Die Nacht lag über Groß-Tull und Regen prasselte beharrlich vom Himmel herab. Von den Dächern platschten beständige Sturzbäche auf die Straßen und Wege. Unter freiem Himmel war es mehr als ungemütlich. Dem ungeachtet herrschte in den verschlungenen Gassen und dunklen Wegen der Hafenmetropole dennoch geschäftiges Treiben.
Wer sich in diesem Teil des Landes aufhielt, hatte selten etwas Gutes im Sinn. Haufenweise Gesindel, Verbrecher, Gauner, Diebe und andere zwielichtige Gestalten fanden hier einen geeigneten Unterschlupf. In düsteren Ecken feilschten verhüllte Gestalten um den Preis verschiedenster Waren, Langfinger verkauften ihr Diebesgut und Meuchelmörder warteten auf neue Aufträge, die es an diesem Ort zu Genüge gab. Reiche und einflussreiche Geschäftsmänner machten sich deren Künste gern zunutze, um die ungeliebte Konkurrenz aus dem Weg zu schaffen. Für fünf goldene Duplonen konnte man einiges in die Wege leiten und sich aller lästig erscheinenden Mitbürgern auf einfache Art und Weise entledigen, ohne dabei selbst verdächtig zu wirken.
Zu diesen Zeiten war das Leben wahrlich nicht angenehm, geschweige denn eine süße Leckmuschel, wie es sie in den Auslagen der Zuckerläden gab. Ein längst vergessener Philosoph beschrieb dies einst mit den Worten: ››Das Leben ist kein Ponyhof.‹‹
Leider kann man über den Verbleib des Gelehrten nur Mutmaßungen anstellen und erahnen, welchen Grausamkeiten er durch seine gewagte These zum Opfer fiel. Die Herrscher jener Zeit verfügten über keinen ausgeprägten Sinn für Humor, was die Zunft der Philosophen weitestgehend aus dem öffentlichen Leben verbannte und sie im Verborgenen über den Sinn und Unsinn des Lebens sinnieren ließ. Doch das, ist eine andere Geschichte …
Groß-Tull war wahrlich kein angenehmer oder gar ansehnlicher Ort. Mit seinen stinkenden Abwasserkanälen, den dreckigen Straßen und zwielichtigen Gestalten, die sich an jeder Ecke versammelten, war die Stadt ein bösartiger Moloch, der jeden arglosen Besucher aufzufressen drohte. Dennoch strömten die verschiedensten Gesichter von überall herbei, um kurz darauf in den zahlreichen Gassen und verwinkelten Straßen zu verschwinden. Hier wurde jeder fündig, egal wonach man auf der Suche war. Dafür war die Stadt bis weit über die Landesgrenzen bekannt. Düstere Gesichter folgten jeder noch so kleinen Bewegung, während bedrohlich wirkende Gestalten im Schatten der Häuser auf ahnungslose Passanten lauerten, die seit ihrer Ankunft die Abreise kaum noch erwarten konnten.
Auch den Dieb, Alfred Alfoy, hatte es auf unglücklichen Wegen in die Hafenstadt am Rande des Landes verschlagen. Er war auf der Flucht vor den Schergen eines Fürsten, den er vor wenigen Tagen um ein unbedeutendes Kleinod erleichtert hatte. Über Tage hatte er die Gewohnheiten der Wachen studiert, die Zimmer von seinem Versteck aus beobachtet und seine Tat bis ins kleinste Detail geplant. Im Schutz der Nacht stieg er über die Mauer, sprang auf der anderen Seite katzengleich zu Boden und schlich unbemerkt zum Haus. Sein Plan war riskant, doch der Beutezug würde für lange Zeit ausreichen, um ein unbeschwertes Leben führen zu können. Dabei standen die Strafen in keinem Verhältnis zur Tat. Von der Häutung bis zum Verbrennen auf dem Scheiterhaufen konnte ihn beinahe jedes erdenkliche Schicksal ereilen. Alfred wollte keinen Gedanken an dergleichen verschwenden. Er kletterte an der Regenrinne zum ersten Stockwerk und öffnete vorsichtig das ungesicherte Fenster. Danach hievte er sich ins Innere des Zimmers, kam lautlos auf die Beine und ließ seinen Blick verstohlen durch den Raum wandern. In der Dunkelheit konnte er die silbernen Kerzenleuchter ausmachen, die von den Dienern sorgfältig gelöscht wurden, um Brände zu verhindern.
Alfreds Herz pochte ihm bis zum Hals. Dennoch musste er die Ruhe bewahren. Da er die letzen Nächte im Geäst eines Baumes verbracht hatte, waren seine Augen an die herrschende Finsternis gewöhnt, was sein Vorhaben deutlich erleichterte. Er sah eine ziselierte Rüstung, schwere Wandteppiche und wertvolle Gemälde, doch nichts, was sich für eine schnelle Flucht eignete. Mit den hiesigen Gegenständen und der Einrichtung würde er nicht weit kommen. Es muss doch irgendetwas geben, was sich in meinen Taschen verstauen lässt, dachte der Dieb.
Alfreds Augen suchten die unmittelbare Umgebung ab, doch außer den genannten Kostbarkeiten, gab der Raum nicht viel her. Vielleicht sollte ich den Pisspott stehlen. Damit werde ich zwar nicht reich, doch mein Einbruch wäre wenigstens nicht umsonst.
