berührung war so leicht, als ob er ihn nicht zerbrechen wollte.
„Von der Wilden Küste“, antwortete er leise.
Engas hatte recht, dachte Arlyn. Auch dort hatten die Menschen deutlich dunklere Haut, mit dunklen, meistens braunen Haaren. Vereinzelt gab es auch dunkelblonde, aber niemand mit seinen hellen, rötlich schimmernden Haaren. Aber an diese Zeit im Fischerdorf hatte er kaum noch Erinnerungen. Nur an Kälte, Hunger und Einsamkeit.
Wieder schien der Mann in seinen Anblick versunken zu sein und Arlyn wurde mutig genug, ihn fragend anzusehen. Seine Lippen zitterten, er leckte sich kurz über die Lippen, dann traute er sich.
„Was wollt ihr denn von mir, mein Herr?“, fragte er leise nach, ließ den Apfel, von dem er gerade abbeißen wollte, wieder sinken.
Engas schreckte regelrecht aus seinen Gedanken hoch, sah ihn überrascht, dann beinahe mitleidig an, antwortete aber nicht sofort.
„So schön, so zart“, sagte er seufzend, mehr zu sich selbst, ohne auf Arlyns Frage einzugehen, stand dann ruckartig auf und eilte aus dem Raum hinaus.
Arlyn blickte ihm verwundert hinterher, aber er kam nicht zurück.
Der Tag zog sich dahin. Arlyn konnte die Tageszeit nur anhand des Sonnenlichtes abschätzen, welches zu ihm herein drang. Im Haus hörte er vereinzelt Geräusche, konnte sie aber nicht zuordnen.
Irgendwann gegen Abend, als das Licht langsam abnahm, hörte er wieder laute Stimmen, die sich zu streiten schienen und dann Schritte, die sich seiner Tür näherten.
Rasch stand Arlyn vom Bett auf.
Nacheinander betraten Margon und Engas den Raum. Während letzterer ihm wieder ein freundliches, diesmal aber eher trauriges Lächeln zuwarf, musterte ihn Margon beinahe, wie ein interessantes Insekt.
„Komm her“, befahl er ihm, aber Arlyn wagte es nicht, sich ihm zu nähern, seine Körperhaltung machte ihm Angst. Sein Blick glitt fragend zu Engas, der ihm leicht zunickte. Seine Lippen zuckten, er schien etwas sagen zu wollen, schluckte dann aber alles hinunter, sah ihn nur weiterhin so traurig an.
„Na komm schon, oder soll ich dich holen?“, fragte Margon drohender, als sich Arlyn nicht bewegte.
Furcht stieg erneut in Arlyn hoch, als er den Mann ansah. Seine Gedanken wirbelten hin und her. Er wollte zurückweichen, vor ihm fliehen, aber wohin? Es gab keinen Ausweg aus dieser Kammer. Vielleicht sollte er diese Männer besser nicht ärgerlich machen? Sie waren so viel stärker als er. Er hatte Angst vor ihnen, davor, dass sie ihn womöglich schlagen würden, wenn er nicht gehorchte. Kurz flog sein Blick zu dem noch immer etwas verkrampft lächelnden Engas, dann trat er vorsichtig auf Margon zu.
„So ein braver Bursche“, lachte Margon, ergriff seinen Arm und schob ihn vor sich durch die Turm hinaus.
Arlyn wehrte sich nicht, ließ sich von ihm durch den Gang in einen anderen Raum schieben. Ein Feuer loderte im Kamin und er erkannte in dem hellen Raum Runko und den großen, furchteinflößenden Mann, den er für ihren Anführer hielt.
„Ah, da kommt ja unser schönes Wildpferd“, grinste Runko, als er ihn sah. Sein Blick glitt zufrieden über die schlanke Gestalt, blieb an seinem ängstlichen Gesicht hängen.
Arlyn schluckte hart. Dieser Mann blickte ihn so merkwürdig an. Er wusste nicht, was diese Blicke zu bedeuten hatten, aber Runko strahlte eine solche Aura von Gewalt aus, dass es ihm unter seiner Haut kribbelte und er die Magie in sich warnend pulsieren fühlte.
Margon stieß ihn vor den großen, breitschultrigen Mann mit den harten grauen Augen. Aus den Augenwinkeln nahm Arlyn wahr, dass Engas am Eingang des Raumes stehen blieb, die Arme vor der Brust kreuzte.
Der langhaarige Mann ließ ihn los, blieb aber hinter ihm stehen. Instinktiv wusste Arlyn, dass er keinen Fluchtversuch unternehmen sollte. Sein Blick wanderte zu den grauen Augen vor ihm und er fühlte sein Herz hart und heftig schlagen. Dieser Mann machte ihm Angst. Seine Augen schienen überhaupt kein Gefühl auszudrücken, waren kalt und wirkten beinahe wie tot.
Der Mann musterte ihn aufmerksam von Kopf bis Fuß, dann beugte er sich vor, öffnete ihm kurzerhand sein zerrissenes Hemd, welches Arlyn sich in Hose gestopft hatte, zog es mit einem kräftigen Ruck hinaus, legte so den schmalen Brustkorb frei.
Auf der anderen Tischseite grinste Runko herüber.
„Ist das da überhaupt männlich? Der hat da ja merkwürdige Haare. Vielleicht solltest du erstmal nachsehen, ob das nicht ein Mädchen ist? Dann wäre das Vergnügen ja sogar noch größer.“
Sein lautes Lachen wurde sofort von Margon erwidert, verursachte bei Arlyn eine Gänsehaut. Er spürte, wie er leicht anfing zu zittern.
„Sein Gesicht sieht männlich aus“, brummte der Mann mit den grauen Augen, dann ergriff er Arlyn grob an der Schulter, zog ihn zu sich heran und griff hart und fest in seine Haare, bog seinen Kopf zurück.
Arlyn unterdrückte einen Schmerzlaut, war viel zu überrascht, um sich zu wehren. Angst durchflutete ihn, wie eisige Kälte. Was wollten diese Männer nur von ihm?
„Wie wäre es, wenn du uns erstmal mehr von dir zeigst, kleines Pferdchen?“, sagte er grinsend, stieß ihn dann zurück gegen Margon, der ihn kurz auffing und wieder spielerisch von sich stieß. Erschrocken wandte sich Arlyn um, wusste nicht, wo er sich hinwenden sollte.
Rasch wirbelte er herum, wollte zum Ausgang rennen, da vertrat ihm Engas den Weg. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, aber Arlyn wusste sofort, dass er ihn nicht fliehen lassen würde.
Er wich vor ihm zurück, sah voll Furcht, wie sich der Mann mit den grauen Augen erhob, gemeinsam mit einem hämisch grinsenden Margon auf ihn zu kam.
„Du kannst hier doch nicht einfach so weg“, sagte er mit Spott in der Stimme. „Nicht bevor du uns ein bisschen Freude gemacht hast.“
Auch Runko war aufgestanden, kam nun auch zu ihnen und sie traten gemeinsam auf Arlyn zu. Der spannte sich an, stand unsicher vor ihnen. Hinter sich hörte er, wie Engas die Tür schloss. Er war in der Falle. Hinter ihm war Engas und die anderen Männer umkreisten ihn jetzt langsam, wortlos, starrten ihn neugierig an, was ihm weitere Angst machte, auch wenn Arlyn nicht wusste,w das ihr Ausdruck zu bedeuten hatte.
Er schluckte schwer, fühlte sein Herz sehr schnell und hart schlagen. Er spannte jeden Muskel fluchtbereit an und instinktiv auch seine, nutzlose, Magie.
Was sollte er nur tun? Was wollten sie von ihm? Diese Blicke, mit denen sie ihn ansahen, was hatten sie nur zu bedeuten?
Runko begann links herum ihn zu umkreisen. Arlyn folgte ihm mit den Blicken, starr vor Furcht. Der Mann umrundete ihn, wieder und wieder, dann streckte er seine Hand nach ihm aus, berührte ihn leicht an der Schulter. Sofort schlug Arlyn erschrocken seine Hand weg, aber nun begann auch Margon ihn zu umkreisen, umzingelte ihn von der anderen Seite, so dass sich er sich im Kreis mit ihnen drehte, bemüht, sie im Auge zu behalten. Sein Herz schlug jetzt so schnell, dass er das Gefühl hatte, an dem harten Puls zu ersticken, der weit oben in seiner Kehle zu fühlen war.
Die Männer lachen sich gegenseitig zu, grinsten sich an, schienen ihren Spaß an seiner Angst und seinen abwehrenden Bewegungen zu haben. Während sie ihn wie ein Beutetier umkreisten, streckten sie immer wieder ihre Hände nach ihm aus, um ihn zu berühren, ihn mal sanft, mal heftiger anzustoßen.
Arlyn schlug nach ihren Händen, schlug sie immer wieder weg, wich ihren Berührungen aus, doch sie kamen immer näher, berührten seine Schultern, seinen Rücken, sein Gesicht, stießen ihn sich gegenseitig zu. Er drehte sich hilflos um sich selbst, bemüht die Männer alle im Blick zu behalten, sie auf Abstand zu halten.
Plötzlich riss ihm Runko von hinten mit einem Ruck sein offenes Hemd ganz herunter. Arlyn fuhr herum, bereit nach ihm zu schlagen, doch er sprang lachend zurück, schleuderte das Hemd triumphierend davon. Sie spielten mit ihm, erkannte Arlyn. Wie mit einem wilden Tier.
Arlyns Gedanken rasten, kalter Schweiß brach ihm aus, der Atem ging heftig. Blitzschnell drehte er sich um, als ihn Margons Hand über den Rücken fuhr, nach seiner Hose griff, doch Runko trat in dem Augenblick wieder von hinten an ihn heran, griff nach seinem Arm. Erneut warf sich Arlyn herum, wand sich aus dem Griff des Mannes, doch Margon war nun wieder hinter ihm, ergriff seinen anderen Arm.
Die anderen beiden Männer johlten, als er sich heftig hin und her warf, versuchte, sich aus dem harten Griff zu befreien.
Runko umklammerte derweil seine Schulter, fuhr mit der Hand über seinen Rücken. Noch wilder kämpfte Arlyn gegen den Griff Margons gegen an, versuchte gleichzeitig, Runkos Hand weg zu schlagen. Verzweifelt wand er sich in ihrem Griff, versuchte beide im Blick zu behalten. Kurz glitt sein Blick zu Engas, der ebenfalls herangekommen war, ihn aber nahezu ebenso interessiert ansah. In seinem Gesicht war nichts von der Freundlichkeit zu sehen, mit der er ihn zuvor angelächelt hatte.
Eine unbekannte Gier stand in seinen, wie in den Augen der anderen Männer, ließ Arlyn eiskalte Schauer über den Rücken rinnen.
Er keuchte erschrocken auf, als ihn Margon mit einem heftigen Ruck nach vorne riss, der ihn von den Füßen brachte, haltlos auf den Mann mit dem Stirnband zustürzen ließ. Er stürzte beinahe zu Boden, aber Margon umklammerte weiterhin seinen Arm, zog ihn wieder hoch, ergriff nun auch nach dem anderen Arm , zog beide hoch über seinen Kopf und rückwärts, so dass er in eine aufrechte Haltung, mit durchgebogenem Rücken gezwungen wurde.
Lachend ließ er ihn so zappeln und die anderen Männer stimmten in sein Lachen ein.
„Hast du unser Wildpferd gefangen?“, grinste Runko, stieß Margon an, trat dann vor Arlyn, musterte seinen nackten Oberkörper. Seine Hände glitten über die weiche Haut und entlockten Arlyn ein erneutes Aufkeuchen.
„Wollen wir doch mal sehen, was unsere Beute uns so alles bieten kann“, grinste er dabei, ließ seine Hände tiefer gleiten, beugte sich vor und löste die Verschnürung seiner Hose.
Wieder keuchte Arlyn erschrocken auf, als ihm der Mann die Hose mit einem kräftigen Ruck hinabzog.
Arlyn wand sich in dem Griff, spürte, wie einer der anderen Männer nach seinen Beinen griff , seine einfachen Lederschuhe abstreifte und mit einem weiteren Lachen, unter dem Johlen der anderen Männer, ihm seine Hose ganz auszog. Er war nackt!
Margons Griff verstärkte sich, als sich Arlyn keuchend heftig wand und vor Schreck aufstöhnte, als er so völlig entblößt vor den Männern stand. Er versuchte nach dem Mann hinter ihm zu treten.
Margon gab ein grunzendes Geräusch von sich, hielt seine Arme aber weiterhin fest über seinem Kopf.
Arlyn warf sich erneut heftig hin und her um den Männer zu entkommen. Er fühlte seine Blöße überdeutlich und dann schrie er erschrocken auf vor Angst, als er plötzlich Runkos Hände wieder auf sich spürte.
Raue, schwielige Haut berührte ihn und er sah entsetzt an sich hinab.
Der Mann strich ihm erkundend über die Beine, seine Hände wanderten höher, strichen an der Innenseite der Oberschenkel zu seinem Schritt, fuhren durch seine ungewöhnlich hellen Schamhaare , wanderten weiter erkundend über seinen Oberkörper. Arlyns Brust hob und senkte sich in der hektischen Atmung.
Margon beteiligte sich an den forschenden Berührungen der ungewöhnlich hellen Haut.
Beide Männer strichen mit ihren Händen tastend über den ungewöhnlichen Körper ihres Gefangenen, berührten ihn überall, als ob sie sich vergewissern wollte, dass er wirklich echt war.
„Habe noch nie solche Haut gesehen. Sie schimmert beinahe,“ bemerkte Margon bewundernd, „Fühlt sich merkwürdig weich an!“
Runko lachte bellend auf , kniff daraufhin in den Oberschenkel, was bei Arlyn einen erschrockenen Aufschrei auslöste.
„Der hat ja nicht mal normale Haare, da wo welche sein sollen“, lachte er und strich dabei durch Arlyns Schamhaare. „Sind ebenso hell, wie sein anderes Haar. Was ist das für einer?“
Die Anderen lachten grölend auf und Runko fasste einmal fester in die Haare, zog daran, ließ sie aber sofort johlend wieder los, als Arlyn einen Schmerzlaut von sich gab.
Arlyn wand sich immer heftiger, versuchte diesen unangenehmenBerührungen zu entkommen. Seine Haut fühlte sich heiß an, jede Berührung der Hände auf ihm brannte, schien eine Spur aus Dreck auf ihm zu hinterlassen. Nie zuvor hatte man ihn so berührt, abgetastet, erkundet. Wie ein merkwürdiges Lebewesen sahen sie ihn an, nicht wie einen Menschen.
Er fühlte sich völlig entblößt, nicht nur körperlich, sondern ganz und gar ihnen ausgeliefert, wehrlos. Er hatte das Gefühl, vor Scham zu vergehen, wie die Männer ihn anfassten. Instinktiv wusste er, dass diese Berührungen so nicht sein sollten, dass man einen anderen Menschen nicht so anfassen sollte, aber er konnte sich nicht dagegen wehren.
„Nein!“ stieß er schließlich zutiefst entsetzt hervor, versuchte wieder nach Runko zu treten, doch der wich lachend aus, trat kurz von ihm zurück.
Der große Mann mit den grauen Augen beobachtete die anderen Männer, hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und sah nur amüsiert zu.
„Unser kleines Wildpferd tritt. Da muss man wohl vorsichtig sein, wenn man sich von hinten nähert.“
Erneut quittierten die Anderen seine Worte mit lautem Gelächter.
Arlyn fühlte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Er konnte sich ihren ständigen Berührungen nicht entziehen, sie machten ihm solche Angst. Hilfeflehend glitt sein Blick umher, blieb kurz an der Gestalt auf dem Stuhl hängen.
Der große, dunkle Mann saß entspannt und lässig neben ihnen, sah belustigt, mit einem fast gierigen Ausdruck in den Augen auf seinen Körper mit der hellen, kupfern schimmernden Haut.
Runkos Hände kreisten weiterhin über den Körper, glitten hinab zu seinen Schenkeln.
Arlyn stieß erneut ein entsetztes: „Nein!“ hervor, als sich die Hände seinem Unterleib näherten, zog kurz die Beine an, den festen Griff Margons ausnutzend, trat nach dem Mann vor ihm und stieß ihn tatsächlich zu Boden.
Runko kippte mit einem erschrockenen Laut hintenüber und Margon ließ Arlyn überrascht los, der zu Boden fiel, sich rasch herum rollte und aufspringen wollte.
Eine schwere, harte Hand packte ihn augenblicklich grausam fest im Nacken. Er keuchte erschrocken und schmerzvoll auf, da wurde er auch schon grob hoch gezerrt. Der große, dunkle Mann hatte ihn im Nacken gepackt, wie einen Welpen und zog ihn von den Füßen. Für einen Moment verlor Arlyn den Kontakt zum Boden, dann zappelte er in dem harten Griff, fühlte, wie er wieder abgesetzt wurde. Unter seinen nackten Füßen war Holz, kein Lehmboden mehr.
Rasch sah er hinab. Der Mann hatte ihn auf den Tisch gestellt, musterte ihn nun von halb unten amüsiert. Suchend sah Arlyn sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, aber die anderen Männer traten schon wieder grinsend näher, umrundeten den Tisch, so dass er sich unversehens wieder im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit befand. Es gab einfach keine Fluchtmöglichkeit. Er war in eine Falle geraten, aus der es kein Entkommen gab. Diese Männer hatten ihn gefangen und spielten ein Spiel mit ihm, welches er nicht kannte, nicht verstand.
„Beweg dich mal ein wenig, Pferdchen“, grinste der Mann, der Arlyn auf den Tisch gehoben hatte. „Zeig uns mal ein bisschen mehr von dir.“
Erneut lachten die Männer.
Verzweifelt sah sich Arlyn um. Er konnte nicht entkommen, war ihren Blicken hier oben erst recht schonungslos ausgesetzt. Beschämt schlug er seine Hände nun vor die Körpermitte, was bei den Männer wieder ein grölendes Lachen auslöste.
„Das ist auch ein Teil von dir, den wir sehen wollen, Wildpferd“, lachte Margon, griff nach ihm, der sofort erschrocken zurück sprang. Aber hinter ihm stand Runko, kniff ihm lachend in den Hintern und schlug sich vor Freude auf den Schenkel, als Arlyn wieder vor sprang, seine Hände abwehrend gegen ihn erhob.
„Es bewegt sich schon. Es hüpft und springt wie ein Fohlen“, lachte Runko laut auf. Die Männer schienen sich auf Arlyns Kosten gut zu amüsieren.
„So ist es besser“, grunzte Margon zufrieden, den Blick jetzt wieder auf Arlyns Genitalien gerichtet. Bevor der sich die Hände wieder schamhaft davor halten konnte, packte ihn der große, dunkle Mann fest an den Knöcheln. Arlyns Fluchtversuch aus seinem Griff endete damit, dass er hintenüber kippte, wo ihn Engas auffing. Ehe er sich versah, lag er auf dem Rücken auf dem Tisch und die Männer beugten sich über ihn, musterten ihn hämisch ihre Hände begannen wieder seinen Körper zu erkunden, glitten zwischen seine Beine, berührten ihn im Gesicht, an der Brust, zwischen den Schenkeln. Er wand sich hin und her, begann entsetzt zu schreien, was den Männer nur weiteres Lachen entlockte. Sie hatten Spaß an ihrer Beute mit der sie spielten, wie die Katze mit einer Maus.
Gehetzt flog Arlyns Blick von einem Gesicht zum anderen. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, gleichzeitig war ihm heiß. Sein Atem ging keuchend. Er hatte das Gefühl, ohnmächtig werden zu müssen, so schnell schlug sein Herz, so rasselnd ging sein Atem. Aber es gab kein Entkommen vor ihnen. Er blieb ihren Blicken, ihren widerlich tastenden Händen ausgesetzt.
Der dunkle große Mann stand nur beobachtend an der Seite, unwillkürlich glitt Arlyns Blick hilfeflehend zu ihm, doch in seinem Blick war kein Mitleid, für sie war er nur ein exotisches Tier, ein Objekt.
„Aber es ist eindeutig männlich“, stellte Runko fest, beinahe verächtlich auf den keuchenden Arlyn hinab blickend, sein Hand unterstrich seine Bemerkung. Arlyn keuchte entsetzt auf.
Augenblicklich stimmten die anderen Männer in Runkos raues Gelächter ein.
Margon und Engas lösten den Griff und Arlyn lag keuchend, außer Atem auf dem Tisch. Er rollte sich zur Seite, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, wo Scham, Ekel, Erschöpfung und Furcht in ihm um die Vorherrschaft kämpften.
Arlyn sah eine Bewegung aus dem Augenwinkel, als der dunkle Mann vortrat, Engas grob zur Seite stieß und sich vor ihn stellte.
„Schön, schlank, beweglich wie ein Mädchen, aber eindeutig nur ein Bursche“, sagte er missbilligend.
Er schüttelte fast bedauernd den Kopf, dann breitete sich ein so grausames Lächeln in seinem Gesicht aus, das Arlyn unwillkürlich zurückwich.
„Aber man nimmt ja, was man kriegen kann“, bemerkte er. „Wenn es sich einem schon so anbietet.“
Die anderen lachten, nur Engas zog sich zurück, sah betroffen aus.
Arlyn war unfähig sich zu bewegen, gelähmt vor Furcht ihr sah er aus riesigen, angsterfüllten Augen zu dem dunklen Mann auf. Er sah, wie dieser dichter herantrat, vernahm das Johlen der anderen Männer, ihre anfeuernden Rufe.
Der Mann band seinen Blick auf eine merkwürdige Art, sah ihn direkt an und Arlyn war unfähig seinen Blick von den fast hypnotischen grauen Augen zu lösen.
Arlyn war wie erstarrt vor Entsetzen was ihm geschah und vermochte nicht, sich aus der fast magischen Starre zu lösen. Die Panik beim Anblick des Mannes erfüllte ihn nun völlig. Er fühlte, wie der Mann mit seiner rauen Hand über seinen Bauch glitt, fühlte wie er seine Hände an seine Hüften legte und ihn zu sich heranzog. Erwartungsvolle Stille breite sich in dem Raum aus, in der Arlyn sein Herz schmerzhaft laut schlagen hörte.
Kälte durchzog ihn, die Angst raubte ihm fast den Atem, sein Herz schlug so schnell, das es einfach bersten musste. Die Magie vibrierte kurz unter der Oberfläche seiner Haut, schickte Hitzewellen durch ihn. Dann verspürte Arlyn Schmerzen. Er schrie auf, aber sogleich versank alles in schützende Dunkelheit. Seine Magie schützte sein Inneres, baute blitzschnell einen wirksamen Schutz um ihn auf, schloss alles aus, was seine Seele zerbrechen würde und so nahm er nur am Rande war, was der Mann ihm antat. Er wehrte sich heftig, aber er war viel zu schwach.
Irgendwann verließ ihn die Kraft sich weiter zu wehren, der Schmerz ertränkte sein ganzes Denken.
Seine Bewegungen wurden langsamer bis er schließlich wie betäubt vor Angst und gefangen in dem an- und abschwellenden Schmerz still lag, es einfach über sich ergehen ließ.
Alle Kraft schien aus ihm gewichen zu sein. Seine Lungen hatten keine Luft mehr zum Schreien.
Der Schmerz war so unvorstellbar, schien immer weiter aufzuflammen, sich weiter zu steigern, ihn innerlich zu zerreißen.
Er floh vor den alles bestimmenden Schmerzen, zog sich in sich zurück, kapselte sich von dem Schmerz ab. Seine innen eingeschlossene Magie half ihm nun. Er umschloss sein Innersten mit ihr, schloss den Schmerz, den Ekel aus und flüchtete sich nach und nach in diese kleine Enklave in ihm.
Er überließ seinen Körper sich selbst. Arlyn nahm es nicht mehr war. Er schrie nicht mehr, er lag nur wie leblos da, trieb auf dem Schmerz davon.
Alles verschwamm, wurde unwirklich, als ob dass, was ihm passierte nicht er wäre, nicht sein Körper. Es schien Stunden zu dauern.
Sein Blick richtete sich auf einen Punkt an der Decke, die Tränen strömten unmerklich über sein Gesicht, doch er nahm nichts mehr wirklich war, wartete nur auf das Ende und als sie endlich, endlich von ihm abließen , lag er einfach da, ausgestreckt auf dem Rücken auf dem Tisch.
Engas hob ihn schließlich hoch, schleppte ihn zurück in die Kammer, legte ihn auf das Bett, wo er reglos liegen blieb. Engas Blick glitt bedauernd über ihn, der mit offenen Augen da lag, aber nichts mehr wahrzunehmen schien. Er seufzte bedauernd auf, ging dann hinaus und verschloss die Tür.
