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Wie oft betrachtest du deine Hände? Beobachtest, wie sich die Haut beim Altern verändert, wie sich die unzähligen kleinen Narben, die man sich im Laufe seines Lebens an seinem wichtigsten Tastorgan zuzieht, verändern und heilen? Verheiratete kennen das Spiel. Nimmt man den Ring nach Jahren mal ab, ist das Abbild trotzdem noch da, denn der Finger hat sich der Metallfessel angepasst.

Und die Fingernägel? Auch sie sind ein Spiegel des Körpers. Altern, zeigen mit ihren immer tieferwerden Rillen und Einkerbungen Mangelerscheinungen und Krankheiten des Körpers.

Verletzt man sich irgendwann im Laufe seines Lebens schwer an der Produktionsstätte des Nagels, dem Nagelbett, so wird man es den Rest des Lebens immer wieder an dem nachwachsenden Nagel sehen, der dort eine besonders tiefe Kerbe zeigt oder der Nagel spaltet sich dort immer wieder.

So wie es typisch ist für den Menschen, versucht er diese Anzeichen, diese Natürlichkeit im Lauf des Lebens zu verstecken. Wie auch den Rest unseres Körpers und unserer Seele, die wir hinter topmodischer Kleidung mit Bauchwegmiedern, Popo-Puschup-Höschen, aufgesetzten Lachern und Gesten verstecken, versuchen wir die Hände als Spiegel unseres Tuns zu tarnen.

Altersflecken werden mit irgendwelchen Cremes aus Ägyptischer Erde überdeckt. Die Rillen der Nägel werden glatt gefeilt, alle Schäden mit Lack oder sogar Gel, Acryl überdeckt, wodurch für Frauen kunstvolle Krallen geschaffen werden. Diese sind teils schön anzusehen, aber viele lässt es auch mit diesen hässlichen ultra-weißen Frenchgelklumpen an den Fingern herumlaufen.

Dass unter diesen Schichten aus Cremes, Gelen, Acryl und Lacken der Nagel nicht mehr atmen kann, kein Tageslicht und damit Vitamin D bekommt und immer dünner wird, stört die meisten in ihrer Wahl der künstlichen Perfektion nicht. Schließlich will man schön sein, dem Ideal entsprechen. Nur, wieviel von einem selbst geht schon allein durch diese Kleinigkeit der Veränderung des eigenen Körpers, dem Verstecken dieser Narben und Rillen verloren?

Man verbirgt sich und das was einen ausmacht, gewöhnt sich an dieses Zustand des künstlich aufgepeppten Ideals. Doch was ist, wenn es wider Erwarten einen Moment gibt, an dem alle Rillen, Falten, Flecken und Narben plötzlich wieder frei sichtbar sind und einem zeigen, was oder wer man ist und doch vor anderen versteckt?

Kann man sich plötzlich wieder auf das besinnen, was man eigentlich wirklich ist und nicht auf das, was man darstellen wollte, um der Norm zu entsprechen?

 

Wie kommt man hinter die Selbstdarstellung an sein wahres Ich?

 

 

1 - Patti

Laut dröhnt der Bass aus dem Wohnzimmer meiner Zweizimmerwohnung, in dem die Dolbydigital-Anlage Dance-Musik in die Freiheit entlässt, während ich nur mit Bademantel im Schlafzimmer auf dem Bett hocke und meinen Kleiderschrank anstarre.

Heute ist einer der seltenen Abende, an denen meine Freundinnen und ich es geschafft haben, uns einen Termin für einen Weiberabend freizumachen. Darauf musste ich lange warten, an den vielen langweiligen, einsamen Wochenenden der letzten Monate.

Bis vor etwas mehr als einem halben Jahr hatte ich noch die gleichen Probleme, mir die Zeit für meine Freundinnen freizuschaufeln. Dann war meine Scheidung durch. Sechs Jahre hat unsere Ehe gehalten, die wir viel zu früh eingegangen sind. Es war wirklich nicht schlau, sich von unseren Familien in eine Ehe drängen zu lassen. Wir waren beide achtzehn und ich dummerweise schwanger geworden.

Nun, was heißt dummerweise? Noch heute verfolgen mich in meinen Träumen die Schuldgefühle, denn ich habe das Baby damals verloren und – auch wenn es ein "normaler" Abort war – ich hatte immer das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.

