Save Me
Hill Part 1
Lieber Leser,
ich wünsche dir viel Spaß auf dem Weg zu zwei ganz unterschiedlichen Rettungen von Emma und Alex …
PS: Das schönste Geschenk für einen Autor ist eine Rezension …
BEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEP.
Mit einem ohrenbetäubenden metallischen Geräusch schob sich die Stahltür vor mir zu Seite. Der lange Gang, der sich vor mir auftat, wurde von grellen Neonstäben beleuchtet und ließ den dreckigen grünen PVC-Boden noch ekelhafter aussehen.
„Miss Cline. Gehen sie bitte vor und geben sie rechts hinten ihren Ausweis ab.“, wies mich die Frau am Eingangsschalter knapp an und wendete sich dann an den Nächsten in der Schlange.
Ich nickte stumm und lief den Gang herunter. Alles in mir schrie, dass ich hier so schnell wie möglich wieder wegsollte. Die grauen Wände, die niedrigen Decken, das hier war der reinste Alptraum. Das Gebäude wurde mit den billigsten Mitteln gebaut, nur an den Sicherheitsvorkehrungen wurde nicht gespart. Allein die Stahltüren waren so robust, dass nicht einmal ein Elefant hätte ausbrechen können, ganz zu schweigen von einem Menschen. Aber nun gut, dass hier war ja auch kein Urlaubsort. Das hier war der Knast von Chicago.
„Hallo, sind sie das erste Mal da?“, fragte mich die zierliche Frau hinter dem Schalter aus Hochsicherheitsglas und lächelte mich aufmunternd an.
„Ja.“, murmelte ich und strich mir nervös eine Haarsträhne hinter das Ohr.
„Machen sie sich keine Sorgen, sie sind hier sicherer als da draußen.“, lachte sie und ich zwang mir ein Lächeln ab, dass eher eine schiefe Grimasse wurde.
„Haben sie sich schon mit den Sicherheitsregelungen auseinandergesetzt?“
„Ja.“, antwortete ich und nickte wie ein Wackeldackel.
„Gut, ich wiederhole trotzdem kurz das Wichtigste. Sie dürfen nichts mitreinnehmen, keine Berührungen, keine anzüglichen Themen oder Laute und lassen sie sich nicht …“, sie machte eine kleine Pause und überlegte, wie sie es formulieren sollte. „… verführen.“
Ich runzelte die Stirn und nickte weiter, wusste aber nicht, was die letzte Anweisung jetzt sollte. Ich war von einer christlichen Organisation hiergeschickt worden, um mit einem Häftling zu sprechen und ihn, wie sie es so schön nannten, wieder „dem Licht zuzuführen“. Das Letzte was ich vorhatte, war mich an einen alten tätowierten Knacki zu werfen und ihm zur Flucht zu verhelfen.
„Dann gehen sie bitte dort vorne durch die Tür.“
Mit wackeligen Beinen ging ich zur Tür und trat in den Besucherraum. Er war so groß wie die Wohnung, in der ich mit meiner Mutter lebte und beinhaltete insgesamt 5 Tischreihen, wobei einige durch eine Trennwand geschützt wurden. Auch hier herrschte eine unangenehme Büroatmosphäre durch die Neonbeleuchtung und den quietschenden Bodenbelag. Es gab keine Fenster, dafür aber Wachposten, die die Gespräche beobachteten und mich mit ihren Schlagstöcken und Handschellen noch unruhiger machten.
„Name?“, blaffte eine dicke Frau neben mir und stierte mich böse über ihren alten PC an.
„Äh …“, stammelte ich durcheinander und schüttelte den Kopf.
„Keinen Namen? Dann gibt’s auch keinen Besuch beim Liebsten.“, schnauzte sie mich an und schaute wieder auf ihren Bildschirm.
„Äh … Cline.“, nuschelte ich und schon fing sie an, im PC nach meinem Namen zu suchen.
„Ah, Mr. Hill ist schon da.“, sagte sie mürrisch, schenkte mir dann aber ein falsches Lächeln.
„Tisch 44. Viel Spaß!“
Beklommen ging ich die Reihen entlang und entdeckte die aufgeklebten Nummern. Ich musste einmal durch den Raum laufen und sah dann mittig der Reihe den Tisch 44, an dem bereits ein Mann saß.
„Hi.“, begrüßte ich ihn schüchtern und setzte mich auf den leeren Stuhl ihm gegenüber.
Als ich ihn richtig erkannte, verschlug es mir den Atem. Er war Alexander Hill. DER Alexander Hill.
Besitzer von 5 verschiedenen Clubs allein hier in Chicago und einer der Top Junggesellen der Stadt. Reich, heiß und verdammt sexy. Alle Mädels waren damals hinter ihm her gewesen, die Presse hatte sein Privatleben, um das sich viele Mythen rankten, geliebt und jede durchgesickerte Information ausgeschlachtet. Bis … tja … bis er mit Drogen erwischt wurde und für 3 Jahre eingebuchtet wurde. Dabei wurde natürlich auch seine Abführung in Handschellen von den Journalisten verfolgt und gefilmt, während halb ohnmächtige Frauen im Hintergrund schrien, man müsse ihm doch verzeihen, er sei schließlich super heiß.
Ich erinnerte mich gut an die Nachrichten darüber, denn es war der Tag, an dem meine Mutter ihren neuen Freund mitbrachte. Sein Bild wurde zu der Zeit so oft im Fernsehen gezeigt, dass es sich in mein Gedächtnis regelrecht eingebrannt hatte. Dunkle, verwuschelte Haare sorgten bei ihm für den lockeren Touch, seine braunen Augen wirkten liebevoll und treu, doch sein markanter Kiefer unter seinem Drei-Tage-Bart wirkte männlich und hart und soweit er sein legendäres schiefes Grinsen aufsetzte, schmolzen die Höschen dahin.
Trotz des Gefängnisaufenthaltes sah er immer noch verboten scharf aus. Seine Haare waren kürzer, sein Bart etwas wirr, aber dafür hatte er hier deutlich an Muskeln zugelegt. Durch seine orangene Gefängniskluft zeichneten sich seine Brust- und Oberarmmuskeln deutlich ab und neben seiner breiten Statur wirkte der Tisch vor uns viel zu klein, als sei er für Kinder gemacht worden.
„Fertig mit starren?“, fragte er in einem so dunklen Ton, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken lief.
Ich schaute ihm wieder in die Augen, seine rechte Augenbraue wanderte nach oben, er fixierte mich mit einem scharfen Blick.
„Ich sag dir, wie das abläuft. Ich muss mit dir hier sitzen, damit ich früher rauskomme. Du musst hier sitzen, weil du ne bekloppte Christin bist, die denkt, man könnte mich hier mit einem Gespräch pro Woche exorzieren. Also treffen wir uns hier jede Woche, sitzen uns gegenüber und du hältst schön die Klappe.“, erklärte er mir ungerührt.
Mir klappte die Kinnlade herunter.
„Und wenn ich nicht die Klappe halte?“, rutschte es mir heraus.
„Dann zeig ich dir, wie scheiße, ich wirklich sein kann und bringe dich mit nur einem einzigen Satz hier raus. Und dann wars das mit deiner guten Tat.“, stellte er knapp klar.
Sein kalter Blick musterte mich abschätzig und zeigte mir deutlich, dass er es ernst meinte.
„Okay.“, willigte ich ein und strahlte ihn an.
Besser konnte es für mich doch gar nicht kommen!
Leicht verblüfft nickte er kurz und schloss dann die Augen. Ich beobachtete sein viel zu schönes Gesicht und schaute mir dann seine Hände näher an, die aufgerissen waren, als hätte er sich geprügelt. Er hatte wirklich große Hände, die mich unweigerlich daran denken ließen, dass er …
„Starr mich nicht an.“, unterbrach er genervt meinen Gedankengang.
Verschämt schaute ich sofort weg und beobachtete die anderen Besucher im Raum. Die meisten waren Männer und viele sprachen wild durcheinander, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen und sich viel zu erzählen. Vereinzelt waren auch Frauen unter den Besuchern und eine mit grünen Haare weinte verzweifelt, während der Mann an ihrem Tisch versuchte sie zu beruhigen. Man sah ihm an, dass er sie gerne in den Arm genommen hätte, doch der Wachmann hatte die Beiden schon im Blick und hielt ihn mit erhobenen Zeigefinger zurück.
Das Bild nahm mich mehr mit, als ich erwartet hätte. Sie liebten sich ganz offensichtlich, aber konnten nicht zusammen sein. Nicht einmal eine Berührung war erlaubt - was für ein krankes System. Wie konnte man sich wundern, dass die Männer hier die Realität, für die sie sich bessern sollten vergaßen und in den Drogensumpf und den Rivalitäten hinter diesen Mauern abrutschten.
Ich ließ meinen Blick weiterschweifen und entdeckte Pete ein paar Tische weiter. Er war mit mir in der Theresa-Orga, wie wir sie als Mitglieder nannten und er war auch mein Buddy gewesen. Das bedeutete, er hatte mir gezeigt, wie alles ablief und worauf ich achten musste. Die christliche Organisation, in der wir waren, war streng in vielen Dingen. Wir durften nicht trinken und mussten auch sonst allen verbotenen Dingen abschwören. Die Gruppengespräche waren Pflicht, damit man den Zusammenhalt spürte und sich nicht abkapselte. Auch gemeinnützige Arbeiten, wie das was ich hier gerade mehr schlecht als recht versuchte, gehörte zum Pflichtprogramm.
Aber für all das gab es auch etwas. Nämlich finanzielle Unterstützung, auf die ich dringend angewiesen war. Trotz zwei Jobs von mir und meiner Mom, war es schwierig unseren Schuldenberg abzubauen. Wir taten unser Bestes, doch jeden Monat war die Bezahlung unserer Rechnungen ein Kampf.
Pete diskutierte heftig und fuchtelte mit den Armen, während der Mann ihm gegenüber kaum Regungen zeigte und wohl nicht bei dem Gespräch mitkam. Es war allerdings auch schwierig mit Pete mitzuhalten. Er redet nicht nur extrem schnell, sondern sprang auch quer durch alle Themen, die er mit einem besprechen wollte. Seine Erzählweise war dabei so dramatisch, dass ich mir oft ein Lachen unterdrücken musste, doch ich hatte ihn trotzdem wahnsinnig liebgewonnen. Er war ein durch und durch herzlicher Mensch und hatte eine wahnsinnig positive Ausstrahlung und einen Optimus, der beneidenswert war.
Pete stoppte plötzlich und sein Gesprächspartner nickte. Daraufhin klopfte Pete auf den Tisch und stand auf. Gerade als er sich wegdrehen wollte, begegneten sich unsere Blicke und er strahlte mir winkend zu. Mit dem Finger deutete er auf meinen ungesprächigen Tischgesellen, der immer noch die Augen geschlossen hielt und schaute mich erwartungsfroh an. Ich zog eine Grimasse, um ihm zu signalisieren, dass es nicht so gut lief und er winkte lachend ab. Daraufhin äffte ich den arroganten Blick von Hill nach und verschloss meine Lippen pantomimisch mit einem Schlüssel. Pete bekam sich gar nicht mehr ein und winkte mir schließlich zum Abschied, während er so tat, als würde er eine Treppe herunterlaufen. Ich prustete vor Lachen los, zumindest bis mein Blick auf Hill traf.
Mit hochgezogener Augenbraue musterte er mich böse und legte dann sein legendäres schiefes Grinsen auf. Auweia!
