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Prolog

Alejandro

 

Sie kamen bei Nacht. Männer! Ich hörte die Schreie und das grausame Lachen, lange bevor sie das Haus betraten. Verschlafen rieb ich mir die Augen. Die fremden Stimmen waren laut und beängstigend und am liebsten hätte ich mich ins Bett meiner Eltern geflüchtet. Mein Herz pochte vor Furcht. Erst recht, als ich die schrillen Schreie meiner Mutter hörte und gleich darauf ein lautes Poltern. Im Erdgeschoss war etwas umgefallen.

Doch dann hörte ich die Stimme meines Vaters – sie klang autoritär und laut, so wie ich sie kannte. Kurze Zeit später war sie dann aber eher unsicher, fast schon ängstlich. Das konnte nicht mein Padre sein. Er hatte mir gesagt, dass ein Mann mutig sein müsse, um diejenigen zu beschützen, die er liebte. So hatte er es mir beigebracht. Ein Junge weint nicht, er ist immer stark und mutig. Und ich hatte ihm geglaubt.

Mich hielt nichts mehr in meinem Bett. Unsicher tapste ich zur Tür meines Kinderzimmers, doch bevor ich diese öffnen konnte, wurde sie bereits aufgerissen und meine ältere Schwester stürmte in den Raum.

„Alejandro“, flüsterte sie. „Wir spielen jetzt ein Spiel! Das magst du doch so gerne.“ Komisch! Luciana spielte nie mit mir und erst recht nicht bei Nacht. Normalerweise floh sie, wenn ich mit ihr Ballspielen wollte oder sie dazu drängte, mit mir zu den Pferden zu gehen. Ich konnte spüren, dass etwas nicht in Ordnung war – erst recht, nachdem das Grölen im Erdgeschoss immer lauter wurde.

Aufgeregt sah Luciana sich um und schob mich Richtung Fenster. Ohne ein Wort zu verlieren öffnete sie es und hob mich nach draußen auf das Dach der Veranda. In meinem Schlafanzug stand ich auf den warmen Ziegeln und sah Luciana an. Ich verstand überhaupt nicht, was das sollte. Wollte sie etwa Verstecken spielen? Jetzt?

„Hör mir gut zu, Alejandro! Du wirst jetzt ganz leise sein und zur Rückseite des Hauses gehen. Dann kletterst du die Leiter runter und versteckst dich. Ich fange an zu zählen und wenn ich … Ich komme dich suchen – versprochen!“ Wieder drangen laute Rufe und Mutters Schreie zu uns hinauf und ich konnte sehen, dass Luciana bei jedem Geräusch zusammenzuckte. „Und du gibst keinen Laut von dir, Alejandro. Hast du das verstanden? Immerhin möchte ich es nicht zu leicht haben und wirklich suchen müssen.“ Sie lächelte mich an und obwohl ich erst neun Jahre alt war, konnte ich sehen, dass es nicht echt war. Lucianas Lächeln war normalerweise viel hübscher.

Sie gab mir einen leichten Stoß und ich setzte mich in Bewegung. Wie ein Indianer auf dem Kriegspfad, schlich ich ums Haus herum. Ein Schatten, den niemand sehen durfte. Schon bald erreichte ich die Rückseite der Hazienda. Flink kletterte ich die Metallleiter herunter. Wenn Madre wüsste, dass ich das schon sehr oft gemacht hatte, sie würde mich für den Rest meines Lebens einsperren. Und Eis bekam ich dann wahrscheinlich auch keins mehr.

Gebückt huschte ich durch das Blumenbeet, vorbei an der großen Terrasse, achtete dabei aber darauf, dass ich nicht ins Licht des hell erleuchteten Pools geriet. Ich musste an den großen Fensterscheiben vorbei, die zu unserem Wohnraum gehörten und ich warf einen raschen Blick ins Zimmer. Abrupt blieb ich stehen. Da waren sie – die Männer. Die Männer, deren Stimmen mich geweckt hatten. Aber wieso waren sie maskiert? Wieso verwüsteten sie unser Wohnzimmer?

Mein Vater empfing oft Besucher auf der Farm, aber doch nicht solche. Eher nette Männer und Frauen, die mir Geschenke mitbrachten und mir lächelnd über den Kopf streichelten – auch wenn ich das nicht mochte.

