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Die Mutprobe

Diese blöde Wette! Meine blöde große Klappe! Blöder Alkohol. Blöder …

Laute, rhythmische Musik erklingt und meine sogenannten Kumpel fangen an zu grölen und mit den Füßen zu stampfen. Die Mädels kreischen schrill, während sie mit ihren Gläsern auf den Tisch klopfen. Ich halte mich im Hintergrund, damit niemandem auffällt, wie wenig begeistert ich bin. Zu sehen gibt es ohnehin noch nichts, weil Jorgo tatsächlich eine Art Glitzervorhang aufgetrieben hat, der die „Bühne“ von der „Garderobe“ abtrennt.

„Olli, Olli, Olli!“ tönt es aus einem guten Dutzend Kehlen.

Oh, Mann! Hätte ich doch bloß die Klappe gehalten, als wir auf Jorgos Junggesellenabschied in dieser Strip-Bar gelandet sind. Aber die Tussi an der Stange war so was von unmotiviert und ohne Gefühl für Rhythmus, dass ich es nicht lassen konnte, Olli zu fragen, ob er es nicht besser könnte, schließlich wäre er semiprofessioneller Tänzer. Sein wütendes Zischen kam zu spät, die anderen hatten meine Frage schon mitbekommen. Und die bohrten unerbittlich nach. Schließlich gab Olli zu, zehn Jahre lang zusammen mit seiner kleinen Schwester Tanz- und Ballettstunden besucht zu haben. Wer auf die Idee mit der Mutprobe gekommen ist, weiß ich nicht mehr. Warum Olli sich darauf eingelassen hat, auch nicht. Diese verrückte Zusatzbedingung kann unmöglich der Grund sein …

Ach, er wird sowieso nicht den Mut haben, hier vor uns allen die geforderte Performance hinzulegen, also muss ich auch nicht liefern.

Gerade steckt Jorgo mit einem dreckigen Grinsen den Kopf durch die Bahnen des Vorhangs und brüllt nach hinten: „Na, haste Schiss?“

Blödmann! Am liebsten würde ich den Stecker aus der Soundanlage ziehen und zusammen mit Olli verschwinden. Der ist allerdings gerade irgendwie nicht so gut auf mich zu sprechen, weil er mir das mit dem Ballettunterricht im Vertrauen erzählt hat. Anders kann ich mir seine komische Forderung nicht erklären.

 „Ich komme sofort!“ schallt es laut zurück.

Jorgo dreht sich um und brüllt: „Er kommt sofort!“, als hätten wir das nicht alle selbst gehört. Die Musik wird neu gestartet und das „Olli“-Gegrölle brandet wieder auf.

Und dann geht es tatsächlich los. Olli reißt den Vorhang auf und tritt mit einem großen Schritt hindurch. Ich erkenne ihn kaum wieder. Seine strubbeligen blonden Locken hat er mit Gel zu Stacheln hochfrisiert und … hat er etwa seine Augen mit Kajal betont? Die dunklen Pupillen sind sowieso der Hammer zu den hellen Haaren, aber jetzt sieht er einfach nur geil aus, wie ein Model oder ein Filmstar. Dabei trägt er nicht mal irgendwelche tollen Klamotten, sondern einen Hoody, Jeans und Sneaker.

Einen Moment lang steht Olli völlig regungslos da, lässt seinen Blick über die grölende Menge schweifen und runzelt die Stirn ein wenig. Dann senkt er die Lider und schüttelt leicht den Kopf. Ganz langsam fängt er an, sich im Rhythmus der Musik zu bewegen, bleibt dabei zuerst auf der Stelle stehen und lässt einfach seinen Körper mitschwingen. Mir wird unglaublich heiß. Wieso sieht das nur so erotisch aus?

Der erste Song endet und der nächste beginnt. Plötzlich explodiert Olli förmlich, er tanzt wie entfesselt, wirbelt um die eigene Achse und macht im Takt mehrfach eine Art Salto. Als er wieder auf dem Füssen gelandet ist, performt er noch ein wenig, bevor er sich den Hoody über den Kopf reißt und ihn hinter sich wirft. Sein Shirt ist hauteng und betont jeden einzelnen seiner schlanken Muskeln. Olli hat nicht ein Gramm Fett am Körper. Er dreht noch eine perfekte Pirouette und bleibt dann reglos, aber mit bebendem Brustkorb stehen. Wieder fliegt sein Blick durch den Raum, diesmal bleibt er an mir hängen. Ganz langsam wiegt er seinen Oberkörper im Takt hin und her, greift mit überkreuzten Armen an den Saum seines T-Shirts und zieht ein wenig hoch. Man sieht sanft gebräunte Haut, die Andeutung des perfekten Vs, das seine Lendenmuskeln bilden und … oh mein Gott! … einen goldenen Happy Trail. Zum Glück bedeckt Olli dieses lebendige Kunstwerk wieder, denn ich vergesse gerade, wie man atmet. Er grinst verwegen und wiederholt das Spiel ein paar Mal, gibt immer ein wenig mehr von seiner Vorderseite preis. Seine glatte Brust überrascht mich. Von einigen gemeinsamen Besuchen im Schwimmbad kenne ich sie eigentlich leicht behaart. Offensichtlich hat er sich extra für heute Abend rasiert.