„Na, ihr seid ja ganz witzig.“, kommentierte er unsere Nummer kühl und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Starr mich nicht an.“, wiederholte ich seine Worte so cool wie möglich und versuchte mich nicht, von seinem jetzt noch besser betonten Bizeps, durcheinander bringen zu lassen.
„Stehst du auf ihn?“, fragte er ohne Umschweife und deutete mit dem Kopf zu Pete, der gerade durch die Tür ging.
„Quatsch.“, schnaubte ich und machte eine Wegwerfbewegung.
„Also, ja.“, antwortete er ungerührt.
„Nein!“
Pete war wirklich toll, aber er würde nichts von mir wollen. Er war überzeugter Christ und wollte auch eine Partnerin, die dahinterstand. Da war ich wohl die falsche Kandidatin. Wenn er herausfinden würde, warum ich in der Theresa-Orga war, wäre er sehr enttäuscht von mir und das konnte ich auch gut verstehen. Ich schämte mich ja selber für mein Verhalten, aber ich wusste keine andere Lösung, um eine derartige finanzielle Unterstützung für das bisschen Arbeit zu bekommen. Dass wir das mal nötig hätten, hatte ich vor 3 Jahren auch nicht gedacht. Aber jetzt mussten wir da irgendwie durch.
„Du wirst ja ganz rot. Habt ihr schon gefickt?“, fragte er arrogant und perfektionierte sein blödes Grinsen.
„Was ist aus dem, wir sprechen nicht miteinander, sonst bin ich gemein zu dir, geworden?“, fragte ich ihn wütend und äffte seine tiefe Stimme nach.
„Also willst du ihn ficken, aber er dich nicht. Wahrscheinlich weil …“
Sein Blick schweifte über meinen Körper und blieb bei meinen Brüsten hängen. Ich fühlte mich sofort unwohl. Bedächtig lehnte er sich dann über den Tisch vor und kommentierte dann, was er sah.
„So hässlich bist du doch gar nicht. Also verbietet euer Glauben es euch?“
Ich lief knallrot an, angesichts seines schrägen Kompliments und versuchte ihm weiter ins Gesicht zu schauen, um keine Schwäche zu zeigen. Tief durchatmen und cool bleiben!
„Man sollte keiner Gruppe angehören, die einem verbietet zu bumsen. Jeder braucht das. Und denk doch mal darüber nach, du könntest seinen harten Schwanz …“
„Danke, das reicht. Ich denke nicht, dass eine Aufzählung nötig ist.“, unterbrach ich ihn wirsch und lehnte mich ebenfalls vor, damit die Leute um uns herum uns nicht hören konnten.
Ich war mir sicher, das Paar neben uns hatte bereits etwas mitbekommen, denn sie wurden verdächtig leise.
„Ist es dir peinlich, wenn ich hier über so etwas spreche?“, zog er mich auf und durch unsere Nähe konnte ich seinen Atem auf meiner Haut spüren.
„Soll ich dir nicht ein paar Bilder mit auf den Weg geben? Wie er dich langsam von hinten nimmt und tief in dich eindringt, während du nach mehr bettelst unterm Kruzifix.“
„Du vergisst, dass nicht ich im Knast bin, sondern du. Wenn ich Anregung brauche, mache ich die Glotze oder den Computer an und zieh mir einen Porno rein. Dafür brauche ich deine sexistischen Bilder von mir in einer devoten Pose nicht.“, keifte ich ihn an.
„Wieso ist das Sexismus, wenn du es genießt, wie er dich tief vögelt und du dir vor Schmerz und Verzückung deine Stimme aus dem Leib schreist.“, provozierte er mich und grinste dreckig.
Ich schnaufte auf und ließ meinen Kopf auf die Tischplatte knallen. Der Mann war nicht von seinem perversen Scheiß abzubringen.
„Du machst mich fertig.“, stöhnte ich entnervt auf.
Er lachte schamlos und strich plötzlich eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Die zarte Berührung seiner Finger durchfuhr mich heiß und ließ mich erschauern. Mit dieser Reaktion meines Körpers hatte ich definitiv nicht gerechnet. Er ließ seine Hand hinter meinem Ohr und strich mit seinen rauen Fingerkuppeln über die zarte Haut dahinter.
„Eine Schüchterne. Gefällt mir. Stille Gewässer …“
„Hände weg!“, bellte der Wachmann hinter mir und riss mich an der Schulter hoch.
„Was machen sie hier? Sicherheitsabstand!“, brüllte er mir ins Ohr und ich zuckte vor Schreck zusammen.
„Haben sie mich verstanden, Miss?“
Verschüchtert nickte ich und schaute zu ihm hoch.
„Hören sie auf, sie anzuschreien.“, ging Hill dazwischen und stemmte sich auf dem Tisch ab. „Sie machen ihr Angst!“
„Sie sagen mir nicht, was ich zu tun habe!“, schrie er pikiert.
Bedrohlich zog er seinen Schlagstock und ich zuckte panisch zurück und knallte dabei mit meinem Ellbogen gegen die Tischplatte. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Arm und mir schossen die Tränen in die Augen.
„Verdammt, hast du dir weh getan?“, fragte Hill besorgt und wollte nach mir greifen, doch der Wachmann hatte bereits den Stock erhoben.
„Was ist hier los?“, ging ein älterer Mann dazwischen und der Wachmann steckte den Stock sofort zurück, als wäre nie etwas gewesen.
„Sir, er hat die junge Dame berührt. Sie war nicht in ihrem Bereich.“, informierte er ihn knapp und schien plötzlich stramm zu stehen.
„Und deswegen fuchteln sie hier gleich mit dem Schlagstock herum? Sie kommt von der Theresa-Orga und verdient höchsten Respekt für ihre Arbeit. Und jetzt gehen sie.“, fuhr er ihn an.
Mit einem letzten völlig übertriebenen militärischen Nicken ging der Wachmann steif davon und der ältere Mann kniete sich zu mir herunter.
„Meine Liebe, was ist passiert?“, fragte er mich einfühlsam wie ein Vater, der sein verletztes Kind versorgte.
„Alles gut wirklich. Ich habe mich nur gestoßen.“, nuschelte ich schnell und schüttelte den Kopf.
„Sie ist ziemlich heftig gegen die Tischplatte gekommen, das sollte gekühlt werden.“, warf Hill ungefragt ein und der ältere Mann musterte ihn verwundert, dann jedoch eindeutig abschätzig.
„Ich kümmere mich um sie. Der Besuch ist beendet.“, befahl er plötzlich mehr als barsch und stand wieder auf.
„Zurück in die Zelle, Hill.“
Ich schaute erschrocken zu Hill, der ihn wütend anstarrte und dann meinem Blick begegnete.
„Bis nächste Woche.“, verabschiedete er sich besorgt und wurde dann von einem weiteren Wachmann in einem harten Griff abgeführt.
„Kommen sie mit, Liebes. Ich bin Direktor Harrison. Ich werde ihn etwas zum Kühlen besorgen.“
Ich nickte notgedrungen und stand auf. Mit einem letzten Blick auf die breiten Schultern von Hill verließ ich mit ihm den Besucherraum. Viel lieber wäre ich bei ihm geblieben.
„So, meine Liebe. Halten sie das dran und trinken sie ihren Tee. Kamille ist gut für die Seele.“, umsorgte mich Mr. Harrison und gab mir eine mit rosa Blumen bedruckte Tasse.
„Dankeschön.“
Wir saßen in seinem kleinen Büro, das voll war mit Aktenstapeln und er hatte erst einmal einen Stuhl freischaufeln müssen, bevor ich mich setzen konnte. Er selbst setzte sich hinter seinen Schreibtisch, dessen Platte eine eigenartige Farbe hatte, die nicht zu dem Rest des Möbelstückes passte. Anscheinend hatte er Wein oder ein anderes rötliches Getränk darüber gekippt und es nicht mehr aus dem Holz bekommen.
Auch sonst war sein Büro nicht gerade edel eingerichtet. Die Aktenschränke wirkten zwar neu, hatte jedoch trotzdem viele Macken und an den Wänden gab es viele Schleifspuren. Anscheinend fehlte es dem Gefängnis insgesamt an Geld.
„Ich war ja auch in der Theresa-Orga.“, begann er stolz zu erzählen und mir schwante Böses.
Wahrscheinlich würde er mich jetzt die volle Stunde, die ich für den Besuch eingeplant hatte, damit vollquatschen.
„Damals war der Zusammenhalt noch viel stärker. Man hat zusammen Urlaub gemacht und die ganze Familie war involviert. Man selbst war ja auch so etwas wie eine Familie. Sind ihre Eltern auch Mitglieder?“, fragte er interessiert und mir brach der Schweiß aus.
Mein Vater verschwand vor 2 ½ Jahren, meine Mutter genoss ihr Leben mit ihrem jüngeren Freund, mit dem sie es ausschweifend krachen ließ. Die Wahrheit würde hier wohl nicht so gut ankommen.
„Ja, die Beiden haben mich von der Sache überzeugt.“, murmelte ich in die Teetasse und schlürfte die ekelige Pampe.
Wer auch immer aus Kamille Tee herstellte, müsste dafür hinter Gitter kommen. Das war ja ekelhaft.
„Das ist wirklich vorbildlich. Toll! Und ich bewundere ihre Arbeit hier. Es ist nicht leicht als junges Mädchen neben Schwerverbrechern zu sitzen, die morden und dealen und keine Perspektive mehr haben. Aber sie können sie erreichen! Ist das nicht wunderbar?“
Ich nickte steif und stellte den Tee ab. Glaubte er das wirklich? Ich nicht. Ein Gespräch in der Woche und schon sollte jemand von etwas überzeugt sein, wovon er sein Leben lang nichts gehört hatte? Das war doch Schwachsinn. Wenn er wüsste, dass ich wegen des Geldes in der Orga war, würde er mich hier sofort hochkant rauswerfen. Ich musste hier so schnell wie möglich weg, bevor ich mich durch irgendetwas verdächtig machte.
„Ich muss jetzt auch wirklich dringend gehen.“, versuchte ich mich unelegant aus dieser unangenehmen Situation heraus zu bringen und strich nervös eine Haarsträhne hinter mein Ohr.
„Warte sie bitte noch kurz. Ich weiß, sie haben viele Verpflichtungen, aber ich möchte sie noch warnen.“, hielt er mich mit ernster Stimme zurück und mir wurde mulmig zumute.
Seine Miene wurde zunehmend besorgter und er strich sich geschäftig über sein Hemd. Was kam denn jetzt?
„Mr. Hill mag ein attraktiver Mann sein. Aber er ist auch hochgradig psychopathisch. Unter seiner hübschen Fassade steckt ein kranker einsamer Mensch und ich denke, er wird versuchen, sie zu manipulieren. Er will sie auf seine Seite ziehen. Doch sie müssen standhaft bleiben! Er hat alle Tricks drauf, um sie um den Finger zu wickeln, doch lassen sie sich nicht einfangen. Er wird sie ausnutzen, benutzen und dann wegschmeißen. Tun sie sich das nicht an. Sie sind doch ein hübsches Mädchen.“
Seine Stimme wurde von Satz zu Satz dramatischer und ich lehnte mich im Stuhl instinktiv weiter weg. Mein Stuhl quietschte gefährlich unter meiner Bewegung, doch Mr. Harrison sorgte mit seinen Worten dafür, dass bei mir alle Alarmglocken läuteten. Ich fühlte mich unwohler als in dem stickigen Besucherraum bei Hill, der doch eigentlich der Gefährlichere sein sollte.