Also, den Grund für die überstürzte Heirat haben Ben und ich damals zeitnah nach der Hochzeit verloren. Nun waren wir aber schon mal verheiratet, da blieben wir es auch. Anfangs war es ja auch noch Liebe zwischen uns, glaubten wir zumindest. Aber mit der Zeit war da nichts mehr. Zumindest nicht diese Art der Liebe. Es hatte sich einfach zur Gewohnheit entwickelt, dass wir einen Nachnamen hatten, in einer Wohnung lebten und im selben Bett schliefen.

Mehr war da aber einfach nicht mehr. Sechs Jahre haben wir es durchgezogen, stupide nebeneinander her gelebt und – sind wir mal ehrlich – unsere wilden Jugendjahre verschwendet.

Wäre unser Kind auf die Welt gekommen, hätten wir eine gemeinsame Aufgabe gehabt. Einen Mix aus Ben und mir. Vielleicht ein kleiner Ben. Oder eine kleine Patti. Keine Ahnung. Eine gemeinsame Aufgabe, die die es sich gelohnt hätte. Doch so hatten wir nichts.

Vor eineinhalb Jahren ist dann die Bombe geplatzt. Ben hatte eine andere Frau kennengelernt. In Erwartung eines großen Rosenkrieges hat er es mir lange verschwiegen. Ben dachte tatsächlich er würde mir das Herz brechen. Aber wie sollte das passieren? Es hing ja nicht an ihm.

Als es dann rauskam, besser gesagt, als er sich den Mut angetrunken hatte, es mir heulend zu gestehen, war ich zwar erst wie betäubt, doch nicht wegen dem Gedanken Ben zu verlieren, sondern weil mein erster Gedanke war: "Endlich frei!"

 

Die Scheidung und die Aufteilung unserer gemeinsamen Sachen gingen ohne weiteres über die Bühne. Ich verstehe mich gut mit Ben und auch seine Neue, Rebecca, kann ich echt gut leiden. Ab und an gehen wir gemeinsam Kaffee trinken oder shoppen, wobei wir über Bens kleine Marotten gemeinsam ablästern. Wie Frauen das eben tun.

Bei dem Gedanken, was Ben dieses Wochenende blüht, muss ich schon schmunzeln. Andererseits ist es auch das erste Mal, dass mir unsere Trennung etwas weh tut.

Rebecca ist schwanger, Ben wird Vater. Er bekommt seine zweite Chance.

Zurück zu mir und meinem Klamottenproblem. Ich versuche mich gerade zu einem Outfit durchzuringen, dass feminin und elegant ist … und schaffe es einfach nicht.

Glitzertops, viel Blingbling und Highheels – das bin ich einfach nicht. Würde auch nicht zu mir passen. Ich bin eher der Turnschuh- und Jeanstyp. Wenn ich mal achtzig Jahre bin, werde ich wahrscheinlich immernoch in Chucks das Seniorenheim unsicher machen. Bei dem Gedanken, dem Pflegepersonal mit so einer Gehhilfe und meinen pinken Chucks hinterher zu rennen, muss ich grinsen.

Seufzend erhebe ich mich, blicke noch kritisch auf die wenigen Tussifetzen, die ich im Schrank hängen habe und ziehe eine enge, graue Röhrenjeans sowie ein einfaches schwarzes Shirt mit V-Ausschnitt aus dem Schrank. Die Sachen sind zwar nicht blinbling, aber sie betonen auch meine Figur. Das Outfit dürfen meine neonpinken Lieblingschucks abrunden. Was soll ich machen? Ich kann eben nicht aus meiner Haut und will mich wohlfühlen beim Feiern.

Im Bad vor dem Spiegel betrachte ich mein Gesicht. Noch faltenlos, aber blass. Egal, blass ist doch schick. Ein bisschen Kajal und Wimperntusche, um meine grünbraunen Augen zu betonen und gut. Make Up würde sich sowieso verabschieden, weil ich meinen Ausgang genießen und mich beim Tanzen totschwitzen werde.

Kommen wir also zu den Haaren. Nach unzähligen Versuchen, meine strassenköterfarbenen Haare durch blonde, braune oder schwarze Strähnen aufzupeppen, habe ich es aufgegeben und mich einfach für blauschwarz entschieden. Wie erwähnt, blass bin ich so oder so, da macht es das schwarze Haar nicht mehr schlimmer.