Neckisch zeigt Olli erst die eine Brustwarze, dann die nächste. Sie haben sich zu kleinen dunklen Perlen zusammengezogen. Und plötzlich ist sein perfekter Oberkörper nackt, das Shirt hält er lose in der Hand. Wieder tanzt Olli ein wenig, immer passend zur Musik, bis er plötzlich seitwärts zu uns steht, das Shirt rhythmisch zwischen seinen Beinen durchzieht und Trockensex mit dem Stück Stoff hat. Seine geschmeidigen Bewegungen lassen keinen Zweifel daran, wie er Bett aussehen wird. Meine Kehle ist mittlerweile staubtrocken. Die Performance lässt mich alles andere als kalt.  Erregung rollt durch meine Adern wie glühende Lava.

Dabei habe ich schon viel mehr von ihm gesehen, immerhin trägt Olli noch seine Jeans. Als hätte er meine Gedanken gehört, sucht er meinen Blick, wirbelt dann einmal um seine Achse und schafft es tatsächlich sich die Sneaker elegant mit den Füßen abzustreifen. Oh Mann, wer sieht schon sexy aus, wenn er die Schuhe auszieht? Gerade habe ich die Antwort erhalten.

Als nächstes ist der Gürtel dran, den Olli in hohem Bogen hinter sich wirft. Danach stellt er sich breitbeinig seinem Publikum zugewandt hin und wippt provokativ mit den Hüften nach vorne. Seine Hände spielen am Reißverschluss der Jeans, ziehen ihn runter, halten die Hose aber noch zusammen. Olli wirbelt herum und präsentiert seinen perfekten, runden Arsch. Die Taschen der Jeans betonen den noch. Ich versuche verzweifelt zu schlucken, aber mein Mund hat sich in die Wüste Gobi verwandelt. Er lässt sich auf den Boden fallen und imitiert Liegestützen, allerdings mit soviel Hüftschwung, dass es genauso gut Ficken sein könnte. Geschmeidig spring er wieder auf und tanzt ein paar Schritte, präsentiert seinen tollen Oberkörper. Die Jeans rutscht tiefer und enthült den Saum seiner schwarzen Unterwäsche.

Plötzlich habe ich keine Lust mehr auf die Show. Ich will nicht, dass irgendjemand Olli halbnackt sieht. Blank ziehen wird er ja wohl hoffentlich nicht …

Oder doch? Gerade steigt er so sexy aus seiner Jeans, dass meine Knie nachgeben. Zum Glück stehe ich direkt an der Wand, sonst würde ich jetzt auf meinem Allerwertesten sitzen. Erwähnte ich schon, dass Ollis Hintern die Wucht ist? Er lässt sein Becken kreisen, streichelt sich über den Bauch und den Arsch. Wenn er beim Tanzen ins Publikum schaut, rückt er hin und wieder provokativ seinen Schwanz in den Boxer Shorts zurecht. Die ist zwar recht weit, verbirgt aber nicht, was er für ein leckeres Paket in der Hose hat. Plötzlich reißt er sich die Shorts mit einem Ruck von den Lenden und steht schwer atmend still. Er trägt nur noch einen winzigen String, ansonsten kann man alles sehen. Kleine Schweißperlen glitzern auf seiner Haut und sein Atem geht schwer. Jeder Muskel wirkt wie von einem Künstler modelliert. Ich habe noch nie einen schöneren Mann gesehen. Michelangelos David wirkt dagegen wie Quasimodo. Naja, außerdem ist der aus Stein und vibriert nicht vor Lebendigkeit. Ihm strömt auch nicht puren Sex aus jeder Pore.

Nach einem Augenblick verbeugt sich Olli mit der Eleganz einer klassischen Primaballerina.

