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Coming Home for Christmas

Coming Home for Christmas

 

Vergnügt vor sich hin summend zündete Sophie eine der vielen Kerzen in ihrem liebevoll weihnachtlich dekorierten Wohnzimmer an. Die dicken, weißen Flocken, die draußen vom Himmel fielen, trugen ihren Teil zur festlichen Stimmung bei. Obwohl es noch nicht dunkel war, leuchteten unzählige Lichter an der kleinen Tanne im Garten unter der langsam dicker werdenden Schneedecke hervor.

Sophies Blick fiel auf den Kalender. Nur noch eine Woche bis Heiligabend. Im Gegensatz zu vielen ihrer Freunde und Bekannten machte sie sich vor Weihnachten keinen Stress. In ihrer Pferdepension mussten nur morgens und abends die Tiere versorgt werden. Außerdem ordnete sie die Unterlagen für den Jahresabschluss, um sie nach den Feiertagen zum Steuerberater zu bringen. Die Papiere lagen auf dem Wohnzimmertisch verstreut, aber da sie allein lebte, würde sich niemand über die Unordnung beschweren. Pelle, ihr dicker, roter Kater hatte sich auf einem Stapel Belege zusammengerollt und schnurrte wie eine kleine Nähmaschine.

 

Sophie wollte sich gerade eine Tasse Tee kochen, bevor sie weiter an ihrer Buchführung arbeitete, als plötzlich die Lichter eines geradezu riesigen Pferde-Transporters, der auf ihren Hof fuhr, das Schneetreiben durchbrachen. Stirnrunzelnd blickte Sophie aus dem Fenster. Sie erwartete niemanden. Selbst die meisten Pferdebesitzer hatten sich für heute abgemeldet, weil die Räumdienste kaum damit hinterher kamen, die Straßen frei zu halten.

Die Fahrertür des LKWs öffnete sich und eine große Gestalt mit langen Beinen kletterte heraus. Das Flockengewirbel und eine dicke Winterjacke mit Kapuze verbargen aber, wer da gerade aufs Haus zu stampfte.

 

Beim Schrillen der Türglocke hob Pelle seinen dicken Katerkopf, ließ ihn aber sofort wieder fallen und bedeckte die Augen mit einer Pfote. Sophie hatte das dumpfe Gefühl, sie sollte es genauso machen und ignorieren, wer auch immer da Einlass begehrte.

Allerdings wäre das bei dem Wetter ziemlich unhöflich gewesen. Vielleicht brauchte der Mensch – oder eines seiner Tiere – ihre Hilfe! Entschlossen ging Sophie zur Tür und öffnete sie gerade, als der Unbekannte zum zweiten Mal den Finger auf die Schelle legen wollte.

 

„Hallo Sophie!“ Leichte Unsicherheit strahlte ihr aus einem alles andere als fremden Gesicht entgegen. Die braunen Haare waren ein wenig länger, als sie sie in Erinnerung hatte und einige scharfe Falten hatten sich in das gut geschnittene Gesicht eingegraben. Kurze Bartstoppeln bedeckten die schmalen Wangen und unter den Augen zeigten sich dunkle Ringe. Max ließ die Hand sinken, mit der er gerade nach der Türglocke gelangt hatte, nur um sie dann wieder zu heben und sich mit einer für ihn typischen Verlegenheitsgeste über den Kopf zu fahren und seine Frisur hoffnungslos durcheinander zu bringen.

 

Sprachlos schob Sophie mit beiden Händen ihre blonde Mähne zurück und blinzelte. Aber Max stand wirklich vor ihr. Sie beide hatten eine lange, gemeinsame Vergangenheit. Sie waren Jugendfreunde gewesen, Reiterkollegen, manchmal Konkurrenten auf dem Turnierplatz und schließlich ein Liebespaar. Für Sophie hatte festgestanden, dass sie für immer zusammenbleiben würden. Für Max nicht. Ein Teil ihres Herzens zerbrach, als er sich von ihr trennte und etwas mit Isabell Hohenstein anfing.

