Cover

Durlundin - Götter und Sagen der Chroniken aus Ravan

Durlundin, Name des zweitgrößten Gletschers in Ovon.

Der jüngste einer Bruderschaft, geboren aus dem Reich der mächtigen Wolken von einst.

Jene Naturgebilde hatten mit den Wolken, die wir heute kennen, nicht viel gemeinsam. Sie regierten über die junge Erde und bezogen ihre Kraft direkt aus dem Staub der Sterne. Wenn ihre Laune es ihnen vorschrieb, dann verdunkelten sie den Himmel der Erde über Jahrhunderte. Für den friedlichen hellblauen Himmel, den wir in manchen Ländern täglich betrachten können, war die Zeit noch nicht gekommen. Die Geister herrschten in ihrer ungebremsten Macht über das, was irgendwann entstehen mochte, aber zu ihrer Zeit nicht geboren werden konnte. Durlundin nannte sich der Schwarze, sein Haar war lang und glatt und ummantelte seinen mächtigen Körper wie ein seidenes Kleid. Er leistete seinem älteren Bruder Rilbanfil Gesellschaft, doch sehnte sich nach seinen einsamen Reisen durch das Land seiner Väter. Ein Land aus purer Kraft, erfüllt vom Tosen der mächtigen Wolken, die aufeinanderprallten, die Luft mit Blitzen erfüllten und mit ihrer ungebremsten Energie die Elemente aufrührten. Durlundin hatte sich eine geheime Freude gemacht, in dem er seine ersten Drachen gezüchtet hatte. Seinem Bruder Rilbanfil hatte er von seiner Entdeckung nichts gesagt und entschlossen, diese Wesen versteckt zu halten. Rilbanfil war nicht sehr aufmerksam auf das, was um ihn herum passierte. Er war von seiner eigenen Person besessen. Und wenn er nicht an sich selbst dachte, dann war er mit dem Hass auf den ältesten der drei Brüder erfüllt. Grimmynsar, der Tugendhafte, wenn man in dieser Zeit überhaupt von solchen Werten reden konnte. Grimmynsar war lange vor seinen Brüdern geboren worden und er reiste auf die runde, unfruchtbare Erde, kam zu dem Reich der tobenden Wolken zurück
und tauchte immer wieder in tiefe Meditationen ab. Rilbanfil nannte sich der Rote, seine Haarmähne wallte mit krausen Locken um sein mächtiges Haupt. Er war stolz auf seine starken Muskeln, welche sich unter seiner hellen Haut abzeichneten. Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war es, mit brennenden Blitzen geheimnisvolle Muster auf seine Haut zu brennen. Unzählige Male hatte er damit angefangen und kein Glied seines Körpers dabei ausgelassen. „Warum tust du das?“, hatte Durlundin gefragt. „Ich brenne die Kraft der Blitze in meine Haut, um sie mir eigen zu machen“ war die Antwort. Doch Durlundin lachte. „Kraft hast du genug! Man könnte meinen, dass du dich deiner weißen Haut schämst. Sieh doch selbst! Dein Körper ist übersät von kunstvollen Zeichnungen.“ Rilbanfil hasste es, wenn sich sein jüngerer Bruder über ihn lustig machte und versetzte ihm ohne Vorwarnung einen mächtigen Kinnhacken. Der entsetzliche Schlag ließ ihn für eine gewisse Zeit in Ohnmacht fallen. Hilflos lag Durlundin den Elementen und seinem Bruder ausgeliefert. Sein Bruder betrachtete seine dunkle Haut, die sich wie Samt schimmernd im zuckenden Licht der Blitze über die Rundungen seiner mächtigen Muskeln spannte. „Grimmynsar mag Recht haben, wir sind nicht komplett“, sprach der Rothaarige und beugte sich über den Körper seines Bruders. „Oh wie ich ihn hasse für seine Weisheit, seine Überlegenheit, wo ich nur von meiner Kraft schmecken will. Er meditiert über die unendliche Güte, welche aus der Tiefe der jungen Erde geboren werden soll. So ein Dummkopf! Er will uns nur beweisen, dass er der Ältere ist. Doch gibt ihm seine Existenz Recht darauf, meine Verlangen zu bremsen?“ Mit gierigen Händen berührte Rilbanfil die Haut seines Bruders, fühlte das Leben darunter pulsieren und ward verbunden mit derselben Kraft, die ihn erfüllte, wenn er sich mit den Blitzen seine geliebten Muster in die Haut brannte.
Eine Kraft, die in seinen Lenden pulsierte und danach begehrte, befriedigt zu werden. Ihm war es gleichgültig, ob sein erstgeborener Bruder Recht hatte, dass ihnen etwas fehlte und es Zeit war, das Universum, in dem sie geboren waren, zu verändern. Rilbanfil gehorchte seinen Instinkten und vergewaltige den ohnmächtigen Durlundin. In seinen Armen und im Getöse seiner Urschreie erwachte der Schwarzhaarige, zerrissen von der Gewallt seines Bruders, bäumte er sich auf, befahl seinen Kräften, sich aufzubegehren und wehrte sich mit aller Gewalt. „Du bist mein!“, brüllte Rilbanfil ihm ins Gesicht und trieb sein Verlangen zum Abschnitt des neuen Kapitels in dieser finsteren Geschichte. Die rote Wut des Blutes und die schwarze Finsternis der endlosen Winternächte sind wohl in diesem Moment geboren worden. Gefühle, die noch heute in den Adern der Krieger fließen, wenn sie von ihren Königen auf das Schlachtfeld geschickt werden. Durlundin stand seinem Bruder um nichts an Kraft nach und versetzte ihm entsetzliche Wunden, doch der süße Schmerz der unbekannten Raserei erfüllte ihn und er wusste, dass er ohne seinen Bruder nur dumpfe Einsamkeit kennen würde.

