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Langsam sticht die Gabel zu, das Geräusch der brechenden knackigen Salatfasern, ist zu hören. Die Gabel wird empor gehoben und das Salatblatt verschwindet zwischen den rotgeschminkten Lippen einer Wasserstoffblondine. Ich blicke dem Blatt sehnsüchtig hinterher und seufze.

Wie gerne würde ich jetzt auf diesem knackigen Eisbergsalat rum kauen. Ich vermisse es. Frischer Salat mit Tomaten, Gurke, Mais oder Obst, saftige Nektarinen, Weintrauben oder einfach nur einen Apfel. Es fehlt mir wirklich immer noch.

Ich beobachte mein Abendessen weiter beim Abendessen. Kann förmlich den Geschmack der Olive auf meiner Zunge spüren, eine grüne mit Mandelstift in der Mitte.

Vor meinem Tod 1983 lebte ich in einer kleinen Kommune, war ein glückliches Kerlchen. Meine Haare waren mit Henna knallorange gefärbt, meine Kleidung nur aus pflanzlichen Fasern und ich war praktizierender Veganer. Keine tierischen Produkte. 

Greatest Joke ever, dass ausgerechnet ich Gemüsli eines Nachts in einer Seitengasse mein Leben verlor, um als Blutsauger wiedergeboren zu werden. Wiedergeburt. Ein Wort, welches mir nicht wirklich zusagt, denn ich sehe diese Existenz nicht wirklich als ein erstrebenswertes neues Leben an. Ich war glücklich, damals. Jung, gesund und schwul. Ich habe mein Leben genossen, so wie es war, die harte Arbeit in der kleinen Kommune. Wir haben unser eigenes Gemüse und Obst angebaut, in alten Bauwagen gelebt und alles, was wir benötigten selbst hergestellt. Ich liebte dieses Leben. Ich habe Eisbergsalat geliebt. Und Bananen. Die waren so herrlich obszön beim Essen, wenn ich es wollte.

Aber dieses Glück endete, wie gesagt, an einer lauen Nacht im Juli 1983. Ich war gerade auf dem Heimweg, von einem Besuch bei einem Freund, als ich plötzlich gepackt und in die Dunkelheit der Seitengasse gerissen wurde.

Ich bin kein sonderlich großer Typ, zwar auch nicht kraftlos, aber dieser Gewalt hatte ich nichts entgegenzusetzen. Ich wurde an eine Wand gedrückt, mein Kopf wurde nach hinten gerissen und ich starrte in rotglühende Augen.  Mein Herz raste, das Blut pulsierte mir laut durch die Ohren, aber die Mischung aus einem Knurren und einem Fauchen, konnte ich trotzdem noch hören.

Und dann war da der Schmerz, der sich von meinem Hals aus wie ein elektrisch geladenes Netz über meinen ganzen Körper legte, meine Nerven zu Kribbeln brauchte. Ich konnte fühlen, wie ich ausgesaugt wurde, wie immer mehr von meinem Blut meinen Körper verließ. Durch die Stelle an meinem Hals, an der mir diese Kreatur hin.

Die aufsteigende Panik gab mir einen Schub und ich schaffte es mein Knie hochzureißen und ich voll in die Eier zu treten. Ein kleiner Ruck ging durch meinen Peiniger, ein Knurrlaut entkam seiner Kehle, doch ab ließ er von mir nicht. Er packte mich jedoch anders. Weiter an meinem Hals saugend, legte er mir eine Hand mitten auf das Gesicht, drehte seinen Unterleib von mir weg und presste meine Beine mit seinen an die Wand. Es tat weh! Wie konnte etwas so eine große Kraft haben und so viel Druck ausüben. Ich fühlte mich, als ob gleich meine Knochen brechen würden, es knirschte und knackte. Noch ein Adrenalinschub durchschoss mich, dabei wurde mir immer kälter, meine Arme und Beine taub. Ich wollte nicht sterben und mobilisierte meine allerletzten Energien, öffnete den Mund und biss mit aller Kraft in den Daumenballen meines Mörders, biss so fest zu, wie ich konnte.

Ich spürte mein Leben schwinden, krampfte aber meine Kieferknochen zusammen. Eine warme, brennende Flüssigkeit lief in meinem Mund. Aber ich ließ nicht los, schluckte das Blut. Widerlich, ich war schließlich Veganer, aber ich wollte den Kampf nicht aufgeben.