Arlyn blieb alleine zurück.
Kalt und beschmutzt.
Der Schmerz wogte heiß außerhalb der Mauern seiner Enklave. Die Magie verhinderte, dass er ins Innere gelangte, aber wie eine wütende Armee brandete er immer und immer wieder voller Wucht an die Wände, versuchte sie zum Einsturz zu bringen und nach und nach bröckelte Arlyns Schutz.
Langsam, aber sicher wurde er sich der Schmerzen wieder bewusst.
Sein Unterleib schmerzte entsetzlich, alles war wund. Der Schmerz pumpte durch seine Eingeweide, verursachte Übelkeit. Aber der Schmerz war es auch, der ihm zeigte, das er noch lebte. Nur langsam, widerwillig, fand er wieder in seinen geschunden Körper zurück und damit wieder zu diesem furchtbaren Schmerz. Sein Unterleib schien noch immer in Erinnerung an das Erlittene in Flammen zu stehen, auch wenn die innere Magie ihn bereits zu heilen begann, aber so langsam, so unendlich langsam.
Nie zuvor hatte er so etwas gefühlt. Arlyn blinzelte, bemüht die Augen wieder an das Dämmerlicht in der Kammer zu gewöhnen. Seine Wangen fühlten sich merkwürdig an.Die Tränen waren längst zu salzigen Rinnsalen getrocknet und darunter spannte sich die Haut. Er hatte keine Tränen mehr, um sich von dem Ekel und der Scham zu lösen, die ihn nun wie eine Welle überschwemmten.
Schutzlos überrollten ihn die Emotionen.
Langsam, ganz langsam zog Arlyn seine Beine an sich, rollte sich auf die Seite, fiel dabei vom Bett und blieb auf dem Lehmboden einfach liegen.
Die Erinnerungen an das, was die Männer ihm angetan hatten, brandeten wie eine meterhohe, gischtende Welle heran, überschwemmten ihn in vollster Wucht mit Bildern, Empfindungen, Gerüchen, Geräuschen.
Hilflos krümmte er sich zusammen, erbrach sich würgend neben das Bett. Er hustete, röchelte, spuckte und versuchte verzweifelt den entsetzlichen Geschmack in seinem Mund los zu werden. Ebenso wie das Gefühl unendlich schmutzig zu sein. Ihre Spuren waren überall in und auf ihm.
Er umfasste seine Beine mit seinen Armen, zog sie ganz dicht zu sich heran, rollte sich so klein zusammen, wie er irgend konnte, den Kopf in seinen Armen verborgen, unfähig noch mehr zu weinen, bemüht den wütenden Schmerz in seinen Eingeweiden in sich zu binden, das Gefühl von Ekel zu kontrollieren, welches ihn wieder und wieder in der Kehle würgte.
Irgendwann brachte ihm Engas etwas zu Essen.
Arlyn lag noch immer auf dem Boden zusammengerollt da, als der Riegel wieder weg geschoben wurde und der Mann mit der Narbe die Tür öffnete. Er zögerte kurz, als er den Jungen so zusammengerollt liegen sah, dann trat er rasch an den Tisch heran, stellte die Lampe, den Teller und den Krug ab. Fluchend sah er, dass sich er sich erbrochen hatte.
Er trat auf ihn zu, dachte für einen kurzen Augenblick, der Kleine wäre tot, weil er sich nicht rührte, doch als er seine Hand nach ihm ausstreckte, wich Arlyn rasch entsetzt wimmernd vor ihm zurück. Seine Augen waren weit aufgerissen, rot vom Weinen und Engas sah ihn Sekundenbruchteile sehr sonderbar an.
Arlyn spannte sich an, um sich erneut gegen Berührungen zu wehren, Bilder flackerten durch seinen Geist und er schob sich wimmernd noch weiter von dem Mann zurück, bis er gegen das Bett stieß.
Doch der andere Mann drehte sich nur abrupt um, zog den Eimer aus einer Ecke des Raumes, riss von der Decke auf dem Bett Streifen ab um das Erbrochene aufzunehmen. Er fluchte wieder vor sich hin, verließ die Kammer wieder ohne Arlyn noch einen Blick zuzuwerfen.
Erleichtert hörte er die Tür zufallen und wie der Riegel vorgeschoben wurde.
.
Arlyn verspürte keinen Hunger, sein Magen schien sich immer noch schmerzhaft zusammen zu ziehen, zu groß war das Gefühl von Ekel. Mühsam rappelte er sich hoch, keuchte vor Schmerz erneut auf. Zusammengekrümmt, sich den Unterleib haltend, zog er sich an den Tisch heran, griff nach dem Krug. Seine Bewegungen wurden schneller, als er das Wasser sah, viel zu wenig um den Schmutz und Schmerz abzuwaschen, aber er fühlte den Zwang genau das jetzt zu tun, den Gestank und die klebrigen Spuren an sich abzuwaschen.
Mit einer Hand schöpfte er hektisch das Wasser auf seinen Körper, rieb es sich über seine nackte Haut. Natürlich reinigte es nicht, aber es war wie eine Geste, wie ein Zauber, um seine aufgewühlten Gefühle zu beruhigen. Er hörte erst auf, als alles Wasser bis auf den letzten Tropfen verbraucht war.
Tief einatmend, sank er zurück und sah sich dann suchend nach seiner Hose und seinem Hemd um. Er verspürte das dringende Bedürfnis sich zu bedecken. Aber seine Kleidung war nicht hier. Rasch zerrte er die Reste der Decke von seinem Bett, schlang sie um sich. Erst dann erhob er sich, setzte sich auf die Bettkante und schloss gequält die Augen, doch die Szenen des gerade Erlebten durchfluteten seine Gedanken immer und immer wieder. Quälten ihn mit ihren unendlichen Wiederholungen.
Warum? Warum hatten sie ihm das angetan?
Arlyn hatte nicht gewusst, dass so etwas überhaupt möglich war. Nie zuvor hatte er davon gehört.
Ekel vor sich selbst überkam ihn und er schlang beide Arme fest um seinen Körper. Stundenlang saß er so da, starrte in die Dunkelheit, furchtsam auf jedes Geräusch achtend.
Im Haus war alles still und keine weiteren Geräusche zu hören, nur die nächtlichen Geräusche, vereinzelte Eulenrufe, drang von draußen zu ihm herein. Die Lampe brannte herunter, aber Arlyn achtete nicht drauf, war gefangen in seinen Erinnerungen. Langsam, ganz langsam, ließ der Schmerz in seinem Inneren nach und irgendwann legte er sich auf das Bett, zog die Beine eng an sich und lag dann zusammengerollt, die Arme weiterhin fest um sich geschlungen. So schlief er endlich ein, gefangen in unruhigen Träumen, aus denen er mehr als einmal schreiend erwachte und zitternd in der Dunkelheit lag, versuchte imaginäre Hände von sich zu schlagen.
Er erwachte, weil er Stimmen hörte und wusste, dass die Männer wach waren, sich irgendwo im Haus bewegten. Von Draußen drang wieder Tageslicht herein und fröhliche Vogelstimmen verspotteten ihn in seinem Gefängnis.
Ein polterndes Geräusch erklang im Haus. Sofort beschleunigte sich Arlyns Puls. Zitternd setzte er sich auf, zog die Beine eng an sich, starrte angstvoll zur Tür.
Er fürchtete den Moment wo seine Peiniger wiederkommen würden, jedes Geräusch im Haus ließ ihn zusammen zucken. Erleichterung durchflutete ihn, wenn nicht geschah, aber ihm war sehr klar, dass sie wirklich wieder kommen würden, egal, wie sehr er sich wünschte, sie würden ihn einfach vergessen.
Suchend glitt sein Blick durch den Raum. Er konnte ihnen nicht entkommen, aber das nächste Mal würden sie ihn nicht so überraschen. Er würde sie kein zweites Mal so dicht an sich heran lassen, schwor er sich.
Verzweifelt blickte er sich in dem Zimmer um, versuchte etwas zu finden, was er als Waffe benutzen könnte. Dann fiel sein Blick auf die Stühle.
Entschlossen ergriff er einen davon, zögerte kurz, schlug ihn dann kraftvoll, ohne viel weiter darüber nachzudenken, an der Wand entzwei. Hastig suchte er ein passendes Bruchstück, welches er als Waffe verwenden konnte, wog den vierkantigen Holzstab in der Hand. Versuchsweise bewegte ihn Arlyn durch die Luft, fühlte etwas Zuversicht in ihm aufsteigen. Dieses Mal war er nicht mehr wehrlos.
Die Männer mussten das Geräusch des zerbrechenden Stuhls natürlich gehört haben, dessen war sich er sich sicher. Sie würden gleich kommen. Er musste einfach sehr schnell und entschlossen handeln.
Wenn seine Magie tief und nutzlos in ihm eingeschlossen war, würde er sich eben anders wehren müssen.
Noch einmal würden sie ihm nicht solche Schmerzen bereiten.
Arlyn biss sich nervös in die Unterlippe, kaute auf seiner Wange, als sich zunächst nichts rührte. Er lauschte auf das sanfte Vibrieren seiner gefangenen Magie. Fast hatte er das Gefühl, einen Teil der Magie in den Holzstab fließen zu lassen. Sie würden ihm nicht wieder so weh tun. Nie wieder.
Stimmen wurden lauter, näherten sich der Tür.
Rasch trat Arlyn ans Bett heran, setzte sich an die Kante, den Holzstab neben sich gelegt, so dass man ihn vom Eingang her nicht sehen konnte, lauschte dann mit heftig schlagendem Herzen den Stimmen. Kurz danach vernahm er beinahe überdeutlich das Geräusch des Riegels.
Kurz machte sein Herz einen schmerzhaften Schlag, dann fühlte er eine ruhige Spannung in ihm aufsteigen. Entschlossen umklammerte er den Holzstab neben sich. Er würde einfach sehr, sehr schnell sein müssen, sie überraschen und dann durch die offene Tür fliehen.
Die Tür öffnete sich, Runko trat herein, gefolgt von Margon. Sie sahen sofort den zerbrochenen Stuhl. Ihr Blick glitt zu ihm hinüber, der auf dem Bett saß und sie angespannt ansah.
Margon verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen.
„Was soll das denn werden, Kleiner?“, fragte er amüsiert und Runko fiel ein: „Hast du versucht, das Fenster einzuschlagen, Dummkopf? Aber von hier gibt es kein Entkommen für dich.“
Er lachte, als sein Blick über Arlyn glitt.
„Wir werden noch viel Freude aneinander haben“, versprach er lächelnd, trat um den Tisch herum auf ihn zu. „Gerade siehst du so aus, als ob du auch wieder etwas Spaß haben möchtest.“
Er war sich seiner bedrohlichen Wirkung voll bewusst, als er sich Arlyn näherte, sich dabei mit der rechten Hand über seinen Schritt rieb.
Viel zu sicher, denn Arlyn sprang urplötzlich auf, wirbelte in einer unglaublich schnellen Bewegung seinen Holzstock durch die Luft. Runko grunzte überrascht auf, war viel zu verblüfft dem Schlag auszuweichen. Der Stab traf ihn mit vollster Wucht ins Gesicht. Es gab ein lautes, knackendes Geräusch und der schwere Mann fiel aufschreiend zu Boden.
Margon starrte verblüfft auf seinen Kumpan, der wie gefällt seitwärts umkippte, sich stöhnend das Gesicht hielt, aber noch während er starrte, hatte Arlyn die Distanz zu ihm überwunden. Instinktiv konnte der Mann gerade noch die Arme hoch nehmen, blockte so den Schlag gegen seinen Kopf etwas ab.
Der Holzstock traf ihn mit Wucht gegen die schützenden Arme, ließ ihn vor Schmerz und Überraschung aufkeuchen.
Arlyn sprang blitzschnell zurück, holte wieder mit dem Holzstock aus, zielte nun auf seine Beine. Margon sah die Bewegung kommen, wich zurück und entging so dem Hieb. Sofort balancierte er sich wieder aus, zögerte nur kurz, bevor er erneut, ebenso schnell angriff.
Margon war völlig überrumpelt, als ihn Arlyn mit mehren Schlägen tatsächlich zurück trieb. Laut brüllte er auf, als ihn der Stock erneut traf und ein heißer Schmerz durch seine Schulter schoss.
Er hörte, wie die anderen zwei Männer herein gestürmt kamen.
Arlyn griff sie ohne zu zögern sofort an. Runko lag noch immer am Boden, stöhnte fortwährend, hielt sich den Kopf. Blut floss auf den Boden.
Arlyn hieb mit aller Kraft nach dem großen Mann, versuchte ihn ebenso am Kopf zu treffen, wie es ihm bei Runko gelungen war, doch dieser Mann war schneller.
Er duckte sich geschickt unter Arlyns Hieb weg, sprang gleichzeitig vor auf ihn zu, so dass er gezwungen war, zurück zu weichen. Nur kurz zögerte Arlyn, dann holte er wieder aus, zielte dieses Mal aber auf die Beine des Mannes, hoffte ihn so zu Fall zu bringen, doch wieder war der Andere zu schnell, wich aus. Der Schwung trug Arlyn dabei zu dicht an den großen Mann heran, dem es so gelang, seinen Arm zu umklammern mit dem er den Holzstock hielt. Er drückte sofort zu. Sein Griff war hart und schmerzhaft. Arlyn stöhnte auf, versuchte aber verzweifelt erneut zum Schlag auszuholen, gleichzeitig trat er mit aller Wucht nach dem Mann, der ihn festhielt.
Er traf ihn am Oberschenkel, kurz löste sich der harte Griff, als der Mann überrascht aufstöhnte, nach seinem schmerzenden Oberschenkel griff. Sofort sprang Arlyn wieder zurück, holte erneut mit dem Stock aus.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich Margon ihm nun von der Seite näherte, änderte die Richtung seines Schlages. Doch auch Margon war nun vorgewarnt und Arlyn erkannte rasch, dass diese Männer zu kämpfen wussten.
Nun, da sie ihn als Gegner ernst nahmen, änderten sie ihre Taktik. Sie wichen nun mühelos seinen Attacken aus, näherten sich ihm beide aus unterschiedlichen Richtungen. Direkt hinter ihnen stand auch Engas, bereit, ihn ebenfalls zu ergreifen. Aber er schien zunächst abwarten zu wollen.
Margon gelang es, Arlyns Deckung zu durchbrechen. Er versetzte ihm einen Stoß, der ihn vorwärts auf den großen Mann zutaumeln ließ.
Noch in der Bewegung stieß Arlyn mit dem Holzstab nach vorne in Richtung des Gesichts des Anderen, traf den Mann hart am Kinn. Der wandte den Kopf mit schmerzverzerrten Gesicht ab, war aber im nächsten Moment wieder in der Vorwärtsbewegung, ergriff Arlyns Handgelenk. Mit einer raschen Bewegung verdrehte er seinen Arm und Arlyn schrie auf, als sein Arm schmerzhaft auf den Rücken gedreht wurde.
Er ließ den Stock fallen, wurde gleich danach auf den Boden geschleudert. Der Griff lockerte sich und Arlyn griff schützend wimmernd vor Schmerz mit der anderen Hand an seinen verdrehten Arm. Der Schmerz nahm nur sehr langsam ab, als die innere Magie ihn heilte
Auch wenn er seine wahre Heilmagie nicht einsetzten konnte, spürte er dennoch erleichtert, dass nichts gebrochen war, doch der Schmerz war dennoch groß. Er versuchte die Zähne zusammen zu beißen. Nach Atem ringend verharrte er kurz benommen am Boden kniend. Grob wurde er unvermittelt von Margon an den Haaren hoch gerissen, stieß erneut einen erschrockenen Schmerzlaut aus.
„Du Bastard. Du verfluchter kleiner Bastard“, brüllte Margon direkt in sein ängstliches Gesicht, schleuderte ihn wieder grob zu Boden. Arlyn schlug hart auf, bemühte sich aber, sofort wieder auf die Beine zu kommen.
Er sah den Holzstock nur einen Meter von sich entfernt liegen, warf sich nach vorne um ihn zu erreichen, doch ein heftiger Fußtritt in seinen Unterleib, raubte ihm den Atem, ließ ihn sich haltlos zusammen krümmen und würgend nach Luft ringen.
Der Fußtritt war von dem großen, dunklen Man gekommen, der mit nahezu ausdruckslosen Gesicht zu ihm trat. Er ergriff den keuchenden Jungen wieder fest im Nacken, zog ihn hart und grob zu sich heran.
Arlyns Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem seinen entfernt. Angstvoll schluckend sah Arlyn die Wut in den grauen, kalten Augen.
Der große Man sagte kein Wort, starrte nur in sein Gesicht, hielt ihn etwas auf Abstand, dann schoss seine andere Hand vor und schlug ihm hart ins Gesicht. Der Schmerz explodierte rotglühend an seiner Wange, nahm ihm kurzzeitig das Bewusstsein. Es wurde schwarz um ihn und der Schlag ließ ihn haltlos zurück taumeln, hart zu Boden stürzen, als ihn der Mann kurz losließ. Doch sofort zerrte ihn der dunkle Mann am Nacken wieder hoch.
„Das wirst du bereuen, du kleine Kröte. Du wirst deine Lektion lernen. Du wirst lernen“, zischte er direkt in Arlyns Ohr.
Arlyn war unfähig sich zu rühren, sein Kopf dröhnte von dem Schlag, seine Wange brannte, er war benommen von der Wucht des Schlages. Jeder Gedanke an Flucht war verschwunden, er rang darum, nicht wieder das Bewusstsein zu verlieren.
Der Mann zerrte ihn vorwärts, warf ihn auf das Bett, drehte sich dann zu den Anderen um.
Sein Blick glitt über die anderen Männer.
Runko lag noch immer stöhnend vor Schmerzen am Boden.
Engas war zu ihm geeilt, versuchte ihm hoch zu helfen. Verschwommen sah Arlyn das Blut auf dem Boden. Viel Blut. Er hatte Runko tatsächlich verletzt, stellte er nicht ohne Befriedigung fest.
Margon stand nur steif da, starrte ihn hasserfüllt an. Der große Mann mit den grauen Augen bückte sich, hob den Holzstab auf und wandte sich dann an Engas.
„Schaff ihn hier raus“, befahl er ihm, mit einem Kopfnicken zu Runko und an Margon gewandt: „Nimm das ganze Holzgerümpel mit und den anderen Stuhl auch, so eine Gelegenheit bekommt der Kleine nicht wieder, dieser Bastard.“
„Was hast du mit ihm vor?“, hörte Arlyn Engas deutlich besorgt klingende Stimme, aber der große Mann grunzte nur abfällig, wiederholte nur. „Schaff ihn endlich raus!“
Beide gehorchten wortlos, als sich der große Mann langsam Arlyn zuwandte, der noch immer benommen auf dem Bett lag, versuchte wieder klar zu sehen, den Schmerz in seinem Kopf weg zu blinzeln.
In der rechten Hand hielt der große Mann den Holzstock, bewegte ihn abschätzend auf und ab. Er trat ans Bett heran, blickte mit verkniffenem Gesicht auf ihn hinab.
Arlyn blinzelte wieder und wieder, versuchte der Benommenheit zu entkommen.Er schluckte schwer, als er den dunklen Mann auf sich zukommen sah. Der Mann legte den Holzstock neben sich ab, beugte sich über ihn, zerriss dann mit beiden Händen den Stoff der Decke, die Arlyn sich notdürftig umgelegt hatte, mit einem heftigen Ruck. Achtlos warf er die Fetzen hinter sich zu Boden.
„Das wirst du nicht mehr benötigen“, knurrte er heiser, seine kalten, grauen Augen fixierten den Jungen. „Darauf kannst du wetten!“
Als Arlyn sich aufrichten wollte, schwache Abwehrbewegungen machte, schlug er sein Hände grob beiseite , versetzte ihm erneut einen Schlag ins Gesicht. Arlyn keuchte schmerzhaft auf, schmeckte Blut, als er sich dabei auf die Zunge biss.
Sein Kopf dröhnte, Blut lief ihm nun aus der Nase und Schweiß tropfte ihm in die Augen. Immer wieder blinzelnd versuchte er den Mann im Blick zu behalten, der nun den Holzstock wieder in der Hand hielt. Er wusste, dass er ihm etwas antun würde. Es war alles da, in seinem Blick. Jede Grausamkeit war in seinem Blick.
Sekundenlang betrachtete er Arlyn, dann griff er mit der linken Hand nach seiner Schulter, drehte ihn rasch herum, drückte sein Gesicht nach unten, fest in das Kissen, so dass Arlyn schon dachte, er wolle ihn ersticken, dann umklammerte erneut seinen Nacken.
Ehe er begriff, was passierte, explodierte schon ein heftiger Schmerz auf Arlyns Gesäß, als der Mann kraftvoll den Holzstock auf ihn niederfahren ließ.
Arlyn schrie auf vor Schmerz und Schreck, als der Mann wieder und wieder ausholte. Er schlug auf sein Gesäß, traf seinen Rücken, seine Beine. Er schlug solange zu, bis Arlyn vor Schmerz nur noch wimmerte, laut und hemmungslos weinte. Unvermittelt fiel der Holzstock polternd neben dem Bett zu Boden.
Erneut drehte der Mann ihn um und auf den Rücken. Brennend schoss der Schmerz der Schläge durch Arlyns Rückgrat, als die offenen, wunden Stellen Kontakt zu dem Leinenstoff unter ihm bekamen. Er wimmerte erneut auf.
Mit einem raschen Griff umfasste der Mann sein Gesicht, hielt sein Kinn fest umklammert.
„Daran wirst du dich immer erinnern, Bursche“, flüsterte er rau. „Lass es dir eine Lehre sein. Du kannst nicht gegen mich gewinnen.“
Arlyn stöhnte versuchte dem Griff auszuweichen, der ihn zwang, dabei direkt in das Gesicht des Mannes zu sehen, seine kalten, starren, hypnotischen Augen zu sehen, den verzerrten Mund, die Wut im Blick des Mannes, sein Stöhnen erfüllte seine Ohren..
Hilflos versuchte er mit seinen Händen, den Griff der Hand um sein Gesicht zu lösen, vergebens. Kämpfte mit Fingern und Nägeln, während die Schmerzen durch seinen Körper jagten.
Erst als der Mann sich zurückzog, löste er auch den klammernden Griff um sein Kinn.
Blut lief immernoch aus Arlyns Nase, tropfte über sein Kinn und seinen nackten Oberkörper, durchtränkte die zerrissene Decke unter ihm.
Salzige Tränen mischten sich in den ekligen Geschmack auf Arlyns Zunge.
Der Mann wuchtete sich hoch, ihn unverwandt anstarrend. Er wandte erst seinen Blick ab, als Margon wieder hereinkam.
„Runko ist soweit okay, aber der Kleine hat ihm wohl was gebrochen“, informierte er den Anderen, blickte dabei mit Hass im Blick auf Arlyn auf dem Bett, der sich wieder zusammen gerollt hatte, noch immer leise wimmerte.
Der große Man nickte, trat an Margon vorbei zur Tür: „Lass Runko nicht an den Kleinen ran, bis er sich beruhigt hat. In dem Zustand, schlägt er ihn tot und tot nützt er uns nichts. Ist das klar?“, ordnete er an und Arlyn beobachte durch den Tränenschleier und die Schmerzen hindurch wie Margon nickte.
Er trat auf ihn zu, als ihn der Andere kurz am Arm zurückzog.
„Das Gleiche gilt für dich! Halte dich dran! Beschädige ihn nicht. Er wird jeden weiteren Tag genug dafür bezahlen, was er heute getan hat, aber wir brauchen ihn lebendig“, sagte seine kalte Stimme.
Wieder nickte Margon und der Andere legte ihm kurz bestätigend die Hand auf die Schulter, bevor er ging.
Arlyn hob mühsam seine Hand, wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Langsam versiegte der Blutstrom aus der Nase, die Magie half ihm, aber es dauerte so lange, alles heilte so unendlich langsam. Margon trat auf ihn zu und Arlyn wusste, dass er nichts mehr tun konnte, als still dazuliegen, es einfach über sich ergehen zu lassen. Alles andere verschwamm langsam um ihn her.
Er zog er sich ganz in sich zurück, entdeckte, dass er die Magie in seinem Inneren noch weiter konzentrieren konnte, die Schmerzen noch besser ausschließen konnte. Er zog die Schutzwälle noch höher. Seine Magie baute mächtige, undurchdringliche Mauern, die jeden Angriff auf sein Innerstes abblockten, es wie eine Kugel fest umschlossen, tief, ganz tief in ihm alles vergruben, was ihn ausmachte.
