Cover

Über die Serie 'Queery Tales':

Es war einmal ... 

 

Märchen gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen.

Märchen berühren, faszinieren, laden zum Träumen ein.

Märchen kennt jeder.

 

Aber nun wird ein neues Kapitel im Märchenbuch aufgeschlagen: Die Queery Tales erzählen von Prinzen, die einen Prinzen suchen, von Müllerssöhnen, die eine Prinzessin und das halbe Königreich ausschlagen, um einem dunklen Fremden zu folgen, und von bösen Wölfen, die einen Mann nur sprichwörtlich zum Fressen gern haben. Kurz gesagt, in den Queery Tales wird mal klassich, mal modern erzählt, wie märchenhaft die Liebe unter Männern sein kann. In der Serie werden Geschichten verschiedener Autoren veröffentlicht, die jeweils in sich abgeschlossen sind.

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute …

 

Das vorliegende Märchen beruht lose auf "Der gestiefel Kater" von den Brüdern Grimm. Wie immer in der Serie "Queery Tales"ist die Geschichte romantisch und enthält eine winzige Prise Erotik.

 

Sie kann unabhängig zu den bereits vorliegenden Bänden gelesen werden.

 

1. "Queery Tales: Auf magischer Reise" von Seth Ratio

2. "Queery Tales: Siebenschön" von C.J. Rivers

3. "Queery Tales: Der gesteifelte Kater" von C.J. Rivers

 

 

Über dieses Buch

Der gestiefelte Kater

 

Als seine Brüder ihn in einer eiskalten Winternacht aus dem Haus jagen, weiß Jonah noch nicht, wohin sein Weg ihn führen wird. Ein merkwürdiger Kater und ein geheimnisvoller Fremder sorgen dafür, dass sein Schicksal eine erstaunliche Wendung nimmt. Aber sollte man sein ganzes Leben wirklich auf einer Lüge aufbauen?

  

Ein romantisches Märchen für Erwachsene, sehr frei erzählt nach Motiven der Brüder Grimm.

1. Brüder

Es war einmal ...

 

 

Gelegen an einem breiten Fluss stand eine ehrwürdige Windmühle, deren prächtige Flügel schon von Weitem ihren Reichtum verkündeten.

Dort lebte und arbeitete der alte Müller Heinrich mit seinen drei Söhnen, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Bruno, der älteste, war ein rechter Grobian: laut, ungehobelt und so stark wie ein Bär. Ohne Mühe wuchtete er die schweren Säcke mit Korn oder Mehl an ihren Platz und kam dabei noch nicht einmal ins Schwitzen. Freundlichkeit war seinem Wesen fremd und die Kinder der Bauern versteckten sich vor ihm hinter den Rücken ihrer Väter, wenn sie diese in die Mühle begleiteten.

Für den Handel war deshalb der mittlere Bruder zuständig. Mit seiner flinken Zunge konnte Odo jeden beschwatzen, solange er gute Laune hatte. War er allerdings missmutig, trafen seine Worte härter, als Brunos mächtige Faust das je gekonnt hätte. Die Frauen der Bauern fürchteten ihn, weil er niemals Mitleid zeigte und unerbittlich um den letzten Heller verhandelte, auch wenn die Ernte einmal schlecht ausgefallen war und ihre Familien Hunger leiden mussten.

Der jüngste Sohn des Müllers dagegen war so sanftmütig wie ein Lamm und träumte auch schon einmal gerne in den Tag hinein. Wann immer es seine Zeit zuließ, steckte Jonah seine Nase in ein Buch oder spielte fröhliche Weisen auf seinen selbst hergestellten Holzflöten. Heinrich sah es seinem Jüngsten nach, wenn er mit den Kindern Faxen machte und ihnen zeigte, wie man aus dem weichen Holz der Weiden, die neben dem Mühlbach wuchsen, Tiere oder kleine Instrumente schnitzte. Ihre Eltern erfreute Jonah mit den wunderbaren Melodien, die er daraus hervorlockte und die es stets schafften, ein glückliches Lächeln auf die Lippen der Menschen zu zaubern, die ihm lauschten.

