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Der verrückte Alte

1. Teil: Aufbruch

Ein Mann, der schon reich ist an Jahren,

an Sorgen und an grauen Haaren,

will winters nach Norden verreisen,

dort angeln und Fische verspeisen.

Ob diese im Frost auch garen?

 

1.

Der verrückte Alte

 

Kaum jemand von Ihnen kennt mich, hat etwas über mich gehört. Andere erinnern sich nicht mehr an mich. Da bin ich mir sicher.

Ich bin Peter Holder. Ich lebe sehr zurückgezogen in Norddeutschland, in einem kleinen Dorf südwestlich von Meppen, in der Nähe der holländischen Grenze. Suchen Sie mich nicht mit Google im Internet, Sie werden nichts über mich finden. Selbst im Telefonbuch stehe ich nicht mehr. Aber Sie brauchen auch nicht zu suchen, ich werde mich bemühen, das Wichtigste über mich zu erzählen.

Ich bin fünfundsiebzig Jahre alt. Meinen Beruf habe ich geliebt und bis zur gesetzlichen Altersgrenze, damals noch von fünfundsechzig Jahren, ausgeübt. Als gelernter Einzelhandelskaufmann leitete ich während der letzten acht Jahre meiner beruflichen Tätigkeit einen Supermarkt in einer norddeutschen Kleinstadt. Gute Mitarbeiter und treue Kunden gaben mir das befriedigende Gefühl, meistens wohl richtig gehandelt zu haben.

Mein Lebensabend ist durch eine auskömmliche Rente gesichert. Das ist mir heute als Ergebnis meines langen Arbeitslebens genug. Jede andere Art von Erfolg, auf den man selbst zeitweise gerne und mit Stolz blicken könnte, gerät bei Anderen zu schnell in Vergessenheit, vielleicht sogar in Verruf, wenn es dem Nachfolger nützt.

 Zu meinen früheren Mitarbeitern und zu Kunden habe ich keinen Kontakt mehr. Durch meinen Umzug zur Familie unseres Sohnes in das Emsland ist die Entfernung so groß geworden, dass alle gut gemeint gewesenen Kontaktversuche auf beiden Seiten eingeschlafen sind. Inzwischen schmerzt mich diese Leere.

Mit Rose, meiner Frau, war ich etwas mehr als vierzig Jahre verheiratet. Es war ihrer Geduld zu verdanken, dass die Ehe so lange gehalten hatte. Es gab Zeiten, da war mein Anteil an der Gemeinsamkeit eher gering, nicht nur wegen der Belastungen im Beruf, was ich später oft bedauert habe. Aber es war so und ich will es nicht verschweigen. Dann verstarb sie plötzlich und damit begann mein Unglück. Sie hatte eine schwere Erkrankung mit langer Behandlung gut überstanden, war auf dem Wege der Besserung schon weit fortgeschritten, stärkte ihre Kraft und ihren Optimismus. Wir befürchteten keinen Rückfall mehr. Eines Morgens im letzten Winter blieb sie im Bett liegen, sie fühle sich noch nicht gut. Warum sollte sie sich auch nicht noch ein wenig ausruhen? Gegen Mittag war sie tot. Herzstillstand, sagte der Hausarzt, eine späte Reaktion des Körpers auf den massiven Einsatz von Medikamenten und Chemie.

Bevor ich über die Reaktion der Familie meines Sohnes spreche, will ich meine beiden Brüder kurz erwähnen. Ich bin der Älteste. Franz, der Zweite, ist verheiratet und lebt tief im Süden Deutschlands, in Bayern. Der Jüngste, Jakob, trägt das schwerste Schicksal von uns Dreien. Wenn ich an ihn denke, erscheinen mir meine Sorgen klein. Er hat keine Familie. Er lebt als Pflegebedürftiger in einer betreuten Wohngemeinschaft im Osten der Republik, weil es dort kostengünstiger ist. Er erblindete bereits vor Jahren nach einem Autounfall.

Die Kontakte zwischen uns Brüdern beschränken sich seit Jahren auf eine eMail an den Zweiten oder ein Telefongespräch, etwa zu Weihnachten. Die Geburtstage lassen wir inzwischen aus. Diese Alterserscheinungen werden nicht mehr gefeiert. Jakob ist nur sehr schwer zu erreichen. Mir ist immer mehr bewusst geworden, dass wir Brüder kaum noch Gemeinsamkeiten haben.

Rose und ich hatten mit unserem Sohn Holger und seiner Frau Klara das Haus gekauft und waren gemeinsam eingezogen. Wir, Rose und ich, wohnten im Obergeschoss, Holger und seine Familie unten. Wir hatten uns gedacht, jeder würde den anderen brauchen. Wir Alten rechneten mit der Hilfe der Jungen bei Krankheit oder Gebrechen. Die Jungen würden durch die Hilfe der Alten mit ihrer vielen Freizeit in Haus und Garten entlastet. Der Enkel, Marcel, hätte die Großeltern als ausgleichendes Element in seiner Erziehung und Betreuung. Außerdem wären finanzielle Lasten gemeinsam leichter zu tragen. Was wir trotz vorheriger ausgiebiger Gespräche unterschätzt hatten, war die offenbar werdende Unverträglichkeit persönlicher Eigenarten. Aber wir Alten sagten uns, mit Geduld und Weisheit sei das alles zu verkraften. So weit, so gut.