Sophie hatte wohl zu lange geschwiegen, denn Max ließ den Kopf hängen und sagte leise: „Sorry, aber ich wusste nicht, wo ich sonst hin soll.“

Das schüttelte sie aus ihrer Erstarrung. „Komm doch erst mal rein. Was ist denn überhaupt los?“

 

Max streifte sich am Stiefelputzer den Schnee von seinen Boots, bevor er Sophie in die Diele folgte, in der sich eine große Garderobe mit allen möglichen Stall- und Regenjacken neben einer ganzen Galerie von Schuhen und Stiefeln für alle Anlässe stand. An der Wand hingen ein paar großformatige Bleistiftzeichnungen von Pferden und ein Bild von Pelle, der damals nicht viel größer als eine Faust gewesen war. Nervös schaute Max sich um, bevor er tief Luft holte und ansetzte zu sprechen. Doch Sophie hielt eine Hand hoch.

„Das wird eine längere Geschichte, oder? Ich wollte mir gerade eine Tasse Tee machen und du siehst aus, als könntest du auch eine gebrauchen. Zieh‘ deine Jacke und die Stiefel aus, Hausschuhe findest du da hinten. Ich bin in der Küche.“

 

Sie floh geradezu aus der Diele, ließ aber die Tür zur Küche angelehnt, statt sie zu schließen. Während sie Wasser für den Tee aufsetzte, schimpfte sie in Gedanken mit sich selbst: ‚Du dumme Nuss. Warum regt er dich immer noch so auf? Du solltest doch längst über ihn hinweg sein!‘

 

Als Max eintrat, stellte sie gerade eine Kanne Weihnachtstee auf den hölzernen Küchentisch. Der Duft von Zimt und Orangen mischte sich mit dem frischen Geruch der Tannenzweige im Adventskranz. Spontan öffnete Sophie die Dose mit den selbstgebackenen Plätzchen, so dass es fast wirkte, als würde sie sich mit Max zu einem gemütlichen Nachmittagsplausch treffen. Dabei hatte sie ihn seit über fünf Jahren nur aus der Ferne gesehen, bei irgendwelchen Turnieren.

 

Max hatte sich seiner dicken Jacke und der Boots entledigt. Er trug eine enge, verwaschene Jeans und einen dicken blau-weißen Strickpullover mit Norwegermuster, der seine breiten Schultern betonte. Die gemütlichen Filzlatschen, die Sophie für ihre meist Stallschuhe oder -stiefel tragenden Gäste bereithielt, sahen an ihm so albern aus, wie an jedem anderen auch.

Schweigend rutschte er auf die Eckbank und legte seine Hände um die Tasse mit dem heißen Tee, die Sophie ihm reichte. Sie setzte sich auf einen der Stühle, nippte an ihrem Getränk und griff schließlich nach einem Plätzchen, um daran zu knabbern. Ein dicker Schokoladenüberzug umhüllte das knusprige Innenleben und die köstliche Süße auf der Zunge linderte ihre Anspannung ein wenig.

 

Schließlich fasste sich Max ein Herz und begann zu erzählen. Dabei traute er sich nicht, Sophie in die Augen zu schauen, sondern hielt den Blick fest auf seine Teetasse gesenkt.

„Isabell hat mich rausgeschmissen. Wir haben immer wieder gestritten, weil sie meint, dass Mäxchen und die Ziegen im Stall nur Platz wegnehmen, den sie ansonsten gewinnbringend vermieten könnte. Das ist totaler Quatsch, weil die Viecher meistens eh mit einem der Turnierpferde in der Box stehen und ich ansonsten den vollen Einstallerpreis zahle.“

Sophie konnte nicht anders, sie musste lächeln. Nicht wegen dem was Max gerade erzählte, sondern weil vor ihrem inneren Auge ein lebhaftes Bild des alten, aber deshalb nicht weniger frechen Ponys auftauchte, dass Max schon sein ganzes Leben lang begleitete. Mäxchen war sein erstes „Pferd“ gewesen und seit langem im Ruhestand. Der kleine schwarze Shetty-Wallach „arbeitete“ für sein Gnadenbrot, indem er Max edlen Turnierpferden als Kumpel diente. Seine unerschütterliche Ruhe färbte auf die bisweilen nervösen Sportpferde ab. „Die Ziegen“ wiederrum hatte Max angeschafft, weil er Mäxchen nicht immer und überall mitnehmen konnte, und das Shetty dann nicht allein sein sollte. Früher waren es drei der gehörnten Gesellen gewesen und alle drei hatten nur Blödsinn im Kopf gehabt.