Dann erst bemerkte ich meine Mummy. Sie lag auf der Couch, die Röcke waren hochgerutscht und ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Da war Blut – es rann über ihre Schenkel und machte den fremden Mann, der sie auf das Sofa drückte und zwischen ihren Beinen kniete, ganz schmutzig. Meine Mutter wimmerte und Tränen liefen über ihr weißes Gesicht. Dieser Mann – er tat ihr weh. Das durfte er nicht. Er durfte meiner Mummy nicht wehtun.

Ich stürmte nach vorne, wollte ins Wohnzimmer, doch im gleichen Moment fing mich der Blick meines Vaters ein. Furchtbare Angst zeichnete sein Gesicht, als er mich erkannte. Er warf mir einen traurigen Blick zu und ganz plötzlich wusste ich, dass diese Nacht mein Leben für immer verändern würde. Die Männer waren böse Männer und …

Mein Padre brüllte plötzlich auf und warf sich gegen den Fremden, der ihn die ganze Zeit festgehalten hatte. Ein Schuss krachte – dann noch einer und mein Daddy fiel. Ich hörte meine Mutter schreien, während Vater auf dem kalten, weißen Marmor lag und sich eine rote Pfütze unter ihm breitmachte. Blut sickerte aus seinen Mundwinkeln, tropfte zu Boden und bedeckte jetzt auch den hellen Teppich, den meine Mummy so sehr liebte. Er schaute mich noch immer an, doch etwas stimmte nicht. Seine Augen wirkten jetzt anders – so starr und …

Letzte Woche war mein Hund gestorben. Billy! Dessen Augen hatten genauso ausgesehen – leblos. Erst in diesem Moment begriff ich, dass mein Padre zu Gott gegangen war. Dass er Mummy und mich mit den bösen Männern alleine gelassen hatte. Sie schrie noch immer und jetzt flog mein Blick wieder zu ihr. Ich sah, wie der Mann der ihr wehtat ausholte und sie ohrfeigte. Madres Kopf flog nach hinten und ihr Peiniger hob erneut seine Hand – dieses Mal nahm er die Faust. Immer und immer wieder schlug er zu – solange, bis Mummys Gesicht nur noch eine blutige Masse war. Starr vor Entsetzen stand ich zwischen den Büschen und traute mich nicht, mich zu bewegen. Ich wusste: Würden diese Männer mich finden, würden sie auch mir wehtun – solange, bis auch ich bei Gott sein würde. Ich wusste, sie würden auch vor einem kleinen Jungen nicht haltmachen. Diese fremden Männer besaßen keine Ehre. Nicht so wie mein Padre. Plötzlich flog der Kopf meiner Mutter nach hinten und danach wurde es still – sie bewegte sich nicht mehr. Ihr Mund war zum Schrei geöffnet, doch der würde nicht mehr kommen. Niemand würde ihn mehr hören.

Keiner hatte ihr geholfen. Nicht mein Vater, nicht die Angestellten unserer Hazienda und ich auch nicht. Die Fremden waren gekommen und hatten meine Eltern getötet. Madre und Padre – die ich über alles liebte.

Heiße, brennende Tränen liefen über meine Wangen. Luciana hatte es gewusst. Sie hatte mich mit Absicht aus dem Haus geschickt. Zu den Stallungen sollte ich gehen und mich dort verstecken. Dort wollte sie mich holen kommen, dort sollte ich …

 

Schreiend erwachte ich aus diesem Alptraum, der mich Nacht für Nacht verfolgte. Seit dreiundzwanzig Jahren schlüpfte ich in die Rolle des kleinen Jungen von damals, der hilflos mitansehen musste, wie seine Eltern regelrecht abgeschlachtet wurden. Nicht immer war der Traum so intensiv wie gerade eben und ich fragte mich, ob es damit zusammenhing, dass sie heute meinen Weg kreuzte. Sie, die mir die Möglichkeit gab, an die Männer aus der Vergangenheit heranzukommen.