Dann kamen die Tage, in denen Rose starb und sie beerdigt werden musste. Die Trauergesellschaft war klein und die Stimmung eisig, nicht nur wegen des kalten Winterwetters. Außer dem Pastor hatte angeblich kaum jemand die Zeit, mit mir zu einem Trauerkaffee im Gasthaus einzukehren. Bereits tags darauf begannen zuhause die Vorwürfe. Holger hielt sich zunächst noch zurück, aber Klara wurde immer lauter. Ich sei schuld. Ich hätte morgens sofort den Arzt rufen müssen. Das sei unterlassene Hilfeleistung. Das sehe kriminell und schon fast wie Vorsatz aus!

Schließlich wurden Erbfolgeregelungen notwendig. Rose hatte, so wie ich bisher auch, kein Testament geschrieben. Klara sagte, ich hätte das Geld von dem mit Rose eingerichteten gemeinsamen Konto unerlaubt verbraucht, die Hälfte stünde dem Sohn als Erbe zu. Mein Anteil am Haus reduziere sich, ganz besonders auch aus diesem Grund, ich solle doch den Anstand besitzen, auszuziehen, dann könnte meine große Wohnung gewinnbringend vermietet werden.

Nach den notwendigen Unterschriften bei Gericht, Notar und Bank redeten wir nicht mehr miteinander. Marcel sah mich mit großen Augen an, als wir uns zufällig im Garten begegneten: „Du, Opa, hast du alles geklaut? Mama sagt, du bist böse, du hättest das ganze Geld genommen, auch das von Papa.“ Hätte ich versuchen sollen, dem Neunjährigen etwas über die Herkunft des Geldes aus meiner Rente zu erklären? Vielleicht waren sie ja sogar im Recht. "Das ist inzwischen alles geregelt worden", versuchte ich, das Kind zu beruhigen.

So saß ich denn nun in meiner schönen Wohnung und sah keinen Lebenssinn mehr und keinen Ausweg. Die berufliche Tätigkeit war lange zu Ende, alle Freundschaften waren eingeschlafen. Ich hatte mich den Brüdern entfremdet und mit der Familie zerstritten. Ich nahm mir jeden Tag ein anderes Fotoalbum und ließ Erinnerungen an bessere Zeiten wieder aufleben. Oh, Rose und ich hatten schöne Reisen gemacht. Nach Irland mit seiner herrlichen herben Landschaft und seinen kraftvollen, eigenwilligen Menschen, die als Raufbolde galten, aber freundliche Augen hatten. Nach Kanada, Peru, Neuseeland, Norwegen. Früher waren wir sogar in den Alpen Ski gelaufen! Mehr hatte ich nicht mehr zu tun, mich bei einem Irish Coffee zu erinnern und auf mein Ende zu warten. Und in trübsinnigen Gedanken zu versinken. Sogar Möglichkeiten und Chancen eines Freitodes zu erwägen. Aber der Frühling würde bald kommen, der Frühling! Vielleicht …

Die Fotografien und die Erinnerungen an meine Jugendzeit ließen mich darüber nachdenken, wo meine Heimat sei. Was bedeutete eigentlich Heimat für mich? Gab es einen Unterschied, etwa eine ‚äußere‘ Heimat, die Landschaft, in der man geboren worden war, in der man lebte, Freunde hatte, im Gegensatz zu einer ‚inneren‘ Heimat, der Akzeptanz für sein Leben und sein Umfeld?

Früher hatte ich gedacht, Heimat habe etwas mit dem Bewusstsein von akzeptierten Pflichten zu tun. Arbeiten zu müssen, zum Wohle der Gesellschaft zu wirken, für die Familie zu sorgen, Geld zu verdienen. Und wenn die Pflichten erloschen? Konnte man ohne ein solches Heimatbewusstsein leben? War ich vielleicht auch deshalb hierher gezogen, weil ich ohne meine Arbeit heimatlos geworden war?

War das hier jetzt meine Heimat? Eine Landschaft, in der man verwurzelt ist, die man mit ihren Menschen liebt und nicht verlassen möchte? Wurzeln hatte ich hier noch nicht geschlagen. Und das Land lieben? Das Emsland, das wohl mochte, wer hier geboren worden war, von dem ich aber dachte, dass man es sich als Zugereister am Wochenende schöntrinken muss? Das sich nur mit seiner bodenlosen Eintönigkeit in meinem Bewusstsein festsetzte, mit Schnaken im Sommer, mit Weglosigkeit im Winter und oft mit geisterhaften Nebeln dazwischen? Und die Menschen? Ihr Charakter schien mir von jahrhundertelanger Armut geprägt. Der Nachbar verteidigte den letzten Zentimeter seines Grundbesitzes mit Hund und Spatenstiel, der notwendige gemeinsame Grenz- und Entwässerungsgraben müsse aber unbedingt erhalten werden und auf unserem Gelände bleiben. Ein anderer Nachbar warf seine glimmenden Zigarrenstummel aus dem Fenster seines Autos, kam aber in Rage, als Marcel ein Bonbonpapier auf den Boden fallen ließ. Nein, hier war nicht meine Heimat. Ich fühlte mich entwurzelt.

