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Jenseits der Dimensionen

 

 

„Es reicht mir nicht! Der Junge braucht einen besseren Schutz!“ Ka war wütend, denn sie hatte einen Blick in die nahe Zukunft geworfen.

„Du kannst ihn nicht in Watte packen!“, moserte Su herum.

„Er ist ein Kind und sie ist eine Dämonhexe! Wo ist da der Ausgleich in den Kräften? Von überall her streckt sie ihre Krallen nach ihm aus. Selbst im Schloss droht ihm eine herbe Niederlage“, wand El ein und warf Su einen bedrückten Blick zu.

„Rüsten wir sein Umfeld auf. Für ihn ist es noch viel zu früh. Das packt der Junge so lange nicht, bis er sein Blut zum ersten Mal gefühlt hat“, schlug El vor.

„Umfeld ... Umfeld ... gut. Wir bilden sein Umfeld!“ El und Su sahen Ka ungläubig an.

„Du willst dich doch schon an einen Körper binden? Und uns auch dazu bringen? Niemals!“, schnaufte Su.

„Nun ja, so ganz widersprechen kann ich Ka nicht! Wir würden nirgends besser handeln können, als in seinem direkten Wirkungskreis. Doch das kannst du nicht von uns verlangen“, stimmte El teilweise zu.

Ka plusterte sich auf, schüttelte ihren Hals. „Unendliche Hagomen fliegen wir bereits durch die Galaxie. Wo ist das Problem eine Pause einzulegen und zu fühlen wie es ist, ein lebendes Wesen zu sein? Immer dirigieren wir von oben. Es reizt mich ungemein mittendrin zu sein und zu handeln. Wir hätten einen direkten Kontakt zu den Wesen dort unten. Ein Ausstieg wäre ohnehin jederzeit durch unseren Freitod machbar.“

„Und wie stellst du dir das vor? Wie willst du dich ihm nähern, ohne eine der ihm nahestehenden Seelen für immer zu opfern?“, fragte El.

„Wir werden niemand opfern. Wir treten auf andere Art in sein Leben ein. Uns bleiben nach ihrer Zeitrechnung sechzig Tagesabläufe, dann würde er gegen die dunkle Kindhexe in seinem Umfeld sowieso einen direkten Treffer bekommen. Lenken wir ein wenig und sehen ... was kommt.“

Ka erklärte den beiden ihren Plan und machte ihnen das ‚Wesenhafte‘ schmackhaft.

 

 

 

 

 

 

 

Alltag auf Dragonrock

 

 

Der Sommer neigte sich dem Ende zu. Seit dem Kampf gegen den Handlanger von Axa, waren keinerlei nennenswerte Dinge geschehen. Sir Robert Williams kümmerte sich um die Kinder und gab Jason keine Möglichkeit Fragen zu stellen. Jedes Mal würgte er Jason ab, wenn dieser das Wort ‚Dragots‘ nur in den Mund nahm. So resignierte Jason irgendwann und gab auf.

Früher oder später müsste Rob ohnehin reden, das war klar.

Auf Dragonrock selbst hatten einige Veränderungen stattgefunden.

Das Hotel war bis zum letzten Zimmer ausgebucht. Viele suchten dort den Schutz, den sie in der Welt der Menschen nicht mehr hatten. Selbst die Türme waren bis unters Dach mit Gästen belegt.

Axa, Fürstin des schwarzen Clans, drohte nun öffentlich allen weißen Hexen und Hexern, die sich ihr widersetzen, mit dem Tod. Überall auf den Kontinenten flohen die weißen Hexen und Hexer vor der dunklen Invasion um in den Hexenzonen Schutz zu finden, doch selbst dort waren Axas Gefolgsleute.

 

Das alles kratzte den zehnjährigen Jason M. Dragonblood momentan nicht sonderlich. Er tüftelte täglich über den rätselhaften Sätzen, die einen Wegweiser zum Versteck der Drachenmaske des Idalos Dragonblood, seines direkten Vorfahren, hergaben.

Ein wenig dünner und nachdenklicher war er geworden, seit seine Großmutter Vanilla McPowerstone, der das Haus gehörte in dem sie auf Dragonrock wohnten, eine hohe Harmwächterin geworden war und somit ihr neuer Wohnsitz geheim bleiben musste. Auch das Essen fiel nicht mehr so berauschend lecker aus. Seine Oma fehlte ihm sehr, sicher hätte sie ihm weiterhelfen können die Drachenmaske zu finden.

Wie schon so oft saß Jason in seinem Zimmer und las sich den ersten Absatz immer und immer wieder durch.

 

„Werd ich des Weges finden,

so dringet eisig Kälte in meine Lunge,

die Gebeine gefrieren.

Wend ich mich, bin ich verloren.“

 

Jason streifte seinen kinnlangen, dunkelbraunen Pony zur Seite und schaute zu Skyla rüber. Sie spielte mit ihrem Z-Stab, vor ihr saß ein Pampuff auf dem Tisch. Das kleine, rote Fellknäuel kullerte umher. Skyla tippte ihn vorsichtig an, das Pampufftierchen blähte sich auf und spie Blasen aus seinem Mäulchen, die auf Skylas Gesicht zuflogen.

„Ich werde aus diesen Sätzen nicht schlau. Nirgends hier in der Nähe ist es so kühl, dass mir die Füße kalt werden.“

Skyla, die Jason bereits aus der Menschenwelt kannte und mit der er gemeinsam die Schulbank gedrückt hatte, rutschte nervös auf ihrem Stuhl neben ihm herum. „Soll ich mir meine Zöpfe abschneiden oder lass ich sie, wie sie sind?“

Betrübt sah er sie mit seinen dunkelgrünen Augen an. „Hörst du mir überhaupt zu?“

„Klar, ich kann’s nur nicht mehr hören! Seit Tagen brütest du über diesem Absatz und nichts kommt dabei heraus. Vielleicht hilft es dir, wenn du Rob mit grübeln lässt.“

„Damit fall ich ihm bestimmt nicht auf den Wecker. Er hat genug Stress mit den Gästen im Hotel. Außerdem hab ich eh das Gefühl, dass er mit uns etwas überfordert ist.“

„Dann lass uns wenigstens rausgehen. Es ist Wochenende, die Sonne scheint und wir hocken hier drin.“ Skyla ließ das Pampufftier schweben.

„Hast ja recht, gehen wir. Ach übrigens, behalte deine Haarlänge. Die steht dir und außerdem find ich kurze Haare bei Mädchen nicht besonders schön. Ist blöde, wenn man nicht weiß, ob vor einem ein Junge oder ein Mädchen steht.“

Entrüstet zeigte Skyla Jason einen Vogel. „Du bist doof! Wer sagt, dass ich so kurze Haare haben will? Schulterlang, kürzer würde ich sie gar nicht haben wollen.“

Bevor Skyla nun eine hitzige Diskussion aus dem Boden stampfen würde, griff Jason nach ihrer Hand und zog sie aus seinem Zimmer.

 

Während die beiden die Treppe hinab schlenderten, polterte die Haustür auf. Charlyn, Jasons sechsjährige Schwester, stürmte herein und flitzte in die Küche. Natürlich schaute Jason ihr hinterher und blieb im Türrahmen stehen.

Charlyn goss sich gerade eine Jumbay-Limo ein. „Mann, hab ich einen Durst. Snowsky jagt mich durch den ganzen Garten.“

„Was spielt ihr denn?“, wollte er wissen.

„Was wohl? Fangen!“, schnaufte sie.

Auch Jason und Skyla gönnten sich eine Hex-Limonade, bevor sie mit Charlyn wieder hinausstürmten.

 

Draußen stand Rob, ein guter Freund der Familie und zurzeit Vormund der drei Kinder, auf dem Dach. Er hexte gezielt einige der Dachziegel ganz, die beim letzten Sommersturm entzwei gegangen waren. Das war bei einem Hexenhausdach zwar nicht nötig, denn es war mit einem Hex gegen jedes Wetter versiegelt, doch es sah einfach besser aus. „Ah, die Stubenhocker haben die Haustür gefunden. Passt auf, dass euch die Sonnenstrahlen nicht blind machen“, feixte er vom Dach runter, stieg derweil auf seinen in der Luft schwebenden Besen und flog zu ihnen hinab. „Was macht ihr denn die ganze Zeit drinnen? Ihr müsstet eure Aufgaben doch längst fertig haben.“

Ohne Jasons vorherige Aussage zu berücksichtigen, Rob damit nicht zu belästigen, fragte Skyla ihn direkt nach der Drachenmaske. „Weißt du, wo Jason die Drachenmaske finden kann? Er kriegt nämlich sonst keinen klaren Gedanken mehr in sein Hirn.“

Rob lächelte spöttisch zu Jason rüber. „Das ging mir in seinem Alter ähnlich. Nach einem Jahr hab ich das Rätsel in die Ecke geschmissen. Ich bin am fünften Absatz verzweifelt. Wie weit bist du?“

Eigentlich mochte er das gar nicht sagen, Jason kratzte sich an der Stirn und sah Rob verlegen an. „Ich begreife den ersten Absatz nicht“, murmelte er leise.

Tief einatmend zog Rob eine Braue hoch. „Das liegt daran, dass du dich nicht genügend über unsere Insel schlau gemacht hast.“ Er setzte sich zu den Kids an den Gartentisch. „Ihr zwei fliegt gleich zur Bibliothek und holt euch das Klimazonen- und Grottenbestimmungsbuch. Sagt Bogus, dass ich es genehmige und ihr euch das Buch für zehn Tage ausleihen dürft. Ansonsten seh ich euch ja gar nicht mehr, wenn ihr tagelang in der Büchergruft hockt.“

 

Irgendwie war Jason unsicher, ansonsten hätte er nachgefragt, wie es denn mit den ersten fünf Absätzen aussah, und ob es eine einfachere Lösung geben würde. Doch da Rob immer so verschlossen war, traute er sich nicht fragen. „Gut, dann los. Skyla, hol deinen Besen.“

„Ja gleich, ich muss Rob noch was fragen.“

„Was hast du denn auf dem Herzen?“, hakte Rob gleich nach.

„Ich wollte fragen, ob ich ausreichend Inselgeld zur Verfügung hab, um mir im Dorf einen neuen Besen zu kaufen?“

„Tja, über Extrakäufe hat mir Vanni, ehe sie abreiste, nichts gesagt. Ich leg dir das Geld aus, nein egal, ich schenk ihn dir. Sag Joland, ich komme für die Kosten auf!“

„Danke, und es ist wirklich nicht schlimm?“, fragte Skyla nach, weil es ihr peinlich war, sich Geld zu leihen, geschweige denn, es sich von Rob schenken zu lassen.

„Nein, es ist in Ordnung! Geh und kauf dir einen Besen, egal, was er kostet.“

Erleichtert flog Skyla mit Jason ins Dorf und unter Garantie würde sie keinen teuren Besen auswählen.

 

Der Besenverkäufer saß vor seinem Laden und las Zeitung. Erst als die zwei abstiegen, legte er sein Tagesblatt neben sich. „Guten Tag. Na Jason, willst du mir deinen Besen verkaufen?“ Mit lüsternem Blick sah er auf den schwarzbraunen Besen in Jasons Hand.

Erst vor wenigen Wochen kletterte Jason mit seiner Oma in den Klippen der Insel herum, auf der Suche nach einem für ihn passenden Ast, um daraus seinen persönlichen Besen anzufertigen. Nur seiner drückenden Blase hatte er es dann zu verdanken, dass er sich an den richtigen Teil des Klippenbaums stellte und nun einen Seelenbesen besaß, der ausschließlich ihm gehorchte.

Nur zu gerne würde Joland dieses Musterstück eines hervorragenden Besens besitzen und zähmen wollen. Da dieses Prachtstück über eine eigene Magie verfügte, nicht wie die Fremdimporte und Massenware in seinem Laden, war dieser Besen nahezu unbezahlbar.

S-Besen - genau genommen Seelenbesen - waren sehr selten und so gut wie nie zu bekommen. Keiner machte sich noch die Mühe einen Besen selber herzustellen!

Begierig fixierte der Besenmacher das seltene Stück.

„Nein, meine Freundin braucht einen Besen.“

Unwirsch wandte Joland sich Skyla zu. „Wie heißt du?“

„Skyla.“

„Gut Skyla, hast du deinen Z-Stab dabei?“

„Ja.“

„Dann nimm ihn in deine Hand und flüstere dreimal deinem vollständigen Namen. Falls ein Besen an dir interessiert ist, gleitet er dir zu.“

Auf ihren Namen lösten sich drei Besen aus ihren Halterungen.

„Nun wähle einen.“

Skyla nahm die drei Exemplare genauer unter die Lupe. „Gibt es Unterschiede?“

Joland nickte, er hinterließ aber keinen begeisterten Eindruck jetzt auch noch Erklärungen über die Besen preiszugeben. Seine Beschreibung fiel daher kurz und ungenau aus. „Der zu deiner rechten Seite ist ein Rennbesen. Der mittlere ist eher für Anfänger und Kleinkinder. Der linke ist ein Profibesen, den ich eigentlich nur Experten empfehle.“

Das Teil sah schon klasse aus, Jason fuhr mit seinen Fingern den Besenstil entlang. „Heißt das, dass sie mit dem Besen nicht fliegen kann?“

„Nun sagen wir es mal so: Erfahrung im Steilflug, Turbotunnelflug und Spiralflug sollte sein Besitzer als Voraussetzung mitbringen. Ich bezweifle, dass die junge Dame diese Flugtechniken schon beherrscht.“

 

Auf den zweiten Blick sah Jason nun auch, dass die drei Besen sich gravierend unterschieden. Der Anfängerbesen hatte einen eher schlichten Stiel und war dicker als der Rennbesen. Dieser wirkte dagegen sportlich schlank. Auch war ein feines Muster eingeritzt. Der Profibesen hatte über die gesamte Länge einen Schriftzug eingeprägt, den Jason nicht entziffern konnte. Aber dieser machte den robustesten Eindruck von allen.

Jepp, das Fluggefährt war beeindruckend, Jason bestaunte den Profibesen. „Kann ich ihn probieren?“

„Sicher, ich übernehme allerdings keine Haftung für Verletzungen jedweder Art.“

Fragend schaute Jason zu Skyla. „Ist es dir recht, Skyla?“

„Ich glaube nicht, dass ich solch ein Geschoss je fliegen kann. Wenn du ihn unbedingt ausprobieren willst … Pass auf deine Knochen auf.“

Bevor Jason den Besen bestieg, drückte er Skyla seinen in die Hand und flüsterte ihr zu, dass der Besenmacher ihn nicht anfassen dürfte.

 

Kaum dass Jason mit seinem Hintern den Stiel berührte sauste der Besen eigenständig im Spiralsteilflug dem Himmel entgegen. Hui, Jason verlor kurz die Orientierung! Gleich nach ein paar Sekunden musste er sich eingestehen, dass der Besen wirklich schwer zu lenken war. Dennoch war er von der Kraft überwältigt. In einem Wahnsinnstempo düste Jason quer über die Insel und zurück zum Dorf.

