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René Grigo

Das Erbe


Obwohl ich in der Vergangenheit ein recht gutes Verhältnis zu meinen drei Brüdern pflegte, verlor man sich mit den Jahren aus den Augen. Jeder von ihnen war längst aus der Kleinstadt raus gekommen. Nur ich saß noch immer hier fest.

Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, als wir uns am Tag der Testamentseröffnung, zumindest teilweise und nach so langer Zeit, wieder trafen. Der Jüngste hatte es aus beruflichen Gründen nicht geschafft, wobei ich glaube, dass seine langjährige Freundin eine erhebliche Rolle bei seinem Nichterscheinen spielte. Sie war uns nicht gerade freundlich gesonnen und so bedauerten wir zwar die Abwesenheit des kleinsten Bruders, doch unsere Gedanken galten jemand anderem. Andächtig saßen wir nebeneinander und wollten diese Sache so schnell wie möglich hinter uns bringen. Unsere Großmutter war verstorben und hinterließ uns ihr Erbe. Angespannt warteten wir auf die Testamentseröffnung. Keiner von uns wusste, was uns bevorstand.

Mein erster Bruder schien am wenigsten nervös. Wahrscheinlich, weil er mit den niedrigsten Erwartungen hier her gekommen war. 

Wir pflegten alle ein mehr oder weniger gutes Verhältnis zu unserer Großmutter und mussten uns all die Jahre mit ihren Eigenheiten abfinden. Sie war störrischer als ein Esel es je hätte sein können und ihre Meinung stand unumstößlich fest. Da gab es nichts zu rütteln.

Endlich betrat der Notar den Raum. Der kleine, dickliche Mann mit Halbglatze und wirrem Resthaar trug eine viel zu schmale Brille auf der dicken Nase, glotzte uns herablassend an und räusperte sich verlegen.

››Entschuldigen Sie die Verspätung. Der Tod ihrer Großmutter muss ein harter Schlag für Sie alle sein. Sie war eine sehr nette Frau.‹‹

Und vor allem war sie eine ausgezeichnete und gern gesehene Kundin, die man leicht hinters Licht führen und ausnehmen konnte,  dachte ich verbittert.

Endlich öffnete Herr Nowa den braunen Umschlag und zog einen gefalteten Zettel hervor.

››Ihre Großmutter hat Ihnen, Garvin und Chester, jeweils ein Sparbuch hinterlassen. Mit den Jahren dürfte da einiges an Zinsen angefallen sein‹‹, erklärte Herr Nowa mit kratziger Stimme und überreichte beiden ein kleines blaues Heftchen. Chester machte keinen Hehl daraus, dass es ihn brennend interessierte, was auf dem Sparbuch zu finden war. Er blätterte die Seiten durch, stoppte die Blätter kurz nach der Mitte und ein dezentes Grinsen zeichnete sich in seinem glatt rasierten Gesicht ab. Er hatte sich für diesen Tag wirklich herausgeputzt. Sein schwarzer Anzug saß perfekt am Körper, das weiße Hemd strahlte, während seine bordeauxrote Krawatte der geschmackvollen Garderobe den letzten Schliff verlieh. Seine blank polierten Lackschnürschuhe mussten gut zweihundert Pfund gekostet haben. Chester ließ sich auch bei diesem Auftritt nicht lumpen.

Garvin war schlicht, aber praktisch gekleidet. Mit schwarzem Hemd, dunklen Jeans und einem paar festen Stiefeln sah er gar nicht mal übel aus.

Mein schwarzer Anzug saß dagegen eher mäßig, die Ärmel zu lang, die Schultern zu breit, das Revers nicht passend und eine Krawatte konnte ich auch nicht finden.

Trotz all der Zeit, die ich eindeutig hatte, hatte ich es nicht geschafft, mich auf diesen Moment vorzubereiten.

››Nun zu ihnen,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: René Grigo
Bildmaterialien: Bookrix.de
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2009
ISBN: 978-3-7309-6519-1

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