War hier wenigstens mein Zuhause? Das hätte für mich Gemütlichkeit erfordert, was auch immer man sich unter diesem umstrittenen, typisch deutschen Begriff vorstellte. Dazu hätte ein befriedigendes Arbeiten zum Wohle aller in der Familie gehört, eine freundliche Atmosphäre, ein fairer Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen, eine gute Stimmung, eine gepflegte Wohnung, Freunde und Bekannte, mit denen man sich traf. Darüber habe ich länger nachgedacht. Das eine oder andere war bei optimistischer Betrachtung nicht ganz zu verneinen. Und ich wollte auch nicht den gesamten Boden unter den Füßen verlieren.

Aber es reichte nicht aus, die Enttäuschungen, die zu einer Verbitterung wurden, zu überdecken. Ich war und blieb ein Außenseiter. Ein alter Mann, dessen Pläne von einem geruhsamen Lebensabend im Kreise seiner Familie sich nicht mehr erfüllen ließen. Der zu alt war für einen Neubeginn. Abwarten, spazieren gehen, sterben ...

Dann kam der Lotto-Gewinn.

Ich tippe seit meinem fünfzehnten Lebensjahr, nicht üppig, aber wöchentlich. Es gab Zeiten, da wäre ein großer Lottogewinn die Rettung für Rose und mich gewesen, jedenfalls haben wir uns das manchmal gedacht, wenn das Leben wieder einmal schwer war. Für viele andere Tipper wurde ein großer Gewinn zum Unglück, das wussten wir. Aber wir gewannen nur kleinste Beträge und behielten die Hoffnung. Und jetzt?

Der Gewinn kam völlig unerwartet. Ich hatte mir noch nicht einmal samstags die Ziehung der Zahlen angesehen. Er kam wie eine Katastrophe über mich! Die Sprachlosigkeit in der Familie brach lautstark auf. Nach einem langen Streit verfügte ich schließlich über einen Betrag von gut fünfzigtausend Euro. Das ist viel Geld? Ja, doch, aber vielleicht erzähle ich Ihnen später einmal, wie und um welchen Betrag insgesamt gestritten wurde.

Und plötzlich war diese Idee da. Ich erinnere mich noch genau, alleine vor mich hin gelacht zu haben. Das wäre doch etwas! Zu verrückt, vergiss es! Aber der Gedanke fraß in mir, fand immer mehr Raum in meinen Überlegungen, breitete sich aus, gewann Verlockung! Warum soll ich hier sitzen und deprimiert auf mein Ende warten? Ich fühlte mich doch noch gut! Warum nicht noch einmal etwas wagen? Dieses eisige Haus verlassen, und wenn auch nur für ein paar Wochen? Noch einmal verreisen? Und wenn ich den Strapazen der Reise nicht gewachsen wäre? Wenn ich krank würde? Wenn ich dabei vielleicht zu Tode käme? Ich hatte mein Leben lang immer zuerst an Sicherheit gedacht.

Jetzt war es mir gleichgültig. Ob nun vielleicht etwas später hier oder vielleicht etwas früher dort? Dann lieber an einem Ort und unter Umständen, die ich mir gewählt hatte!

Die Idee begann, mein ganzes Denken auszufüllen und zu einem Plan zu werden. Ich war, wie Rose oft gesagt hatte, von einer trägen Denkungsart. Aber wenn ich mich erst einmal zu etwas entschlossen hatte, dann verfolgte ich meine Absicht mit konsequenter Sturheit. Ich begann zu wandern, jeden Tag, bei jedem Wetter. Ich würde jede Woche die Strecke und die Dauer verlängern und nach vier Wochen joggen, mein Körper musste sich auf die erwarteten Belastungen einstellen. Ich begann, die Temperatur des Duschwassers abzusenken, um mich an kaltes Wasser zu gewöhnen. Ich rasierte mich wieder täglich und trug das Haar, ehemals dunkelblond, inzwischen gelichtet und von grauen Strähnen durchzogen, sportlich kurz. Über alle Daten und meine Befindlichkeiten führte ich sorgfältig Buch. Die Idee verwerfen und die Vorbereitungen abbrechen könnte ich notfalls jederzeit!

Versuchter erster Abschied

 

Der Bruder, er schien stets zufrieden,

den Garten voll Blumen, die blühten,

gestand seine Leiden

und fragte bescheiden:

„Gehts nach Norden oder nach Süden?“

 

2.