Ich trage meine Haare relativ kurz, denn - wie es auch schon mit der Haarfarbe ist - lange Haare stehen mir einfach nicht. Der brave Langhaarmädchen-Look würde mich auch einfach nicht wiederspiegeln. Wobei es vielleicht den Überraschungseffekt verstärken würde, wenn mich mein Gegenüber für das brave Landmädchen hält und ich dann die Klappe aufmache. Die kurzen, frech geschnittenenen, schwarzen Haare, die ich in alle möglichen Formen stylen kann, sind mehr ich. Heute entscheide ich mich für einen wuscheligen Out-of-Bed-Iro-Look.

Noch schwarze Fakeplugs mit silbernen Sternen in die Ohren, Kopf ist fertig. Bei meinen Fingernägeln verhält sich die Welt allerdings anders, da bin ich sehr pingelig und wahrscheinlich auch eine Diva. Lang, mit Acryl verstärkt und gepincht. Allerdings ohne irgendwelchen Muster, denn ich wechsle gerne die Lackfarben. Heute sind sie schwarz. Das liebe ich, diese lange schwarze glänzende Oberfläche. Nur ist das schwer hinzubekommen, ohne Schlieren. Auch sie kratzfrei zu halten ist nicht einfach. Ich betrachte meinen Lack sehr genau, streiche mit der Zeigefingerspitze über jeden einzelnen glatten Nagel und bin zufrieden. Makellos.

Das Aufbrezeln ist nicht meine Welt. Ich gehe nicht los, um unbedingt einen neuen Kerl kennenzulernen, dem ich dabei meine Möpse ins Gesicht klatschen will, während ich fast von meinen Pfennigabsätzen kippe. Obwohl es schon langsam irgendwie mal wieder Zeit würde. Wie heißt es so schön – underfucked.

 

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich mal wieder viel zu spät dran bin. Pünktlich ist nicht meine Stärke. Ich stopfe mir mein Handy und die Geldscheine lose in die Hosentaschen, stecke noch schnell meinen Wohnungsschlüssel ein, Jacke drüber und los geht’s.

Mit der S-Bahn fahre ich bis zum Hauptbahnhof. Dort steige ich aus und mache mich eilig auf zu unserer ersten Station des Abends - die Cocktailbar! Happy Hour vom neunzehn bis einundzwanzig Uhr, das ist immer unsere erste Anlaufstelle an unseren Weiberabenden.

Leicht abgehetzt treffe ich an der Cocktailbar ein und kann meine Mädels schon von weitem hören und sehen.

Am Tisch angekommen, werde ich wie üblich liebenswürdig begrüßt:

"Na, du hast dich heute aber wieder in Schale geworfen für uns!", schreit Nadine laut über die Tische, klimpert mit ihren künstlichen Wimpern und wirft sich ihre blondierte Mähne über die Schulter.

"Ja sorry, bin eben eine natürliche Schönheit und brauche nicht so viel Chemie im Gesicht und im Körper!", antworte ich, greife mir dabei an die Brüste und strecke ihr noch die Zunge raus. Sie hat sich vor zwei Jahren Silikon verpassen lassen. Meines Erachtens unnötig, sie hatte schon genug Holz vor der Hütte. Aber sie musste sie ja stramm haben, so dass sie Brüste ohne BH hoch stehen und auch ja fast aus dem Oberteil fallen. Ihr Mann scheint drauf zu stehen.

Wir grinsen uns an. Alles nur Geplänkel unter wahren Freundinnen. Wir konnten uns schon immer alles offen ins Gesicht sagen, ohne das es hinterher Zickenkrieg gab.

