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* * *

»Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?«

 

Diese Frage unterbricht mich bei der Betrachtung des Risses an meiner Schlafzimmerdecke. Resigniert schließe ich einen kurzen Moment die Augen. Da ist es wieder. Das Wort ‚Liebe‘.

Liebe auf den ersten Blick.

Liebe des Lebens.

Liebe … blablabla …

Eigentlich lief es doch bis jetzt … Wie lange? Tatsächlich einen Monat gut. Jede Menge Sex, nette Abende vorm TV, am Wochenende mal gemeinsam Tanzen gehen und noch mehr Sex. Das war doch super. Das ist nun mal das, was ich mir von einem Leben außerhalb des Spießrutenlaufs der Singlefleischbeschau erhoffe. Leider hat die Sache immer einen Haken. Irgendwann fangen die Kerle an, von Liebe zu reden.

Innerlich wappne ich mich. Es ist mal wieder soweit.

 

Die Augen öffnend, drehe ich den Kopf zu Marcel, der neben mir im Bett liegt und mich mit großen, hoffnungsvollen Augen anglubscht.

Nun, dieser Schimmer Hoffnung würde sich im Laufe des folgenden Gesprächs verabschieden und entweder Trauer oder Wut – vielleicht auch beidem – weichen. So läuft es immer.

 

»Nein, ich glaube nicht an die Liebe auf den ersten Blick. Ehrlich gesagt glaube ich gar nicht an Liebe. Das ist absoluter Quatsch. Dieses Gelaber von Schmetterlingen im Bauch, der rosaroten Brille, dem wild pochenden Herzen … Alles nur Quatsch. Es geht nur um reine Anziehung, das ist es, was die Menschen verbindet. Sich gut riechen können, ist sehr wichtig. Wenn ein Typ stinkt, dann will man ihn ja auch nicht ständig um sich haben. Außerdem kommt es drauf an, wie man charakterlich harmoniert. Man passt zusammen, kommt miteinander klar und gewöhnt sich aneinander. Aber Liebe? Nein, daran glaube ich nicht.«

 

Bei meinem monoton runter geratterten Monolog – den ich bereits im Traum aufsagen kann, so oft musste ich ihn nun schon vortragen – kann ich stetig beobachten, wie Marcel die Gesichtszüge immer weiter entgleisen.

»Aber, aber … du empfindest gar nichts für mich?«, fragt er. Es glitzert in seinem Augenwinkel. Damit schafft er es, dass ich derzeit doch etwas sehr intensives für ihn empfinde, nämlich Hass. Ich hasse diese Situationen, in denen man mich in die Ecke drängt und versucht, doch noch ein Liebesgeständnis von mir zu bekommen.

Gibt es aber nicht, denn ich hasse lügen.

Liebe? Warum versuchen sie es immer wieder, einen mit diesem dummen Wort an sich zu binden? Es lief doch so gut. Vielleicht sollte ich versuchen, ihn zu überzeugen, dass es auch ohne diese Amor-Herzchen-Comic-Kacke weiterhin toll laufen kann.

 

Mit Marcel hatte ich mich eigentlich schon in einer gemeinsamen Wohnung gesehen. Wir beide, schön als Team, alles teilend, harmonische Abend vor der Glotze, bei einem Bier und Chips. Gut, für ihn wahrscheinlich Gemüsesticks und Dip, aber eben in dem Prinzip.

 

Seine Gesichtszüge verändern sich, die wässerigen Augen werden zu Schlitzen und die bebende Unterlippe zu einem schmalen Strich.

 

»Wenn du nicht an die Liebe glaubst, warum … warum machst du dann das hier? Ich meine, warum suchst du dir dann einen Typen, gehst mit ihm essen, ins Kino und veranstaltest Dates? Warum machst du mit ihm solche Pärchensachen, stellst ihn deinen Freunden vor, lädst ihn zu dir in die Wohnung ein, bekochst ihn, kuschelst mit ihm auf dem Sofa? Warum machst du einen auf Beziehung, wenn du nicht an Liebe glaubst, Till? Warum bleibst du dann nicht einfach ein verschissener Single und fickst dich durch die Clubs?« Er ist mit jedem Wort lauter geworden und zum Schluss schreit er mich nur noch an.

 

Immer dieselbe Leier. Warum, warum , warum?