Alfred wusste, dass die Bediensteten zu jeder vollen Stunde die Zimmer aufsuchten, um diese auf ihre Unversehrtheit zu prüfen. Ihm blieb nicht viel Zeit, wenn er ungesehen verschwinden wollte. Plötzlich öffnete sich die Tür und Alfred starrte ins Licht einer flackernden Kerze. Der Diener sah den Eindringling erschrocken an, doch seine Verwunderung sollte nicht lange anhalten. Einen Herzschlag später hatte er sich gefasst und rief Worte, die in jedem Winkel des Hauses zu hören waren.
››Wir haben einen Eindringling! Wachen!‹‹
Alfreds Hand tastete über die Kommode. Er bekam einen undefinierbaren Gegenstand zu fassen und ließ diesen in seiner Jackentasche verschwinden. Ohne Beute würde er das Anwesen keinesfalls verlassen. Mit drei Schritten war er an den Diener herangetreten, stieß den Mann mit einer schwungvollen Bewegung zur Seite und trat keuchend in den Flur. Er entdeckte fünf Wachen, die mit gezogenen Schwertern die Treppe hinauf stürmten. Ihm blieb nur eine Fluchtmöglichkeit, wenn er einer Strafe entgehen wollte - er musste durch eines der Fenster springen. Mit etwas Glück würde er sich beim Versuch den Hals brechen und seinem Leben ein vorzeitiges Ende bescheren. Das war allemal besser, als in einem der Kerker auf den Tod zu warten. Ruckartig drehte sich Alfred um und verpasste dem Diener, der sich unbeholfen auf die Beine zu schaffen versuchte, einen kräftigen Tritt unters Kinn, der den Mann erneut zu Boden sinken ließ.
Das Fenster, durch das er gekommen war, stand noch offen und Alfred atmete tief durch. Dann wagte er den Sprung. Zu seiner Verwunderung war die Landung nicht so hart wie befürchtet. Alfred landete auf zwei Männern, die durch das Geschrei des Dieners vor die Tür gestürmt waren, um dort nach dem Rechten zu sehen. Die Beiden waren vom plötzlichen Auftauchen des Fremden nicht minder überrascht, als der Dieb selbst. Bevor sie sich aufrappeln konnten, war Alfred schon auf den Beinen und flüchtete in den Schutz der Dunkelheit. Leider hatte er bei seinem Raubzug ausreichend Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sodass in den nächsten Tagen ein Steckbrief die Folge war. Zugegeben, bei der Zeichnung handelte es sich nicht um die Arbeit eines herausragenden Künstlers, doch reichte die Kritzelei aus, um ihn als Dieb kenntlich zu machen. Damit hatte Alfred nicht nur den Zorn des Fürsten heraufbeschworen, sondern auch das Interesse der Diebesgilde geweckt. Auch Diebe hatten zu jener Zeit Verpflichtungen, denen sie unabdingbar nachkommen mussten. Die Gilde forderte von jedem erbeuteten Raub eine kleine Summe, die umgehend an einen der Schatzmeister zu zahlen war. Für diesen Obolus wurde man bei kleineren Delikten aus dem Gefängnis freigekauft und konnte von Neuem auf Beutezug gehen. Die Richter, sowie die Wachen waren gerne bereit, einen Verbrecher auf freien Fuß zu setzen, da es in jedem Kerker an Platz und Versorgung mangelte. Vorausgesetzt das Vergehen wurde mit einer angemessenen Summe gesühnt.
Irgendwie hatte Alfred seine Pflicht gegenüber der Gilde vergessen und die Zunft der Diebe duldete keine Verspätung, wenn es um ihren Anteil der Beute ging. Deren Schläger waren berüchtigt für ihren Eifer und Alfred war ihnen erst vor wenigen Tagen mit knapper Not entkommen. Als die Tür des Gasthauses aufflog und zwei düster dreinblickende Gestalten mit dicken Knüppeln in den Händen die Schenke betraten, wusste Alfred, um wen es sich bei den Männern handelte. Natürlich hätte er seine Schuld begleichen können, doch waren die Schläger nicht nur auf die Erfüllung ihrer Pflichten erpicht, sondern würden ihn auch daran erinnern, wem er in Zukunft seinen Tribut zu zollen hatte.
In der Vergangenheit musste Alfred mit ansehen, wie die Kerle einen anderen Dieb fast tot prügelten. Ein Jahr später hatte sich der Mann von seinen Blessuren erholt. Fortan ging einer anderen Beschäftigung nach. Da das Melken von Kühen und Ziegen für Alfred nicht infrage kam, entschied er sich für die Flucht. Hastig sprang er von seinem Stuhl, warf den Tisch um und hastete ins obere Stockwerk. Die Schläger folgten ihm und Alfred wollte sich nicht ausmalen, was sie mit ihm anstellen würden, wenn er den unfreundlichen Gestalten in die Hände fallen sollte. So sprang er abermals aus einem geöffneten Fenster, landete in einem Heuhaufen und konnte seine fluchenden Verfolger wenigstens für eine Weile hinter sich lassen.