Doch ich konnte auch nicht einfach aufstehen und gehen. Meine Neugier war geweckt, ich wollte wissen, warum mir das hier alle sagten. Natürlich gab es Frauen, die sich in Gefängnisinsassen verliebten, aber wieso wurde gerade ich immer wieder darauf hingewiesen?
„Mr. Harrison, wie kommen sie denn darauf, dass er so etwas versuchen wird?“, fragte ich in dem Versuch nicht zu interessiert zu klingen und wollte dabei wieder meine Tasse in die Hand nehmen, doch sie klebte am Schreibtisch fest.
„Ich darf ihnen das gar nicht sagen, aber sie sind eine von uns.“, sagte er im verschwörerischen Ton und lehnte sich vor.
„Er hat eine unserer Angestellten um den Finger gewickelt. Hat sie Drogen reinschmuggeln lassen! Aber wir haben das Ganze natürlich sofort entdeckt. So etwas gibt es nicht bei uns!“, erklärte er stolz und verschränkte die Arme mit einem wissenden Nicken.
„Hat sich sehr gewundert, der kleine Angeber, als wir seine Zelle gefilzt haben und das Päckchen fanden.“
Er lachte gehässig auf und seine Schadenfreude passte so gar nicht zu seinem sonst so väterlichen Auftreten.
„Und wie haben sie davon erfahren?“, fragte ich überrascht nach.
„Na, die Angestellte hat es gebeichtet. Hat gesagt, er hat sie verführt. Saß da, wo sie jetzt sitzen und hat geheult. Armes Ding.“
„Und wenn sie lügt?“
Es war mir schneller herausgerutscht, als ich nachdenken konnte. Seine Miene änderte sich innerhalb von Sekunden von dem stolzen Direktor zu einem ziemlich Verägerten.
„Wollen sie ihr unterstellen, gelogen zu haben?“, fragte er erzürnt.
„Nein, nein, ich meine nur jemanden etwas hier runterzuschmuggeln ist für eine Angestellte doch sehr leicht.“, erklärte ich leise und er verzog das Gesicht.
„Warum um Himmels Willen sollte sie das machen? Sie hätte ihren Job verlieren können.“, bellte er auf.
„Keine Ahnung.“, stammelte ich und hob die Hände beschwichtigend.
„Hören sie auf, meinen Angestellten Straftaten unterzuschieben. Sie sind jetzt entlassen.“, sagte er wütend und schnaufte auf.
„Okay.“, nuschelte ich verwirrt und erhob mich dankbar.
Bloß schnell raus hier.
Ich drückte schon die Klinke herunter, als er sich plötzlich unnatürlich räusperte.
„Wollen wir zum Abschied nicht miteinander beten?“, hielt er mich zurück und ich rollte mit den Augen, sodass er es nicht sehen konnte.
„Entschuldigen sie, aber ich muss meinen Bus bekommen.“, redete ich mich heraus und deutete zur Uhr, die vergilbt über der Tür hing.
„Na gut, meine Liebe, dann das nächste Mal.“, sagte er einsichtig und wieder in einem väterlichen Ton, wobei er gönnerhaft nickte.
„Passen sie auf sich auf meine Liebe.“
„Danke, Sir.“, antwortete ich gezwungen und verließ sein schäbiges Büro.
Ich ging den Gang herunter, holte meine Sachen ab und atmete endlich wieder richtig durch, als sich die Stahltür vor mir öffnete.
BEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEP.
Mein erster Besuch im Knast war geschafft.
Als ich die Tür zu unserer Wohnung aufschloss, hörte ich im Inneren bereits Stimmen und den Fernseher laufen. Ich trat in unseren kleinen stickigen Flur und hing meine Jacke auf.
„Mom?“, fragte ich in die kleine Wohnung hinein und sofort schrie sie schrill zurück.
„Schaaaaatz. Küche. Essen ist fertig.“
Ich ging durch unser Wohnzimmer mit dem ausgelatschten Teppich und den dunklen alten Möbeln und machte beim Vorbeigehen den Fernseher aus. In unserer weißen, fast schon steril wirkenden Küche stand meine Mutter am Herd und klatschte gerade die Spagetti in die Bolognesesoße. Sie wusste, dass ich es hasste, wenn sie das tat, aber sie war der festen Überzeugung, dass man die beiden Komponenten sowieso miteinander aß und sie deswegen auch gleich vermischen konnte, soweit sie fertig waren. Dass das Ganze dann total durchgematscht und unappetitlich aussah, war ihr egal.
„Setz dich. Dylan ist im Bad, er kommt gleich.“, wies mich meine Mutter herrisch auf meinen Platz am Küchentisch und stellte ihre Pampe auf einen Untersetzer.
Meine Mutter war wirklich keine begabte Köchin. Sie gab sich Mühe und ihre Spagetti Bolognese war wohl noch ihr bestes Gericht, aber soweit es komplizierter wurde und sie einmal etwas Neues ausprobieren wollte, wurde es heikel. Zu gut erinnerte ich mich an die Zeit, als sie mit Dylan zusammenkam und ihn mit neuen Speisen beeindrucken wollte. Zumindest bis sie schließlich einen teuren Braten versaut hatte und er daraufhin einfach eine Pizza bestellt hatte. Ihr Geschrei war groß, angesichts seiner Dreistigkeit einfach ihr Essen mit einer Pizza auszutauschen, doch der Hunger trieb sie ihr nach drei Stunden am Herd doch rein. Ich hatte Dylan hingegen an dem Tag liebgewonnen.
„Hi Emma, wie war dein Tag?“, fragte Dylan mich interessiert und setzte sich zu mir an den Tisch.
„Ich war heute das erste Mal in dem Gefängnis.“, begann ich zu erzählen und meine Mutter schnaufte auf.
„Bitte Schatz. Ich will davon nichts hören, ich halte da gar nichts von.“, warf sie ein und setzte sich ebenfalls.
„Das sind Verbrecher. Du solltest nicht mit so einem Gesindel zu tun haben. Diese Organisation ist Sklaverei.“
„Mom.“
Ich verdrehte genervt die Augen und Dylan lachte auf.
„Du musst ihr trotzdem zuhören, Layla. Sie macht das doch nicht aus Spaß!“, unterstützte er mich und legte seine Hand auf Meine.
Der missmutige Blick meiner Mutter sagte alles. Zuerst, nimm die Finger von meiner Tochter und zweitens, das war Unsinn, ich sollte dort nicht mitmachen. Auch nicht, wenn es nur ums Geld ging.
„Ich übernehm ein paar Nachtschichten, wenn das Trinkgeld weiterhin so gut läuft, brauchst du die nicht mehr.“, verteidigte sie sich sofort und klatschte mir meinen Teller mit den Spagetti Bolognese voll.
„Mom, du weißt, dass wir jedes Geld gebrauchen können. Wir haben doch darüber gesprochen. Und du hast eingewilligt.“
„Nein, du hast damals einfach gesagt, ich bin jetzt 21 Jahre alt und mach was ich will. Da gab es keine Einwilligung von mir.“, schnauzte sie mich an und ich verschränkte die Arme vor der Brust.
Es mochte sein, dass es wirklich so gewesen war, aber das würde ich jetzt nicht zugeben.
„Mom, du arbeitest so hart für mich. Bitte, es ist kein großer Zeitaufwand und sie finanzieren mich mit 200 $ im Monat zusätzlich. Mit dem Geld können wir die Schulden viel schneller zurückzahlen.“
„Okay Ladys, wir essen jetzt erst einmal und dann könnt ihr euch anzicken. Ich weiß doch, wie bissig ihr werdet, wenn ihr Hunger habt.“, ging Dylan dazwischen und wir mussten beide schmunzeln und machten uns an unsere Teller.
Dylan konnte uns, seit dem halben Jahr, in dem er nun mit meiner Mutter zusammen war, wirklich gut einschätzen. Die Beiden hatten sich in dem Club, in dem meine Mutter kellnerte getroffen und sie hatte ihn gleich mit nach Hause gebracht. Zuerst war ich schockiert gewesen und sauer, weil sie meinen Vater bereits nach einem Jahr ersetzt hatte, doch dann hatte ich bemerkt, wie glücklich er sie machte.
Obwohl sie 10 Jahre trennten und wahrscheinlich auch meine Mom niemals gedacht hatte, dass es etwas Ernstes wurde, war er immer wieder zu ihr gekommen und hatte sie nicht gehen lassen. Meine Mom war skeptisch gewesen, nach der Flucht meines Vaters, die sie tief verletzt hatte, doch er ließ sich nicht beirren. Zum Glück, denn meine Mutter brauchte jetzt eine schöne Zeit nach all dem, was wir erlebt hatten.
Inzwischen lebte Dylan praktisch mit uns zusammen in unserer kleinen Wohnung und unterstützte uns so gut es ging. Als Lehrer an einer Highschool, war er früh zuhause und kochte oder wusch ab, wenn wir nicht da waren. Egal, wie gemein ich am Anfang zu ihm gewesen war, ich hatte ihn inzwischen liebgewonnen. Während meine Mutter eine verrückte Ader besaß und ein Talent dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen, war er mein Fels in der Brandung. Er hörte mir geduldig zu, er ging auf mich ein, wenn meiner Mutter die Kraft dazu fehlte und gab mir so, was mir am meisten fehlte. Eine Vaterfigur.
Nur bei unseren Geldproblemen durfte er uns auf keinen Fall helfen. Ich verstand nicht, wieso meine Mutter dabei so eigen war, doch sie hielt die Summe strikt vor ihm geheim und nahm kein Geld von ihm an. Falscher Stolz oder Eitelkeit, inzwischen hatte ich keine Lust mehr, mit ihr darüber zu streiten.
„So, geht es euch jetzt besser?“, fragte er, nachdem wir unsere Portionen verschlungen hatten und ich nickte.
„Ich will trotzdem nichts davon hören. Du solltest das nicht tun. Nachher …“
„Okay, Mom! Ich habe es verstanden!“, unterbrach ich sie zickiger als gewollt und räumte das Geschirr weg.
„Kleine, mach du doch schon mal die Badewanne voll, ich komme gleich nach.“, wies Dylan meine Mutter in einem verführerischen Ton an und sie fing an zu schnurren.
Die Beiden waren so peinlich.
„Klar, Süßer.“, raunte sie und zog ihr Kleid noch etwas weiter herunter, sodass man ihr üppiges Dekolleté noch besser sehen konnte.
Sie hatte stets sexy Kleidung an, die ihre Brüste betonte und sie feminin wirken ließen. Mir ihren blonden lockigen Haaren und der nicht gerade dezenten Schminke, sah sie daher aus wie ein Vamp. Früher hatte ich mich mehr dafür geschämt, heute konnte ich ihre Sucht nach Schönheit ein wenig besser verstehen. Sie konnte eben schneller vergehen als man dachte, wofür ich wohl der beste Beweis war.
Meine Mutter stolzierte aus der Küche und Dylan stellte sich zu mir an die kleine Küchenzeile.
„Erzähl mir von deinem Besuch. Wem wurdest du zugeteilt?“, fragte er interessiert.
„Naja, ich bin bei Mr. Hill.“, stieß ich aus und ließ den ersten Teller ins Wasser plumpsen.
„DER Hill?“, fragte Dylan besorgt und ließ sich von mir den abgespülten Teller geben.
„Jep. Und er ist … naja … interessant.“, lachte ich und er schmunzelte.
„Er ist sehr jung und gutaussehend.“, merkte er vorsichtig an.