 

»Ja glaubst du, bloß weil ich nicht an dieses Ammenmärchen glaube, bin ich immer gerne alleine? Nein, ich mag Zweisamkeit. Es ist schön, diese Sachen zu machen. Und ich bin ja auch nicht gegen eine Beziehung. Nur dieses Liebesgesülze ist Quatsch! Das mit uns könnte doch eigentlich so wie bisher weiter laufen. Lief doch gut, wir haben unseren Spaß zusammen, vertragen uns und öden uns nicht an. Außerdem riechst du zum Anbeißen. Es passt doch alles.«

Vorsichtig versuche ich, eine Hand nach ihm auszustrecken, vielleicht kann ich ihn damit besänftigen. Ich habe wirklich keine Lust, diese ganze Suche nach jemanden, mit dem ich mir eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann, wieder von vorne zu starten.

 

Marcel zuckt weg und schlägt meine Hand fort. Binnen Sekunden ist er aus dem Bett und blickt von oben auf mich herab.

»Till, du bist ein elender Emotionskrüppel. Das war’s mit uns.«

 

Nach diesen Worten steigt er in seine Klamotten und kurze Zeit später knallt die Wohnungstür ins Schloss. Großes Kino. Das war es mal wieder. Das Singleleben hat mich erneut zurück, zum … was weiß ich wievielten Mal in den letzten sieben Jahren.

 

Seufzend raffe ich mich aus dem Bett und begebe mich nebenan ins Bad. Der Raum ist nicht sonderlich groß. Daher kann ich während des Pinkelns schon mal den Wasserhahn der Dusche einstellen, damit mir das kalte Nass erspart bleibt.

Unter der Dusche plane ich mein weiteres Vorgehen. Es ist Samstag, ungefähr zehn Uhr. Ich bin wieder solo. Also ist mein Ziel heute Abend, das wieder zu ändern.

 

Auch wenn ich kein Stück auf dieses Liebesgesülze gebe, bin ich einfach nicht gerne Single. Bei dem Gedanken nun wieder jeden Abend alleine zu essen, auf dem Sofa zu sitzen oder vor dem PC zu versauern, überläuft mich ein kalter Schauer.

 

Warum muss mir diese verdammte Liebe nur immer alles ruinieren?

 

Beim Einschäumen mit meinem Lieblingsduschgel ist der Plan schnell gefasst. Nach dem Duschen werde ich versuchen, ein paar von meinen Freunden zusammenzutrommeln und dann geht es heute Abend auf die Piste.

 

Das Ganze bereitet mir allerdings auch noch Unmut, denn die Jungs werden mir wieder diese vorwurfsvollen Blicke aufdrücken. Nur Beppo nicht. Von ihm erwartet mich wie immer dieser mitleidige Blick. Emotionskrüppel hat Marcel mich genannt. Dafür halten mich auch meine Freunde, und bis auf Beppo glauben alle, ich sei ein Spinner in der Hinsicht.

 

Ich stelle das Wasser ab, steige aus der Duschkabine und greife mir von der Heizung mein Badelaken. Kurz abrubbeln, danach wickle ich es mir um die Hüften, verlasse das Bad und betrete mein Wohnzimmer.

 

Das große, breite Sofa schenkt mir auch einen vorwurfsvollen Blick. Wieder werde ich nur alleine darauf rumliegen. Die Stille in der Wohnung stört mich, also schalte ich den Fernseher an, nur leise, als Hintergrundgeräusch. Danach suche ich mein Smartphone und scrolle durch die Kontaktdaten. Da sind wirklich viele Nummern eingespeichert. Von so einigen Verflossenen beispielsweise, denn ihre Nummern habe ich nie gelöscht. Sie meine bestimmt.

 

Als erstes wähle ich Fabian in meinen Kontakten aus und drücke das grüne Symbol. Das Freizeichen erklingt, es tutet und nach dem vierten Mal erklingt seine Stimme.

 

»Hey, Mann! Was geeeht?«, schallt es mir aus dem Micro entgegen. Ich verdrehe die Augen, weil ich mich bei ihm wirklich frage, ob er jemals die Sprache seines coolen siebzehnjährigen Ich's aufgeben und dauerhaft wie ein normaler Erwachsener kommunizieren kann. Nicht nur in Ausnahmesituationen, wenn es um ernste oder wirklich emotionale Gespräche geht.