Mittlerweile hoffte er darauf, in der Metropole untertauchen zu können, die Beute schnellstmöglich zu veräußern und mit einem Schiff auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. In dieser Stadt würde er unter den unzähligen Menschen kaum mehr auffallen, als ein Sack Flöhe auf dem Fell einer streunenden Katze. Trotzdem konnte er den Atem seiner Verfolger noch im Nacken spüren. Die Diebesgilde würde mit ein paar Münzen jede Zunge lockern und Alfreds Spur folgen.
In Groß-Tull blieb selbst ein Dieb nicht länger als unbedingt erforderlich, wenn er nicht das Bedürfnis hatte, gemeuchelt, ausgeraubt oder entführt zu werden. Für die folgende Nacht würde sich Alfred ein ruhiges Fleckchen suchen und am nächsten Morgen über seine weiteren Schritte nachdenken. Er hatte mindestens einen, wenn nicht sogar zwei Tage Vorsprung. Das sollte ausreichen, um seine Verfolger endgültig abzuhängen.
In einem Wirtshaus ließ er sich in einer schlecht beleuchteten Ecke nieder und verfolgte mit unruhigem Blick das hiesige Treiben. Finstere Gestalten tummelten sich an diesem Ort und fast schien es, als habe sich die gesamte kriminelle Gesellschaft in der Taverne versammelt. Es wurde palavert, gestritten, über Preise verhandelt und fluchend gezankt. Übel riechende Getränke ergossen sich über den schmutzigen Holzdielen des Fußbodens.
Alfred fühlte sich unwohl, doch alles war besser, als den Schergen des Fürsten oder gar den Gildenschlägern in die Finger zu fallen. Verunsichert beobachtete er das Geschehen, sah sich nach einem geeigneten Hehler um und entdeckte einen bärtigen Mann, der aus der Masse hervor stach. Der Kerl hatte ein wettergegerbtes Gesicht, dunkle, geheimnisvolle Augen und schwielige Hände. Zweifelsfrei handelte es sich bei ihm um einen Seemann, der den größten Teil seines Lebens auf einem der Schiffe verbracht und den Wellen des Meeres getrotzt hatte. Mit dem schwarzen Dreispitz, der rostbraunen Jacke, welche ihm bis zur Hüfte reichte, den eng anliegenden Hosen und den festen Stiefeln sah er aus, als wäre er ein Mann von hohem Rang. Ein tiefschwarzer Bart zierte sein Gesichts und das ebenso dunkle Haar reichte ihm gut drei Handbreit über die Schultern.
››Ich zahle jedem, der sich unserer Reise anschließt, zwei Duplonen. Außerdem wird der Gewinn unter der Mannschaft aufgeteilt. Man müsste dumm sein, um ein derartiges Angebot auszuschlagen.‹‹
Keiner der Anwesenden rührte sich.
››Was ist los mit euch? Habt ihr mich nicht verstanden? Ich sagte, dass ich jedem zwei Duplonen zahle, der sich meiner Crew anschließt.‹‹
Als ein Zwerg an dem Bärtigen vorbei huschen wollte und versehentlich sein Glas über der Jacke des raubeinigen Seemanns vergoss, versetzt ihm dieser einen heftigen Tritt und der Kleinwüchsige landete krachend in einer Ecke des Raums. Scheinbar waren an diesem Ort derartige Turbulenzen nichts ungewöhnliches, da der Wirt seelenruhig seinen Geschäften nachging, ohne dem Geschehen einen Blick zu schenken. Auch die restlichen Gäste blieben unbeeindruckt. Gestohlene Gegenstände wurden durch unzählige Hände gereicht, untersucht und sorgfältig begutachtet.
Alfred atmete hörbar durch. Das Dunkel der Umgebung hatte ihn beinahe unsichtbar werden lassen. Trotzdem wollte er der Stadt auf dem schnellsten Weg den Rücken kehren. Er musste schleunigst einen Händler finden, den er vom Wert der nutzlosen Metallplatte überzeugen konnte. Plötzlich flog die Tür auf und drei Soldaten stürmten in die Taverne. Sie trugen dunkelblaue Uniformen, wobei einer mit mehreren Abzeichen versehen war. Bei ihm handelte es sich zweifelsfrei um den Anführer.
Alfred sank auf seinem Sitzplatz herab, bis er mit den Augen gerade noch über die Tischkante blicken konnte. Sein Herz schlug ihm heftig gegen die Brust und drohte jeden Moment zu zerspringen.
››Keiner verlässt den Raum! Wir suchen nach diesem Mann. Er soll seiner gerechten Strafe zugeführt werden!‹‹, erklärte ihr Anführer. Er hielt einen Steckbrief in die Höhe und zeigte ihn umher.
Alfred langte in seine Jackentasche. Seine Fingerspitzen berührten das unbedeutende Kleinod, welches er aus dem Anwesen entwendet hatte. Er vermied jeglichen Atemzug. Gekicher und Gelächter breitete sich in der Schenke aus. Kaum jemand war an den Belangen eines Fürsten oder dessen Soldaten interessiert. Der Hauptmann schien verunsichert, sammelte sich jedoch erstaunlich schnell und nahm Haltung an. Ein leises Räuspern entfleuchte seinen Lippen, bevor er die Menge zur Ordnung rief.