Leicht angespannt samt zitternden Knien lenkte er den Besen nach ein paar Augenblicken wieder vor den Laden. „Boah, ist das ein Wahnsinnsbesen! Hätte ich keinen, der würde mich reizen.“

Listig linste Joland Jason an. „Ich tausch ihn gegen deinen, obwohl der Profibesen viel mehr wert ist.“

„Nein danke. Ich behalte meinen.“ Jason reichte Joland den Besen und nahm seinen Skyla ab. Dort, wo Jason seinen Besen berührte, verfärbte sich der Stiel sofort dunkelrot.

Sichtlich verärgert ging der Besenmacher nun auf ihn zu. „Welchen wollt ihr jetzt?“

Um den grimmigen Hexer nicht noch mehr zu reizen lenkte die Junghexe lieber schnell ein. „Ich nehme den Rennbesen“, entschied Skyla kurzerhand.

„Dann bekomm ich zweihundertdreißig Woba von dir.“

„Sir Williams bezahlt den Besen, wenn er ihn für mich abholt.“

„Gut, dann leg ich ihn für dich zurück.“ Mürrisch verschwand Joland in seinem Laden.

Jason und Skyla sahen sich an und mussten grinsen. Der Besenmacher war sicher kein Hexer, der viele Freunde hatte.

Weiter ging ihr Flug zur Bibliothek.

 

Der Bibliothekar Bogus auf Schloss Dragonrock vereinfachte die Suche nach dem gewünschten Klimabuch, er hexte es aus der oberen Etage herunter.

Robs Genehmigung mussten die beiden nicht mal erwähnen, denn Bogus mochte Jason und dessen verbohrte Suche nach der Maske. Er war auch selber daran interessiert, was Jason herausfinden würde. So musste Jason nur versprechen, ihn auf dem Laufenden zu halten, was Jason doch gerne tun würde.

Wenig später machten sie sich auf den Rückweg.

Wieder in Vanillas Haus ging Jason in die Stube, wo Rob die Gästelisten kontrollierte, und stellte sich neben ihn.

„Und ... das Buch bekommen?“

„Ja, aber ich möchte dich noch etwas fragen.“

Rob sah von seinen Unterlagen auf. „Nur zu.“

„Gibt’s hier irgendwo Strom?“

„Nein. Wofür brauchst du Strom?“

„Für einen Fernseher.“

Rob blickte ihn ernst an. „Für welchen Zweck? Die Sendungen der Menschen sind für unsereins kaum lehrreich.“

„Mich interessieren die Nachrichten. Wenn die dunklen Hexer die Macht über die Menschen erlangen wollen, kann das doch nicht spurlos am Weltgeschehen vorbeirauschen.“

„Diese Annahme ist durchaus begründet. Bloß, wie soll uns das weiterhelfen? Axa wird mit Sicherheit kein Exklusivinterview geben.“

„Aber wir bekommen mit, wo sich außergewöhnliche Ereignisse abspielen und können eventuell Rückschlüsse daraus ziehen.“

Ach … Rob zog die Stirn kraus. „Wo hast du diese geschwollene Redeweise her? Du bist zehn und nicht fünfzig Jahre alt.“

Schulterzuckend ging er um den Schreibtisch herum. „Weiß ich nicht. Ist aber irgendwie logisch was ich sage, oder nicht?“

„Doch, doch.“ Rob lachte. „Dann verrat mir mal, was du unternehmen willst, wenn du erfährst, was Axa macht. Willst du ihr auf die Finger klopfen und sagen ‚Dududu‘?“

Damit hatte Rob recht, Jason war ratlos und ließ sich in die Kissen des feuerroten Sofas fallen.

„Wenn wir einen Fernseher hätten, will ich aber auch meine Lieblingssendungen angucken.“

Erschrocken fuhr Jason herum. „Wo kommst du denn her?“

„Charlyn ist schon eine Weile hier“, bemerkte Rob.

„Aber als ich reingekommen bin, hätte ich sie sehen müssen.“

Sie krabbelte hinter den Rückenkissen hervor. „Hab mich hinter den Sofakissen versteckt.“

„Ach so.“

„Ich will sehn, was sich in Sachen Technik arrangieren lässt. Gedulde dich ein paar Tage.“ Rob konzentrierte sich wieder auf seinen Stapel Papiere.

Im nächsten Augenblick rauschte Skyla ins Wohnzimmer. „Hab ich was verpasst?“

„Jason will einen Fernseher, um blöde Nachrichten zu gucken“, maulte Charlyn gleich los.

„Kriegen wir hier überhaupt Empfang? Bei all den Magnetfeldern rund um die Insel“, bemerkte Skyla beiläufig, weil sie sich nicht sonderlich für Nachrichten interessierte.

Erstaunt blickte Rob Skyla an, das hatte er nicht bedacht, denn so hätte er einen Grund mehr, Jason seinen Wunsch auszureden, denn in Wirklichkeit gab es Strom auf der Insel.

Und was Jason auch nicht wusste, die Hexen hatten ihr eigenes Fernsehen, insgesamt hundertfünfzig Kanäle, von denen etwa dreißig reine Nachrichtenkanäle waren, die aus fast allen Zonen sendeten. Vanilla hatte damals schon beschlossen, keinen Fernseher anzuschaffen, da die Kids dann nur noch vor der Glotze hängen würden!

Rob, der bei diesem Trubel keine Konzentration aufbringen konnte, stand auf. „Wie ich höre, hast du deine Nase bereits ins Buch gesteckt. Es stimmt mit den Magnetfeldern, aber es gibt immer eine Möglichkeit.“ Er sortierte den Papierstapel und klemmte ihn unter seinen Arm. „Ich gehe in mein Arbeitszimmer. Sobald ich fertig bin, komm ich zurück. Baut hier keinen Unfug!“

 

Um in sein Büro zu kommen, musste Rob in den Keller, denn dort befand sich ein Reisespiegel, in dem er sogleich verschwand.

In der Stube hatten sich die Kids zusammengesetzt und durchblätterten den Klimawälzer.

„Da steht was von einer Eisgrotte unter dem Schloss.“

„Zeig her, Skyla.“ Jason drehte das Buch mehr zu sich.

„Wenn das stimmt, was da steht, dann befindet sich der Eingang zu dieser Eisgrotte nahe dem Luftturm.“

„Hör zu, was da weiter steht: die Grotte ist so eisig, dass man in ihr nie länger als zehn Minuten bleiben darf. Bereits nach acht Minuten treten erste Erfrierungen ein.“

Charlyn, die ebenfalls wie ihr Bruder flüssiges Lesen im Schnelldurchlauf erlernt hatte, zeigte auf eine untere Zeile. „Tja, das Suchen könnt ihr gleich vergessen“, kommentierte sie altklug.

„Die Eisgrotte ist einem Labyrinth ähnlich, aus ihr führen drei Wege in weitere Grotten“, las Skyla laut vor. „Charlyn hat recht. Du erfrierst da drin, ehe du den richtigen Weg findest.“

„Werden wir sehen. Ich hol das Rätsel von oben.“ Kurz kam ihn der Gedanke, dass er ja mit Rob schon einmal in solch einer Grotte war, doch das verschwieg er erst mal.

„Bleib sitzen, ich hab den Zettel schon mitgebracht.“ Skyla schlug die letzte Seite des Buches auf und das lose Blatt wehte ihr entgegen. Laut las sie den nächsten Satz vor:

 

„Dunkle Gedanken umklammern dein Herz.

Wird dein Glaube geprüft, so entfessle einen Glaubensweisen.“

 

Genervt von den blöden Versen kratzte Jason sich an der Stirn. „Bahnhof, ich verstehe nur Bahnhof!“

„Frag Idalos Dragonblood, ob er dir hilft. Immerhin hat er dieses doofe Rätsel erfunden“, warf Charlyn ein.

Kam gar nicht infrage, Jason schüttelte seinen Kopf. „Kannste vergessen. Er hat von vorne herein jede Hilfestellung abgelehnt.“

Skyla grübelte. „Dunkle Gedanken, … ist doch, wenn man über was Schlechtes nachdenkt. Schwarze Hexerei oder so was. Könnte sein, dass dich jemand auf die dunkle Hexerei anspricht. Vielleicht will man dich prüfen, ehe du weiter darfst.“

„Und was heißt dann - so entfessle einen Glaubensweisen?“

Skyla zog die Schultern hoch.

 

Vanillas Kristallkugel in der Tischmitte erhellte sich. Aus ihr ertönte eine bekannte Stimme. „Kinder, seid ihr da?“

Jason beugte sich über die Kugel. „Hallo Oma. Wie geht’s dir?“

„Könnte besser sein. Wie geht’s bei euch voran? Ist Rob in der Nähe?“

„Bei uns ist alles paletti. Rob ist im Schloss und überprüft die Gästelisten. Ist es sehr wichtig, dann hol ich ihn eben?“

„Nein, ich schau wegen dieser Angelegenheit heut Abend noch mal durch die Kugel. Was macht ihr denn gerade?“

Neugierig guckte Charlyn an Jason vorbei. „Wir lösen das Drachenmaskenrätsel“, schrie sie ihrer Oma entgegen.

Prompt hielt Vanilla sich die Ohren zu. „Mäuschen, du brauchst nicht schreien. Mit welchem Absatz quält ihr euch?“

Nun wurde Jason wieder hellhörig, vielleicht konnte seine Oma nützliche Hinweise geben. „Mit dem zweiten. Weißt du, was ein Glaubensweiser ist?“

„Schlag doch im Hexalexikon nach. Mir fehlt leider die Zeit, dir das jetzt im Einzelnen zu erklären. Heut wird im Harmstamm über die Rechte der Verbannten entschieden. Genaueres berichte ich euch nachher.“

Na das wäre doch etwas wichtiger, Jason fragte nach. „Du meinst, Mama könnte ihre Hexenkräfte endlich wieder bekommen?“

„Möglicherweise. Ich muss los, bis nachher.“ Die Kristallkugel verdunkelte sich.

So schnell war man wieder auf dem Boden der Tatsachen, Jason seufzte und wandte sich dem vorherigen Thema wieder zu. „Suchen wir das Hexalexikon.“ Er durchstöberte Vanillas Bücherregal und wurde fündig.

 

„Ein ganz schön kleines Buch“, fand Skyla und ihre Augen weiteten sich, als Jason es aufschlug. „Nur leere Blätter? Mehr steht nicht drin … außer Seitenzahlen.“

„Warte! Hier auf der letzten Seite steht etwas: Suchwort einschreiben.“ Jason schrieb ‚Glaubensweiser‘ unter den Satz. Gleich darunter erschien ein neuer Satz.

„Auf Seite acht ist ein Eintrag niedergeschrieben.“

Er blätterte die entsprechende Seite auf und Skyla übernahm. „Der Glaubensweise hat seinen Ursprung in Lulanitanien. Einst wurde er zum Zwecke der Streitschlichtung bei einigen Feindesvölkern auserkoren. Sein Ziel, die Vereinigung, vollzog er als Geistbrecher, indem er die Offenbarung der Gedanken übermittelte.“

„Tja ... wie gesagt ... Bahnhof“, brummte Jason.

„Verstehst du das nicht?“

„Nein,Skyla, du denn?“

„Nicht ganz, aber ich nehme an, der Glaubensweise schaut in deine Gedanken und vermittelt den Fragenden dein Innerstes. Gut oder böse, du verstehst?“

„Hört sich, jetzt wie du es erklärst, logisch an. Also erst muss ich durch die Eishölle, und dann wird mein Gewissen ausspioniert. Skyla, lies bitte den dritten Absatz vor.“

 

„Die unterirdischen Bäume weisen den Weg nach Nirgendwo.

Ziele auf sie und wende dich ab.

Sie tun Kund, den Pfad des Vergessens.

Wind weht gen Norden.“

 

„Wie können Bäume unter der Erde wachsen?“, fragte Jason nach und kratzte sich mal wieder am Kopf.

„Ich find das Rätsel total blöde. Snowsky und Sparkie müssen raus, ich gehe.“ Charlyn rief Jasons schwarze Höllenhündin und ihre geflügelte weiße Katze, die sich vor dem offenen Kamin rekelte und fegte davon.

Kaum dass sie draußen war, klopfte es. Skyla ging die Tür öffnen. Sunny, ein Mädchen aus dem Dorf, stand mit einem Korb vor ihr. „Hey Skyla, ist Jason auch da?“ Sogleich versuchte Sunny an ihr vorbeizusehen.

„Klar, komm rein.“

„Hey Jason, ich wollte euch zum Picknick am Vulkanstrand einladen. Habt ihr Lust?“

Sunny, die mehr als gerne mit Jason zusammenhockte, hatte sich damit abgefunden, dass Skyla fast immer dabei war. Und doch piesackte sie Skyla gelegentlich. Und sie musste immer alles wissen, Sunny schaute Jason von hinten über die Schulter. „Steven und Exodia versuchen auch dieses alberne Rätsel zu knacken.“

Wie kam sie immer an diese Informationen? Sunny war ein wandelndes Tratschhexlein, Jason drehte sich zu Sunny. „Wieso das denn?“

„Da musst du die beiden selber fragen.“

Skyla legte Hexalexikon und Klimabuch aufeinander. „Du kannst am See weiterrätseln. Frische Luft tut deinen Gehirnwindungen sicher gut.“

„Okay, aber wir müssen auf Charlyn warten.“

 

Wenn sie schon warten mussten … Sunny quetschte sich zwischen Jason und Skyla aufs Sofa. Nach ihrer Zahnrichtung sah sie schon etwas angenehmer aus. Nur die dicke Brille ließ ihre Augen immer noch mega-eulenartig erscheinen, was nicht gerade dazu verleitete, ihr länger ins Gesicht zu sehen.

Es verging einige Zeit bevor Charlyn wiederkam. Doch auch sie war sofort von dem Picknickplan begeistert. So machten sie sich auf den Weg. Gerade als das Picknick am Vulkansee aufgebaut war, näherte Ramja sich der Gruppe. Zielstrebig ging sie auf Jason zu. „Kann ich dich unter vier Augen sprechen?“

„Hat das nicht bis morgen Zeit?“, maulte Jason.

„Nein.“

Jason rappelte sich hoch und folgte Ramja einige Meter, bis die anderen sie nicht mehr hören konnten.

„Es reicht mir! Du zeigst mir jetzt, wie ich diesen Hex der Wiederbelebung hinkriege. Sofort!“, schnauzte sie ihn an und giftete weiter. „Vor Wochen wolltest du es mir bereits beibringen!“

„Wie stellst du dir das vor? Ich kann die Mädchen doch nicht allein lassen.“

„Doch, kannst du. Ich erwarte dich in fünf Minuten am Wasserfall.“ Ramja, das Gastmädchen aus Ägypten, bestieg ihren Besen. „In fünf Minuten!“

Jasons Magen verkrampfte sich, seit Wochen schob er sein Versprechen, ihr den Belebungshex beizubringen, vor sich her. Mrs. Salara hatte es ihm außerdem verboten diesen Hex anzuwenden, da er alle Untoten dieser Welt zum Zwecke der Lebenserneuerung nach Dragonrock anziehen würde. Was möglichweise fatale Folgen hätte - bei der momentan kritischen Situation zwischen guten und bösen Hexen.