Versuchter erster Abschied

 

Ich war der Älteste von uns drei Brüdern. Damals, zu meiner Kinderzeit, zündete man im Herzen der Vorgeborenen nicht rechtzeitig erwartungsvolle Zuneigung und Liebe an, wenn sich Geschwister ankündigten. Nicht, dass unsere Eltern uninteressiert an uns oder lieblos gewesen wären. Sie hatten es einfach noch nicht gelernt, nicht von den Großeltern, die sie erzogen hatten, und nicht in ihrem eigenen Leben. Kinder waren noch keine Wunschkinder. Sie kamen wie das kaum abwendbare Schicksal. ‚Du bist jetzt der Große! Gib auf den Kleinen acht!‘. Fürsorge wurde befohlen.

So sehr wir uns auch auseinandergelebt hatten und solange die Entfremdung schon andauerte, immer wieder beschlich mich ein schlechtes Gewissen, mich nicht genug um die Beiden gekümmert zu haben. Besonders nicht um den Jüngsten. Dessen Start in das Leben als Erwachsener ein Höhenflug werden sollte, der aber mit einer Bruchlandung vorzeitig endete. Dem es, wie ich wusste, seit Jahren nicht mehr gut erging.

Jeder von uns hatte sich, egoistisch oder nur gedankenlos, zu Zeitpunkten, zu denen es ihm geboten erschien, ehrgeizig zu einem eigenen Leben entschlossen. Dessen Wege entfernten uns immer endgültiger voneinander. Dessen Gestaltung erforderte wohl nicht nur bei mir die gesamte Energie, sodass keine Lust an der Pflege der schwächer werdenden Verbindungen aufkam. Ich habe sie oft beneidet, die Familien, deren Bande hielten, über Zeiten und Entfernungen und Widrigkeiten hinweg. Dann habe ich mich getröstet, man sehe von ihnen nur die Schokoladenseite, sicherlich hätten sie auch ihre Probleme.

Trotz alldem: Wenn ich jetzt verreisen würde, wenn auch vielleicht nur für ein paar Wochen, wenn ich aber bedenken musste, vielleicht von der Reise nicht wieder zurückzukommen, so müsste ich mich zumindest von den Brüdern verabschieden.

Ende März fuhr ich nach Bayern. Das Emsland lag noch unter einer grauen und nasskalten Wolkendecke, aber im Fernsehen waren die ersten geöffneten Biergärten in München zu sehen. Franz hatte Geburtstag, er wurde zweiundsiebzig. Ich hatte noch nicht mein neues Fahrzeug, sondern fuhr meinen silbernen Golf IV.

Ich fand Franz, den im Sternzeichen des Widders geborenen, in seinem sorgfältig gepflegten Garten. Er trug eine grüne Latzhose und Holzschuhe. Niederländische Holzschuhe in Bayern!

„Ich glaube es nicht! Feiert man so seinen Geburtstag?“ Wir begrüßten uns und ich wünschte ihm ein gutes Jahr dazu.

„Ich habe mir ein paar Sukkulenten für den Felsenabhang gekauft. Und Steinbrech. Sieh mal. Wenn die erst einmal blühen!“ Rundum blühten bereits Krokusse, Anemonen, Märzbecher und vieles andere, für das ich keine Namen hatte.

„So viele Frühlingsboten. Schön.“ Ich verspürte etwas Neid, was meine Begeisterung für seinen Garten dämpfte. Für zu Hause wünschte ich mir ein milderes Klima. Mein Garten im Emsland war noch sumpfig und kahl, das Einzige, das dort im Winter wuchs, war Unkraut, Schachtelhalm und Ackerwinde. Franz zog sich am Hintereingang die Gartenschuhe aus und wir gingen in sein Büro.

„Wo ist deine Frau?“ Ich hatte gedacht, wir würden uns im Wohnzimmer zusammensetzen.

„Gustl? In der Küche. Oder oben. Du kannst ihr nachher noch ‚Hallo‘ sagen. Aber was führt dich zu mir hierher? Etwa mein Geburtstag?“ Er breitete die Arme aus und grinste: „Wo ist das Geschenk?“

Ich hatte ein Kistchen ‚Kieler Sprotten‘ mitgebracht. „Jaaa, dein Geburtstag hat den Reisetermin bestimmt. Aber der Grund für meinen Besuch ist ein anderer.“

Franz hatte das Kistchen geöffnet, rümpfte die Nase und besah sich misstrauisch die goldbraunen Fischchen: „Und die isst man so? Mit allem drin?“

„Richtig! Nur den Kopf nimmt man beim Abbeißen ab.“

Er legte das Geschenk vorsichtig auf den Schreibtisch und bedeckte es mit dem Geschenkpapier. „Ein anderer Grund? Was kann wichtiger sein als mein Geburtstag?“

„Es ist so eine Art Abschied. Ja, ich will mich von dir und deiner Frau verabschieden.“

„Bist du krank?“ Er sah mich besorgt an.