„Grrrnein!“, knurrte mich mein Mörder an, ließ von meinem Hals ab, packte mit der zweiten Hand mein Genick, drückte zu und versuchte mich von seiner Hand zu lösen. Aber ich hing fest. Mein Mund lief wieder voll mit seinem Blut, ich schluckte wieder. Da ich meine Arme wieder bewegen konnte klammerte ich mich mit beiden Händen an ihm fest.

„Scheiße, lass los!“, zischte mich mein Mörder an, schüttelte mich. Aber mein Körper handelte inzwischen ohne meinen Geist, gierig saugte ich weiter an seiner Hand, schluckte Zug um Zug von seinem Blut.

Plötzlich riss er mich an der Kehle hoch, von der Wand weg, um mich dann mit voller Wucht meinen Körper gegen die Wand zu schleudern. Mein Körper prahlte gegen die Wand und mein Schädel knackte. Erschrocken ließ ich tatsächlich von seiner Hand ab. Erneut riss er mich von der Wand und warf mich an die gegenüberliegende Wand der dunklen Gasse. Nach dem harten Aufprall, der von dem Geräusch brechender Knochen begleitet wurde, landete ich auf dem Boden und erhielt von meinem Mörder noch einen Tritt an den Kopf.

„Scheiß Futter!“, murrte er, blickte mich auf mich runter und entschied wohl, dass ich hinüber sei. Er drehte sich um und entfernte sich pfeifend.

Und um mich rum wurde alles schwarz.

 

 

Wieder wandert ein Salatblatt in den Mund der Blondine. Die kaut mit offenem Mund und dabei auch noch mit ihrer Tischnachbarin. Unmögliches Benehmen, aber was will ich mich da beschweren. Meine Manieren nachher beim Essen werden auch nicht die besten sein. Ich habe den Bogen in den 34 Jahren meiner Existenz noch nicht gekriegt, mir einen gesitteten Trinkstil anzugewöhnen. Es ist immer eine riesen Sauerei, immer läuft was daneben. Ganz mag ich auch nicht ausschließen, dass es daran liegt, dass ich eigentlich immer noch Veganer bin, nur mit dem Defizit mich von Blut ernähren zu müssen.

Ich spüre eine Bewegung, die sich mir nähert und spanne mich leicht an. Es ist aber keine wirkliche Gefahrenquelle.

Die Bedienung tritt an meinen Tisch. „Darf es noch etwas sein? Die Speisekarte vielleicht?“, fragt sie mich, mit leicht gereiztem Unterton in der Stimme. Ich blockiere schließlich schon seit Stunden diesen Tisch und das mit einem sich kaum leerenden Glas Wasser.

Ich blicke zu ihr auf und schenke ihr mein schönstes Lächeln. „Nein danke, ich bin völlig zufrieden.“

Dafür erhalte ich ein gekünsteltes Lächeln und ein leichtes Nicken, dann zieht sie genervt wieder ab. Blöde Zicke. Kann froh sein, dass sie dermaßen nach erhöhten Cholesterinwerten stinkt. Ansonsten würde ich sie in mein Abendessen verwandeln.

Aber ich möchte weiterhin gesund leben. Ha, da ist es wieder … Leben … Aber wie soll man es sonst nennen? Weiterhin gesund untot sein?

Hm… wenn man so viel Zeit hat, weil man einfach nicht stirbt, dann kann man sich viele Gedanken machen. Hat den Vorteil, dass man sich irgendwann wohl auch endlich zusammenreimen kann, was man ist, wenn es einem keiner sagt. Andererseits hat man auch sehr viel Zeit an gerade dieser Erkenntnis zu verzweifeln und irgendwie verrückt zu werden. Denn das muss ich wohl sein. Wie sonst kann ich bitte als Veganer, der das Töten von Tieren und auch Menschen ablehnt plötzlich als Hauptquelle meiner Ernährung Blut akzeptieren? Wie kann ich von einem unschuldigen lieben Jungen zum Massenmörder und  Serienkiller mutieren? Ja, Serienkiller.

In meinen ersten 10 Jahren nach meiner Wiedergeburt konnte ich meinen Blutdrang nur schwer kontrollieren. Ich habe quasi alles, was ich kriegen konnte, abgeschlachtet. Sauber, ordentlich und fleckfrei war da nichts. Keine Kontrolle, nur der Blutgeruch. Erst, wenn ich jeden Tropfen ausgesaugt hatte, der letzte Herzschlag verstummt war und ich den leblosen Körper habe zu Boden gleiten lassen, da kam das Bewusstsein und mit ihr die Reue.

