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Rekrutierung

2. Kapitel: Rekrutierung

 

 

Inguiomer und Hermann betraten wieder das Dorf. Hermann merkte gleich, dass die Stimmung anders war, als bei ihrem Verlassen. Sie wirkte bedrückt, er konnte jedoch nicht ausmachen, woran es lag. Man sah keinen einzigen Menschen auf der Straße, alle hatten sich wohl in ihre Häuser zurückgezogen. Hermann blickte sich um. Er konnte jedoch nicht ausmachen, wieso es so war. Es war Mittag und normalerweise herrschte ein reges Treiben auf den Straßen, doch davon war heute nichts zu sehen.

„Es ist still hier“, ergriff Inguiomer das Wort.

Hermann nickte. Ihm war nicht klar, warum. Normalerweise liefen Kinder auf der Straße, spielten etwas, Hausfrauen erledigten ihre Einkäufe, Männer trainierten für den Kampf, doch keine von diesen Gruppen war zu sehen. Es könnten Menschen an den Opferstellen sein, doch heute war kein Festtag für die Götter, soweit er wusste.

„Komm mein Junge, wir gehen nach Hause.“

Hermann nickte abermals und folgte seinem Onkel. Vor der Tür angekommen begutachtete Hermann das Haus. Es war nichts ungewöhnliches festzustellen. Weder hatte hier ein Kampf geherrscht, noch sah es aus, als hätten alle überstürzt das Haus verlassen. Hermann trat zur Tür und öffnete diese.

„Hallo! Mutter! Friedrich!“

Plötzlich war lautes Treiben im Haus. Seine Mutter und sein Bruder kamen aus einer Tür heraus und liefen auf ihn zu.

„Hallo, mein Junge. Es ist gut, dass du wieder da bist.“ Ihr Gesicht zeigte zwar ein Lächeln, doch ihre Stimme verriet Hermann, dass etwas vorgefallen war.

„Was ist los, Mutter?“

„Was soll den los sein?“

„Genau, dass frage ich dich. Du hast noch vor kurzem geweint, deine Stimme zittert immer noch ein wenig. Ich kann auch an dem Gesicht meines Bruders ablesen, dass auch dieser erschüttert ist. Die Frage, die mich nun beschäftigt, ist warum?“

„Das müssen wir nicht an der Tür regeln“, griff Inguiomer ein, „wir setzen uns hin und dann erzählst du uns, was hier vorgefallen ist.“

„Okay, kommt rein. Setzt euch.“

Nachdem alle Platz genommen hatten und Hermanns Mutter allen etwas zu trinken gereicht hatte, nahm auch sie Platz.

„Es passierte am gestrigen Tag“, begann sie nach einer kurzen Pause, „wir wussten nicht genau, wann ihr zurückkehren würdet. Wir bekamen hohen Besuch von einem römischen Gesandten.“

„Ihr habt WAS?!“, unterbrach sie Inguiomer.

Hermann fragte sich, wieso extra ein Gesandter aus Rom in ihr Dorf kommen würde, da schließlich sein Onkel auch bald wieder aufbrechen sollte und ihm schließlich sofort Informationen ausgehändigt werden würden, was in seiner Abwesenheit passiert sei. Wieso war nun extra ein Gesandter aus Rom gekommen? Betraf es seinen Vater, ist er gefallen und waren deswegen alle so deprimiert? Hat es mit seinem Onkel zu tun? Hat er sich von seiner Gruppe entfernt, ohne vorher mit einem Vorgesetzten darüber zu sprechen?

„Kamen sie wegen mir?“, sprach Inguiomer weiter.

„Nein, wegen dir kamen sie nicht“, antwortete Hermanns Mutter, „und auch nicht wegen deinem Bruder, meinen Mann.“

Inguiomer war verdutzt. „Wieso kamen sie denn dann?“

Auch Hermann war erstaunt. Wenn nicht wegen seines Vaters oder seines Onkels, weswegen ist der Gesandte gekommen. Diese beiden sind die einzigen im Dienst aus der eigenen Familie und wegen eines Fremden würde seine Mutter nicht solche Qualen leiden.

„Sie sind gekommen“, sprach sie mit leiserer Stimme weiter, „wegen Hermann und Friedrich.“

Das hatte gesessen. Hermann blickte Inguiomer an, dann seine Mutter, seinen Bruder und wieder Inguiomer. Was wollte das römische Reich von ihm? Er war noch ein Knabe, ohne sonderlich große Erfahrung? Er hatte weder etwas ungesetzliches getan und noch weniger sein Bruder. Weswegen wollten sie sie beide haben?