 

»Hey … Hast du Bock heute Abend auf einen Zug durch die Clubs?«, frage ich möglichst neutral bis fröhlich klingend. »Mal wieder raus und so … «

 

»Oh Mann! Till, nicht schon wieder! Wie lange hat es diesmal gehalten? Drei Wochen? Was ist nur los mit dir? Wenn sie von Liebe reden, einfach nicken und lächeln. Immer versaust du es dir. Marcel war echt nett … « Da ist er, der normale, erwachsene Fabian, sorgenvoll. Das bringt mich zum Lächeln.

 

»Ich will eine Beziehung, aber nicht aufgebaut auf einer Lüge, Fab.«

 

Ich höre ihn an meinem Ohr seufzen, kann mir richtig vorstellen, wie er sich mit der Hand durch seine blonden Strubbelhaare fährt und die Unterlippe vorschiebt.

»Also gut … ich rufe Lorenz an. Beppo übernimmst du. Das tue ich mir nicht an.«

 

Na klasse, das wird wieder ein Drama. Eigentlich hatte ich darauf gehofft, genau dieses Gespräch auf Fabian abwälzen zu können. War wohl nichts.

 

»Okay, sammelt ihr mich unterwegs ein, wie immer?«

»Ja, ja, bis nachher«, erwidert Fab und legt auf.

 

Erleichtert, dass ich den Abend nicht alleine in meiner Wohnung verbringen muss, lasse ich mich aufs Sofa fallen und starre eine Weile auf den Flatscreen. Für das Telefonat mit Beppo muss ich mich erst mal sammeln. Das wird hart.

 

* * *

 

Ein paar Stunden später, nach diversen Diskussionen, langen Erklärungsversuchen und einem sehr lautem Wutausbruch gefolgt von Versöhnungsworten – leider ohne den berühmten Versöhnungssex, weil das gehört sich nicht unter Freunden und schon gar nicht am Telefon – war Beppo wieder lieb zu mir.

 

Er versteht einfach nicht, dass es für mich diesen rosaroten Wolkenscheiß nicht gibt. Gab es nie.

Beppo, mit bürgerlichen Namen Benjamin Portz, und ich sind schon von Kindesbeinen an ziemlich beste Freunde.

 

Irgendwann, als klar war, dass wir beide auf Jungs stehen, kam es wie es kommen musste und wir haben unsere ersten Sexerfahrungen gemeinsam gemacht. Mann, was haben wir uns in der ersten Zeit die Schwänze gegenseitig wund geschubbert. Wenn ich daran denke, wie wir beide manchmal breitbeinig durch die Gegend gestakst sind, bekomme ich heute noch einen Lachanfall. Es war eine tolle Zeit. Wir, mit unserer im geheimen offen gelebten Sexualität, gegen den Rest der Welt.

Nie war es wieder so mit einem anderen Typen, vertraut und glücklich.

 

Ich vermisse diese Zeit etwas. Doch eigentlich hat sich zwischen uns ja nichts geändert, außer, dass wir seit Jahren nicht mehr miteinander in der Kiste waren. Warum haben wir damit aufgehört? Ach ja, mein erster Versuch, jemanden fürs Leben zu finden …

 

In meinen bestsitzenden Jeans – die, die schön an meinen Arschrundungen kleben – und einem schwarzen, engen Shirt unter meiner Jacke, stehe ich an der Straßenecke. Ich warte auf Beppo's Golf, der mich gleich einsammeln wird, dann geht es weiter in irgendeinen Club. Die anderen hat er schon von mir eingesammelt, sodass ich mich gleich noch mal der kompletten Vorwurfsinquisition stellen darf.

 

Fabian hatte zwar schon das Vergnügen, genau wie Beppo, aber Lorenz noch nicht. Der konnte sich nur eine kleine SMS-Schimpftirade nicht verkneifen. Schätzungsweise, weil er auf meinen – ab heute – Exfreund steht. Aber warum er dann so ein Theater macht, anstatt sich stillschweigend die Hände zu reiben, weil er endlich eine Chance bei ihm bekommt, verstehe ich nicht so ganz. Beppo meinte, es läge wohl daran, dass er in Marcel verliebt sei und deshalb mit ihm um seine verlorene Beziehung trauert. Wieder dieses blöde Wort.

