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1.

Schnaufend und mit schwindenden Kräften versuchte er seinen Gegnern zu entkommen. Einzig die Hoffnung ließ ihn weiter durch die karge Landschaft stolpern. Seine Widersacher saßen ihm dicht im Nacken und ein Zusammentreffen würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Worauf hatte sich Arko nur eingelassen? Bei allen Göttern! Diesmal war er eindeutig zu weit gegangen. Was hatte er sich dabei gedacht? In Gedanken verfluchte er den Tag, an dem er den Auftrag angenommen hatte. Wie konnte er sich nur auf diese Sache einlassen?

Verdammte Gorkus! Warum muss ich mich immer in derart ausweglose Situationen begeben?

Der Auftrag würde ihn am Ende noch den Hals und andere Körperteile kosten.

Die nächste Stadt, die Schutz vor den Kreaturen bot, lag gut zwei Tagesreisen entfernt. In absehbarer Zeit würden die geschuppten Ungeheuer über ihn herfallen und seine Gestalt gnadenlos zerfleischen. Dabei hatte er dem Brutbecken lediglich drei Eier entwendet. Bei der Anzahl an Nachkömmlingen sollten drei Eier doch kaum ins Gewicht fallen. Leider waren die Gorkus anderer Ansicht, was ihren ungeborenen Nachwuchs betraf.

Arko hätte sich aus den Echsen ein Paar Stiefel machen sollen, als er die Möglichkeit hatte. Die Ungeheuer würden nicht eher ruhen, bis die verdammten Eier wieder den Weg ins Brutbecken gefunden hätten. Wie konnte er sich nur auf dieses halsbrecherische Abenteuer einlassen? 

Die Aussicht auf fünfhundert Sled klang einfach zu verlockend, um das Geschäft leichtfertig auszuschlagen. Die Gier hatte jede Vernunft weichen lassen. Mittlerweile würde eine ganze Truhe mit Münzen nicht mehr ausreichen, um Arko in Versuchung zu führen. Er wusste längst, was die Eier so kostbar machte - ihre Beschaffung glich einem Tanz mit dem Tod.

Keuchend sank er in die Knie. Arko musste sich eingestehen, dass seine Flucht keine Aussicht auf Erfolg versprach. Er war am Ende seiner Kräfte. Selbst mit einem Pferd wäre es schwer, die Bestien auf dem abschüssigen Gelände, zwischen dem Geröll und scharfkantigem Gestein, abzuhängen.

Arko hatte gesehen, zu welchen Grausamkeiten die Gorkus fähig waren. Im Laufe der Zeit waren ihnen unzählige Abenteurer, Reisende und mehrere Reittiere zum Opfer gefallen. Deren Knochen und Schädel bildeten einen imposanten Torbogen, der den Eingang der abgelegenen Höhle umfasste. Spätestens nach dieser Entdeckung hätte er das Weite suchen sollen. Er wusste, dass ihm ein ähnliches Ende bevorstand. Die Aussicht auf fünfhundert Münzen hatte ihm den Verstand vernebelte und jeden vernünftigen Gedanken in den Hintergrund treten lassen. Arko ignorierte seine innere Stimme, die ihn eindringlich vor dem gewagten Vorhaben warnte.

Entgegen den Worten seines Auftraggebers, handelte es sich bei den Gorkus keinesfalls um harmlose Echsen. Vielmehr konnte man sie als zielstrebige Jäger und unerbittliche Krieger bezeichnen, die jeden Eindringling mit unbeschreiblicher Brutalität vom Erdboden tilgten.

Die ganze Sache hätte Arko um einiges früher stutzig machen sollen. Wenn sich von Born bis Zwirn kein wagemutiger Draufgänger fand, der dieser Aufgabe furchtlos entgegen trat, musste es am Angebot einen beträchtlichen Haken geben.

Vorsichtig drang Arko in die Kaverne ein. Zu beiden Seiten lagen aufeinander gestapelte Knochen, die an den vielen Stellen bis zur Höhlendecke reichten. Langsam kamen Arko Zweifel, doch eine Rückkehr war ausgeschlossen. Er konnte nicht mit leeren Händen in die Stadt zurückkehren. Was hätte er seinem Auftraggeber sagen sollen? Auch sein Ruf würde durch die gescheiterte Mission leiden. Das konnte er nicht zulassen. Er war auf jeden Auftrag angewiesen und diesen würde er mit allen Mitteln erfolgreich abschließen. Im Laufe der Jahre hatte Arko schon schlimmere Gefahren überstanden. Warum sollte er ausgerechnet jetzt scheitern? Er stand inmitten eines gewundenen Tunnels, der bis tief unter die Erde reichte. Arko folgte dem schwach schimmernden Licht, das von irgendwoher bis in diesen Winkel drang und tastete sich mit der Gewandtheit eines Diebes weiter ins Innere vor. Mehrfach musste er sich unter dem herabhängenden, scharfkantigen Gestein abducken. Dies war sicher kein Ort, an dem sich ein gewöhnlicher Mensch wohlfühlte.

Nach einer halben Ewigkeit erreichte er die unterirdische Halle. Überall lagen schnarchende, zuckende und zischelnde Leiber. An diesem Ort hatten die Kreaturen einen Unterschlupf gefunden, der ihnen Schutz und Wärme bot. Niemand käme auf die Idee, die schauderhaften Gestalten auf heimischen Boden herauszufordern.

Im Angesicht der Bestien erschienen fünfhundert Sled geradezu lächerlich. Alles Gold und Silber war ein derartiges Risiko nicht wert. Arko konnte zahlreiche Echsenmenschen erkennen, die alle in der Nähe einer geschärften Waffe lagen. Wenn eine der Kreaturen erwachen würde, wäre es in Windeseile um ihn geschehen.