„Das verstehe ich nicht“, sprach Inguiomer. „Haben sie den gesagt, weswegen sie die beiden haben wollen?“

„Ja, dass haben sie. Beide sollen mit ihnen nach Rom kommen und dort leben.“

Hermanns Mutter verstummte und auch die anderen sagten kein Wort mehr. Hermann verstand die Welt nicht mehr. Wieso? Wieso sollten sie zwei junge Knaben mit nach Rom nehmen, beide konnten weder Latein, noch waren sie an den täglichen Ablauf in so einer großen Stadt gewöhnt. Getrennt von seiner Familie, seinem Stamm, möglicherweise würde Hermann das noch verkraften, aber was ist mit seinem Bruder? Er war noch nie weg von zu Hause, lebte ständig in den Armen seiner Mutter und diese wurde ihm nun entrissen. Hermann verspürte Wut und Hass auf die Römer, solch einen Hass, wie er selten bei ihm aufgetreten war. Er wusste, dass ihr Stamm Krieger nach Rom abstellen musste, verstand aber nicht, wieso es nun solch kleine Jungen sein sollten. Was versprach man sich in Rom davon?

Genau das war auch die Frage, die Inguiomer stellte.

„Ich weiß es nicht“, antwortete seine Mutter und brach wieder in Tränen aus, „auf diese Frage gab man mir keine Antwort, außer die Antwort, dass ich als Frau nicht so viel fragen sollte.“

Hermanns Wut steigerte sich. Er ballte die Hände zu Fäusten, so sehr, dass seine Fingerknöchel schon weiß wurden. Eines Tages, dachte er sich, werden die Römer für diese Taten büßen. Wahrscheinlich nicht morgen, nicht in einem Jahr, vielleicht sogar nicht in 10 Jahren, aber eines Tages werden sie den Tag verfluchen an dem sie uns beide unserem Stamm entrissen haben. Er hasste es seine Mutter weinen zu sehen, besonders, wenn es wegen einer Tatsache war, die ihn betraf. Seine Mutter, die Frau, die ihm das Leben schenkte, war einer der meistbedeutensten Personen für ihn. Nur noch sein Vater, sein Bruder und sein Onkel waren ihm noch von so einer Wichtigkeit. Er hasste es schon seinen Vater nicht so oft sehen zu können, doch jetzt würde er auch seine Mutter für eine lange Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er knallte mit der Faust auf den Tisch. Alle erschraken und seine Mutter unterbrach ihre Weinerei.

„Jetzt reicht es mir“, ergriff er das Wort, „die Römer können doch nicht einfach machen, was sie wollen. Ja, es ist mir bewusst, dass sie über uns herrschen“, fügte er schnell hinzu, da sein Onkel ihn unterbrechen wollte, „aber das gibt ihnen nicht das Recht, uns wie ihre Sklaven zu behandeln. Unsereins unterscheidet sich nicht von den römischen Bürger. Unsere Kultur und unsere Sprache mag zwar verschieden sein, doch wir sind Menschen, da ist es egal, ob wir Germanen, Gallier, Römer oder was auch immer sind. Jedes Volk hat seinen Platz in der Welt und dieser darf keiner tilgen.“

„Gut gesprochen, mein Junge“, erwiderte Inguiomer, „ich sehe es genauso, doch leider haben wir nicht die Macht, dies zu ändern. Du allein kannst nicht die Meinung der ganzen Welt ändern.“

„Ist das nicht der Onkel, der mir gesagt hat, dass Sklaven auch Menschen sind“, unterbrach Hermann wütend seinen Onkel, „wo ist diese Einstellung geblieben. Beugst du dich einfach den Römern, die dich von einem Platz zum anderen hinbewegen, ohne auf dich zu achten? Hast du mir nicht gesagt, dass ein einzelner Mann wichtig ist? Wo ist diese Einstellung geblieben?“

„Ich weiß genau, dass es dir nicht passt“, erwiderte Inguiomer ruhig, er wollte das Hermann aufhörte zu schreien, „doch weder bist du im Moment in der Lage, noch bin ich im Moment in der Lage etwas dagegen zu tun. Es stimmt, dass ich dir gesagt habe, dass jeder einzelne Mann wichtig ist, ich hab dir aber auch gesagt, dass du erstmal etwas erreichen musst, um dann als Kriegsführer etwas gegen diese Ungerechtigkeit unternehmen zu können. Vorher bist du leider nicht dazu in der Lage.“

Hermann beruhigte sich wieder. Er verstand seinen Onkel, spürte jedoch immer noch seinen Hass gegen die Römer in sich lodern. Sie als Schweine zu bezeichnen, dachte er sich, wäre eine Undenkbarkeit, da die Schweine einander mehr abgewöhnen können, als die Römer den anderen Völkern. Dieses Volk wird noch eines Tages dafür bezahlen, was sie den anderen Völkern angetan haben. Sie werden sich wünschen, auf ihrem Fleckchen Erde geblieben zu sein.