„Ja, er ist ein Frauenheld. Und er hat mir ziemlich schnell klargemacht, dass er nicht mit mir reden möchte. Was ja eigentlich auch voll gut für mich ist.“, betonte ich schnell.
„Aber du willst eigentlich schon gerne mit ihm reden?“, bohrte Dylan nach und ich wurde ein bisschen rot.
„Naja, nein. Doch schon, aber … nein … er ist total arrogant und überheblich und hat gleich angefangen irgendwelche sexuellen Kommentare abzugeben.“, erklärte ich ihm leichthin, doch mein Stottern verriet mich und ich versuchte mich schnell wieder auf das Spülen zu konzentrieren.
„Steht er auf dich?“, fragte Dylan direkt und ich schüttelte schnell den Kopf.
„Nein, nein, wo denkst du hin? Er hat sich über mich lustig gemacht und mich geärgert, weil er mich mit Pete gesehen hat.“
„Pete, dein Buddy?“, fragte er verwirrt.
„Ja.“, antwortete ich knapp und rechnete es ihm hoch an, dass er sich noch daran erinnerte.
„Pete war auch gerade zu Besuch da.“, erklärte ich.
„Okay, stehst du auf Pete?“, fragte er grinsend.
„Nein. Warum fragt mich das jeder? Ich mag ihn und er mich, glaube ich zumindest. Aber er ist nicht …“
Ich beendete meinen Satz nicht und biss mir auf die Lippe. Ich glaubte nicht, dass ich jemals eine normale Beziehung mit einem Mann führen konnte. Zum einen, war da der Verrat meines Vaters, der uns in unserer schlimmsten Zeit alleine gelassen hatte und dann war da …
Ich schüttelte den Kopf und wusch schneller ab.
„Emma, du bist ein wundervolles Mädchen. Lass dir nichts einreden. Du bist wunderschön und hast einen tollen Freund verdient.“, sprach mir Dylan einfühlsam Mut zu.
Er wusste natürlich, was in mir vorging. Aber er wusste nicht, wie schlimm es mich wirklich mitnahm. Ich versuchte meine Scham zu verbergen, weil ich wusste, dass es albern war, sich wegen so etwas zu grämen. Ich war gesund, ich hatte überlebt und ich sollte für jede Minute dankbar sein, anstatt mich mit Äußerlichkeiten auseinanderzusetzen.
„Lass dich nicht unterkriegen.“, munterte er mich auf und ich schluckte schnell meinen Kummer herunter.
„Süßer, ich bin fertig!“, trällerte meine Mutter und er lächelte mich sanft an.
„Kann ich dich alleine lassen?“, fragte er besorgt.
„Klar doch.“, murmelte ich und zog den Stöpsel.
„Okay.“
Er drückte noch kurz meinen Arm und ging dann aus der Küche. Ich brachte noch schnell den Tisch auf Vordermann und ging dann in mein Zimmer.
Es war nur 9 qm groß, doch ich hatte hier alles was mich glücklich machte. Meinen alten Laptop, dessen kaputte Kanten überklebt waren von Stickern meiner Lieblingsband Royal Republic und mein kleines Bett, der schönste Ort meines Lebens. Hier schaute ich Serien auf dem Laptop, aß wenn wir nicht gerade alle zusammensaßen und schlief endlich wieder traumlos - manchmal mehr als 10 Stunden.
Ich flänzte mich auf mein Bett und dachte über den heutigen Tag nach. Die Worte des Direktors gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich wusste nicht wieso, aber ich fand, die Geschichte mit der Angestellten, die plötzlich Drogen unter Hills Bett fand, eigenartig.
Wieso sollte er das machen? Er sah nicht drogenabhängig aus und er würde bei guter Führung bereits in einem Jahr wieder entlassen werden. Dabei erwartete ihn ein Imperium und keine Armut oder Hoffnungslosigkeit wie andere Insassen. Warum sollte er das alles aufs Spiel setzen für ein paar Gramm Drogen?
Doch vielleicht dealte er auch mit dem Zeug und verschaffte sich so ein besseres Leben im Knast. Auch 1 ½ Jahre - bei guter Führung - vergingen nur langsam, wenn man hinter Gittern saß und jeden Tag alleine war. Oder hatte er einen Zellengenossen? Vielleicht sollte ich ihn das, das nächste Mal fragen? Wieso interessiert er mich überhaupt? Ich wollte nur meine Zeit absitzen und nicht hier liegen und über ihn nachdenken. Er war ein scheiß Krimineller! Er hatte alles was er im Leben besaß, weggeschmissen für ein bisschen Koks.
Irgendwie machte mich das total sauer. Er war gesund und reich, aber konnte den Hals nicht vollkriegen. Anstatt sich zu freuen und jede Sekunde zu genießen, dröhnte er sich voll, sodass er nichts mehr um sich herum mitbekam. Und dabei stellte er sich auch noch so dumm an, dass er erwischt wurde.
Mit einer unbändigen Wut im Bauch schmiss ich mein Kissen an die Wand, die bereits von meinen Ausbrüchen eine dunkle Stelle an der ansonsten weißen Wand hatte. Arschloch. Ich würde ihm nicht verfallen. Ich hasste diesen arroganten Scheiß-Kerl.
Am nächsten Morgen ging ich um 5 Uhr aus dem Haus zur Arbeit. Die Straßen waren verlassen und so kam ich ziemlich schnell bei dem Diner „Kitchen Boom“ an.
Ich arbeitete hier bereits seit einem Jahr und so ätzend die Kunden auch waren, ich liebte die Arbeit sehr. Die Zeit verging immer schnell, weil viel los war und auch das Trinkgeld war nicht schlecht. Durch meine blonden Locken hielten mich viele für ein verschüchtertes kleines Mädchen, dem ein paar Dollar mehr nicht schaden könnten. Ich unterstützte die Rolle, indem ich mir Zöpfe flocht und Kleider trug, die zwar sehr züchtig waren, aber trotzdem ihre Wirkung nicht verfehlten. Gerade Männer gaben mir gutes Trinkgeld und ich setzte mein freundlichstes Lächeln zum Dank auf. Nur bei den ätzenden Sprüchen, die es inklusive dazu gab, musste ich lernen, ihnen nicht gleich auf den Tisch zu kotzen.
„Hey, Emma. Die Tische 8 – 14 gehören dir bis 12 Uhr.“, wies mich meine Chefin kurz ein und maulte dann eine meiner Kolleginnen an, weil sie das Besteck vergessen hatte.
Meine Chefin war zwar streng und vergriff sich schnell im Ton, doch sie war fair und ließ uns unser Trinkgeld, abgesehen von 20 % für die Jungs vor dem Herd. Das war mehr, als man von vielen anderen Arbeitgebern bekam und ich war dankbar dafür, dass ich diesen Job damals so schnell gefunden hatte.
„Hey, Emma.“, rief meine Kollegin Olivia, die gerade mit einem Stapel dreckigem Geschirr von einem der Tische kam und stellte sich zur mir.
„Sie ist heute wieder übelst mies drauf.“, flüsterte sie mir ins Ohr und verzog das Gesicht.
„Hat mich voll angemacht, weil mir ein Teller runtergefallen ist. Konnte doch nicht wissen, dass das scheiß Kind, den von unten mit Mayonnaise eingeschmiert hat.“
Ich musste über die verrückten Kunden lachen und legte mir die Schürze rum.
„Willst du heute Abend mitkommen? Feiern gehen?“, fragte sie, während sie das dreckige Geschirr nach hinten reichte.
Sie wusste, dass ich nie mitkam, doch ich rechnete es ihr hoch an, dass sie mich trotzdem jedes Mal fragte. Ich ging grundsätzlich nie aus, denn ich versuchte meinen Schlafrhythmus immer beizubehalten und trank keinen Alkohol. Ich wollte meinen Körper auf keinen Fall mit irgendetwas Schaden zufügen.
„Nein danke, Olivia. Ich werde heute Abend noch eine Runde Putzen gehen und dann tot ins Bett fallen.“, redete ich mich mit der Arbeit heraus und lächelte ihr bedauernd zu.
„Man, du arbeitest echt zu viel. Was machst du mit der ganzen Kohle?“, fragte sie neugierig und stupste unsere Kollegin Skye an, die gerade mit einer Bestellung vorbeiging.
„Ich glaube, Emma wohnt eigentlich in einem riesigen Schloss und hortet da ihr Geld. Oder sie führt ein geheimes Doppelleben.“, witzelte sie zu Skye gewandt und lachte alleine über ihre Vermutungen.
„Genau. Und wenn mich die Erbse pickst, hol ich mein Pony, das sie dann wegfuttert, damit ich wieder beruhigt schlafen kann.“, kommentierte ich ihren Quatsch und ging zu meinem ersten Tisch.
„Ich krieg schon raus, was dein Geheimnis ist.“, rief sie mir hinterher und wurde prompt von der Chefin zur Ruhe ermahnt.
Eine gefühlte Woche später, lag ich abends endlich wieder in meinem Bett und fiel in einen Halbschlaf. Die zwei Schichten im Diner und das Putzen im Hotel hatten mich total geschlaucht und mir tat jeder einzelne Muskel im Körper weh.
Gerade als ich weggedöst war
, holte mich jedoch die schrille Stimme meiner Mutter aus meinem wohltuenden Delirium.
„Schaaaaatz. Besuch für dich.“
Erschrocken schreckte ich hoch und pfefferte dabei meinen Laptop vom Bett. Scheiße, das hatte mir gerade noch gefehlt. Noch immer nicht ganz fit, hob ich das Gerät schnell auf und inspizierte es. Äußerlich war nichts zu sehen, doch als ich versuchte ihn anzumachen, passierte nichts. Scheiße!
„Emma, ich bins. Ich hoffe, es ist okay, wenn ich reinkomme.“, hörte ich Petes Stimme hinter meiner Tür und brach in Panik aus.
Meine 9 qm waren gerade so etwas von zugemüllt, dass ich, selbst wenn ich es versuchen würde, nichts mehr retten konnte. Also suchte ich nur schnell den Boden nach dreckigen Schlüpfern ab und fand einen Tanga halb unter meinem Bett, den ich schnell in die Hand nahm, als Pete schon die Tür öffnete.
„Hallo.“, begrüßte er mich schüchtern und blieb im Türrahmen stehen.
„Hey.“, sagte ich überfordert und schob den Tanga heimlich unters Kissen, so dass er ihn nicht sah.
„Darf ich reinkommen?“
„Klar doch. Sorry, gerade etwas dreckig hier.“, entschuldigte ich mich schnell und er zuckte mit den Schultern.
„Bei mir sieht es nicht anders aus.“
Das bezweifelte ich bei seinem stets perfekten Auftreten, das er auch heute wieder an den Tag gelegt hatte, aber es war süß von ihm, das zu behaupten.
Er trug einen dunklen Pullover und darunter ein weißes Hemd, das am Kragen und den Ärmel hervorguckte. Seine Hose war eine Rarität auf dem Markt, ohne Used-Optik oder gar Löcher oder Schrammen. Seine Schuhe waren stets poliert und glänzend tief schwarz, als hätte er sie heute das erste Mal an. Er wirkte insgesamt vollkommen deplatziert in meinem kleinen zugemüllten Zimmer. In das Wohnzimmer wollte ich mit ihm allerdings auch nicht, weil meine Mutter sicherlich irgendetwas peinliches machen würde.
„Ähm, setz dich doch.“, sagte ich unbeholfen und er trat tatsächlich zu mir und setzte sich neben mich auf mein Bett.
