Alle, die nicht wissen wollen, wie es zu diesem lustig schiefen Märchen gekommen ist, dürfen weiter zum ersten Kapitel springen. Allen anderen will ich an dieser Stelle von diesem verrücken Tag berichten.
Ach ja, bevor ich anfange, sollte ich mich vorstellen. Hallo, ich heiße Frau Luna. Mitten in der Stadt wohne ich einem Märchenhaus und in diesem Märchenhaus ist ein Zimmer und in diesem Zimmer ist eine Bühne und auf dieser Bühne lasse ich Märchen lebendig werden. Mit meinen Freunden schmücke und dekoriere ich alles passend zu dem Märchen, das erzählt werden soll. Aus Nah und Fern strömen dann große und kleine Kinder in mein Märchenhaus, um sich verzaubern zu lassen.
An jenem Tag war alles für das Märchen „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ vorbereitet. Die Kinder hatten sich bereits versammelt und warteten geduldig auf Luka, unserem Märchenerzähler. Wir warteten und warteten. Wo blieb er nur?
Ich ging vor die Tür meines Hauses, um nach ihm Ausschau zu halten. Da hörte ich von der Straße das Hufgetrappel eines Pferdes. Das konnte nur Luka sein. Er hatte sich schon das letzte Mal das Zauberpony der guten Fee Felicitas geliehen. „Das sieht sehr schick aus, wenn ich mit so einem schönen Pony auf die Bühne reite“, hatte er gesagt. Und ja, alle waren ganz entzückt gewesen von diesem wunderbaren Tier.
Doch plötzlich hörte ich Luka rufen: „Hilfe, Hilfe, nein!“
Dann wieherte das Pony wild und kam auch schon um die Ecke geprescht. Direkt auf mich zu!
„Hilfe! Das Pony ist völlig gaga! Mach waaaas!“, rief Luka mir zu.
Ich riss die Arme nach oben und wollte die Zügel fassen. Da bremste das Pony abrupt ab, ließ seine Hinterbeine in die Höhe schnellen und Luka flog im hohen Bogen durch die Tür, durch das Haus, durch das Zimmer und landete krachend auf die Bühne. Alle hielten die Luft an.
„Ah! Schmerz!“, stöhnte Luka. „So ein durchgedrehtes Pony! Völlig gaga!“
Ich eilte zu ihm und half ihm auf die Beine. Dabei spuckte er ein paar Zähne aus, als seien sie aus Popcorn und lächelte. Zahn, Lücke, Zahn, Lücke, Zahn, Zahn, Lücke …
„Oh, Hallo! Guten Tag allerscheits, guten Tag, junge Frau! Mein Name ischt Schneewittchen!“, schte er durch seine Zahnlücken.
Ich erklärte ihm: „Nein, nein! Du bist Luka der Erzähler und ich bin Frau Luna!“
Doch er behauptete weiter, dass er Schneewittchen hieße.
Die Kinder kicherten schon.
Ich hob seine Notizen auf, die zerstreut auf dem Boden lagen, reichte ihm die Blätter und sagte: „Hierauf steht das Märchen von Schneewittchen geschrieben! Dieses Märchen möchtest du uns doch heute erzählen, nicht wahr? Wir warten alle schon gespannt.“
Luka sah über die lose Blattsammlung und lächelte. Ihr wisst schon: Zahn, Lücke, Zahn, Lücke, Zahn, Zahn, Lücke …
„Ach scho, stimmt ja! Ich scholl hier ein Märchen erschählen“, erinnerte er sich endlich.
Ich atmete erleichtert auf.
„Ja, dasch isch ja gansch einfach“, fuhr er fort. „Scho, liebe Kinder! Ich erschähle euch jetscht die Geschichte von Schneewittchen und die schiefen Schähne. Vorhang auf!“
„Oh nein!“, rief ich. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Der Vorhang öffnete sich und das Märchen begann.