„Wann müssen die beiden denn aufbrechen?“, fragte Inguiomer und riss Hermann aus seinen Gedanken.“

„Morgen werden sie gemeinsam mit euch in Richtung Südwesten aufbrechen und sich auf halbem Weg von euch trennen, um dann allein weiter in Richtung Rom zu ziehen.“ Sie brach wieder in Tränen aus.

Morgen war es schon so weit, dachte sich Hermann. Eine Nacht blieb ihnen noch, bis sie sich von ihrer Mutter verabschieden mussten. Er blickte seinen Bruder an. Dieser machte zwar einen gefassten Eindruck, doch Hermann war sich sicher, dass er, wenn er allein gewesen wäre, mit Sicherheit angefangen hätte zu weinen. Wie bei seiner Mutter, hasste er es aus, wenn sein Bruder weinte. Nicht selten hatte es Hermann dann mit mehreren Burschen aufgenommen, die seinen kleinen Bruder geärgert hatten, er verteidigte seinen Bruder, selbst dann, wenn er nicht im Recht war. Hermann stand auf.

„Wohin gehst du“, brachte seine Mutter hervor.

„Nirgendwohin. Ich möchte jetzt einfach nur ein bisschen allein sein.“

„Ich verstehe. Komm aber bald wieder zurück.“

Hermann nickte, drehte sich um und verließ den Raum. Er wanderte umher. Begutachtete nochmal das Dorf. Ging in jede Gasse, jeden Winkel betrachtete er nochmals. Es ist egal, wo ich hingehe, dachte er sich, meine Heimat werde ich niemals vergessen. Er nahm den Stein aus seiner Tasche. Ich hab geschworen, dass ich den Ort wieder besuche, wenn ich ein großer Feldherr geworden bin, hiermit schwöre ich weiter, dass ich dieses Dorf von der Knechtschaft der Römer befreien werde. So wahr mir die Götter helfen. Er blickte gen Himmel, der senkenden Sonne entgegen. Seine Augen wurden feucht. Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter.

„Na, mein Junge, ist alles in Ordnung?“

Hermann wischte sich schnell die Tränen aus den Augen und drehte sich um und erkannte seinen Onkel. „Ja, es ist alles in Ordnung.“

„Es ist verständlich, dass du Angst hast, ich hatte eine ähnliche Angst, als ich losziehen musste und bedenkt man, dass du noch deutlich jünger bist, als ich damals, ist diese Angst noch begründeter. Doch ihr seit zu zweit. Denk daran, du bist nicht allein.“

„Es stimmt, aber genau das ist ja meine große Angst. Meinen Bruder in meine Probleme mit hineinzureißen. Ihn möglicherweise in Gefahr zu bringen. Es wäre womöglich leichter für mich gewesen, wenn ich wüsste, dass er hier in Sicherheit wäre.“

„Wäre er das?“

„Wie meinst du das?“, fragte Hermann erstaunt.

„Bist du sicher, dass er hier in Sicherheit wäre? Könntest du das garantieren?“

„Nein, aber...“

„Genau, du könntest es nicht. Du könntest nicht sagen, er wäre hier sicher. Denn man ist nirgendwo sicher, doch wenn er bei dir wäre, hättest du die Garantie, dass er sicher wäre. Du würdest auf ihn aufpassen, du könntest sicherstellen, dass ihm nichts passiert. Du würdest ihn beschützen und das ist auch der Grund, warum ich dich aufsuche. Ich hatte nämlich die Idee, dass du ihm dann alles beibringst, was ich dir in den paar Tagen beigebracht habe. Ich habe nämlich gedacht, dass ihr dafür genug Zeit hättet, doch leider habe ich diese neue Tatsache nicht bedacht. Deswegen musst du, wenn ihr in Rom seit, deine ganze Anstrengung auf euer Training legen. Bringe ihm alles bei, was du weißt, damit er dir kein Klotz am Bein ist, sondern du dich in der Schlacht stets auf ihn verlassen kannst. Verstehst du? Das ist wichtig!“

Hermann nickte. Für ihn stand auch ohne die Aufforderung seines Onkels fest, dass er auf seinen Bruder aufpassen würde und ihm alles beibringen würde, was er wusste. Er würde seinem Bruder unterrichten, sodass sie als gleichgestellte Kriegsherren gemeinsam Schlachten gewinnen würden. Für dieses Ziel würde er sein Leben einsetzen.