Für einen kurzen Moment dachte er über den Rückzug nach, doch da entdeckte er das Ziel seiner Reise und alle Bedenken rückten in den Hintergrund. Das Brutbecken lag nur einen Steinwurf von ihm entfernt. Etwa zwanzig Schritte trennten ihn noch von seiner Beute. Spätestens jetzt löse sich jede Vernunft in Wohlgefallen auf. Mit den in Aussicht gestellten Münzen könnte er jedem waghalsigen Abenteuer für lange Zeit den Rücken kehren. Er hatte die langwierigen Reisen und die ständigen Gefahren unendlich satt. Wie oft hatte er für ein paar lächerliche Münzen sein Leben riskiert und war nur knapp dem sicheren Tod entkommen? Mit den versprochenen Münzen würden diese Unternehmungen der Vergangenheit angehören. Der Gedanke erfüllte ihn mit Glückseligkeit, doch leider ließ er bei seinen Gedankengängen jede Vorsicht außer Acht. Um ein Haar wäre er auf die Pranke einer Echse getreten, die vor seinen Füßen am Boden lag. Im letzten Augenblick konnte Arko dem Unglück entgehen. Er atmete tief durch und ermahnte sich im Stillen. Ich bin nicht so weit gekommen, um mich von einer Horde hässlicher Echsenmenschen zerfleischen zu lassen. Wenn ich die Eier abgeliefert habe, werde ich jedem Ort, der auch nur den Hauch von Gefahr ausstrahlt, nach bestem Gewissen fernbleiben.

Langsam und vollauf konzentriert setzte er einen Fuß vor den anderen und sank am kraterähnlichen Beckenrand zu Boden. Arko löste den Überwurf von seinen Schultern und legte den Stoff lautlos neben sich ab. Die Nervosität stand ihm ins Gesicht geschrieben. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Arko krempelte die Hemdsärmel zurück und tauchte vorsichtig eine Hand ins Nass. Durch die unterirdischen Lavaquellen war das Wasser angenehm warm. Er musste bis zum Oberarm eintauchen, um ans Ziel zu gelangen. Als seine Finger die erste grob gemaserte Schale berührten, packte er zu und zog das Ei behutsam in die Höhe. Zwei weitere sollten folgen. Schnell wickelte er seine Beute im Überwurf ein, schnürte alles zu einem Bündel zusammen und warf einen prüfenden Blick zu den schlafenden Echsen. Von ihnen ging derzeit keine Gefahr aus. Trotzdem wollte Arko keine Zeit verlieren und die Höhle auf dem schnellsten Weg wieder verlassen. Beinahe wäre es ihm auch gelungen, doch dann schlug das Schicksal mit erbarmungsloser Härte zu. Ein Wassertropfen perlte am Überwurf ab und platschte einem besonders grimmig aussehendem Gorku mitten auf die Stirn. Arko stockte der Atem. Es schien, als wolle sein Herz in tausend Splitter zerspringen. Das Ungetüm stieß einen knurrenden Laut aus, wischte sich übers Gesicht und öffnete die rot geäderten Augen. Mit stechend scharfem Blick suchte die Kreatur nach der Ursache für den lästigen Tropfen. Arko wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Er musste handeln! Die verwirrte Echse konnte all seine Bemühungen auf einen Schlag zunichtemachen.

Einen Atemzug später hatten ihn die Augen des Gorkus entdeckt und ein markerschütternder Schrei erfüllte die Kaverne, der die Horde aus dem Schlaf riss. Hastig schnappte die Kreatur nach einem Speer und sprang auf die Beine. Ohne einen Augenblick zu zögern, setzte sich Arko in Bewegung. Wie von einer fremden Macht getrieben, stürmte er durch den Gang, während in seinem Rücken aufgebrachtes Gebrüll ertönte. Die Biester waren von seinem Besuch nicht sonderlich angetan. Arko rannte zum Ausgang.

Wie viele Stunden waren seither vergangen? Arko konnte es nicht mit Gewissheit sagen. Erschöpft warf er einen flüchtigen Blick über die Schulter, doch von seinen Verfolgern fehlte jede Spur. Dennoch mussten sie sich ganz in der Nähe aufhalten.

Sollen sie kommen, dachte Arko trotzig. Er würde seine Haut so teuer wie möglich verkaufen. Mit einer Handbewegung zog er das schartige Messer hinter seinem Gürtel hervor und verstaute das Bündel in einem Felsspalt. Mit nervösem Blick suchte er den Horizont ab. Die Echsen ließen nicht lange auf sich warten. In der Ferne konnte er deren Schemen ausmachen, die sich ungemein schnell näherten. Eine der Kreaturen reckte ihren Speer in die Höhe. Sie hatten die Jagd auf ihn nicht aufgegeben.

Mit pochendem  Herzen versuchte Arko den Bewegungen seiner Häscher zu folgen. Er durfte keine der Kreaturen aus den Augen verlieren, nahm all seinen Mut zusammen und versuchte sich auf den bevorstehenden Kampf einzustellen. Schließlich sollte später niemand behaupten, er wäre wie ein Feigling gestorben. Arko würde seinem Ende aufrecht und ehrenhaft entgegentreten. Wenn ihm die Götter gewogen waren, könnte er wenigstens eine der aufgebrachten Bestien mit in den Tod reißen.