"Ach, ihr wieder!" Yvonne erhebt sich kichernd und drückt mir ein Lippenstiftküsschen auf die Wange, ehe sie mich zu den freien Stuhl in der Mitte meiner Freundinnen durchlässt. Es ist schön wieder mal mit ihnen unterwegs zu sein. Die beiden haben nicht nur Ehemänner, nein, auch Kinder. Diese netten Verabredungen, bei denen wir nur unter uns sind, sind daher eher spärlich gesät. Deswegen nehmen wir diese Veranstaltungen dann meist als Anlass, verdächtig stark über die Stränge zu schlagen. Ich beschränke mich dabei hauptsächlich auf viel Tanzen und zu viel Alkohol. Nadine und Yvonne weiten das ganze Programm noch aus. Die beiden bevorzugen an solchen Abenden tiefe Dekolletees und kurze Röcke. Die heimischen Eifersuchtsdramen der Gatten scheinen dazuzugehören, bevor sie mit ihren teils nuttigen Outfits, das traute Heim verlassen. Auch heute blitzt wieder eine Menge nackter Haut auf. Die Prioritäten meiner Mädels hat sich aber mit den Männern und der Liebe verändert. Früher war es wirklich anstrengend, sie aus den Grabbelfingern irgendwelcher Typen zu holen, die sie sich bewusst angelacht hatten, um sie eigentlich abzuservieren. Heute gilt die Devise: Können vom weitem sabbern, aber nicht anfassen. Weiberabend!

Und so läuft es auch. Wir quatschen und lästern, während nebenbei ein Cocktail nach dem anderen den Weg in uns findet. Herrlich!

Da die beiden rauchen, sitzen wir draußen und genießen den später werdenden Abend, begutachten das vorbeiziehende Partyvolk auf dem Weg zum Feiern.

Diese Atmosphäre verschafft mir eine innere Ruhe. Entspannung, die man eben nur zwischen seinen wahren Freunden finden kann. So plätschert die Zeit dahin und ich fühle mich gut.

Zugegeben, ich habe bereits ziemlich einen im Kahn und muss dringend auf die Toilette. Ich versuche es immer so lange wie möglich rauszuzögern. Denn ist man erst einmal gegangen, muss man ständig wieder.

"Ich muss mal", verkünde ich also und erhebe mich leicht schwankend.

"Ich komme mit!", blökt Yvonne so laut, dass das Turtelpärchen am Nachbartisch sie pikiert anblickt.

Leicht schwankend begeben wir uns in die Cocktailbar, umklammern das Treppengeländer bei unserem Abstieg. Irgendjemand hielt es für clever, die Toiletten in den Keller zu bauen, an einem Ort an dem der Alkohol in Strömen fließt. Ich finde es jedes Mal wieder eine Meisterleistung von uns, dass wir noch nie die Treppen runter gefallen sind. Unten lachend und schwankend angekommen, stürme ich auf die erstbeste Tür zu und stoße sie auf und stehe überraschend dem Rücken eines kleinen Kerls mit dicker Daunenweste und Kapuzenjacke darunter gegenüber. Mist!

"Oh, falsche Tür, sorry!"

"Nee, nee, ist schon richtig hier!", sagt er und dreht sich um. Doppelt Mist! Das ist eine Frauenstimme und im meinem Dusel wird mir langsam klar, dass es sich bei meinem Gegenüber auch tatsächlich um eine Frau handelt.

"Oh, tut mir leid … Gott, peinlich … sorry!", nuschle ich, während sich Yvonne in meinem Rücken totlacht. Meine Blase erinnert mich vehement wieder an den Grund, warum ich hier bin, also renne ich an der Frau vorbei Richtung Toiletten. In der Kabine kann ich hören, wie Yvonne ihr dick und breit erklärt, dass ich voll bin und sie sich nicht beleidigt fühlen soll und so. Danke, Yvonne, mach es ruhig noch schlimmer!

Als ich die Kabine wieder verlasse, ist die Frau mit dem auf männlich getrimmten Äußerlichen weg. Dabei wollte ich mich wirklich noch mal entschuldigen.

Das tut mir wirklich leid, denn wer will schon mit einem Mann verwechselt werden. Andererseits … ob sie wirklich böse drum ist? Schließlich kleidet sie sich doch bewusst, möchte doch so wirken. War es da nicht eher ein Kompliment?

Außerdem sah sie in den Sachen und mit dem Haarschnitt echt gut aus. Hm, ich finde ja Frauen mit frechen Kurzhaarschnitten ja viel interessanter. Woran das wohl liegt?, frage ich mich, während ich angestrengt in Spiegel schiele, meine Haare zurecht zupfe und versuche den verschmierten Kajal zu korrigieren. Super, sehe schon fertig aus, bevor der Abend richtig losgeht.

Nun, mir ist die Aktion jedenfalls echt peinlich und sie zeigt mir, dass ich dringend eine Alkoholpause einlegen muss.

Yvonne kommt aus einer der Kabinen und zupft noch ihren mit Pailetten besetzten Minirock zurecht.