„Nein. Es geht mir besser als in den letzten Jahren. Ich will verreisen. Wie lange das dauern wird, weiß ich noch nicht, mindestens ein paar Wochen. Und in meinem Alter weiß man nie, ob man von einer Reise zurückkommt.“

„Wohin fährst du? Nach China? Fugu-Fisch essen? Soll köstlich schmecken, aber das Risiko ist groß.“

„Nein, etwas ganz Gewöhnliches: Norwegen.“

„Ach so.“ Er sah enttäuscht aus. Das war ja wirklich nichts Besonderes, was man den Freunden weitererzählen konnte. „Nach Norwegen. So. Wann denn? Zum Mittsommer? Wegen der Mädchen würde ich nach Schweden fahren.“

 „Nein, Franz. Zum Mittsommer war ich vor vielen Jahren dort. Es war ungewöhnlich, wirklich! Nicht nur das nicht endende Tageslicht. Auch das Empfinden. Wir haben abends geangelt, den Fisch gegrillt und bis nachts um vier Uhr draußen in der Sonne gesessen. Rose und ich. Es war fantastisch. Du darfst dich mit einem Wohnmobil dort ja überall hinstellen!“

„Und wann willst du denn jetzt fahren?“

Ich machte eine nachdenkliche Pause. „Du wirst es als verrückte Idee ansehen. Aber ich bin fest entschlossen. Ich fahre Anfang November. Ich möchte an derselben Stelle in der Polarnacht angeln und einen Fisch grillen und essen. Ich möchte wissen, wie man sich in der Polarnacht fühlt, wenn die Sonne nicht mehr über den Horizont kommt. Wenn die Dunkelheit die Einsamkeit bedeckt und Polarlicht über den Himmel geistert. Deshalb muss ich zur Wintersonnenwende hin. Weihnachten im Schnee!“ Jetzt war es raus. Hoffentlich verstand er meine Begeisterung.

Er sah mich mit großen Zweifeln im Blick an: „Wie kommt man auf eine derart abwegige Idee? Fährst du mit einer Gruppe? Oder will deine Familie dich loswerden?“

„Nein, ich fahre alleine. Ich tue das nur für mich und für die Erinnerung. Damals bei meiner ersten Fahrt nach Norwegen traf ich auf einen Bayern, einen deiner Landsleute. Dessen Arzt hatte ihm nach einem Herzinfarkt noch zwei Monate gegeben. Jetzt fuhr er mit dem Fahrrad durch Norwegen, war schon fünf Monate unterwegs, war guter Dinge und führte Schamanen-Tänze vor. Mir geht es ähnlich. Was soll ich zu Hause sitzen. Die Familie hat mich abgeschrieben, ich habe nichts mehr zu tun, nur noch auf mein Ende zu warten. Das kann ich auch dort, wo meine Begeisterung mich hinführen wird.“

Franz war nachdenklich geworden: „Hast du Informationen? Gibt es im Winter dort überhaupt Tourismus? Steht eine brauchbare Infrastruktur zur Verfügung? Straßendienst? Wintercampingplätze mit beheizten Sanitärräumen?“

„Franz, dort wohnen überall Menschen. Es wird einen Straßendienst geben. Es gibt viele im Winter geöffnete Campingplätze, so seltsam das nördlich des Polarkreises für uns auch sein mag. Ich werde mich irgendwo hinstellen, und wenn ich einschneie, dann dauert die Fahrt eben etwas länger.“

„Und du meinst, das geht? Je länger ich darüber nachdenke …“

„Ich werde es sehen. Und mir Zeit lassen. Deshalb: Ich weiß nicht, ob und wann ich zurückkommen werde.“

„Hm. Über Weihnachten. Letztes Weihnachtsfest war nicht schön. Wir sind ja auch alleine. Keine Kinder. Ich wollte so gerne Kinder haben. Aber es klappte nicht. Und mit Gustls Familie haben wir nichts mehr zu tun. Aber auch gar nichts! Gustl ist schwierig geworden. Da ist nichts Gemeinsames mehr. Misstrauen bis zu Hysterie, ich habe dir darüber noch nie etwas erzählt. Es war mir unangenehm, peinlich, ging ja nur Gustl und mich etwas an. Und ich dachte, man könne das behandeln. Wird aber nicht besser.“ Er schwieg, nachdenklich.

„Aber du hast sie noch! Ihr wohnt seit vielen Jahren hier. Du hast deinen Garten. Ihr habt eure Freunde und Bekannten. Du kennst deine Stadt. Das ist deine Heimat. Das ist doch etwas anderes.“

Wir redeten bis in die späte Nacht hinein. Über die Suche nach Anerkennung und das Empfinden von Gleichgültigkeit, über Ziele und Versagen, über Gemeinschaft und Egoismus, über Schein und Wirklichkeit, über die äußere und die innere Heimat. Wir sprachen über die körperlichen und seelischen Belastungen einer solchen Reise und über unsere altersbedingten Befindlichkeiten. Es waren auch keine weiteren Gäste zu seinem Geburtstag gekommen. Als die zweite Flasche Rotwein leer wurde, spanischer, aus dem Rioja, Grande Reserva, als die Sprache holpriger, die Wahrheit aber klarer und flüssiger wurde, fragte Franz, ob er m-m-mit mir fahren könne, im Nooo-vember. Wir verschoben die weitere Klärung und die Begrüßung seiner Frau auf den nächsten Morgen.