››Ruhe! Hat jemand diesen Kerl gesehen?‹‹
Der Soldat und seine Begleiter waren jung an Jahren und es fehlte ihnen an der notwendigen Erfahrung, um in derartigen Kreisen ernst genommen zu werden. Ihr Anführer sah beunruhigt in die Menge, führte eine Hand zum Schwertknauf und ordnete an, dass sich niemand ohne seine Zustimmung bewegen solle. Seine Begleiter prüften unterdessen die anwesenden Gesichter.
Viele der Gäste schüttelten die Köpfe und ließen die zuvor noch heiß begehrten Gegenstände klammheimlich in ausgebeulten Hosentaschen, schmutzigen Socken oder kniehohen Stiefeln verschwinden. Danach widmeten sie sich dem ein oder anderen Getränk und schenkten den Soldaten keinerlei Beachtung. Es wurde geflucht, gerülpst, gefurzt und so manches an Mageninhalt über dem fleckigen Holzboden verteilt.
Der Hauptmann packte den Bärtigen an der Jacke und drückte ihm den Steckbrief ins Gesicht.
››Kommt dir der Kerl bekannt vor?‹‹, fauchte der Soldat bissig. Der fremde Mann regierte erstaunlich gelassen. Zumindest für den Augenblick.
››Ich bin Captain Voldor Mortemur und es interessiert mich einen Haufen Pferdescheiße, wen oder was ihr an diesem Ort sucht. Verschwindet, wenn euch euer Leben lieb ist und berichtet dem fettleibigen Bastard, dass er sich seinen Steckbrief in den Allerwertesten schieben kann!‹‹
Unter den Anwesenden brach erneut Gelächter aus und der Gesichtsausdruck des Soldaten verhärtete sich. Der Fürst, dessen Befehlsgewalt bis in die Stadt reichte und der den klangvollen Namen Morph der III. trug, war überall für seinen mangelnden Sinn für Humor bekannt. Für die Anmaßung hätte er den Bärtigen auf der Stelle hinrichten lassen. Ob er seine Opfer vierteilen, köpfen, ertränken, enthaupten, häuten oder verbrennen ließ, kam immer auf seine Stimmung an.
Der Hauptmann führte eine Hand zum Schwertgriff, doch Mortemur kam ihm zuvor. Bevor der Soldat reagieren konnte, hatte Mortemur seinen Säbel gezückt und hielt ihn zielgenau an die pulsierende Halsschlagader des Schergen. Dessen Begleiter langten nach den Waffen. Spätestens jetzt war den Soldaten die Aufmerksamkeit der Gäste gewiss.
››An einem Ort wie diesem, seid ihr hoffnungslos unterlegen. An eurer Stelle würde ich es mir gut überlegen, welche Schritte ich als Nächstes wähle‹‹, brummte Mortemur. Auch einige Gäste hatten sich erhoben und untermauerten Voldor Mortemurs Aussage. Ein glatzköpfiger, hochgewachsener Mann mit fliehendem Kinn und struppigem Haar zog einen Dolch unter dem Hemd hervor. Die restlichen Gestalten folgten seinem Beispiel. In Windeseile waren die Meisten mit Messern, Äxten, Schwertern und Knüppeln bewaffnet, was die Gefolgsleute des Hauptmanns verunsichert von ihrem Plan abrücken ließ.
››Wenn euch der Gesuchte begegnet, wendet euch an die Stadtwachen‹‹, stammelte der Soldat, wurde kreidebleich und deutete mit zitternden Fingern auf den halb zerknüllten Steckbrief. Mit gebotener Vorsicht entfernte er sich von Mortemurs Klinge, schlich rückwärts zur Tür und machte sich mit seinem Gefolge aus dem Staub. Die Tür schwang unruhig in den Angeln und schlug ein weiteres Mal gegen die Wand, als die Dunkelheit die Schergen verschluckte.
Alfred atmete erleichtert auf und sah, wie sich Mortemur zielgenau in seine Richtung bewegte. Mit fünf polternden Schritten stoppte der Seebär vor seinem Tisch und setzte sich ihm gegenüber, ohne um Erlaubnis zu fragen. Mortemur betrachtete den Neuling und legte die Stirn in Falten. Schatten flackerten unruhig über die gegerbten Gesichtszüge des Seemanns und Alfred wurde mulmig zumute.
››Noch keine zwanzig Lenze alt‹‹, stellte Mortemur fest. Seine Augen funkelten wie schwarze Mondsteine im Sonnenlicht.
››Der Fürst ist nicht gut auf dich zu sprechen. Du solltest auf dem schnellsten Wege von hier verschwinden. Ich hätte noch Bedarf an tüchtigen Seemännern. Die Plätze sind leider begrenzt und ich kann unmöglich ewig auf eine Antwort warten. Wir treffen uns in einer Stunde am Pier. Überleg es dir. Der Fürst macht mit räudigen Dieben kurzen Prozess und seine Lakaien sind dir dicht auf den Fersen. Ich biete dir die einmalige Möglichkeit, deinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Nicht vielen wird ein derart großzügiges Angebot unterbreitet.‹‹
Dem Dieb bot sich keine Gelegenheit, um auf den Vorschlag näher einzugehen, da sich Mortemur in die Höhe stemmte und das Wirtshaus mit großen Schritten verließ. Alfred überlegte nicht lange und fasste einen Entschluss. Das Angebot war die Antwort auf seine Gebete. Mortemurs Vorschlag kam gerade zum rechten Zeitpunkt und wäre eine gute Gelegenheit, die Häscher endgültig hinter sich zu lassen. In fünfzig Seemeilen Entfernung lag die Freiheit. Dort endete der Zuständigkeitsbereich des Fürsten und die Gilde würde es ebenfalls nicht wagen, den Schutz der Stadt zu verlassen. Jenseits der Meerenge würden ihre Bemühungen enden. Alfred tippelte unruhig mit den Fingern auf der Tischkante. Sollte er das Angebot des Captains annehmen?