"Na, du Lesbenschreck!", sagt sie zu mir und grinst mich über den Spiegel am Waschbecken an.

"Boah, sag das nicht so doof!" Ich habe da echt dran zu knabbern, ob ich die Frau beleidigt habe oder nicht.

"Ach, komm mal wieder runter! Sie wird es überleben." Yvonne dreht sich zu mir und wir verlassen die Räumlichkeiten, steigen die wattigen Treppenstufen wieder hoch. Bei unserem Weg durch die Bar schaue ich mich zwischen den Gästen um, ob ich die Frau entdecken kann. Ich habe das unbändige Bedürfnis mich zu entschuldigen, mich ihr mitzuteilen. Aber ich kann sie nicht entdecken. Draußen ist es inzwischen stockdunkel, die Tische sind weitgestreut und werden nur von Teelichtern erhellt, so dass ich auch hier nichts sehen kann.

Doof gelaufen, keine Entschuldigung, keine Gewissenserleichterung für mich.

Yvonne muss es natürlich brühwarm Nadine erzählen, was ich auf dem Örtchen gebracht habe und schon bin ich der Runninggag des Abends. Späßchen auf meine Kosten, man gut, dass ich abgehärtet bin. Da kann ich ganz locker lächeln und mit den Zähnen knirschen.

 

Nach dem nächsten Cocktail zahlen wir und machen uns auf den Weg zur nächsten Station unserer Weibertour … die Disse!

Wir haben da unseren Stammschuppen. Vier Räume mit unterschiedlicher Musik, so dass wir immer was finden. Außerdem ist in zwei Bereichen das Rauchen erlaubt. Da das Publikum stark gemischt ist, finden wir auch alle optisch was zum Anschmachten. Aber nur gucken, nicht anfassen. Die beiden Damen sind schließlich leiert. Meine Ausrede ist meistens, dass ich auf die beiden aufpassen muss, damit sie keinen Mist bauen und in irgendeiner Ecke knutschen. Die Ausrede wird hingenommen, obwohl sie seit Jahren hinfällig ist. Ich bin eben nicht der sonderliche Männermagnet und die, die mir gefallen, denen gefalle ich nicht. Gilt auch andersrum.

 

Gerade als wir uns in eine der Raucherdissen begeben haben, entdecke ich doch tatsächlich die Frau aus der Cocktailbar. Sie steht mit einer ganzen Gruppe Frauen an der hinteren Bar.

Wir gehen weiter, die Mädels schlagen den Weg zur gegenüberliegenden Theke ein, um den Pegel aufrecht zu erhalten. Aber ich pausiere und beobachte weiter die Gruppe Frauen. Mein schlechtes Gewissen köchelt immernoch tief in mir. Und ich versuche mir Worte zurecht zu legen, mit denen ich mich entschuldigen kann. Dabei entwickle ich mich zum Gaffer und starre die Gruppe an.

Sieben Frauen, davon scheinen vier verbändelt zu sein. Sie küssen sich zumindest und halten Händchen. Die Cocktailbar-Frau gehört auch zu einen Pärchen. Ihre Freundin hat lange blonde Haare und ist etwas größer als sie.

Die Cocktailbar-Frau hat ihre dicke Weste und die Kapuzenjacke abgelegt, steht nun in einem blaukarierten Hemd da. Mit dem stark auf männlich getrimmten Äußeren bildet sie aber eher die Ausnahme in der Gruppe. Würde ich einer der anderen so irgendwo alleine begegnen, käme gar nicht die Frage auf, ob sie lesbisch sind oder nicht.

Da haben wir es wieder. Die bösen Vorurteile. Lesben müssen kurze Haare haben, karierte Hemden tragen und Wanderstiefel. Aber das ist Quark. Ich trage ja auch lieber Jeans und Turnschuhe anstatt Miniröcke. Und bin ich eine Lesbe? Nein.

Ein Arm legt sich schwer über meine Schulter. "Sag mal, was machst du denn da? Einen geilen Typen gesichtet?", säuselt mir Nadine ins Ohr und versucht zu erkennen, wo genau ich hinschaue.