Wir waren uns so nah wie noch nie und ich überlegte, ob ich noch weiter wegrutschen sollte, weil er gar nicht glücklich darüber aussah.
„Nett hast dus hier.“, kommentierte er mein Zimmer unbeholfen und schaute auf meinen kaputten Laptop, den ich neben uns auf den Nachttisch gelegt hatte.
„Mh.“, murmelte ich und wusste nicht so recht, was ich zu seiner offensichtlichen Lüge sagen sollte.
„Tja, also ich wollte noch mit dir über deinen ersten Besuch im Gefängnis reden. Ich wollte eigentlich gerne mit dir hinkommen, aber wir hatten noch einen Termin und daher musste ich früher zu Jefferson. So heißt mein Zugeteilter.“, erklärte er langsam.
Ich nickte beklommen und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Irgendetwas war anders. Pete sprach so ganz anders als sonst. Wenn wir uns in der Gruppe sahen, redete er immer so schnell und unbeirrt und jetzt schien er jedes Wort mit Bedacht auszuwählen. Fühlte er sich so unwohl bei mir? Lag es an meinem Zimmer oder an mir?
„Ja also, er wollte nicht so richtig mit mir reden.“, gab ich zu und ließ den Teil mit den sexuellen Anspielungen über uns geflissentlich aus.
„Ja, er ist ein harter Brocken. Habe mich sicherlich 5 Mal mit ihm getroffen, bis ich aufgeben musste.“
„Hat er dich beleidigt?“, fragte ich neugierig und er schaute mich verwundert an.
„Wieso sollte er?“
„Ach nur so.“, murmelte ich und lehnte mich zurück an mein Kissen.
Hill war wahrscheinlich doch nicht so ein Arsch, wie er vorgab zu sein.
„Ich denk, sie haben ihn dir gegeben, um dich zu testen. Ob du aufgibst oder nicht.“, erklärte er mir und ich verzog das Gesicht.
„Das ist aber nicht sehr Nächsten-Liebe-mäßig.“, platzte es aus mir heraus und er lachte tatsächlich.
Er hatte ein wirklich wunderschönes Lachen. So wirkte er auch nicht mehr ganz so verklemmt.
„Ja, die Alten haben manchmal komische Sachen auf Lager. Aber lass dich davon nicht entmutigen. Ich habe bis jetzt alle auf den richtigen Weg gebracht, doch bei ihm bin ich auch gescheitert. Er will sich nun einmal nicht helfen lassen. Er ist wahrscheinlich nicht verzweifelt genug, mit seinem Geld und den Frauen.“
„Welchen Frauen?“, fragte ich neugierig.
„Naja, ich habe mich über ihn informiert. Ich gucke ja sonst kein Fernsehen, also habe ich ihn mal gegoogelt. Und er hat ja schon eine lange Liste von Ex-Freundinnen hier draußen. Alles dabei gewesen und ziemlich üble Gerüchte, was er mit ihnen gemacht hat. Geld zieht gewisse Frauen eben an.“
Ich nickte stumm und versuchte ihn mir wie damals vorzustellen. Prollig mit einer fetten Karre, auf der sich nackte Weiber rieben, um ihm zu imponieren. Er mit einer Zigarre und seinem schiefen Grinsen. Es war nicht schwer ihn sich so vorzustellen. Arrogant war er immer noch. Auch in einer orangenen Kluft, die hässlicher nicht sein konnte.
„Wenn er dir irgendwie zu nahekommt, sagst du Bescheid, okay?“, fragte Pete plötzlich besorgt.
Nicht schon wieder. Wieso sagte mir das jeder? Sah ich nach 1 ½ Jahren immer noch so schwach aus? Umgab mich die Aura des Todes, oder so etwas?
„Wieso sollte er das?“, fragte ich etwas zickiger als gewollt und schnaufte auf.
„Weil du ein hübsches Mädchen bist.“, sagte Pete leise und wurde dabei rot.
Ich war mehr als verlegen über sein überraschendes Kompliment und richtete schnell meine Kopfkissen, damit er mir meine Überforderung nicht ansah.
Mist, sollte ich jetzt was sagen? Vielleicht so etwas wie, du bist auch hübsch? Sagt man so etwas zu einem Mann? Nein, zu den sagte man doch eher so etwas wie, du bist männlich und stark und kannst ein Tier erlegen. Aber so sah Pete eigentlich nicht aus. Dann würde ich ja lügen. Das würde Pete sicherlich auch nicht gefallen.
„Naja, also das war auch alles. Ich denk, ich mach mich mal wieder auf den Weg.“, stammelte er und unterbrach so meine panischen Gedanken, eine passende Antwort zu finden.
„Oh, okay. Du willst schon gehen?“, fragte ich nuschelnd und total verblödet, denn das hatte er ja gerade gesagt.
„Meine Mutter will das ich um 12 Uhr wieder daheim bin.“, gestand er verlegen und ich lächelte.
Meine Mom war entweder auf Arbeit oder selbst feiern, so konnte ich immer so lange wach bleiben und draußen bleiben wie ich wollte. Allerdings wusste sie auch, dass ich eine Langweilerin war und von mir gar nicht rausging.
„Okay, ich begleite dich noch zur Tür.“
Wir gingen gemeinsam von meinem Zimmer durch das angrenzende Wohnzimmer, in dem meine Mutter mit Dylan wild auf der Couch herumknutschte. Anscheinend waren sie aus der Badewanne gekommen, denn meine Mutter trug nur einen Bademantel. Ich räusperte mich extra laut, doch keiner der beiden nahm uns wirklich wahr, während die Finger meiner Mutter unter Dylans Shirt verschwanden. Konnte es noch peinlicher werden?
Pete musterte sie kurz verschreckt, rannte dann praktisch zur Haustür und drehte sich erst im Hausflur wieder zu mir um.
„Ähm, alles Gute bis Morgen.“, verabschiedete er sich im Laufschritt und war so schnell um die Ecke verschwunden, dass ich gar nicht fragen konnte, was denn morgen sein sollte, bei dem wir uns sahen.
Mist. Verzweifelt blieb ich im Flur stehen.
Jetzt war er tatsächlich zu mir gefahren und dann nicht einmal für einen Film oder so etwas hiergeblieben. Hatte ich etwas Falsches gesagt oder getan? Fühlte er sich so unwohl bei mir? Ich hätte aufräumen müssen! Mist, warum konnte ich nicht Männer so leicht von mir überzeugen, wie es meine Mutter tat? Sie schnipste nur mit dem Finger und schon fand sie einen jungen, schlauen, hübschen Mann. Irgendwo mussten diese Gene doch auch in mir versteckt sein?
Genervt ging ich zurück in die Wohnung und knallte die Haustür so laut zu, dass die Beiden es mitbekommen mussten.
„Schatz, ist er schon gegangen?“, fragte meine Mutter atemlos, als ich in das Wohnzimmer trat und musterte mich verwirrt.
„Ja und er ist ziemlich schnell geflüchtet bei eurer Show. Geht gefälligst in euer Zimmer.“, schnauzte ich sie an und stemmte die Hände in die Hüfte.
„Liebling, jetzt beruhig dich mal. Ich kann nichts dafür, dass er prüde erzogen wird. Man wird jawohl mal knutschen dürfen.“, verteidigte sie sich sofort und stand auf.
Dabei verrutschte ihr Bademantel, was mir einen ungewollten Blick auf ihre Brüste bescherte.
„Ja, aber nicht hier auf der Couch inklusive rumfummeln. Das ist doch ekelhaft.“, fuhr ich sie an und verstand selber nicht, warum ich jetzt so wütend auf sie war.
„Jetzt lass mal die Kirche im Dorf. Du tust so, als hätten wir hier ne Nummer geschoben. Ich kann nichts dafür, dass der prüde Kleine gleich die Flucht antritt. Zieh dir doch das nächste Mal etwas an, was nicht ganz so nach Pommes aus dem Diner riecht und deine Vorzüge betont. Du hast einen so schönen Hintern …“
„Mom, du bist so …“
Tränen der Wut stiegen in mir auf und da ich nicht vor Dylan heulen wollte, stürmte ich in mein Zimmer.
Was verstand sie schon? Sie rannte herum wie eine Nutte und holte sich den Erstbesten ins Haus, den sie auf einer Party aufgegabelt hatte. Dass ich vielleicht nicht jedem meinen Körper nach der OP unter die Nase reiben wollte, interessierte sie doch nicht. Hauptsache sie konnte mir immer wieder ihre Brüste unter die Nase reiben.
Wie oft hatten wir uns schon über die Kleiderwahl des jeweils anderen gestritten? Dabei waren unsere Rollen komplett vertauscht. Ich sagte ihr, sie solle sich mehr anziehen, sie sagte mir, ich sähe aus wie eine Nonne und würde super ins Kloster passen. Wir hätten nicht unterschiedlicher sein können und bräuchten eigentlich dringend Abstand von dem jeweils anderen. Doch den konnten wir uns leider nicht leisten.
Ich schniefte auf und hörte ein leises Klopfen an meiner Tür. Dylan steckte die Nase durch den Schlitz.
„Kann ich kurz mit dir reden?“, fragte er besorgt und ich musste über seine herausguckende Nase schmunzeln.
„Komm rein.“
Langsam trat er herein und setzte sich zu mir auf mein kleines Bett.
„Sie meint es nicht so.“, nahm er sie in Schutz und ich schnaubte auf.
„Doch, meint sie ganz genau.“
„Sie ist deine Mutter. Sie will, dass du Spaß hast und dich auslebst. Nach deiner schweren Krankheit will sie, dass du dein Leben geniest. Und für sie gehört dazu, auch Männer zu treffen und seine Erfahrungen zu machen.“, versuchte er ihr Verhalten zu erklären und strich mir über den Oberarm.
„Andauernd hält sie mir vor, dass ich prüde bin.“, schluchzte ich auf und hielt meine Arme vor meiner Brust verschränkt.
„Ich würde ja auch gerne jemanden kennen lernen, aber was ist …“, schniefte ich und ließ die Worte ungesagt.
„Mach dir keinen Druck. Wenn du dich verliebst, klappt das alles von ganz allein. Und wenn du dich bei jemanden wohlfühlst, dann wirst du ihm auch alles von dir zeigen können. Keiner ist perfekt. Ich rede noch einmal mit ihr. Sie meint es nicht so, aber ich kann verstehen, dass ihre Kommentare für dich verletzend sind.“, versprach er mir einfühlsam und nahm mich in den Arm.
„Okay.“, nuschelte ich verheult an seiner Brust, bis meine Mutter durch die Wohnung schrie.
„Dylan, kommst du jetzt bitte.“
„Okay. Kopf hoch. Irgendwo da draußen ist auch dein Deckel.“, sagte er aufmunternd.
„Wieso bin ich denn der Topf?“, fragte ich leise und er lachte.
„Sei der Deckel, der Topf oder ne Pfanne. Hauptsache du bist glücklich.“
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BEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEP.
Die Tür öffneten sich wieder langsam vor mir und dieses Mal wusste ich besser Bescheid, wie alles ablief.
Ich ging zum Schalter, um meinen Ausweis abzugeben und dann in den Besucherraum, um meinen Namen zu sagen.
„Tisch 18!“, schnauzte mir die dicke Frau entgegen, die anscheinend immer schlechte Laune hatte und schaute wieder auf den PC, auf dem ich kurz Solitär aufblitzen sah.