 

Inzwischen fuhr Max fort: „Als ich heute Nachmittag mit Dancer aus der Tierklinik kam, wo er wegen eines Gelenkproblems behandelt worden ist, standen Mäxchen und die Ziegen draußen in der Kälte, ohne Wetterschutz und Futter, weil irgend so ein Hansel seine Gäule unbedingt bei Isabell unterstellen wollte. Sie hat dem Typen einfach Mäxchens und Dancers Box angeboten und der hat sie beim Wort genommen und gleich seine Pferde geholt …“

Max brach mitten im Satz ab, stellte die Tasse hin und hob seinen Blick endlich, um Sophie in die Augen zu schauen. „Wir haben uns auf dem Hof angebrüllt wie die Irren. Für Isabell zählen nur Turniererfolge und Geld, Geld, Geld. Sie meint, Mäxchen und die Ziegen wären nutzlose Fresser und Dancer hätte ich einschläfern lassen oder zumindest verkaufen sollen, statt die teure Behandlung zu zahlen, von der noch unsicher ist, ob sie jemals anschlägt. Selbst im besten Fall fällt er für ein ganzes Jahr aus.“ Max holte tief Luft. „Sophie, ich kann da nicht mehr bleiben und meine Tiere konnte ich auch nicht da lassen. Sobald ich vom Hof fahre, würde ich jedes Mal vor Sorge sterben, ob man sie gut behandelt, solange ich weg bin.“

 

Ungläubig schüttelte Sophie den Kopf. Natürlich musste auch sie darauf achten, mit der Vermietung ihrer Pferdeboxen Geld zu verdienen. Hin und wieder blieb ihr nichts anderes übrig, als einem zahlungsunwilligen oder -fähigen Kunden zu kündigen. Aber meistens fand sich vorher eine Lösung, die beiden Seiten gerecht wurde. Ein altes Pony – irgendein Tier! – bei diesem Wetter einfach nach draußen zu werfen, war wirklich das allerletzte. Also gab es nur eines, was sie sagen konnte: „Wieviele Boxen brauchst du?“

Max Erleichterung war fast mit Händen greifbar. „Sechs? Vielleicht tun es auch fünf, wenn eine groß genug ist, um Mäxchen und die Ziegen gemeinsam mit Dancer unterzubringen. Die Katzen können erst mal im Transporter bleiben und Asterix schläft eh bei mir in der Kabine.“

Sophie blieb fast das Herz stehen. „Du hast fünf Pferde, ein Pony, drei Ziegen, mehrere Katzen und deinen Hund in diesem Ungetüm von einem LKW?“

„Es sind fünf Ziegen, aber nur zwei Katzen …“, unterbrach sie Max. „Und die beiden sind echte Stallkatzen, die kommen fast nie rein und wollen dann gleich wieder raus.“

„Oh Mann. Ich habe gerade mal zwei Boxen frei“, stöhnte Sophie. „Alle anderen sind belegt.“

Max schlug sich entsetzt die Hände vors Gesicht. „Ich hätte viel früher die Notbremse ziehen sollen. Schon kurz nachdem ich mit den Pferden bei Isabell eingezogen bin, habe ich gemerkt, dass es ihr unheimlich wichtig war, mit meinen Turniererfolgen Werbung für ihren Stall zu machen. Aber ich habe mich davor gedrückt wieder zu gehen, weil ich dachte wir lieben uns doch und bekommen das hin.“

 

Er warf Sophie einen kurzen Blick zu und hatte den Anstand rot zu werden. „Privat sind wir schon seit über zwei Jahren kein Paar mehr, auch wenn alle das immer noch denken. Isabell vergnügt sich gerne und es scheint eine ziemlich praktische Ausrede zu sein, mich als eifersüchtigen Freund hinzustellen, wenn sie eine Affäre beenden möchte.“

Solche Details wollte Sophie eigentlich gar nicht wissen. Sie hatte lange gebraucht, um über Max hinweg zu kommen und gerade wurde ihr schmerzhaft bewusst, dass ein Teil ihres Herzens ihm immer noch gehörte.  Sie konnte sogar ein wenig verstehen, warum er so lange bei Isabell geblieben war. Bevor sie allen Mut, eine Menge Geld und einen Haufen Schulden zusammengekratzt hatte, um sich den Traum von einer eigenen Pferdepension zu erfüllen, hatte sie sich auch oft verletzlich gefühlt. Man war immer irgendwie abhängig, wenn man seine Pferde bei einem Fremden unterstellen musste. Mit einem ganzen Haufen Tiere – so wie bei Max – wechselte man nicht mal eben schnell den Stall. Er musste wirklich verzweifelt sein, so etwas ohne feste Zusage eines neuen Unterstands und mitten im Winter zu versuchen.