Auf der Heimfahrt am folgenden Nachmittag ging mir vieles durch den Kopf. Sie hatten mir immer so mustergültig geschienen. Anerkennung im Beruf und in der Öffentlichkeit, strahlende Gemeinsamkeit, Ansichtskarten von gemeinsamen Auslandsreisen. Und in Wirklichkeit war nach den Jahren von allem nichts mehr geblieben. Der unerfüllte Kinderwunsch und die gegenseitigen stillen oder gelegentlich wohl auch lauten Vorwürfe hatten alles ausgehöhlt. Zu dem großen Lebensziel, gelobt und anerkannt zu werden, gab es keine Wege mehr, nicht für Franz und nicht für seine Frau. Was blieb, waren Ruinen eines ehemals leuchtenden Gebäudes.

Und nun wollte er mitfahren. Er bekräftigte es morgens noch einmal, ließ keinen Zweifel an seiner unter Alkohol geäußerten Absicht, verabschiedete mich damit, dass er jetzt fest damit rechne und dass wir alles Weitere in Kürze abstimmen müssten.

Ich war unentschlossen. Ich wollte meine Einsamkeit in der arktischen Dunkelheit eingraben, und nun lud sich dieses Problembündel selbst zu der Fahrt ein. Ich hatte nicht den Mut, ihm in die Augen zu sehen und seinen Wunsch abzulehnen. Ich würde ihm in zwei Wochen telefonisch absagen.

Ein weiterer Versuch, Abschied zu nehmen

 

Griff ein Blinder mit Binde und Stock

früher Mädchen gern unter den Rock,

kann er heut‘ sie nicht sehn,

und sie bleiben nicht stehn.

Für ihn ist das jetzt immer ein Schock.

 

3.

Ein weiterer Versuch, Abschied zu nehmen

 

Ich war sehr ungehalten über Franz. Auf der gesamten Rückfahrt dachte ich darüber nach, wie ich ihm die Sache ausreden könnte. Ich unterließ es sogar, die Ausflugsziele entlang der Strecke aufzusuchen, obwohl sich das angeboten hätte, weil ich nun gerade dort war: die Rhön, Kassel, das Weserbergland. Ich würde ja noch öfter reisen, in diesem Sommer.

Vierzehn Tage, hatte ich Franz gesagt. Als er nach knapp zwei Wochen anrief, ob jetzt alles klar sei, vertröstete ich ihn. Ich müsse mich im Moment um wichtigere Dinge kümmern. Später fiel mir auf, ich hatte ‚wichtigere Dinge‘ gesagt, das war unfair. Für ihn war die Fahrt inzwischen zu einer wichtigen Sache geworden. Ich war mit der Zeit etwas nachlässig in Gedanken und Worten geworden. Ich würde mich mehr zusammennehmen müssen.

Ende April, zu meinem Geburtstag, meinem Fünfundsiebzigsten, kaufte ich das Wohnmobil. Es war nicht die günstigste Zeit, die Preise waren hoch. Aber ich hatte sorgfältig bedacht, welche Größe und Ausstattung es haben sollte und dann in Hannover ein gebrauchtes Fahrzeug gefunden, bei dem ich nicht zu viele Abstriche machen musste. Klara und Holger schimpften lautstark in ihrer Wohnung, das sei doch nicht normal, es werde mit ‚ihm‘ ja immer schlimmer, man müsse über eine Entmündigung nachdenken. Zu mir direkt sagten sie nichts.

Ich begann, mich an das Fahrzeug zu gewöhnen. Das war leichter als befürchtet. Kein Vergleich mit meinem früheren Reisemobil! Rückfahrkamera, Abstandswarner, eine Solaranlage auf dem Dach, die Heizung sprang auf den ersten Impuls an. Allmählich verlor ich meine Angst, alleine mit einem so großen Fahrzeug in die Städte oder in die Wildnis zu fahren.

Anfang Juni machte ich mich auf den Weg nach Mecklenburg-Vorpommern. Hatte ich kürzlich noch überlegt, was es vor einer Fahrt zu bedenken gäbe, ob überhaupt und wohin, die Ausrüstung, die Route, das Ziel, so war ich inzwischen von sicherer Entschlossenheit. Es würde die erste längere Trainingsfahrt werden. Ich beabsichtigte, Warnemünde, Rügen und die Museen in Stralsund zu besuchen. Ich würde in der Ostsee baden, ich war dafür genug abgehärtet, inzwischen lag die Temperatur des Duschwassers bei zehn Grad. Und ich würde meinen jüngsten Bruder besuchen, Jakob.