Monatelang war ich einer vielversprechenden Quelle auf den Fersen gewesen und dann gab mir dieser Kerl plötzlich die ideale Waffe an die Hand, um zu bekommen was ich wollte. Ich wollte Informationen und er besaß etwas, dass er unter allen Umständen beschützen wollte. Es war eine Frau. Eine ganz besondere Frau. Diejenige, die schon bald die seine sein sollte. Heute war ich ihr in Barranquilla begegnet und schon bald würde sie sich wünschen, Drago Leonov, ihrem Verlobten, niemals begegnet zu sein. Bald schon würde sie hoffen, dass sie Kolumbien heil wieder verlassen konnte. Ich sah sie und wusste: Sie würde das perfekte Werkzeug meiner Rache sein und sich schon bald in meinen Händen befinden …

 

 

Kapitel 1

 

Noelle

 

Baranquilla war genauso, wie ich es erwartet hatte. Die Häuser im spanischen Stil, die Armut zum Teil erschreckend und laut war diese Stadt auch. Eigentlich so gar nicht meines und das hätte Drago auch wissen müssen. Immerhin kannten wir uns bereits seit unserer Kindheit und überfüllte Städte schreckten mich schon immer ab. Lange hielt ich es zwischen all den Menschen und dem Verkehr nicht aus, doch Drago hatte mich mit den Worten geködert, dass er etwas ganz Besonderes geplant habe und so hatte ich mich in das Unvermeidliche gefügt. Sehr schnell begriff ich allerdings, dass wir nicht nur zum Vergnügen in Barranquilla haltmachten.

Nachdem Drago für uns eine Suite im Carlton gebucht und wir eingecheckt hatten, bekam ich ihn so gut wie gar nicht mehr zu Gesicht. Geschäfte, hieß es von seiner Seite. Nichts, womit ich mein hübsches Köpfchen belasten müsste. Doch genau das war es, was mich in den letzten Wochen beschäftigte – die Art von Dragos Geschäften.

Seit drei Wochen waren wir bereits mit seiner Yacht, der Golden Pleasure, in der Karibik unterwegs. Zuerst in der Dominikanischen Republik, dann waren wir zu den Jungferninseln weitergereist und später an der Küste Venezuelas entlanggefahren. Und immer wieder hatte es Besuche von Dragos Geschäftspartnern auf der Yacht gegeben. Von Männern, die ebenso finster wie wenig vertrauenerweckend wirkten. Männer, denen ich bei Nacht keinesfalls irgendwo auf der Straße begegnen wollte. Sie hatten alle etwas an sich, dass mich frösteln ließ. Und bewaffnet waren die meisten von ihnen auch. Drago mochte glauben, dass ich naiv und leichtgläubig war, aber bei den meisten seiner Besucher stand groß auf der Stirn geschrieben: Vorsicht, Killer im Anzug! Das war genau die Art von Menschen, mit denen ich nichts zu tun haben wollte – doch anscheinend wurde ich nicht danach gefragt.

Während ich diese finsteren Gedanken in meinem Kopf hin- und herwälzte, ließ ich mich seufzend in einem Straßencafé in der Nähe des Carlton nieder. Ich hatte genug vom Sightseeing und dem Bodyguard, der Dragos Stelle an meiner Seite vertrat. Shopping war auch nicht meins, deshalb war das kleine Straßencafé meine Rettung. Ich setzte mich in den Schatten und griff nach einer bereitliegenden Zeitung. Es gab sogar eine englischsprachige Ausgabe und nachdem ich mir einen Espresso bestellt hatte, begann ich zu lesen. Viel gab das Blättchen nicht her, aber zumindest musste ich mich, solange ich las, nicht mit meinem Aufpasser beschäftigen. Der hatte sich in fünf Metern Entfernung an einen weiteren Tisch gesetzt und behielt mich im Auge – das nervte kolossal. Ich wusste, dass Drago extrem sicherheitsbewusst war, aber dass er mich so überwachen ließ, war auch eine Sache, über die ich mit ihm reden musste. Das ging gar nicht – ebenso wenig, wie seine seltsamen Geschäfte. Sollte er in Drogenhandel oder ähnliches verwickelt sein, dann konnte er machen, was er wollte – dann war ich aus der Nummer raus. Egal, ob unsere Eltern die Verbindung wünschten oder nicht.

Der Espresso schmeckte erstaunlich gut und während ich die Tasse absetzte, schaute ich mich verstohlen um. Am Tisch neben mir saß eine junge Familie und die drei aßen Eis. Der kleine Junge zappelte und wackelte auf dem feinen Bistrostuhl herum, dass ich befürchtete, er würde gleich fallen. Die gleichen Sorgen schienen auch seine Mutter zu quälen, denn die ermahnte ihren Spross immer wieder, er möge doch endlich stillsitzen. Es war so drollig, den beiden zuzusehen, dass ich unwillkürlich lächelte – allerdings nur solange, bis mein Blick auf ihn fiel.