Arlyn konnte seine Magie zwar nicht nach außen anwenden, wohl aber auf sein Inneres und so konnte er sich selber noch weiter in diese kleine Enklave in sich in Sicherheit bringen.
Er konzentrierte sich ganz und gar auf die Magie in ihm. Es war, wie eine der vielen Konzentrationsübungen, die Farjin mit ihm gemacht hatte. Die Magie auf einen winzigen Fleck zu konzentrieren, sie heiß werden lassen und dann einzusetzen. Nur diesmal wandte er sie innerlich an. Er fühlte, wie sie ihn durchströmte, wie sie den Blutfluss aus seiner Nase versiegen ließ, fühlte, wie sie die Prellungen seines Gesichts zwar nicht heilte, aber doch milderte. Die Striemen auf seinem Gesäß, Beinen und Rücken brannten weniger. Die Heilmagie ließ sich nach innen richten und er zentrierte sie zu um den kleinen Ball in sich, in den er sich flüchten konnte, schloss alles Außen aus, baute sich einen mächtigen Schutz um sein zerbrechliches Innerstes.
Einen Schutz, der ihn vor dem Sturz in die völlige, verzweifelte Leere bewahrte, der ihn selbst, sein Innerstes, seine Seele vor allem Grauen da Draußen schützte.
Es war, als würde alles dort nicht mehr ihm passieren, sondern dem Körper da draußen, der er auch irgendwie war, aber nicht ihm selber, sein eigentliches Ich konnte die Gewalt der Männer nicht länger erreichen.
Seine Angst, seine Scham, sein Entsetzten flocht Arlyn in den Schutz um sein ureigenstes Innerstes, kapselte es ab. So lag er nur völlig passiv da bis es vorbei war.
Arlyn bemerkte nicht einmal, das Margon gegangen war. Er lag still da, sein Blick war leer in sich gerichtet. Er merkte nicht, dass Engas den Raum betrat und ihm Essen brachte, sah nicht, wie der Mann ihn mitleidig ansah, hörte nicht, als dieser ihn ansprach. Erst als er ihn an der Schulter ergriff, ihn leicht schüttelte, verließ Arlyn seine innere Enklave, wurde sich wieder seines Körpers bewusst. Und damit auch der Schmerzen und der Erniedrigung.
Stöhnend drehte er sich um, wandte den Blick zu dem Mann, der über ihn gebeugt stand, leise auf ihn ein sprach: „... war wirklich nicht sehr klug von dir“, beendete der gerade einen Satz.
Arlyn blinzelte, starrte ihn nur an, wich dann sofort zurück. Engas sah, dass der leere, dunkle Blick sich veränderte, seine türkisfarbenen Augen sich ängstlich weiteten, als er ihn erkannte, ihn furchterfüllt ansahen. Sofort wich der Kleiner noch weiter vor ihm zurück.
„Keine Sorge, ich tue dir doch nichts“, versicherte ihm der Mann, zog seine Hand sofort zurück und fügte hinzu: „Das war genug für heute.“
Misstrauisch blieb Arlyn, wo er war. Bestimmt würde dieser Mann ihn ebenso verletzten, wie die Anderen auch. Er war einer von ihnen. Sein freundliches Gehabe hatte damit nichts zu tun. Er war genau, wie die Anderen auch.
Seufzend stand Engas auf, schob Arlyn den Teller auf dem Bett zu.
„Du solltest besser was essen und trinken. Runko ist so wütend, er rast regelrecht! Am liebsten würde er dich in der Luft zerreißen.“
Engas machte eine kurze Pause als er sah, wie Arlyn bei seinen Worten zusammen zuckte, „Aber keine Angst, dass wird er nicht wagen, dafür sorgt ER schon“, beschwichtigte er ihn lächelnd.
Arlyn bemerkte zum ersten Mal, dass keiner der Männer je seinen Namen aussprach, aber Engas betonte das „er“ besonders.
„Dennoch solltest du so etwas nie wieder versuchen!“
Engas machte erneut eine Pause, blickte ihn wieder an und Arlyn war erstaunt in seinem Blick so etwas wie Anteilnahme zu sehen.
„Du machst es dir nur schwerer.“
Wieder sah der Mann ihn lange und nachdenklich an. Arlyn hatte das Gefühl, dass der Mann ihm noch etwas sagen wollte, doch er schloss seinen Mund wieder und trat zurück. Schüttelte den Kopf.
„Ich bringe dir später, wenn es sich beruhigt hat, was zum Waschen. Dein Gesicht ist noch voller Blut“, sagte er. Er streckte seine Hand nach ihm aus, aber Arlyn wich sofort vor ihm zurück.
Engas zögerte kurz und wieder schien er mehr sagen zu wollen, schüttelte erneut den Kopf, wendete sich dann aber ab, ging raschen Schrittes aus dem Raum.
Als er verschwunden war versank, Arlyn erneut in Dunkelheit, floh vor dem Schmerz in seine Enklave im Innern. Er hatte keinen Hunger, alles in ihm schrie nur danach sich zu verstecken, die einzige flucht anzutreten, die es für ihn gab. In sich selber.
Engas schloss die Tür, legte den Riegel vor, verharrte für einen Moment unschlüssig, versuchte das Bild des reglosen Körpers aus dem Kopf zu bekommen. Dieser rotblonde Junge mit dem schlanken Körper und den riesigen, türkisen Augen. Er schüttelte sich. Wie hatte er nur gestern noch so viel Lust in ihm erwecken können?
Nichts war davon geblieben, er hatte ihn unmöglich nehmen können! Er war so wunderschön, ja, bei den Göttern. Noch nie zuvor hatte er so etwas gesehen. Seine weiche, helle Haut, den Duft den er ausstrahlte. Seine Jugend, sein feiner Körperbau, die hellen Haare! Es war erregend gewesen ihn zu berühren. Wie ein seltsames Tier. Aber er war ein Mensch.
Sie waren Söldner, nahmen sich oft genug gewaltsam, was ihnen gefiel. Mitleid war etwas, was er sich abgewöhnt hatte. Aber wie dieser Junge dann da lag, zusammengerollt wie eine Katze, der leere Blick, der unendliche Schmerz und das Grauen in seinen Augen. Bei den Göttern! Er war so wund, das er geblutet hatte!
Engas schüttelte sich noch einmal und er wusste, dass er dennoch nichts für ihn tun konnte. Es lag nicht in seiner Macht, sein Schicksal zu ändern.
Die Tage flossen dahin, welche Tageszeit es war, war unwichtig.
Arlyn wusste es nicht, kümmerte sich bald schon nicht mehr darum, wer, wann zu ihm kam. Er selber bemerkte nur wenig davon, da er sich jedesmal rechtzeitig in seine innere Enklave zurück zog. Die Schutzmauern wurden immer dicker, immer weniger erreichte ihn dort in seiner Enklave.
Engas kam immer dreimal und brachte ihm Essen und Trinken, oft auch mehr Wasser. Er saß oft dann einfach nur da auf dem Tisch oder an der Bettkante und betrachtete ihn, wartete, bis der leere, entrückte Blick sich wieder veränderte, sprach dann wenige Sätze mit ihm, erwartete aber wohl keine Antwort.
Arlyn fürchtete ihn wie die Anderen, auch wenn er nur da saß und ihn betrachtete, ihm nichts tat, aber er war einer von ihnen. Hilfe konnte er von ihm nicht erwarten, wie er noch zu Beginn erhofft hatte. Aber dieser Mann hatte ihm nicht geholfen. Er sah nur tatenlos zu, dafür hasste ihn Arlyn, wie die die Anderen.
Jeder Tag war gleich, reihte sich endlos aneinander. Wann immer Arlyn glaubte, das Schlimmste erlebt zu haben, ging es weiter. Es gab kein Entkommen, keine Erleichterung in der Realität. Es gab kein Ende der Erniedrigungen, der Demütigungen, der Furcht und Angst, der Gewalt.
Er war hier auf ewig gefangen, ihnen völlig ausgeliefert, auf Gedeih und Verderb und niemand würde ihm je zur Hilfe eilen. Niemand wusste wo er war. Wenn kümmerte es schon?
Sein Meister hatte ihn verstoßen und sonst gab es niemanden, der ihn retten konnte.
Es gab immer nur die Flucht in sein Innerstes und die perfektionierte er täglich weiter, bis er fast mehr Zeit in dieser Sicherheit seiner Enklave verbrachte, als in der grausamen Realität seiner Gefangenschaft.
Arlyn saß tagsüber oft an die Wand gelehnt, fühlte sich so unendlich einsam, starrte hinauf zu dem Fenster, welches ihm von der Freiheit dort draußen erzählte, die für ihn so unerreichbar war. Warme Sonnenstrahlen trafen ihn ab und an, ein leichter Windhauch, aber mehr konnte er von der Freiheit da draußen nicht wahrnehmen. Oft saß er mit offenen Augen da, starrte blicklos auf den Lehmboden, fühlte seinen Körper nicht mehr, als ob er ihn und alle Erinnerungen einfach abstreifen könnte, sich von ihm lösen und einfach davon schweben, hinaus in die Freiheit, fort von allem hier. Einfach gehen.
Meistens fiel er irgendwann dann in einen leichten Schlaf, zusammengekauert an die hölzerne Wand gelehnt, aber er schlief nie lange, nie fest, schreckte bei jedem Geräusch sofort auf.
Jedes Mal blickte er sofort erschrocken hoch, wenn jemand die Kammer betrat. Wenn Engas ihm Essen brachte, zog er die Beine dann ganz eng an den Körper an, beobachtete ihn ängstlich, wich zurück, wenn er sich ihm näherte und wartete, bis er wieder gegangen war. Engas sprach immer wieder freundlich mit ihm, aber er antwortete nicht, war bereit, sich sofort in seinen Schutzraum zu flüchten, sobald ihm einer der Männer zu nahe kam. Nur wenn Arlyn noch in dieser Enklave gefangen war, konnte sich der andere Mann dem wie leblos daliegenden Körper nähern, ohne dass er vor ihm zurückwich.
Wütend auf seine Kumpane und wütend, dass er das Ganze nicht einfach so beenden konnte, trat Engas dann an ihn heran. Der Mann sah in ein völlig leeres, ausdrucksloses Gesicht. Die Augen waren dunkel, starrten blicklos ins Leere. Der Kleine reagierte nicht auf seine Worte, er lag nur still da, ohne einen Muskel zu bewegen, der Atem ging flach. Er lebte, wirkte aber wie tot, völlig entrückt.
Wieder betrachtete Engas den schlanken Körper mit den weichen Rundungen, der schmalen Taille, dem wohlgeformtem, runden Hintern, der so verlockend aussah. Die Beine waren nun voller dunkler Blutergüsse auf der hellen Haut und getrocknetem Blut. Sein helles, so wundervoll leuchtendes Haar war dunkel vor Schmutz und Blut geworden und dennoch wirkte er noch immer so exotisch schön.
Er hatte so einen wohl geformten Körper, der noch so erstaunlich jugendlich wirkte, so zerbrechlich, der auch ihn stets verzauberte, ihn auf eine unbekannte Weise ansprach.
Aber sein Verlangen nach ihm war gewichen, als er sah, was mit ihm geschah, was sie ihm antaten. Längst hatte er sich völlig zurückgezogen. Der Kleine hier zerbrach an dem was sie mit ihm taten. Er war nicht stark genug, es zu ertragen, wie ein Mann es ertragen würde. Langsam aber sicher, ging er ihnen ein, dessen war er sich immer sicherer. Er aß kaum noch etwas, saß meistens völlig entrückt an die Wand gelehnt und reagierte nicht, wenn er ihn ansprach.
Oh, er erzählte den Anderen natürlich nicht, was er tat, wenn er hier drinnen war, dass es ihm genügte, neben dem hübschen, rotblonden Kleinen zu sitzen und ihn nur zu betrachten oder ihn sanft zu berühren, wenn er es nicht bemerkte, wenn er in diesem entrückten Zustand irgendwo anders war.
Er nahm dabei jede Einzelheit des Körpers war, betrachtete das schöne Gesicht mit den vollen, sinnlichen Lippen, die langen Wimpern über den dann so dunklen, leeren Augen, den feinen, so wenig männlichen Zügen.
Wie schön musste er aussehen, wenn er lachte. Aber das würde er natürlich nicht erleben, dachte er seufzend. Warum mussten sie ihm so etwas antun? War es das wert? Zum ersten Mal stellte er einen Auftrag in Frage.
Engas seufzte. Es lag nicht in seiner Macht es zu ändern. Er trug nicht die Entscheidungen. Ohnehin würde es nun ja nicht mehr lange dauernd.
Er sprach ihn erneut an, versuchte zu ihm durchzudringen. Dann streckte er vorsichtig die Hand aus, berührte ihn an der Schulter.
Keine Reaktion. Natürlich nicht, er war wieder so abwesend, schien irgendwo ganz woanders zu sein. Nur dann dürfte er sich ihm so nähern. Er war wie ein wildes Tier geworden, welches furchtsam selbst vor der Hand zurückwich, die es fütterte. Irgendwie war er das auch. Ein wildes, exotisches Tier welches sie gefangen hatten und welches in der Gefangenschaft einging.
Er seufzte und versuchte es erneut, aber mit dem selben Resultat. Engas hockte sich neben ihn nieder, begann ihm dann, einer Eingebung folgend, sanft über den Rücken zu streichen, genoss die Berührung der weichen Haut, ließ seine Finger sanft über den Nacken gleiten, spielte mit den Strähnen des weichen, eigentlich so wunderschön rötlich hellen Haares, atmete seinen Duft ein.
Dieser kleine Kerl verströmte eine ungeheure Faszination und Anziehungskraft auf ihn, die er sich nicht erklären konnte. Seine Schönheit war atemberaubend, obwohl er so offensichtlich ein Mann war.
Engas hockte eine ganze Weile so da, streichelte ihm unablässig über den Rücken. Schließlich nahm er einen Lappen, befeuchtete ihn mit Wasser und begann vorsichtig, Blut und die klebrige Spuren von ihm abzuwaschen. Darunter kam diese ungewöhnlich schimmernde Haut zum Vorschein. Woher kam er nur? Seine Erscheinung war so ungewöhnlich, dass sich Engas wiederholt fragte, ob er überhaupt ein richtiger Mensch war.
Leise murmelte er besänftigende Worte, als ob er mit einem kleinen Kind reden würde. Er fuhr damit fort, bis er merkte, dass der Körper unter seinen Berührungen anfing zu zittern. Arlyn bewegte sich etwas, drehte Engas ganz langsam das Gesicht zu.
Die Augen waren beinahe wieder türkisfarben, die Angst und Hoffnungslosigkeit wieder in sein Gesicht zurückgekehrt, aber er wich dieses Mal wenigstens nicht sofort zurück. Vermutlich hatte er einfach auch keine Kraft mehr dazu, dachte Engas resignierend. Aber er starrte ihn jetzt blicklos aus diesen riesigen Augen an und ließ die Berührung zumindest kurzfristig zu.
Engas wollte etwas sagen, aber der Anblick dieser großen Augen, des angstvollen, verzweifelten Ausdrucks in den wieder türkiser werdenden Augen, schnürte ihm schier die Kehle zu.
Vieles hatte er schon gesehen und erlebt. Er war, wie die Anderen auch, sein bisheriges Leben lang Söldner gewesen. Er war es gerne und durch und durch. Seine Emotionen hatte er über die Jahre durchaus im Griff zu bekommen gelernt. Er hatte vieles getan, auf das er nicht stolz war, bereute wenig davon, aber dieser Kleine hier berührte mit seinem unendlich verzweifeltem Blick etwas ganz tief in seinem Inneren, brachte ihn fast zum zusammenbrechen. Seine Bewegungen wurden langsamer aber er fuhr automatisch damit fort, den Lappen über seine Haut zu wischen, ihn zumindest notdürftig zu säubern. Er war unfähig den Bann zu brechen, den so etwas musste es sein, dass ihn zu dieser Tat trieb.
Arlyn hatte die Berührung anfangs nicht wirklich wahrgenommen. Erst als er wieder langsam zu sich kam, spürte er den feuchten Lappen wie eine Liebkosung auf seiner Haut. Der Impuls auszuweichen war sofort da, aber zum einen hatte er einfach keine Kraft mehr und etwas in ihm genoss diese zarten Berührungen seines Rückens und Nackens ohne zu wissen, woher sie kam. Das Gefühl, sauberer zu werden, war so unendlich schön. Nach all der groben Behandlung, waren diese Berührungen so ganz anders. Sie gaben ihm das Gefühl nicht mehr so hilflos zu sein, nicht mehr ganz allein zu sein, gaben ihm etwas Wärme, den Hauch von Geborgenheit, die Illusion, dass er nicht wirklich alleine, einsam, verloren und ausgeliefert war.
So lag er still, sah den Mann neben ihm scheinbar an, nahm ihn aber nicht wahr, ließ ihn kurz gewähren, sog die Sanftheit seiner Berührungen in sich auf. Dann zuckte er erschrocken zusammen, erkannte da erst, wer ihn so berührte. Er schob sich wimmernd davon, zog wieder seine Beine eng an sich. So saßen sie eine ganze Weile einander gegenüber, bis Engas sich sichtlich losriss, ihn entschuldigend anlächelte. Er seufzte tief auf, bedauerte, wie ängstlich der Kleine nun wieder auf ihn reagierte. Aber was hatte er erwartet?
Arlyn sagte nichts, sah dem Mann nur erleichtert hinterher, als der endlich die Kammer verließ und er an der Tür nochmal zögernd stehen blieb. Dann drehte er sich noch einmal entschlossen um. Seine Augen bohrten sich tief in Arlyns. Es war, als ob er eine Beschwörung vorbereiten würde, dachte Arlyn erstaunt.
„Nur noch zwei Tage, Kleiner“, sagte Engas unvermittelt, „Nur noch zwei Tage.“
Es klang in Arlyns Ohren, wie eine Beschwörungsformel in seinem Unterricht.
Dann schloss Engas die Tür hinter sich und war verschwunden.
Arlyn hörte seine Worte wieder und wieder in sich widerhallen und reagierte verwirrt.
Was sollten diese Worte bedeuten? Was würde in zwei Tagen geschehen? Würden sie Runkos Drohung wahr machen und ihn dann an einen Sklavenhändler verkaufen? Ihn töten? Was würde noch geschehen? Was konnten sie ihm noch antun?
Aber Engas Stimme hatte eher so geklungen, als ob er ihm Hoffnung machen wollte. Würden sie ihn am Ende sogar wieder freilassen?
Arlyn hatte Angst sich das vorzustellen, dabei höchstwahrscheinlich enttäuscht zu werden. Bislang war kein bisschen Raum für irgendeine Hoffnung gewesen, da sich ein Tag wie der andere abspielte und es nie anders wurde.
Er wusste mittlerweile nicht, wie lange er wirklich schon hier war. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren.
Was spielte es auch für eine Rolle?
Zwei Tage. Arlyn grübelte über die Worte nach. Was hatte der Mann damit nur gemeint?
Arlyn bekam keine Antwort darauf, denn die zwei Tage vergingen wie die anderen bisher auch und er wagte natürlich nicht, ihn zu fragen. Auch sagte er nichts weiter, sagte überhaupt kaum etwas zu ihm.
Runko blieb ihm zwar auch weiterhin fern, dafür kamen aber die anderen Zwei wie gewohnt.
Arlyn ekelte sich immer mehr vor sich selber. Er konnte in sich fliehen, wann immer sie die Kammer betraten. Dann war er vor ihnen in Sicherheit in seiner inneren Enklave hinter den dicken, undurchdringlichen Schutzmauern. Aber danach kam er immer wieder zurück in die Kammer, blieb in ihr gefangen. Er kehrte zurück in die Stille, die entsetzliche Einsamkeit. Dann war er alleine mit dem Schmerz, dem Ekel vor sich selber. Alleine und verloren.
Dagegen half sein Schutz nicht, dass erlebte er direkt und die Scham brachte ihn jedesmal etwas mehr um den Verstand. Er hatte längst keine Tränen mehr.
Engas Worte aber klangen ihm seither beständig in den Ohren, gaben ihm so etwas, wie ein Ziel, jeden dieser Tage zu überleben.
Welches Ziel, wusste er nicht genau, es war ihm im Prinzip auch egal, aber zwei Tage, dann würde sich etwas verändern.
Und wenn er dann nur endlich sterben durfte, mittlerweile war ihm alles recht, was ihn aus diesem entsetzlichen Grauen erretten würde.
Noch zwei Tage.
Die letzte Nacht bekam Arlyn nicht wirklich mit. Er wusste, dass sie wieder da waren, aber er war sicher in seiner Enklave versteckt und blieb dort.
Engas war nicht aufgetaucht, auch nicht als, als die Männer endlich gegangen waren.
Arlyn lag noch lange reglos in sich zurückgezogen, fand kaum wieder zurück, verlor sich immer mehr in sich selbst, in seiner selbst geschaffenen Zuflucht.
Gegen Morgen wurde er sich ganz langsam wieder seiner Umgebung bewusst, seines geschundenen wunden Körpers, der Schmerzen, der Gerüche um ihn herum, aber vor allem des Gestanks, der von seiner klebrigen, besudelten Haut ausging.
Engas war nicht zu ihm gekommen, wie er es die letzten Tage immer getan hatte, wenn er neben ihm gesessen hatte. Es gab auch kein Wasser um sich zu reinigen oder seinen Durst zu stillen. Außer einem vor Schmutz starrenden Fetzen der Decke, gab es auch nichts anderes, was er sich überstreifen konnte. So rollte er sich, wie schon oft zuvor, an der Wand zusammen, schlang seine Arme schützend um sich. So hatte er jetzt fast jede Nacht verbracht, den Kopf an die Wand gelehnt.
Die Vögel waren laut und es würde gewiss nicht mehr lange dauern, bis wieder der erste der Männer kommen würde, wie jeden Tag. Unendliche Wiederholungen.
Arlyn legte kurz den Kopf in den Nacken, blinzelte in die Sonnenstrahlen die zu ihm hereinfielen. Sie waren so warm und tröstend, erzählten ihm mit ihrer zarten Berührung von Wärme und Freiheit irgendwo da draußen, fernab seines Gefängnisses. Er schloss die Augen, genoss das rote warme Licht hinter seinen Lidern, welches ihn in eine andere Welt entführte. Er genoss es so lange, bis der Riegel geöffnet wurde.
Arlyn behielt die Augen geschlossen, bereit wieder einmal in seine Enklave zu fliehen, ihnen nur seinen Körper zu überlassen, als ihn unvermittelt eine nur zu vertraute Stimme ansprach.
„Arlyn, Junge!“
Überrascht schlug dieser die Augen auf, blinzelte das rote Licht fort, starrte dann fassungslos, als sich seine Augen wieder an das Licht in der Kammer gewöhnt hatten, auf den großen schlanken Mann in der schwarzen Kleidung, der den Raum betreten hatte.
Widersprüchliche Gefühle jagten durch Arlyn, sein Verstand begriff nur langsam, wer da vor ihm stand.
Angst, Freude, Vertrautheit aber auch Furcht vor dem, was geschehen war, verwirrten seine Gedanken, aber es gab keinen Zweifel: vor ihm stand sein Meister Farjin. Er lächelte auf seinen Schüler hinab, streckte seine Hand nach ihm aus.
„Es ist vorbei Arlyn. Ich habe dich gefunden. Ich bringe dich nach Hause, fort von hier“, sagte er freundlich lächelnd. „Endlich habe ich dich wieder.“
Arlyn wollte aufspringen, doch sein Körper war nicht stark genug, er knickte einfach wieder ein.
Farjin kam näher, griff nach ihm, stützte ihn, zog ihn in seine Arme. Arlyn ließ es geschehen, hungerte so sehr nach einer tröstenden Umarmung, der gewohnten Vertrautheit zwischen ihnen, dass er es zunächst einfach zuließ. Dann aber tauchten wieder die Bilder ihrer letzten Stunden zusammen auf: sein Meister, der ihn zwang seine Magie zum Töten einzusetzen, das Eindringen der fremden Magie in ihn, der fruchteinflößende Mann, der ihn mit magischen Bändern seiner Magie beraubt hatte und er wich wieder zurück.
Aber Farjin war gekommen, ihn zu retten. Er war hier, er würde ihn endlich fortbringen. Raus aus diesem Alptraum aus Ekel, Scham und Schmerz!