Er legte seine Beute in einem Felsspalt ab, entfernte sich von dem gewählten Versteck und sah sich plötzlich umringt von Speeren und armlangen Schwertern. Mithilfe des Messers konnte er einen gewissen Abstand zwischen sich und seinen Gegnern wahren, doch ewig ließ sich dieser nicht aufrecht erhalten. Arko suchte verzweifelt nach einem Ausweg oder einer Schwachstelle, die es ihm erlaubte, der Situation zu entkommen. Gegen sieben feindliche Klingen hatte er jedoch kaum Aussicht auf Erfolg.

Zischelnd ließ einer der Gorkus seine Waffe in Richtung des Gejagten sausen. Arko musste der Kristallspitze mit einer schnellen Bewegung zur Seite ausweichen und einen herannahenden Speer mit dem Messer beiseite wischen. Was anfangs noch leicht zu bewältigen war, entwickelte sich schnell zu einer kaum lösbaren Aufgabe. Arko duckte sich ab, parierte einen hart ausgeführten Schwerthieb und wich zurück. Unsäglicher Schmerz zuckte durch seine Hand und breitete sich im gesamten Arm aus, als die Echsenwaffe gegen seine Klinge krachte. Mit dem Mut der Verzweiflung bäumte sich Arko auf, rammte einem seiner Gegner das Messer in den Hals und wurde zeitgleich von einem Speer an der Schulter getroffen. Er spürte die Wärme des Blutes, doch bevor er reagieren konnte, traf ihn eine weitere Klinge in die Wade. Der Schmerz war von solcher Intensität, dass er sich mit Worten nicht beschreiben ließ. Mit einem erbarmungslosen Ruck riss der Gorku die Klinge aus dem blutenden Fleisch. Arko sackte in sich zusammen, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Zwei Atemzüge später verlor er das Bewusstsein.

 

2.

In Born, der westlichsten Hafenstadt im Großkönigreich, herrschte helle Aufregung. In Kürze würde der Patrizier von Gaart mit einem seiner Schiffe eintreffen. Fabio Fatalia hatte die gesamte Welt bereist und kannte die entlegensten Orte. Durch den Handel mit exotischen Gewürzen, sonderbaren Kunstgegenständen und edlen Stoffen hatte er es zu ansehnlichem Wohlstand gebracht. Seine Handelsgüter waren heiß begehrt, was den Patrizier in allen Himmelsrichtungen zu einem geschätzten Geschäftspartner machte. Im Laufe der Jahre hatte er vielen Händlern den Aufstieg ermöglicht. Er war angesehen und allseits beliebt, auch wenn ihn ein dunkles, unbekanntes Geheimnis umgab, von dem nur die Wenigsten etwas ahnten. Durch seine Reisen gelangte er an die entlegensten Orte, sah die letzten Wunder der Welt und wusste von längst vergessenen Geheimnissen. Sein Schiff brachte ihn zu den entlegenen Vulkaninseln, dem grünen Inselparadies und den östlichen Randmeeren. Auch die roten Lande und die weit entfernte Sandsteinküste hatte er im Laufe seines Lebens bereist.

Als die Pinera im Hafen einlief, war die Uferbefestigung bereits mit hunderten Schaulustigen gefüllt. Der Patrizier stand reglos an der vorderen Reling und beobachtete das Geschehen. Ein Mann mit stämmigen Schultern und Baritonartiger Stimme brüllte Befehle. Segel wurden eingeholt und Taue gelöst. Dutzende Männer huschten über Deck, doch keinem schenkte der Patrizier sonderliche Beachtung. Er war damit beschäftigt, die Anlegestelle im Auge zu behalten. War der fette Lord irgendwo in der Menge zu sehen? Bisher konnte ihn Fatalia nirgends ausmachen. Wenn es der Kerl wagte, ihn zu enttäuschen, würde er ihn in die Finsternis zerren und seine Seele den Schatten opfern. Der widerliche Wurm war ihm seit Langem ein Dorn im Auge. Lord Faris zählte eindeutig nicht zu seinen liebsten Geschäftspartnern. Trotzdem war er auf dessen Dienste angewiesen.

Der Patrizier musterte die glotzende Meute, die ihm lautstark zujubelte. Nachdem das Schiff seinen Ankerplatz erreicht hatte, stolzierte Fabio Fatalia mit erhabenen Schritten den wankenden Landungssteg herab. Der Hafenmeister, ein durchdrungener Kerl mit hässlicher Hakennase, fettigem, lichtem Haar und schwieligen Händen erwartete ihn bereits.

››Es ist uns eine ausgesprochene Ehre, Euch in Born willkommen zu heißen.‹‹

Fatalia nickte dem Kerl freundlich zu und überreichte ihm drei goldene Münzen. ››Das sollte ausreichen, um die Kosten unseres Aufenthalts zu decken.‹‹

Der Hafenmeister lächelte und ließ die Münzen umgehend in seinen Taschen verschwinden.

Als sich der Patrizier vom Geschehen entfernt hatte, wandte er sich an seinen Vertrauten. ››Lass die Ladung löschen und pass auf, dass uns die schmierigen Händler nicht über den Tisch ziehen. Ich habe keine Lust, einen minderwertigen Preis für unsere Ware zu erhalten. Die edlen Stoffe aus Kronos sollten mindestens dreihundert Sled einbringen. Lass dich nicht auf Verhandlungen ein. Ich werde mich zurückziehen und auf den fetten Lord warten.‹‹

››Seid Ihr sicher, dass Lord Faris euren Wünschen entgegen kommt?‹‹

››Das gilt es herauszufinden, Gregor. Wenn er mich mit seinen Versprechungen enttäuscht, wird er die Folgen spüren. Ich hasse nichtsnutzige Versager.‹‹