Grimmynsar hatte von der Geschichte zwischen seinen jüngeren Brüdern erfahren und ward enttäuscht. Er machte sich selbst Vorwürfe, denn vielleicht war er in seinen geheimen Forschungen nicht rasch genug vorangekommen, um Antworten auf die unbeantworteten Fragen zu finden. Als er seinen Brüdern abermals begegnete, wusste er, dass die beiden ihre Kräfte miteinander verbinden konnten und vor allem Rilbanfil danach brannte, diese neugewonnene Macht gegen ihn einzusetzen. Grimmynsar sah ihn kommen, Rilbanfil mit seinen hellen Augen, die Lebhaftigkeit seines Geistes, die brennende Ungeduld. Wahrscheinlich hatte Grimmynsar zu lange in der Tiefe der brennenden Lava der Erde verbracht. Die schützende Wärme hatte
ihn ruhen lassen. Vielleicht war er träge geworden und konnte gegen die rasende Kraft seiner Brüder nichts mehr ausrichten. Doch er wusste, dass die Macht steril blieb und die Zeit gekommen war, Neues zu lernen. Etwas, das aus der Mitte der neuen Erde geboren werden sollte. „Du Dummkopf! Was hast du wohl gewonnen? Willst du bis ans Ende der Zeit dich mit deinem jüngeren Bruder ringen, bis ihr müde seid und unerkannt im Nichts vergessen werdet? Geschichten müssen erfunden und erzählt werden, doch es kann nur solche geben, wenn es Ohren gibt, die zuhören. Eure sind voll mit dem Lärm der tosenden Winde und Wolken, aus denen wir geboren wurden.“ Rilbanfil betrachtete seinen Bruder verächtlich und lächelte siegessicher. „Wenn du deine Kräfte messen willst, warum wartest du nicht, bis andere herangewachsen sind, die dir die Stirn bieten können? Wie zum Beispiel die zornigen Geschöpfe deines Bruders? Sie spielen mit dem Feuer der jungen Erde und sind ebenso begierig auf neue Kämpfe wie du.“ Rilbanfil versuchte zu begreifen, wovon sein älterer Bruder sprach, bis er die dunklen Drachen selbst auf der Erde sah, wie sie sich geschwind zwischen den glühenden Flüssen der frischen Lava wanden. Denn die Kraft der Sonnenstrahlen vermochte noch nicht ihre Haut zu erwärmen. Die Wolkendecken waren viel zu dicht, um auch nur einen Lichtstrahl auf die Erde kommen zu lassen. „Dort wird eines Tages das Leben regieren, geboren aus einer Kraft, die schlicht alles übertrifft, was du zu kennen glaubst“ erklärte Grimmynsar mit gütiger Stimme, denn seine Geduld und seine Liebe zu seinen jüngeren Brüdern schien keine Grenzen zu kennen. Rilbanfil allerdings fühlte sich auch von seinem jüngeren Bruder verraten, weil er ihm die neuen Wesen verschwiegen hatte. Doch nun war es zu spät, Durlundin hatte seine neuen Freunde auf der jungen Erdkruste und Grimmynsar
versuchte mit etwas Unbekannten zu kommunizieren, das in der Tiefe des Erdkerns wohnte. Ungehalten griff Rilbanfil seinen älteren Bruder an. Wie lange der Kampf zwischen den beiden gedauert hat, mag keiner sagen, denn es gab keine Zeugen, die es nötig hatten, die Zeit zu messen. Die Elemente wurden erschüttert von den gewaltigen Schlägen, selbst wenn es ein Kampf um Leben und Tod zu sein schien, war es unmöglich, demselben auf diese Weise ein Ende zu bereiten, denn Grimmynsar und Rilbanfil waren unsterblich. Allerdings war dieser Kampf wichtig für beide, denn sie mussten sich aneinander messen. Auf ihre Weise vereinten sie sich und erkannten die Schwächen und Stärken des anderen. Rilbanfil lernte mehr über die Kraft, die ein erfahrener Krieger einzusetzen vermochte und Grimmynsar verstand die Verzweiflung der Einsamkeit, die im Herzen seines jüngeren Bruders lebte. In dieser verhängnisvollen Epoche wurden alle Gefühle geboren, die im Herzen der Männer erwachen können. Keiner der drei Brüder konnte wissen, dass