 

Sanft legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. „Komm schon, lass den Kopf nicht hängen. Wir finden eine Lösung!“

Sie hatte auch schon eine Idee. „Fast alle meine Boxen sind so groß, dass sie mal ein paar Tage lang für zwei Pferde reichen. Außerdem hat jede Box einen direkten Zugang zu einem überdachten Außenbereich mit Paddock. Die Tiere können sich also ausweichen. Ich kann meine beiden Stuten zusammenstellen, dann haben wir eine weitere Box frei, also insgesamt drei. Wenn deine Pferde sich vertragen, reicht das doch fürs Erste, oder? Und morgen räume ich den Schuppen leer, dort können wir mit Panels weitere Boxen aufbauen, bis wir eine endgültige Lösung gefunden haben.“

„Das würdest du echt für mich machen?“

„Nicht für dich, du Spinner. Aber deine Pferde tun mir leid. Die können schließlich nichts dafür, dass sie einem solchen Holzkopf wie dir gehören.“ Sophie milderte ihre harten Worte mit einen Grinsen und Max fühlte sich, als würde gerade ein ganzer Haufen Steine von seinem Herzen fallen. Seine Sophie war ausgesucht höflich zu Fremden und zu Menschen, die sie nicht leiden konnte. Freunde und Lieblingsmenschen dagegen neckte sie gnadenlos.

 

Gemeinsam schafften sie es in kürzester Zeit, die Pferde, Mäxchen und seine Ziegenkumpel unterzubringen. Die Katzen fanden einen Platz in der Sattelkammer, in der es sicher wärmer und gemütlicher war, als im Transporter. Max versicherte Sophie, dass sie sich schnell eingewöhnen würden, solange sie ihre gemütlichen Schlafkörbchen, Futter und Wasser hatten. Asterix erwies sich als aufgeweckter, aber nicht übertrieben nervöser Jack Russel Terrier, der Max nicht von der Seite wich.

Max versorgte seine eigenen Tiere und half danach Sophie mit den Pensionspferden. Gemeinsam war die Arbeit schnell erledigt. Draußen fielen die Flocken mittlerweile so dicht und heftig, dass man vom Stall kaum bis zum Haus schauen konnte. Nur der kleine Weihnachtsbaum im Vorgarten leuchtete tapfer unter seiner weißen Decke hervor und wies die Richtung. Auf Max‘ Pferdetransporter lag eine dicke Haube aus Schnee und der Hof wirkte, als wäre er heute noch nicht betreten worden, geschweige denn, als hätte man ein halbes Dutzend Pferde und ein paar Ziegen darüber geführt.

 

„Wenn alles fertig ist, verziehe ich mich jetzt mit Asterix in die Wohnkabine des LKWs.“ Max schnappte sich den kleinen Terrier, der begeistert durch den hohen Schnee tobte, aber zwischendurch immer wieder zu seinem Herrchen zurückkehrte.

„Wirklich? Wird das nicht eine ziemlich kalte Nacht werden?“, fragte Sophie. Max schaute sie nur an.

Sie zuckte mit der Schulter. „Du kannst das Gästezimmer haben. Wir könnten gemeinsam zu Abend essen und …“ Sie wusste selbst nicht, was sie noch sagen sollte. Max hatte sie zutiefst verletzt, aber ihn nun hier auf dem Hof zu haben und zusammen mit ihm zu arbeiten, wirkte einfach richtig. Vertraut. Fast so, als wäre er nie weg gewesen.