››Ihr habt viele der vergessenen Geheimnisse in euch vereint. Denkt Ihr, dass dieses Wissen nicht zu gefährlich für einen…‹‹

››Lass dass nur meine Sorge sein‹‹, unterbrach ihn der Patrizier barsch. ››Kümmere dich um deine Aufgaben. In fünf Tagen will ich die Stadt wieder verlassen.‹‹

››Ganz wie Ihr wünscht, eure Herrlichkeit‹‹, antwortete Gregor und kehrte zum Pier zurück. Er diente dem Patrizier seit über einem Jahrzehnt, war stets an seiner Seite zu finden und hatte mit angesehen, wie die alten, geheimnisvollen Mächte seinen Herrn langsam, aber unverkennbar veränderten. Wahrscheinlich war nichts mehr von dem Mann übrig, in dessen Dienste er sich einst gestellt hatte. Dennoch war Gregor ein loyaler Mann, der niemals sein Wort brach und den Wünschen seines Herrn nach bestem Gewissen nachkam. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, den Patrizier zu hintergehen. Seine Zuverlässigkeit wurde von Fabio Fatalia stets geschätzt.

Zielstrebig bewegte sich der Patrizier durch die Straßen und steuerte eines der gehobenen Gasthäuser im Norden der Stadt an. Den zwielichtigen Gestalten, die am Straßenrand herumlungerten, schenkte er keinerlei Beachtung und die Gauner taten gut daran, ihm nicht in die Quere zu kommen. Fatalia wusste sich zu verteidigen. Er trug das Florett für jeden sichtbar mit einer Hand am Knauf. Zahlreiche Kämpfe hatte er im Laufe der Zeit überstanden. Keiner seiner Gegner war ihm gewachsen. Mit den Fähigkeiten, die sich der Patrizier zu Eigen gemacht hatte, war er jedem Gegner überlegen. Trotzdem gab es hin und wieder ein paar Dummköpfe, die den Geschichten nicht glauben wollten. Fabio Fatalia überzeugte sie innerhalb weniger Atemzüge von dem Wahrheitsgehalt seiner eigenen Legende. Er war ein überragender Fechter, was den Mythos um seine Person noch weiter anfachte.

Einige Gestalten beobachteten ihn argwöhnisch, doch niemand traute sich dem herrschaftlichen Mann entgegen zu treten. Seine Erscheinung war mysteriös und die Geschichten, welche man sich hinter vorgehaltener Hand über ihn erzählte, taten ihr übriges.

Fabio Fatalia öffnete die Tür, betrat den großzügigen Empfangsraum und wurde sofort vom Besitzer willkommen geheißen. Der hagere Kerl mit den blassblauen Augen verbeugte sich so tief, dass seine Nase beinahe den Boden berührte.

››Es ist mir eine Ehre, den berühmten Patrizier von Gaart in meinem bescheidenen Haus willkommen zu heißen.‹‹

››Ist mein Zimmer bezugsfertig?‹‹, erkundigte sich Fatalia mit emotionsloser Stimme. Sein Gegenüber nickte eifrig. ››Selbstverständlich. Ich habe mich persönlich um eure Wünsche gekümmert. Es sollte alles zu eurer Zufriedenheit sein. Lasst es mich wissen, wenn ihr noch etwas benötigt.‹‹

››Wenn Lord Faris eintrifft, schickt ihn in mein Quartier. Ich erwarte seinen Besuch.‹‹

››Ganz wie Ihr wünscht, Herr.‹‹

Nach der Unterhaltung ließ sich Fatalia sein Zimmer zeigen. Es war seinen Wünschen entsprechend ausgestattet, verfügte über ein großzügiges Bett, einen Tisch, vier gepolsterte  Stühle und besaß ein Fenster, das in Richtung der weniger belebten Seitengasse ausgelegt war. An eine Waschschüssel und eine Bettpfanne hatte der Wirt ebenfalls gedacht.

››Bringt mir eine Flasche Roten vom Geißelberg.‹‹

Der Gastgeber zögerte einen Moment, bevor er zu einer Antwort ansetzte. ››Ich fürchte, dass ich diesem Wunsch nicht nachkommen kann.‹‹

Der Patrizier sah ihn daraufhin stechend scharf an. ››Warum? Sind die Trauben am Berg ausgegangen?‹‹

››Die Vorräte sind erschöpft und die nächste Lieferung trifft erst im Laufe der Woche ein.‹‹

Fabio Fatalia knirschte hörbar mit den Zähnen, doch bevor er seinem Ärger Luft machen konnte, ergriff der Wirt wieder das Wort. ››Ich werde einen Burschen ausschicken. Mit etwas Glück lässt sich vielleicht noch eine Flasche auftreiben.‹‹

Der Patrizier rang sich ein flüchtiges Lächeln ab. ››Ich will jede Flasche, die in der Stadt zu finden ist. Ich zahle einen hervorragenden Preis für deine Bemühungen. Hast du das verstanden?‹‹

››Natürlich. Ich werde alles Notwendige veranlassen.‹‹

Mit diesen Worten hastete der Kerl aus dem Zimmer. Fabio Fatalia genoss seinen Status. Niemand mochte sich seinen Wünschen widersetzen. Wenn er nach Wein vom Geißelberg verlangte, tat man gut daran, dem Wunsch nachzukommen. Der Patrizier hasste es enttäuscht zu werden und sein Zorn konnte zu einer bedrohlichen Welle ausarten, die alles und jeden unter sich zermalmte.