„Komm zurück ins Haus, wir werden zusammen essen.“

Hermann folgte seinem Onkel zurück zum Haus. Dort angekommen aßen alle gemeinsam. Die Stimmung war den Umständen entsprechend. Niemand sagte etwas und nach dem Essen saß man nur noch ein bisschen zusammen. Seine Mutter weinte zwar nicht mehr so heftig, aber man konnte deutlich spüren, wie nah ihr alles ging, was natürlich selbstverständlich war. Sie sagte nichts, wechselte den Blick nur immer wieder zwischen Hermann und Friedrich und schluckte oftmals. Hermann konnte seiner Mutter nicht in die Augen sehen. Er hasste es, nichts gegen ihr Leiden unternehmen zu können. Nach einiger Zeit konnte seine Mutter wohl nicht mehr, sie stand auf, umarmte ihre Söhne und wünschte ihnen eine gute Nacht und trat aus dem Zimmer. Man hörte sie aber schon kurz nachdem weinen. Hermann und sein Bruder wechselten einen kurzen Blick und beschlossen stillschweigend auch schlafen zu gehen. Hermann konnte nicht einschlafen. Geplagt von den Gedanken über die Abreise, gepaart mit dem Geschluchze seiner Mutter, raubte es ihm den Schlaf. Es war ihm klar, dass er Schlaf dringend nötig hatte, doch an diesen war nicht zu denken. Er wälzte sich hin und her. Dachte über die Vergangenheit nach und machte sich schon Gedanken um die Zukunft. Wie ist das Leben in Rom? Was sind seine Aufgaben? Kommt er als Sklave nach Rom oder als Bürger? Zu viele Fragen, zu wenig Zeit zum überlegen. Er wünschte sich dass diese Nacht niemals enden würde.

 

Am nächsten Tag stand Hermann früh auf. Schlussendlich hatte er es doch geschafft einzuschlafen, in Gedanken versunkend. Die Müdigkeit überkam ihn schließlich doch. Die Sonne war nicht mal aufgegangen. Er setzte sich auf. Blickte umher und ihm kamen die Tränen. Dies war seine letzte Nacht, gefolgt von den letzten Stunden, wer weiß, wann oder ob er überhaupt wiederkommen würde. Ob er seine Mutter jemals wiedersehen würde, seinen Vater, seinen Onkel, seinen Stamm? So saß er eine Weile, bis er aufstand und sich auf den Weg nach unten begab. Er wollte sein Gesicht waschen und dann am Tisch sitzen bleiben, bis die restlichen Familienmitglieder ebenfalls aufstehen würden. Nachdem er sich gewaschen hatte, führte sein Weg schnurstracks zum Tisch, er war aber überrascht, dort schon jemand sitzen zu sehen.

„Was machst du denn schon hier?“

Friedrich blickte auf und erkannte seinen Bruder. Friedrich wischte sich gerade noch die restlichen Tränen aus den Augen. Seine Augen waren blutunterlaufen und Hermann war klar, dass er die ganze Nacht geweint und kein Auge zugemacht hatte. Ihn traf es noch schlimmer, schließlich war er noch jünger als Hermann.

„Ich konnte nicht schlafen“, brachte Friedrich schluckend hervor, was Hermanns Vermutungen befestigten.

„Du denkst wahrscheinlich auch die ganze Zeit über unsere Abreise nach, nicht wahr?“

„Ja“, stieß Friedrich noch aus und brach danach wieder in Tränen aus.

Hermann ging zu seinem Bruder hinüber und drückte seine Hand auf seine Schulter. „Mach dir keine Sorgen“, erwiderte er, „du bist nicht allein in Rom. Ich werde immer bei dir sein. Das verspreche ich dir.“

Hermann wusste, dass wenn Friedrich solche Probleme mit ihrer Abreise hat, durfte er nicht genauso eine Schwäche zeigen. Er musste ein Vorbild für ihn sein,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 01.02.2020
ISBN: 978-3-7487-2815-3

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