Er saß keine drei Meter von mir entfernt und seine dunkelblauen Augen fixierten mich auf eigentümliche Weise. Allerdings konnte auch ich nicht von mir behaupten, dass ich ihn nicht ebenso anstarrte wie er mich. In meinem ganzen Leben hatte ich noch keinen so aufregenden Mann gesehen. Er war groß und durchtrainiert. Das konnte ich erkennen, obwohl er saß. Die winzigen Stühle des Cafés schienen nicht für ihn gemacht zu sein. Das dunkelblaue Jackett spannte sich über breite Schultern und das weiße Hemd stand so weit offen, dass ich einen wunderbaren Ausblick auf den Ansatz seiner Muskulatur hatte – die war im Übrigen atemberaubend. Sein Gesicht war kantig und ein dunkler Bartschatten bedeckte sein Kinn, während ihm das volle, etwas längere Deckhaar verwegen in die Stirn hing. Seine Augen waren es allerdings, die mich vollkommen in den Bann schlugen. Noch nie hatte ein Mann mich mit einer solchen Intensität angesehen – fast so, als wolle er mich mit seinen Blicken ausziehen. Seine Blicke glitten über meinen Körper, als würde ich bereits ihm gehören und Ärger machte sich in mir breit. Das war unverschämt und nicht tolerabel – zumindest nicht für mich.

Der Fremde begann zu lächeln, … fast so, als ob er wüsste, was ich gerade dachte und dabei ließ er durchblicken, dass ihm meine Meinung ziemlich egal war. Anzüglich wanderten seine Augen über mein Gesicht und blieben schließlich an meinen Lippen hängen. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn ebenfalls anzustarren. Finster und abweisend, doch das machte keinerlei Eindruck auf ihn. Ich konnte von Glück reden, dass Drago nicht hier war, denn der hätte unseren Blickwechsel nur wenig erheiternd gefunden. Im Gegenteil. Der Einheimische hätte sich auf was gefasst machen können, denn versuchte man Drago etwas wegzunehmen, dann wurde er zur Bestie.

Der Fremde irritierte mich mehr als er es sollte. Verlegen griff ich nach der Zeitung und versuchte erneut, mich auf den Leitartikel zu konzentrieren, doch das wollte mir einfach nicht gelingen. Es ging um irgendwelche Drogengeschichten und einen Coup, den die hiesige Polizei wohl gelandet hatte. Der Inhalt der Zeitung interessierte mich weitaus weniger, als der Mann, der mich noch immer beobachtete. Während der ganzen Zeit, konnte ich seine Blicke auf meiner bloßen Haut spüren – in jeder einzelnen, verdammten Sekunde. Und ich merkte auch, dass das etwas mit mir machte. Ich reagierte auf den Kerl in einer Weise, wie ich es nicht sollte. Verflixt! Das war nicht auszuhalten und schließlich kramte ich in meiner Tasche herum, zog meine Börse hervor und legte einen viel zu großzügig bemessenen Geldschein neben meine Kaffeetasse. Hier würde ich auf keinen Fall bleiben. Schon gar nicht, wenn die Gefahr bestand, dass mein Aufpasser Drago erzählte, dass ich auf übelste Weise angebaggert worden war. Das war nichts, was mein Verlobter wissen musste. Und noch viel weniger musste er erfahren, dass ich am liebsten auf das erregende Spiel eingegangen wäre.

Hastig stand ich auf, machte ein paar Schritte und stellte fest, dass sich sowohl mein Bodyguard, als auch der Typ erhoben hatten und mir folgten. Der Kerl musste verrückt sein. Merkte er denn nicht, dass ich das nicht wollte? Und sah er nicht, dass ich nicht alleine war?

Spencer warf ihm bereits die ersten misstrauischen Blicke zu, doch dann erkannte ich aus den Augenwinkeln, wie der aufdringliche Kerl an einen schnittigen Sportwagen herantrat, der rechts von mir am Straßenrand parkte – es war ein schwarzer Ferrari.