Mit einem fadenscheinigen Grund entschuldigte er seinen Wegflug bei den drei Mädels. Die Zeit wurde knapp, der Wasserfall lag am anderen Ende der Insel und er trieb seinen Besen zu einem neuen Temporekord an.

 

Ramja saß auf einem Stein am Ufer des Wasserfalls. „Dein Glück, dass du da bist! Ich habe bereits mehrere Briefe vorbereitet. Eine Menge Hexen weltweit hätten erfahren, was du kannst!“ Trotz ihrer Drohung, wirkte sie seltsam gelassen.

„Du hast ja keine Ahnung, was dann passiert wäre!“, stellte er wütend fest.

„Ist mir schnuppe. Es liegt ja einzig und allein an dir“, säuselte sie frech zurück.

„Und wie soll ich es dir nun zeigen?“, fragte Jason.

„Ich hab da schon mal was vorbereitet.“ Ramja schlug ein vor ihr ausgebreitetes Tuch beiseite.

Zum Vorschein kam ein Anblick, bei dem sich Jason abwenden musste.

Glücklicherweise hatte er keinen sehr vollen Magen. Nachdem sein Mageninhalt vor ihm lag, drehte er sich zu ihr um. „Hast du die alle umgebracht?“

„Wer sonst?“, sagte sie kaltherzig. „Ist doch egal. Wenn du es mir richtig beibringst, leben die Viecher doch gleich wieder.“

Jason konnte seinen Blick nicht von den Tieren abwenden. Die Hasengeschöpfe lagen allesamt total in sich verdreht da, er sah mehrere Knochenbrüche in den Läufen und zwei der fünf Tiere hatten einen Genickbruch. Und es stank gewaltig nach Verwesung. „Wie lange liegen die hier?“

„Ein paar Tage. Letzten Freitag hast du unsere Verabredung ja vergessen.“

Ekelerfüllt kniete er sich neben das erste Tier und musste sich überwinden es zu berühren. „Soleida woleida pangary fungy.“

Ein Leuchten durchströmte seine Hand und wanderte in den halb verwesten Tierkörper. Das Knacken und Knirschen der Knochen war unüberhörbar. Die Läufe und der Nacken suchten ihre Ursprungsform. Das Tier richtete sich auf. Fell und Körpervolumen füllten sich auf. In die leeren Augenhöhlen ploppten Augäpfel.

„Wow klasse, den nächsten werde ich wiederbeleben. Rück beiseite!“ Ramja wiederholte den Hex an dem nächsten Wesen.

 

Jason starrte weiter auf seinen wiederbelebten Hasen. Irgendwas stimmte nicht. ‚Wieso läuft er nicht weg?‘, dachte er. Ihm fiel auch der starre tote Blick des Hasen auf. Schlagartig schoss das Tier vor und hackte ihm in die Hand. „Aua!“, schrie er.

„Sei ruhig! Meiner bewegt sich, ich kann es!“ Ihre schwarzen Augen funkelten triumphierend.

„Dann kann ich ja gehen.“

„Meinetwegen verpiss dich doch! Ich komm jetzt allein klar.“

‚Was hat die denn?‘, Jasons Hand schmerzte und schwoll an. Er schwang sich auf seinen Besen und startete durch.

 

Die Mädchen waren bereits wieder aufgebrochen. Hätten sie sich mal vorher besser umgesehen, die dicken Wolken am Horizont verhießen nichts Gutes und waren sicher schon vorhin in Sicht gewesen. So flog Jason auch gleich ohne Landung weiter, um sich vor dem Unwetter in Sicherheit zu bringen.

 

Gerade auf dem Grundstück seiner Oma gelandet belagerte ihn die nächste Hexe. Irgendwie war heut der Tag der Furien …

„Hast du ein Techtelmechtel mit Ramja?“, schnauzte Sunny ihn gleich im Türrahmen an.

„Was ist ein Techtelmechtel?“, fragte er verdutzt gegen und zwängte sich an ihr vorbei ins Haus.

„Wollte sie was von dir oder du von ihr?“, hakte Sunny nach.

Selbst Skyla und Charlyn wunderten sich über Sunnys derbes Verhalten.

„Ich glaub, du hast einen Knall. Ich bin zehn Jahre und habe andere Probleme. Ramja kann bleiben, wo der Pfeffer wächst. Was willst ‚du‘ eigentlich von mir? Bin ich verpflichtet dir Rechenschaft abzulegen?“

Sunny hörte nur raus, was für sie wichtig war und überhörte den Rest. „Na gut, ich muss los bevor das Unwetter los tobt. Bis morgen.“

 

Sunny hatte gerade die Haustür hinter sich zugeknallt, da kam Rob aus dem Keller. Sofort bemerkte er die angesäuerte Laune der Kids. „Nach einem Sturm scheint gewöhnlich die Sonne oder gibt es einen anderen Grund für eure Trauermienen? Obwohl, der Sturm fängt ja gerade erst an.“

Schnell ergriff Jason das Wort, bevor die Mädels irgendeine blöde Bemerkung machen konnten. „Ist nicht so wichtig. Bist du fertig mit deiner Arbeit?“

„Ja … bin ich.“ Skeptisch schaute Rob ihn an, dass hier etwas nicht stimmte konnte er förmlich riechen und darüber hinaus verbarg Jason mit verzogenem Gesicht seine Hand. Geistesgegenwärtig schickte er Skyla und Charlyn zum Kräuterernten ins Treibhäuschen.

„Was ist passiert? Tut dir was weh?“

„Ja, meine Hand brennt wie Feuer.“ Jason legte die Bisswunde frei.

 

Mit den Jahren sammelte man Erfahrungen, Rob wusste, was eine solche Wunde verursachte. Doch Jason sollte mehr Vertrauen zu ihm bekommen, also musste er es aus dem Jungen herauslocken. „Wo hast du diese Wunde denn her?“

Nach diesen ganzen Wochen wusste Jason, dass Rob ein Hexer war, dem man lieber die Wahrheit sagen sollte. So berichtete er ihm von dem Vorfall, der Erpressung und den Hasenkadavern, bis hin zum Biss.

 

„Vanilla hat dich wirklich ermutigt diesen gewaltigen Hex Ramja beizubringen? Unglaublich!“

„Kannst sie ja fragen. Aber zuerst muss meine Hand verarztet werden.“

„Machen wir. Warte du vorm Haus, ich sag den Mädchen Bescheid.“

„Kannst du das nicht hier verarzten? So Salbe drauf tun und gut?“

„Nein, da muss ein Arzt ran.“

Wenig später betraten sie die Dorfklinik, in der Robs bloße Anwesenheit für Erstaunen beim weiblichen Personal sorgte.

„Ich glaube, du bist ein Frauentyp. Die gaffen dich alle an“, stellte Jason trocken fest, weil auch ihm die schmachtenden Blicke auffielen. „Wieso hast du eigentlich keine Freundin?“

„Oh Jason, ich hab genug um die Ohren. Da passt halt keine Frau ins Gesamtbild. Außerdem hab ich momentan keinerlei Interesse mir noch mehr Arbeit aufzuhalsen. Ich bin mit allem, so wie es ist, zufrieden.“

Jason glaubte ihm kein Wort. Robs düsterer Blick sprach eine andere Sprache.

 

Der Heiler Hexilus beäugte Jasons Wunde durch eine Lupe. „Das ist schlimm. Du hast einen Teufelsbiss. Wie kommt ein untotes Tier auf unsere Insel? Seit Jahrzehnten ist das der erste Fall. Es wurden doch damals alle Jenseitskreaturen vernichtet.“

Jason zuckte mit den Schultern und Rob schwieg dazu, denn dem Hexer würde er die dazugehörige Story nicht auf die Nase binden.

„Ihr müsst mir das Tier hierher bringen, nur mit seinem Blut kann ich ein Heilmittel herstellen. Dafür bleiben euch höchstens zwei Stunden, dann hat das Gift das Gehirn erreicht, und dann ist es zu spät. Beeilt euch. Ich bereite alles so weit vor.“

 

Es goss aus Eimern, als sie den Wasserfall endlich erreichten. „Scheiß Regen, ich sehe keine Hasen. Schau du da hinten nach.“ Rob zeigte auf eine andere Ecke und schob selber das Unterholz, vor dem er stand, beiseite.

Etwas abseits wurde Jason fündig ... „Rob, komm her.“ Wie gelähmt stand er da und schaute auf den Boden vor sich.

„Da hat aber eine Junghexe gewaltig mit dem Feuer gespielt. Bringen wir sie in die Klinik.“ Rob rief den Starrehex über den untoten Hasen, der an Ramjas Schulter nagte und drückte ihn Jason auf. Die restlichen vier Hasen lagen tot neben ihr, unter ihnen auch der Hase, den Jason meinte wiederbelebt zu haben.

„Was ist geschehen? Sie hatte doch, als ich wegflog, gerade den zweiten Hasen wiederbelebt.“

„Sie muss den Hexspruch falsch zitiert haben. Genau wie du, sonst wären die Tiere nicht das, was sie jetzt sind.“

„Versteh ich nicht. Bei den Rittern und den Zahndrachen hat alles wunderbar geklappt.“

„Da hat dich ja auch keiner unter Druck gesetzt. Ist letztlich normal, dass Kinder unter Stress und Druck leicht etwas verpatzen.“

„Wird sie wieder gesund?“

„Keine Ahnung, sie ist ganz schön angenagt.“ Rob hebelte Ramja über seine Schulter und beide kehrten zur Dorfklinik zurück.

 

„Noch ein Opfer des Jenseitstieres?“, stöhnte der Heiler. „Hoffentlich endet das nicht in einer Epidemie.“

„Nein, alle anderen Kreaturen sind nun richtig tot, nur dieses Exemplar ist noch nicht erlöst.“ Rob nahm Jason das Tier ab und reichte dem Heiler den erstarrten Hasen durch.

„Dann beginne ich nun mit dem Heiltrank. Wartet draußen!“

 

Der Trank war relativ zügig fertig und wirkte ebenso schnell. Man konnte zusehen, wie die Wunde heilte und sich eine Borke darüber bildete, die wiederum nun langsam abbröckelte. „Eine Narbe wird vielleicht bleiben. Falls die Wunde von innen noch mal zu eitern beginnt, dann hol dir bei mir eine Salbe ab. Das Mädchen hat weniger Glück, ihr geht es den Umständen entsprechend schlecht. Die Bissstelle ist zu dicht am Kopf. Das Gift könnte schon ihr Hirn erreicht haben. Die Chancen stehen bei ihr nicht gut.“

Oh Mann, Jason fühlte sich an ihrem Zustand schuldig. „Können wir irgendwas für sie tun?“

„Ja, die Hotelleitung sollte die Eltern informieren. Ich weiß nicht, ob sie durchkommt.“

Das war keine Aufgabe für den Jungen. „Jason, flieg du nach Hause. Ich erledige das mit der Hotelleitung.“
Schweigend flogen die beiden zu Vanillas Haus und Rob blieb gleich auf seinem Besen, um weiter zu fliegen.

 

Gute zwei Stunden später traf Rob wieder zu Hause ein.

Natürlich hatte Jason auf ihn gewartet. „Und, was sagt die Hotelleitung?“

Rob setzte sich zunächst aufs Sofa und atmete tief durch. „Tja, das ist so eine Sache. Der ägyptische Harmwächterverband ist unterrichtet. Allerdings haben sie dort keine Ahnung von einem Gastmädchen mit dem Namen Ramja. Das Mädchen, das an unser Hotel geschickt wurde heißt Raika Rya. Diese Ramja kennt dort auch keiner.“

Ratlos starrte Jason ins Leere. „Wer ist dann Ramja, und wo ist diese Raika?“

„Das klärt unsere Leitung jetzt. Sobald ich mehr erfahre, sag ich es dir. Und jetzt lasst uns was essen, mein Magen knurrt. Hol die Mädels runter, wir bestellen heute was aus der Box. Und erzähl ihnen nicht, was passiert ist. Du kennst deine Schwester und ich bin ehrlich, ich hab keine Lust mir ihre altklugen Sprüche anzuhören. Das Problem mit den untoten Tieren ist aus der Welt und so soll es bleiben.“

Verständlich, Jason wollte auch nicht mehr darüber reden.

 

Um den Abend ruhig ausklingen zu lassen, gesellten sie sich, wie schon so oft nach dem Essen, in der Stube zusammen.

„Wann genau beginnen die Drachenhexspiele?“, fragte Skyla Rob.

„Am kommenden Freitagnachmittag bis zum darauffolgenden nächsten Freitagabend. Ach übrigens, der Stiffflug für Kinder beginnt zwei Wochen darauf, falls ihr euch qualifizieren möchtet, tragt euren Namen am Montag in die Liste am Aushang ein.“

Skyla schüttelte sofort ihren Kopf.

„Du willst nicht?“, fragte Jason.

„Keine Lust, Jason.“

„Schade.“

„Ach Skyla, das hätte ich beinahe vergessen. Hier für dich.“ Rob holte ein längliches Paket hinter dem Sofa vor.

„Oh Danke, mein Besen.“ Sie packte ihn aus und staunte.

„Das ist nicht der Besen, den ich ausgesucht hab.“

„Richtig, das ist der Profibesen, der auch an dir interessiert war oder noch ist.“

„Aber den kann ich nicht fliegen. Selbst Jason hatte Schwierigkeiten ihn zu lenken.“

Boah, das er immer alles erklären musste! Rob richtete sich auf und sah zu Skyla rüber. „Weshalb sollte ein Besen für dich Interesse zeigen, wenn alles dagegen spricht? Ich zeige dir einige Flugtechniken und wie man sie einsetzt. Auf deinen Namen sind nur Besen angesprungen, die dich auf sich fliegen lassen wollen. Du wirst ihn fliegen können, denn er wird sich zu Anfang deinen Fähigkeiten anpassen. Einen Besen, den man kauft, kauft man ja eigentlich für sein ganzes Leben, ergo muss die Magie zwischen euch stimmen. Dieser Besen hat dich erwählt und er mag dich. Aber wenn dein Herz mehr an diesem schnöden Geradeausbesen hängt … dann tausche ich ihn gleich morgen früh um.“

Ungläubig starrte sie von dem Besen zu Rob. Eigentlich gefiel ihr dieser Besen von allen dreien wirklich am besten, aber die Angst ihn nicht fliegen zu können war größer. „Du zeigst mir wirklich, wie ich mit ihm umgehen muss?“

„Ja, gleich morgen, wenn die ersten Sonnenstrahlen dich wecken.“

Skyla strahlte von einem Ohr zum anderen.

Nun meldete sich auch Jason zu Wort. „Zeigst du mir auch eine Flugtechnik?“

„Was schwebt dir den für eine Technik vor Jason?“

„Turbotunnelflugtechnik.“

Kinder! Rob saugte hörbar Luft ein. „Okay, sobald Skyla ihren Besen beherrscht, zeig ich euch beiden, wie man Turbotunnel durchfliegt.“

„Und ich?“, schmollte Charlyn.