Ich suchte den Tisch mit der Nummer 18 und setzte mich Hill gegenüber.
„Hi.“, begrüßte er mich aufmerksam und musterte mich von oben bis unten.
Etwas nervös durch seinen forschen Blick, murmelte ich meine Begrüßung nur und nickte leicht, während ich auf meinem Stuhl herumrutschte. Er sah leider immer noch genauso gut aus wie vor einer Woche. Seine braunen Augen strahlten eine unheimlich vertraute Wärme aus, doch sein breiter muskulöser Körper war angespannt. Außerdem hatte er sich sorgfältig rasiert, was seine harte Kiefermuskulatur noch markanter wirken ließ.
„Tut der Arm noch weh?“, fragte er besorgt und ich schüttelte den Kopf.
„War halb so schlimm.“
„Hat dich Harrison wirklich in sein Büro gezwungen?“, fragte er grimmig und ich musste schmunzeln.
„Das hört sich so an, als hätte er mich mit ner Keule in seine Hölle geschleift.“, versuchte ich zu scherzen und entspannte mich wieder ein bisschen.
„Naja, wirklich glücklich sahst du darüber nicht aus.“, kommentierte er meine Reaktion von vor einer Woche und lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten, um die Arme zu verschränken.
Der orangene Stoff seiner Gefängniskluft spannte gefährlich über seine Arme und es schien nur noch eine Bewegung zu fehlen, bis er aufplatzte. Was trieb er hier für einen Sport? Mist, meine Gedanken schweiften ab.
Ich versuchte, mich wieder auf das Thema zu konzentrieren.
„Ich hatte auch nicht wirklich Lust mit ihm darüber zu reden, dass er auch in der Theresa-Orga ist.“, gestand ich und dachte an das eigenartige Treffen zurück.
Ich konnte Mr. Harrison nicht wirklich einschätzen. Manchmal war er nett, manchmal einfach nur gruselig.
„Hat er mit dir über mich geredet?“, fragte Hill direkt und ich entschied mich für ein Ausweichmanöver.
„Du bist nicht der Mittelpunkt der Weltgeschichte.“, foppte ich ihn und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Für mich schon.“, antwortete er salopp und grinste schief.
Sein Lächeln war wirklich ziemlich sexy. Seine weißen Zähne blitzen hervor und sein Gesicht nahm schalkhafte Züge an, die ihn jünger wirken ließen. Ich versuchte, mich wieder auf etwas anderes zu konzentrieren und räusperte mich.
„Wie geht’s dir?“
Okay, das war eine saudumme Frage.
„Ehrlich?“, stieß er aus und verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen, dass nicht halb so sexy war, wie das zuvor.
„Du fragst mich, wie es mir hier im Knast geht?“
„Naja, …“, versuchte ich mich zu rechtfertigen.
„Hier hat man doch auch gute und schlechte Tage.“
„Hier gibt es nur Tage, an denen man überlebt oder eben nicht.“, sagte er finster und mir wurde mulmig bei seinem plötzlichen Stimmungswechsel.
„Was?“, stammelte ich und rutschte näher zu ihm heran.
„Entweder du wirst gefressen oder du frisst. So einfach ist das.“, antwortete er stur und ich starrte ihn nur entsetzt an.
„Hat dich jemand hier drin angegriffen?“, fragte ich beunruhigt und er zog seine rechte Augenbraue arrogant hoch.
„Nein, kleines Naivchen, wir streicheln uns hier die Seele aus dem Leib.“, witzelte er ohne ein Hauch Belustigung in seiner Stimme.
„Wieso meldest du das nicht?“, fragte ich und kam mir nun wirklich wie ein naives Kind vor.
Natürlich meldete man das nicht, um dann als Petze zu gelten. So viel wusste selbst ich aus meinen Serien. Er musterte mich hitzig und wollte gerade antworten, als hinter mir ein Wachmann entlanglief.
Wir warteten beide, bis er vorbeigegangen war, was ungewöhnlich lange dauerte und als er weg war, beugte er sich über den Tisch zu mir. Ich lehnte mich ebenfalls vor, wobei ich darauf achtete, dass wir auf jeden Fall einen Sicherheitsabstand von 40 cm einhielten. Einen weiteren Tobsuchtanfall eines Wärters brauchten wir nun wirklich nicht.
Im leisen verschwörerischen Ton fing er an zu sprechen.
„Hast du eigentlich schon mit Pete gebumst?“
Ich rollte mit den Augen und lehnte mich wieder zurück.
„Du bist so n Assi.“
„Wow, sagt man das zu jemanden, den man bekehren will?“, fragte er gespielt empört und ich musste lachen.
„Manche Menschen kann man nicht retten. Dich zähle ich dazu.“, gab ich stumpf zurück und er grinste wieder überheblich.
„Gut, ich dachte schon, du machst jetzt einen auf Beschützerin und willst mich hier rausholen.“
„Nein, die Scheiße hast du dir selbst eingebrockt.“, sagte ich lapidar und bei meinen Worten gefror sein Lächeln zu einer harten Grimasse ein.
Etwas Dunkles trat in seine Augen, aber vielleicht bildete ich es mir auch nur in dem schrecklichen Neonlicht ein.
„Verdammt, du hast gesagt, ich komme früher raus, wenn ich mich taufen lasse!“, brüllte plötzlich ein Typ zwei Sitzplätze weiter und ich erkannte Pete bei ihm am Tisch.
Er versuchte ihn zu beschwichtigen, was ich an seinen Gesten erkannte, doch der Mann war außer sich. Alles ging ganz schnell. Der Insasse stürzte auf ihn zu und riss den Tisch zur Seite. Dieser knallte gegen den Nächsten, an dem zu Glück niemand saß und dieser wiederum gegen Unseren. Er kam bedrohlich auf Pete zu, der verängstigt zurückwich, doch bevor er bei Pete ankam, stand Hill schützend vor mir und ich sah nur noch seinen Rücken. Daneben konnte ich noch erkennen, dass zwei Wachmänner auf den Mann losstürmten. Ich hörte mehrere krachende ekelhafte Geräusche, die sich für immer in mein Gedächtnis einbrannte und dann wurde es still.
Alle im Raum starrten auf den Mann nur ich starrte auf Hills Rücken, der mir die Sicht versperrte. Eine Frau im Raum fing an zu weinen, der Rest schaute betreten zu Boden.
Was war passiert? Was hatten sie mit dem Mann gemacht?
„Was ist hier los zum Teufel?“, schrie Harrison der Direktor meine Frage heraus und stürmte in den Raum.
Es blieb weiterhin totenstill und er verschwand hinter Hills Rücken, bis er schließlich laut die Krankenstation anforderte.
„Alle wieder hinsetzen, es gibt nichts zu sehen.“, schrie er die Leute um sich herum an und schon stürmten zwei Männer mit einer Trage herein.
„Hill.“, flüsterte ich leise und stupste ihm von hinten gegen den harten Rücken.
Hill drehte sich zu mir um und kniete sich neben mich.
„Er wird schon wieder.“, flüsterte er aufmunternd und strich mir ganz zart über meine Wange.
„Sagst du das nur so?“, fragte ich leise und schaute tief in seine weichen braunen Augen.
Er setzte ein sanftes Lächeln auf und nahm meine Hand, die sich in seiner viel größeren Hand noch viel kälter anfühlte.
„Nein, alles gut. Mach dir keine Sorgen.“
Ich hatte kurz das Gefühl, dass die Welt um uns herum stehen blieb. Seine Haut auf Meiner. Sein Körper so nah bei mir. Seine braunen Augen, die mich umhüllten in Wärme, die wahrscheinlich gar nicht existierte und nie existieren würde. In diesem Moment nahm ich nichts mehr um uns herum wahr. Da waren nur noch diese einzigartigen haselnussbraunen Augen, seine vollen Lippen, die mich anlächelten und sein einzigartiger Geruch, der mich so gar nicht an ein Gefängnis erinnerte, sondern an eine frische Blumenwiese.
Ach du scheiße, was dachte ich hier für einen Kitsch?
Zum Glück riss mich das Geschrei von Harrison aus meiner Traumwelt.
„Hill, zurück auf ihren Platz verdammt!“, schrie er direkt neben uns und ich fiel wieder halb vom Stuhl.
Warum mussten hier immer alle so brüllen? Der Job wäre perfekt für meine Mutter.
„Ja, Mr. Harrison.“, sagte er brav und mit einem derartig spöttischen Unterton, das selbst Harrison ihn in seiner Wut wahrnahm.
„Miss Cline. Gehen sie doch bitte mit Pete nach Hause.“, befahl er mir barsch und ich starrte ihn verwirrt an.
„Er ist traumatisiert nach dem Übergriff.“, erklärte er knapp und lächelte Hill dann überheblich an.
„Zurück in die Zelle Hill!“
Wütend verkrampfte Hill die Hände um die Tischplatte und starrte ihn in Grund und Boden.
„Sie ist gerade erst gekommen!“
„Ich mach hier die Regeln. Zurück in die Zelle!“, rief Harrison und ich erkannte ihn kaum wieder.
Er hatte offenbar unter seiner väterlichen Seite, die er mir gegenüber versuchte zu zeigen, eine grausame Ader, mit der er es genoss, den Männern Befehle zu geben.
Hinter Hill kamen schon die Wachmänner, um ihn zurückzubringen.
„Bis nächste Woche.“, verabschiedete ich mich leise und er warf Mr. Harrison einen letzten bösen Blick zu, doch als er mich anschaute, wurden seine Züge weicher.
„Bis nächste Woche.“
Ich stand auf und ging zu Pete, der immer noch an derselben Stelle stand. Erst jetzt wurde mir das Ausmaß dieses Vorfalls richtig bewusst. Auf dem Boden war eine deutliche Schleifspur aus Blut, die abrupt endete, wo der Mann anscheinend auf die Liege gelegt worden war. Der so schon abgestandene Geruch des Raumes mischte sich mit dem des Blutes und mir wurde schlecht.
Ich berührte Pete sanft am Arm, doch er schien mich nicht wahrzunehmen.
„Pete, komm ich bring dich Heim.“, flüsterte ich ihm zu und er nickte nach einer Weile verschüchtert.
„Alles wird gut.“
Ich zog ihn mit mir aus dem Raum, der mich nun nicht mehr nur beunruhigt, sondern mir Angst machte. Es war hier schon zuvor immer unangenehm gewesen, doch das Blut auf dem Boden und die Leute, die trotzdem jetzt alle weiter gedämpft miteinander sprachen, machten alles noch viel schlimmer. Direkt vor ihren Augen war ein Mensch zusammengeschlagen worden, doch niemanden schien es zu interessieren. Auch wenn ich es zuvor nicht verstanden hatte, war ich jetzt dankbar, dass sich Hill vor mich gestellt hatte. Den Anblick eines halb tot geschlagenen Mannes brauchte ich nicht auch noch in meinem Gedächtnis, das sowieso überladen war von Bildern meines eigenen entstellten Körpers.
Ich rief auf dem Weg zum Bus unseren Gruppenleiter Thomas an, schilderte ihm kurz, was passiert war und fragte ihn nach Petes Adresse. Er sagte mir, wo er wohnte und versprach gleich zu kommen, um mit uns über die Geschehnisse zu sprechen.