„Miss Forrester?“ Dragos Hütehund trat an meine Seite. „Mir wäre es ganz recht, wenn wir zum Hotel zurückkehren würden. Mister Leonov wird mit Sicherheit nicht mehr lange auf dem Meeting sein und er hat mir aufgetragen, dafür zu sorgen, dass sie in der Suite sind, wenn er zurückkommt.“ Ganz ehrlich: Gerade war es mir ziemlich egal, was Drago wollte. Mich interessierte der Mann, der mich beobachtet hatte viel zu sehr, als dass ich …

Ich ertappte mich bei dem Gedanken an seine vollen Lippen und daran, wie sich seine Küsse anfühlen würden. Und noch viel mehr dabei, dass ich mir wünschte, ich hätte auf die Flirtversuche einsteigen können. Noch immer spürte ich die dunklen, heißen Blicke auf meiner Haut und das Prickeln, das sie verursacht hatten. Noch nie hatte ich ein so ursprüngliches Verlangen beim Anblick eines Manns verspürt.

Es war nicht so, dass ich Drago nicht schätzte, aber …

Wir kannten uns seit Kindertagen, wir mochten uns und er war es auch gewesen, der nach der Pleite meines Vaters sofort zur Stelle war und meinem Dad Hilfe anbot. Allerdings nur, wenn ich mich bereiterklärte, seine Frau zu werden – warum auch immer. Denn Liebe oder Leidenschaft, die gab es zwischen uns beiden nicht.

Bis zu dem Moment, in dem er seinen Wunsch äußerte, mich zur Frau zu wollen, hatte ich in ihm mehr einen älteren Bruder gesehen, als den Mann, den ich einmal heiraten würde. Doch um meinen Vater zu retten und um den guten Ruf der Familie nicht zu beschmutzen, willigte ich ein, Dragos Frau zu werden. Er war ein toller Mann – dachte ich. Einer bei dem ich mich wohlfühlen und die Liebe im Laufe der Zeit wachsen konnte. Doch bisher merkte ich nicht viel davon. Wir lebten nebeneinander her, wie Bruder und Schwester. Er überschüttete mich mit Geschenken und Komplimenten, aber das war es auch schon.

Drago hatte noch nicht ein einziges Mal versucht, mir zu nahe zu treten. Er behauptete immer, dass erhöhe die Vorfreude auf die Hochzeitsnacht. Er nahm Rücksicht auf mich – so dachte ich zumindest. In diesem Moment war ich mir da allerdings nicht mehr so sicher. Sollte ich nicht mehr spüren, wenn er in meiner Nähe war? Nicht so reagieren, wie bei dem frechen Kerl, der mich mit seinen Blicken ausgezogen hatte?

In den letzten Wochen waren meine Zweifel immer größer geworden. Nicht zuletzt durch die seltsamen Kontakte die mein Verlobter pflegte. Vor ein paar Tagen hatte ich versucht, mit ihm über dieses Thema zu reden, doch er hatte mich gepackt und mich ins warme Karibikwasser befördert. Danach verwöhnte er mich mit einer Massage und Champagner, sodass meine Bedenken in der Hitze des Tages einfach schmolzen und ich mich selber eine dumme, misstrauische Kuh schalt. Sein Ablenkungsmanöver hatte für den Moment funktioniert, doch irgendwann würden wir reden müssen.

Wenig später stöckelte ich auf meinen Labutons durch das geräumige Entree des Hotels und war gerade im Begriff, den Aufzug zu besteigen, als ich plötzlich stutzte.

Das konnte einfach nicht wahr sein. Ich wollte nicht glauben, was ich sah. Der Typ aus dem Café – er saß an der Bar und prostete mir mit einem Cocktail zu. Es war Sex on the Beach … und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass seiner Wahl keine Absicht zugrunde lag. Dieser, … dieser …

„Hallo, mein Schatz! Wie war dein Tag?“ Ich zuckte zusammen, als Drago so unverhofft neben mir auftauchte, mich in den Arm nahm und mir einen Kuss auf die Schläfe hauchte.

„Gu … gut“, stotterte ich vollkommen entnervt und konnte meinen Blick doch nicht von dem unverschämten Macho an der Bar lösen. Sein Lächeln wirkte geradezu wölfisch und ich hatte nichts Besseres zu tun, als zu stolpern – geradewegs in Dragos Arme. Hitze schoss in meine Wangen und das Lachen meines Verlobten machte die Sache leider auch nicht besser. Allerdings war ich froh, dass er nicht mitbekam, wen ich im Visier hatte, als meine Beine beschlossen, mir den Dienst zu versagen …

Impressum

Texte: Eyrisha Summers
Bildmaterialien: Shutterstock
Cover: Agnes Albrecht
Tag der Veröffentlichung: 12.02.2020

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