Soll ich es ihr sagen? Nein, nachher kommen die beiden noch auf dumme Gedanken und gesellen sich darüber. Sich noch ein bisschen auf meine Kosten amüsieren. Wenn du solche Freundinnen hast, brauchst du manchmal keine Feinde mehr. Normal hätte ich auch kein Problem mit diesen Scherzen auf meine Kosten, aber diesmal geht es mir aus einem mit unbekannten Grund tief an die Substanz.

"Nee, nichts entdeckt … gucke nur", antworte ich ihr also und sie dreht sich schulterzuckend wieder zu Yvonne an die Bar, um den nächsten Tequila zu kippen.

Was mache ich nun? Meine Zunge ist noch immer recht alkohollahm …

Plan: Ich trinke langsam mein Wasser aus und wenn sie dann noch da sind, dann gehe ich mich entschuldigen. Jawohl.

2. Al

 

"Al, wie sieht es aus? Hast du Lust, nachher mit zu mir zu kommen?" Kathi lehnt sich an meinen Arm und presst dabei ihre Brüste gegen mich. Ja, auch Frauen können Sex ohne die große Liebe und Beziehung haben. Aber Sympathie sollte schon im Spiel sein. Kathi geht mir allerdings einfach nur gewaltig auf die Eierstöcke. Nachdem wir mal eine Nacht miteinander verbracht haben, klebt sie jedes Mal an mir, wenn wir mit der Clique unterwegs sind. Es ist nicht so, dass sie nicht toll aussehen würde. Lange nussbraune Haare, leuchtend braune Augen mit dichten, langen Wimpern, einer tollen Figur, mit etwas zu viel Tittenvolumen. Mit ihrem Kleiderstil geht sie auch in die Kategorie Tussi. Nur ist sie damit leider nicht so mein Typ. Ich glaube sie hätte auch schon längst aufgegeben, wenn Nora, diese blöde Plumpskuh, sie nicht ständig wieder aufbauen und auf mich ansetzen würde. Warum sie das tut? Nora denkt ernsthaft ich bekomme es nicht mit, dass sie auf mich eifersüchtig ist. Sie hat Angst, dass ich ihr Janni abspenstig mache. Was ist da der Haken? Janni heißt eigentlich Janina, doch genau wie bei mir passt ihr Vorname wenig zu ihr. Sie ist einen Kopf kleiner als ich und eine typische Butch. Derbe Männerklamotten, verstecken der Weiblichkeit … Nora ist das absolute Gegenteil von Janni. Janni steht einfach auf diesen Tussityp. Ergo: Janni passt nicht in mein Beuteschema, denn ich mag einfach die weiblichen Durchschnittsfrauen und Ich bin nicht Jannis Typ, denn ich bin einfach keine Tussi.

Aber trotzdem verbindet uns etwas, unsere Freundschaft seit dem Kindergarten. Und daran kann auch eine Nora im nuttigen Outfit und Highheels nichts ändern. Leider versucht sie es aber, durch Kathi.

Apropos … "Al?", fragt Kathi nach und quetscht sich noch näher an mich ran.

"Ah, sorry, heute nicht, hab meine Tage", versuche ich sie abzuwimmeln. Ist zwar eine dicke Lüge, aber einmal im Monat passt es.

"Oh, schade!" Kathi zieht sich zurück und ich ernte einen stechenden Oberzickenblick von Nora. Warum will sie mir nur unbedingt Kathi ans Bein binden?

Kopfschüttelnd wende ich mich meinem Glas zu und trinke den letzten Schluck des Wodka-Kirsch-Mix aus. Plötzlich erscheint in meinen Augenwinkel eine Hand und tippt Janni, die rechts neben mir steht auf die Schulter.

Die dreht sich überrascht um, genau wie Nora, der alte Hausdrachen.

Ich dreh mich mit, will schließlich wissen, wer da steht.

Holla, vor uns steht eine Frau mit schwarzen kurzen Haaren, die wild vom Kopf abstehen, ein schönes, leicht kantiges Gesicht, mit schönen Lippen. Leider wird dieses schöne Gesicht nicht von einem Lächeln sondern von einer schuldbewussten Miene geziert. In den Ohren hat sie schwarze Plugs, steh ich voll drauf.

Das was ich hier von ihrer Figur sehen kann, heiß! Ich würde sagen ein B-Körbchen, sieht knackig aus unter dem schwarzen Shirt. Wie sie wohl von hinten aussieht? Und woher kennt Janni die und warum stellt sie sie mir nicht vor? Die Frau ist genau nach meinen Geschmack und das weiß Janni als meine beste Freundin doch.