Als wir endlich nach einer Stunde Fahrt bei ihm zuhause ankamen und vor dem großen weißen Haus der McCluskys standen, war ich dankbar, dass er schon da war. Er nahm mir Pete ab, den ich leicht stützte und ging mit mir zur Haustür. Petes Eltern hatte er schon informiert und sie brachten ihn auf die Couch und umsorgten uns, wie verschollene Kinder, die endlich wieder heimgekommen waren. Es gab Kekse und heiße Schokolade und ich fühlte mich gleich wieder in meine Kindheit zurückversetzt. Damals hatten wir auch eine größere Wohnung gehabt und edlere Möbel. Doch einen Kamin hatte ich ehrlich gesagt, noch nie live gesehen.
Petes Eltern waren zu mir wirklich herzlich und lieb, genauso wie ihr Sohn. Wir sprachen über den Vorfall und erst jetzt wurde mir bewusst, wie es für Pete gewesen sein musste.
„Ich mein, Mama, er kam so schnell auf mich zu und war so wütend und dann kam der erste Schlag und sein Kopf riss zur Seite und fiel auf den Tisch neben uns und dann auf den Boden. Doch sie hörten nicht auf und schlugen immer weiter zu. Dabei lag er doch schon am Boden.“, murmelte er entgeistert vor sich hin, während seine Mutter ihm den Rücken streichelte.
„Wieso haben sie nicht aufgehört?“, fragte er an mich gewandt und alle starrten mich an.
„Ich … weiß nicht …“, stammelte ich und fühlte mich mehr als unwohl, als ich plötzlich so im Mittelpunkt stand.
„Ich habe nichts gesehen.“, gab ich zu und starrte in das Kaminfeuer.
„Warum nicht?“, fragte mich unser Leiter verwirrt. „Warst du nicht zwei Tische weiter?“
„Weil Hill sich vor mich gestellt hat, als es passierte.“, gestand ich leise.
„Mh … Alexander Hill?“, fragte er verwundert und ich nickte.
„Wollte er dich schützen?“
„Keine Ahnung …“, sagte ich überfordert und biss mir auf die Lippe.
„Okay, ich rufe gleich den Direktor an und frage ihn, ob es dem Mann gut geht. Er gehört schließlich zu unserer Gemeinde, da wird er mir sicherlich mehr sagen.“
Er ging raus und telefonierte, während mich Petes Mutter eigenartig musterte.
„Liebes, du musst doch jetzt sicher nach Hause, nicht wahr? Deine Mutter macht sich doch Sorgen?“, fragte sie vorsichtig, doch ich bemerkte in ihren Unterton, dass ich hier nicht mehr willkommen war.
„Ich fahre sie Heim.“, sagte Petes Vater schnell und erhob sich mit mir.
„Nicht nötig, Mr. McClusky. Ich fahre immer mit dem Bus oder dem Fahrrad.“, versuchte ich ihn davon abzuhalten, denn Mrs. McClusky verzog schon missbilligend ihr Gesicht.
„Nein, ich bestehe darauf, es ist dunkel geworden.“, warf er ein und schon ging er los.
„Ähm, ich melde mich noch einmal bei Pete.“, sagte ich etwas unbeholfen und seine Mutter lächelte gezwungen.
„Komm gut heim.“
Mr. McClusky fuhr mich stumm nach Hause und ich bedankte mich mehrmals dafür, als wir ankamen.
Als ich die Tür zur Wohnung aufschloss, hing ich schnell meinen Mantel auf und wollte dann in die Küche, um mir etwas Richtiges zu essen zu machen, denn nach dem anstrengenden Tag war ich halb verhungert. Doch als ich die Tür öffnete, erwischte ich meine Mutter mit Dylan in flagranti und mir verging der Appetit auf der Stelle. Sie trieben es mitten auf dem Esstisch, wobei meine Mutter sich stöhnen nach hinten warf, während er immer weiter zustieß und auf ihre Brüste starrte, die wild umherwippten. Ich war geschädigt für mein Leben!
Ich knallte die Tür zu und ging in mein Zimmer mit dem Wissen, nie wieder an diesem Tisch essen zu können. Als sie die knallende Tür hörten, schrie meine Mutter auf, keine Ahnung ob vor Lust oder vor Schreck.
„Schatz, bist du das?“, schrie sie kurz danach durch die Wohnung, doch ich hatte schon meine Zimmertür zugeknallt.
Das war so widerlich. Das Bild meiner nackten Mutter ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich hatte ja schon so einiges von ihrem Sexleben mitbekommen, aber dabei zuschauen, musste ich bis jetzt nicht.
Entnervt warf ich das Kissen gegen die Wand und wollte mir meine Lieblingsserie anmachen, bis mir wieder einmal schmerzhaft bewusstwurde, dass mein Laptop kaputt war. Die Bilder der Blutspur kamen bei mir langsam wieder hoch und mir kam es fast hoch. Was war, wenn der Mann wirklich an seinen Verletzungen starb? Sie hatten mit Schlagstöcken auf ihn eingeprügelt! Wenn er am Kopf getroffen worden war, würde er das nicht so einfach wegstecken.
„Schatz, kann ich reinkommen?“, hörte ich die schrille Stimme meiner Mutter hinter meiner Tür und schon riss sie die Tür auf.
„Du brauchst nicht zu fragen, wenn du dann doch einfach reinkommst.“, blaffte ich sie an und warf wieder das Kissen gegen die Wand.
„Schatz, wollen wir darüber reden, was gerade passiert ist?“, fragte sie und war nicht im mindesten peinlich berührt.
„Was soll schon passiert sein? Du hast den Küchentisch kontaminiert.“
„Mach dich nicht lächerlich, ich wisch ihn doch danach ab.“, antwortete sie prompt und ich verzog angewidert das Gesicht.
Also kam das öfter vor. Igitt.
„Schatz, es ist nur Sex.“, versuchte sie mich aufzumuntern und setzt sich zu mir auf mein kleines Bett.
Sie trug nur einen Morgenmantel und man sah, dass sie darunter nackt war. Wieso konnte sie sich nie etwas anziehen?
„Mom, zieh dir was an, wenn du auf mein Bett gehst. Das ist ekelhaft.“, keifte ich sie an.
„Schatz, jetzt mal ehrlich, wo liegt das Problem? Dylan und ich sind halt sexuell sehr aktiv. Das ist was ganz Normales. Hör auf, das immer so zu verteufeln. Sonst bleibst du noch dein Leben lang Jungfrau.“
„Mom!“, blaffte ich sie an und wurde puterrot.
„Was Schatz? Du warst halt immer eine Zurückhaltende und dann bist du krank geworden. Da ist es doch nicht schlimm keine Erfahrung zu haben. Aber jetzt kannst du doch aufhören, dich immer zu verstecken. Geh raus und lern jemanden kennen.“
„Mom.“, wollte ich sie entnervt ankeifen, doch die Traurigkeit in mir kam viel zu schnell in mir hoch, was man an meiner zittrigen Stimme hörte und sie wusste sofort, was in mir vorging.
„Schatz, dann sind deine Brüste eben nicht so schön nach der OP. Zieh dir doch einen BH an. In Serien machen die es doch auch so.“, versuchte sie mich aufzumuntern, doch ihre Worte taten mir nur weh.
Ja, sie waren nicht schön. Sie sahen schrecklich aus. Meine Brüste waren vernarbt und entstellt und indem sie das ansprach oder mit ihren perfekten Brüsten hausieren ging, ging es mir nicht besser damit.
„Ich weiß, wir können uns im Moment nicht leisten, dass du ausziehst und müssen deshalb gemeinsam klarkommen in dieser Wohnung. Aber irgendwann wirst du dein eigenes Reich haben und in deiner eigenen Wohnung auf jeder Oberfläche bumsen.“, schmunzelte sie in dem Versuch witzig zu sein, doch ich schüttelte nur den Kopf und verzog das Gesicht.
Sie wusste, dass wir es uns noch lange nicht leisten konnten, dass ich auszog. Gerade das machte diese Situation auch so schwierig. Wir steckten so tief in den Schulden, dass es schon schwer war, trotz der Zinsen etwas zurückzuzahlen. Ich liebte sie inständig dafür, dass sie mit mir kämpfte, doch ich verstand dabei nicht, wieso sie Dylan so innig liebte und ihn trotzdem nicht nach finanzieller Hilfe fragte. Er lebte doch praktisch bei uns und könnte gut etwas in die Haushaltskasse zahlen. Aber sie blieb stur.
Vielleicht sollte ich es noch einmal ansprechen, auch wenn sie immer zickig darauf reagierte.
„Warum fragst du Dylan nicht …“
„Nein.“, unterbrach sie mich sofort strikt und funkelte mich zornig an.
„Er ist mein Freund. Nicht mein Zuhälter. Ich werde kein Geld von ihm nehmen.“, wiederholte sie ihr Mantra und stand auf.
„Aber Mom, er wohnt praktisch hier und zahlt nichts dazu.“, begann ich, denn wenn ich das Dauerthema schon ansprach, dann auch richtig.
„Er ist mein Freund. Es ist großartig mit ihm. Weißt du was passiert, wenn ich ihn nach Geld frage? Welcher Mann will schon eine arme einsame Frau, die Geld von ihrem Mann braucht?“
Sprachlos schüttelte ich den Kopf. Wieso war sie da so stur? Glaubte sie wirklich, das würde die Romantik zerstören, aber das Damoklesschwert der Schulden über unseren Köpfen nicht? Ich schnaubte auf und sie fuhr wütend herum.
„Und du verstehst dich auch ganz gut mit ihm, wenn er dir bei deinen Wehwehchen zuhört. Das hat dann auch ein Ende.“, sagte sie bestimmend und ich schluckte hart.
Ja, ich war froh, dass er mir zuhörte, wenn sie keine Zeit oder keine Nerven für mich hatte, aber würde er einfach gehen, wenn wir ihn um Hilfe baten? Um Geld, das uns doch eigentlich zustand, wenn er hier doch eigentlich schon wohnte? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er uns im Stich ließ wie mein Vater, aber ich hatte auch nicht wirklich Ahnung von Männern.
„Das Thema ist damit vom Tisch. Setz dir Kopfhörer auf.“, fuhr sie mich an und stolzierte dann heraus.
Ich machte bei meinem MP3-Player mein Lieblingslied von Royal Republic an und wünschte mich aus dieser Hölle heraus. Doch ich wusste, es gab keinen Ausweg.
Meine Mutter hatte Schulden, weil sie meine OP bezahlt hatte - meine Versorgung - und wir mussten versuchen das gemeinsam abzustottern. Doch so wie wir jetzt vorankamen, würde das noch locker die nächsten 14 Jahre dauern. Dann könnte ich mit 35 Jahren hier ausziehen und als alte Jungfer einen Mann suchen. Dann musste ich mich in einer TV-Show dazu anmelden und alle Welt konnte mir dabei zusehen, wie ich mich in den Bachelor 2031 verliebte und meinen ersten richtigen Kuss im Fernsehen bekam. Oder ich bekam eben keine Rose.
Denn eins wusste ich. Hierher zu meiner Mutter würde ich sicherlich nie wieder einen Mann bringen. Was dabei herauskam, hatte ich ja bei Pete gesehen. Der Arme war hier total verschreckt herausgerannt.
Ich sang den letzten Song des Albums mit und starrte auf den dunklen Fleck an der Wand. Wie es Hill wohl gerade ging? Ob ihn der Vorfall auch mitgenommen hatte oder war er so etwas vielleicht schon gewohnt? Fressen oder gefressen werden, hatte er gesagt und er meinte es mit jeder Silbe ernst. Ich konnte mir den Kampf ums Überleben gut vorstellen, denn ich hatte ihn selbst mitgemacht, aber körperlich war ich noch nie an jemanden geraten. Ich war nie der Typ gewesen, der auffiel oder Streit suchte und ging jeden Konflikt, so gut es ging, aus dem Weg.