 

Für mich gab und gibt es immer nur eine Person, hinter der ich voll stehe, mit der ich mittrauere, mich immer freue und still oder laut leide. Beppo!

 

Just in diesen Moment biegt der rote Golf um die Ecke und mein Herz beginnt zu rasen.

 

Der Wagen hält direkt vor mir am Rinnstein und ich setzte mich in Bewegung. Gar nicht so einfach mit weichen Knien.

 

Der Beifahrerplatz ist frei, Lorenz und Fabian sitzen auf der Rückbank. Als ich die Tür öffne, wird der Innenraum beleuchtet. Ich richte meinen Blick erst in den hinteren Teil des Wagens.

 

»Hey«, werfe ich den Jungs zu und ernte einen doch recht angesäuerten Blick von Lorenz. Gerade will er den Mund aufmachen, da trifft ihn Fabians Ellenbogen in die Rippen.

 

»Hey, komm steig ein, sonst weht zu viel kalte Luft ins Auto«, verkündet eine tiefe, warme Stimme vom Fahrersitz und ich blicke Beppo an. Ich bekomme sofort eine Gänsehaut.

 

»Ja, ist kalt.« Schnell steige ich ein, schnalle mich an und versuche langsam und gleichmäßig zu atmen.

Manchmal frage ich mich, warum ich seit Jahren immer noch so extrem auf Beppo reagiere.

Hab versucht, es abzustellen. Geht aber nicht. Ist halt, wie es ist.

 

Die Fahrt verläuft zu meiner Verwunderung schweigend, nur das Radio dudelt vor sich hin. Weder Fabian versucht mir seinen Standpunkt in Sachen 'dann lüg eben, wenn es um Liebe geht' zu unterbreiten, noch wettert Lorenz gegen mich 'das gefühllose Arschloch, das diesen herzensguten Marcel nicht verdient hatte'.

Auch Beppo schweigt. Aus dem Augenwinkel beobachte ich ihn beim Fahren. Seine Hände, die das Lenkrad umgreifen. Schöne, kräftige Hände, nur beleuchtet durch das Licht am Armaturenbrett und die entgegenkommenden Fahrzeuge.

 

In einem dieser Lichtkegel erhasche ich einen Blick auf sein Gesicht. Er lächelt leicht vor sich hin, wirkt etwas verträumt. Keine bitterböse Miene, wie sonst, wenn ich es mal wieder in den Sand gesetzt habe und alle mit mir losziehen müssen. Solche Aktionen treffen sonst nicht sonderlich auf Begeisterung.

 

»Worüber freust du dich so?« Die Frage ist raus, bevor ich mir auf die Zunge beißen kann.

 

Ein kurzer, überraschter Seitenblick streift mich. Das Lächeln ist weg.

 

»Oh, nichts. Wie kommst du darauf?«

 

»Hm, nur so.«

 

Beppo schüttelt nur leicht den Kopf, blickt weiterhin auf den Straßenverkehr und das leichte Lächeln kehrt in seine Mundwinkel zurück. Mir wird bewusst, dass ich ihn offen anstarre, also drehe ich meinen Kopf wieder in Richtung Windschutzscheibe.

 

Mich verwirrt dieses Lächeln. Das macht es so anders als sonst an solchen Abenden. Genauso, wie das Schweigen von der Rückbank. Ich traue mich aber nicht, mich umzudrehen.

 

Endlich erreichen wir den Schuppen des heutigen Abends. Skeptisch blicke ich auf die Leuchtreklame und frage mich, was man hier für Typen kennenlernen soll. Sieht eher aus wie eine Billardhalle. Welcher Club heißt denn bitte 'Queue Inn'? Obwohl? Hm!

 

Weiterhin schweigend, verlassen wir alle den Golf. Ich schaue meine Freunde an und muss feststellen, dass keiner von ihnen sonderlich überrascht ist. Weder von dem Ort, noch vom Namen über der Tür.

Zusätzlich wird mir bewusst, dass niemand von ihnen aussieht, als ob er heute in einen Club, auf der Jagd nach etwas fürs Bett, will. Denn sie alle sind, genau wie ich, Singles. Nur mit dem Unterschied, dass sie an die Liebe glauben.

 

Zielstrebig steuern meine drei Freunde die Eingangstür an. Ich kann also nur folgen, wenn ich nicht alleine draußen stehen bleiben will.

