Unser Staat und viele seiner Institutionen planen für uns, dem einen zu viel, dem anderen zu wenig. Wir Erwachsene haben es gelernt oder besser: es wurde uns beigebracht, unsere Lebensplanung zwischen Standesamt, Wehrdienst, Einkommensteuererklärung und Rentenversicherung einzuteilen. Und das ist meistens auch gar nicht so schlecht gelaufen. Fast perfekt, fast nicenstein.
Kinder sind zumeist empfindlich und empfänglich für Unterweisungen aller Art, besonders auch in den Schulen, die bis ausgangs der 1. Lebensphase den Jugendlichen Grundlagen für die Zukunft vermitteln, für ihr Denken und ihr Handeln, und wir Eltern fragen oft, ob auch das Richtige gelehrt wird, von dem Nötigen genug, nichts Überflüssiges. Ob die Kinder genug gefordert, aber nicht überlastet werden, genug Freiraum zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit behalten.
Es gibt neusprachliche Gymnasien. Gibt es auch neusprachliche Hilfsschulen, die bei der Inklusion vergessen wurden? Oder wie erklären wir uns dieses neue Phänomen, das wir bei einem Teil der Jugend erleben?
I bims.
Wurde vom Langenscheidt-Verlag am 17.11.2017 zum Jugendwort des Jahres gewählt.
Müssen wir das ernster nehmen, als es vielleicht gemeint ist?
Im Internet wurde vorher über dreißig Vorschläge diskutiert. nicenstein gefiel mir gut, hat nichts mit Gallenstein oder Wallenstein zu tun. napflixen, im Sessel vor dem Fernseher. Einfach lit, unlügbar.
Eine hochrangig besetzte Jury, sogar mit einem 19jährigen Jura-Studenten besetzt, entschied es gegen das Votum in den sozialen Medien. Das Wort werde nicht nur regional, sondern bundesweit gesprochen.
Aha!
Ich bin es. I bims.
Das Wort könnte im Bayerischen entstanden sein. Das wäre schon schlimm genug. Aber woher kommt das „m“? Wurde es willkürlich ausgewählt und eingefügt, um Erwachsene nachdenklich zu machen?
Könnte es auch ein beliebiger, ein anderer Konsonant sein? Hätte es dann auch „i bigs“ oder „i bips“ sein können? Nein, sie sagen „i bims“. „bits“ ist ja auch schon von der Computersprache besetzt worden.
Ich tröste mich mit der unbegründeten Annahme, „die Jugendlichen“ seien auf unerwartete Weise intelligent, phantasievoll, humorvoll. Wie soll man andere Wörter in der Jugendsprache auch sonst erklären, ich denke da zum Beispiel an das Wort tacken. „I tacke jetzt, Alda“. Googeln Sie mal nach der Bedeutung des Wortes.
Aber es ist ja auch eine Jugendsprache! Sie ist gar nicht für Erwachsene gedacht, und erst recht nicht für so Alte! Keiner fordert: „Ahnma!“ Die begreifen das sowieso nicht mehr!
Bei der Suche nach Erklärungen bin ich schnell auf die Vong Sprache gestoßen.
Die bipt das, unlügbar. Bei dn Jugendlichn. Vong Verständigung wegen. Un jetz auch bei Vornelangen. Un Hintenscheidt. Oder beides, so. Also bei Langenscheidt. 1 Buch. Gans voll mit Wörtern. 1fach lit. Vong dem Gehirn wegen. Weil da nich alle Wörter r1gen. Inn Kopf. Du die aber kennen musst. Echt stark, Alda, das Teil musste habn!
Wenn mein Vater früher sagte, er verstehe seinen Sohn nicht mehr, dann lag das nicht an der Sprache, sondern an den Inhalten. Wenn man sich heute verstehen will, müssen anscheinend nicht die Kinder die Sprache der Eltern, sondern die Eltern die Sprache der Kinder erlernen. Aber dafür gibt es, außer dem Wörterbuch bei Langenscheidt, Vong Sprache, echt nicenstein, noch keine Schule. Noch nicht einmal eine Volkshochschule bietet Lehrgänge in Vong Sprache zur Integration der Eltern in die Sprachgewohnheiten der Jugendlichen an! Was für eine Kulturlücke!
Ist es vielleicht sogar ein Zeichen von Intelligenz? Zweisprachig aufzuwachsen und sich die Zweitsprache auch noch selbst anzueignen? Ohne Unterricht, ohne den Druck der Eltern? Na gut, unter dem Druck der Gruppe, aber das akzeptiert man ja. Man will ja dazugehören. Wenn dann wenigstens die Erstsprache beherrscht würde! Das wäre beeindruckend!
Ist es eine Art Kunstliebe, die die Jugendlichen antreibt? Etwas völlig Zweckfreies, Überflüssiges zu besitzen, das seinen Besitzer aufwertet und erfreut? Etwas Seltenes zu haben, das den riesigen Vorteil bietet, nicht auf einer Kommode stehen zu müssen und ständig einzustauben?