Oft musste ich danach kotzen. Was natürlich ziemlich blöde war, denn damit war ein Teil der Mahlzeit wieder draußen und der Drang nach Blut wieder da.

Aber über die Jahre habe ich es geschafft, die Sucht zu kontrollieren, mein Essen gezielt auszuwählen, nach Geschlecht und dem Geruch des Blutes. Keine Burgerfresser und nur Frauen.

Eigentlich wäre es egal, ob ich das Blut von übergewichtigen Diabetikern oder magersüchtigen Modells trinken würde, bis auf die Menge. Das Diabetikerblut wäre wohl auch wesentlich süßlicher. Aber ich wollte mir meine gesunde Ernährung irgendwie wieder zurück holen. Deswegen suche ich meine Mahlzeiten gezielt aus, gesundlebend, Vegetarier, wenn nicht sogar Veganer. Ja, das ist das höchste meiner Ziele. Das Blut der Veganer. Allerdings nur Frauen. Aus dem einfachen Grund, dass sie mich sexuell nicht erregen. Eine Zeit lang habe ich mir mein Essen in der Schwulenszene gesucht, weil ich die leichter locken konnte, aber da hab ich jedes Mal einen Ständer gekriegt, während ich diesen Männern den Lebenssaft ausgesaugt habe. Aber für mich ist das diese Sache nicht erotisch, verdammt noch mal! Also bin ich in meiner Ernährung umgestiegen und gehe nur noch ab und an zur Lustbefriedigung in Clubs. Zumindest seit dem ich mich beherrschen kann.

 

Langsam komme ich wieder aus meinen Grübeleien zurück. Mein Abendessen redet immer noch mit vollem Mund mit ihrer Begleitung. Wenn sie so weiter macht, wird sie mit dem Essen nie fertig und ich kann hier noch Stunden warten. Was tut man nicht alles für eine gesunde Ernährung.

Ich richte mich gerade auf einen noch länger andauernden Aufenthalt ein, als sich mir wieder die feinen Härchen im Nacken aufstellen. Aber diesmal ist es nicht die Kellnerin. Diesmal ist eine wirkliche Bedrohung. Diesmal sind es die Anderen, die sind wie ich. Und das ist nicht gut für mich, denn ich stehe irgendwie auf der Beliebtheitsskala von meines Gleichen nicht sonderlich hoch im Kurs. Ich weiß nicht genau, warum, aber ich bin schon mehreren Versuchen, mich zu vernichten entkommen. Da kommt mir irgendwie meine Flinkheit zu Gute. Warum ich mich nicht einfach durch sie von meiner Existenz, die mir so verhasst ist, erlösen lasse, weiß ich nicht. Der Überlebenswille ist einfach stärker.

Jedenfalls sagen mir meine Nackenhaare, dass es Zeit ist zu gehen. Aber mein Abendessen, dass nehme ich mir schön mit. Hab nun lange genug drauf gewartet. Ich schmeiße einen Schein auf den Tisch und erhebe mich, gehe rüber an den Tisch der Blondine. Sie und ihre Begleiterin blicken auf und mustern mich mit arrogantem Blick. „Was?“, fragt die Blondine und meine Abneigung gegen sie steigt gerade noch an. Aber ich will ihr Blut und nicht ihren Charme und ihre Muschi. Also warte ich, bis sie mir in die Augen sieht. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich den Menschen meinen Willen aufzwingen kann, wenn sie mich denn direkt ansehen, das erleichtert es irgendwie mit dem Essen.

„Hallo! Es ist Zeit zu gehen“, sage ich einfach nur und halte ihr die Hand hin, mit der anderen lege ich noch einen Schein für Ihr Essen auf den Tisch. Sie erhebt sich, ergreift meine Hand und lässt sich widerstandslos um den Tisch ziehen.

„Hey! Moment mal! Jaqueline, was soll denn das? Wer issn der Typ?“, fragt ihre Freundin und versucht sie festzuhalten.

„Sag ihr, dass alles ok ist und du mit mir gehst“, raune ich meinem Abendessen zu und sie richtet die entsprechenden Worte an ihre Begleiterin. Dann nimmt, Jaqueline, mein Abendessen, ihre Tasche vom Tisch und lässt sich von mir aus dem Cafe führen.