sie von einer anderen Macht beobachtet wurden. Grimmynsar hatte eine Ahnung, von dem was kommen mochte, doch vieles musste noch Form annehmen, um von seinem Wesen erkannt zu werden. Ein kolossaler Regen von riesigen Meteoriten prasselte über die junge Erde. Fremde Steine aus dem fernen Universum, so groß wie Berge bohrten sich auf ihrem Weg ins Innere der jungen Erde und zerschmetterten die bewegliche Kruste. Wütend bäumten sich Geiser von Lava auf. Die Brüder waren vertieft in ihren Kampf und waren außer Stande dieses Ereignis zur Kenntnis zu nehmen. Bis ein Meteorite den Kopf von Rilbanfil traf und ihn auf seinen rasenden Weg ins Innere der Erde mitnahm. Grimmynsar brüllte entsetzt auf und folgte seinem Bruder. Er hatte Mühe, ihn aufzuholen, bis er selbst von einer fremden Steinmasse in den Rücken getroffen wurde und ins Eingeweide der Erde geschmettert wurde.
Durlundin hatte den Sturz seiner wütenden Brüder entsetzt gesehen. Der Meteoritenregen schien kein Ende nehmen zu wollen. Vielleicht war dies der Untergang der Zeit, von dem Grimmynsar manchmal gesprochen hatte. Oh wie gerne hätte er seinem älteren Bruder länger zugehört. Seine Stimme war so schön, wenn er von seinen Meditationen zurückkam. Er schien von etwas Fremden berührt zu sein, dem Durlundin noch keinen Namen geben konnte. Seine Brüder sollten nicht unbedacht im Inneren der Erde verschwinden, entschied Durlundin und schlug sich mit der rechten Faust auf seine Brust. Der dabei entstandene Klang erfreute ihn. Ein dumpfer, wohlklingender Ton, der ihm Mut gab. Er wiederholte den Hieb mit seiner linken Faust und mit seiner rechten, immer wieder im Rhythmus seines Herzens, dabei erfüllte ihm Lust, seine Füße zu bewegen und zwischen den Meteoriten hindurch zu tanzen. Er sehnte sich nach seinen Brüdern und spürte, dass sie abgetaucht waren und er nicht wusste, ob er sie je wiedersehen würde. Mit seinen Tanzschritten und den Trommelschlägen auf seine Brust versetzte er sich in eine unbekannte Trance. Weil er sich einsam fühlte und nur noch bei seinen Brüdern sein wollte, ließ er sich tiefer in diesen Bewusstseinszustand gleiten. Bei dieser neuen Tätigkeit wurde ihm bewusst, dass er sich zwischen den rasenden Meteoriten bewegte, ohne von ihnen getroffen zu werden. Wie ein neues Spiel, von dem sein gesamtes Wesen erfasst wurde. Das Jetzt und Hier, von dem schon sein Bruder Grimmynsar gesprochen hatte, erfüllte ihn und er wurde eins mit den Elementen. Auf diese Weise fürchtete er sich vor nichts mehr und tauchte in die Innereien der aufgewühlten Erde ab. Im Toben und Wabern von flüssigen Stein und glühenden Gasen fand er seine Brüder wieder, umarmte sie in ihrer Bewusstlosigkeit und holte beide an die Oberfläche. Dort mochten die drei ruhen und die wilde Natur betrachten. Durlundin wartete das Erwachen seiner Brüder ab, sie sollten Zeugen vom Anbeginn der Zeit sein. Alle drei waren von der
Hitze der erwachenden Erde berührt. Sie war entschieden dem Tosen des Universums zu trotzten und sich im Kreisel des Werdens wiegen zu lassen. Sie wusste, dass sie nicht allein war und hatte die Bekanntschaft mit den drei Brüdern gemacht. Es würden viele andere kommen und ein Leben jenseits von Gut und Böse würde beginnen.

Impressum

Texte: Kirsten Schwarz
Cover: Kirsten Schwarz
Tag der Veröffentlichung: 20.02.2018

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch ist für alle, die sich gerne in alte Geschichten verlieren und hören, was die Weisheiten von einst erzählten. Und jene, die sich gerne Zeit nehmen, dem Ursprung der Dinge auf den Grund zu gehen.

Nächste Seite
Seite 1 /