Asterix schien die sich aufbauende Spannung zu spüren. Er schaute von Max zu Sophie und zurück, bevor er kurz bellte und Anstalten machte, aus Max Arm hinüber zu Sophie zu klettern. Das brach die seltsame Stimmung. Lachend griff Sophie nach dem kleinen Hund, der ihr prompt mitten durchs Gesicht leckte. „Ich wärme schon mal den Eintopf auf und decke den Tisch. Du kannst ja schnell holen, was du für die Nacht brauchst.“

Mit einem heiseren „Wuff“ brachte sich Asterix in Erinnerung. Sophie grinste. „Ich glaube, er möchte dich ermahnen, Hundefutter mitzubringen. Und seine Kuscheldecke, falls er so was hat.“

„Er besitzt ein tolles Hundebett,“ antwortete Max würdevoll. Dann grinste er auch. „Das er nie benutzt, weil er bei mir im Bett schläft, der kleine Gauner.“ Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen schlug er die Kapuze seiner Jacke hoch und stapfte durch den Schnee Richtung LKW, um seine Sachen einzusammeln. Sophie schaute ihm einen Moment hinterher. Asterix machte keine Anstalten, Max zu folgen, sondern ließ sich genießerisch hinter den Ohren kraulen.

„Ich weiß ja, dass es nur eine Notlösung für euch ist. Aber …“ Sophie verstummte und eilte zum Haus. Nicht einmal vor dem kleinen Hund wollte sie zugeben, dass ihr gerade bewusst geworden war, wie sehr sie Max nach all der Zeit immer noch liebte. Und dass sie ihn und seinen verrückten Zoo eigentlich nie wieder gehen lassen wollte.

 

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Sophie und Max versorgten gemeinsam die Pferde, als hätten sie immer Seite an Seite gearbeitet. Nachdem der Räumdienst die Straße wieder frei geschoben hatte, tauchten auch Einstaller auf, die ihre Tiere bewegen wollten. Nicht wenige erkannten Max, der sich als Dressurreiter im Inn- und Ausland einen Namen gemacht hatte. Sophie unterdrückte mehr als einmal ein Grinsen. Die meisten ihrer Kunden waren Frauen, von denen nicht wenige glasige Augen bekamen, wenn sie Max hinterherschauten. Einige mutige holten sich Tipps von ihm, wie sie mit ihren Pferden umgehen sollten. Zwei junge Mädchen baten ihn sogar um ein Autogramm. Andere ignorierten ihn mehr oder weniger, und eine ältere Westernreiterin murmelte sogar etwas von „albernen Tanzpferden und ihren Reitern“. Allerdings war der Zusammenhalt unter den Pferdebesitzern in Sophies Stall so gut, dass sie nach dem Prinzip „Leben und leben lassen!“ miteinander umgehen konnten.

 

Auch der Umbau des Schuppens ging zügig voran. Sophie hatte schon immer vorgehabt, ihn irgendwann in einen weiteren Stall zu verwandeln und deshalb bei der Renovierung auf einen Wasseranschluss, Fenster und einen festen Boden Wert gelegt. Das kam ihr nun zugute. Innerhalb kürzester Zeit waren Gummimatten als weiche Unterlage verlegt und es entstanden zehn geräumige Boxen, ein Putzplatz und eine kleine Futter- und Sattelkammer.

 

Am Morgen des Heiligen Abend schließlich streute Sophie die neuen Boxen dick mit Sägespänen ein und füllte die Heunetze, während Max seine Pferde holte, um ihnen ihr neues Zuhause zu zeigen. Als letztes zogen Mäxchen und die Ziegen ein. Sie durften sich frei zwischen zwei Boxen bewegen, die durch eine Tür verbunden waren. In einer stand sogar ein stabiles Holzgerüst, auf dem die Ziegen herumturnen konnten.  Im neuen Jahr würden sie noch einen Auslauf bekommen, doch vorerst erkundeten sie begeistert ihre neue Umgebung, während sich Mäxchen – typisch Shetty – eifrig dem Futter widmete. Es roch scharf nach Pferd, ein wenig harzig wegen der Sägespäne und angenehm süß, wie nur frisches Heu duftet.

Sophie lachte über die Eskapaden der Tiere, als Max plötzlich ihre rechte Hand nahm, diese an seinen Mund zog und einen leichten Kuss darauf drückte.

„Danke!“ Er wirkte sehr ernst. „Ich habe es nicht verdient, dass du so nett zu mir bist. Dass du Himmel und Hölle in Bewegung setzt, nur um mir und meinen Tieren ein Zuhause zu schaffen. Danke, Sophie. Danke!“

Sie konnte nicht anders. Sanft legte sie ihm ihre Linke um den Nacken, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Max wirkte zuerst ein wenig überrascht, doch schnell öffnete er die Lippen und der Kuss wurde intensiver. Ihre Zungen spielten miteinander. Längst hatte Max sie in eine innige Umarmung gezogen. Als sie sich endlich voneinander lösten, ging beider Atem schwer.