„Nein, für dich ist das nichts. Dem Gegendruck hält dein Körper eigenständig noch nicht stand. Es würde dich vom Besen schmettern. Tut mir leid.“

Wo sie bei Vanilla nun auf die Tränendrüse drücken würde … Charlyn kuschelte sich traurig an Rob. „Ab wann darf ich es lernen?“

„Frühestens wenn du neun bist.“

„Darf ich wenigstens mitfliegen?“, maulte sie leise.

„Ich denke schon, hinter meinem Rücken geht das sicher.“

 

Vanillas Kristallkugel meldete sich. „Hallo, noch jemand wach?“

„Ja, alle“, antwortete Rob vorausschauend, damit Vanilla vorgewarnt war.

„Schön, dann alle ran an die Kugel!“ Vanillas Gesicht wirkte gelöst und beruhigt.

„Wir sind zu einer Entscheidung gekommen. Alle Hexen und Hexer, die nachweislich unwissentlich an Hexereien beteiligt waren und verbannt wurden, bekommen unter Meldeaufsicht ihre Hexenkräfte zurück. Vorerst für die Dauer eines Jahres. Wird in diesem Zeitraum keinerlei schwarze Hexerei angewandt, niemand verletzt oder getötet, verlängert sich die Zeit um jeweils die doppelte Zeitspanne. Klartext, Elaine hat damals keine schädliche Hexerei angewandt und bekommt nun ein Jahr ihre Hexenkräfte zurück. Nächstes Jahr erhöht sich die Frist auf zwei Jahre, dann vier Jahre und so weiter. Allerdings darf sie sich nur gegen schwarze Magie wehren oder leichte Hexerei betreiben.“

„Wie soll das überprüft werden? Was, wenn sie solch einer Situation gegenüber steht?“, forschte Rob grübelnd nach.

„Dieser Gedanke hat uns lange beschäftigt. Eine entscheidende Lösung war und ist, dass wir die zurückerhaltene Hexenkraft mit Gewissenshexerei versehen. Elaine sowie all die anderen Hexen und Hexer sind nicht imstande gewissenlos Hexereien auszuüben. Lediglich gegen schwarze Mächte, die ihr Leben bedrohen.“

Das war doch mal eine gute Nachricht! Rob machte ein erleichtertes Gesicht. „Prima Lösung. Wann ist Elaine hier?“

„Dragonrock ist zurzeit vom Rest der Welt abgeschirmt. Verbannt ist verbannt. Ich suche aber nach einer möglichen Lösung. Da ihre Kinder beide erziehungsbedürftig sind, könnte, und ich sage ‚könnte‘ ich für sie eine Sondergenehmigung erwirken. Richtet euch aber bitte die nächsten Monate noch nicht auf sie ein. Erst muss eine gewisse Frist abgelaufen sein, um diesen Antrag begründet zu stellen. Hast du ein Problem damit Rob?“

„Absolut nicht. Hier ist alles am Laufen.“

„Das ist gut. So brauch ich mir keine Sorgen um euch machen.“

„Kommt Mama nun oder nicht?“ Charlyn machte ein weinerliches Gesicht.

„Jetzt noch nicht, mein Schatz. Aber Omi versucht das so schnell wie möglich zu ändern.“

„Na gut.“ Charlyn kuschelte sich nun an Jason, der sie wiederum in die Arme nahm.

„So Kinder, geht ins Bett. Ich muss Rob allein sprechen. Schlaft schön, ich denk an euch.“

„Gute Nacht, Oma. Wir haben dich lieb!“, sagten beide fast gleichzeitig und auch Skyla wünschte Vanilla eine gute Nachtruhe.

 

Etwas später klopfte Rob an Jasons Tür und trat ein. „Schläfst du schon?“

„Nein, was ist denn?“

„Vanilla und ich sind zu dem Schluss gekommen, das du, falls Ramja stirbt, sie wiederbeleben solltest. Nur so können wir schnell erfahren, wo Raika vielleicht ist.“

„Und wenn ich es verhaue?“

Um Jason zu beruhigen setzte sich Rob auf seine Bettkante. „Erwarte nicht von mir, dass ich dich unter Druck setze. Entweder es klappt oder es klappt nicht. Es würde die Nachforschungen nur erleichtern, aber keinesfalls aus der Welt schaffen.“

„Vielleicht überlebt sie ja von allein.“

„Die Chance ist schwindend gering. Hexilus deutete es ja an. Schlaf jetzt, morgen ist Sonntag und ich möchte mit euch einen Ausflug machen.“

„Schlaf schön, Rob.“

 

Um fünf Uhr morgens stand Rob wieder an Jasons Bett und weckte ihn.

„Was ist?“ Schlaftrunken schob er seine Beine über die Bettkante.

„Ich weck dich nur ungern, aber Ramja liegt in den letzten Atemzügen. Sie verwandelt sich in eine Untote.“

„Oh Scheiße!“ Schlagartig war Jason hellwach.

Zügig schlüpfte Jason in seine Sachen und schon flog er mit Rob zur Klinik.

 

Der reichlich unglücklich wirkende Hexilus begleitete sie zu Ramja und war doch sehr verwundert, dass Rob ihn kurzerhand wieder aus dem Zimmer schob.

„Setz dich neben sie. Wenn du dich bereit fühlst, dann erst handle.“

Ramja lag leichenblass da, ihre Augenlider zuckten und rotgrüner Sabber lief aus ihrem Mund.

„Sie war am Anfang so nett und hilfsbereit. Satana hat sie ständig von oben herab behandelt. Aber du hättest ihre Augen sehen sollen, als sie den zweiten Hasen wiederbeleben wollte. Sie hat mir solche Angst gemacht, ich wollte nur noch weg.“

Rob hatte da so einen Verdacht, doch den behielt er für sich. Vielleicht war Ramja eine Kindhexe und nicht wirklich eine Junghexe. Aber das erklärte auch nicht, wo Raika war und warum Ramja anstelle der vermissten Hexe hier im Hotel herumhexte.

Ramja röchelte und bäumte sich auf, vor Schreck sprang Jason von ihrem Bett.

„Das ist der Übergang! Bleib ruhig, sie kann dir in diesem Zustand nichts tun!“

Davor hatte Jason auch keine Angst, aber er griff instinktiv nach ihrer eiskalten Hand. „Soleida woleida pangary fangy.“ Der Hex huschte schneller über seine Lippen, als er denken konnte und diesmal war er richtig ausgesprochen!
Ramjas Körper wälzte sich im Bett herum und ihre offenen Augen waren verdreht.

Wenige Augenblicke später saß sie erschöpft, aber lebendig da.

Irgendwie erstaunte es Jason immer noch, wenn die Lebewesen, die er wiederbelebte, so normal aussahen … als ob nie etwas mit ihnen gewesen wäre!

„Das hast du gut gemacht, Jason“, lobte Rob ihn, denn auch ihm fiel auf, dass der Junge mit der Situation überfordert war.

Tja, verständlich, denn sooo viele Wiederbelebungen hatte Jason ja auch noch nicht bewerkstelligt.

„Was ist, wo bin ich?“ Ramja machte einen verstörten Eindruck, sah sich im Zimmer mit großen Augen um.

„Du bist in der Dorfklinik“, erklärte Rob ihr.

„Warum?“

„Du hattest einen Flugunfall und wärst beinahe gestorben.“

„Aber ich fühl mich nicht krank, nur müde.“

„Das ist prima, dann schlaf dich aus und morgen kannst du wieder ins Hotel kommen.“

Ramja gähnte herzhaft. „Mach ich.“

Hier war nun alles erledigt, beide verabschiedeten sich von der Hexe und verließen das Krankenzimmer … und sie ließen den perplexen Heiler in der Tür stehen.

Allerdings war auch Jason von Robs Erklärung gegenüber Ramja verwirrt, so stellte er sich vor der Klinik Rob in den Weg. „Was für eine Vorstellung war das denn?“

„Vorrübergehender Vergessenshex, in drei Tagen weiß sie wieder alles. Bevor ich gestern vom Hotel wiederkam, bin ich doch noch mal kurz hierher und hab ihn über sie ausgesprochen. Sobald sie alles wieder weiß, kümmert sich die Hotelleitung um sie.“

„Und wenn sie mich dann anschwärzt?“

„Unsere Hotelleiterin hat Kenntnis über dein außergewöhnliches Talent und unter welchen Umständen Ramja dich dazu bewegt hat, ihr diesen Hex zu zeigen. Seit dem Moment, da klar war, dass ein falsches Mädchen an unserem Hotel ist, musste ich mit offenen Karten spielen. Daraufhin hat sie selber den Vorschlag gemacht, dass du Ramja wiederbeleben solltest. Alles ist einen offiziellen Weg gegangen, also mach dir keine Sorgen! Und Dienstag treffen zwei ägyptische Abgesandte ein, dann stellt sich raus, wer auch immer dieses Kind ist.“

„Danke.“

„Wofür? Wenn du bewusst etwas Schlimmes angestellt hättest, wärst auch du wie jedes andere Kind bestraft worden.“

Sie bestiegen ihre Besen.

„Letztlich haben wir uns bei dir zu bedanken. Ohne deine, wenn auch außergewöhnliche, Vorarbeit, hätten wir wahrscheinlich nie erfahren, dass sie nicht die ist, die hier sein sollte.“

„Na gut, jetzt fühl ich mich schon wesentlich besser.“

Zuhause ging Jason gleich wieder ins Bett.

 

 

 

 

 

Drachenlurche und Feuertore

 

 

Der Tag brach an und mit ihm verpasste Jason Skylas erste Flugstunde auf ihrem neuen Besen. Müde und verschlafen schlurfte er um elf Uhr in die Küche.

Skyla stand allein an der Spüle und hexte das Geschirr sauber.

„Warum habt ihr mich nicht geweckt?“

„Setz dich und iss was. Rob hat uns gesagt, dass wir dich ausschlafen lassen sollen.“ Mit zittrigen Fingern schmierte Skyla ihm sogleich ein Brot.

„Wie war der Besenflug?“, erkundigte er sich bei seiner Freundin.

Skyla ließ das Messer fallen und schaute ihn an. „Schnell und noch mal schnell. Wie hast du den bloß geflogen?“, schnaufte sie fast hysterisch.

„Bei mir war’s ja auch nicht besonders. Wo ist Rob?“

„Beim Besenmacher, er holt was, damit ich meinen neuen Besen leichter lenken kann.“

„Und Charlyn?“

„Ist mitgeflogen, sie wollte auch einen neuen Besen bekommen.“

„War klar, meine Schwester macht ’nen Wilden.“

„Stimmt, und wie! Ihr Gejammer hat Rob weichgekocht, sie tanzt ihm auf der Nase rum.“

 

Die Haustür flog auf. „Wo seid ihr? Seht euch meinen neuen Besen an.“ Charlyn stürmte in der Küche flugs auf Jason zu und hielt ihm den Besen vors Gesicht. „Megasupi, der tollste Besen der Welt. Los kommt raus! Ich zeig euch, wie toll ich fliegen kann.“

Rob wurde von ihr beinahe umgerannt, weil die kleine Wirbelwindlady wieder in den Garten türmen wollte. „Halt! Stop! Du isst erst!“

„Nein, ich will fliegen!“, maulte Charlyn gleich mutig gegen.

Rob packte sie am Arm und zog sie hinter sich her zurück in die Küche. „An den Tisch mit dir, aber hurtig!“

„Wenn’s sein muss. Ich hab aber gar keinen Hunger!“

Sah man! Sie schnappte sich Jasons Brot und stopfte wie eine ausgehungerte Irre die Stulle in sich rein. Ihr Mund war noch proppenvoll, als sie Rob mittels Dackelblick anscheinend weichhexen wollte. Charlyn schluckte den dicksten Brocken herunter. „Darf ich jetzt raus?“

Nee, so ging das nicht! Rob bremste sie abermals aus, da Charlyn schon wieder Anstalten machte, aus der Küche zu rennen. „Nein, geh dein Gesicht und die verschmierten Hände waschen.“

Überprüfend guckte Charlyn auf ihre schmutzigen Hände. „Oh ja, sonst mach ich meinen Besen schmutzig!“ Und schon flitzte sie ins Bad.

„Kann Charlyn mit diesem Besen umgehen?“ Jason beäugte den irgendwie seltsam anmutenden weißen Besen.

Rob nickte. „Er ist geradezu für sie maßgeschneidert.“

Jason nahm den Besen in seine rechte Hand. „Was für ein Material ist das, es ist so weiß und leicht?“

„Es ist ein sehr seltener Drachenknochen. Ich denke es ist ein Oberschenkelknochen oder wenn der Drache sehr groß war, dann könnte es auch ein Vorderbeinknochen sein.“

Angewidert legte Jason den Besen aus der Hand.

Ein Besen aus einem Drachenknochen? Wie schräg und ekelig war das denn?

„Sei beruhigt. Der Knochen ist auf natürlichem Wege entnommen. Knochenbesen dürfen ausschließlich von vollständig verwesten Drachenkadavern entnommen werden.“

„Das macht es nicht besser, Knochen bleibt Knochen!“

„Tja, Jason, worauf fliegst du denn? Ein Baum hat doch auch als Samen angefangen und lebt auf seine Art.“

„Ja, aber da war vorher kein Fleisch dran. Weiß Charlyn, woraus er ist?“

Woher sollte der Knabe auch wissen, warum es Besen aus Drachenknochen gab? Rob sah Jason ernst in die Augen. „Ja, und sie ist mächtig stolz darauf, einem Drachen die letzte Ehre zu erweisen.“

„Wieso Ehre?“, mischte sich Skyla ein.

„Jeder Drache ist stolz darauf, wenn seine Gebeine weiterhin nützlich sind und für gute Zwecke dienen. Außer dem Schädel dürfen alle Knochen weiterverwendet werden.“

Charlyn bekam den Rest des Gesprächs mit und steckte ihre neugierige Stupsnase natürlich mitten rein. „Was passiert mit den Schädeln?“

„Sie werden auf einen Drachenfriedhof gebracht, ihrer Ahnenreihe beigelegt und aufgebahrt.“

„Wo ist das?“, wollte Jason nun wissen.

„Auf einer entfernten Nebenins ... Nein, das geht euch nichts an. Die Ruhestätte ist Tabu!“

Dieses Abwürgen einer Antwort von Rob kannte Jason zur Genüge und überging es gleich.

„Na Schwesterchen, dann zeig uns mal deine Flugkünste.“

Hui, Charlyn fegte beim Aufnehmen ihres Besens den halben Tisch leer.

Jetzt zu schimpfen brachte ohnehin nur Tränen mit sich, also überging er das kleine Problem mit einem Hex. „Perkadaitus“, beschwor Rob die unten liegenden Sachen und alles schwebte heil zurück.

 

Charlyn war eine kleine Flugmeisterin auf ihrem Drachenknochenbesen, sie wirbelte durch die Luft, dass den anderen der Atem stillstand.

Mit einem Mal sauste die kleine übermütige Maus in den Himmel und verschwand in einer Wolke.