Der Hafen lag im nördlichen Teil der Stadt und nach einem ausgiebigen Fußmarsch, erreichte Alfred den vereinbarten Treffpunkt. Weit und breit war nichts vom Captain zu sehen. Hatte sich Mortemur aus dem Staub gemacht?
In dieser Nacht lagen eine Handvoll Fischerboote, ein schäbiger Zweimaster und eine Galeone vor Anker. Von dem besagten Schiff, dass der Bärtige angepriesen hatte, fehlte jede Spur.
Auf dem Wasser bildeten sich Nebelschwaden, die lautlos an der Kaimauer empor stiegen und in Windeseile den Hafen eroberten. Der Dunst hüllte die gesamte Umgebung ein. Alfred konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Er setzte einen Fuß vor den anderen, sah sich mit verunsichertem Blick um und entdeckte eine Lichtquelle, die ihm zur Orientierung dienen mochte. Dort musste die Straße sein. Langsam und mit bedächtigen Schritten bewegte er sich dem Licht entgegen. Wenn er auf den feuchten Holzbohlen ausrutschen und ins Wasser fallen würde, wäre ihm der Tod gewiss, da seine Schwimmkünste als unterdurchschnittlich zu bezeichnen waren. Er musste sich beeilen. Das Licht konnte dem Nebel immer weniger entgegen setzen und drohte im undurchsichtigen Grau zu verlöschen. Alfred schnaufte. Nach fünfzig Schritten erreichte er endlich ein Gebäude, dessen Konturen sich behäbig aus dem Nebel lösten. Auch die restlichen Häuser tauchten zwischen den rauchartigen Schwaden auf. Gedämpfte Stimmen drangen an Alfreds Ohren, die ihn aufhorchen ließen. Mortemur musste ganz in der Nähe sein. Als der Dieb um die nächste Häuserecke bog und sich in einer Gasse wiederfand, konnte er zwei Gestalten erkennen, deren Aussehen sich aufgrund der Dunkelheit nicht zuordnen ließ. Alfred näherte sich ihnen. Nach wenigen Schritten erkannte er die Männer. Der bullige Gildenschläger hatte einen Kerl an die Wand gestemmt, den Alfred zuvor in der Schenke gesehen hatte. Seine Bemühungen, dem eisernen Griff des Schlägers zu entkommen, waren nicht sehr erfolgreich. Trotz seiner Windungen presste ihn der breitschultrige Mann mühelos mit nur einem Arm gegen die Wand.
››Wo ist er?‹‹, knurrte der Schläger und hielt mit der anderen Hand einen armdicken Knüppel in die Höhe.
Das Szenario weckte in Alfred schlechte Erinnerungen, die er ungern auffrischen wollte. Er drehte sich um und wollte verschwinden, da rannte er prompt in eine nicht minder große Gestalt.
››Wen haben wir denn da? Wenn das nicht ein glücklicher Zufall ist. Unser Freund Alfred Alfoy rennt mir geradewegs in die Arme. Diesmal entwischst du uns nicht!‹‹
Er packte Alfred am Kragen und stemmte ihn mit einer kraftvollen Bewegung in die Höhe.
››Es ist an der Zeit, deine Schulden zu begleichen. Hast du gedacht, die Gilde würde dich ungeschoren davon kommen lassen? Du solltest es besser wissen. Niemand kann sich vor uns verstecken.‹‹
Während Alfred hilflos in der Luft baumelte, kam ihm der andere Schläger breit grinsend entgegen und ließ den Knüppel drohend in seiner Hand kreisen. Alfred schloss ängstlich die Augen. Er wusste, dass ihm eine ausgiebige Tracht Prügel, wenn nicht sogar Schlimmeres bevorstand.
››Vielleicht sucht ihr euch ein Opfer, das euch gewachsen ist oder traut ihr euch etwa nicht, einem bewaffneten Mann gegenüberzutreten?‹‹
Die beiden Schläger tauschten einen nichtssagenden Blick und sahen abwechselnd in die Richtung, aus der die Stimme kam. Alfred blinzelte und wagte einen flüchtigen Blick über die Schulter. Voldor Mortemur hatte sich am Eingang der Gasse aufgebaut und drohend seinen Säbel gezückt.
››Verschwinde und kümmer dich um deinen eigenen Kram!‹‹, maulte einer der Schläger.