Es dauerte knapp eine Stunde bis der Gastwirt zum Zimmer des Patriziers zurückkehrte. Er hatte vier Flaschen des edlen Tropfens auftreiben können. Fabio Fatalia sah ihn mit ausdrucksloser Miene an, zog vier Goldmünzen aus seiner Geldkatze und reichte sie dem Wirt. ››Das sollte ausreichen.‹‹

Der magere Kerl nickte dankbar. ››Ihr seid zu gütig, Herr. Wenn ich noch etwas…‹‹

››Ich werde es euch wissen lassen‹‹, unterbrach ihn der Patrizier schroff und wies auf die Tür. Bevor sein Gast eintraf, wollte er sich in aller Ruhe einem Glas des Rebensafts widmen. Viel zu lange musste er auf einen guten Wein verzichten.

Mit einem kalten Lächeln öffnete er die erste Flasche, ließ den Wein atmen und genehmigte sich einen Schluck. Der Wein vom Geißelberg ließ sich mit nichts auf der Welt vergleichen. Aus diesem Grund war er in den herrschaftlichen Häusern äußerst beliebt. Wenn ein Schiff mit der kostbaren Fracht in Born anlegte, konnte man sicher sein, dass innerhalb kürzester Zeit nichts mehr davon erhältlich war. Manche Kunden warteten Monate auf eine Flasche der kostbaren Flüssigkeit. Je nach Stand und Ansehen war es nicht sonderlich schwer, ein ganzes Fass in Empfang zu nehmen, sofern man den geforderten, meist überzogenen Preis zahlen konnte. Für viele Bürger war schon ein halbes Glas unerschwinglich.

Fabio Fatalia ließ sich den edlen Tropfen auf der Zunge zergehen. Der süße Geschmack war unvergleichlich und jede Münze wert. Auch wenn er einen Teil seiner Menschlichkeit abgelegt hatte, war er den weltlichen Gelüsten längst nicht abgeneigt. Schönen Frauen und gutem Wein konnte er einfach nicht widerstehen. Mit beidem ließ sich viel bewegen. Manches Königreich war schon wegen weniger in Schutt und Asche zerfallen. Nachdenklich sah der Patrizier aus dem Fenster. Bald müsste Lord Faris eintreffen. Der fette Tagedieb war weder klug noch symphytisch, doch seine Beziehungen hatten Fatalia schon mehrfach bereichert. Mit seiner Hilfe könnte der Patrizier bald die letzte Grenze überschreiten. Er würde den unvorstellbaren Schrecken aus seinem Kerker befreien, die Welt unterwerfen und jeden seiner Gegner von der Erde verbannen. Die Zeit der Dunkelheit stand kurz bevor …

 

3.

Als Arko wieder zu sich kam, dröhnte sein Schädel wie nach einem ausgiebigen Zechgelage. Sein gesamter Körper wurde vom Schmerz beherrscht und machte die kleinste Bewegung beinahe unmöglich. Die Stellen, an denen ihn die Angreifer erwischt hatten, brannten wie die Feuer der Unterwelt. Zu allem Überfluss wischte ihm auch noch etwas Feuchtes durchs Gesicht. Arko stöhnte leise und versuchte die Augen zu öffnen, doch selbst das bereitete ihm Schwierigkeiten. Hatte er den Kampf überlebt? Es dauerte eine Weile, bis sein Geist die Wirklichkeit erfassen konnte. Sein Blick war trüb und seltsam verschwommen. Er glaubte eine undeutliche Gestalt zu sehen, die nicht weit von ihm entfernt am Boden saß. Bitte lass es keinen Berglöwen oder ähnliches sein, geisterte es durch seine Gedanken.

Der Schemen hob den Kopf. ››Wuff!‹‹

Arko konnte sein Glück kaum fassen. ››Hund? Bist du es wirklich?‹‹

Er hatte die Töle seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen. Umso größer war seine Freude, auch wenn die Umstände unter keinem guten Stern standen. ››Schön dich zu sehen, altes Fellbündel.‹‹

››Wuff!‹‹, antwortete der Hund.

››Bei der Anzahl von Gegnern habe ich mich bereits vor den Schöpfer treten sehen. Warum hast du so lange auf dich warten lassen?‹‹

Der Köter legte den Kopf schräg, bedachte Arko mit einem nichtssagenden Blick, machte ein paar Schritte auf ihn zu und leckte ihm erneut übers Gesicht. Trotz aller Schmerzen musste Arko lachen. Er war froh, den Streuner an seiner Seite zu wissen. ››Danke, dass du aufgetaucht bist. Die Gorkus hätten mich ohne deine Hilfe ins Jenseits geschickt.‹‹

››Wuff.‹‹

Obwohl Arkos Körper von Schmerzen gemartert wurde, zeichnete sich auf seinen Lippen ein schwaches Lächeln ab. Er hatte überlebt und das war mehr wert, als alle Reichtümer dieser Welt. Ächzend schaffte er sich auf die Beine.

››Wuff?‹‹

››Ich habe … mich selten …besser gefühlt‹‹, erwiderte Arko gequält. Er musste seine gesamte Kraft aufbringen, um nicht wieder in sich zusammenzusacken. Der Kampf hatte ihm alles abverlangt. Wankend schaffte er sich auf die Beine und suchte er nach dem abgelegten Bündel. Zu seinem Glück waren die Eier unbeschädigt. Damit hatte sich der Einsatz gelohnt. Ringsherum lagen die Überreste der toten Gorkus. Der Streuner hatte sie übel zugerichtet und machte sich über einen abgerissenen Oberschenkel her. Beim Anblick des Geschehens musste Arko würgen. Das ist widerlich.