 

Drinnen erwartet mich wirklich unverblümt das, was der Name über der Tür versprochen hat: Eine Billardhalle. Vier Snookertische, acht Pool Billardtische und vorne neben der Bar, eine Ecke mit Spielautomaten.

 

»Ähm, Jungs, was soll denn das? Ist hier heute schwule Nacht oder was? Wie soll ich hier einen Kerl kennenlernen?«, frage ich und sehe einen nach dem anderen an. Fabian, Lorenz und Beppo blicken sich kurz gegenseitig an, ein stummes Gespräch, dem ich nicht folgen kann. Dann drehen sich Fabian und Lorenz kommentarlos um, gehen in Richtung Bar davon, während Beppo einen Schritt auf mich zu macht und direkt vor mir stehen bleibt.

 

Mein Herz macht einen Satz und rast anschließend im Schweinsgalopp weiter. Beppo hat tolle braune Augen, mit so kleinen Goldsprenkeln am äußeren Rand der Iris, obwohl sie direkt an der Pupille von braun in ein grün wechselt. Ich habe in einem meiner Fotoalben ein Porträtbild von ihm, wo genau diese schönen Augen so effektvoll zur Geltung kommen. Mein Lieblingsbild, ich sehe es immer wieder mal ziemlich lange an und versinke darin.

 

»Till, wir haben entschieden, dass wir heute Abend, nachdem du heute Morgen deine, ich glaube, zwanzigste, bescheuerte Beziehung vergeigt hast, nicht schon wieder auf Männerschau mit dir gehen … Um genau zu sein, wird das vorerst komplett ausfallen müssen«, eröffnet mir Beppo und blickt mir dabei tief in die Augen. Sehr tief. Meine Knie werden schon wieder weich. Am liebsten würde ich ihm meine Arme um den Nacken schlingen, damit ich nicht einfach umfalle.

 

»Was? Wie … Wieso?«

Beppo schnauft durch, senkt kurz den Blick auf meinen Mund, dann sind seine Augen wieder auf meine fixiert. Der kleine Abstecher hat aber gereicht, um meine Lippen prickeln zu lassen.

 

»Okay, pass auf. Es ist so, dass ich die Schnauze voll habe. Ich habe dich jetzt jahrelang, auf der Suche nach dem Einen, für eine feste Beziehung, laufen lassen. Aber nun ist Schluss damit. Ich hätte das damals gar nicht erst zulassen sollen. Ab sofort sind wir ein Paar. Wollen wir doch mal sehen, ob du da auch noch deine bescheuerten Floskeln halten kannst. Ich weiß nämlich ganz genau, dass dir das Herz gerade gegen dir Rippen hämmert. Kann an deinem Hals sehen, wie dein Puls rast. Wie immer, wenn du weißt, dass ich in der Nähe bin. Das, mein Lieber, ist so ein kleines Anzeichen, dass jemand verliebt ist. So, und nun spielen wir Billard und trinken ein paar Bier. Nachher schläfst du bei mir, ist das klar?«

 

Ich glaub, mir fallen gleich die Augen aus dem Kopf, so weit hab ich sie aufgerissen. Meine Kehle ist ganz trocken. In meinem Hirn wabert es und will nicht richtig klar werden.

 

Beppo ist mit jedem Wort etwas lauter geworden, sein Gesichtsausdruck entschlossener und leicht zornig. So habe ich auch noch keine Beziehung begonnen … Hey, Moment mal. Denke ich ernsthaft darüber nach, wirklich was mit ihm anzufangen? Nun, vorhin habe ich doch gerade erst darüber sinniert, wie sehr ich die alten Zeiten mit ihm vermisse. Aber wir sind erwachsen, das hier wäre wirklich ernst und nicht mehr unter dem Schutz der Heimlichkeit, Naivität und Jugend.

 

Beppo steht abwartend vor mir, seine Nasenflügel blähen sich auf, und er atmet recht schnaubend. Für ihn wohl doch auch eine leicht wackelige Sache. Aber kein Joke, alles an ihm ist ernst.

 

Meine Finger zucken, wollen ihn über die leicht zusammengekniffenen Lippen streicheln. Eigentlich ist das doch schon die Antwort. Bei wem will man das, wenn nicht bei dem, den man … also ... mit dem man sich eine dauerhafte Zweisamkeit vorstellen kann.