„Mein armer Arlyn“, flüsterte Farjin zärtlich, strich ihm sanft durchs Gesicht. „Du siehst furchtbar aus. Es muss entsetzlich gewesen sein, es tut mir so leid, was du erleiden musstest.“
Seine Hand liebkoste das schmutzige Gesicht. Seine Augen und Berührungen waren liebevoll, zärtlich, beruhigend.
„Aber nun ist es vorbei“, versprach er, zog Arlyn erneut hoch, strich ihm eine Strähne des dreckigen Haares zur Seite.
“Meister?“, brachte Arlyn stockend, mit brüchiger Stimme hervor, ungläubig in sein Gesicht starrend, nur langsam wirklich begreifend, dass es vorbei war.
Er hatte ihn gefunden. Sein Meister hatte ihn endlich gefunden. Alles würde wieder gut werden. Er war hierher gekommen, um ihn zu retten.
„Schau, ich habe dir auch saubere Kleidung mitgebracht. Zieh sie rasch an, dann werden wir diesen Ort verlassen“, forderte der Arlyn auf, ließ ihn los und legte ein Bündel neben ihm auf den Boden.
Arlyn blickte ihn verwirrt an. Die widersprüchlichen Gefühle waren auf seinem Gesicht deutlich zu sehen. In ihm brannten die Fragen, aber er wusste nicht, wie er eine davon formulieren sollte.
Wie kam sein Meister hier her? Wie hatte er ihn gefunden? Hatte er nach ihm gesucht? Dann hatte er ihn vermisst? Doch eigentlich war keine Frage davon wichtig!
Er war da. Farjin war hier.
Es war endlich vorbei. Sein Meister war hier um ihn zu retten und alles andere war gänzlich unwichtig.
Sein Verstand war nicht fähig zu fragen, wie er ihn gefunden hatte. Alles wurde erstmal von dem überwältigenden Gefühl der Erleichterung hinweg gespült.
Die Wärme der Erleichterung, das Glücksgefühl in ihm, war überwältigend. Schluchzend klammerte er sich an den vertrauten Körper, umklammerte die große Gestalt fest, als ob er ihn nie wieder loslassen wollte. Vergessen war, was ihm Farjin angetan hatte. All das stand hinter dem zurück, was er hier hatte erleiden müssen. Er war hier, erlöste ihn aus diesem grausamen Gefängnis..
„Es wird alles wieder gut werden“, sagte der Magiermeister sanft, ließ Arlyn gewähren, strich ihm sanft über die Haare. Dann drückte er ihn vorsichtig von sich. „Zieh dich rasch an, Arlyn, dann bringe ich dich endlich wieder nach Hause.“
Rasch wischte sich Arlyn die Tränen aus dem schmutzigen Gesicht, nickte und ergriff die saubere Kleidung, zog sich schnell an. Er genoss das Gefühl, wieder richtig bekleidet zu sein, nicht mehr schutzlos allen gierigen Blicken ausgesetzt zu sein.
Er war sich bewusst, dass er dennoch vor Dreck, Schweiß, Blut, Urin und Sperma stank, aber die Kleidung gab ihm dennoch ein Gefühl von Sauberkeit, nahm etwas von dem Ekel vor sich selbst.
„Komm rasch, Arlyn, wir wollen los. Es gibt noch einiges für uns zu tun“, sagte Farjin lächelnd, schob ihn vor sich her auf die Tür zu, stützte ihn, als seine Beine wiederholt nachzugeben drohten.
An der Tür der Kammer zögerte Arlyn kurz, blickte sich unsicher um. Es erschien ihm unglaublich, diesen Ort einfach so verlassen zu können, diese Grenze einfach so zu überschreiten. Jetzt endlich durfte er diesen Raum verlassen, über die Schwelle treten und würde endlich wieder frei sein.
Heiß überfiel ihn der Gedanke an seine Peiniger.
Wo waren die Männer? Waren sie fort?
Er zitterte bei dem Gedanken an sie, aber nun war Farjin ja da. Sie würden seinem Meister nichts anhaben können, seine Magie würde sie einfach hinwegfegen, dachte Arlyn zufrieden. Er war endlich in Sicherheit.
Sie hätten gegen ihn keine Chance, wären so hilflos, wie er es gewesen war, ein Gedanke, der heiß in ihm aufstieg, glühende Rachegefühle auslöste.
Fast wünschte er sich, sie würde kommen, sie würden versuchen, sie aufzuhalten. Aber das Haus war leer, schien verlassen zu sein. Sie waren wohl geflohen.
Farjin legte sein Hände beruhigend auf Arlyns Schultern und ihn durchfloss seine Wärme, Sicherheit, Ruhe.
Vielleicht hatte sein Meister sich um ihn gesorgt, ihn gesucht und er war gekommen um ihn zu retten?
Vielleicht hatte seine Flucht ihm gezeigt, wie falsch er gehandelt hatte?
Vielleicht würde alles wieder so werden, wie vorher. Farjin war hier, beschützte ihn, brachte ihn zurück in die Sicherheit der Burg.
Ein leichtes Lächeln trat auf Arlyns Lippen als er daran dachte und mit diesem Lächeln trat er vor seinem Meister ins blendende Sonnenlicht. Er blinzelte, nahm erst nichts wahr, weil seine Augen sich nicht sofort an den grellen, ungewohnten Sonnenschein gewöhnen wollten. Dann entglitt ihm das Lächeln. Erschrocken fuhr er zurück, spürte, wie ihn sein Meister ihn sofort festhielt und stützte.
„Hab keine Angst, sie werden dir nichts mehr tun“, flüsterte Farjin, als Arlyn voller Furcht vor dem Anblick der vier Männer vor ihnen zurückwich.
Sie waren alle da, standen nebeneinander direkt vor dem Haus. Sie standen da, sahen ihn und Farjin an.
Keiner sprach, ja keiner machte Anstalten sie aufzuhalten, es schien fast, als ob... Aber das war nicht möglich, oder?
Als ob sie sie erwartet hätten, schoss es durch Arlyns Kopf in dem die Gedanken verwirrt durcheinander wirbelten. Sie waren da, erwarteten ihn und sie zeigten keinerlei Furcht vor dem Magiermeister.
Farjin schob den widerstrebenden Arlyn weiter nach vorne, ohne seinen Griff um seine Schultern zu lockern. Runko grinste ihn anzüglich an und Arlyn schrak sofort zurück, vermochte kaum den Blicken stand zu halten. Er wäre gerne umgedreht und geflohen, aber Farjin hielt ihn fest umklammert.
Der große Mann mit den grauen Augen, dessen Name Arlyn nie erfahren hatte, nickte Farjin ganz leicht, kaum merklich zu.
Kalt durchfuhr Arlyn sein Blick. Was hatte das zu bedeuten?
Eine entsetzliche Kälte breitete sich langsam in ihm aus, als sein Verstand anfing zu begreifen, wovor sein Gefühl sich entsetzt verschloss. Aber das war doch nicht möglich! Das konnte nicht wirklich sein.
Arlyns Kopf schien zu zerspringen, als sein Verstand sich weigerte, zu akzeptieren, was da geschah.
„Wir haben gut für ihn gesorgt, Herr, wie ihr befohlen habt. Ich hoffe ihr seid zufrieden, Herr. Wir sind es in jedem Fall“, wandte sich der große Mann lächelnd und einen anzüglichen Blick auf Arlyn werfend, an den Magiermeister und trat einen Schritt näher. „Die Bezahlung war mehr als üppig.“
Arlyn wich sofort erschrocken zurück, doch Farjin Hände umklammerten seine Schulter nur noch fester, machten ein Ausweichen unmöglich.
Farjin beugte sich vor, brachte seinen Mund dicht an sein Ohr: „Sie können dir jetzt nichts mehr tun. Es ist vorbei. Warte!“
Er berührte kurz flüchtig Arlyns Hals, seine Hände, löste mit seiner Berührung die magischen Bänder.
Arlyn fühlte wie seine Magie schneller pulsierte und sich unter der Haut sammelte, tief aus ihm aufstieg. Befreit, warm, vertraut, seins. Sofort heilte sie ihn, schloss alle Wunden, jeden Bluterguss, jeden Kratzer, den sie ihm zugefügt hatten. Nun heilte seine Magie alles.
Er hatte seine Magie wieder!
Er war wirklich frei.
Erneut legte Farjin seine Hände schwer auf die schmalen Schultern eines Schülers, flüsterte erneut in sein Ohr: „Nun bist du wirklich frei. Nun hast du deine Macht wieder. Fühlst du sie wieder in dir? Fühlst du sie pulsieren? Du kannst sie benutzen. Du kannst ihnen alles heimzahlen. Du kannst sie für alles büßen lassen, was sie dir angetan haben, Arlyn. Du hast die Macht in dir ihnen ebenso weh zu tun, wie sie dir!“
Seine Stimme wurde leise, hypnotisch, eindringlich und Arlyn wandte sich halb um, entsetzt, bei dem, was sein Verstand ihm wieder und wieder einredete.
Sein Meister sah ihn an und da war plötzlich wieder der fanatische Ausdruck in seinen Augen, den Arlyn das letzte Mal gesehen hatte, als er ihn seine Macht zum Töten einsetzen lehrte.
„Nein!“ flüsterte Arlyn entsetzt.
Farjins Griff an seinen Schultern wurde fester. Er fühlte seine Magie sich um ihn drängen.
„Denk daran, was sie dir angetan haben, Arlyn. Spürst du ihre schmutzigen Hände nicht immer noch auf dir? Spürst du ihre Gier, ihre Lust, den Schmerz tief in dir wüten?“
Farjin Stimme wurde sanft, noch drängender, schien in ihn einzusickern, weckte die Bilder der Erinnerung in ihm, brachte das Erlebte wieder zu ihm, als ob die Hände wirklich wieder über seinen Körper strichen. Er fühlte Farjins Magie in seinem Rücken, die pulsierte und seine Worte umfloss, sie direkt in seinen Kopf und Körper brachte, sanft und fast unmerklich in ihn eindrang, die Bilder lebendig und intensiv werden ließ, den brennenden Schmerz erneut weckte.
„Hörst du noch ihr Stöhnen?“, fragte die Stimme in seinem Kopf, in seinem Körper, die ihn durchdrang an jeden Ort in ihm gelangte. „Fühlst du ihre lustvollen Bewegungen in dir, spürst du ihre harten Glieder in dich eindringen, den Schmerz, die Wut, die Furcht? Ihre feuchten, klebrigen Leiber auf deinem Körper liegen, sich stoßend bewegend?“
Magie war in ihm, um ihn her. Seine und die Farjins. Sie sickerte durch ihn, öffnete seine Erinnerungen, drang in ihn ein, durch jede Pore als er erneut erlebte, was man ihm angetan hatte.
„Schmerz, Demütigung, alles was sie dir angetan haben, Arlyn. Du kannst es ungeschehen machen. Du hast die Macht dazu, alles ungeschehen zu machen.“
Arlyn stand wie erstarrt, als die Bilder in ihm real wurden.
Magie waberte fast greifbar um ihn her, pulsierte. Die Luft schien zu flirren!
Er sah in Runkos Gesicht, sah, wie der Man vor ihm zurückwich, als sein Gesicht sich veränderte, als Runko sah, wie die Angst aus seinen Zügen wich und es einen beinahe entrückten Ausdruck annahm. Die schmale Gestalt schien zu beben. Seine helle Haut schien fast durchsichtig zu sein. Licht schimmerte unter der Oberfläche, brachte ihn fast zum Leuchten. Runko stolperte zurück.
Arlyn fühlte, wie seine Magie wütend pulsierte, heißer und heißer wurde. Wie die Angst wich, aber der Ekel, die Scham in ihm aufstiegen, mit jedem geflüstertem Wort, mit jeder Erinnerung.
Er fixierte Runko mit seinem Blick. Glühend jagte seine Magie durch seinen Körper, wurde heißer und heißer.
Er hatte ihm das angetan. Dieser Mann vor ihm.
Er hatte ihn gezwungen ihn mit dem Mund zu befriedigen, sein Sperma zu schlucken!
Seine Haut glühte, fühlte sich gespannt an, die Magie raste unter der Oberfläche durch seine Adern, baute sich heiß auf, suchte, tastete in ihm. Farjins Stimme war irgendwo in ihm, unhörbar, wie ein leises Raunen, oder zufriedenes Lachen, ging sie unter in dem Rauschen der heißen, wilden Magie in ihm.
Er hatte das getan.
Dieser Mann!
Der vor ihm stand, ihn ansah, sich jeden Moments bewusst, den er ihn erniedrigt, gequält, missbraucht hatte.
Dort stand er. Direkt vor ihm.
Doch nun war er nicht mehr das hilflose Opfer, das sich wimmernd vor Angst vor ihm zurückzog. Nun stand er hier, und seine Magie pulsierte heiß, wild und vertraut durch seine Adern, umfloss ihn, war seine, ganz seine.
„Nie wieder!“, stieß Arlyn heiser hervor. Seine Magie sammelte sich, suchte nach einem Ventil, brannte sich durch seine Haut. „Nie wieder!“
Runko wich zurück. Sein Gesicht veränderte sich, verzerrte sich vor Furcht.
„Nie wieder, wirst du mir das antun. Niemals wieder!“, schrie Arlyn, seine Wut und seinen Hass hinaus und seine Magie brach heiß, brodelnd wie Lava aus ihm hervor, brach sich in einem wilden Stoß Bahn, traf Runko an der Brust und pulverisierte ihn.
Sofort schwenkte Arlyn herum. Noch immer jagten die Bilder durch seinen Kopf! Magie schoss heiß durch ihn, raste wie ein lange eingekerkertes wildes Tier, das unendlich hungrig nach Licht nach Freiheit, nach Rache, nach Blut dürstete.
Nie wieder!
Er sah den großen, dunklen Mann zurückweichen, die Arme abwehrend heben, den Mann, der ihn immer gezwungen hatte, ihn direkt dabei anzusehen. Ihm nie erlaubt hatte, den Blick abzuwenden, sich an seiner Angst und seinen Schmerzen ergötzend. Der ihn geschlagen hatte, bis er nur noch wimmernd zusammen gekrümmt da lag.
Hilflos.
So hilflos.
Der wieder und wieder seinen Körper genommen hatte, gelacht hatte, wenn er vor Schmerz aufschrie.
Nie wieder!
Arlyn brüllte auf, entließ das wilde Tier in ihm.
Seine Wut ließ die Magie heißer werden, wie glühende flüssige Lava, brennend, alles verbrennend!
Wieder brach die Magie heiß und gewaltig hervor, tötete den Mann in einer einzigen Welle und Arlyn lenkte sie im nächsten Moment, ohne zu Zögern auf Margon, der sich bereits zur Flucht gewandt hatte, als er entsetzt mit ansehen musste, was seinen Gefährten geschah.
Die Magie traf ihn in den Rücken, ließ ihn haltlos hochwirbeln, trug ihn hoch, ließ ihn mit völlig verdrehten, hundertfach gebrochenen, zersplitterten Knochen und leerem Gesicht wieder zu Boden gehen.
Ein begeistertes Lachen ertönte und Arlyn nahm verschwommen wahr, dass sein Meister da lachte.
Glücklich, zufrieden lachte und er spürte, wie er seine Magie weiter und tiefer mit Arlyns verflocht, zu seiner machte, sie lenkte. Sie sickerte durch jede Pore seiner Haut, als ob er ein Tor geöffnet hätte, durch welches der Magiermeister Zutritt zu ihm bekommen hatte.
Sie stärkte ihn, verband sich mit seiner heißen Wut zu einem weiß glühenden Ganzen.
Der letzte der Männer, Engas, floh, aber Arlyn war wie im Rausch, suchte sein nächstes Opfer, sammelte die Magie erneut.
Doch dann schossen ungefragt andere Bilder durch seinen Kopf.
Die Erinnerung an sanfte Berührungen. Ein mitfühlendes Gesicht, traurige Augen, Hände, die ihn sanft berührten, ihm Blut abwuschen.
Erschrocken über sich selbst, ließ Arlyn die Magie urplötzlich versiegen, zog sie zurück.
Er keuchte auf und erkannte erst jetzt, was er getan hatte. Um ihn war noch immer Magie, er spürte sie an seiner Haut vibrieren, ihn fordernd, versucht in ihn einzudringen, ihn zu treiben, ihn zu lenken. Aber es war nicht seine Magie! Das war nicht er!
„Was ist, warum hörst du auf? Sieh nur, er flieht, er rennt vor dir davon. Töte ihn! Töte ihn jetzt und räche dich für alles was geschehen ist, töte ihn Arlyn! Verdammt, hast du diese Lektion nicht gelernt?“, brüllte Farjin enttäuscht, aber Arlyns zog die Magie entschlossen zurück und entzog sie damit auch Farjin.
Er war entsetzt was er getan hatte.
Er hatte sie getötet. Sie mit seiner Magie getötet.
Ganz genau wie sein Meister es gewollt hatte.
Es war eine Falle gewesen, dass er kannte er plötzlich. Sein Verstand rief ihm zu, was seine Gefühle verneinten.
Alles war eine einzige große Falle gewesen.
Eine Lektion! Die Lektion, die ihm sein Meister versprochen hatte! Eine Lektion in Hass. Lerne zu töten.
Sein Verstand setzte die Teile zusammen während seine Gefühle immer wieder „Nein!“ schrien.
Das Nicken mit dem der große Mann Farjin begrüßt hatte. Die wissenden Blicke untereinander. Die angedeuteten Worte.
Er wandte sich entschlossen um.
„Ihr wart es!“, keuchte er, als ihn die Erkenntnis voll überkam und das Undenkbare, Unfassbare in ihm Gestalt annahm.
„Ihr habt sie beauftragt, mir das anzutun!“
Seine Stimme war fast tonlos, ein heiseres Flüstern, als er es aussprach, es zur Wahrheit machte, mit seinen eigenen Worten!
„Ihr wart das! Das war eure Lektion an mich. Ihr habt sie dafür bezahlt!“, schrie Arlyn die furchtbare Wahrheit heraus. „Sie sollten mir das antun! In eurem Namen. Ihr wart es! Ihr habt es so gewollt!“
Seine Stimme überschlug sich fast vor Schreck und Wut.
Farjin lachte kurz spöttisch auf.
„Aber ja doch, mein junger Arlyn! Natürlich. Du brauchtest einen wirklichen Grund um zu hassen, zu töten und den haben sie dir gegeben. Oh, sie hatten bestimmt ihren Spaß dabei. Jede Menge Spaß mit deinem hübschen Körper. Sie haben mir stets berichtet. Jede Einzelheit. Alles was sie mit dir getan haben. Ich denke, du hast deine Lektion sehr gut gelernt, mein Schüler“, lachte er Arlyn an. „Deshalb hast du sie getötet. Deshalb wirst du es wieder tun. Für alles, was sie dir angetan haben. Das ist dein Grund zu töten! Hass. Tief empfundener Hass!“
Seine Augen waren fanatisch geweitet, seine Magie umwaberte ihn, zerrte an Arlyn, begehrte wieder Einlass.
Fassungslos starrte ihn Arlyn an, unfähig, noch zu ertragen, was Farjin ihm angetan hatte.
„Und nun töte den Letzten und beende was du angefangen hast. Mach es ungeschehen mit ihrem Tod, befreie dich von ihnen, von alle den Schrecken, indem du sie tötest. Gehe den Weg ganz zu Ende! Benutzte deine ganze Magie“, forderte Farjin. Er ergriff erneut Arlyns Schultern, verwob seine Magie mit der seines Schülers, zwang ihn unter seine Kontrolle.
Und das war es, was er eigentlich gewollt hatte, erkannte Arlyn entsetzt, hilflos mit ansehend, was geschah.
Magie!
Seine Magie! Seine wilde, heiße so mächtige Magie!
Von Anfang an, war es dass was Farjin gewollt hatte, Kontrolle über seine Magie. Den Zugang zu seiner innersten Magie.
Farjin bediente sich ihrer, sammelte sie, um den schon recht weit gekommen Engas zu erreichen. Heiß stieg sie in Arlyn auf, aber nicht länger unter seiner Kontrolle. Er war nur noch ein Werkzeug, eine Waffe. Hilflos und gefangen, wie zuvor, eingekerkert in seinem eigenem Körper, ein Opfer seines eigenen Hasses.
Nein! Nie wieder!
Arlyn schrie auf, kämpfte darum, die Kontrolle zurück zu erlangen.
Farjin war unglaublich stark. Er fegte Arlyns Versuch sofort beiseite, sammelte die Magie erneut in seiner eigenen Hand, um dem Fliehenden einen glühenden Ball aus Magie hinterher zu senden.
Verbissen kämpfte Arlyn dagegen an, kämpfte um die Kontrolle über seine Magie, kämpfte um zu bewahren, was ihm gehörte, was er war, was ihn ausmachte, sich nicht in der fremden Magie zu verlieren, Farjins Gefangener zu werden.
Glühend heiß brannte die gewaltige Magie in ihm. Er spürte wie sie geballt wurde, spürte wie Farjin sie formte, wie er sich immer weiter verlor, wie er ausgeschlossen wurde. Arlyn schloss die Augen, konzentrierte sich und griff entschlossen an.
Seine Magie loderte auf, explodierte heißer und glühender als je zuvor, befreite sich mit einem gewaltigen Schlag von dem fremden Eingriff. Es gelang ihm, mit einer glühend heißen Welle Farjins Magie in ihm hinweg zu fegen.
Die Magie war so gewaltig, dass sie aus ihm aufstieg wie eine lodernde Feuerwand, die hoch zum Himmel stieg, als er sie umlenkte, weg von dem fliehenden Mann.
Die gewaltige Wucht fällte stattdessen Bäume, wirbelte Erdreich hoch und raste, wie ein Wirbelsturm über die Lichtung, setzte Bäume in Brand.
Arlyn zog sie zurück und sammelte sie erneut, schleuderte Farjin zurück, traf ihn mit der geballten Wucht, die eigentlich den fliehenden Engas hätte treffen sollte. Sein Meister taumelte zurück und ein Ausdruck völliger Verblüffung trat auf sein Gesicht.
Arlyn wartete nicht länger ab, er sammelte seine Magie erneut, baute einen Schutzwall hinter dem er eine schwarze Wand schuf und diese auf seinen Meister schleuderte. Die Wand umhüllte ihn, nahm ihm die Sicht , fesselte seine Glieder, so dass er hinten überfiel und unfähig war, sich zu bewegen, oder ihn zu sehen.
Schwer atmend stand Arlyn sekundenlang da, inmitten der brodelnden, wilden, kaum gebändigten Magie, die heiß und gewaltig durch ihn pulsierte, stärker und mächtiger als je zuvor, an ihm zerrte und starrte seinen am Boden liegenden Meister an.
Was hatte er getan?
Er hatte getötet.
Er hatte seine Magie missbraucht und er hatte seinen Meister angegriffen.
Besiegt. Gefesselt mit seiner Magie.
Und nun loderte diese wilde, heiße Magie um ihn her, suchte ein Ventil, schien ihn von innen heraus zu verbrennen. Er kämpfte verzweifelt um die Kontrolle über diese gewaltige Macht, versuchte, das entfesselte Tier wieder einzufangen, welches jetzt voller Verlangen nach Blut lechzte und tobte, an seinen Ketten zerrte, endlich ganz frei sein wollte.
Arlyns Gedanken rasten. Sein Verstand spielte verrückt und ergab sich schließlich seinen Emotionen. Die körperliche Schwäche, seine emotionale Erschöpfung brachen mit voller Wucht über ihn herein.
Die Magie flackerte noch einmal auf, mit letzter Kraft drängte er sie zurück, zog sie in sich zurück. Zog sie ganz in sich zurück, verschloss sie in sich, mit allem anderen, den Bildern, den Erinnerungen.
Sein Verstand brach zusammen und er flüchtete sich in die einzige Sicherheit, die es für ihn gegeben hatte, zurück in die Enklave in seinem Inneren.
Er wusste nicht mehr wo er war, was er tat, was er tun sollte. Da war nichts außer diesem Entsetzen, der Angst, der Scham.
Arlyns Selbst verschwand, tauchte ein in seine eigene Magie, in die Sicherheit die sie ihm bot und ließ ihn alleine zurück, den Körper, der nur reagieren konnte.
Blind rannte er los.
Rannte einfach davon und spürte, während er lief, wie sich die Magie weiter zurückzog. Wie er sie in sich einschloss, tief in sich hinein, immer weiter, in jene kleine Enklave, die ihn schon einmal gerettet hatte. Er schloss sie ein, zusammen mit den fürchterlichen Erinnerungen an die Demütigungen, den Missbrauch, die Angst, die Scham und den Ekel und alle Erinnerungen an seinen Meister, an das, was er getan hatte, was er diesen Männer angetan hatte.