Jonah besaß ein goldenes Herz und hatte für jeden stets ein gutes Wort übrig. Heinrich ahnte, dass viele Bauern und Handwerker seine Mühle allein wegen Jonahs Freundlichkeit aufsuchten. Der Junge konnte keinem ein Leid zufügen. Niemals hätte er einen der Männer betrogen oder geduldet, dass eine der Frauen nicht genügend Korn übrig behielt, um ihre Familie über den Winter zu bringen. Auch zu Tieren war Jonah stets freundlich. Spinnen fing er vorsichtig ein und trug sie hinaus, statt sie zu erschlagen. Wenn er ein verletztes Vögelchen fand, erbarmte er sich des Tieres und pflegte es behutsam gesund.

Traurig bemerkte der alte Heinrich, dass sein Jüngster manchmal zu vertrauensvoll war. Einmal wollte er einen Fuchs aus einer Falle befreien und wurde heftig gebissen. Auch nicht alle Menschen verstanden, dass Jonahs Sanftmut keine Schwäche war, und versuchten ein ums andere Mal, seine Gutmütigkeit gnadenlos auszunutzen. Es brach Heinrich beinahe das Herz, wenn er seinen Sohn danach statt einer fröhlichen eine tieftraurige Melodie auf seiner Flöte spielen hörte.

Dabei wusste er noch nicht einmal, dass Bruno seinem jüngeren Bruder mit Vorliebe feste Kopfnüsse versetzte, sobald er sich sicher war, dass niemand hinsah, und Odo ihn stets hänselte, kaum dass der alte Müller außer Hörweite war.

 

Heinrich liebte jeden seiner drei Söhne auf seine eigene Weise mit der Inbrunst, die nur ein Vater aufbringen konnte. Er schätzte ihre Stärken und suchte nach Entschuldigungen für ihre Schwächen. In die Zukunft jedoch blickte der alte Mann mit großer Sorge. Wie würde es nur mit den dreien und der Mühle weitergehen, wenn er nicht mehr zwischen ihnen vermitteln könnte? Immer noch hoffte er von ganzem Herzen, dass die Vernunft siegen und sich seine Söhne irgendwie einigen würden. Deshalb beschloss er, den dreien die Mühle und sein Vermögen zu gleichen Teilen zu hinterlassen.

Weil Jonah die schönste Handschrift hatte, rief Heinrich ihn zu sich. Zuerst weigerte sich der junge Mann aufzuschreiben, was sein Vater ihm da in die Feder diktieren wollte. An dessen Tod mochte er nicht denken. Letztendlich fügte er sich mit Tränen in den Augen und notierte sorgfältig, was der alte Müller ihm auftrug. Ordentlich versiegelte Heinrich das Schriftstück und legte es zu den anderen wichtigen Dokumenten und Geschäftspapieren in seinem großen Geldschrank im Arbeitszimmer. Die schwere, eisenbeschlagene Tür wurde stets mit einem großen Schlüssel zugesperrt, den Heinrich niemals in fremde Hände gab, sondern immer zusammen mit seinem Siegel in einem kleinen Lederbeutel um den Hals trug.

Weder Heinrich noch Jonah ahnten, dass Odo wieder einmal an der Tür gelauscht hatte und sofort zu Bruno lief, um ihm von dem Testament zu erzählen.

„Was?“, schrie der voller Zorn. Odo sprang schnell zur Seite, bevor sein unbeherrschter Bruder den Überbringer der schlechten Nachricht mit seinen wütend zusammengeballten Fäusten bestrafen konnte. „Die Mühle sollte alleine mir gehören, schließlich bin ich der erstgeborene Sohn! Habe ich nicht jeden Tag im Schweiße meines Angesichtes schwere Mehlsäcke getragen, während der Kleine in der Sonne gesessen und auf seiner dumme Flöte gespielt hat?“

„Natürlich steht dir Löwenanteil des Erbes zu!“, pflichtete ihm Odo sofort zu. Gerissen wie er war, erkannte er augenblicklich die Chance, die unbeherrschte Wut seines älteren Bruders in eine bestimmte Richtung zu lenken. Listig erwähnte er dabei nicht, dass er selbst und Jonah ebenso hart arbeiteten wie Bruno, sondern ließ den Älteren erst einmal toben, nickte immer wieder zustimmend und fügte dann scheinheilig an: „Recht hast du! Es ist nicht fair, dass der kleine Träumer auch nur einen roten Heller bekommt, wo er das Geld am liebsten an Bedürftige verschenken würde. Ich dagegen weiß, was es wert ist. Schließlich habe ich jeden einzelnen Tag damit verbracht, mit den Bauern um ihr Korn zu handeln, um so den besten Preis für uns zu erzielen!“

Die beiden sahen sich an und selbst Bruno, der nicht gerade mit Klugheit gesegnet war, verstand, dass sie die Mühle gemeinsam besser weiterführen konnten, als er alleine dazu in der Lage wäre. Ein wortloses Nicken und ein Handschlag bekräftigte ihre unausgesprochene Vereinbarung: Egal, was in dem Testament ihres Vaters stand, das Erbe würde nur durch zwei und nicht durch drei geteilt werden.