 

Zuhause hatte Max gesagt. Und so fühlte es sich auch an, nicht nur wie eine Notlösung. Sophies Augen leuchteten und auch Max wirkte glücklich. Hand in Hand schlenderten sie durch den Schnee und die Kälte zurück zum Haus. Schweigend schälten sie sich in der Diele aus den Stiefeln und den dicken Winterjacken.

 

Im gemütlich warmen Wohnzimmer stand bereits ein kleiner Weihnachtsbaum, den sie zusammen aus dem Wald geholt hatten. Die winzigen Lämpchen der Lichterkette spiegelten sich in unzähligen roten und goldenen Christbaumkugeln, während das Radio leise Weihnachtslieder vor sich hin dudelte. Es duftete nach Weihnachten.

Pelle hatte es sich oben auf der Couch gemütlich gemacht. Dort konnte Asterix ihn nicht stören. Kater und Hund hatten sich nur einmal kurz angestarrt, dann schien beiden klar zu sein, dass Pelle der Chef war. Trotzdem bevorzugte Pelle im Moment Schlafplätze, an denen der quirlige Terrier ihn nicht ohne weiteres erreichen konnte. Der kleine Hund zog sich gähnend auf den Teppich vor dem Kamin zurück, den er zu seinem Lieblingsplatz auserkoren hatte.

 

Wie selbstverständlich legte Max Sophie einen Arm um die Schultern und zog sie an sich. Sanft strichen seine Lippen über ihre blonden Locken.

„Schau mal! Der Weihnachtsmann war schon hier!“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Überrascht bemerkte Sophie einige Päckchen, die heute Morgen noch nicht unter dem Baum gelegen hatten. Sie konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

„Es ist gerade Mal kurz nach Mittag. Willst du wirklich schon Geschenke verteilen?“, fragte sie.

„Ich?“, entgegnete Max unschuldig. „Ich wollte dich bloß drauf aufmerksam machen.“ Dann grinste er frech. „Aber du kannst die Päckchen ruhig aufmachen. Ich weiß schließlich, wie vorwitzig du bist.“

Spielerisch knuffte sie ihm in die Seite. Doch statt sich gleich über die bunten Pakete her zu machen, holte sie eine große Weihnachtstüte hinter der Couch hervor und reichte sie Max. Der lachte und küsste sie auf die Nase, bevor sie sich von ihm löste um ihrer Neugier nachzugeben und nach ihrem ersten Paket zu greifen. Was sich ein wenig wie ein Buch anfühlte, erwies sich als gerahmte Zeichnung von Pelle mit einer Nikolausmütze auf dem Kopf. Der dicke Katerkopf und die charakteristische Zeichnung des weichen Fells waren perfekt wiedergegeben und zauberten ihr ein Lächeln auf die Lippen. Da Max nicht malen konnte, musste er das Bild irgendwo in Auftrag gegeben haben. Ganz offensichtlich bei einem guten Künstler, der ihm etwas schuldete. Sonst wäre die Zeichnung sicher nicht so schnell fertig gewesen. Schließlich hatte Max Pelle vor einer Woche zum ersten Mal gesehen. Sophie drückte das Bild ans Herz und gab Max einen raschen Kuss.

„Danke!“, flüsterte sie und griff nach dem nächsten Päckchen. Es enthielt einen kuscheligen Norweger-Pullover in ihrer Größe, dessen Muster dem Exemplar ähnelte, das Max gerne trug. Es war allerdings in dunkelrot, statt in blau gehalten. Begeistert schlüpfte Sophie aus ihrer Fließjacke und streifte sich stattdessen den neuen Pulli über den Kopf. Er passte wie angegossen.

„Wann hast du das denn noch alles besorgt?“, fragte sie mit leicht geröteten Wangen.

„Das war der Weihnachtsmann!“, behauptete Max, der gerade den Inhalt seiner Tüte erforschte. Er fand darin ein Leuchthalsband für Asterix und ein Paar neue Reithandschuhe aus Leder. Sophie hatte offensichtlich bemerkt, dass seine alten kurz davor waren, den Geist aufzugeben. Außerdem lag am Boden der Tüte eine winzige rote Schachtel, mit glitzerndem Goldband umwickelt.