„Scheiße!“, fluchte Rob und drückte Skyla hastig eine flache Dose in die Finger. „Halt das! Ich muss Charlyn einfangen!“ Und schon war er emporgeflogen.

Neugierig guckte Jason in Skylas Hände. „Was hat er dir da gegeben?“

Skyla las vor. „Drosselfett für aufsässige Flugbesen.“

„Ha! Das ist für deinen Besen. Soll ich dir einen Lappen holen?“

„Ich warte lieber auf Rob, eh ich was falsch mach.“

Dem stimmte Jason zu. Beide schauten wieder in den Himmel.

 

Völlig fertig landete Rob mit Charlyn einige Mintuten später vor dem Haus.

„Deinen Besen, wenn ich bitten darf!“, fuhr Rob sie scharf an

Widerwillig reichte Charlyn ihn an Rob weiter und ließ sich geknickt auf die Bank sinken. „Aber ich bekomme ihn gleich wieder!“

„Das muss ich mir noch stark überlegen!“, grollte Rob.

Jason stellte sich zu Rob. „Was ist denn passiert? War sie zu weit weg?“

„Das wäre nicht wild gewesen, weil ich ihr dann einen Finder hinterher geschickt hätte. Aber Charlyn war drauf und dran ein Turbotunnel-Endstück anzufliegen. Da kann es passieren, dass der Finder nonstop um die Erde fegt, weil er durch den Sog immer wieder an der Stelle vorbeisaust, wo Charlyn den Tunnel verlassen hätte. Da hätten wir dann vielleicht Monate nach ihr suchen müssen … und Elaine und Vanilla hätten mich in der Luft zerfetzt.“

„War gar nicht so schlimm! Ich hab den Tunnel gar nicht richtig anfliegen wollen! Ich wollte nur gucken“, maulte Charlyn inbrünstig.

„Mein Fräulein, das kannst du noch gar nicht abschätzen! Die Endstücke haben die dreifache Ansaugung und nehmen alles mit, was in diesen Sog kommt. Und darüber hinaus wärst du erheblich verletzt worden, und dann vielleicht noch kilometerweit entfernt mit Knochenbrüchen auf die Erdoberfläche oder ins tiefe Meer gefallen!“ Reichlich wütend nahm Rob Skyla das Drosselfett ab und polierte eine dicke Schicht in den Knochenbesen ein. Oh, er war mächtig sauer!

 

„Wenn das nicht reicht leg ich noch zwei bis vier Schichten drauf bis er lahm wie eine Schnecke wird!“, drohte er und fixierte dabei die freche Minihexe.

Nun erst gab er Charlyn ihren Besen zurück. „Heute fliegst du nicht mehr mit ihm, das Fett muss erst einziehen. Bring ihn in dein Zimmer und hol für unseren Ausflug deinen alten Besen.“

Eingeschnappt rannte Charlyn ins Haus.

„Darf ich fragen, wo uns unser Ausflug hinführt?“, wollte Jason wissen.

„Zu Idalos, mehr wird nicht verraten!“ Dabei grinste Rob spitzbübisch.

Jason fragte nicht weiter, diese Auskunft war schon klasse, denn er war seit mehr als einem Monat nicht mehr bei seinem Ahnherrn gewesen.

Damals hatte er seine Oma angewiesen, Rex, sein Drachenbaby, in Idalos Obhut zu bringen. Nun freute er sich auf das Wiedersehen mit Rex.

Auch in den Katakomben hatte sich nach Axas Drohung einiges geändert! Der Kellergrufteingang wurde seit mehreren Wochen von Harmhütern bewacht.

Nur dank ihres - im Hotel arbeitenden - Vormunds, durften die Kinder die Kellergewölbe betreten.

Die Kids stellten sich auf die im Boden eingelassenen Pentagramme und Rob hexte sie klein.

 

Charlyns anfänglich grottenschlechte Laune war wie weggeblasen, als sie die Miniaturausgabe der Burg im Schaukasten erblickte. Noch flogen sie über den Glasdeckel und staunten. Jedenfalls Skyla und Charlyn, die ja noch nicht mit in dem Schaukasten waren!

„Können wir nun reinfliegen?“, fragte Rob in die Runde.

„Können wir da wirklich rein?“, platzte es aus Charlyn heraus.

Rob rollte mit den Augen und schloss die Einflugtür auf. „Los jetzt! Alle rein!“

Nacheinander passierten die Kids den Durchlass und Rob folgte, nachdem er die Tür von innen wieder verriegelt hatte.

Jason musste grinsen, denn was er nun sah, war reichlich lustig … und er musste auf halber Strecke zur Landung ansetzen …

Vor der Burg rannten drei Hexer einem Jungdrachen hinterher, der sich den Besuchern näherte. Der Drache war furchtbar aufgeregt und flatterte Jason beim Landen so unglücklich an, dass beide zu Boden fielen.

Jason hatte Rex sofort erkannt. „Rex, nicht so stürmisch.“

Der blaue Halbblut Kreuzdrache rammte freudig seine Schnauze in Jasons Magen.

 

„Ihr könnt gehen.“

Ruckartig drehte Jason sich. Idalos stand hinter ihm und schickte die Hexer fort.

„Nun weiß ich auch, warum Rex sich seit heute Morgen so ungestüm verhält. Er witterte deine Ankunft.“

Eine alte Hexe mit feuerrotem Haar näherte sich der Gruppe. „Idalos, es ist Fütterungszeit, sie warten auf uns.“

„Ja Janaja, und heut haben wir Gäste, die uns begleiten.“

Drachenfütterung … die Kids waren alle begeistert!

Nach einem kleinen Fußmarsch betraten sie den Feuerturm und flogen die riesige Wendeltreppe bis zum Dach empor. Dort zog Idalos an einer Kette, die eine Dachluke inklusive Holztreppe zum Dachboden freilegte. Alle stiegen auf den Dachboden.

„Darf ich euch vorstellen, da hinten sind unsere neuen Schützlinge.“ Idalos zeigte in den hinteren Bereich, wo sich Äste und Zweige zu einem riesigen Nest aufhäuften.

Neugierig stellte Charlyn sich auf die Fußspitzen, um einen Drachen zu sehen. „Ich seh nichts, dürfen wir weiter ran?“

„Na sicher, schaut euch die Exodins an. Wer will, kann sie auch gerne füttern.“

 

Wie nicht anders zu erwarten, waren Charlyn und Jason begeistert und ließen sich von Janaja gleich einen Korb voll Feuerobst geben.

„Willst du die Drachenbabys nicht füttern?“ Rob sah in Skylas glühendes Gesicht und konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie ohnmächtig zusammenbrach.

Geübte Hexen erkannten ein Problem meist auf den ersten Blick ... Janaja fühlte an Skylas Stirn. „Sie ist doch wohl keine Eishexe?“

Jason war entsetzt. „Doch ist sie!“

„Oh nein, wie unüberlegt! Wir hätten sie vor dem Turm fragen müssen. Rob, hilf mir sie rauszubringen. Ich muss Daphne rufen, sie muss ihr einen Tiefschockwickel auflegen.“

„Können wir helfen?“, fragte Jason besorgt.

„Nein, das schaffen wir ohne euch. Aber kümmert euch bitte um die Exos.“

„Was hat Skyla, Onkel Idalos?“ Charlyn saß inmitten der Drachenbabys und fütterte alle der Reihe nach.

„Eishexen dürfen den Feuerturm nicht ohne Schutzhex betreten. Skyla hat einen Hitzeschock. Die Innentemperaturunterschiede zwischen Wasser- und Feuerturm beträgt an einigen Stellen bis zu 68 Grad Celsius. Im Übrigen wäre ich dir sehr dankbar, wenn du mich nicht Onkel nennst, Idalos reicht völlig.“

„Idalos, geht es Skyla mit dem Wickel bald besser?“

„Ja, junges Fräulein.“

„Idalos, darf ich ein Drachenbaby mitnehmen? Und ich heiße Charlyn.“

„Nein, die Babys bleiben hier, und hör auf Idalos mit deinen Fragen zu nerven.“ Jason guckte Charlyn schräg an und drückte ihr eine Handvoll Obst in die Finger, damit sie abgelenkt wurde.

Einer der kleineren Drachen hockte sich auf Jasons Schoß und ließ sich das Obst von ihm schmecken.

Inzwischen plusterte Rex sich am Rande des Nestes eifersüchtig auf und verlieh seinem Missfallen mit einem lauten Schnaufen Ausdruck. Natürlich bemerkte Jason es. „Sobald ich fertig bin, kümmere ich mich um dich, versprochen!“

Rex blinzelte und legte sich hin. Nun wandte sich Jason seinem Ahnherrn zu. „Frisst diese Rasse nur Obst?“

Idalos reichte Jason ein paar Feuerfrüchte. „Je älter sie werden, desto weniger wählerisch sind sie, dann wird gleich der ganze Ast, an dem die Früchte hängen, mitgefressen. Allerdings fressen sie nichts was Augen hat.“

„Also sind sie Vegetarier?“, stellte Jason fest.

„Den Begriff kenne ich nicht?“

„Vegetarier essen kein Fleisch von Tieren.“

Idalos tippte sich gegen die Stirn. „Ja, dann ist diese Drachenrasse wohl so was.“

 

Die Kids fütterten die Babys ab und kuschelten sogar mit ihnen, bis die kleinen Racker immer müder vom Fressen wurden.

Tja, wenn Drachen gähnen, dann hat das manchmal Folgen … Charlyn war mit je einem Drachenbaby pro Arm eingeschlafen. Was Jason gleich für seine Zwecke ausnutzte. Die Drachenmaske spukte wieder verschärft in seinen Gehirnzellen umher. Doch wie schon zuvor, biss er bei Idalos auf Granit.

„Löse das Rätsel allein. Ich nehme an, in ein paar Jahren bist du soweit und dein Geist wird die richtige Entscheidung treffen, wenn du vor der Maske stehst. Was würdest du jetzt tun, wenn sie nun vor dir läge?“

„Ich würde sie mir genau ansehen. Immerhin wurde sie von deinen Händen erschaffen und bearbeitet.“

„Und dann? Deine Neugier packt dich und du steckst deine Nase hinein, oder nicht? Doch bedenke, dass durch deine Adern ein nicht unerheblicher Anteil Drachenblut fließt. Hast du dir über die Folgen Gedanken gemacht?“

Jasons Gedanken drifteten ab, er sah ins Leere. „Nein.“

„Deshalb werde ich dir nicht helfen. Wenn du fünfzig bis sechzig Jahre bist, können wir uns zusammensetzten, dann helfe ich dir vielleicht.“

„Falls alle Stricke reißen, nehme ich dein Angebot an.“

„Wecke die kleine Hexe. Wir wollen sehen, wie es eurer Freundin geht.“ Idalos blickte kurz auf Jasons Schwester, die im Schlaf ein wenig sabberte. „Ist Charlyn immer so neugierig und wissbegierig?“

„Du hast sie noch nie richtig in Aktion gesehen.“

„Oh je, ihr tut mir leid.“

„Man gewöhnt sich an vieles. Aber ich hab noch eine Frage. Hast du ein Bild von der Drachenmaske, damit ich sie wenigstens einmal sehen kann?“

„Ich besorge dir eine meiner Zeichnungen. Fliegt ihr vor, ich komme nach.“

 

Skyla und Rob dösten unter einer Baumgruppe innerhalb des Burghofes. Dabei sahen sie zu, wie ein ausgewachsener Drache gefüttert wurde. Jason kannte den Drachen, es war Walisa. Sie hatte Jason in ihr Herz geschlossen und sah ihn als Kinderersatz an. Auch sie erblickte ihn und war nicht mehr zu halten! Stürmisch rannte Walisa auf Jason zu und besabberte ihn ausgiebig. Auch Rex bekam großzügigerweise eine Ladung Sabber ab.

Idalos, der kurz darauf dazu kam, klärte Jason darüber auf, dass Walisa Rex adoptiert hatte. Da Jasons Geruch damals noch an Rex haftete, waren die beiden Drachen gleich ein Herz und eine Seele.

„Klasse Walisa, kümmere dich gut um meinen Rex.“ Jason umarmte die beiden.

Wo nun alles so friedlich lief ... ohne Vorwarnung erschütterte plötzlich ein gewaltiges Drachenbrüllen den Schaukasten.

Sofort stand Idalos kerzengerade da, blickte in die Richtung, aus der der Lärm kam ... „Packt euch und verschwindet! Janaja bring Walisa und Rex rein! Siku versucht wieder einmal auszubrechen. Schnell!“ Um den Aufbruch zu beschleunigen reichte Idalos Jason eine Pergamentrolle und schob ihn in Robs Richtung.

„Was geschieht da?“ Jason warf auf seinem Besen sitzend einen verzweifelten Blick über die Schulter.

Für eine Antwort war nun keine Zeit. Eiligst lotste Rob die Kids aus dem Schaukasten und sie landeten unverzüglich auf den Pentagrammen.

In seiner realen Größe stürzte Jason sogleich auf den Tischschaukasten zu. Dabei fiel ihm nicht mal auf, dass er die Pergamentrolle schon lange verloren hatte.

 

Aus dieser Perspektive stellte sich die Situation im Schaukasten äußerst bizarr da.

Miniaturhexer umkreisten den ausgebrochenen feuerspeienden Drachen, hexten eine Art Blitzkäfig um und über ihn. Durch die Blitze, die ihn in kurzen Abständen traktierten, entkräftete der wütende Drache rasch und gehorchte den Hexern wieder. Er beugte sich den Hexern und ließ sich widerstandslos wegführen.

„Siku ist der Vater der Drachenbabys. Er sucht sein Weibchen. Sie ist vor genau einer Woche gestorben. Schwarze Hexer versuchten ihre Babys zu stehlen. Bis zur Erschöpfung hat sie ihre Brut verteidigt. Glück im Unglück, einige von uns wollten im selben Zeitraum nach der Drachenfamilie schauen, um sicher zu gehen, dass alle Drachenbabys wohlauf sind. Sie brachten das Weibchen mit ihren fünf Babys unverzüglich zu Idalos, da die Gegend nicht mehr sicher war. Trotz aller Bemühungen, konnte das verletzte Weibchen nicht mehr gerettet werden. Siku haben die Hexer erst später ausfindig machen können, da er zu dem Zeitpunkt des Angriffs auf Futtersuche war. Er weiß nicht, dass seine Partnerin tot ist. Drachen haben gute Ohren, und wenn seine Brut hungrig kreischt, will er zu ihnen. Er vermutet wohl, dass die Drachenmutter auch bei ihnen ist.“

„Wo ist das denn passiert, etwa auf der Dracheninsel?“

Rob schüttelte den Kopf. „Nein Jason, diese Drachenrasse lebt ausschließlich tief im Westen Kanadas.“

Charlyn drückte immer noch ihre Nase an der Glasdecke platt. „Gehen wir noch mal rein? Der Drache ist doch jetzt weg.“

„Nein Charlyn, heute nicht mehr.“

„Morgen?“, löcherte sie weiter.