Er kapselte alles ein, schloss es in seine Magie ein, zog alles in einen winzig kleinen Bereich zurück, der für ihn unerreichbar werden sollte.
Und so rannte er durch den Wald.
Verloren, ohne Erinnerungen außer an seinen Namen, ohne Magie, ohne Ziel.
Rannte nur noch vor etwas davon, an dass er sich nicht mehr erinnerte. Floh vor Schrecken, die er nicht mehr sah.
Nur fort, fort irgendwo hin. Der Rest der verlöschenden Magie trug den geschwächten Körper vorwärts, schneller und weiter, als es je ein Mensch alleine hätte schaffen können.
Mehrere Tage später fand ein Bauer am Rande des Waldes einen völlig erschöpften, fiebernden Jungen mit hohlen Wangen, vor Schmutz starrendem Gesicht und verfilztem Haar.
Der Junge lag auf dem Boden, sein Gesicht und schmaler Körper halb im Laub vergraben, wirkte wie tot. Aber er atmete noch, wie der Bauer Germon rasch feststellte. Als er den Jungen ansprach, reagierte er nicht, erst als er ihn an der Schulter schüttelte, wandte der Junge ihm etwas das Gesicht zu, blickte ihn aus merkwürdig gefärbten Augen an. Seine Lippen waren stark geschwollen, seine Haut heiß und fiebrig.
Der Bauer Germon rief rasch seine zwei ältesten Söhne herbei, die mit ihm Holz sammelten und brachte den seltsamen Jungen auf seinem Karren zu seinem Hof.
Germons Frau Frenja sah erschrocken auf, als ihr Mann so unerwartet mit einem Jungen auf dem Arm ins Haus kam. Erleichtert stellte sie, nach ihrem ersten Schrecken, fest, dass es keiner ihrer Söhne war, kam aber sofort herbei, als sie die ernste Miene ihres Mannes sah.
„Ich habe ihn draußen im Wald gefunden. Sieht verletzt aus“, sagte er, als er den Jungen herein trug. Seine Frau sah den fremden Jungen erstaunt an.
„Er lag einfach so im Wald. Er hat wohl Fieber, so heiß, wie er sich anfühlt. Er ist mehr tot als lebendig“, erklärte Germon, als sie den Jungen nach oben brachten, ihn in das Bett eines ihrer eigenen Söhne legten.
Frenja zog ihn aus. Seine Kleidung war voll von Dornen und Ästen, er schien quer durch den Wald gerannt zu sein. Sein Hemd und seine Hose waren zerrissen, voller Dreck und Blut. Frenja sah ihn sich kurz an. Der Junge war stark abgemagert und hatte diverse Verletzungen am ganzen Körper. Er war nicht bei Bewusstsein, fieberte und murmelte immer wieder vor sich hin.
Germon brachte unterdessen warmes Wasser hoch und sah zu, wie seine Frau den schmalen Jungen wusch.
Unter dem ganzen Dreck kam eine ungewöhnlich sehr helle Haut hervor, die übersät war mit dunklen Malen, Blutergüssen und Striemen. Besonders am Rücken und Gesäß war er voller, schwarz verfärbter Blutergüsse und getrocknetem Blut. Sanft wusch Frenja das verklebte Haar und sog überrascht die Luft ein, als es dabei heller und heller wurde.
„Germon“, hauchte sie überrascht. „Hast du jemals eine solche Farbe gesehen?“
Ihr Mann schüttelte stumm den Kopf, starrte erstaunt auf das helle, kupfern schimmernde Haar. Betroffen schlug er sich die Hand vor den Mund, als seine Frau eine verkrustete Wunde am Kopf vorsichtig aus wusch
„Bei den Göttern! Was ist ihm nur zugestoßen?“, brach es aus ihm hervor.
„Vielleicht ist er den Sklavenfängern entwischt?“, vermutete seine Frau, ohne den Blick von dem seltsamen Jungen abzuwenden.
„Wir haben nichts gehört, dass sie wieder in der Gegend sind“, meinte Germon nachdenklich. „Ihr letzter Raubzug ist drei Jahre her.“
Fasziniert sah er auf den Jungen vor sich. Noch nie hatte er einen so schönen Jungen gesehen.
„Aber ich werde alle alarmieren. Wenn in der Nähe ein Hof überfallen wurde, wissen wir wenigstens, wo er herkommt und können seine Familie benachrichtigen“, meinte er, riss sich von dem Anblick los, warf aber beim Hinausgehen, noch einen Blick zurück.
Frenja betrachtete den fiebernden Jungen. Er war noch immer nicht bei Bewusstsein, warf sich aber in den Fieberschüben unruhig hin und her, stöhnte angstvoll auf. Kurze, leise Schreie lösten sich, wenn er mit fahrigen Händen abwehrend um sich schlug, sich gegen unsichtbare Dämonen wehrte. Vorsichtig nahm sie seine Hände, redete beruhigend auf ihn ein, während sie sie wieder hinab drückte.
Sie kühlte seine Stirn, flößte ihm, in den ruhigeren Phasen der Fieberträume, Weidenrindentee ein, der das Fieber senken würde.
Der Junge war mager, aber auch sonst nicht von sehr kräftigem Wuchs, erkannte sie. Ihre Söhne waren alle wesentlich breitschultriger, kräftiger, selbst ihr Jüngster. Seine hellen Haare waren absolut ungewöhnlich. Die meisten Menschen der umliegenden Hofe waren eher dunkelhaarig und eben kräftig gebaut. Ein so helles Rotblond hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Dieser Junge schien fremdartig, unglaublich zerbrechlich, so fragil. Sein schönes Gesicht war angespannt, voller tiefer Linien, die von erlittenem Schmerz kündeten. Seine vollen Lippen murmelten im Schlaf oder Fieber und wenn er die Augen aufschlug, blickte sie in diese merkwürdig türkisfarbene Augen.
Aber der Blick blieb leer. Der Junge nahm nichts wahr, blieb ganz und gar in seinen Fieberträumen gefangen.
Frenja betrachtete seine feinen Hände. Sie waren feingliedrig und ohne jede Schwiele. Der Junge war kein Bauer. Seine Hände hatten nie harte Arbeit verrichtet. Er konnte also kaum von einem der umliegenden Höfe stammen.
Aber woher dann? Die nächste Ansiedlung war ein kleines Dorf, zwei Tagesreisen entfernt, aber dort kannte sie alle Menschen und dieser Junge war zu ungewöhnlich, als dass sie ihn dort nicht gesehen hätte. Über ihn hätte man geredet.
Aber woher kam er dann? Alle anderen Ansiedlungen lagen so weit weg, dass er es kaum alleine bis hierher geschafft haben konnte.
Als Germon heim kam, erzählte sie von ihren Beobachtungen und ihren Vermutungen.
Auch ihr Mann hatte keine Erklärung. Kein Hof war in letzter Zeit überfallen worden. Niemand hatte Berichte von irgendwelchen Sklavenfängern in der Umgebung gehört.
Die Herkunft des Jungen würde also ein Geheimnis bleiben, bis er aus seinen Fieberträumen erwachte. Wenn er das Fieber überlebte, denn sein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag.
Frenja war sich nicht sicher, ob er es schaffen würde. Er nahm kaum Flüssigkeit zu sich und das war so wichtig, wenn er den Kampf gegen den Fieberdämon gewinnen wollte. Sie saß oft an seinem Bett, kühlte ihm die Stirn, beruhigte ihn, wenn er schreiend um sich schlug. Seine Bewegungen wurden schwächer, sein Körper schien den Kampf gegen die fiebrigen Dämonen zu verlieren.
Aber der Junge kämpfte.
Nachts schreckten Germon und seine Familie oft hoch, wenn der Junge im Fiebertraum wieder gellend schrie oder hemmungslos weinte, dann eilte Frenja sofort zu ihm, beruhigte ihn, streichelte ihm über die helle Haut, bis er wieder in den Schlaf hinüber glitt. Dann scheuchte sie ihre Söhne wieder ins Bett, die immer hinzu kamen, mitleidig den unbekannten Jungen betrachteten.
Der ganze Hof nahm am Schicksal des Jungen aus dem Wald anteil. Germons Hof war groß genug, um Heimat für über zwanzig Menschen zu sein. Eine kleine Gemeinschaft, die durch alle Härten des Lebens auf dem Hof zusammen hielt, fern jeder anderen größeren Ansiedlung.
Der hellhäutige, zarte Junge aus dem Wald war bei allen Gesprächsthema geworden, seit dem Tag, an dem Germon ihn gefunden hatte. Die anderen Frauen sahen fast täglich nach ihm, halfen Frenja wo sie konnten bei ihren täglichen Arbeiten, damit sie sich ganz um den fiebernden Jungen kümmern konnte.
Ihre eigenen Jungen kamen neugierig täglich mehrfach vorbei, um zu sehen, ob er sich erholen würde. Brachten unaufgefordert warmes Wasser und frische Tücher hoch.
Mehr als eine Woche lang, lag der unbekannte rotblonde Junge in seinen Fieberträumen gefangen, dann wagte Frenja langsam zu hoffen. Das Fieber ging zurück und die Phasen tiefen Schlafes wurden länger, wenngleich der Junge auch dann unruhig war.
Frenja hatte ihn in solchen Phasen instinktiv die Hand auf die Schulter gelegt und er wurde ruhiger, entspannter. In den heftigsten Fieberphasen, wenn sein schmaler Körper sich hin und her warf, er voller dunkler Schmerzen und Fantasien stöhnte, nahm sie ihn wieder in den Arm, bis er sich beruhigte. Ab und an kam er jetzt zu sich, sah sie mit diesen türkisfarbenen Augen furchtsam an. Sie sprach leise mit ihm, beruhigte ihn, versicherte ihm, das er in Sicherheit war, bis er die Augen wieder schloss und zurück in den Schlaf sank.
Wenn er wach war, flößte sie ihm Wasser ein. Als die Phasen länger wurden, gab sie ihm löffelweise Brei und Suppe. Langsam, ganz langsam erholte er sich. Am Ende der zweiten Woche richtete er sich zum ersten Mal auf, als Frenja mit dem Essen den Raum betrat und ihn anlächelte. Voller Freude bemerkte sie, dass er ihr Lächeln schüchtern erwiderte.
„Oh wie schön! Es geht dir heute besser“, freute sie sich, trat an sein Bett und stopfte ihm die Kissen in den Rücken um es ihm leichter zu machen, aufrecht zu sitzen.
„Ist es so bequemer?“, fragte sie, sah das er vorsichtig nickte. Sie gab ihm löffelweise den Getreidebrei zu essen und beobachtet wie er gierig aß. Anscheinend war sein Appetit zurück gekehrt.
Germon betrat den Raum, staunte, wie sich der Junge verändert hatte.
Frisch gewaschenes, kurzes rotblondes Haar fiel ihm leicht ins Gesicht. Er wirkte nicht mehr so ausgemergelt wie an jenem Tag, als er ihn gefunden hatte, aber dennoch fragil, wie ein Mädchen.
Germon ertappte sich, wie er den Jungen eindringlich musterte, der so ganz anders aussah, als die Menschen hier auf dem Hof oder der näheren Umgebung.
Unter den Frauen des Hofes ging schon länger das Gerücht, er würde aus der Welt der Götter stammen, wäre sogar ein Sohn der Götter. Vielleicht war er von ihnen verstoßen worden, oder man hatte ihn geraubt und er war geflohen.
Germon musste zugeben, dass seine ungewöhnliche Erscheinung schon einen solchen Verdacht nahe legte.
Er war sehr zart gebaut, hatte eine schmale, fast mädchenhafte Taille. Sein Gesicht war von diesen großen, türkisfarbenen Augen geprägt, in denen ein leicht gehetzter Ausdruck stand. Lange, dichte Wimpern überschatteten diesen Blick und volle, geschwungene Lippen umrahmten einen schüchtern lächelnden Mund ein, als sich Germon ans Bett setzte und den Jungen verzückt betrachtete.
Er war unglaublich schön. Germon staunte, denn so etwas würde man eher bei einem Mädchen erwarten, aber dieser Junge strahlte eine ganz besondere Art von Anziehung aus. Kein Wunder das sich alle Frauen überschlugen, ihm zu helfen.
„Sieh nur, es geht ihm heute schon deutlich besser“, wandte sich Frenja freudig an ihrem Mann, strich dem Jungen durch die weichen Haare.
„Kannst du uns schon sagen, was passiert ist, Junge?“, fragte Germon, wurde aber von seiner Frau unterbrochen.
„Lass ihn Germon. Er ist gerade erst am Aufwachen. Das ist mein Mann, Germon“, stellte Frenja ihn vor. „Er und meine Söhne haben dich im Wald gefunden.“
Aber dann war sie doch selber zu neugierig, um noch länger zu warten.
„Kannst du uns denn sagen, wie du heißt, Junge?“, fragte sie ihn leise.
Der Junge sah sie für einen kurzen Moment mit offenen Mund an, blickte verwirrt, schien erst lange in seinen Erinnerungen suchen zu müssen. Er sah dabei recht erschrocken aus. Mit brüchiger Stimme sagte er langsam, als ob er jedes Wort erst suchen müsste: „Ich weiß nicht. Ich erinnere mich nicht. Ich bin mir nicht sicher... “
Er pausierte und sah die beiden fragend an. Zögernd senkte er den Blick. Dann flüsterte er erst sehr leise, dann sicherer werdend: „Arlyn. Mein Name ist Arlyn.“
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, wich gleich darauf aber wieder einem erschreckten Ausdruck.
„Aber an mehr kann ich mich nicht erinnern. Da ist nichts. Alles ganz schwarz“, flüsterte er, schloss gequält die Augen.
Frenja zog ihn an sich, nahm ihn in die Arme, streichelte über seinen Rücken.
„Keine Angst. Das kommt wieder. Du bist in Sicherheit. Was auch immer du erlebt hast, es kann warten, bis es dir so gut geht, dass du dich erinnern willst. Arlyn“, munterte sie ihn auf. „Was für ein schöner Name.“
Arlyn sah sie unsicher an, genoss ihre Nähe und Zärtlichkeit, die er in sich aufnahm, wie die Nahrung, die sie ihm brachte. Er erinnerte sich an nichts. Nur an diesen Namen. Grübelnd kämpfte er gegen das Dunkel seiner Erinnerung an, bis er wieder in den Schlaf versank, der zwar mit Albträumen durchsetzt war, aber ihre Worte umhüllten ihn schützend: „Du bist in Sicherheit.“
Mehrere Tage brauchte Arlyn noch, bis er länger als einige Minuten aufrecht sitzen konnte. Frenja drang in der ganzen Zeit nicht weiter auf ihn ein.
Germon besuchte ihn regelmäßig. Auch seine Söhne schauten nun immer öfters mal herein, vor allem, weil sie neugierig waren und alle Anderen vom Hof ihnen ständig Fragen zu dem fremden Jungen stellten, die sie nicht beantworten konnten.
Germon brachte seiner Frau heißes Wasser hoch und sah, dass der Junge aufrecht saß und bei vollem Bewusstsein war.
„Wie geht es dir heute, mein Junge?“, fragte er und lächelte seinen Gast an.
„Besser, mein Herr, dank eurer Hilfe“, erwiderte Arlyn schüchtern und sah ihn direkt an. Germon konnte den Blick kaum von diesen türkisfarbenen Augen lösen.
„Eure Frau sagte mir, dass ihr und eure Söhne mich im Wald gefunden haben?“, fügte Arlyn nach einer Pause hinzu.
„Das stimmt. Du warst mehr tot als lebendig und hattest diverse Verletzungen. Kannst du dich jetzt daran erinnern?“, fragte Germon neugierig, denn diese Fragen waren natürlich Anlass zu Spekulationen gewesen, seit auf dem Hof bekannt wurde, dass er diesen Jungen im Wald gefunden hatte.
Der Junge zögerte, sah sehr in sich gekehrt aus, als er leise antwortete: „Ich weiß es nicht, mein Herr. Ich erinnere mich an nichts. Nur an meinen Namen.“
Er machte eine Pause und sah Germon wieder mit diesen fantastisch türkisfarbenen Augen an. Mühsam senkte der den Blick, seufzte innerlich. Was auch immer der Junge erlebt hatte, es musste ihn so stark geprägt haben, dass er sich nicht erinnern konnte, oder wollte. Nun, dachte Germon, Zeit heilt bekanntlich alle Wunden.
„Es ist nicht wichtig, Arlyn“, sagte er daher. „Du kannst hier bei uns bleiben. Deine Erinnerungen werden irgendwann zurück kehren.“
Zwei Wochen nachdem Arlyn den Fieberdämonen entkommen war, fühlte er sich endlich kräftig genug und folgte Frenjas Einladung, zum Abendbrot hinunter in die Küche zu kommen.
Die ganze Familie saß an dem großen Holztisch, als er langsam die Treppe herab kam und ihre Stimmen verstummten, als sich alle Augen auf den fremden Jungen richteten.
Er sieht immer noch so aus, als ob ihn der geringste Windhauch fort wehen könnte, dachte Frenja besorgt.
Schüchtern lächelte er, als er sich der ganzen Aufmerksamkeit bewusst wurde. Die fünf anderen Jungen starrten ihn unverhohlen neugierig an. Ihr Vater lächelte und machte eine einladende Geste zum Tisch.
„Komm Arlyn, setze dich zu uns.“
Frenja sprang auf, holte rasch ein weiteres Gedeck, als sich Arlyn zögernd zwischen ihre Söhne setzte, die ihm bereitwillig Platz machten, nicht ohne ihn weiter offen zu mustern.
Frenja schmunzelte.
Der fremde Junge sah sehr verloren aus zwischen ihren hochgewachsenen, kräftigen Söhnen. Nur ihr Jüngster, der zwölfjährige Jiksan war kleiner aber er wirkte dennoch kräftiger, als Arlyn.
Frenja deutete nacheinander auf ihre Söhne, stellte sie Arlyn dabei vor.
„Das ist mein Ältester, Piju, dann Hunlan, mein Jüngster Jiksan und das sind Griksan und Klynda. Ihr könntet wohl in etwa im gleichen Alter sein“, vermutete sie.
Arlyns Blick huschte von einem zum anderen und die Jungen nickten ihm zu, wandten dann ihren Blick wieder zurück zum Essen. Nur Jiksan sah ihn herausfordernd an.
„Du hast mein Bett bekommen!“, sagte er vorwurfsvoll. Arlyn zuckte zusammen und sein Lächeln wurde unsicher, die großen Augen sahen den Jungen ängstlich an.
Frenja lachte.
„Dafür durfte er in die obere Jungenkammer umziehen. Damit hat er mir vorher ständig in den Ohren gelegen.“
Jiksan wandte sich an seine Mutter.
„Das war, bevor ich wusste, das Griksan nachts redet und Klynda schnarcht!“, empörte sich der Junge. Die anderen grinsten nur.
Jiksan sah wieder Arlyn herausfordernd an.
„Und du hast nachts auch oft so laut geschrien, dass ich davon auch aufgewacht bin“, warf er ihm vor.
Der fremde Junge lächelte ihn unsicher an und antwortete leise: „Das tut mir leid. Ich wollte dich bestimmt nicht wecken.“
„Naja, du hast wohl ganz schön schlecht geträumt?“, meinte der Kleine versöhnlich, sah plötzlich voller Verständnis zu dem fremden Jungen.
„Und so komische Sachen geredet“, fügte er noch hinzu. „Dass man dir nicht wehtun soll und so.“
Arlyn sah betreten aus, rutschte unruhig hin und her.
„Ich hatte letzten Sommer auch Fieber und habe dauernd Dämonen gesehen. Große haarige mit langen Klauen“, erklärte Jiksan. „Die haben mir auch ganz schön Angst gemacht.“
Griksan und Klynda verdrehten die Augen neben ihm.
„Aber du brauchst keine Angst mehr vor denen zu haben“, fügte Jiksan in kindlicher Naivität hinzu, rutschte dichter an Arlyn heran.
„Mein großer Bruder Piju hat mir damals gesagt, dass er jeden Dämon mit seinem Holzstab erschlagen wird, der sich mir nähert. Und das macht er bestimmt auch für dich, nicht Piju?“, fragte er seinen großen Bruder.
Piju brummte zustimmend, sah den fremden Jungen dann kurz an, senkte aber sofort wieder den Blick.
„Aber klar. Jeder Dämon hier bekommt es persönlich mit mir zu tun“, brummte er und Arlyn empfand sofort Sympathie für den großen, kräftigen Jungen.
Piju hatte rote Pausbacken und einen wilden Haarschopf, der ihm immer in die Augen fiel und ihn dazu brachte, sich bei jedem zweiten Satz, die Haare mit einem kleinen Ruck aus dem Gesicht zu werfen. Er blickte wieder kurz auf, senkte den Blick aber sofort, als er in Arlyns Augen sah.
„Aber klar doch. Du gehörst jetzt zur Familie. Wir passen schon auf dich auf“, brummte er nochmal bestätigend und zwinkerte Arlyn dann von unten verschwörerisch zu.
Die anderen lachten. Arlyns Lächeln vertiefte sich und seine türkisfarbenen Augen leuchteten regelrecht, wie Germon bemerkte. Anscheinend hatten seine Söhne den fremden Jungen schon in ihr Herz geschlossen.
Frenja schöpfte Arlyn den Teller voller Suppe, brach ihm dann ein großes Stück Brot ab.
„Hier, Arlyn, das wird dir gut tun. Damit kommst du rasch wieder zu Kräften. Wie ich sehe, hast du das neue Hemd gefunden? Es passt dir gut“, bemerkte sie.
Klynda gab ein Grunzen von sich: „Ist mein altes, aber ich brauche eh nicht mehr, weil ich raus gewachsen bin. Du bist klein genug, da passt es dir.“
Arlyn aß hungrig seine Suppe und brachte dazwischen nur undeutlich ein: „Danke.“, hervor.
Frenja wurde es warm ums Herz, als sie sah, wie herzlich ihre Söhne den anderen Jungen aufnahmen. Sie war stolz auf jeden von ihnen. Dieser ungewöhnliche Junge, Arlyn, mochte keine Vergangenheit haben, aber er hatte nun eine Zukunft. Hier bei ihnen, als Teil ihrer Familie.
Die nächsten Wochen beobachtete Frenja den Jungen, wie er sich nach und nach in die Hofgemeinschaft einfügte. Wohlwollend sah sie, wie er jeden Tag zusehends kräftiger wurde und begann Aufgaben im Haus zu übernehmen. Es war schön zu sehen, wie Arlyn mit jeder Woche mehr Muskeln entwickelte.
Er würde nie so kräftig werden, wie ihre Söhne, beobachtete sie, sein Brustkorb würde wohl immer flach, die Schultern so schmal, bleiben mit dieser schlanken Taille, aber die sich nun deutlich abzeichnenden, flachen Muskeln standen ihm gut, ließen ihn nicht mehr ganz so zerbrechlich wirken.
Als er kräftig genug war, übernahm er auch Pflichten in den Stallungen, fütterte die Pferde, mistete die Stallungen. Germon ließ ihn sich bald schon auch um die anderen Tiere des Hofes kümmern. Er war immer bestrebt alles richtig zu machen, gab sich große Mühe, ihnen durch seine Arbeit zu danken, dass sie ihn aufgenommen hatten.
Arlyn war sehr geschickt und ungewöhnlich schnell, schien oft Bewegungen im Voraus zu erahnen. Rasch entwickelte er eine gute Hand für den Umgang mit den Pferden. Germon vertraute ihm immer mehr die Pflege der Kaltblüter und der vier Reitpferde an.
Das Leben auf dem Hof war nicht immer einfach. Sommer wie Winter stellte die Bewohner immer wieder vor neue Herausforderungen.Hitze und Kälte forderten ihren Tribut an die Menschen. Jeder Tag war erfüllt von Arbeit in den Stallungen, den Feldern oder in den umliegenden Wäldern.
Die Menschen hier bewirtschafteten den Hof schon seit vielen Generationen. Sie wurden auf dem Hof geboren, lebten oft ihr gesamtes Leben lang hier, gingen untereinander Bindungen ein und wenn sie starben, war ihr Platz im Totenwald gleich hinter dem Hof.
Das Land war karg, sandige Böden lieferten nur wenig Nährstoffe für die Getreideanpflanzungen. Dafür waren die Wälder sehr wildreich und ergänzten das Nahrungsangebot der Menschen auf dem Hof. Das meiste, was die zum leben brauchten, lieferte der Hof. Größere Ansiedlungen gab es nur an den bekannten Handelsrouten, den Grenzen zu den nördlichen oder südlichen Ländern oder in der Nähe der vereinzelten fischreicheren Seen.