 

Vorsichtig nahm Max das letzte Geschenk in die Hand.

Sophie wirkte plötzlich sehr ernst.

„Max, ich weiß, das hier geht alles sehr schnell und es ist vielleicht nur eine Notlösung für dich, weil du nicht wusstest, wo du sonst hin sollst. Aber für mich fühlt es sich richtig an, dass du hier bist. Du und deine Tiere. Wollen wir es vielleicht noch einmal miteinander versuchen?“

Obwohl die kleine Schachtel ihr Geschenk an ihn gewesen war, nahm sie ihm das Päckchen ab, wickelte die Goldschnur auf und öffnete den Deckel. Darin lag ein Schlüsselbund.

„Haustür, Stall, Sattelkammer, Futterkammer …“, erläuterte Sophie. Weiter kam sie nicht.

Max verschloss ihr den Mund mit einem tiefen Kuss.

„Die Zeit mit dir war die beste in meinem Leben. Ich bin so dumm gewesen, dich zu verlassen. Den Fehler werde ich sicher nicht noch einmal machen, Sophie. Versprochen!“ Max Stimme wirkte heiser, aber seine Augen leuchteten.

Sophie warf einen kurzen Blick auf die Uhr. „Wir haben noch fast drei Stunden, bevor wir wieder in den Stall müssen.“

Max lachte. „Na, die sollten wir aber nutzen! Oder nicht, mein Schatz?“

 

Sophie nickte, dann zog sie ihn an der Hand in Richtung ihres Schlafzimmers. Max schaute sich neugierig um. Der Raum war genauso gemütlich eingerichtet, wie der Rest des Hauses, mit warmen Farben, weichen Stoffen und vielen Pflanzen. In der Ecke stand ein Regal voller Bücher, die aussahen, als wären sie mehr als einmal gelesen worden. Doch im Moment interessierte ihn das breite Bett mit den unzähligen Kissen und der flauschigen Decke am meisten. Sophie schien gerade ein wenig Angst vor ihrer eigenen Courage zu haben. Sie stand etwas unsicher mitten im Raum.

 

Langsam streichelte Max ihre Arme, küsste sie immer wieder sanft, bevor er seine Hände zum Saum ihres neuen Pullovers gleiten ließ und diesen vorsichtig anhob. Sophie half ihm, den Pulli über ihren Kopf zu streifen und zupfte dann an seiner Fließjacke. Max öffnete sie und ließ sie von den Schultern gleiten. So entledigten sie sich eines Kleidungsstückes nach dem anderen.

Obwohl die Temperatur im Schlafzimmer niedrig eingestellt war, begann Max Blut zu kochen, als Sophie nackt vor ihm stand. Die dicken Winterklamotten hatten bisher ihre perfekten Kurven und die klar definierten, schlanken Muskeln verborgen, die sie sich durch die tägliche Arbeit mit den Pferden und das Reiten erworben hatte. In Max Augen gab es keine schönere Frau als Sophie. Die blonden Locken fielen bis zur Mitte ihres Rückens, als sie sich umdrehte, um unter die Decke zu schlüpfen. Max folgte ihr rasch, denn es verlangte ihn danach zu erkunden, ob ihre Haut noch so weich war, wie er sie in Erinnerung hatte. Sophie empfing ihn mit offenen Armen. Ihr Liebesspiel war angenehm vertraut und doch aufregend neu. Max bemühte sich, seine Sophie nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen und erhielt genauso viel zurück.

 

Schließlich lagen sie erschöpft aber glücklich nebeneinander. Sophie hatte sich so dicht an Max gekuschelt, dass kein Blatt mehr zwischen sie gepasst hätte. Gedankenverloren spielte sie mit den weichen Haaren in seinem Nacken.

„Das ist das beste Weihnachtsgeschenk aller Zeiten“, flüsterte sie gegen seine Brust.

„Ja, das ist es!“, stimmte Max zu.

 

Endlich ein echtes Zuhause zu finden, war wirklich das beste Weihnachtsgeschenk aller Zeiten.

Impressum

Texte: C.J. Rivers
Cover: C.J. Rivers, Bildquellen: Erstellt mit Playground, Pixabay, bearbeitet
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2023

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