Die Mädchen kreischen wie verrückt und skandieren: „Zugabe, Zugabe, Zugabe ...“, aber die Männer scheinen genug zu haben. Insgeheim vergleichen sie sich wohl mit Ollis Astralkörper und wenn wir ehrlich sind … kann dabei hier im Raum keiner gewinnen. Also klatschen die Kerle eher verhalten Beifall. Jorgo zaubert von irgendwoher einen Bademantel, den er Olli über die Schultern wirft, bevor noch eine der Tussis auf die Idee kommt, ihm Scheine in den Tanga zu stopfen.

Jemand reicht Olli eine Flasche Bier. Er trinkt mit großen, durstigen Schlucken und ich beobachte, wie sein Adamsapfel sich bewegt. Seit wann ist das so erotisch? Oder liegt es nur daran, wie aufgeheizt ich bin? Vielleicht sollte ich auch was trinken. Alkohol ist aber tabu. Ich brauche jetzt einen klaren Kopf.

Leider hat sich mein Gehirn schon vor einer ganzen Weile verabschiedet. War das, als Olli angefangen hat zu tanzen, als er das Shirt ausgezogen hat, oder als er seinen nackten Arsch präsentierte? Egal, das Ergebnis ist das gleiche. Ich kann keinen einzigen vernünftigen Gedanken fassen. Außerdem ist mir entgangen, wohin Olli verschwunden ist.

Wie jetzt? Das war doch erst seine Hälfte der Mutprobe! Was ist mit meiner Hälfte? Ich sollte erleichtert sein, bin aber plötzlich maßlos enttäuscht. Verärgert stoße ich mich von der Wand ab und suche meinen Weg nach draußen. In der kühlen Stille der Herbstnacht bemerkte ich erst, wie laut es in Jorgos Partyraum war. Die Musik scheint immer noch in meinen Ohren zu wummern, obwohl in Wirklichkeit nichts mehr zu hören ist. Gierig atme ich die frische Luft ein. Der Mond hängt tief am Himmel und taucht alles in sein kaltes Licht. Romantisch geht anders.

Hinter mir öffnet sich die Tür und wird gleich wieder geschlossen. Ich drehe mich nicht um, gefangen zwischen aufkeimender Hoffnung und der Angst, meine Hoffnungen endgültig begraben zu müssen.

Jemand tritt dicht an mich heran und warmer Atem streicht über meine Nacken. Arme schlingen sich um meine Brust und ich werde an einen schlanken, festen Körper gezogen. Ein Kinn presst sich auf meine Schulter.

„Ich habe meinen Teil eingehalten. Jetzt bist du dran.“ Ollis leise Worte jagen mir einen wohligen Schauer über den Rücken. „Sag es!“, fordert er. Sanft und doch nachdrücklich. So ist Olli.

Ich ziere mich noch ein wenig und knurre nur. Zur Strafe beißt Olli mich zärtlich ins Ohr, bevor er dreist mit der Zunge über meine Wange leckt.

„Iiihhhh. Das ist eklig!“, empöre ich mich, hauptsächlich um noch ein wenig Zeit zu schinden.

„Wenn du es endlich sagst, lecke ich dich ganz woanders. Mal sehen, ob du das auch eklig findest.“

Der Gedanke ist zu verführerisch. Ich kann ein erregtes Stöhnen nicht unterdrücken und spüre Ollis Grinsen an meiner feuchten Wange. Er reibt sich ein wenig an meinem Hintern und ich spüre seine Härte. Mir wird heiß und plötzlich möchte ich keine einzige Sekunde mehr verschwenden.

„Ich will dich!“ Meine Stimme ist so heiser, dass ich sie kaum erkenne. Aber sie ist fest und nur darauf kommt es an. Endlich habe ich es zugegeben. Ich begehre ihn. Ich will ihn nackt in meinem Bett, will seine Haut an meiner spüren und mit ihm das älteste Spiel der Welt spielen.

Ich drehe mich zu ihm um und unsere Lippen finden sich, als hätten wir das schon tausend Mal gemacht. Der Kuss ist einfach wunderbar, heiß und feucht, fordernd und alles gebend, verspielt, zärtlich und … ein Versprechen. Als wir uns voneinander lösen, lehnt Olli sich ein wenig zurück. Es ist zu dunkel, um den Ausdruck in seinen Augen zu erkennen, aber ich sehe sein glückliches Grinsen.

Oh Mann! Ja, es hat mich allen Mut der Welt gekostet, zuzugeben, wie sehr ich ihn begehre. Aber allein dieser Kuss war es wert und sein Lächeln ist ein einziges, sündiges Versprechen. Befreit lache ich auf und er stimmt ein. Die Zukunft ist wunderbar …

Impressum

Texte: C.J. Rivers
Bildmaterialien: Calibra auf Pixabay
Cover: C.J, RIvers
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2019

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