„Nein, du musst in den Koboldgarten und Skyla und Jason zum Hotel.“

„Nächstes Wochenende?“

„Charlyn, spar dir die Fragerei. Sobald wir alle Zeit dafür haben, kommen wir wieder.“

Mit dieser Lösung gab sie sich doch tatsächlich zufrieden. „Okay Rob.“

Verständnislos blickten Rob und Jason sich an. Charlyn quengelte nicht weiter?

 

Sparkie war ganz aus dem Häuschen, freute sich, dass Jason endlich wieder da war und mit ihr rumtobte. ‚Vanilla hat schon zweimal aus der Kugel gerufen. Ich konnte ihr ja nicht sagen, dass ihr fort seid‘, dachte die Höllenhündin in Jasons Richtung.

„Ist in Ordnung. Wollen wir zwei die Insel unsicher machen?“, fragte Jason sie.

Keine Frage, Sparkie war begeistert, denn Jason war in der letzten Zeit kaum mit ihr allein unterwegs gewesen. Jason leitete noch schnell die Information an Rob weiter, bevor er mit Sparkie seine Runde antrat.

Ihr erstes Ziel war der Vulkansee.

Ein kleiner Zwischenstopp zum Baden.

Von dort aus flogen sie ins Dorf, ein bisschen an den Schaufenstern vorbeibummeln.

Im Ort wurde in den letzten Wochen mächtig gebaut und viele Geschäfte wurden aus dem Boden gehext.

In jedes Schaufenster schauten sie rein. Dabei sahen sie in der Spiegelung der Scheibe hinter sich die Hexen und Hexer, die angstvoll einen großen Bogen um sie machten. Amüsiert gingen sie weiter und Jason musste grinsen, weil einige Passanten sogar die Straßenseite wechselten.

Vanilla hatte es offiziell genehmigt: Sparkie durfte von Hüfthöhe auf Brusthöhe anwachsen. Regulär war sie ja ursprünglich um ein Vielfaches größer, fast so wie ein ausgewachsener Sipufant, die wiederum viel größer waren, als normale Elefanten.

Manches Mal bedauerte Jason es trotzdem, dass Sparkie nicht in ihrer Originalgröße auf Dragonrock leben konnte.

Ein einziges Mal durfte er sie in ihrer wahrhaften Gestalt erleben, beim Kampf gegen Droffats, einem Handlanger Axas. Dabei hatte Sparkie ihm das Leben gerettet. Diesem Umstand hatte Sparkie es zu verdanken, dass sie an Jasons Seite nun größer sein durfte. Bei Bedarf und in Notfällen, in denen Sparkies oder das Leben eines Familienmitgliedes bedroht waren, war die Höllenhündin befugt, an einem Band an ihrem Halsband zu ziehen. Das ließ sie augenblicklich auf ihre natürliche Größe anwachsen. Umgekehrt musste Jason ihr helfen das Halsband per Strick festzuziehen, damit sie später wieder zurückschrumpfte.

‚Was machen wir jetzt?‘ Mittlerweile fand Sparkie es langweilig, dass alle wegen ihr die Hosen voll hatten.

„Fliegen wir zum Burghof und sehen uns an, was die Drachenpferde machen?“

Dagegen hatte Sparkie nichts einzuwenden.

 

Die Turnierreiter übten auf ihren Drachenpferden. Wie im Mittelalter ritten sie auf zwei parallelen Wegen aufeinander zu, doch anstelle der Lanzen hatten sie ihre Z-Stäbe und mussten mit geübten Hexsprüchen den Gegner aus dem Sattel holen.

Einige schien es bereits mehrmals aus dem Sattel geworfen zu haben, sie gingen steif oder humpelten. Satanas Schwester, Devilla Drenzo war offensichtlich eine bessere Kämpferin, sie machte keinen angeschlagenen Eindruck. Aber ihr Drachenpferd gehorchte ihr immer noch nicht.

Jason mochte Devilla, sowie den Rest der Familie Drenzo, nicht. Erstens, weil sie ihr Drachenpferd in Gegenwart ihrer ganzen Gruppe blutig geschlagen hatte und zweitens, weil sie überheblich war, und überhaupt waren sich die drei Schwestern in vielerlei Hinsicht ähnlich.

„Verschwinde hier! Nimm deine Töle und zieh Leine!“

‚Wenn man an die Teufelin denkt!‘, dachte Jason, da kam Satana auf ihn zu.

„Du hast hier nichts zu suchen!“

Sparkie zog ihre Lefzen hoch und knurrte leise.

„Ja, du Mistvieh! Fall mich an, dann bist du Geschichte!“

Dass diese Junghexe immer gleich so aggressiv auf ihn losging nervte ungemein! „Kendafru gen“, flüsterte Jason superleise und zeigte unter seinem Umhang mit dem Z-Stab auf Satana. „Komm wir gehen, Sparkie.“ Jason sah sich ein letztes Mal zu Satana um, stieg auf seinen Besen und grinste von einem Ohr zum anderen.

 

Drei dicke Pusteln dekorierten plötzlich Satanas Gesicht, eine am Kinn, die nächste an der Nasenseite und die dritte platzierte sich zwischen ihren Augen. Sie schwollen unaufhörlich an und platzten. Dicker, gelber Eiter quoll hervor, angewidert fasste sich Satana ins Gesicht.

Vor Wut schreiend rannte sie auf ihre Schwester zu, Devilla bestieg sofort ihr Drachenpferd und wollte Jason folgen. Sie kam allerdings nicht weit, da ihr Drachenpferd bockte und Devilla seitlich vom Sattel runter rutschte.

‚Durftest du das?‘, fragte Sparkie ihn.

„Ich habe sie weder bedroht, noch verletzt. Die Pickel sind morgen Abend verheilt. Die Hotelordnung besagt, dass alle Hexereien, die geistig oder körperlich verletzend sind, unterlassen werden müssen. Pickel gehören, glaube ich, nicht dazu.“

 

Zu Hause bekam Jason dann doch Bedenken und er erzählte Rob von dem Vorfall.

„Ich hätte sie eher zum Erbrechen gebracht, mit einhergehendem Durchfall. Pusteln sind aber auch okay. Besonders Leadneck wird Satana morgen nicht von der Pelle gehen. Aber Scherz beiseite. Halte dich in der nächsten Zeit zurück. Zu viele dieser Heldentaten und du wirst abgemahnt. Lass dich von Satana nicht immer so weit reizen, dein Blut gerät sonst zu sehr in Wallung. Wegen Pusteln macht dir keiner einen Vorwurf. Doch ich ahne, dass Devilla das irgendwie rächen wird. Ich behalte sie im Auge. Geh essen.“

 

Montagmorgen, die erste Stunde im Hotel schleppte sich dahin, viele Gäste schliefen noch.

Skyla und Jason fuhren mit dem Hotelfahrstuhl in den zweiten Stock. Steven hatte ihnen den Tipp gegeben im rechten Flügel zu klopfen, dort wären schon einige wach.

Tatsächlich öffnete sich gleich die erste Tür, an die sie geklopft hatten. Jason rechnete damit, dass nur einer von ihnen eingeladen wurde, doch Skyla wurde mit reingeholt.

„Wollt ihr einen Modifikationstrank erlernen?“

Skyla und Jason wollten.

„Ich bin Meister Langhorn, nehmt euch das hellblaue Buch aus dem Schrank und sucht die Formel für einen Rattentrank und dazu Amphibiengrundstoffkunde.“

Jason fand das Rezept aus dem Wandelbuch und Skyla suchte die Zutaten von der Liste in der Hexküche zusammen. Laut Anweisungen des Hexers gaben sie Kräuter und getrocknete Innereien in den Kessel. Nach einer Viertelstunde köcheln sollte der Trank seine volle Wirkung erreicht haben.

Meister Langhorn stellte einen Käfig, in dem sich Frösche befanden, auf einen Hocker neben sie. „Einer von euch beiden nimmt einen der Frösche, der andere öffnet ihm den Mund und füllt einen Esslöffel des Trankes hinein.“

Skyla wollte den Frosch nicht anfassen, also griff Jason beherzt in den Käfig. Was sich als nicht so einfach entpuppte. Alle Frösche hüpften vor seiner Hand davon.

Nach einigen Versuchen bekam Jason endlich einen Frosch zu fassen und hielt ihn Skyla vor. „Los, mach sein Maul auf! Ich kann ihn nicht lange halten, er ist tierisch glitschig.“

Skyla fasste den Frosch zaghaft an, öffnete das Froschmaul und hielt den Esslöffel über die Mundhöhle. Plötzlich schnellte das Vorderbein des Frosches vor und kickte den Löffel weg.

„Machs noch mal“, flüsterte Jason ihr zu.

Beim zweiten Versuch gelang es ihr, dem Frosch den Trank einzuflößen.

 

Schleunigst steckte Jason den Frosch zurück in den Käfig. Kaum, dass der Frosch sich beruhigt hatte, bekam er am ganzen Körper Fell. Einen Rattenschwanz wuchs ihm aus dem Hintern und das Maul wurde spitz. Tja, nun sah das Tier wie ein haariger Spitzmaulfrosch aus.

Meister Langhorn kontrollierte das Ergebnis. „Nachfüttern, die Dosis reicht bei diesem fetten Exemplar nicht. Ich empfehle zwei Esslöffel.“

Die Kinder kamen der Aufforderung nach und siehe da, eine außerordentlich speckige Ratte schielte sie an.

„Gut gemacht. Hier habt ihr ein eigenes Trankbüchlein, in das ihr in Zukunft Notizen und Anregungen vermerkt. Schreibt Zutaten und Arbeitsablauf, mit dem Vermerk des Gewichtes und der Dosierung auf.“ Meister Langhorn stellte weitere Kleinkäfige auf den Tisch. „Diese Exemplare haben andere Kinder erschaffen. Es ist also nicht selbstverständlich, dass Tränke in der Herstellung immer gleich gelingen. Seht euch die Exemplare genau an, dann prägt euch ein, wie wichtig es ist, die Rezepte richtig abzuarbeiten.“

Über den Käfigen standen die Namen derer, die schon versuchten, was Jason und Skyla auf Anhieb gelang.

Nicht allen war der Trank geglückt. Steven und Exodia hatten eine fellfreie Ratte mit Froschbeinen. Ramjas und Conrads Frosch wies nur Rattenbarthaare und Haarbüschelbewuchs auf. Frederic und Estella hatten zwar eine äußerlich perfekte Ratte, doch als sie genauer hinschauten, geschah etwas für Ratten untypisches. Eine Fliege landete an einem der Gitterstäbe und aus dem Rattenmaul schnellte eine Froschzunge hervor.

Schade, Satana und Kevin hatten mit ihrem Exemplar auf Anhieb eine erstrebenswerte Umwandlung geschaffen.

„Schluss für heute. Kommt in einer Woche wieder, dann kümmern wir uns zusammen um die Mutationen von Kreuzgreifern.“ Meister Langhorn hexte die Tür auf. „Bevor ich’s vergess. Sir Leadneck wollte euch sehen, er bewohnt diese Woche Zimmer 227.“

Auf dem Weg zu Zimmer 227 trafen sie Satana, Ramja und Sunny, die auch in ihre Richtung gingen. Beinah gleichzeitig standen sie vor der Tür. Doch bevor sie anklopfen konnten stand Sir Williams neben ihnen.

„Ab dem Mittag geht ihr nicht mehr in den vierten Stock. Wir erwarten speziellen Besuch aus der Unterwelt, dann ist der Zutritt dort verboten. Ach Satana, melde dich in der großen Pause beim Heiler, diese Pickel sind unansehnlich.“

„Die hab ich von Jason!“, meckerte sie umgehend los und zeigte mit ihrem ausgestreckten Finger auf ihn.

„Gut gelungen, Jason. Hattest du keinen Gegenhex parat, Satana? Antipickelhexereien stehen bei jedem Koboldgarten im ABC-Hex.“

Satanas Gesicht lief rosarot an. In dem Moment öffnete sich die Tür zu Sir Leadnecks Zimmer.

Unwillkürlich dachte Jason an die Worte, die Rob gestern zu den Pickeln hatte fallen lassen. „Ich glaube die Zeit hier drin wird für Satana nicht die beste.“

Sunny und Skyla blieben stehen und sahen sich an. Gleichzeitig fragten sie Jason warum.

„Lasst euch überraschen.“

 

Sir Leadneck stand am Fenster und sah in den Innenhof. Erst als die fünf saßen, drehte sich der klapperdürre Hexer um. Dabei sah jedes Kind sein faustgroßes Kopfloch über dem linken Ohr. Mit seinen trüben Augen blickte er die Kinder an.

„Heute nehmen wir die Drachenjäger und deren Werkzeuge durch. Ein zuweilen grausames Thema. Doch nur mit der Vorgeschichte begreift ihr überhaupt, warum wir uns der Drachenzucht zugewandt haben.“ Sir Leadneck wandernder Blick blieb an Satana kleben und seine Augen leuchteten plötzlich auf.

Außer Jason bemerkte das zunächst niemand.

Sir Leadneck erzählte die einzelnen Abschlachtungsmethoden in allen grausamen Einzelheiten.

Bei den Mädchen schlichen sich mit der Zeit immer mehr die Tränen ein.

Nur eine weibliche Person schockte die schrecklichen Erzählungen nicht: Satana fragte sogar des Öfteren über die Methoden nach, was sonst keinen interessierte.

Bei Leadnecks bildlicher Erzählung einiger Drachenabschlachtungsgeräte wurde Skyla so übel, dass sie sich in den Mülleimer übergab.

„Ja, sie waren schon sehr grausam.“ Sir Leadneck hielt Skyla ein Riechfläschchen unter die Nase. „Du kannst dir die Ohren zuhalten, wenn ich dir ein Zeichen gebe, ehe ich weitererzähle.“

Dankbar nickte Skyla ihm zu.

„Ein überaus nützliches Werkzeug war der Drachenhautrüttler, mit ihm wurden die Drachen samt Schuppenschicht gehäutet.“ Sir Leadneck zeigte auf Satana. „Komm vor, ich brauche deine Hilfe, um dieses Gerät genauer zu erklären.“

Stolz stand Satana auf und baute sich neben Sir Leadneck auf. Während er das eine Ende am Griff festhielt, schaute der Hexer die Junghexe gierig an.

Bis zu diesem Augenblick konnte er sich zurückhalten, doch nun war es um ihn geschehen. Blitzschnell flog seine schlangenähnliche Zunge vor und leckte sich in der Pustel zwischen Satanas Augen fest, bis diese völlig entleert war. Dann waren die anderen zwei riesigen Pickel an der Reihe. Satana war so aus der Fassung, dass sie steif stehen blieb. Derweil röhrten den Mädchen Ekellaute aus den Kehlen.

Nur einem gefiel die unvorhergesehene Vorstellung besonders gut: Jason grinste wie ein Honigkuchenpferd. Komisch und unappetitlich sah es schon aus, wie die Zungenspitze in den fetten Pickeln umherwühlte, um an den letzten Eitertropfen zu gelangen.

 

Als alle Eiterbeulen entleert waren, schleckte Sir Leadneck genüsslich seinen Mund ab und rülpste hinter vorgehaltener Hand. „So, nun können wir weitermachen“, griente er.