Ich hatte Jakob seit Jahren nicht mehr gesehen. Er war für mich ein ‚bunter Hund‘, das ‚schwarze Schaf‘ in der Familie, mit einem Lebenswandel, der überhaupt nicht mit meinen eigenen Grundsätzen zu messen war. Er war der Jüngste von uns, im Sternzeichen ‚Krebs‘ geboren, wurde jetzt achtundsechzig Jahre alt. Ich habe oft gedacht, er sei der Einzige von uns Dreien, der in Aussehen, Kraft und Körperbau von den Genen unseres Vaters, eines Bergmannes, geprägt worden sei. Aber unser Vater war ein bescheidener, durch und durch solider Mensch, und Jakob war das krasse Gegenteil.

Er hat in seinem Leben viel Geld verdient. Der amerikanische Mutterkonzern, für dessen europäische Tochter er damals arbeitete, reichte ihn als den beste Verkäufer in Europa herum. Aber er gab noch viel mehr Geld aus. Er war, wenn ich mich recht erinnere, viermal verheiratet, aber keine seiner Frauen ist in seiner Nähe geblieben. Die Kinder aus den beiden ersten Ehen gab er, nachdem die Frauen ihn verlassen hatten, zur Adoption weg, die Kinder aus der dritten Ehe verließen ihn mit ihrer Mutter. Dann verschlechterte sich sein Augenlicht. Ich dachte damals, es sei vielleicht ein 'Familienerbe' väterlicherseits, ein Bruder unseres Vaters war ebenfalls durch seine Arbeit erblindet. Jakob konnte nicht mehr Auto fahren, er konnte keine Vordrucke mehr ausfüllen, dann konnte er nicht mehr lesen, er erblindete innerhalb kurzer Zeit und keine ärztlichen Bemühungen konnten etwas ändern. Er wurde arbeitslos, erhielt irgendwann eine geringe Rente, Blindengeld und vom Staat ergänzende Grundsicherung.

Jakob suchte sich im Internet Partnerinnen oder Betreuerinnen, um wenigstens in seiner bescheiden gewordenen Wohnung bleiben zu können. In ein Pflegeheim zu gehen kam für ihn nicht infrage. Bei seiner Suche erhielt er das Angebot einer kleinen Wohngemeinschaft: ein eigenes Zimmer mit eigenen Möbeln, Gesellschaft und Betreuung, familiäre Atmosphäre, geringer finanzieller Aufwand. Er ließ sich abholen und fuhr in ein kleines Dorf kurz vor der polnischen Grenze. Dort besuchte ich ihn jetzt zum ersten Mal.

Ein sauberes Dorf, ein renovierter Altbau im ländlichen Stil, eine ältere Frau, die mit einem Besen vor dem Haus hantierte. Jakob saß in seinem Zimmer vor dem geöffneten Fenster und hatte ein Radio auf dem Schoß. Der Blick ging nach Westen, auf eine Rinderweide und von Büschen bewachsenes Land, aber das sah er ja nicht. Seine Kleidung war abgetragen und ungepflegt. Ich schätzte sein Körpergewicht auf mindestens hundertzwanzig Kilogramm. Sein Blick flatterte mit den typischen haltlosen Augenbewegungen eines Blinden dem Geräusch der geöffneten Tür entgegen. „Ja! Was ist denn!“ Es klang unwillig.

„Hallo Jakob. Ich bin es: Peter!“

„Peter? Du warst ja noch nie hier. Komm her, lass dich anfassen. Was willst du denn hier?“ War da ein Vorwurf in der Stimme?

Ich ging zu ihm, ergriff seine Hand, ließ sie meinen Körper hinauf fahren, Hemdkragen, Kinn, Brille, Frisur. „Ich muss doch einmal nachsehen, wie es dir geht.“ Ich griff nach dem Radio, es drohte von seinen Knien zu rutschen, und stellte es auf die Fensterbank.

„Naja, viel zu sehen gibt es ja hier nicht, glaube ich. Und mir geht es gut.“ Er schlug sich mit der flachen Hand auf den Bauch. „Wenn nur der Zucker nicht wäre! Alterszucker. Wie bei Mutter. Hat nur früher angefangen.“ Er lachte auf. „Fragt da ein Mann seinen Freund: Was macht dein Zucker? Der Freund antwortet: Gestern zuckte er noch!“ Er lachte erneut. „Spaß muss sein. Sonst kommt keiner zur Beerdigung. Und du? Wie geht es dir? Jetzt, so …“

Dass Rose gestorben war, hatte ich ihm mitgeteilt. Ich erzählte ihm kurz und zusammenfassend von der zwischenzeitlichen Entwicklung.

Er ‚sah‘ aus dem Fenster. „Das ist eigenartig. Ich habe viel darüber nachgedacht. Wir haben alle drei nicht das Gelbe vom Ei bekommen. Du nicht als ernsthafter Streber, ich nicht als leichtsinniger Genießer und nach allem, was ich von ihm weiß, auch nicht Franz als anspruchsvoller Aufsteiger.“ Er dachte nur kurz nach: „Aber ich habe mein Leben wenigstens genossen!“ Er hörte sich nicht unzufrieden an.

Ich erzählte ihm von meinem Besuch bei Franz.