Solche Höfe, wie der von Germon, waren in diesem Teil des nordöstlichen Landes absolut typisch. Sie boten einer kleineren Gruppe von Menschen Heimat, die größtenteils unabhängig von der Außenwelt lebten.
Weiter oben im Norden und an der Küste gab es größere Ansiedlungen, eigene Reiche und Herrscher, die gegenseitig Anspruch auf das Land erhoben, aber hier war alles so weitläufig, der Boden so wenig ertragreich, dass die Herrschaft über ein paar vereinzelt gelegene Bauernhöfe keinem erstrebenswert schien.
Das Freie Land nannte man dieses Gebiet daher, auch wegen seiner weiten, großen Flächen. Da keiner über dieses Land herrschte, gab es somit keinen der Gesetze erließ oder auf gar deren Einhaltung achtete, jeder Hof war sich selbst überlassen, bildete eine eigene Gemeinschaft der Menschen, die dort lebten und arbeiteten. Jeder Hof hatte daher seine eigenen Gesetze, die für seine Bewohner galten. Untereinander trieben die Höfe zwar Handel, hatten aber ansonsten nur wenig Berührungspunkte. Ab und an gab es Bindungen unter den Höfen, aber es waren eher Ausnahmen.
Arlyn war vom ersten Tag an fremd und ungewöhnlich für diese Menschen, dennoch hatten sie ihn so einfach bei sich aufgenommen. Seine zarte Statur machte ihm die schwere körperliche Arbeit auf den Feldern und am Hof nicht gerade eben leicht, aber er beschwerte sich nie, gab immer sein Bestes. Er war den Bauersleuten dankbar, dass sie ihn aufgenommen hatten, ohne Herkunft, ohne Erinnerungen, außer an seinen Namen. Nach wie vor konnte er sich nicht erinnern, was zuvor passiert war. Es macht ihn oft Angst, aber so sehr er es auch versuchte, das Dunkel wollte sich nicht lichten.
Germons vier Söhne hatten schnell erkannt, dass er ihnen an Kraft nicht gleich kam, übernahmen immer wieder stillschweigend Aufgaben, die er selber nicht bewältigen konnte. Für sie war er einfach zu einem weiteren Bruder geworden. Ihre freundliche Zuneigung tat ihm gut. Er fühlte sich sicher in ihrer Mitte.
Besonders der große, wortkarge Piju, Germons Ältester, hatte sich zu seinem persönlichen Beschützer erklärt. Oft nahm er ihm Lasten ab, die ihm zu schwer für den Jungen erschienen.
Arlyn war zurückhaltend, wirkte auf die Anderen oft so scheu und ängstlich, wie ein wildes Tier. Er redete nicht viel, wenn dann stets mit leiser Stimme. Er und Piju brauchten nie viele Worte, um sich zu verstehen.
Germons Jüngster, Jiksan hatte den merkwürdigen Jungen vom ersten Tag an in sein Herz geschlossen. Er war besonders gerne mit Arlyn zusammen, mochte ihn gerne. Der stille, scheue Junge neckte ihn nie, wie seine älteren Brüder es gerne taten. Er behandelte ihn nicht wie ein Kind, sondern stets gleichberechtigt. Zwischen ihnen entwickelte sich im Lauf der Zeit ein enges Band der Freundschaft.
Frenja schmunzelte oft, wenn sie die beiden so zusammen sah.
Sie waren nahezu untrennbar geworden, unternahmen vieles zusammen. Der jüngere Jiksan hatte den hübschen, rotblonden Jungen im Wuchs schon bald überholt, sah neben ihm stets viel kräftiger und erwachsener aus, als er eigentlich war. Wohl auch ein Grund, warum er seine Nähe suchte. Obwohl Arlyns Figur wirkte, als ob er gerade eben vor dem dritten Alter war, deutete sein Verhalten doch eher auf das eines jungen Mannes am Anfang des vierten.
Frenja blickte von ihrer Arbeit, den Teig für ihr Abendbrot zu kneten, aus dem Küchenfenster auf den Hof hinaus, wo Arlyn und Jiksan im Schatten unter einem Baum saßen und schnitzten. Es war Spätsommer und die heiße Luft flirrte im Staub auf dem großen Innenhof. Die meisten Kinder waren unten am Bach, spielten ausgelassen im Wasser. Alles auf dem großen Hof schien in er Mittagshitze zu ruhen, bis die kühleren Abendstunden die Bewegungen wieder erträglicher machen würden.
Frenjas Blick blieb an Arlyns Gesicht hängen. Selten sah er so entspannt aus, wie gerade. Oft schien er irgendwie etwas auf der Flucht zu sein. Seine ungewöhnlichen Augen huschten dann hektisch und unsicher umher, als ob er einen Angriff von irgendwo her erwarten würde. Frenja wusste, dass er oft Nachts Nicht in seinem Bett schlief, sonder an die Wand gekauert. Häufig wurde er von Albträumen gequält, wachte schreiend auf. Aber er wussten nicht, wovon er träumte. Sie hatten nicht erfahren können, was ihm passiert war, denn die Erinnerungen kehrten nicht zurück. Vielleicht war es auch ganz gut so, dachte sie.
Lächelnd sah sie, wie Jiksan Arlyn vertraulich anstieß und ihm sein Werkstück zeigte. Arlyn ließ körperliche Nähe nur ungern zu. Germons Söhne hatten rasch akzeptieren gelernt, dass Arlyn absolut keine Berührungen mochte. Gerade am Anfang hatte er nahezu panisch regiert, war angstvoll zurückgewichen, wenn sie ihn berührten, ihm mal auf die Schulter klopften oder ihn freundschaftlich knufften. Schnell hatten sie gelernt, ihn in Ruhe zu lassen.
Er erschien ihr dazu auch ungewöhnlich schamhaft, besonders, wenn die Kinder des Hofes, so wie heute, die Kühle des Baches, der vor dem Hoftor floss, aufsuchten und dort badeten. Arlyn nahm selten daran teil. Er zeigte sich nur äußerst ungern unbekleidet, zumal seine so helle Haut bei allen immer wieder auf Verwunderung stieß. Im Sonnenlicht schien sie wirklich kupfern zu leuchten, zog alle Blicke auf sich, was ihm sichtlich unangenehm war.
Einzig Piju durfte ihn freundschaftlicher berühren. Bei ihm akzeptierte Arlyn mittlerweile sogar seinen um sich gelegten Arm, wenn der ihn für etwas lobte.
Sein Verhalten war den anderen Kindern wie Erwachsenen oft unerklärlich. Das hatte ihn etwas isoliert in der restlichen Hofgemeinschaft, auch wenn niemand ihn bewusst ausstieß. Er gehörte zur engsten Familie, war für Germons Familie wie ein Sohn und Bruder geworden, aber bei den Anderen blieb er stets etwas fremd. Trotzdem gehörte er zu ihrer Gemeinschaft, da er seinen Anteil der Arbeit gut, gewissenhaft und ohne zu Murren erledigte. Auf dem Hof war man froh über jede zusätzliche Arbeitskraft.
Frenja formte den Teig zu einem Laib, den sie auf dem Tisch ablegte. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und blickte wieder zu den zwei Jungen hin, die dort alleine saßen. Arlyn war meistens mit Jiksan zusammen. Die beiden wussten sich immer zu beschäftigen. Sie brauchten wenig Worte untereinander, verstanden sich auch so. Ungesagt war Arlyn Jiksans Freund und Bruder geworden. Mit den anderen Jungen des Hofes verband ihn aber kaum etwas. Ihren wilden Raufereien ging er eher aus dem Weg. Nie nahm er die ungestümen Spiele an, in denen sie ihre Kräfte beinahe täglich maßen.
Bei den Mädchen des Hofes hatte der schöne Junge besonders am Anfang zu viel Aufregung geführt. Jede hatte sich überschlagen, ihm zu gefallen, irgendwie seine Aufmerksamkeit zu erregen.
Aber Arlyn ging auf keine ihrer Bemühungen ein. Er wies sie nicht ab, er lächelte nur schüchtern, wenn sie mit ihm flirteten und ging seiner eigenen Wege. Nach und nach hatten sie gelernt, dass er an ihnen nicht interessiert war und ließen sie ihn daher mehr in Ruhe. Er würde sich schon irgendwann für sie interessieren, dachte Frenja. Bei seinem Aussehen würde es ihm nicht schwer fallen, eine Frau unter ihnen zu finden.
Germons ältere Jungs waren durchaus stolz auf Arlyn, gerade weil er so beliebt bei den Mädchen war. Er würde sich, wenn er soweit war, das schönste und beste Mädchen nehmen können. Die anderen Jungen des Hofes waren daher eher eifersüchtig, wie viel Aufmerksamkeit er bei den Mädchen erregte und stichelten hinter seinem Rücken oft darüber. Aber da er ihnen derzeit noch keine Konkurrenz machte, akzeptierten sie ihn schließlich. Nur ab und an hatte einer der Jungen Arlyn herausgefordert. Meistens war dann einer von Germons Söhnen da und ging dazwischen, stellte sich schützend vor den schmalen Jungen.
Frenja lächelte. Sie hatte oft genug beobachtet, dass Arlyn seinerseits kaum auf Beleidigungen oder andere Herausforderungen reagierte. Meistens wandte er sich dann einfach ab und ging.
Sie wandte sich vom Fenster ab, hörte den Lärm, der Kinderschar, die vom Bach her wieder hoch kam. Sie hatte noch eine Menge Arbeit zu erledigen, bis ihr Mann und die drei älteren Söhne von den der Jagd zurück kamen. Morgen würde es sicherlich Fleisch zu essen geben.
Draußen im kühleren Schatten zeigte Jiksan Arlyn sein geschnitztes Werk.
„Schau mal, Arlyn. Das wird ein Fuchs.“ Er hielt dem rotblonden Jungen den Stock vor die Nase. „Siehst du? Das da ist sein langer Schwanz und die spitze Nase.“
Arlyn besah sich den Stock genauer, der nicht im geringsten irgendeine Ähnlichkeit mit einem Fuchs oder sonstwie ihm bekannten Tier aufwies. Aber er wusste, wie stolz Jiksan auf seine Arbeit war, also lächelte er.
„Sehr gut. Du musst ihm aber noch Zähne und Krallen machen, wie bei dem Fuchs, den Piju letztes Mal mitgebracht hat“, sagte er.
Jiksan nickte eifrig und machte sich an die Arbeit. Arlyn sah ihm zu, vergaß kurz seine eigene Schnitzerei.
Piju hatte den Fuchs mit dem herrlichen roten Fell selber in einer seiner Fallen gefangen. Germon war zwar enttäuscht gewesen, denn das Fleisch schmeckte nicht so gut, wie Kaninchen, aber Piju hatte den Fuchs dennoch sofort Arlyn gezeigt, als sie heimgekommen waren.
Bewundernd war er mit der Hand über das weiche Fell gefahren.
„Ich werde das Fell ganz vorsichtig herunter nehmen“, hatte Piju gesagt und Arlyn angelächelt.
Er lächelte nicht so oft. Viele hielten ihn für etwas langsam im Denken. Meist schien er eher brummig und schlecht gelaunt zu sein, die meisten mieden daher seine Nähe, aber in der Gegenwart des anderen Jungen lächelte er öfters. „Siehst du, Arlyn? Es schimmert ganz rot und kupfern. So wie dein Haar. Siehst du?“
Er hatte den Fuchs hin und her gedreht und das Sonnenlicht hatte in dem Fell geschimmert.
„Wunderschön, nicht?“, sagte Piju und sah dabei Arlyn an. „Das Fell ist für dich. Ich mache es extra für dich.“
„Es ist so schön und weich“, bestätigte ihm Arlyn, lächelte den großen, jungen Mann dankbar an. „Danke, Piju.“
Daraufhin war der rot geworden, hatte den Fuchs rasch ergriffen und gemurmelt, er würde ihn jetzt besser gleich abziehen. Rasch war er dann entschwunden und hatte Arlyn etwas verwirrt zurückgelassen. Aber da Fell lag nun auf Arlyns Bett.
„Oh, nein!“, jammerte Jiksan plötzlich neben ihm, riss ihn aus seinen Gedanken. Anklagend hob der Junge seinen Stock. „Sieh nur, jetzt ist die Schnauze abgebrochen, als ich ihm Zähne machen wollte.“
Arlyn besah sich den Schaden. Der Stock war um die Hälfte gekürzt. Er schüttelte den Kopf bedauernd.
„Da wirst du nicht mehr viel draus machen können. Du solltest dir einen dickeren Stock suchen.“
„Ja, werde ich machen.“ Jiksan sprang auf und rannte in Richtung Tor davon, wo eine große Weide stand. Totes Holz lag dort genügend herum, um daraus neue Figuren zu schnitzen.
Arlyn besah sich sein Stückchen Holz. Es war ein Fisch. Er war gerade dabei, einzelne Schuppen heraus zu arbeiten. Aus irgendeinem Grund wusste er, wie ein Fisch aussah, auch wenn er hier noch nie einen gesehen hatte, denn der Hof lag zu weit weg von den Seen. Achselzuckend setzte Arlyn sein Werk fort, als er den Lärm der anderen Kinder zunehmen und plötzlich Jiksans schrille Stimme hörte.
Sofort sah er auf. Anscheinend waren die anderen Jungen müde von ihrem Toben im Bach zurück gekommen. Er sah ihre Gruppe an der alten Weide stehen und bemerkte die Gestalt eines kräftigen, braunhaarigen Jungen, der Jiksan sichtlich bedrängte.
Augenblicklich sprang Arlyn auf und kam zu ihnen herüber, die Gruppe genau musternd. Klimo, der Sohn des Schmieds hatte Jiksan in eine Ecke gedrängt und schien ihn zu provozieren. Die Anderen lachten. Klimo nutzte gerne die Gelegenheit, sich ein schwächeres Opfer für seine derben Späße zu suchen. Jiksan war sein bevorzugtes Objekt, wenn seine Bruder unterwegs waren. Dann trieb er gerne seine derben Späße mit ihm.
Arlyn zögerte kurz. Er mochte es nicht, unter den anderen Jungen des Hofes in den Mittelpunkt zu treten, aber Klimo schien es heute wirklich drauf angelegt zu haben, Jiksan eine Abreibung zu verpassen, um seine Überlegenheit vor den kichernden Mädchen zu beweisen.
Klima wirkte deutlich älter als Arlyn, war ein sehr kräftiger Junge, sichtlich auf dem Weg zum Mann, der bereits in der Schmiede seines Vaters arbeitete. Seine breite Brust und Schultern zeugten von der harten körperlichen Arbeit.
Arlyn schob sich vorsichtig an den Mädchen und den anderen Jungen vorbei, stellte sich einfach wortlos vor Jiksan, sah Klimo nur an.
„Was willst du denn?“, fragte ihn Klimo belustigt, „Willst du etwa auch Prügel haben?“
Klimo sah sich zuversichtlich um, wirkte enttäuscht, weil einige der Mädchen zusahen und ihre Augen nicht mehr auf ihn, sondern auf den rotblonden Jungen gerichtet waren. Klimo sah seine einzige Chance, Eindruck zu machen, darin, den anderen Jungen herauszufordern. Er stand plötzlich mit erhobenen Fäusten da und forderte Arlyn deutlich heraus.
„Der kleine Mistkäfer da hat es verdient, also wenn du nicht zur Seite gehst, bekommst du eben die Prügel ab, Waldjunge.“
Der Name war hängengeblieben, seit sie ihn im Wald gefunden hatten.
Arlyn musterte Klimo mit seinen merkwürdig grünblauen Augen wortlos, was den aber nur noch mehr reizte, vor allem da eins der Mädchen herüber rief: „Lass sie Klimo! Lass sie doch einfach in Ruhe.“
Arlyn merkte, wie sich Klimo bestärkt fühlte, erkannte, dass er dieses Mal nicht einfach gehen konnte.
„Ich möchte mich nicht mit dir prügeln. Lass einfach Jiksan in Ruhe und suche dir jemand Anderen für deine Späße“, sagte er leise, aber er wusste schon vorher, dass seine Worte keine Bedeutung haben würden. Dieses Mal war der Schmiedesohn auf ein Kräftemessen aus und zwar mit ihm, Jiksan war da wohl nur ein Mittel gewesen.
Klimo verzog auch nur verächtlich seinen Mund.
„Du bist so ein Feigling, Waldjunge. Immer läufst du weg! Wovor hast du soviel Angst?“
Arlyn beobachtet ihn genau. Klimo war größer als er und wesentlich kräftiger. Er war zu fein gebaut, er würde dem Jungen kräftemässig nicht gewachsen sein und im Gegensatz zu Arlyn, war sein Gegner an solche Kämpfe gewöhnt.Hinter ihm zog sich Jiksan langsam zu den Anderen zurück, da er gegen Klimo auch keine Chance hatte. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht nach vorne, war aber unschlüssig, wie er reagieren sollte, was er tun sollte.
Klimo erkannte Arlyns Zögern und griff an, als er seine Chance sah. Seine Faust schoss vor in Richtung Gesicht, aber der schlanke Junge wich blitzschnell aus. Arlyn hatte den Schlag kommen sehen und es war beinahe leicht gewesen, ihm auszuweichen.
Klimos Schwung trug ihn vorwärts, fast an ihm vorbei. Er fing sich ab und drehte sich wütend um. Arlyn stand gespannt da und wartete auf seinen nächsten Angriff.
Die anderen Jungen johlten, die Mädchen kamen nun dichter herbei, um dem Kampf zuzusehen und Klimo fühlte sich erneut bestärkt. Erneut schlug er zu und wieder gelang es dem kleineren Jungen so rasch auszuweichen, das sein Schlag ins Leere ging.
Er knurrte wütend und näherte sich wieder. Dieses Mal schlug er hintereinander mit beiden Fäusten zu, erwischte Arlyn, der wieder so schnell wegtauchte, leicht an der Schläfe und wirbelte ihn herum. Der rotblonde Junge stürzte, rollte sich ab und war in einer ungeheuer schnellen Bewegung wieder auf den Beinen. Arlyn hatte die Hände erhoben, als ob er etwas auf Klimo schleudern wollte, aber die Hände waren leer. Er sah kurz verwirrt auf seine ausgestreckten Hände, denn er hatte aus irgendeinem Grund damit gerechnet, dass etwas passieren würde und war daher zu langsam als der Andere ihn wieder attackierte. Der nächste Schlag traf ihn am Arm, als er sich im letzten Moment noch drehte. Schmerzhaft verzog er das Gesicht und taumelte zurück. Sein Atem beschleunigte sich.
Klimo dachte nicht lange nach, sah das schmerzverzerrt Gesicht und griff an, wieder und wieder schlug er nach dem anderen Jungen und jedes Mal war der schneller, wich aus und tanzte um ihn herum.
Mühelos wich Arlyn seinen weiteren Angriffen aus. Als er die Bewegungsmuster des Jungen erfasst hatte, war es ihm ein leichtes immer rechtzeitig auszuweichen.
So langsam wurde Klimo wütend.
„Bleib doch mal stehen, du verdammter Feigling. Wehr dich endlich!“, schrie er zornig.
Mittlerweile hatte der kleine Schaukampf auch einige der Erwachsenen herbeigelockt. Sie hielten sich meistens aus den kleinen Kämpfen der Jungen heraus, für sie gehörten diese Rituale zum Alltag des Erwachsenenwerdens. Trotzdem traten sie hinzu, um einzugreifen, wenn es zu arg werden sollte. Immerhin war der Waldjunge Klimo wirklich nicht gewachsen.
Erstaunt beobachten sie aber, wie Klimo immer wieder versuchte den rotblonden Jungen zu treffen, der aber immer wieder in unglaublich schnellen Bewegungen auswich.
Arlyn dachte natürlich nicht daran, still zu halten. Er sah Klimos Bewegungen quasi Sekundenbruchteile bevor dieser nach ihm schlug und es gelang ihm fast immer schneller auszuweichen. Ab und an streiften ihn die Fäuste, wirbelten ihn herum und hinterließen schmerzende Male auf seiner hellen Haut, die sich rasch bläulich verfärbten.
Kleine Schmerzlaute entrangen sich seiner Kehle, aber im nächsten Moment tauchte er wieder unter den Fäusten weg, entging einem Fußtritt und tauchte wieder hinter Klimo auf.
Der wurde immer wütender und unsicherer. Dieser Junge war so schnell, wie er noch keinen Gegner erlebt hatte und er wehrte sich einfach nicht. Er ließ ihn einfach immer ins Leere laufen. Es wurde langsam aber sicher eher lächerlich. Für Klimo.
Einen wütenden Schrei ausstoßend, warf er sich auf seinen Gegner und landete nicht auf ihm, sondern hart auf dem Boden. Eines der Mädchen lachte hell auf, als Staub aufwirbelte, wo der Schmiedesohn bäuchlings hinfiel.
Arlyn wirbelte herum, aber Klimo brauchte einen Moment, um sich wieder auf zu rappeln. Zornig funkelte er den ihn an. Aber der harte Aufprall hatte ihm etwas von seiner Sicherheit genommen.
Der rotblonde Junge war schnell, verdammt schnell. Arlyn sah die Zweifel in seinen Augen aufkeimen und wusste, dass er die Chance hatte, das ganze jetzt zu beenden.
Er senkte seine Hände und sah Klimo direkt bittend an.
„Bitte, Klimo, lass mich, du bist zu stark für mich. Ich kann nicht mit dir kämpfen, ohne dass du mich verletzt. Bitte lass es uns einfach so beenden“, bat er mit seiner leisen Stimme, fast demütig.
Klimo keuchte vor Anstrengung, er wollte sich erst wieder auf den Jüngeren stürzen, doch etwas in dessen Blick aus diesen merkwürdigen, türkisfarbenen Augen hielt ihn davon ab.
Dieser Junge da war ihm überlegen, dass wusste er mit einem Mal ganz genau. Nicht körperlich, aber in der Schnelligkeit seiner Reaktionen. Er würde sich wahrscheinlich nur weiter blamieren, wenn er versuchte ihn zu erwischen. Was nahezu unmöglich schien. Überrascht sah er Arlyn an.
Da bat ihn dieser Junge nun, den Kampf zu beenden, indem er ihm gegenüber seine eigene Schwäche eingestand?
Klimo war kurz völlig sprachlos. So etwas war ihm noch nie passiert.
Aber er war schlau genug und erkannte auch seine Chance, sich gut aus dem Dilemma zu retten, in welches er sich so unwissentlich gebracht hatte..
Er sah Arlyn direkt an und nickte unmerklich, senkte seine Fäuste und brachte hervor: „Gut, dieses eine Mal lass ich dich noch einfach so gehen.“
Wieder sah Arlyn ihn Sekundenbruchteile an und Klimo ihn. Ungewollt breitete sich Respekt für diesen stillen, undurchsichtigen Jungen in Klimo aus. Er senkte den Kopf in einer winzigen, nur für Arlyn erkennbaren Geste und wandte sich dann um, trat zu den Anderen.
Die Spannung löste sich auf. Die anderen Jungen sahen verblüfft zu, wie Klimo sich den Staub abklopfte und Arlyn sich zu Jiksan umwandte, ihn wortlos aufforderte mit ihm zu gehen. Vor ihnen öffnete sich die Gruppe und ließ beide hindurch. Jiksan sah seinen Freund von der Seite bewundernd an, der einen Kampf gewonnen hatte, ohne ihn zu gewinnen.
Die Erwachsenen, die dem Kampf gefolgt waren, schüttelten nur ihre Köpfe, aber Germon, dem man von dem merkwürdigen Ausgang des Jungenkampfes berichtete, lächelte nur stolz, freute sich, das Arlyn letztlich nicht nur einen Sieg davongetragen hatte, sondern auch seine Stellung gefestigt hatte.
Danach behandelten die Jungen Arlyn mit einem gewissen Respekt und besonders Klimo vermied jede weitere Konfrontation mit ihm.
Stillschweigend hatte Arlyn so seine Position im Gefüge des Hofes gefunden und war damit zufrieden. Die Menschen um ihn her waren ihm vertraut, er hatte ein Heim gefunden und auch wenn ihm eine Vergangenheit fehlte, so fühlte er sich mit seiner Gegenwart und seiner Zukunft, als Teil dieses Hofes sehr wohl.
Pijus Atem ging laut und rasselnd, als er mit der Hacke wieder ausholte und erneut auf das Eis einschlug. In der kalten Luft stieg ihr Atem in dampfenden Wolken auf.