Satanas Starre löste sich, sie ließ das Werkzeug fallen und verließ wortlos den Raum.

Nervös leckte Sir Leadneck an seinem Schädelloch und streichelte mit seiner Zunge die Gehirnmasse, die etwas daraus hervorquoll. „Wo will sie denn hin, ich bin doch erst in fünf Minuten fertig?“, fragte er sich selber.

„Sicher ist sie auf dem Weg zum Heiler. Sir Williams hatte es ihr geraten“, kommentierte Jason.

„Schade“, entfuhr es Sir Leadneck leise aber hörbar. Er hexte die Werkzeuge wieder an die Wand und schickte die Kinder zur Pause.

Jason ließ die anderen gehen und war allein mit Sir Leadneck. „Kann ich Sie noch was fragen?“

„Sicher Jason, frag.“

„Werden Abschlachtungen heute noch durchgeführt?“

„Das müsstest du doch am besten wissen, du warst doch beinahe live dabei.“

Erschrocken wich Jason einen Schritt zurück.

„Ja, ich weiß alles über die Geschehnisse auf der Stonefog.“

Jason stand wie angewurzelt da.

„Keine Angst, mein Bruder war ein Schlitzohr der übelsten Sorte. Er hat es so lange geschafft, seinen widerlichen Geschäften nachzugehen. Da war es nur eine Frage der Zeit, wann ihn einer erwischt. Ich bin dir wegen seinem Tod nicht böse. Doch für eine ausbleibende Rache seinerseits, gebe ich keinerlei Garantie. Geh jetzt.“

„Aber er ist doch tot?“, hakte Jason nach.

„Bei uns Hexern ist tot nicht immer gleich tot. Wenn er die Mittel findet und den Weg ebnet, sei auf seine Wiederkehr vorbereitet. In der Bibliothek stehen genügend Bücher darüber.“

Um nun endlich seine Ruhe zu haben, schob Sir Leadneck Jason aus seinem Zimmer.

 

- „Ja, recht hat er! Ich komme wieder!“ -

 

Schlagartig erbleichte Jason. „Wer hat das gesagt?“ Vorsichtig schaute er sich im Gang um, keiner zu sehen außer Sunny.

„Hey, alles klar? Du bist so blass. Komm, Skyla wartet im Hof auf uns.“

Kein Wort kam über Jasons Lippen, denn momentan wollte er nur noch an die frische Luft.

 

Skyla saß im Gras unter den Bäumen in der Nähe des Schlosses. Neben ihr saß Ramja, mit der sie sich angeregt unterhielt.

Bei Ramjas Anblick ging es Jason nicht sonderlich besser als eben. Auch Sunny machte ein grimmiges Gesicht. In Ramja sah Sunny eine weitere Bedrohung, die sich zwischen Jason und sie stellen könnte. Dass sie Skyla nicht von Jason fernhalten konnte, duldete Sunny gerade noch so.

„Na, über was unterhaltet ihr euch gerade?“, fragte Sunny scheinheilig und strich sich eine blonde Locke aus dem Gesicht.

Ramja grinste sie an. „Worüber wohl? Die Pickel von Satana! Es sah ja wohl zum Schießen aus, wie Leadneck die ausgelutscht hat. Und Satanas Gesicht dazu, geschieht ihr recht.“ Ausnahmsweise stimmte Sunny ihr zu und musste lachen.

Alle mampften heute bei dem schönen Wetter ihr Frühstück im Freien.

Was es war, konnte Jason nicht deuten, aber irgendwas stimmte mit Ramja nicht! Sie schüttelte ihren Kopf immer so komisch. Auch schielte Ramja Jason ab und zu von der Seite an. ‚Weiß sie wieder was oder nicht?‘, schoss es durch seine Gedanken.

Ramjas seltsames Verhalten fiel noch einer anderen Person auf. „Was hast du?“, wollte Skyla von ihr wissen.

„Weiß nicht. Seit heut Morgen hab ich so was wie Blitze in meinem Kopf. Das nervt, kann ich dir sagen. Immer häufiger treten die auf und ich sehe tote Hasen vor mir.“

„Hasen? Das ist doch bekloppt.“ Sunny freute sich innerlich.

Bei Jason löste es einen Schweißausbruch aus und er sprang hoch. „Ich muss mal eben weg.“

„Kann ich mitkommen?“ Sunny schaute ihn an.

„Nee, ich brauche keinen Leibwächter vor dem Jungsklo.“

Skyla und Ramja lachten. Auf Sunnys Reaktion achtete Jason nicht und hastete los. Satana kam ihm entgegen und Jason rannte sie fast um. Ihr Gesicht war wieder pickelfrei ... schade.

„Verkneif dir jeden Scheißkommentar. Ich hab keine Zeit für weitere Pickelhexerei“, fuhr Jason Satana prompt an, die wiederum ließ ihn mit offenem Mund vorbei.

 

Er flitzte die leeren Gänge auf dem Weg zu Robs Arbeitszimmer ab. Im nächsten Gang lief er ihm in die Arme.

„Was rennst du hier rum? Geh nach draußen und frühstücke.“

Von hinten näherte sich ein Gast.

„Sir Williams, ich müsste Ihnen etwas sehr Wichtiges sagen!“

Rob erfasste den Ernst der Lage und sie unterhielten sich über Nebensächlichkeiten, bis der Gast außer Sicht war.

„Erzähl, was ist los?“

„Ramja hat Blitze in ihrem Kopf und sieht ständig tote Hasen.“

„Gut, dass du mir das sagst. Ich nehme an, der Hex lässt doch zu früh nach. Die ägyptischen Hexer treffen zwar schon heute ein, aber erst um die Mittagspause. Behalte sie im Auge, sollte sich etwas an ihrem Benehmen gravierend ändern, dann flüstere: FANSAGO in ihre Richtung. Schau ihr dabei auf jeden Fall direkt in die Augen. Hörst du, du musst dabei unbedingt mit ihr Blickkontakt halten!“

„Was passiert dann mit ihr?“

„Übelkeit überkommt sie.“

Hm, Jason sah ihn zweifelnd an. „Das reicht?“

„Ja, und nun geh.“

 

Passend zum makaberen Abschlachtungsunterricht von Drachen bei Leadneck, hatten sie nach der Pause ihren Kurs in Drachenkunde. Mrs. Miller hatte bereits eine Überraschung angekündigt, dementsprechend waren alle etwas enttäuscht darüber, dass sich kein Käfig im Gesellschaftsraum befand.

„Leider muss ich euch enttäuschen. Die Ankunft des vorgesehenen Drachen verzögert sich wahrscheinlich um zwei oder drei Tage. Die oberen Harmhüter konnten die Genehmigung auf meine Bestellung noch nicht bearbeiten. Es lagen zu viele Gastanträge vor. Also begeben wir uns heute auf die Suche nach einheimischen Drachenlurchen am Waldrand. Betreten des Waldes ist hiermit ausdrücklich verboten! Das schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits erleichtern wir das Leben dieser Drachenart und andererseits erlaubt es unseren Felfafliegern konzentrierter zu üben.“

Mrs. Miller drehte erwartungsvoll an ihren grauen Locken und sah die Kinder an. Conrad meldete sich.

„Ja Conrad?“

„Wieso können die Felfaspieler dadurch konzentrierter spielen?“

Lächelnd antwortete sie. „Auf diese Frage habe ich gewartet. Fliegt ein Spieler so derart tief, dass er das Gras berührt, könnte es im Zweifelsfall passieren, dass sich ein Drachenlurch bedroht fühlt … und dann wird es heiß für den Spieler. Der Drachenlurch wehrt sich mit Feuerdornen, die auf seinem Kopf und dem Rücken wachsen, die kann er der betreffenden Person hinterher schießen.“

„Aber schnell wegfliegen müsste doch gehen?“

„Nein Kevin, die Dornen finden in Hundertstelsekundenschnelle ihr Ziel. So schnell fliegt niemand, außer im Turbotunnel. Machen wir uns auf den Weg.“

 

Wenig später standen sie am Rande der Außenwand der Festung und hörten Mrs. Millers Anweisungen zu.

„Ich lege einen Lähmungshex über Teilstücke des Rasens. Ihr braucht dann nur noch die rotorangen Drachenlurche einsammeln. Sobald sie in dieser Box sind, stehen sie nicht mehr unter dem Hex, also zieht eure Hände sofort raus. Passt auf, dass ihr nicht auf sie tretet. Ihr Körpergift spritzt sonst heraus und verätzt eure Beine. Mitunter treffen sie auch höher.“

Milly Miller trat an die Mauer heran und sprach den Lähmhex aus.

„LAMIUS EXAST!“ Sie machte den Weg frei. „Bildet eine Reihe und beginnt zu suchen. Es erleichtert die Sache ungemein, wenn ihr mehrere der Tiere auf einmal sammelt und nicht wegen jedem einzelnen rennt.“

 

Die große durchsichtige Box füllte sich zügig mit den handtellergroßen Drachenlurchen, was Mrs. Miller als sehr zufriedenstellend empfand. „Die Box ist voll. Es reicht für heute. Tretet von der Wiese runter.“

Jason hatte das erste Mal, seit sie mit dem Einsammeln begonnen hatten, die Gelegenheit nach Ramja zu sehen und bereute es im nächsten Augenblick. Sie starrte ihn unverhohlen an, in ihren Augen lag wieder all die Bosheit wie zuvor am Wasserfall. „Fansago“, flüsterte er ihr, mit einem tiefen Blick in ihre schwarzen Augen zu und sie starrte ihn weiterhin an.

„Gehen wir zurück, die Suche ist beendet. Jason, Satana, tragt die Box vorsichtig auf euren Besen an den hinteren Waldrand. Ich komme gleich nach.“

Gehässig schaute Satana zu Jason rüber.

Ungeachtet dessen schickte Mrs. Miller die Kinder zum Schloss und kümmerte sich um die nun blau angelaufene Ramja.

Jason bestieg seinen Besen und fasste nach dem Kistengriff. Satana tat es ihm gleich.

„Bei drei“, zischte Satana und sie hoben exakt mit dem Abzählen ab.

 

Mitten über dem Wald grinste Satana Jason diabolisch an und mit einem verächtlichen Blick ließ sie die Box los. Das Gewicht der Kiste warf Jason aus der Bahn, wenige Zentimeter über den Baumwipfeln hört das Abwärtsziehen abrupt auf. Jason, der damit beschäftigt war auf dem Besen Halt zu finden und gleichzeitig die Box zu halten, schaute zur Seite … Sunny flog neben ihm.

„Danke!“

„Ich hab mir gedacht, dass Satana irgendwas ausheckt und bin euch hinterher.“

Sie landeten am Waldrand. „Das vergess ich dir nie! Ich wäre in die Bäume gerauscht und inklusive der Kiste zu Boden geknallt.“

„Sah stark danach aus. Wenigstens ist die Kiste noch verschlossen.“

„Ob sie das am Waldboden noch gewesen wäre, bezweifle ich allerdings.“

Sunny nickte. Beide setzten sich auf die Box und warteten auf ihre Kursleiterin.

 

Eine halbe Stunde verstrich und weiterhin war keine Mrs. Miller in Sicht.

„Wo bleibt die denn?“ Jason wurde unruhig und lief auf und ab.

„Ramja sah echt gruselig im Gesicht aus als ich zurückgeflogen bin. Vielleicht hatte die Miller sie zur Dorfklinik gebracht?“

„Toll, und was machen wir nun mit den Drachenlurchen?“

„Frei lassen oder willst du noch länger warten? Die hat uns bestimmt schon vergessen. Unsere Mittagspause ist sicher auch gleich um.“

Ungeduldig sah sie Jason an.

„Geben wir ihr noch ein paar Minuten. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie wir die Tiere freilassen können, ohne eine Todesladung Dornen abzubekommen.“

„Stimmt, das hatte ich vergessen“, gestand Sunny.

Die Kids warteten eine weitere volle Stunde, doch keiner kam.

 

„Das wird mir zu bunt! Wir lassen die Kiste stehen und fliegen zurück.“ Sunny stieg auf ihren Besen. „Soll die Miller sich doch um die Viecher kümmern. War ja auch ihre blöde Idee die einzusammeln.“

Jason gefiel der Gedanke hier weiter zu warten genauso wenig. Fieberhaft suchte er eine andere Lösung, was er Sunny auch mitteilte, damit sie mitgrübeln konnte.

„Ich hab’s, wir fliegen nach oben und hexen die Kiste aus der Luft auf. Sobald sie offen ist geben wir Vollgas.“

Jason sah Sunny zweifelnd an. „Na, wenn das mal klappt? Du weißt doch, dass die ihre Dornen tierisch schnell abschießen“, widersprach er.

„Scheiße, wir lassen sie zu und suchen die Miller.“

„Okay, einverstanden. Aber zuerst fliegen wir zu Sir Williams und informieren ihn. Ich hab null Bock auf Ärger.“

„Du hast recht. Starten wir durch“, seufzte Sunny und hob knapp vor Jason ab.

 

Rob stand an der Information. Seine Augen funkelten vielversprechend, aber nicht zum Guten. „Ah, habt ihr euch dazu entschlossen, wieder ins Hotel zu kommen? Strafarbeit für euch zwei, ihr schreibt die Hotelregeln zehnmal ab!“

„Aber Mrs. Miller hat uns versetzt! Wir haben die ganze Zeit am Waldrand auf sie gewartet“, schnaufte Sunny ihn an.

Auch wenn sie eine glaubenswürdige Entschuldigung damit abgeliefert hatte ... Rob war über Sunnys Wutausbruch überrascht und erbost. „Dann sucht Mrs. Miller! Die Strafe bleibt bestehen, für dein unmanierliches Verhalten.“

„Aber wir können doch nichts ...“, begann Jason die Situation zu entschärfen, doch Rob unterbrach ihn.

„Setzt euch in Bewegung damit ihr wenigstens den Rest der Zeit mitbekommt.“ Rob schäumte.

Bevor Sunny den Mund wieder aufmachte, zog Jason sie in den Gang.

„Der Idiot! Als ob wir schuld daran wären!“ Sunnys Wangen glühten.

„Suchen wir Mrs. Miller, sie kann uns vielleicht helfen. Doch wo anfangen?“

„Hast du Ramja gesehen? Ich hab mich eben nicht umgesehen.“

„Nein Sunny, Ramja war nicht da.“ Ihr brennender Blick wäre ihm zweifelsohne nicht entgangen.

„Dann beginnen wir beim Hotelheiler.“

 

Tatsächlich saß Mrs. Miller an Ramjas Liege und hielt ihr ein Tuch vors Gesicht.

„Du armes Kind“, flüsterte sie Ramja ständig zu und streichelte ihr übers Haar. Das Tuch fiel Mrs. Miller beinahe aus der Hand, als sie Jason und Sunny neben dem Bett stehen sah. „Oh je, die Drachenlurche! Ich hab euch vergessen. Kinder entschuldigt.“

Ramjas Blick traf auf Jasons. Wieder musste sie würgen, bläulicher Schaum spritzte in das alles aufsaugende Tuch.