››Da ihr euch an einem meiner Männer vergreift, kümmere ich mich bereits um meinen Kram. Lasst ihn gehen oder ihr werdet die Bekanntschaft meiner Klinge machen.‹‹
Mit einem Ruck krachte Alfred gegen die Wand und blieb mehr aus Angst, als vor Schmerz auf dem verdreckten Boden liegen. Die beiden Schläger schüttelten ungläubig die Köpfe und kamen dem Captain mit entschlossenen Schritten entgegen. Ein einziger Mann konnte gegen zwei routinierte Gildenschläger kaum etwas ausrichten und Alfred verspürte beinahe Mitleid mit dem Seebären. Wenn er Glück hatte, würden sie ihn am Leben lassen, was angesichts seiner Anmaßung jedoch abwegig schien. Captain Mortemur rückte seinen Dreispitz zurecht, verließ die Gasse in Richtung der Straße und kehrte seinen Gegnern mit einer eleganten Drehung den Rücken zu. Die Schläger folgten ihm. Kaum waren sie am Ende der Gasse angelangt, schossen ihnen von links und rechts zwei Fäuste ins Gesicht. Die Schläge waren derart kraftvoll, dass beide Männer zurück torkelten und ächzend zusammenbrachen. Mortemur schenkte ihnen keinerlei Beachtung, trat zwischen den benommenen Gestalten hindurch und kam Alfred mit ernstem Gesicht entgegen.
››Du scheinst Ärger magisch anzuziehen. Erst die Schergen des Fürsten und nun die berüchtigten Schläger der Diebesgilde. Du hast jede Menge Ärger am Hals, mein Junge. Lass uns verschwinden, bevor sie wieder zu sich kommen.‹‹
Alfred raffte sich auf die Beine, klopfte sich über die Hosen und folgte Mortemur auf die Straße. Als er dort ankam, sah er, wem sein eigentlicher Dank gebührte. Zwei finster dreinblickende Gestalten von breiter Statur hatten sich hinter den Häuserwänden postiert. Einer der Männer trug einen Ring zwischen den Nasenflügeln und wirkte dadurch noch Furcht einflößender als der andere. Alfred fühlte sich in seiner gegenwärtigen Situation nicht unbedingt besser.
Nach einiger Zeit erreichten sie die Anlegestelle des Schiffes, welches Mortemur im Gasthaus lautstark angepriesen hatte. Der Dreimaster lag am Ende des Hafens vor Anker und musste gut siebzig Fuß messen. Mortemur ging über die Planke an Bord und Alfred tat es ihm gleich, ohne dabei einen Blick auf seine beiden Hintermänner zu werfen, die ihm stillschweigend folgten. Kaum hatten alle das Deck erreicht, gab der Captain den Befehl zum Ablegen. Die Mannschaft reagierte sofort. Der Anker wurde eingeholt und Alfred kam es so vor, als würde sich das Schiff in die Lüfte erheben. Er wagte einen Blick zu den Häusern, sah zum Wasser und erkannte, dass sich der Dreimaster aus dem Nebel löste und behäbig in die Höhe stieg.
››Alle Mann auf ihre Posten! Na los, ihr verdammten Landratten! Beeilung oder ich lasse euch kielholen!‹‹
››Was hat das zu bedeuten?‹‹, wollte Alfred mit zitternder Stimme wissen.
››Alles zu seiner Zeit, mein Junge‹‹, entgegnete Mortemur knapp.
Ein übler Geruch lag in der Luft, wenngleich es hier angenehmer roch, als in weiten Teilen von Groß-Tull selbst. Alfred taumelte zur Reling und rang sich ein Würgen ab. Er sah, wie sie sich behäbig vom Meer entfernten, was eine Übelkeit in ihm auslöste, die er auf diese Weise noch nicht verspürt hatte. Starker Seegang war eine Sache, mit der er gerechnet hatte, doch diese Art der Fortbewegung war ungewöhnlich genug, um neue Ängste in ihm zu schüren.
Es sollte eine kleine Ewigkeit vergehen, bis sich Alfred an die ungewöhnliche Art des Reisens gewöhnt hatte. Mit kreidebleichem Gesicht löste er sich von der Reling, machte einen Schritt in Richtung des Decks und rutschte prompt auf einem Haufen Fischinnereien aus. Seine ungelenke Landung wirkte auf die Anwesenden nicht minder erheiternd, wie Alfreds von Schmerz gezeichneter Gesichtsausdruck. Durch die Schräglage des Schiffs überschlug er sich mehrmals und fand erst am hölzernen Aufbau der gegenüberliegenden Seite wieder Halt. Alfred sah Sterne, die sich kreisend um seinen Kopf bewegten und hämisch vor seinen Augen tanzten. Mortemur half ihm auf die Beine und gab den Befehl, die Flagge zu hissen. Der wehende Totenkopf auf schwarzem Grund ließ Alfred erstarren. Er war auf einem Piratenschiff gelandet, wenn der Begriff Schiff in diesem Fall überhaupt zulässig war. Seine Situation hatte sich nicht nennenswert verbessert. Er befand sich auf dem Weg in die Freiheit, doch zu welchem Preis? Wenn er sich auf einem Piratenschiff erwischen ließe, wäre sein Leben verwirkt und eine Tracht Prügel seitens der Gildeschläger schien ihm momentan nicht die schlimmste Strafe.
››Piraten?‹‹, murmelte Alfred verunsichert.
››Wir bevorzugen den Begriff Seeräuber. Piraten sind verlauste Ganoven, die sich auf den Meeren herumtreiben, morden und brandschatzen. Mit derartigem Gesindel haben wir nichts zu schaffen, stimmt`s Männer?!‹‹
››Aye, Captain!‹‹, antwortete die Mannschaft wie aus einem Mund.
››Auf der St. Helena kann dich eine derartige Aussage den Kopf kosten‹‹, warnte ihn Mortemur.