 

Gegenüber dem alten Heinrich ließen sich die beiden Brüder nichts anmerken, sondern gingen wie üblich ihrer Arbeit nach. Ihren Zorn schütteten sie über Jonah aus, der gar nicht wusste, wie ihm geschah. Kleine Gemeinheiten war er von seinen Brüdern gewöhnt, aber nun schienen sie gar kein Ende mehr zu nehmen, sondern wurden zunehmend brutaler. Mit seiner schmalen, schlaksigen Gestalt hatte Jonah Brunos gemeinen Knüffen und Boxhieben nichts entgegenzusetzen. Ebenso wenig konnte er sich mit seiner ruhigen und freundlichen Art Odos scharfer Zunge erwehren. Besonders tief verletzte es Jonah jedoch, als sich seine Brüder zusammentaten und ihn gnadenlos damit aufzogen, dass er sich zu Männern hingezogen fühlte. Schließlich konnte er für sein Begehren so wenig wie für die Farbe seiner Augen.

Gegenüber seinem Vater erwähnte Jonah die derben Späßen, die harten Schläge und gemeinen Demütigungen niemals. Er verbarg seine blauen Flecken und seine Tränen, um dem alten Mann den Kummer über den Zwist in seiner Familie zu ersparen.

Allerdings entging Heinrich nicht, dass sein Jüngster der Flöte nur noch traurige Melodien entlockte. An einem Herbsttag verstummte das Instrument schließlich völlig und Jonah war nicht mehr dazu zu bewegen, es wieder in die Hand zu nehmen.

Hinter Heinrichs Rücken hatten Odo und Bruno dem Sohn des Bäckers gesteckt, dass ihr kleiner Bruder ihn heimlich anschmachtete. Fassungslos musste Jonah sich zuerst das höhnische Gelächter seines Schwarms anhören. Dann bekam er Prügel angedroht, wenn er sich jemals wieder in der Nähe der Bäckerei blicken lassen sollte, und schließlich nannte man ihn einen ‚widerlichen Sodomiten'.

 

Zusätzlich machte sich Jonah zunehmend schreckliche Sorgen um seinen Vater. Mit der Gesundheit des alten Mannes stand es nicht zum Besten. Je kühler die Tage wurden, desto schlimmer plagte ihn ein trockener Husten und er mochte kaum noch etwas essen, egal wie viel Mühe Jonah sich gab, schmackhafte Mahlzeiten zuzubereiten. Langsam wuchs in ihm die Angst, dass Heinrich den Winter nicht überleben würde.

Seine älteren Brüder teilen Jonahs Befürchtungen nicht, sondern verfolgten unbeirrt ihren finsteren Plan. Während Bruno ungeduldig auf eine Gelegenheit wartete, seinem Vater heimlich den Schlüssel zum Geldschrank und das Siegel zu entwenden, übte sich Odo verbissen daran, Jonahs ordentliche, geschwungene Handschrift und die etwas krakelige Signatur seines Vaters nachzuahmen. Die Frage war schon lange nicht mehr, ob sie das Testament austauschen sollten, sondern nur noch wie und wann.

Als Heinrich mit seinen Söhnen am Heiligen Abend die Christmette besuchen wollte, sahen die beiden Verschwörer ihre Chance gekommen. Mit falscher Freundlichkeit half Bruno seinem Vater beim Bad und konnte dabei den Schlüssel und das Siegel unbemerkt an sich nehmen. In Windeseile tauschten die Brüder das echte Pergament ihres Vaters gegen eine von Odo erstellte Fälschung aus, die sie zu Alleinerben machte und Jonah nicht berücksichtigte. Dabei ließen sie einander nicht aus den Augen, weil sie mittlerweile nur allzu gut wussten, wozu der jeweils andere fähig war. Dass sie einander brauchten, hieß noch lange nicht, dass sie einander auch trauten.