„Wir sind irgendwie auf dem falschen Gleis gelandet. Aber was solls. Ich habe auch viel Spaß im Leben gehabt. Ich habe mein Leben gelebt und meistens genossen. Den Rest muss ich jetzt absitzen.“ Jakob wirkte nicht enttäuscht, nur ungewohnt nachdenklich.

„Bevor ich mich entschließe, nur noch abzusitzen, will ich mir noch einen Ausflug gönnen. Deshalb bin ich zu dir gekommen, Jakob. Um mich vorsorglich zu verabschieden.“

Ich erzählte ihm von meinem Plan: Wohnmobil, Norwegen, Wintersonnenwende, Fisch fangen. Er hörte schweigend zu. Dann schüttelte er den Kopf: „Du hattest schon immer verrückte Ideen. Warst du nicht mit dem Fahrrad nach Nordafrika gefahren?“

„Nach Gibraltar, nur bis Gibraltar. Das ist noch Europa. Den Rand von Afrika habe ich nur gesehen. Ich hatte nicht das Geld für die Fähre.“

„Trotzdem. Verrückt!“ Ich sah, dass es in ihm arbeitete. „Wie groß ist dein Wohnmobil?“

„Knapp sechs Meter, dann sind die Fähren billiger. Genug Stauraum, im Winter benötigt man doch mehr an Ausrüstung.“

„Wie viele Schlafplätze?“

„Vier. Aber ich fahre alleine. Ich sagte ja schon: viel Stauraum.“

„Und du sagtest ‚angeln‘?“

„Ja, aber nur einen großen Fisch, für eine gute Mahlzeit, mitten in der Nacht. Dann fahre ich wieder zurück.“

„Angeln! Wie lange habe ich keine Fische mehr gefangen! Erinnerst du dich noch? Mit Vater an der Mosel? Du hattest den größten Fisch geangelt. Wie alt waren wir damals eigentlich?“

Ich wollte im Moment nicht über die Vergangenheit reden. „Und da ich mit nicht sicher bin, wie lange das dauert und ob ich überhaupt wieder zurückkomme, wollte ich noch einmal mit dir sprechen und mich vorsorglich verabschieden. Du weißt ja, mein Alter und die Anstrengungen der Reise, da kann so viel passieren.“

Er war ungewöhnlich still geworden, hatte den Kopf gesenkt. Ging ihm der Abschied so nahe? „Ich glaube, dieses Haus macht so nach außen einen guten Eindruck. Ich kann auch nicht mehr viel verlangen, mit meinem geringen Einkommen."

Er atmete ein paarmal schwer und ich fragte mich schon, was jetzt wohl kommen würde. "Aber es geht hier lieblos zu. Wir bekommen das Nötigste, aber auch nicht mehr. Und wer zu viel Arbeit macht, der wird fixiert, im Bett festgebunden. Die Familie des Eigentümers holt den letzten Euro aus den Bewohnern heraus. Das Dorf bietet nicht die geringste Abwechslung, einmal die Straße hinauf und wieder zurück, das war schon alles. Bier wird zu Apothekenpreisen nur auf dem Zimmer getrunken. Und die Menschen? Ich verstehe sie kaum mit ihrem polnischen Dialekt und sie verstehen nicht meine rheinische Mentalität. Ich habe schon überlegt, ob ich mir eine andere Bleibe suche.“

Er überlegte kurz, wie um sich einen inneren Ruck zu geben. Er drehte sich in die Richtung, in der er mich das letzte Mal gehört hatte: „Wenn du mir einen der Schlafplätze gibst, komme ich mit. Ich brauche nicht mehr viel. Ich kann unterwegs auch nicht viel helfen. Aber irgendetwas werde auch ich tun können, ich habe immer alles selber gemacht, auch hier in meinem Zimmer mache ich fast alles selber. Und ich käme mal wieder hier raus. Noch einmal angeln gehen!“

Dann grinste er: „Und dass es dort dunkel ist, das stört mich weniger als dich. Nimm mich mit, bitte!“

Da saß ich nun, ratlos, unerwartet mit einer zweiten Einladung! „Verstehe das bitte nicht falsch, Jakob. Aber ich denke, dass das nicht geht. Du bist blind, krank und übergewichtig. Wie soll ich da unterwegs für dich sorgen? Und außerdem will ich alleine fahren, um mit mir ins Reine zu kommen. Da will ich mich nicht mit Mitfahrern belasten. Franz hat auch gleich gefragt, ob er nicht mitfahren könne.“

Jakob schöpfte aus seinem angeborenen Optimismus Hoffnung: „Dann fahren wir eben zu dritt! Was hältst du davon? Ich erinnere mich nicht, dass wir drei jemals etwas gemeinsam unternommen haben. Wäre früher auch nicht gut gegangen. Naja, bei der Beerdigung von Vater, aber das war etwas anderes, da waren die Frauen dabei und ein paar seiner Freunde, und wir mussten uns um

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: M. Bersch
Lektorat: überarbeitete Fassung
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2013
ISBN: 978-3-7309-2488-4

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