 

»Okay«, ist daher alles, was ich erwidere, bevor ich nach seiner Hand greife und ihm den ersten Kuss seit sieben Jahren auf die schönen Lippen gebe. Ich habe es so vermisst.

 

* * *

 

Eine Woche später

 

Ich liege eingekuschelt unter der Bettdecke, von Beppos Armen umschlungen, in meinem Bett. Der Riss an der Decke könnte mir gerade nicht unwichtiger sein, denn ich habe die Chance meinen Freund beim Schlafen zu beobachten.

 

Seine Züge sind völlig entspannt, leicht schief, denn das Kissen zerknautscht ihm die daraufliegende Gesichtshälfte. Der Mund ist leicht geöffnet. Leises Schnarchen dringt an meine Ohren. Tief sauge ich seinen Geruch durch die Nase ein, ein Festmahl für meine Synapsen. Ich liebe es.

 

Eine Woche und alles hat sich verändert. Mit was für einem Brett vorm Kopf bin ich bisher bloß durch mein Leben gerannt? Mit welcher Naivität, Dummheit, Blindheit? Es gibt Liebe, und ich habe sie immer empfunden. Nur leider nie für die armen Kerle, mit denen ich es versucht habe.

 

Mein Herz war schon weg, so einfach ist das. Und wie soll man etwas verschenken, das schon lange verschenkt ist? Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen. Blöder Kinderspruch, doch irgendwie passt er. Mein Herz habe ich gleich bei unserer ersten Begegnung, in einem Sandkasten auf dem Spielplatz in der Nähe meines Elternhauses, verloren. Damals, als mir ein kleiner braunäugiger Junge seine Schaufel auf den Kopf schlug, nachdem ich seine Sandburg platt getreten habe. Ungerecht, denn er sollte mich doch einfach nur bemerken.

Nun, er hatte mich bemerkt und das für immer.

 

Langsam ändert sich Beppos Atmung, er beginnt sich zu regen und öffnet seine vom Schlaf leicht geschwollenen Augenlider. Erst trüb, beginnen die goldenen Sprenkel zu funkeln, als er mich visualisiert. Ich liebe diesen Moment. Dafür möchte ich jeden Morgen vor ihm wach werden.

 

Ein Strahlen erhellt sein Gesicht.

 

Ich kann nicht widerstehen, muss ihn küssen und seinen schönen Mund berühren. Scheiß auf morgendlichen Mundgeruch.

 

Schmusen und kuscheln, meine neuen Lieblingsbeschäftigungen, natürlich neben absolut abgrundtief, heißem Sex. Wir haben über die Jahre beide einiges dazugelernt. Das Gelernte hat aber niemals so viel Vergnügen gebracht, wie genau mit diesem Mann an meiner Seite … Oder auf mir, unter mir, hinter mir, vor mir …

 

Fest umschlungen liegen wir da und genießen.

 

Plötzlich packt mich der Schalk. Jahrelang musste ich mir immer wieder die gleiche dumme Frage von den Typen anhören. Die Frage, die immer wieder alles ruiniert hat. Kann doch nicht schaden, sie mal meinem Liebling zu stellen, oder?

 

Die Antwort ist mir klar und die Antwort ist ihm klar.

»Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?«, frage ich scheinheilig und versuche mir ein Lachen zu verkneifen. »So an Liebe auf den ersten Blick, mit Schäufelchen und Eimerchen? Richtig romantisch beim gemeinsamen Sandkuchen essen und anschließender Säuberung mit Mamas Spucketaschentuch?«

 

Ich kann es spüren, wie es langsam und bebend in seinem Brustkorb beginnt, bevor es laut schallend aus ihm herausbricht. Vor lauter Lachen steigen Beppo die Tränen in die Augen. Ich kann mich an diesem Anblick gar nicht sattsehen. Es kribbelt wild in meinem Bauch, mein Herz flattert und bar jeder Romantik beginnt mein Schwanz zu pochen.

 

Mann, wie sehr ich ihn doch liebe.

 

 

Ende

 

 

 

Impressum

Texte: Blake Heartland/BlackHeartlet
Bildmaterialien: Pixabay; Coverdesign by Caro Sodar
Lektorat: Caro Sodar
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2015

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