Alfred nickte ängstlich, während ihm die Stimme des Captains eiskalte Schauer über den Rücken jagte.
››Wenn ich mich richtig erinnere, haben sich dir nicht viele Möglichkeiten geboten, um dem drohenden Ärger zu entkommen. Ganz gleich, wer dich von deinen Verfolgern auch erwischt hätte, es wäre übel für dich ausgegangen. Ob Dieb oder Seeräuber, es kann dir im Grunde gleich sein. Du bist mit dem Leben davon gekommen und solltest dich glücklich schätzen.‹‹
Auf beunruhigende Weise hatte Mortemur Recht. Alfred war seinen Verfolgern entkommen und weder Fürst Morph noch die Diebesgilde würde ihm jemanden hinterher schicken. Dafür waren beide Seiten zu geizig, auch wenn es ihnen an klingenden Münzen nicht mangelte.
››Diese Art des Reisens ist gewöhnungsbedürftig, aber nach wenigen Tagen wirst du das Schlimmste überstanden haben‹‹, erklärte Mortemur und rückte seinen Dreispitz zurecht.
››Wie ist so etwas möglich?‹‹, wollte Alfred wissen und unterdrückte den Brechreiz, der sich hartnäckig in seinen Innereien eingenistet hatte. Mortemur lachte laut. ››Mit Magie. Was dachtest du?‹‹
Alfred dachte gar nichts mehr. Sein Hirn wog schwer wie Blei und sein Magen drehte unablässig Pirouetten. Die elende Übelkeit wollte einfach nicht verschwinden. Torkelnd kam er der Reling entgegen, beugte sich übers Geländer und würgte. Während sich das Schiff immer weiter in die Lüfte erhob, verblasste die dunkelblaue Farbe des Ozeans und wurde zu einem schwachen, silbernen Schimmern. Die St. Helena durchbrach eine Wolkendecke und glitt lautlos durch die Lüfte.
››Wenn du fertig bist, stelle ich dir den Rest der Mannschaft vor‹‹, erklärte Mortemur in gewohnt rauem Ton.
Alfred verteilte seinen spärlichen Mageninhalt weit über dem Ozean und sank kreidebleich am Schiffsgeländer herab. Fliegen war definitiv keine angenehme Art zu reisen.
Mit trübem Blick konnte Alfred erkennen, dass sich die Mannschaft wenige Schritte von ihm entfernt in einer Reihe aufgestellt hatte. Mortemur lächelte schief, als sich Alfred mit blasser Gesichtsfarbe auf die Beine zog.
››Diese beiden Männer hast du ja bereits kennengelernt. Das ist mein kampferprobter Schiffskoch Hulle Hulpar. Auf ihn ist immer Verlass und seine Speisen sind ebenfalls nicht zu verachten, auch wenn sein Verstand bisweilen etwas träge daher kommt.‹‹
Der kahlköpfige Fleischberg blickte in Alfreds Richtung, lächelte verlegen und deutete eine knappe Verbeugung an.
››Der andere hört auf den Namen Brecher‹‹, fuhr der Captain fort. Der kräftige Hüne trug braunes, kurz geschorenes Haar, war groß gewachsen und hatte eine muskulöse, breite Figur. Mit dem massiven Ring durch die Nase wirkte Brecher wie eine Gestalt, der man ungern im Dunkeln begegnen wollte.
››Er ist der Mann für alle erdenklichen Aufgaben. Wenn es um den Einsatz körperlicher Kraft geht, wirst du von Galgoa bis nach Bracktao niemanden finden, der es mit ihm aufnehmen kann. Er ist unser Fels in der Brandung.‹‹
Brecher brummte kurz und sah Alfred mit finsterer Miene an.
››Das ist Karleido Knarckser. Mein erster Maat. Er segelt seit Jahren unter meinem Kommando und hat mir immer treue Dienste geleistet. Er kennt sich auf den bekannten Meeren besser aus als ich.‹‹
››Auf allen Gewässern des Landes bin ich zuhause. Es ist mir eine Ehre, euch kennenzulernen‹‹, fügte der abgemagerte, alte Mann hinzu. Sein Gesicht war braun gebrannt und der Kopf mit grauen Flusen bedeckt. Trotz seiner gespielten Freundlichkeit, spürte Alfred die Arglist, die in dem Kerl schlummerte.
Als der Captain auf einen weiteren Mann deutete, ergriff dieser selbst das Wort.
››Gestattet mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Kargosius Krapawan. Ich bin für die Flugfähigkeit des Schiffes verantwortlich. Du kannst mich Kargo nennen.‹‹
Kargo wirkte, im Gegensatz zum Rest der Mannschaft, fehl am Platz. Sein höfliches Auftreten und das gepflegte Äußere ließen Alfred stutzen. Er trug makellose Kleidung, die mehr an einen Geschäftsmann oder Gelehrten als an einen Piraten erinnerte, aber auch seine Ausdrucksweise wollte auf irgendeine Weise nicht zu den vorherigen Männern passen. Mortemur marschierte elegant an Kargo vorbei und blieb vor einem Zwerg mit rotem, buschigen Bart stehen, dessen Enden zu lange Zöpfe geflochten waren. Er war in blaue Farben gekleidet, was wohl mit seiner Clanzugehörigkeit zu tun haben mochte.