Nachdem wieder verschnürt hatte, sammelte er einen Kristalldolch vom Boden auf. Für die Waffe ließe sich in der Stadt bestimmt ein guter Preis erzielen. Nach den überstandenen Strapazen schien ihm das mehr als gerecht.

Arko riss ein Stück Stoff aus dem Hemd und versorgte notdürftig seine Wunden. Bis zur nächsten Stadt musste das ausreichen.

››Wuff!‹‹

››Ich beeile mich ja schon‹‹, brummte Arko, nahm seine Habseligkeiten und setzte sich humpelnd in Bewegung. Bis nach Zwirn waren es geschätzte zwanzig Meilen, wobei sich Arko nicht auf die Entfernung festlegen wollte. Mit Zahlen, Längen und Maßeinheiten konnte er sich noch nie gut anfreunden. Er zählte in Tagen und Nächten und fand, dass es egal war, wie viel ein Bierkrug an Inhalt fassen konnte. Entweder war er voll oder leer. Alles andere spielte eine eher untergeordnete Rolle.

Der struppige Hund trottete neben ihm her, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres.

››Wenn ich die Eier abgeliefert habe, gönne ich mir zuerst ein heißes Bad und eine Mahlzeit im besten Gasthaus der Stadt.‹‹

››Wuff!‹‹

››Und dir besorge ich eine Köstlichkeit, die nicht nach Gorku oder Echse schmeckt‹‹, scherzte Arko.

Der graue Zottel legte den Kopf schräg und sah ihn mit seinen dunklen Augen erwartungsvoll an. Arko kramte daraufhin in einer der Hosentaschen und musste feststellen, dass er die Nüsse und die wenigen Streifen Trockenfleisch, die ihm als Proviant gedient hatten, im Laufe der Flucht oder während des Kampfes verloren hatte.

 ››Ich fürchte, dass ich dir im Moment nicht viel anbieten kann.‹‹

 ››Wuff!‹‹

Der Hund wedelte mit der Rute und es schien, als wolle er aus unerklärlichen Gründen nicht mehr von Arkos Seite weichen. Der Weg dauerte ewig an und als die Nacht hereinbrach, war von der Stadt noch immer nichts zu sehen.

››Wir sollten rasten und bis zum nächsten Morgen abwarten. Ich bin müde und mein gesamter Körper schmerzt. Jeder weitere Schritt würde mich umbringen. Die verdammten Schuppenmonster haben mir arg zugesetzt.‹‹

Arko legte das Bündel behutsam neben sich ab und ließ sich entkräftet auf den Boden sinken. Normalerweise war er bei der Wahl des Nachtlagers anspruchsvoller, doch sein Zustand ließ keine Suche nach einem geeigneten Unterschlupf zu. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Bald würde ihn das zu erwartende Fieber heimsuchen. Erschöpft ließ er sich zurücksinken. Der Hund verweilte noch einen Augenblick an seiner Seite, um dann unerwartet davon zu springen. Hinter einem Felsen, der zwischen mannshohen Büschen und Gestrüpp hervor ragte, sollte er verschwinden.

Wahrscheinlich hat er eingesehen, dass ich ihm nichts bieten kann, dachte Arko mit ein klein wenig Wehmut. Er hatte dem Streuner sein Leben zu verdanken und hätte ihn gern noch länger an seiner Seite gewusst. Ohne ihn würde ich nicht mehr unter den Lebenden weilen.

Erschöpft schloss Arko die Augen. Wenn ihn das Wundbrandfieber überkam, würde er die Stadt womöglich nicht mehr erreichen. Waren seine Mühen umsonst? Auf seinen Reisen hatte man ihn mehrfach schwer verletzt. Die einstigen Wunden waren zu Narben verwachsen und erzählten Geschichten, die Arko tief in seinem Inneren verborgen hielt. Warum sollte er ausgerechnet jetzt sterben? Auch wenn die Wunden schmerzten und unaufhörlich pochten, würden sie ebenso vergehen, wie der Rest, der seinen Körper schmückte. Er erinnerte sich an den Armbrustbolzen, der ihm vor wenigen Jahren in die Schulter eingedrungen war. Damals hatte er mit dem Tod gerechnet und die Wunde mit kochendem Wein gesäubert. Den Schmerz würde er niemals vergessen. Im Vergleich zu dieser Erinnerung waren seine jetzigen Verletzungen eine banale, kaum nennenswerte Kleinigkeit.

In der Stadt würde er die Wunden von einer Kräuterfrau oder einem Septon behandeln lassen, wobei er die überhöhten Preise eines geweihten Heilers nur ungern bezahlen wollte. Arko hatte schon Schlimmeres überstanden. Im nächsten Moment ließ ihn ein dumpfer Laut aufschrecken. Der zottelige Köter war wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht und hatte ein erlegtes Murmeltier fallen lassen. Arko betrachtete das leblose Tier. Mit dem Fleisch könnte er seinen Hunger stillen. Das würde ihn bei Kräften halten. ››Du bist nicht nur ein ausgezeichneter Kämpfer, sondern auch ein überragender Jäger‹‹, stellte Arko fest und kraulte den namenlosen Hund hinter den Ohren. ››Was würde ich nur ohne dich machen?‹‹

››Wuff!‹‹

Ächzend richtete sich Arko auf. Nicht weit von ihm entfernt fand sich trockenes Gestrüpp, das sich bestens für ein Feuer eignete. Er nahm den Kristalldolch und schlug ihn mehrfach gegen seinen Feuerstein, den seit dem Aufbruch zur Gorkuhöhle im Stiefel verwahrte. Funken tanzten umeinander und nach einer Weile fing das Gestrüpp leise an zu knistern. Kurze Zeit später brutzelte das Murmeltier über den Flammen und verströmte einen köstlichen Geruch, der Arko das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. Er hatte darauf verzichtet, dem Tier das Fell abzuziehen und die Innereien zu entfernen. Beides war reine Zeitverschwendung, wenn man vom Hunger geplagt wurde. Das Feuer verbrannte die Haare und die Innereien garten ebenfalls. Letzteres würde er dem Streuner überlassen, der sich wenig später über sein Fressen hermachte. Das Fleisch schmeckte nussig und erinnerte Arko an den letzten Braten, den er vor endloser Zeit in einem Gasthaus verspeisen durfte.

