Stöhnend wand sich sein Gefährte im Fieber hin und her. Ransom zitterte furchtbar, obwohl er zu glühen schien. Allesso erhob sich, zog sanft die verrutschte Decke zurecht und tupfte seinem Geliebten den Schweiß von der Stirn. Unverständliche Worte vor sich hinmurmelnd, drehte der den Kopf weg. Dass sich auf seinen schmalen Wangen raue Bartstoppeln zeigten, war nur ein weiteres Anzeichen dafür, wie schlecht es Ransom ging. Normalerweise rasierte er sie jeden Morgen sorgfältig ab.
Obwohl der Abend warm war, schob Allesso ein neues Scheit in das kleine Feuer, das er entzündet hatte. Doch auch die Hitze der Flammen schien nicht auszureichen, um Ransom zu wärmen. Er fand einfach keine Ruhe. Nachdenklich blickte Allesso auf den liegenden Mann. Seinen Mann. Sie waren schon lange zusammen. Eine halbe Ewigkeit. Ransom war ihm eine echter Gefährte, nicht nur ein Wegbegleiter, wie so viele zuvor.
Doch nun war sein Gesicht trotz des Fiebers schneeweiß vor Schmerzen und als Folge des Blutverlustes. Unter den Augen schimmerten bläuliche Schatten. Strähnen seines schweißnassen Haares lösten sich aus dem langen, geflochtenen Zopf, während er sich unruhig bewegte. Sein Atem ging rasselnd.
Im Geiste dagegen sah Allesso strahlende Saphiraugen, von der Sonne übergoldete Haut und Haare in der Farbe wilden Honigs. Er hörte Ransom über einen Scherz lachen, hitzig mit anderen diskutieren und erregt keuchen, während er sich leidenschaftlich mit ihm vereinigte. Vor seinem inneren Auge erschienen Bilder seines Geliebten, kämpfend, tanzend und sich in dem uralten Rhythmus bewegend, den die Liebe vorgab. Niemals schien Ransom ganz still zu sein, immerzu sprühte er vor Leben und Leidenschaft.
Als Allesso erkannte, was er da gerade gedacht hatte, stellte er fest, dass Tränen aus seinen Augen rannen. Bisher war ihm nicht bewusst gewesen, dass er überhaupt weinen konnte. Doch auch wenn sein Herz sich noch verzweifelt gegen die Erkenntnis wehrte, so wusste er im Grunde, was längst außer Zweifel stand: Ransom würde sich von seinen Verletzungen nicht erholen.
Zum ersten Mal in seinem langen Leben verfluchte Allesso die Magie seiner Waffe. Folgte man den unzähligen Mythen und Legenden, die sich um sie rankten, so konnte sie durch bloße Berührung jede Wunde heilen.
Bisher hatte er über diese Geschichten nur gelacht. Noch nie hatte er sich gewünscht, dass sie der Wahrheit entsprechen mochten. Niemals. Dank seiner Stärke und Gewandtheit trug er selbst nur selten Verletzungen davon, wenn er in einen Kampf verwickelt wurde. Die wenigen Wunden, die er bisher empfangen hatte, waren rasch und ohne Narben zu hinterlassen geheilt. Menschen, die ihm am Herzen lagen, hatte er bisher immer zu beschützen gewusst.
Entgegen jeder Vernunft suchte er nach einem winzigen Kern von Wahrheit in den alten Geschichten und berührte seinen Gefährten verzweifelt ein um das andere Mal, probierte ihn durch seinen bloßen Willen mit der Magie der Waffe zu heilen.
Nichts geschah. Gar nichts.
Unbemerkt verdichteten sich die Schatten unter den Bäumen und die Nacht brach an. Das kleine Feuer bildet jetzt einen zuckenden Lichtkreis in der Dunkelheit und gaukelte Allesso vor, dass Ransom sich weiterhin bewegte. Aber seinen Gefährten verließen allmählich die Kräfte. In seine einst makellose Stirn hatten sich tiefe Kerben eingegraben und um seinen Mund lagen tiefe, schmerzhafte Falten. Seine Brust hob sich bei jedem Atemzug nur noch mühsam. Immer wieder spannte er sich an, um dann gequält zu stöhnen.
Auch Weisheit sollte die Waffe angeblich verleihen. Davon spürte Allesso nicht das Geringste. Wütend schnaubte er auf. Nur Zorn und Trauer erfüllten sein Herz. Schon lange wusste er tief im Inneren, dass es nur noch einen einzigen Weg gab, seinem Gefährten zu helfen. Seine Verzweiflung stieg mit jedem leisen Keuchen, das ihm verriet, wie sehr Ransom sich quälte.
Schließlich erhob sich der Mond voll und rund über den Wipfeln der hohen Bäume. Die Lichtung wurde in ein silbern schimmerndes Licht getaucht.
Allesso durfte nicht mehr länger warten. Zärtlich küsste er seinen Gefährten zum allerletzten Mal, teilte ihm wortlos mit, dass alles, was nun passieren würde, aus Liebe geschah.
Dann senkte er in einer schnellen Bewegung sein Haupt. Zielsicher schnitt die Waffe durch Fleisch und Knochen, als wären sie nicht vorhanden, und fand das mühsam schlagende Herz. Sie erlöste den Mann, den Allesso mehr als das Leben selbst liebte, von allen irdischen Qualen.
Allein. Wieder allein und einsam wie niemals zuvor. Mit einem wilden Schrei voller Liebe und Schmerz bäumte Allesso sich auf. Der qualerfüllte Laut ließ alle lebenden Wesen im Wald verstummen. Selbst der Wind schwieg, während das Mondlicht Allessos Mähne und das blutige Horn auf seiner Stirn versilberte.
Nichts, was atmet, gibt einen Ton von sich, wenn ein Einhorn trauert …
*** Ende ***
Texte: C.J. Rivers
Bildmaterialien: pixabay.com, bearbeitet
Lektorat: Nicht lektoriert.
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2015
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