››Das ist Gremdor, unser Kamerad im Ausguck. Ihm bleibt nichts verborgen. Seine Augen gleichen denen eines Adlers und darüber hinaus wollte ich seine geschärfte Axt im Kampf nicht missen. Er ist ein Fuchs, wenn es darum geht, einen Schlachtplan auszuarbeiten und den Feind in die Falle zu locken.‹‹
Alfred war in seinem Leben schon einigen Zwergen begegnet, doch dieser schien von ganz besonderem Kaliber. Obwohl Gremdor dem Dieb gerade bis zum Kinn reichte, wirkte er kräftig genug, um einen Baum mit bloßen Händen fällen zu können.
››Ihr seid also ein Zwerg?‹‹, erkundigte sich Alfred und kämpfte mit der anhaltenden Übelkeit.
››Meine Knollennase, die abstehenden Ohren, der Bart und die geringe Größe lassen jedenfalls darauf schließen‹‹, erwiderte Gremdor und bedachte den Fremden mit argwöhnischem Blick.
››Da du nun deine Kameraden kennst, könntest du uns verraten, wer du bist und was du angestellt hast. Die Schergen des Fürsten und die berüchtigten Gildenschläger werden wohl nicht umsonst hinter dir her sein. Wie ich sehe, trägst du keinerlei Reichtümer bei dir.‹‹
››Vielleicht hat er seine Beute versteckt oder sie längst an einen der lausigen Kaufleute verhökert‹‹, bemerkte Knarckser missgestimmt und ließ einen Dolch von der einen in die andere Hand wandern.
Alfred räusperte sich. ››Ich heiße Alfred Alfoy und bin ein unterdurchschnittlicher Dieb, der versucht hat, seine Beute ausgerechnet in Groß-Tull loszuwerden. Das Schmuckstück aus meinem letzten Beutezug hat mir bisher wenig Glück gebracht‹‹, erklärte er und zog eine metallene Platte aus seiner Hosentasche. Auf den ersten Blick schien sie nicht besonders wertvoll. Sie war weder aus Gold noch aus Silber gefertigt und glänzte kupfern im Schein des Mondes.
››Wenn dich der Fürst wegen solch einer Kleinigkeit verfolgen lässt, ist er nicht ganz bei Trost‹‹, sprach Hulle und kratzte sich verständnislos am Kopf.
››Auf den ersten Blick scheint das Kleinod weniger von Wert, doch bei genauerer Betrachtung kann man eine Karte erkennen‹‹, erklärte Alfred nichts ahnend. Erst nach dieser unbedachten Aussage, wurde ihm die Schwere seiner Worte bewusst. Er befand sich unter Piraten und hatte keinerlei Garantie, dass sie ihn nicht berauben und über Bord werfen würden. Als er die Platte wieder in der Hosentasche verschwinden lassen wollte, kam ihm Mortemur zuvor und packte nach seinem Handgelenk.
››Halte uns nicht zum Narren. Wir sind keine Dummköpfe. Bei deiner Beute handelt es sich um jene Karte, die den Weg zu einer unerreichbaren, geheimnisvollen Insel weist. Diese Karte zeigt uns den Weg nach Klumbatsch‹‹, stellte der Captain mit schroffer Stimme fest. Alfred wusste nicht, worauf Mortemur hinaus wollte.
››Klumbatsch? Wo soll das sein? Ich habe noch nie von einem Ort mit diesem Namen gehört.‹‹
Mortemur lachte laut. ››Natürlich hast du noch nichts von Klumbatsch gehört. Die Insel zählt zu jenen Geheimnissen, die vor dem gemeinen Volk verborgen bleiben. Ausgerechnet ein dahergelaufener Dieb erleichtert den Fürsten um sein ach so gut gehütetes Geheimnis. Aber keine Sorge. Wir haben es nicht auf deine Beute abgesehen. Eigentlich wollen wir dir helfen, die Insel zu erreichen.‹‹
Alfred wirkte verunsichert. War seine Beute vielleicht doch nicht so unbedeutend, wie er es zuvor noch angenommen hatte?
››Wer sagt, dass ich die Insel überhaupt finden will?‹‹, murmelte er kleinlaut.
››Du bist mir schon aufgefallen, als du das Wirtshaus betreten hast. Seit Tagen kursieren Gerüchte und einige zwielichtige Gestalten haben von der Karte gemunkelt. Du kannst von Glück sagen, dass man dich nicht gemeuchelt hat. Als die Schergen in der Schenke eintrafen, bestätigte sich meine Vermutung‹‹, erwiderte Mortemur, ohne auf Alfreds Frage einzugehen.
››Ihr könntet mich doch einfach über Bord werfen und euch die Karte aneignen‹‹, sagte Alfred mit verängstigter Stimme und wich unmerklich zurück.
››Das wäre eine Überlegung wert‹‹, bemerkte Knarckser verschlagen.
Der Captain fing laut an zu lachen, und die restliche Mannschaft folgte seinem Beispiel. Es dauerte eine Weile bis sich Mortemur wieder gefasst hatte und er
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: René Grigo
Bildmaterialien: Darque
Lektorat: Lisa Bauer
Korrektorat: Lisa Bauer
Tag der Veröffentlichung: 20.11.2022
ISBN: 978-3-7554-2562-5
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An alle, die noch an Wunder glauben.