Wurde auch Zeit, dass wir rauskommen, denn meines Gleichen kommt mir immer näher. Und wenn ich sie spüre, dann spüren sie mich auch. Wird jetzt also ein Fast Food Abend, wie ich das hasse. Als ich sie so abführe, muss ich feststellen, dass sie mit ihren Highheels einen Kopf größer ist als ich. Würde ich auf Frauen stehen, würde ich wohl in solchen Momenten Komplexe kriegen. Aber ich steh nicht auf sie und ich habe genug Kraft, um mir die lang beinige Giraffe über die Schulter zu schmeißen, um an einen sichereren Ort für meine Mahlzeit zu gelangen. Also rüber mit ihr über die Schulter und mit einem Satz auf dem Müllcontainer, auf die Mauer, rüber auf einen Balkon und dann hoch auf das nächste Flachdach. Da steht ein kleines Gewächshaus, dass nicht mehr genutzt wird. Ich kundschafte mir solche Orte vorher genau aus. Da der Blickkontakt fehlt, quiekt mein Essen doof rum, als wollte sie gleich anfangen zu schreien. Schnell lasse ich sie von meiner Schulter gleiten und stelle den Blickkontakt wieder her. Ihre weit aufgerissenen blauen Augen, starren mich ängstlich an. „Leg deinen Kopf zur Seite, damit ich an deinen Hals komme“, sage ich zu ihr und sie tut es. Aus meiner Erschaffung habe ich gelernt. Ich will meinem Essen eine derartige Zukunft ersparen. Daher drehe ich sie mit dem Rücken zu mir, fixiere ihren Kopf mit einer Hand und umschlinge sie mit dem anderen Arm. So kann sie sich nicht bewegen, mich aber auch nicht beißen. Jetzt muss es schnell gehen, denn die Anderen kommen weiterhin näher. Aber den Moment des ersten Kontaktes muss ich noch genießen. Das ist etwas, dass ich meiner inneren Blutbestie immer wieder schuldig bin, bei allem Ekel und allem Widersinnen.

Langsam senke ich meinen Mund auf ihren Hals, lasse meine Lippen über ihre Haut gleiten, bis sie direkt über ihrer Halsschlagader liegen. Meine Eckzähne kratzen leicht über die Haut und Jaqueline wimmert. Meine Bestien randaliert in mir, schreit ich solls es endlich tun. Also tue ich es. Ich setze meine Zähne auf ihrer Haut an und senke sie mit langsamem Druck auf das Fleisch. Die Haut geht ein bisschen mit, bis sie einfach nicht mehr stand hält und meinen Zähnen nachgibt, so dass diese sich im Fleisch versenken. Die Ader ist getroffen und sofort strömt das Blut in meinem Mund. Der Genießermoment ist vorbei, jetzt muss es flott gehen. Also trinke ich in tiefen, harten Zügen, leere ihren Körper, nehme mir alles.

Sie sind schon sehr nah.

Unter meinen Lippen kann ich spüren, wie Jaquelines Herz die letzten langsamen Pumpbewegungen macht und dann endgültig zum stehen kommt. Der Blutfluss versiegt und ich lasse ihren leblosen Körper langsam zu Boden gleiten.

Mist, wieder habe ich rumgekleckert. Ich hab einen Fleck auf dem T-Shirt und Reste am Kinn. Seufzend sammle ich den Rest von Jaqueline wieder auf und trage ihren Kröper ins das kleine Gewächshaus. Beim Laufen wische ich mir an ihrem Shirt noch eben das Gesicht sauber. Muss ja nicht sein, dass ich so rum laufe. Mein Shirt ist wenigstens schwarz, da sieht man das nicht so.

Ich lege sie ab, verlasse das Gewächshäuschen wieder und fahre meine Antennen aus. Wie nah sind die Anderen schon?

Ich kann sie spüren. Und sie sind bereits verdammt nah! Zeit zu verschwinden. Da meine leuchtenden orangenen Haare selbst in der Dunkelheit auffallen, ziehe ich aus meiner Jackentasche ein schwarzen Cappy, setze es auf ziehe die Kapuze meiner Jacke zusätzlich darüber und schließe an der schwarzen Jacke den Reißverschluss, der mir bis über die untere Gesichtshälfte reicht. Nun bin kann ich mit den Schatten verschmelzen. So gewappnet, orientiere ich mich noch einmal und dann nehme ich die Beine in die Hand. Ich laufe, laufe sehr schnell, in die entgegengesetzte Richtung zu meines Gleichen.

Denn mein Überlebensdrang ist einfach stärker.

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Tag der Veröffentlichung: 14.05.2017

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