 

In einer der eiskalten Raunächte zwischen Weihnachten und dem Jahreswechsel hörte Heinrichs Herz einfach auf zu schlagen. Jonah, der an seinem Bett gewacht hatte, schloss ihm sanft die Augen und weinte still vor sich hin. Dass das Erbe seines Vaters aus ihm einen wohlhabenden Mann machen würde, war ihm völlig gleichgültig. Er vermisste ihn schon jetzt und hätte sein letztes Hemd gegeben, nur um ihn wieder lebendig und gesund zu sehen.

Die Beerdigung des alten Müllers fand am Morgen des Neujahrstages statt. Der Boden war so hart gefroren, dass ein Dutzend Männer im Schweiße ihres Angesichts ihre Mühe hatten, das Grab ausreichend tief auszuheben. Jonahs Tränen gefroren in der eisigen Kälte auf seinen Wangen zu glitzernden Eiskristallen.

Nach der Beisetzung versammelten sich die Brüder und der Amtmann im Arbeitszimmer des Müllers. Odo hatte wortreich darauf bestanden, dass jemand ‚Offizielles‘ den Geldschrank öffnen und das Siegel brechen solle, um das Testament zu verlesen. Sprachlos musste sich Jonah nun anhören, dass seine Brüder alles erben sollten, während er leer ausging. Er wusste, dass er betrogen worden war, auch wenn das Papier scheinbar seine Handschrift trug und der Amtmann wichtigtuerisch die Unterschrift seines Vaters prüfte, um dann ihre Echtheit zu bestätigten. Niemand würde Jonah glauben, dass das Schriftstück eine Fälschung war. Das unheilvolle Lächeln seiner Brüder ließ finstere Vorahnungen in ihm aufsteigen.

Jonah behielt Recht. Die beiden machten mehr als deutlich, dass sie ihn nicht einen Tag länger unter dem Dach dulden würden, das ihnen gemäß dem angeblichen Testament jetzt alleine gehörte. Bruno ballte immer wieder drohend die Fäuste und in Jonah wuchs die Gewissheit, was ihm blühte, wenn er sich nicht beeilte, die Mühle zu verlassen.

 

2. Weggefährten

Während seine Brüder noch mit dem Amtmann anstießen, floh Jonah hastig aus dem Arbeitszimmer seines Vaters in die Dachkammer, in der er sein Leben lang geschlafen hatte. Dort füllte er ein kleines Bündel mit den wenigen Besitztümern, die er sein eigen nannte, und stürmte in die eisige Nacht hinaus. Nur der kalte Glanz der Sterne erhellte die dunklen Straße, über die Jonah rannte, um möglichst viel Raum zwischen sich und das Haus seiner Kindheit zu bringen. Rasch zwangen ihn der scharfe, eisige Wind und einsetzendes Schneetreiben dazu, unter einer alten Steinbrücke Zuflucht zu suchen. Eingehüllt in seinen dicken Wintermantel würde Jonah wohl ein paar Stunden im Freien überleben, schließlich war er jung und gesund. Bei Tageslicht würde er nach einer Gaststätte Ausschau halten, in der er sich aufwärmen, etwas essen und darüber nachdenken konnte, wie es weitergehen sollte.

 

Mit diesem tröstlichen Gedanken kauerte sich Jonah in einer windgeschützten Ecke hinter einem der Brückenpfeiler zusammen. Unerwartet drang ein leises, jämmerliches Wimmern an sein Ohr. Suchend schaute Jonah sich um und fand schließlich einen alten, ledernen Sack, der mit einer silberen, unnatürlich leuchtenden Schnur verschlossen war und halb im Wasser lag. Er bewegte sich in der Strömung leicht hin und her und drohte jeden Moment von ihr davongetragen zu werden.

Als ein neues Geräusch erklang und sich etwas schwach in dem Sack bewegte, griff Jonah unwillkürlich zu, obwohl die schimmernde Kordel ihn misstrauisch stimmte. Mit Magie war nicht zu scherzen und wer wusste schon, welche Kreatur sich unter dem feuchten Leder verbarg?

 

Sein weiches Herz besiegte seine Zweifel. Er konnte kein lebendes Wesen leiden lassen. Mit vor Angst und Kälte zitternden Fingern löste Jonah den silbrigen Knoten und öffnete den Ledersack. Darin erblickte er einen großen, schwarzen Kater, der so schwach war, dass er sich kaum noch regen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: C.J. Rivers
Bildmaterialien: Kooky Rooster
Lektorat: Seth Ratio, Savanna Lichtenwald
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2015
ISBN: 978-3-7396-2795-3

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