„Noch ein bisschen, Piju. Ich kann das Wasser schon fast sehen!“
Jiksan hockte neben dem Loch, duckte sich immer hastig, wenn die Hacke Eissplitter umher fliegen ließ.
Arlyn zog fröstelnd den Pelz enger um sich. Er stand etwas abseits, vor sich die Eimer stehen, mit denen sie das Wasser aus dem zugefrorenen Bach holen wollten.
Immer wieder bewegte Arlyn seine Finger unter seiner Felljacke und dem dicken Pelz, den er wie einen Umgang trug. Er hatte seine frierenden Hände tief hinein geschoben. Im Winter war ihm eigentlich fast immer kalt, wenn sie draußen waren. Vor allen hier, wo der eisige Wind sie erreichen konnte.
Frenja schimpfte immer mit ihm, dass er einfach zu dünn war und nicht wirklich Fett ansetzte, welches ihn wohl bei diesen Temperaturen wärmer halten würde. So brauchte er immer ein Fell mehr, als alle Anderen und trotzdem fror er eigentlich die ganze Zeit. Sie hatte ihm deshalb schon besonders dicke Schuhe aus Fell genäht.
Vor ihm fluchte Piju auf den Winter, die Kälte und das hartnäckige Eis im Besonderen, welches ihm so einen Widerstand entgegen setzte. Jiksan lachte nur, feuerte seinen Bruder noch mehr an.
Es hatte in der letzten Nacht so stark gefroren, das das Loch in der Eisdecke, welches sie erst gestern mühsam eröffnet hatte, beinahe vollständig wieder mit einer dicken Schicht Eis zugefroren war.
Arlyn beobachtete Piju dabei, wie er wieder Schwung holte und die Hacke erneut krachend auf das Eis niederfahren ließ. Es war mühsam jetzt genug Wasser für die Tiere und die Menschen zu bekommen. Im Winter war alles mühsam. Der kräftige junge Mann strahlte soviel Stärke aus, was wohl auch ein Grund war, warum ihn Arlyn bewunderte und sich zu ihm hingezogen fühlte. In Pijus Nähe schien ihm nichts und niemand etwas anhaben zu können.
„Na, also“, gab Piju endlich zufrieden von sich. „Ich bin durch.“
Jiksan stieß ein freudiges Geheul aus, sprang auf und führte eionen Freudentanz auf.
Der große Mann hieb noch ein paar Mal auf das Loch im Eis ein, bis es groß genug war, dass sie die Eimer hinein tauchen konnten.
„Arlyn, gibst du mir mal die Schaufel?“, forderte Piju ihn auf. Er lächelte zu ihm herüber.
„Ist dir wieder so kalt?“, fragte er besorgt nach, als er dessen blaugefrorene Lippen sah. Arlyn nickte, beeilte sich, ihm die Schaufel zu geben. Seine Zähne klapperten leise. Er sollte sich mehr bewegen, dann würde ihm vielleicht wieder warm werden. Die Zehen fühlten sich schon ganz taub an. Piju sah ihn nachdenklich an, zog sich dann entschlossen seine Pelzjacke aus und legte ich um die Schultern des Kleineren.
„Aber dann wird dir gleich kalt werden“, warf Arlyn protestierend ein.
„Mir ist warm genug“, brummte Piju, drückte Arlyn ganz kurz an sich und lächelte ihn an. „Hauptsache, dir ist warm.“
Damit ließ er ihn abrupt los und wandte sich wieder dem Loch zu.
Mit der Schaufel wuchtete Piju die störenden Eisklumpen aus dem Loch. Schließlich war es frei genug und Arlyn trat mit dem Eimer vor. Hinter ihnen schnaufte das Pferd ungeduldig. Vermutlich ist ihr auch so kalt, wie mir, dachte sich Arlyn, als er die braune Stute beobachtete, die an ein paar trockenen Zweigen knabberte.
Gemeinsam wuchteten die drei jungen Männer dann die Eimer voll Wasser aus dem Loch und in das große Fass auf dem Wagen. Keuchend schleppte Arlyn Eimer um Eimer. Seine Arme schmerzten schon bald unter der Last, aber er biss die Zähne zusammen und machte einfach weiter. Wenigstens wurde ihm nun wieder warm und er gab bald schon dankbar den Pelz an Piju zurück. Aber er war bald schon am Ende seiner Kräfte, noch ehe sie das Fass voll genug hatten. Sein Rücken schmerzte von der Anstrengung.
Jiksan half ihm lächelnd mit den letzten Eimern, als er stolperte und das Wasser fast verschüttet hätte. Beinahe neidisch beobachtete Arlyn, wie leicht den beiden Brüdern die Arbeit von der Hand zu gehen schien. Sie waren so viel kräftiger als er. Immer kam er sich so nutzlos vor.
„Geh du schon mal zum Wagen, Arlyn“, meinte Piju lächelnd, der seinen unglücklichen Blick sehr wohl bemerkt hatte. „Kümmere dich ums Pferd, den Rest machen wir hier schon.“
Dankbar lächelte der ihn an. Piju schien irgendwie immer zu wissen, wie es in ihm aussah. Erschöpft ging er nach vorne zu der Kaltblutstute die nun unruhig mit den Hufen scharrte.
„Ruhig. Es geht gleich los“, beruhigte Arlyn das Pferd, strich ihr freundschaftlich über den Hals. Sie schnaubte und stieß weiße Dampfwolken aus. Der kondensierende Atem legte sich als glitzernder Raureif auf ihre Barthaare. An ihrem langen Beinbehang hatten sich Eisklumpen gebildet. Arlyn seufzte verhalten. Seit Wochen war es so kalt und ein Ende des Winters war noch nicht anzusehen.
Langsam beruhigte sich Arlyns Atem wieder, während die Brüder Eimer um Eimer an Wasser heran schleppten. Aber leider pirschte sich auch die Kälte wieder heran.
Als sie endlich fertig waren, gingen sie neben dem Pferdewagen zurück zum Hof. Rasch holte Arlyn die Kälte wieder ein, drang unerbittlich durch die Sohlen seiner Stiefel, kroch heimtückisch unter den warmen Pelz und ließ ihn wieder frösteln, aber er sagte nichts. Zitternd drückte er sich möglichst nahe an den warmen Leib des Pferdes.
Jiksan eilte vorweg, öffnete ihnen das Scheunentor, damit der Wagen passieren konnte. „Wir kümmern uns um das Wasser, versorge du mal das Pferd“, brummte Piju zu Arlyn. Erleichtert, von der schweren Arbeit ausgenommen zu werden, löste der sofort die Zugstränge, schirrte das Pferd ab und ging dann neben der Stute zum Stall hinüber. Nachdem er sie versorgt hatte und zurück kam, hatten die zwei Brüder schon einen großen Teil des Wassers an das Vieh verteilt und waren dabei, das Wasser ins Haus zu schleppen. Als Arlyn wieder mit anfassen wollte hielt ihn Piju lächelnd davon ab, ergriff sanft seinen Arm und hielt ihn zurück.
„Lass mal, das kriegen wir schon zu zweit hin, Arlyn. Du kannst ja schon mal Heu verteilen, bis wir fertig sind. Dann können wir alle bald ins Warme.“
Arlyn nickte und machte sich dankbar an die Arbeit. Er liebte den Geruch des Heus, das Mahlen der Zähne um ihn her, das zufriedene Schmatzen. Der Stall war sein Bereich, unter den Tieren fühlte er sich sicher. Draußen hatte er so oft das Gefühl, er würde beobachtet werden, etwas würde beständig nach ihm suchen. Aber wann immer er sich umdrehte, in das Gebüsch um sich blickte, versuchte die Augen, die er nach sich suchen fühlte zu erspähen, war da nichts.
Bald schon hatte er alle Tiere gefüttert, stand gedankenversunken in der Stallgasse und lauschte den zufriedenen, mahlenden Geräuschen um sich her.
„Fertig?“, klang hinter ihm die Stimme von Piju. Er wandte sich um, lächelte den großen, jungen Mann an und nickte.
„Jiksan ist schon reingegangen“, brummte Piju, stellte sich neben Arlyn, sodass der zu ihm aufsehen musste.
„Ist dir noch kalt?“, erkundigte Piju sich besorgt und musterte ihn genau.
„Es ist besser“, antwortete Arlyn. „Aber es ist immer so furchtbar kalt am Bach, weil der Wind so scharf herüber weht. Ich friere jedes Mal durch.“
„Du brauchst noch einen Pelz mehr “, stellte Piju fest und sah zu ihm hinab. „Du bist so dünn, da kühlt der Wind dich zu schnell aus.“
Zögernd streckte er die Hand nach Arlyn aus, legte ihm den Arm vorsichtig um die Schultern. Er bewegte sich so langsam, als ob er Angst hätte, ihn zu zerbrechen. Arlyn versteifte sich ganz kurz, als der Arm ihn berührte, aber es war okay, wenn Piju ihm so den Arm umlegte. Er war ja sein Bruder. Er musste vor ihm keine Angst haben.
„Soll ich dich mal etwas wärmen?“, fragte Piju nach, leckte sich nervös über die Lippen. Sehr sanft zog er Arlyn an sich, schloss ihn dann ganz vorsichtig in seine Arme ein. Arlyn blickte fragend zu ihm auf, sah aber nur eine ehrliche Besorgnis in dem gutmütigen Gesicht und ließ es zu, dass ihn der andere so dicht an sich zog, auch wenn etwas in ihm sich dagegen sträuben wollte. Bei Piju hatte er keine Angst mehr, solche Berührungen zuzulassen. Er vertraute ihm völlig, also entspannte er sich wieder.
„Besser so?“, fragte Piju nach, seine Stimme klang etwas belegt. Arlyn drückte sich dichter an ihn, kuschelte sich an den kräftigen Körper, genoss die Wärme und das Gefühl der starken Arme um ihn.
„Viel besser“, flüsterte Arlyn, etwas überrascht, wie angenehm ihm diese enge Umarmung tatsächlich war.
Eine ganze Weile standen sie so da. Pijus Atem hatte sich leicht beschleunigt, als sich Arlyn bewusst noch dichter an ihn kuschelte. Nervös leckte er sich immer wieder die Lippen, unsicher, was er tun durfte. Wie unter Zwang löste Piju schließlich eine Hand und strich damit ganz sanft durch Arlyns rotblonde Haare.
„Dein Haar ist so weich“, raunte er leise, bewundernd, strich wieder und wieder hindurch. Arlyn blickte lächelnd zu ihm auf.
„Wie ein Fuchsfell?“, fragte er amüsiert nach und Piju nickte.
„Ja, aber viel feiner. Viel...“, er zögerte einen Moment, „Viel schöner.“
Pijus Hand strich immer weiter durch Arlyn Haar und Arlyn empfand seine Berührung als überaus angenehm. Fragend sah er zu dem anderen Mann auf. Piju schen ganz in Gedanken versunken, doch dann lächelte er, wirkte aber sehr unsicher. Seine linke Hand glitt durch die Haare tiefer, berührte dann zart Arlyns Wange und fuhr sanft darüber. Seien Hand zitterte ganz leicht.
„Auch deine Haut ist so weich, Arlyn“, flüsterte er, die Stimme merkwürdig rau. „Du bist so weich überall. Ganz anders, als alle anderen.“
Verunsicher schaute ihn Arlyn an. Etwas war anders in Pijus Stimme, eine Zärtlichkeit, die er sonst nicht darin hatte. Sonst war er meistens brummig, kurz angebunden, aber nun sah er mit einem überaus liebevollen Blick auf ihn herab. Arlyn schluckte unruhig, sein Herzschlag beschleunigte sich und er fühlte deutlich, wie Pijus Herz schneller schlug. Es war eine sehr merkwürdige, unbekannte Stimmung zwischen ihnen, die ihn durchaus leicht ängstigte, weil er mit ihr nichts anzufangen wusste.
Es war Piju, der sich schließlich beinahe ruckartig von ihm löste und sichtlich verlegen wirkte. Arlyn wusste ebenfalls nicht, was er sagen sollte. Es war ihm nicht unangenehm gewesen, so von dem anderen Mann gehalten zu werden, nur ungewohnt und Piju schien ihm merkwürdig in seinem Verhalten. Er war sehr rot im Gesicht geworden, wischte sich nun seine Hände unruhig an seiner Pelzjacke ab.
„Wir sollten besser reingehen“, meinte er, ohne Arlyn abermals anzusehen. „Es gibt gleich essen.“
Schweigend gingen sie nebeneinander zum Haus zurück, wo sie schon erwartet wurden.
Spät abends saßen sie alle am Kamin und lauschten der rauchigen Stimme der Geschichtenerzählerin. An den Winterabenden war das die Unterhaltung an Germonshof, wenn die Sonne früh unterging und die schwarze, kalte Nacht heran kroch. Die alte Minara kannte alle Geschichten und Legenden und erzählte sie immer wieder gerne ihren jungen Zuhörern. Die Erwachsenen saßen daneben, die Frauen oft in ihre Näharbeiten versunken und lauschten ihrer Stimme.
Arlyn saß recht dicht am Feuer, seine Aufmerksamkeit halb auf das Lederzeug gerichtet, welches er reparierte. Er hatte ihre Geschichten nun auch schon oft gehört, aber sie faszinierten ihn ebenso wie die anderen, denn es war ihre einzige Informationsquelle über die Welt außerhalb des Hofes.
„Fern im Norden, wo unsere Welt endet, beginnt die Welt der Götter“, erzählte Minara mit leiser Stimme, blickte wohlwollend über die Gesichter vor sich, die ihr aufmerksam lauschten. „Eine Welt aus Inseln. Große, kleine, voller Felsen und dichter, geheimnisvoller Wälder, die für jeden Mensch, der sie ungefragt betritt, zur tödlichen Gefahr werden können. Unbekannte Gefahren lauern in diesen Wälder, deren Bäume selbst leben, Augen und Ohren haben. Nur wer den Göttern wohlgesonnen ist, darf sie betreten.“
Sie rückte ihren Schal zurecht, schob sich etwas dichter an das Feuer heran.
„Aber sie gewähren nur ganz besonderen Menschen Zugang zu ihrer Welt. Meistens bleiben sie fern von uns und wir wissen nicht viel von ihnen.“
Sie befeuchtete ihre trockenen Lippen.
„Die Götter beobachten uns aber, wachen über uns von ihren Inseln aus. Sie sehen alles, was wir tun, sie sehen bis tief in unsere Herzen. Also sei auf der Hut, wenn du das nächste Mal stibitzen gehst, Jiksan!“
Sie hob drohend einen Zeigefinger in seine Richtung, der nur lachend hinter seinem Bruder Klynda Deckung suchte.
„Hier sehen mich die Götter bestimmt nicht“, wagte er hinter dessen Rücken hervor zu rufen.
„Oh doch!“, lächelte die alte Frau. „Die Götter sehen alles.“
„Aber wenn sie doch auf ihren Inseln sind“, warf Larin, eins der kleineren Mädchen ein. „Wie sollen sie denn sehen, wenn Jiksan etwas Verbotenes macht, Minara?“
„Die Götter sehen mit ihren Herzen. Sie sind unglaublich mächtig, kleine Larin. Sie verfügen über Magie jenseits unseren Vorstellungskraft. Mit dieser Magie können sie das Meer austrocknen und ganze Wälder verbrennen, aber sie nutzen ihre Macht nicht zum Bösen. Ihre Aufgabe ist es, über uns zu wachen, sicher zu stellen, dass wir Menschen den rechten Weg gehen und nicht dem Bösen verfallen.“
Sie sah wieder über die Reihe ihrer Zuhörer.
„Die Götter prüfen uns fortwährend. Sie schauen in unsere Herzen und erkennen, was wir wirklich sind. Und wenn sie nicht sicher sind, ob wir noch auf dem Weg ins Licht sind, dann entsenden sie einen der ihren uns zu testen. Sie schicken einen ihrer Söhne unter uns, der ihnen berichtet, wer wir sind, wie es in unseren Herzen aussieht.“
Sie nahm einen großen Schluck ihres Tees, wischte sich einen Tropfen von der Lippe ehe sie fort fuhr.
„Natürlich werden wir den Sohn der Götter nicht als solchen erkennen, denn er wird wie ein Mensch aussehen. Unerkannt wird er unter uns wandeln und unsere Reinheit sehen. Nur wenn wir würdig genug sind, werden die Götter uns nicht strafen. Aber wenn wir versagen, wenn wir den falschen Weg gehen, dann wird ihre Rache fürchterlich sein. Die Götter können unsere Welt zerstören, uns alles nehmen, jeden Baum, jeden Strauch, jedes Tier vernichten, wenn wir ihre Gunst verlieren. Also denkt daran was ihr tut, weicht nie vom Weg des Lichtes ab.“
Lächelnd sah sie sich um, nickte unmerklich Frenja und den anderen Frauen zu. Unzählige Male hatten sie alle die Legende der Götter gehört, die den Kindern den richtigen weg weisen sollte.
„Aber wie sehen sie denn aus?“, fragte ein Junge, der an einem Holzstück schnitzte. „Anders als wir? Aber wie?“
„Es gibt nur wenige Menschen, die jemals einen der Götter gesehen haben“, nickte die alte Frau. „Sie sind anders als wir. Viel zarter, viel feiner als ein Mensch gebaut, so als ob sie nur aus Luft und Licht bestehen würden. Ihre Haut ist so weiß, als ob das Licht aus ihnen strahlen würde, direkt durch die Haut zu leuchten scheint. Sie sind so zerbrechlich, dass jeder Windhauch sie fort wehen könnte. Alles an ihnen ist grazil und leicht. Ihre Haare sind golden und fein, leuchten in einem sanften Kupferton, der jedes unreine Herz blenden muss, wenn er einen von ihnen sieht.“
Sie holte Luft und ihr Blick blieb einen winzigen Moment lang an Arlyns, auf seine Arbeit konzentriertem Gesicht, hängen.
„Ihre Augen sind wie das Meer, tiefblau und ebenso unergründlich. Wer zu tief hineinsieht, wird darin versinken und ertrinken, als ob er in unendlich tiefes Wasser gefallen wäre.“
„Das klingt wunderschön“, meinte Larin verträumt. „Ich wünschte, ich würde mal einen von ihnen sehen können.“
„Nur die mit reinem Herzen, können sie so sehen“, lächelte Mirana. „Wer einmal einen Blick auf ihre Schönheit geworfen hat, wird ihr auf ewig verfallen sein. Aber ihre Schönheit ist nicht für uns bestimmt. „
„Mirana?“, fragte ein anderes Mädchens, Grilda nach. „Wenn die Götter zu uns kommen, dann sehen wir sie als Mensch, oder? Sehen die Götter dann so aus wie Arlyn?“
Arlyns Kopf ruckte bei ihren Worten überrascht hoch. Verblüfft starrte er sie an. Miranas graue Augen wanderten zu ihm und auch die anderen schauten ihn plötzlich prüfend an. Unruhig rutschte er hin und her, wusste nicht, was er mit der plötzlichen Aufmerksamkeit anfangen sollte.
Die alte Geschichtenerzählerin zögerte.
„Schon möglich, Grilda“, meinte sie langsam. „Wenn die Götter uns ihren Sohn senden, dann könnte er schon so schön aussehen wie Arlyn.“
Sie lächelte nachsichtig und wandte sich dem Mädchen zu.
„Aber er ist nur ein Junge aus dem Wald, Kleine. Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, den die Götter mit diesem Aussehen gesegnet haben.“
Sie fuhr mit ihren Geschichten fort, aber Arlyn hörte nicht mehr zu. Er wusste, dass es erfundene Geschichten waren. Sache, die man den Kindern erzählte, um sie auf den rechten Weg zu bringen, sie Gut von Böse unterscheiden zu lassen, aber dennoch hatten ihre Worte ihn etwas verstört. Er war anders. Er wusste es, spürte es jeden Tag und nach wie vor konnte er sich an nichts erinnern, was vor seiner Zeit hier geschehen war. Natürlich war er keiner dieser sagenhaften Götter voller macht und Magie, wie die alte Frau erzählte. Dennoch war er irgendwie anders, dass war ihm jeden Tag bewusst, den er unter ihnen lebte.
Als sie Abends in ihren Betten lagen, wollte der Schlaf nicht so recht kommen. Arlyn wickelte sich enger in seine Decken ein. Ein warmer Stein, eingehüllt in mehrere Lagen Leinen lag zu seinen Füßen, sorgte für angenehme Wärme unter den Decken und Fellen. Piju hatte ihm den Stein hineingelegt.
„Kannst du nicht schlafen?“, kam es schläfrig gemurmelt aus dem Bett neben ihm, wo Jiksan lag.
„Nein“, antwortete Arlyn. „Ich muss immer an die Worte von Mirana denken. Sehe ich wirklich so aus?“ Er zögerte, richtete sich dann etwas auf und starrte in die Dunkelheit wo Jiksan lag. „Wie ein Sohn der Götter?“
Jiksan kicherte unterdrückt.
„Naja“, meinte er schläfrig. „Du siehst schon anders aus, als die meisten hier, denke ich. Deshalb sieht dich Piju wohl auch immer so an.“
„Ansehen? Wie sieht er mich denn an?“, fragte Arlyn verblüfft nach.
Jiksan schien schon zu schlafen. Er brauchte ein paar Augenblicke, bis er antwortete:
„Na, er sieht dich ein bisschen so an, wie Martes von der Mühle die Hirda ansieht. Du weißt schon, das dicke Mädchen mit der er am Erntefest die Bindung eingehen will. Sie sitzen immer knutschend irgendwo rum.“
„Piju sieht mich doch nicht so an“, sagte Arlyn empört.
„Doch. Ein bisschen schon“, murmelte Jiksan schon fast schlafend. „Er mag dich eben besonders gerne.“
Kurze Zeit später waren nur noch ruhige Atemzüge vom Bett nebenan zu hören und Arlyn rollte sich wieder verwirrt in seine Decken zurück. Piju schaute ihn so an? Was hatte das zu bedeuten? Warum sollte ihn Piju so ansehen? Sie waren doch nur gute Freunde.
Er streckte seine Beine aus, fühlte die Hitze des Steins und schob sich dichter heran. Er fühlte erneut Pijus feste Arme um sich, das Gefühl von Wärme und Geborgenheit in ihnen. Es war schön gewesen, von ihm so im Arm gehalten zu werden. Ein sehr schönes Gefühl.
Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen.
Es war auch ein gutes Gefühl, wenn Piju ihn so ansah, dachte Arlyn versonnen, bevor er endlich einschlief.
Es war der erste Frühling, den Arlyn nun auf Germons Hof erlebte. Der Winter war noch recht hart gewesen mit viel Schnee und nur wenigen Wochen ohne strengem Frost. Bis in den März hatte er sich hineingezogen, das Land fest im Griff gehabt. Aber er war nun endlich vorbei. Erleichtert genoss Arlyn das Gefühl der warmen Sonne auf der Haut, als er morgens die Hühner fütterte.
In den kalten Temperaturen des Winters war ihm die ganze Arbeit besonders schwer gefallen. Nun, wo die Temperaturen beständig stiegen, die Sonne länger schien, war alles leichter geworden. Zwar war er gegen Ende des Winters schon deutlich härter im Nehmen geworden, dennoch begann nun die Zeit des Jahres, die er besonders liebte. Rings um ihn sangen Vögel und die ersten Schmetterlinge flatterten hinter dem Gartenzaun auf und ab. Es war noch früh am Morgen und der Hof begann sich nur langsam mit Leben zu füllen.
Das Gefühl beobachtet zu werden war schon lange nicht mehr aufgetreten und Arlyn fühlte sich seither selber viel sicherer. Noch immer konnte er sich an nichts vor seiner Zeit hier erinnern, aber die Albträume an deren Inhalt er sich nach dem Aufwachen ebenso wenig erinnern konnte, waren auch weniger geworden.
Er würde wohl damit leben müssen, dass seine Vergangenheit verloren war, aber er fühlte sich in seinem jetzigen Leben durchaus auch wohl genug, um darauf verzichten zu können.
Piju trat aus dem Haus, reckte sich und winkte lächelnd zu ihm herüber. Er verschwand im Pferdestall, wo er wohl mit der Heufütterung beginnen würde.
Arlyn hatte ihn etwas genauer beobachtet, seit jenem Tag, als Jiksan behauptet hatte, er würde ihn auf eine besondere Art ansehen, aber seither hatte Piju sich ihm nie wieder so genähert. Er suchte seine Nähe, ja, sie verbrachten oft mehrere Stunden zusammen und immer wieder berührte ihn der junge Mann, legte mal seinen Arm um ihn oder drückte seine Hand, aber nie mehr hatte er ihn so in den Arm genommen und an sich gedrückt.