Oder ist es sogar ein Zeichen von Luxus, vong zu sprechen? Etwas zu besitzen, etwas zu können, das zu nichts anderem zu gebrauchen ist als es zu besitzen, es zu können? Nur um sich eine Zeit lang in einer Gruppe ähnlich Denkender zu behaupten, zu verständigen? Denn was sollte man mit dieser Sprache anfangen? Jeder Heizungsmonteur, jeder Malergeselle muss in verständlichen Worten aufschreiben können, was er gemacht hat. Jede Krankenschwester muss den Zustand des Patienten und alles das lesbar und verständlich dokumentieren, was sie zu seiner Besserung getan hat.
Wir Schriftsteller, und seien wir noch so laienhaft, formen an jedem Satz, den wir festhalten wollen. Wir prüfen jedes Wort, ob es am besten geeignet ist, das auszudrücken, was wir empfinden und weitergeben wollen. Weil die Wörter unsere Gedanken transportieren, weil es viele Wörter unterschiedlicher Bedeutung gibt und wir darauf achten, das zu unseren Empfindungen passende Wort, den unsere Gedanken wiedergebenden Ausdruck zu finden.
Entspricht die Gedankenwelt der Jugendlichen, die sich dieser Sprache bedienen, wirklich ihrer Ausdrucksweise? So am Rande des kulturell Üblichen? Durch die Willkürlichkeit der Wortbildung allen Qualen des Lernens und Einübens entzogen?
Entsteht am Ende daraus eine Generation, die sich auf Hartz IV einstellt? Was soll sie mit dieser Sprache und der sie prägenden Denkweise in unserem auf Funktion und Präzision eingestellten Wirtschaftsleben denn auch anfangen?
Wird diese Generation wenige Jahre später über Altersarmut klagen? In welcher Sprache?
Wer sich sprachlich aus der Gemeinschaft entfernt, in der er leben und arbeiten will, wer ernsthaft behauptet, das sei nun mal seine Art der Kommunikation, der darf sich nicht wundern, wenn er in dieser Sprache nicht verstanden wird.
Vielleicht habe ich den Schuldigen gefunden. Es ist unser Wohlstand. Alles ist vorhanden. Für Wenige mit Hilfe unseres Staates das zum Leben Notwendige, für die meisten von uns mehr als genug und zudem in einer unüberschaubaren Vielfalt. Alles auf der Erde ist erforscht, naja, die Tiefsee, el Ninjo und die Rückseite des Mondes haben da noch ihre Geheimnisse, aber an die kommt man ja auch nicht so leicht heran. Wenn also alles vorhanden ist, wie soll man dann Ziele für sich ausmachen? Wie soll man dann einen Lebensplan entwerfen? Da bleibt nur die Flucht in die zweckfreie Kreativität, die von den Philosophen so oft vermisst wird, ohne gleich auch die Bedürfnislosigkeit des Diogenes für sich einzufordern.
Nicht jeder kann und soll ein Goethe, ein Schiller („Festgemauert in der ERDEN …“), ein Hape Kerkeling („HURTZ!“ Erinnern Sie sich noch?) werden wollen. Jeder hat ein Recht auf seine Freiheit, auf seine Auffassung von seiner Freiheit. Wer die im Alltag erforderliche Sprache beherrscht, kann sich in seiner Freizeit nach Lust und Laune ausdrücken. Laut oder leise. In Kisuaheli, Esperanto oder Vong. Aber es muss erkennbar die Ausnahme bleiben und sich nicht den Anschein von Standard anmaßen. Es darf nicht zum nachahmenswerten Beispiel für diejenigen werden, die ihre Orientierung in unserer Sprache noch suchen.
Wer, außer in der Kommunikation unter Jugendlichen, glaubt, sich der Vong Sprache bedienen zu müssen, sollte die Offensichtlichkeit als Scherz oder Satire oder Comedy erhalten. So wie ein Anbieter im Internet, der T-Shirts und andere Textilien mit radebrechenden Aufdrucken in der Vong Sprache verkauft.
Darf ich zum Ende etwas Versöhnliches verraten?
Über einige seiner Sprüche habe ich mich köstlich amüsiert!
Und ich experimentiere sogar in der Vong Sprache!
Mir ist sie letztlich scheißegal (Entschuldigung! Das Wort steht im Duden!), ich leihe mir ein sinnloses „r“ und sage Ihnen deshalb:
mi scharl!
(Ist das Ganze jetzt 1 Scharli? Eine Geschichte, die völlig überflüssig und nutzlos ist?)
Tag der Veröffentlichung: 05.01.2018
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch ist dem Sinnlosen gewidmet.
Cover-Foto: Kleines Rot, sinnlos verändert