Vom Murmeltier sollte nichts übrig bleiben. Hund kaute auf den letzten Knochen, während sich Arko über den Mund wischte. Er fühlte sich gestärkt und die Schmerzen traten in den Hintergrund, auch wenn sie nicht vollends verschwinden wollten.

Als der Tag erwachte, fühlte sich Arko deutlich besser. Seine Wunden bereiteten ihm weniger Sorgen als am Vortag und das befürchtete Fieber war bislang ausgeblieben. Der Hund gähnte neben ihm, riss das Maul weit auf und streckte sich.

››Wir sollten aufbrechen, wenn wir Zwirn noch am heutigen Tag erreichen wollen.‹‹

Der Streuner sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an und legte den Kopf gelangweilt auf die Vorderpfoten. Er erweckte nicht den Anschein, als wolle er sich vom Fleck bewegen. Arko sammelte seine Habseligkeiten auf und schenkte dem Hund einen letzten Blick. Er wusste, dass sich ihre Wege früher oder später wieder kreuzen würden.

Gegen Nachmittag entschied sich Arko für eine weitere Pause. Die Schmerzen waren auf ein erträgliches Maß abgeklungen. Dennoch war er längst nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. Die Reise zur Höhle und der ungleiche Kampf mit den Echsen hatte ihn an seine Grenzen gebracht. Unter dem Schatten eines Baumes ließ er sich nieder, als zwei Stimmen an sein Gehör drangen. Sie mussten sich ganz in der Nähe aufhalten. Arko spitzte die Ohren und spähte hinter dem Stamm hervor. Er wollte nach dem überstandenen Abenteuer ungern in weitere Schwierigkeiten geraten. Arko entdeckte zwei Männer, die einen Speerwurf entfernt an einem Feuer saßen und sich angeregt unterhielten. Arko dachte kurz darüber nach, ob er sich zu ihnen gesellen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Vorsichtig wollte er sich zurückziehen, da hatte ihn einer der Männer bereits entdeckt.

››Du musst dich nicht vor uns verstecken. Komm und setz dich zu uns!‹‹, rief der Rothaarige. ››Was ist mit dir geschehen? Du siehst furchtbar aus, wenn du mir die Bemerkung erlaubst.‹‹

Zögerlich folgte Arko der Einladung. Er lud seine Mitbringsel neben sich ab und reichte den Männern die Hand.

››Das ist Ruma und ich bin Jugo‹‹, erzählte der Rotschopf im Plauderton.

››Sehr erfreut‹‹, antwortete Arko und entdeckte einen Kessel, der über dem Feuer köchelte.

››Du siehst hungrig aus. Willst du etwas essen?‹‹, erkundigte sich Ruma. Er war ein kräftiger Kerl mit feuerrotem Haar und schwieligen Händen. Auf seiner rechten Wange war eine hässliche Narbe zu sehen, die ihm bis zum Kinn reichte. Sein Begleiter hatte eine sehnige Statur und ergraute Schläfen. Er trug einen schwarzen Hut mit breiter Krempe, der aus der Nähe betrachtet, abgewetzt und schäbig wirkte.

››Du hast anscheinend viel erlebt‹‹, stellte Jugo fest.

Arko sah, wie er das Bündel aus dem Augenwinkel abschätzte und seinem Gefährten ein unauffälliges Zeichen zukommen ließ.

››Was treibt dich in diese Gegend?‹‹, wollte Ruma wissen.

››Ich bin auf dem Weg nach Zwirn‹‹, erklärte Arko knapp.

››Die Stadt ist nicht halb so schön, wie man es sich fernab der grünen Weiden erzählt‹‹, brummte Jugo und füllte eine Schüssel. Der Eintopf roch köstlich und ließ Arko jegliche Vorsicht vergessen. Mit dem gereichten Löffel machte er sich über die Mahlzeit her.

››Ich hoffe, du magst Haseneintopf. Hab das Langohr erst heute Morgen erschlagen. Meister Lampe ist mir geradewegs vor die Füße gelaufen. Ich musste nur noch zupacken und ihm den Hals umdrehen‹‹, sagte Jugo mit stolz geschwellter Brust. Arko bemerkte das Wurfbeil, welches der Kerl unter seinem Mantel zu verstecken versuchte. Sein zwielichtiger Begleiter saß unweit eines gefüllten Köchers. Der Bogen würde sich ebenfalls in Reichweite befinden, dessen war sich Arko sicher. Er ließ sich nichts von seinen Beobachtungen anmerken und widmete sich mit gespielter Ruhe dem herzhaften Eintopf. Im Moment konnte er seine geheimnisvolle Gabe nicht in vollem Ausmaß nutzen. Auch sein körperlicher Zustand ließ keine Auseinandersetzung zu. Mit dem Messer konnte er gegen das Beil des einen vielleicht bestehen, doch der Bogen würde sich schnell zum Problem entwickeln. Ein gezielter Pfeil reichte aus, um einen Menschen in den Tod zu reißen. Verzweifelt sah sich Arko um. Vom lausigen Streuner war nirgends etwas zu sehen. Wo steckt der Köter, wenn ihn brauche?