"Ähm, hi, du erinnerst dich an mich? Von vorhin? Also, ich wollte mich nochmal entschuldigen wegen der Sache vorhin auf der Damentoilette. Ich weiß nicht, ob ich dich damit beleidigt habe oder ob du es als Kompliment siehst. Ich wollte nur …" Die hübsche Schwarzhaarige verstummt, als Nora ihre langen Krallen in Jannis Schulter schlägt und die Fremde giftig anstiert. Oh Mann, darüber kann ich nur die Augen verdrehen. Wie kann man nur so übel eifersüchtig sein. Mich wundert es auch immer wieder, dass Janni sich das von Nora in der Öffentlichkeit bieten lässt. Obwohl, würde mich jetzt auch mal interessieren, was Janni mit der Süßen auf dem Klo getrieben hat. Ich muss grinsen, als ich sehe, dass aus dem Gesicht der Unbekannten das schuldbewusste weicht, sich eine Augenbraue hochzieht, während sie ihren Blick auf Nora richtet.

"Was glotzt du denn so? Hast du deine Brille vergessen oder warum stierst du mich so an? Muss ich einen Schritt nach hinten gehen, damit du mich scharf siehst?"

Ich muss mir krampfhaft das Lachen verkneifen, während Nora wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappt. Wow, die ist echt klasse, die mag ich jetzt schon.

Ein Blick in die Runde verrät mir, dass die anderen die Fremde bitterböse angucken. Nur Janni versucht auch ein Schmunzeln zu unterdrücken.

"Kein Problem, alles gut!", sagt sie, lächelt die Fremde noch mal kurz an und dreht sich wieder um, damit Nora sich wohl wieder einkriegt. Schade, ich würde die Schwarzhaarige gerne näher kennenlernen.

Diese wirft noch einen Blick in die Runde, zieht leicht beide Augenbrauen hoch, als sie die feindselige Ausstrahlung der anderen bemerkt und verabschiedet sich laut mit: "Tja Mädels, war echt nett mich euch!" Als sie sich wegdreht und an mir vorbei geht kann ich noch "Warum sind Lesben bloß immer so zickig?" vernehmen.

Hm, okay, dieser Nachsatz will mich erst aufschreien lassen, natürlich zickig. Also besinne ich mich kurz, blicke in die Runde und muss zugeben, dass sie leider Recht hat. Kaum kommt jemand fremdes auf die Clique zu, wird derjenige vergrault. Wieso ist das so? Es ist ja nicht so, wie noch vor einigen Jahren, wo hinter jedem an uns gerichteten Wort die Feindseligkeit gegen Homosexuelle um die Ecke kam. Wir stehen hier in einer normalen Disco, fordern für uns, dass man uns als normal anerkennt, Toleranz und Gleichberechtigung. Doch kaum kommt jemand auf die Gruppe zu, wird er als Übeltäter verurteilt und vergrault. In diesem Fall, echt schade drum. Ich blicke ihr noch weiter nach. Die Rückansicht ist in der engen Jeans auch der absolute Hammer.

Doch was hat mich ihr Ausspruch noch wissen lassen? Sie ist hetero. Seufzend verfolge ich sie mit den Augen noch, bis sie in der Menge untertaucht, danach drehe ich mich wieder zu den anderen. Dort empfängt mich Jannis Grinsen.

"Na, die hat dir wohl gefallen, was?", flüstert mir Janni grinsend zu.

"Hm ja, kennst doch meinen Geschmack", antworte ich und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

"Und? Wirst du dein Glück versuchen?"

"Nein, die ist wohl kaum an mir interessiert."

"Hm, da könntest du Recht haben. Aber weißt du es mit Garantie?" Janni grinst wieder wie ein Honigkuchenpferd.

"Oh, Janni!"

Manchmal ist sie echt ein Macho.

 

Aber es stimmt schon, einen Korb habe ich mir ja noch nicht eingefangen. Vielleicht sollte ich mal eine Runde durch den Laden drehen und gucken, ob sie mir rein zufällig über den Weg läuft …

Impressum

Texte: Blake Heartland/BLackHeartlet
Bildmaterialien: Bildmaterial by Pixabay; Coverdesign by Caro Sodar
Tag der Veröffentlichung: 08.03.2015

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