Arlyn war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Er hatte es genossen aber irgendwie hatte es ihm auch unerklärlicherweise Angst gemacht. Vielleicht hatte Piju es gespürt und es daher nicht wiederholt. Aber seine kleinen Geschenke, wie das seidige Fuchsfell, einen ledernen Beutel und ein paar warme Fellhandschuhe für seine stets blaugefrorenen Finger, hatte Arlyn immer sorgfältig verwahrt. Sie waren ihm überaus kostbar.
Dieses Jahr würde Piju im Mai seine Mannweihe feiern, war dann ein volles Mitglied des Männerrates und durfte sich seine Frau suchen. Ob er dann wohl noch so viel Zeit mit ihm verbringen würde?
Bislang hatte er sich noch für keins der Mädchen interessiert. Wie sich auch keine für den großen, schweigsamen Jungen interessierte. Frenja tat es immer damit ab, dass er ihnen etwas unheimlich sei, weil er immer so brummig wirkte und langsamer im Denken war. Schließlich war er groß, kräftig und von gutem Wuchs, es würde auf jeden Fall eine Frau geben, die ihn attraktiv finden würde, meinte sie zuversichtlich.
Manchmal verließen die Jungmänner auch den Hof auf der Suche nach ihrer Lebensgefährtin, etwas, vor dem sich Arlyn fürchtete. Piju war für ihn etwas wie ein Beschützer. Wenn er gehen würde, dann war er ganz alleine hier. Gut, Jiksan war da und körperlich konnte der es bald schon mit seinen anderen Brüdern aufnehmen, aber er war eben wirklich noch ein Kind.
Neben ihm wirkte Arlyn noch immer viel jünger. Auch wenn er nicht wusste, wie alt er wirklich war, nahm Frenja einfach an, er wäre in Klyndas Alter. Merkwürdig an ihm war nur, dass er keinen Ansatz zum Bartwuchs zeigt und auch seine Brust blank und haarlos war. Manchmal wünschte er sich, er wäre mehr wie die Anderen, weniger auffällig, weniger anders. So groß, so kräftig wie sie. Einfach wirklich einer von ihnen.
Wann immer er etwas damit haderte, hatte ihn Frenja zur Seite genommen, ihm bewundernd durch sein helles Haar gestrichen und ihm gesagt, dass er vielleicht kein Sohn der Götter sei, aber immerhin doch ein Geschenk der Götter für sie alle sei und er diese Gabe, die ihm die Götter gegeben hätten, seine Schönheit, doch einfach akzeptieren sollte.
Bald schon war er mit seinen Arbeiten fertig und ging in den Pferdestall um Piju mit dem Heu zu helfen bevor sie zum Frühstück ins Haus gingen. Am Frühstückstisch wurden dann die Aufgaben des heutigen Tages besprochen.
Germon schickte Jiksan und Arlyn hinunter zum Bach, Schilf holen, welches sie als Einstreu für die Tiere nutzten. Bald schon würden die Tiere den Stall ganz verlassen und im dichten Gras auf ihren Weiden stehen, aber noch wuchs das Gras nur spärlich. Die Strohvorräte waren fast aufgebraucht und so mussten sie sich mit dem trockenen Schilf begnügen, welches den Bach säumte.
So standen die beiden bald schon im Ufergürtel des Baches, schnitten das lange Schilfgras und türmten es zu Haufen auf, die Piju mit dem Pferdewagen dann abholte. Es war keine allzu schwere Arbeit und sie genossen die warme Luft an diesem Frühlingstag.
Gegen Mittag brachte ihnen Piju ihr Essen mit und sie setzten sich in die Sonne und verspeisten mit Appetit die schrumpeligen Winteräpfel, das getrocknete Fleisch und frisches Brot. Wässriges Bier zum Hinunterspülen, hatte Piju ebenfalls mitgebracht.
„Hast du dir eigentlich schon eine Frau ausgesucht?“, fragte Jiksan seinen ältesten Bruder nach einer Weile plötzlich unvermittelt. „Immerhin hast du in einem Monat deine Weihe und wirst ein echter Mann.“
Piju sah ihn beinahe böse an, sein Blick huschte kurz zu Arlyn.
Er brummte nur verneinend.
„Was ist denn mit der Hysla?“, fragte Jiksan neugierig. „Ihr Vater hat de Lehmgrube oben im Wald und ihre Mutter ist wie sie eine gute Töpferin.“
„Mag ich nicht“, sagte Piju einfach, stocherte mit einem Stöckchen in der Erde herum.
„Wenn denn sonst? Die Slonda ist immer so albern und Findja ist ganz schön dick.“
„Keine davon“, brummte Piju. „Sind alle nicht so schön.“
„Na, hör mal“, protestierte Jiksan. „Slonda ist doch hübsch. Sie hat eine gute Figur, ganz ordentlich Busen und lange, schwarze Haare. Klynda läuft ihr auch schon hinterher, aber der ist ihr noch zu jung.“
„Nicht so schön“, sagte Piju entschlossen, stieß seinen Stock heftig in die Erde.
Jiksan lachte.
„Na, so wirst du wohl keine finden, Piju. Am Ende musst du noch sehen, wer übrig bleibt. Oder du nimmst die Elgra, die wartet schon seit ihrer Weihe sehnsüchtig auf den Richtigen.“
Arlyn grinste, denn Elgra war in etwa doppelt so alt wie Piju und würde wohl eher als alte Jungfer enden, denn neben einem unansehnlichen Äußeren, hatte sie auch noch eine überaus scharfe Zunge und es war allgemein bekannt, dass sich Piju regelrecht vor ihr fürchtete.
„Nein“, sagte er denn auch sofort erschrocken, hieb nach seinem Bruder, der lachend aufsprang und im Schilf verschwand.
Arlyn wollte auch aufstehen und ihre Arbeit fortsetzen, als er Pijus Hand an seinem Arm fühlte, der ihn festhielt.
Fragend sah er sich nach ihm um.
Piju sah ihn an, schien mit sich zu ringen, schluckte mehrfach heftig dann öffnete er langsam den Mund, leckte sich nervös über die Lippen.
„Du bist viel schöner, Arlyn“, nuschelte er hastig leise, sah ihn noch einen Moment an, sprang dann beinahe erschrocken auf und ging eiligen Schrittes zum Pferdewagen zurück.
Verblüfft blieb Arlyn zurück, sah ihm hinterher. Was hatte das nun zu bedeuten gehabt? Wollte ihm Piju sagen, dass er schöner war, als die Frauen, die er wählen konnte? Aber das konnte er doch nicht ernst meinen. Immerhin war er ein Mann. Er wurde aus ihm nicht ganz schlau.
Er sah ihm hinterher, als er hastig zurück zum Hof fuhr, zuckte dann mit den Schultern und kehrte an seine Arbeit zurück.
Am Nachmittag breitete sich Unruhe auf dem Hof aus, als einer der Müllersöhne zu Germon kam und freudig erzählte, dass sie den fahrenden Händler oben von der Mühle aus gesehen hatten und er bald schon hier eintreffen müsste.
Freudige Erregung erfasste die Hofbewohner. Der Hof lag sehr abgeschieden und bot den Menschen, die auf ihm lebten, im Prinzip fast alles, was sie benötigten. Aber ein- oder zweimal im Jahr kam ein Händler mit seinem Wagen vorbei und es war immer ein besondere Tag, weil er spezielle Waren hatte, die man so nicht herstellen konnte.
Die nächste Ortschaft war über zwei Tagesreisen entfernt und Germon suchte sie daher nur überaus selten auf. Umso willkommener waren die Besuche des Händlers. Sofort wurden alle Vorbereitungen getroffen, um den Gast willkommen zu heißen.
Als der Händler auf den Hof gerollt kam, versammelte sich eine große Schar Kinder um ihn und auch die anwesenden Erwachsenen begrüßten ihn sofort erfreut.
Nach der lange Reise wurde er erst einmal ins Haus geladen, um am Abendbrot der Familie teilzunehmen. Während seines Aufenthaltes war er völlig selbstverständlich Gast in Germons Haus. Sein Besuch war auch willkommen, um neues aus der Welt außerhalb des Hofes zu erfahren.
Frenja tischte ordentlich zum Abendbrot auf und schickte Klynda hinaus, um auch Arlyn und Jiksan, die noch nicht wieder da waren, sich, wie öfters, verspäteten, endlich herein zu holen.
Er fand beide schon auf dem Rückweg vom Bach und rief ihnen zu, sich zu beeilen, weil ihre Mutter sonst ihr Essen den Schweinen geben würde und dass wäre schade, denn es gäbe heute einen Braten., weil der Händler da sei. Die zwei Jungen beschleunigten sofort ihre Schritte und folgten dem älteren Jungen in die große Wohnküche.
Der Händler saß bereits am Tisch und sprach bereits mit Germon dem Wein zu, den dieser anbot.
Er war ein dicker, behäbiger Mann mit einem dichten, schwarzen Bart und verfilzten, schwarzen Haaren. Den Winter hatte er in einer der größeren Ansiedlungen weiter südlich verbracht, bis er wieder zu seiner Reise aufgebrochen war. Während er seine Reise von Hof zu Hof durch die nördlichen Länder machte, waren die Abende und Nächte auf den Höfen zweifellos überaus angenehm. Sonst schlief und lebte er in seinem Pferdewagen und so genoss er die Annehmlichkeiten der Gastfreundschaft in vollen Zügen, ein Dach über dem Kopf und ein weiches Bett. Ab und an fand er sogar ein wenig Gesellschaft darin, er war da nicht sehr wählerisch. Zufrieden prostete er Germon zu. Dieser Hof lag so weit abgeschieden, das er meistens nur einmal her kam, aber Germon war immer überaus großzügig, zahlte ihm jeden Preis ohne zu feilschen und seine Frau Frenja kochte wirklich gutes Essen.
Lächelnd goss Germon auch seinen zwei ältesten Söhnen Wein ein und verdünnte den Wein mit Wasser für die übrigen, was Jiksan mit seinem üblichen Gequengele quittierte, kaum hatte er sich gesetzt. Der Händler war mitten in einer Geschichte über die Gerüchte von Krieg in den nördlichsten Ländern, als sein Blick auf den schmalen blonden Jungen fiel, der hinter dem anderen den Raum betrat.
Offenen Mundes starrte er den Jungen an, brach mitten im Satz ab.
Germon folgte seinem Blick und lächelte Arlyn zu, der bei dem überraschten Blick des Händlers stehen geblieben war und sich unwohl umsah.
„Bei den Göttern“, stieß der Händler hervor und Germon lachte ob seines verblüfften Gesichts. Es war ja selten, dass sie Fremde auf dem Hof hatten, aber er wusste mittlerweile, welche Wirkung der fremde Junge auf die Menschen hatte, die ihn nie zuvor gesehen hatten. Er war einfach nur schön und mit seiner exotischen Erscheinung stach er unter allen Anderen hervor.
Der Händler starrte den Jungen weiterhin unverwandt an. Arlyn wand sich sichtbar unter dem Blick, senkte den Kopf und nahm seinen Platz am Tisch neben Jiksan ein.
Die Augen des Händlers folgten ihm und Germon beobachtet amüsiert, wie er die anscheinend die Gestalt des Jungen bewunderte. Er grinste und erlöste Arlyn von der Musterung, indem er sich räusperte, dem Händler, den Jungen vorstellte.
„Das ist Arlyn, Master Wingur. Wir fanden ihn verletzt im Wald und nun ist er einer meiner Söhne geworden“, lenkte er die Aufmerksamkeit des Händlers wieder auf sich.
Der wandte kurz den Kopf, konnte aber sichtlich den Blick nicht ganz von dem Jungen abwenden.
Amüsiert bemerkte Germon, wie Piju dem Händler nun finstere Blicke zuwarf, weil der noch immer Arlyn anstarrte und dieser immer unruhiger auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
Sichtlich riss sich Master Wingur von seinem Anblick los und versuchte seine Aufmerksamkeit wieder Germon zu widmen, aber während des gesamten Abends, wanderten seine Blicke immer wieder zu dem rotblonden Jungen.
Arlyn fühlte sich immer unwohler. In der Gemeinschaft des Hofes hatten sich alle an seinen Anblick gewöhnt und er hatte bislang auch nur selten Fremde getroffen. Meistens waren es welche von den Nachbarhöfen. Umso unangenehmer war ihm diese offensichtliche Musterung durch Master Wingur.
Arlyn und Jiksan gingen früh hinauf. Arlyn um dem unangenehmen Blicken des Mannes zu entkommen und Jiksan, der nun mit Arlyn das Zimmer teilte, folgte ihm ohnehin fast immer und überall hin.
Als sie in ihren Betten lagen drehte sich Jiksan zu seinem Freund herum, betrachtete ihn.
„Master Wingur starrt dich so an, wie Klynda die Rindja, die Tochter vom Schweinehirten. Immer wenn er glaubt, sie sieht es nicht, schaut er sie so an. Vor allem, wenn wir unten am Fluss baden“, stellte er fest.
Arlyn sah ihn überrascht an. Er war den Blicken ja vor allem ausgewichen.
„Nun, Klynda mag Rindja wohl. Sie sieht doch auch wirklich gut aus“, erklärte er.
Jiksan gab ein abfälliges Schnauben von sich.
„Klynda starrt fast jedem Mädchen so hinterher. Aber Master Wingur darf dich doch nicht auch so anschauen. Er ist ein Mann und du doch auch.“
Arlyn schwieg zunächst, erklärte dann aber: „Er hat mich nur noch nie gesehen. Ich sehe eben anders aus, als die meisten hier.“
Jiksan brummte vor sich hin.
„So schaut er aber nicht“, beharrte er störrisch. „Piju sieht dich auch oft an, aber der mag dich auch. Aber der sieht dich trotzdem nicht so an“, sagte er noch und drehte sich dann wieder herum.
Nachdenklich rollte sich Arlyn in seine Decke.
Er grübelte noch über Pijus Worte heute nach, spürte wieder seinen Griff an seinem Arm. Warum hatte er ihm nur so etwas gesagt?
Seufzend drehte er sich herum, hörte Jiksan ruhige Atemzüge, aber Arlyn folgte Master Wingur durchdringender Blick noch in seine Träume hinein. Wieder fühlte er sich beobachtet, als ob direkt hinter der Schwärze seiner Erinnerungen etwas lauern würde, bereit, sich auf ihn zu stürzen, wenn er einen falschen Schritt machte, sich eine Lücke in dieser Schwärze auftat.
Am folgenden Tag, baute der Händler seine Waren auf Tischen im Innenhof auf und die ganze Hofgemeinschaft wühlte sich begeistert durch Stoffe, Haushaltsgeräte, Waffen, Spielzeuge und Spezialitäten, die aus der fernen Welt jenseits ihres Hofes gekommen waren.
Auch Germons Jungen waren natürlich darunter.
Piju war bald schon versunken in den Anblick eines eleganten Messers mit verziertem Knauf, welches er fast liebevoll in seinen Händen hin und her drehte und begeistert Arlyn zeigte.
Der bewunderte den feinen Griff, der mit einem so blankpolierten Griff versehen war, dass man sich drin spiegeln konnte.
„Eine Arbeit aus dem Süden“, sagte Master Wingur, der Pijus Interesse natürlich sofort richtig einschätzte. „So etwas bekommt man hier im Norden nur selten. Solche Messer werden aus einem ganz besonderen Holz von der südlichen Küste gefertigt und in unglaublich langer Schleifarbeit so poliert.
„Wunderschön“, sagte Piju ehrfürchtig, bewegte es im Sonnenlicht hin und her, bis sein Vater ihn anlächelte und ihm zunickte.
„Das ist genau etwas für dich Piju. Ich denke, du hast es dir verdient.“
Die Augen des jungen Mannes wurden groß und er freute sich beinahe kindlich über das Geschenk. Wieder und wieder zeigte er es allen, war ganz versunken in den Anblick.
Während die anderen Jungen begeistert weiter in Master Wingurs Waren stöberten, stand Arlyn etwas abseits, berührte zögernd die fremden Waren und Stoffe.
Master Wingur beobachtete ihn eine Weile lang, wie er hier und da etwas hoch hob und es betrachtete.
„Kannst du mir kurz helfen, Junge?“, sprach er ihn dann direkt an. Arlyn blickte auf und drängte sein unangenehmes Gefühl beiseite, als ihn wieder der Blick des Mannes traf. Er nickte zögernd und trat zu Master Wingur. Der winkte ihm, ihm zu folgen. „Da sind noch zwei Kisten, die ich vom Wagen holen möchte. Du kannst mir tragen helfen. Da sind noch andere fantastische Sachen bei, die dir bestimmt auch gefallen werden.“
Arlyn folgte ihm zu den Stallungen, wo der große Wagen des Mannes stand und sein schwarzes Pferd untergebracht waren. Sie traten hinter den Wagen und Master Wingur stieg hinein um die Kisten zu holen. Er reichte ihm eine herab, aber als sich Arlyn umwandte, um die Kiste zum Hof zu tragen, hielt ihn der Händler kurz am Arm zurück.
Arlyn zuckte sofort zusammen, wollte sofort zurückweichen, beherrschte sich jedoch, als der Händler sagte: „Warte, hier ist noch etwas, was ich dir gerne zeigen möchte. Stell die Kiste ruhig ab und komm mal hoch.“
Er sah den zögernden Jungen auffordernd an.
Arlyn fühlte sich unwohl. Die Situation machte ihm Angst, ohne dass er sagen konnte warum. Der Mann hatte ihm schließlich nichts getan. Er bat ihn lediglich um etwas Hilfe, was war daran schon bedrohlich? Trotzdem wollte er nur ungern zu ihm in den Wagen steigen. Aber er bat ihn schließlich um Hilfe, er konnte kaum so unhöflich sein und es ablehnen.
Also stellte er die Kiste ab und folgte Master Wingur auf den Wagen.
„Komm hierher“, hörte er die Stimme des Mannes im Wageninnere und noch bevor sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, fühlte er, wie ihm der Mann eine Hand auf den Mund presste, ihn hart zu Boden stieß.
Arlyn war wie gelähmt vor Schreck, vermochte sich nicht zu rühren, als Master Wingur sich über ihn kniete und ihn weiter zu Boden drückte.
„Bleib einfach still liegen, dann werde ich dir nicht wehtun. Wenn du tust, was ich dir sage, wird dir nichts passieren“, zischte er mit dunkler, hektischer Stimme.
Arlyn blieb stocksteif liegen, vermochte nicht sich zu rühren und konnte kaum klar denken. Sein Verstand schrie ihm zu sich, zu wehren, aber etwas Anderes in ihm brachte ihn dazu, still liegen zu bleiben, sich nicht zu rühren, es einfach zu ertragen.
Als der Händler mit seiner freien Hand über sein Gesicht fuhr, verkrampfte er sich immer mehr und seine Angst sprengte ihm fast die Brust. Er wollte schreien, aber die Hand auf seinem Mund hielt ihn auch fest zu Boden gepresst. Als die Hand des Händler tiefer glitt und sich an seiner Hose zu schaffen machte, bäumte sich Arlyn heftig auf und sein Verstand siegte über sein Starre.
Er wand sich heftig und versuchte der Berührung zu entfliehen. Seine Hände zerrten krampfhaft an den Armen des Mannes, er versuchte mit seinem Körper den Mann von sich zu drücken, der ihm heftig und erregt atmend zu zischte: „Halt still mein Schöner. So ein Juwel.Ich werde dir nicht weh tun. Halt still und lass mich gewähren. Du wirst es genießen.“
Aber Arlyn dachte gar nicht daran, er kämpfte um seine Freiheit. Seine Füße traten gegen die Wände des Wagens und er hörte wie etwas scheppernd zu Boden fiel.
Master Wingurs Hand tastete sich weiter, zerrte an seinem Hemd, glitt darunter. Erneut bäumte sich Arlyn heftig auf und es gelang ihm, einen erstickten Schrei unter der Hand auszustoßen.
Plötzlich verschwand die tastende Hand unter seinem Hemd und von seinem Mund. Der Körper des Mannes über ihm wurde ruckartig von ihm weggerissen.
Arlyn hörte wie Master Wingur einen erschrockenen, schmerzhaften Laut von sich gab, als er von groben Händen gepackt wurde und vom Wagen zu Boden gestoßen wurde. Arlyn sprang rasch auf und sah wie Piju vom Wagen sprang und sich breitbeinig über dem erschrockenen Händler aufbaute und ihn böse anfunkelte.
„Es war doch nur ein Spaß. Ich wollte nichts von dem Jungen. Nur ein Spaß“, versuchte sich der dicke Händler zu retten. Piju stand starr und hielt sein neues Messer stoßbereit in der Hand, blickte kurz zu Arlyn herüber der zitternd vom Wagen kletterte.
„Alles okay?“, stieß er hervor und Arlyn nickte nur, fassungslos, was gerade geschehen war. „Hat er dir weh getan?“, fragte Piju nach, aber er schüttelte nur den Kopf.
Piju sah, wie er sich die Hose zurecht zog und sein Hemd rasch wieder hineinsteckte. Kalte Wut überkam den jungen Mann, der ahnte, was der Händler da gerade mit dem schönen Jungen vorgehabt hatte.
„Verfluchter Mistkerl. Er ist mein Bruder und wenn du noch einmal wagst ihn anzurühren, werde ich mehr als dies hier mit dir tun!“, stieß Piju zornig hervor und stieß sein neues Messer dem dicken Mann in die Hand. Der schrie auf vor Schmerz und Überraschung , wich entsetzt vor ihm zurück.
Piju wischte sich das Messer am Bein ab, beachtete ihn nicht weiter. Er trat zu Arlyn, der ihn nur erschrocken ansah, nicht fassen konnte, was Piju da gerade getan hatte.
Der musterte ihn kurz, zog ihn dann einfach am Arm mit sich. Der Händler hinter ihnen fluchte und jammerte, aber sie beachteten ihn nicht weiter. Piju zog Arlyn mit sich bis sie in der Stallgasse waren. Dort wandte er sich zu ihm um, ergriff seine Schultern und drückte ihn gegen die Wand. Sorge war in seinem Blick und mehr, als Arlyn sagen konnte. Ängstlich sah er den großen Mann an. Durcheinander, was da gerade alles geschehen war.
„Niemand darf dich anfassen, Arlyn“, flüsterte er ihm ins Gesicht. „Niemand dir wehtun. Dafür sorge ich. Niemand.“
Er wollte wohl noch mehr sagen, Arlyn merkte, wie er zögerte und sich dann rasch abwandte. Arlyn wusste nicht, was er sagen sollte, wie er Piju danken konnte. Er war noch immer wie gelähmt von dem Erlebten. In ihm wütete etwas, als ob es hinaus gelangen wollte, etwas was heiß unter der Oberfläche seiner Haut brodelte, kaum zu kontrollieren. Er fürchtete sich davor, fürchtete was in ihm war.
Da drehte sich Piju plötzlich wieder zu ihm um und meinte: „Erzähl nichts davon. Muss keiner wissen!“ Arlyn nickte stumm, ließ es zu, das Piju ihn an der Hand nahm, mit sich hinaus auf den Hof zog. Ihre Hände lösten sich erst, als sie zu den Anderen traten. Piju trat vor an den Tisch des Händlers, warf sein Messer darauf zurück.
Sein Vater sah ihn erstaunt und fragend an, aber er brummte nur: „Will es nicht.“
Er fügte an Arlyn gewandt zu: „Komm mit, nach den Schafen schauen.“
Er zog ihn einfach mit sich und Arlyn folgte ihm willig, noch immer verwirrt von dem Erlebnis, vor allem aber von den merkwürdigen Gefühlen die in seinem Inneren zu toben schienen und sich nur langsam wieder beruhigten. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl von unglaublicher Macht verspürt, aber dann war da wieder nur die dicke Mauer, an die er immer stieß, wenn er in sich nach seiner Vergangenheit suchte.
Germon sah ihnen überrascht nach, wunderte sich umso mehr, als etwas später Master Wingur erschien, seine Hand einbandagiert und erklärte, er habe sich leider dumm geschnitten, als er Waren aus dem Wagen holen wollte.
Er lehnte auch dankend ab, als ihn Germon einlud noch einen Tag zu bleiben, er erklärte, er müsse dringend weiter, seine Geschäfte würden keinen Aufschub dulden.
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Ende Band 1
Morgen geht es weiter.
Texte: Coverbild by Mylania Finjon mit freundlicher Genehmigung
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2011
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