Arko wusste, dass Männer jeglichen Standes ihre Waffen selten zur Zierde trugen. Die Kerle mochten aus der Ferne wie harmlose Reisende wirken, doch bei näherer Betrachtung waren sie nicht mehr, als dahergelaufene Halunken, die es auf leichte Beute abgesehen hatten. Das Bündel mit den Eiern und die Kristallklinge würden ihnen eine ansehnliche Summe einbringen. Mitbringsel dieser Art waren bei jedem Händler von Nordhorn bis Greifensand heiß begehrt. Sie würden sich mit Geboten gegenseitig übertrumpfen, da Gegenstände aus den einsamen Landen äußerst selten einen Weg in die Städte der Menschen fanden. Die Gründe lagen nach den jüngsten Erfahrungen auf der Hand. Arko fluchte in Gedanken. Bei allen Heiligen! Warum muss ich immer in solche Schwierigkeiten geraten? Verfluchter Gorkudreck! Ich hätte den Beiden fernbleiben sollen.

Ihm fiel auf, dass sich die Männer verschwörerische Blicke zuwarfen. Arko musste handeln und den Halunken zuvor kommen. Arko fasste einen Entschluss, der über Leben und Tod entscheiden würde.

Plötzlich wirkten die Zwei nicht mehr so nett. ››Du trägst eine hübsche Klinge am Gürtel‹‹, bemerkte Ruma, während sich sein Begleiter dem Bündel anzunähern versuchte.

››Sieht so aus, als hätte unser Freund eine seltene Kostbarkeit bei sich‹‹, stellte Jugo fest. ››Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich einen Blick riskiere und deine Habe einem kritischen Blick unterziehe. Ich bin an Kostbarkeiten jeder Art interessiert. Vielleicht nehme ich sie dir auch einfach weg.‹‹

Spätestens jetzt hatte Arko Gewissheit. Er musste handeln, wenn er seine hart erkämpfte Beute nicht an die elenden Strauchdiebe verlieren wollte. Obwohl ihm alle Glieder schmerzten, sprang Arko mit einer blitzartigen Bewegung auf die Beine, langte nach der Schöpfkelle und schlug sie Jugo wuchtig gegen den Schädel. Sein Kumpan war von dem Angriff derart überrascht, dass er den Bogen völlig außer Acht ließ und seinem Gegner mit bloßen Fäusten entgegen trat. Der grobschlächtige Kerl mochte ihm vielleicht an Kraft überlegen sein, doch Arko konnte, trotz seiner Verletzungen, ein beachtliches Maß an List und Tücke aufbieten, mit der Ruma nicht gerechnet hatte. Er täuschte einen Schlag vor, zog die Kelle im letzten Moment zurück und verpasste dem Kessel einen Tritt. Der köchelnde Sud spritzte wie eine Flutwelle empor und traf den Kerl mitten ins Gesicht. Schreiend taumelte Ruma umher. Er wedelte wild mit den Armen, stolperte über seinen benommenen Begleiter und stürzte rücklings zu Boden. Für Arko war es nun an der Zeit, die Flucht zu ergreifen. Eine bessere Möglichkeit würde sich ihm mit Sicherheit kein zweites Mal bieten. Hastig packte er nach seinem Bündel und lief los. Wenn die Gauner sich gesammelt hätten, wäre es besser, sich möglichst weit von ihnen entfernt aufzuhalten. Humpelnd schleppte er sich zur Straße. Der unsägliche Schmerz kehrte auf einen Schlag zurück und seine Beine schienen mit jedem Schritt schwächer zu werden. Bei der Geschwindigkeit würde er in Kürze zusammenbrechen und den Strauchdieben ein leichtes Opfer bieten. Soweit durfte es nicht kommen. Arko biss die Zähne zusammen. Er hatte den Dolch und die Eier nicht erbeutet, um sie an daher gelaufene Gauner zu verlieren. Er beschleunigte seinen Gang, auch wenn ihn die aufflammenden Schmerzen beinahe um den Verstand brachten. Seine Wunden brannten wie die ewigen Feuer der Verdammnis.

››Kann ich dir helfen?‹‹, hörte er plötzlich eine sanfte Stimme fragen. Arko drehte sich erschrocken um und entdeckte ein kleines Gespann, das von einem Maultier gezogen wurde. Auf der Sitzbank saß ein hübsches Mädchen mit schulterlangem, goldgelbem Haar, welches zu zwei Zöpfen geflochten war. Sie lächelte ihn sanftmütig an.

››Ich bin auf dem Weg nach Zwirn und könnte dich den Rest des Weges mitnehmen.‹‹

Arko nickte wortlos und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

››Du siehst schlimm aus. Jemand sollte sich deine Verletzungen ansehen, bevor sie sich entzünden und das Fieber einsetzt. Wenn du willst, kann ich dir ein paar Kräuterbinden anbieten. Das sollte den Schmerz lindern. Ich habe zahlreiche Menschen gesehen, denen man nach ähnlichen Verletzungen die Gliedmaßen abnehmen musste‹‹, erzählte die junge Frau im Plauderton. Arko schaffte sich  mühsam auf die Ladefläche und ließ sich kraftlos zurücksinken. Kurz darauf setzte sich der Wagen in Bewegung.

››Ich finde das alles so aufregend. Es ist mein erster Besuch in Zwirn. Dort

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: René Grigo
Bildmaterialien: Pixabay (lizensfreies Bild)
Lektorat: René Grigo
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2016
ISBN: 978-3-7396-8646-2

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Fabio, den wahren Patrizier ;)

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