Selbst auf dem College war ich eine graue Maus gewesen, die einfach nur lernen wollte und stolz war, es überhaupt mit einem Stipendium geschafft zu haben. Ein Jahr hatte ich gebüffelt was das Zeug hielt, bis ich die Diagnose bekommen hatte. Dann war alles anders gewesen. Ich erinnerte mich noch gut daran, dass ich im Krankenhaus geweint hatte, weil ich auf so viele Erfahrungen verzichtet hatte, um einen guten Abschluss zu machen und mich plötzlich die allgegenwärtige Angst umgab, jetzt auf alles umsonst verzichtet zu haben.
Doch wenn man dann alles überstand, ging es nicht weiter wie im Film. Man machte nicht plötzlich alles anders. Man machte keine Kehrtwendung und vergaß plötzlich seine alltäglichen Sorgen, um alles nachzuholen, was man verpasst hatte. Als ich dann alles überlebte, hatte ich einfach nur noch Angst, meinem Körper in irgendeiner Art zu schwächen oder zu schaden. Ich wollte um keinen Preis, dass mein Körper wieder krank wurde und entsagte mir daher alles. Kein Alkohol, keine Reisen, kein langes Aufbleiben, kein ungesundes Essen. Es war schwer, doch man gewöhnte sich daran.
Und als ich dann erfuhr, dass meine Mutter sich für meine Heilung stark verschuldet hatte, hatte ich schließlich auch mein Studium aufgegeben und war arbeiten gegangen. Ich wusste mit einem Studium bekam ich später mehr Geld, doch ich brauchte es jetzt. Wenn ich erst noch 3 Jahre studiert hätte oder noch länger, wäre die Summe immer weitergewachsen und wir hätten es gar nicht mehr geschafft.
Jede Woche rechnete ich mir aus, wie lange wir wohl brauchen würden. Jede Woche träumte ich davon, wie es werden würde, wenn wir unser Geld behalten könnten. Und wenn ich dann irgendwann meinen ersten Scheck in der Hand hielt, einer der nicht auf die Bank kam, dann würde ich als erstes losreisen und meinen Vater suchen.
Und wenn ich vor ihm stand, würde ich ihm mitten in die Fresse schlagen.
„Wir sind dankbar für unsere Familien, für unsere Freunde, unsere Arbeit und unseren Reichtum. Amen.“
Damit beendete unser Gruppenleiter Thomas die Sitzung und alle gingen ihrer Wege.
„Emma, bleib bitte noch kurz hier.“, wies er mich jedoch an und ich wartete an der Tür vom Gemeinderaum auf ihn.
„Ich habe mit Direktor Harrison gesprochen. Dem verletzten Mann geht es wieder gut.“, sagte er mir mit einem Lächeln und Erleichterung durchflutete mich.
Ich hatte selbst gar nicht gemerkt, wie sehr mich der Gedanke an seinen Tod beschäftigt hatte, doch ich hatte es auch gleichzeitig nicht übers Herz gebracht Pete oder unseren Leiter anzurufen.
„Es wird eine interne Ermittlung über den Tathergang geben.“, informierte er mich und Besorgnis schwang in seiner Stimme mit.
„Dich werden sie vielleicht auch befragen wollen.“, sagte er ernst und ich strich mir nervös die Haare hinters Ohr.
„Wieso gerade mich?“, fragte ich beunruhigt.
„Du bist weder verwandt, noch befreundet mit einer Person im Gefängnis und demnach objektiver als der Rest. Die Wachmänner werden alle zusammenhalten und die Freunde der Insassen ebenfalls. Pete ist ziemlich fertig mit den Nerven, wird aber wahrscheinlich auch befragt. Er ist allerdings direkt mit involviert und wird daher wahrscheinlich das Ganze anders wahrgenommen haben.“, erklärte er mir und ich nickte.
„Schau nicht so besorgt. Sag einfach die Wahrheit. So wie du es wahrgenommen hast.“, versuchte er mich aufzumuntern und nahm mich in den Arm.
„Okay?“
„Okay.“, murmelte ich und genoss kurz das Gefühl seiner Umarmung.
Ich wurde nicht oft in den Arm genommen. Meine Mutter war nicht der Typ dafür und auch sonst hatte ich keine engen Kontakte, die dies tun könnten. Dylan nahm mich in den Arm, wenn ich traurig war, doch da ich versuchte, ihm das nicht zu zeigen, kam auch das sehr selten vor.
„Komm gut heim und weiter so. Pete hat gesagt, du hast einen guten Draht zu Hill gefunden. Das ist ein großer Fortschritt.“, munterte er mich auf.
Ich nickte und sagte nichts mehr zu dem Thema. Die Leute reagierten komisch, wenn wir über ihn sprachen. So wie unter anderem Petes Mutter mich nach seiner Erwähnung angeguckt hatte, dachten sie wohl, ich hätte automatisch etwas mit ihm, nur weil er mit mir sprach.
Mir fiel sofort wieder mein Aussetzer ein, als er mich an der Wange berührt hatte. Ich hatte noch nie so empfunden bei einer Berührung. Sie war so zärtlich gewesen, dass sie gar nicht zu ihm gepasst hatte. Und sein Lächeln war wirklich ehrlich gewesen, nicht dieses schiefe Grinsen, das ihn zum sexy Playboy machte. Aufrichtig und ehrlich. Aber vielleicht hatte ich in der Stresssituation auch einfach mehr darin gesehen, als es war.
„Komm gut nach Hause.“
Ich fuhr mit dem Bus Heim und kaum schloss ich die Tür auf, hörte ich das Haustelefon klingeln.
„Mom, gehst du ran?“, schrie ich durch den Flur und sie schrie sofort ein: „Ja!“, zurück.
Ich hörte sie mit jemanden reden und als ich meine Jacke ausgezogen hatte, stand sie schon im Wohnzimmer und glotzte mich entgeistert an.
„Ein Anruf aus dem Gefängnis.“, sagte sie perplex und hielt mir das Telefon hin.
Ich lief knallrot an und nahm ihr schnell den Hörer ab.
„Hallo?“, murmelte ich und meine peinliche Mutter machte keine Anstalten sich von mir wegzubewegen.
„Hi, ich bins Alex.“, begrüßte er mich lässig und bei seiner tiefen Stimme fuhr mir instinktiv ein Schauer über den Rücken.
„Ich musste fragen, wie es dir geht nach dem … Vorfall.“, sagte er bedächtig und ich biss mir auf die Lippe.
„Was will er?“, fragte meine Mutter schrill neben mir und ich flüchtete schnell vor ihr in mein Zimmer.
„Ähm … sorry … meine Mom.“, erklärte ich verlegen und er lachte tief auf.
„Ja, das habe ich gehört. Du wohnst noch zuhause?“, fragte er neugierig und ich nickte in meiner Aufregung, bis ich kapierte, dass er das natürlich nicht am Telefon sah.
„Ja, genau.“
„Bist du nicht ein bisschen zu alt dafür?“, fragte er spöttisch und ich wurde rot.
Zum Glück konnte er das auch nicht sehen.
Natürlich war es eigenartig für ihn, dass ich noch bei meiner Mutter wohnte. Er kannte meine Geschichte ja nicht. Die meisten zogen für das College aus, das hatte ich schließlich auch getan. Aber ich musste leider danach wiederkommen.
„Ähm, ich liebe meine Mutter?“, versuchte ich mich herauszureden und er lachte wieder mit dunkler Stimme.
Sein Lachen war wirklich toll. So tief und männlich.
Man, ich musste echt aufhören ihn anzuschmachten.
„Also geht es dir gut?“, wiederholte er seine Frage wieder im ernsten Ton.
„Ja.“, antwortete ich schnell.
„Sag die Wahrheit.“, bohrte er nach. „Du kannst ruhig zugeben, wenn es dich mitgenommen hat. Schließlich ist vor dir ein Mann gestorben. Das steckt man nicht mal eben so weg.“, erklärte er einfühlsam.
Ich japste nach Luft und ließ fast den Hörer fallen. Gestorben? Sie hatten doch gesagt, es ginge ihm gut?
„Emma? Alles okay? Bist du noch dran?“, fragte er besorgt.
„Ja.“, sagte ich mit brüchiger Stimme und er fluchte laut auf.
„Du wusstest es nicht, oder?“
„Nein.“, flüsterte ich leise.
„Sie haben mir gesagt, er sei okay.“, gestand ich.
„Fuck, es tut mir leid.“, fluchte er ins Telefon und ich setzte mich zitternd auf mein Bett.
„Es tut mir leid.“, wiederholte er leise. „Emma, sag doch was.“
„Was.“
„Sehr witzig. Ich meins ernst. Rede mit mir!“, wiederholte er energisch.
„Ich versteh das nicht …“, stammelte ich und rieb mir den Kopf. „Sie haben mir gesagt, er sei okay. Und jetzt ist er tot. Da war doch kein Versehen.“
„Wer hat dir das gesagt?“
„Mein Gruppenleiter, er hat es von Harrison. Und der hat gesagt, ich müsste vielleicht zu der Sache aussagen.“
„Was? Du sagst gar nichts aus!“, schrie er plötzlich ins Telefon und ich zuckte zusammen.
„Das ist viel zu gefährlich. Harrison wird dich unter Druck setzen, damit du das Richtige sagst und wenn jemand von hier drinnen erfährt, dass du bei so etwas gelogen hast, schwebst du in Lebensgefahr. Das ist Verrat. Die werden dich auseinandernehmen.“
„Alex …“, flüsterte ich angsterfüllt und mir kamen die Tränen hoch.
Was hatte das alles zu bedeuten?
„Emma, hör mir zu, ich kann nicht mehr sehr lange mit dir sprechen, aber eines muss klar sein. Du wirst gar nichts aussagen, sondern dir einen Anwalt nehmen! Und der wird denen klarmachen, dass von dir nichts kommt, klar? Der Mann ist tot. Ihm wird nicht geholfen, wenn du dafür in die Schusslinie gerätst. Hast du mich verstanden?“, redete er auf mich ein.
Ich sagte nichts dazu, denn ich brauchte eine Weile, um zu kapieren, wovon er sprach.
„Hast du einen Anwalt?“
„Nein.“, flüsterte ich.
„Okay, dann besorg dir einen. Morgen! Okay?“
„Ich habe kein Geld für einen Anwalt.“, murmelte ich panisch und sah bereits meine ganze Rechnung für die nächsten Jahre hinfällig werden.
Wir würden das Geld so nie zurückzahlen können.
„Emma, dann besorg ich dir einen. Aber du wirst auf keinen Fall etwas aussagen, ist das klar?“, wiederholte er im strengem Ton und ich wischte mir die Tränen von der Wange.
„Versprich es mir, ich muss auflegen.“, sagte er verzweifelt.
„Emma?“
„Ja.“, nuschelte ich verheult und versuchte meine Stimme nicht zu brüchig klingen zu lassen.
Plötzlich hörte ich bei ihm im Hintergrund Geräusche und dann hatte er aufgelegt. Eingeschüchtert starrte ich auf das Telefon und versuchte zu kapieren, was er mir da gerade gesagt hatte. Doch bevor ich verstanden hatte, dass ich ziemlich im Arsch war, klopfte meine Mutter an die Tür und stand schon in meinem Zimmer.
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Nachwort
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Deine Sophia
Tag der Veröffentlichung: 24.01.2018
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