Es war einmal ein feiner Herr, der im Schloss des Königs lebte. Sein Name war Herzog Fleder. Fleder ohne Maus! Er war der königliche Zeremonienmeister für die große, königliche Hochzeit zwischen Schneewittchen und dem Prinzen, die am nächsten Tag gefeiert werden sollte. Voller Elan trat er in den Schlossgarten und sprach: „Ja, Ich werde dafür sorgen, dass im Schloss alles blitzt und blinkt!“
Kaum hatte der Herzog das ausgesprochen, fiel sein Blick auf ein paar Ästchen und Blätter, die die Vögel aus dem Beet gescharrt hatten. Flugs schnappte er sich einen Besen, der an der Gartenmauer angelehnt stand und begann zu fegen. Dabei murmelte er: „Was ich am meisten hasse, ist Unordnung und … ROSA. Ja, wenn alles ordentlich und nichts rosa ist, dann ist es perfekt. Und ich liebe perfekt!“
In diesem Augenblick marschierte der Jäger durch das Schlosstor in den Garten. Auf seinem Rücken trug er einen prall gefüllten Sack.
Mit Entsetzen beobachtete Herzog Fleder, wie rosa Federn aus dem Sack herausrieselten und sich in aller Gemütlichkeit auf seinem frischgefegten Weg niederließen.
„Halt! Stehen bleiben!“, rief er erbost. Doch der Jäger ging rosarieselnd weiter seines Weges.
Die Augen des Herzogs verengten sich zu Schlitzen. „He, Sie taube Nuss! Stehen bleiben!“, rief er diesmal lauter. Der Jäger reagierte trotzdem nicht. Da wurde der Herzog ungehalten und packte den Jäger am Kragen. „Was machen Sie da? Sehen Sie denn nicht, dass Sie mir hier mit diesem rosa Zeug alles versauen?“
„Klauen?“, fragte er Jäger erstaunt zurück. „Ich und klauen? Ich bin doch kein Dieb! Ich bin der königliche Jäger!“
Der Herzog bückte sich, hob eine der rosa Federn mit spitzen Fingern auf und fragte: „Und was ist das?“
„Das ist doch kein Gras! Das sind Flamingofedern! Das ist mein Hochzeitsgeschenk für Schneewittchens Kopfkissen“, antwortete der Jäger stolz und stellte den Sack auf den Boden, um dem Herzog sein wunderbares Geschenk zu zeigen.
Der Herzog aber rief entsetzt: „Iiii gitt! Die sind ja alle rosa! Ich hasse Rosa!“
Er holte den Besen herbei und drückte ihn dem Jäger in die Hand. „Jetzt wird hier sauber gemacht“, erklärte der Herzog. „Weg mit diesen rosa Fusseln! Los marsch, marsch!“
„Arsch, Arsch?“, wiederholte der Jäger die Worte so, wie er sie verstanden hatte. Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. Er fuhr den Herzog an: „Hey, Sie! Wie reden Sie denn mit mir? Sie, Sie …“
„Sie, Sie was? Pikobello will ich das hier haben! Weg mit dem ganzen Rosa! Marsch, marsch“, herrschte er den Jäger an, drehte sich um und ließ ihn mit dem Besen im Schlossgarten stehen.
Der Jäger verstand die Welt nicht mehr. „Er hat es schon wieder gesagt: Ar…“, doch bevor er das ungezogene Wort aussprechen musste, hielt er sich lieber den Mund zu. „Oh weh! Das sagt man doch nicht! Und für diesen frechen Herzog Fleder soll ich hier kehren? Ganz sicher nicht!“, rief er, schleuderte wütend den Besen in die Ecke, schwang sich den Sack auf den Rücken und marschierte in das Schloss hinein.
Im Schloss, in ihrem Zimmer saß Schneewittchen auf ihrem Himmelbett und bekam von dem Geschrei der Streithähne nichts mit. Sie hatte nur Augen für das Bild des Prinzen in ihrer Hand. „Ich
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Leila Emami
Bildmaterialien: Leila Emami
Tag der Veröffentlichung: 28.09.2013
ISBN: 978-3-7309-5199-6
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1. Auflage
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