Der Heiler näherte sich dem Bett in Begleitung zweier merkwürdiger dunkelhäutiger Männer. Sicher waren das die ägyptischen Hexer …

„Wir übernehmen die Heilung! Entfernen Sie sich!“, sagte einer der beiden.

Natürlich hörten alle anwesenden Personen die dunkle Stimme mit dem ungewöhnlichen Akzent.

Ramja blickte vom Tuch empor. Den schlagartig wechselnden Ausdruck in ihrem Gesicht, würde Jason so schnell nicht vergessen. Panisch sah sie sich nach einem Fluchtweg um.

Doch eine erneute Würgeattacke verhinderte Ramjas Flucht.

Mrs. Miller bekam davon nichts mit. „Kinder, ihr habt es gehört! Gehen wir. Gute Besserung Ramja.“ Mrs. Miller war sichtlich niedergeschlagen. „Das arme Kind“, murmelte sie immer wieder.

„Mrs. Miller, die Drachenlurche quälen sich in der engen Box.“

„Ja Sunny, du hast recht. Fliegen wir zu ihnen.“

Kaum auf dem Flur, machte Sunny ihrem Ärger Luft und erzählte von der Strafarbeit, wegen Zu-spät-Kommens.

„Ich werde mit Sir Williams darüber reden“, versprach Mrs. Miller kurz bevor sie aufbrachen.

 

Die Kiste stand genauso da, wie die Kinder sie verlassen hatten.

„Ihr hattet doch nicht vor, sie frei zu lassen?“

„Wir haben mit dem Gedanken gespielt“, gab Jason zu.

„Das geht ohne Kuppelblockhex nicht!“ Mrs. Miller sprach einen Hex aus und eine Seifenblasenkuppel umschloss die Box. Ein weiterer Hex öffnete die Kiste. Die Drachenlurche wuselten heraus und erstarrten sobald sie die Seifenkuppel berührten. „Die Kuppel löst sich innerhalb der nächsten Minuten auf. Morgen hole ich die Kiste für eine weitere Sammlung ab.“

Entsetzt sahen sich Sunny und Jason an, nochmals eine weitere Einsammlung zu starten … Mist. Doch beide mochten der Hotelkraft nicht widersprechen, denn wenn sie wirklich ein gutes Wort bei Sir Williams einlegen konnte, dann blieb ihnen eine Menge Schreibkram erspart!

 

Zurück im Hotel klopfte Mrs. Miller auch umgehend an Sir Williams Tür. „Dürfte ich Sie kurz sprechen, Robert?“ Mit Druck schob sie die Kinder in den Gang hinter sich, bevor sie die Tür hinter sich und Sir Williams schloss.

Jetzt konnten sie sowieso nichts mehr machen … „Ob wir noch was zu essen kriegen? Ich sterbe vor Hunger.“ Jason steuerte den Speisesaal an und drückte die Klinke runter. „Verschlossen! Klasse, ich werde verhungern.“

Die Rettung kam von links angerauscht … „Hier Jason, ich hab vorhin beim Mittagessen zwei Tafeln Schokolade und drei Äpfel mitgenommen.“

„Danke Skyla. Sunny, willst du was abhaben?“

Sunny nahm dankend einen Apfel.

 

Die nächste Gaststunde in Giftpflanzenkunde war für Jason mehr als öde. Mit einer gefährlichen Pinzette bewaffnet, zupfte er schnöde Blätter von einer langweiligen Pflanze, um diese dann einzuritzen. Zum Trocknen mussten eben diese Blätter auf einem gespannten Zwirn an der Wand aufgehangen werden. Voll interessant!

Beim letzten Gast für heute, Mrs. Rain, war für heute Feuerkunde in einer Einzelstunde angesagt. Komischerweise war sie trotz ihrer geringen Körpergröße und der schmächtigen Erscheinung, eine der wenigen Hexen, die Jason in ihren Bann zog. Selbst ihr schräger Gang brachte keinen Anstoß zum Spott. Gespannt lauschte er ihren Worten.

„Heut zeig ich dir ein Feuertor. Ich entfache ein Feuer, mit dessen Kraft wir an andere Orte gelangen. Zu diesem Zweck begeben wir uns in den Schlosshof.“ Hintereinander flogen beide durchs Fenster in den Hof.

„Damit wir die Drachenpferde nicht unnötig aufregen, gehen wir dort neben die Baumgruppe.“

Mit verschiedenen Pulvern entzündete Mrs. Rain ein zwei Meter hohes violettes Feuer. Sie wisperte einige Worte in die Flammen und forderte Jason auf, durchzuschreiten.

Skeptisch fixierte er den Feuerkegel. „Da soll ich durchgehen?“

„Ja, nur zu! Falls du Bedenken hast, dann halt vorerst deine Hand in die Flammen.“

Jason streckte seinen Zeigefinger aus, als ob er in etwas hineinpiken wollte.

„Aha, ich merke die Flammen überhaupt nicht.“

Mrs. Rain nickte ihm auffordernd zu. „Geh durch, ich folge dir!“

 

Wenn sie es denn wollte, Jason ging in das Feuer hinein, ein warmer Windstoß durchfuhr ihn und er stand in einem großen Raum, in dem ringsum Fenster, aber keine Tür waren. Es hatte den Anschein, dass sie sich in einem Turm des Schlosses befanden. Für die Burgtürme wäre hier auch alles viel zu klein. In diesem Zimmer befanden sich keine erwähnenswerten Möbel. Jason erblickte nur vier Säulen, auf denen dunkle Metallschalen standen und in denen verschiedenfarbige Feuer brannten.

Mrs. Rain trat neben Jason, der sich im Kreis drehte. „Wie kommen wir hier wieder raus?“

„Auf die gleiche Art, wie wir herkamen. Wenn du in drei Jahren diese Art der Fortbewegung erfolgreich beherrscht, vergiss nie das Feuer hinter dir herzuziehen. Irdische Kreaturen könnten ansonsten Schaden nehmen.“ Mrs. Rain ging um die Feuerschalen herum.

„Warum haben Sie mir dieses Feuer gezeigt, wenn ich es in drei Jahren erst praktizieren darf?“, fragte Jason enttäuscht.

„Hör besser zu, Jason. Ich habe nie gesagt, dass du es erst ‚in‘ drei Jahren lernen wirst. Du ‚brauchst‘ drei Jahre, um alle Pulverarten herzustellen und zu dosieren. Mit einem einfachen Hexspruch ist es nicht getan. Allein die Herstellung des Fallfeuerpulvers erstreckt sich über dreizehn Monate und in diesem Pulver stecken siebenundzwanzig Zutaten. Um ein Feuertor zu öffnen benötigt man mindestens sieben Pulversorten. Ich habe wegen der Genauigkeit für dieses eben durchschrittene Tor sechzehn Pulversorten benutzt. Alle Pulver wurden eigens über Jahre entwickelt und erprobt.“

Okay, das war hart! Aber für einen jungen Feuerhexer auch interessant.

Mrs. Rain bat zwecks Feuerkunde Jason zu den Feuerschalen.

„Grundlage jeden Pulvers zur Fortbewegung sind diese Urkraftfeuer. Mit ihnen werden verschiedene Hölzer und Pflanzen zu Asche verarbeitet. Ewige Flammen, ohne sie gäbe es keine Feuertore. Unsere Urahnen brachten sie einst bei der Übersiedlung auf die Erde mit. Ihren Ursprung kennen nicht einmal unsere ältesten Chroniken. Der Legende nach erfährt ein bestimmter Hexer, der sich in ein Feuer speiendes Tier verwandeln kann, den Ursprung dieser Flammenschalen.“

Ach! Jasons Hirn arbeitete auf Hochtouren. ‚Wenn das stimmt, könnten Idalos und ich es. Oder ein Dragot?‘

„Könnte man in die Flammen reinfassen?“ Jasons Neugier wartete auf einen Adrenalinkick.

„Wenn dir deine Finger nicht wichtig sind. Einzeln brennt jedes Feuer genau so heiß, wie es ein normales Holzfeuer tut.“

„Kann ich es ausprobieren?“

„Nur auf eigene Gefahr. Probiere erst aus, wie weit du die Hitze erträgst.“

Zunächst hielt Jason seine Hände von außen an die Flammen des ersten Feuers. Sachte schob er alle Finger zum Mittelpunkt der Flamme. Ein angenehmes Brennen durchströmte seine Hände und wanderte aufwärts, bis es angenehm im Gehirn brannte. Jason schloss die Augen und erkannte schemenhafte Bilder einer anderen Welt. Irgendwas oder irgendwer betastete seine Fingerspitzen. Es kitzelte mächtig, automatisch zog Jason seine Hände zurück.

„Du hast lange ausgehalten, soll ich Wundbrandpulver holen?“

„Nein, mir geht’s gut. Ich möchte in die nächste Flamme fassen.“

Mrs. Rain war irritiert aber einverstanden und Jason fühlte sich durch alle Feuer, bis hin zur letzten größten Flamme.

 

Jedes der vorherigen Feuer löste eine andere Art des Brennens und Bilder in seinem Körper aus. Allesamt unbeschreiblich schön und nicht von dieser Welt. Gespannt legte er die Hände an die letzte Flamme ... nichts.

Jason schob, wie zuvor die Finger ins Zentrum des Feuers ... nichts, nicht einmal das winzigste Kribbeln. Doch urplötzlich zischte ein Blitz durch seine Adern bis zum Hirn. Dort katapultierte sich der Blitz von einer Nervenbahn zur nächsten. Jason sackte auf seine Knie, seine Hände blieben dabei weiterhin im Feuer. Er fixierte die Flammen vor seinen Augen und brachte trotzdem keinen klaren Gedanken zustande. Der rote Blitz schoss aus seinen Augen zurück in die Flammen. Sein Kopf war wieder frei, bis auf eine Winzigkeit, die Jason in sich spürte.

„Sag was, Jason! Was ist geschehen? Ich bring dich zum Heiler!“ Mrs. Rain war von Jasons Blässe bestürzt.

„Nein, mir geht’s gut. Der Blitz ist raus. Nur etwas ausruhen ...“ Kaum ausgesprochen kippte er zur Seite.

 

Langsam öffnete Jason die Lider und fand sich in einem Bett liegend wieder. „Warum bin ich hier?“

Rob drückte ihn zurück ins Kissen. „Bleib liegen, dein Kreislauf ist ziemlich unten. Gleich kommt eine Medizin dagegen.“

„Welches Jahr haben wir, bin ich gewachsen?“

Entsetzt blickte Rob ihn an. „Du hattest deinen Unfall vor genau einer halbe Stunde!“

Nun griente Jason Rob an. „Na dann ist ja gut, ich wollte dich auch nur ein wenig veräppeln.“

„Das ist dir gelungen. So, nun mach den Mund auf.“

Die Medizin war grausam ekelig, er konnte sie nicht herunterbringen. Jason suchte nach einer Schale, in die er das Zeug zurückspucken konnte, doch er stockte ... Übelkeit ... da war doch was! ‚Ramja!‘ Knallte es plötzlich in seinem Kopf und rein aus Reflex schluckte er doch. Suchend schaute er die kurze Bettreihe entlang, niemand da, außer ihm und Rob. „Wo ist sie?“

„Das sag ich dir Zuhause. Sobald die Medizin wirkt, fliegen wir. Oder willst du lieber durch den Spiegel gehen?“

„Fliegen, ich brauch frische Luft.“

 

Zuhause war Jason wieder obenauf. Charlyn nervte wie gewohnt. Sparkie wollte raus und Skyla platzte vor Neugier.

Der Reihe nach versorgte er alle drei mit dem, was sie wollten. Charlyn hörte er zu, wie sie vom Koboldgarten berichtete. Mit Sparkie lief er ausgiebig Gassi und Skyla bekam von ihm unterwegs ein Exklusivinterview.

„Ich weiß nicht, aber irgendwie klappt alles reibungsloser als sonst.“ Vertraute er Rob an, als die Mädchen in der Küche waren.

„Eine Blitzerfahrung ähnlicher Art hatte ich auch vor Jahren. Im Wald bin ich mal in ein Grottenloch gestürzt und bewusstlos liegen geblieben. Nach einsetzenden Regen entlud sich ein Gewitter und ein Blitz schlug über einen Baum in die Grotte ein und damit auch in mich. Alle Knochen brannten und mein Kopf glühte vor Miniblitzen. Danach war mein Hirn wie aufgeräumt, ich sag dir, es war einmalig. Aber mit den folgenden Wochen ließ das Gefühl nach.“

„Schade, dann setz ich mich mal ans Maskenrätsel, vielleicht löse ich es ja jetzt.“

Und tatsächlich, alle Absätze erschienen Jason rundweg logisch formuliert und trotzdem konnte er sich keinen Reim daraus machen. Resigniert kam er nach einer Stunde ins Wohnzimmer.

 

Ohne von seinen Gästelisten aufzuschauen wusste Rob, dass Jason vor ihm stand. „Des Rätsels Lösung ergründet?“

„Nee, ist zwar alles irgendwie logischer, aber ich bin nicht ein Stück weitergekommen.“ Jason ließ sich aufs Sofa plumpsen. „Was hab ich denn nun bei deinem Festtagsvortrag verpasst?“

„Vom Prinzip her nicht viel. Ein Teil der Kinder führt einige Ersthexereien vor, genauer fünf von euch.“

„Wer denn, bin ich auch dabei?“

„Nein, du nicht ... warst ja nicht da. Gemeldet haben sich Andrew, Gloria, Satana, Skyla und Exodia. Die fünf erhalten jeden Tag direkt nach dem Hotelgang eine Sonderstunde bei Lovebird.“

„Satana, die Kuh hat mich heute ganz schön gelinkt. Mitten überm Wald hat sie die Kiste mit den Drachenlurchen einfach losgelassen und ich bin fast in den Bäumen gelandet.“

Rob zog eine Braue fragend in die Stirn. „Wieso Satana? Du bist mit Sonja zu spät gekommen!“

„Sunny hat sich gedacht, dass Satana was ausheckt und war uns gefolgt. Zum Glück!“

„So, so, Satana, das kleine Früchtchen! Mir hat sie erzählt, dass du mit Sonja zusammen die Vorbereitung bei mir langweilig findest und lieber draußen rumfliegst. Mir war ja schon irgendwie klar, dass sie spinnt.“

„Besonders aufregend sind deine Vorträge nicht, aber ich käme nie auf die Idee zu schwänzen.“

„Solange ihr meine Anweisungen nicht sorgsam befolgt, werden auch keine aufregenden Dinge geschehen. Ohne die Grundsätze der Hexerei, keine Belohnung.“

„Wie würde denn zum Beispiel eine Belohnung ausfallen?“, fragte Jason ihn listig.

„Anwendung in der Natur und Ähnliches.“

Eine reichlich allumfassende Antwort, die Jason aber auch nicht neugieriger machte. Müdigkeit überkam Jason, er gähnte.

„Leg dich hin und ruh dich aus.“

„Ja, ich bin müde.“ Er ging auf sein Zimmer.

 

Jasons Kopf sank aufs Kissen und eh er sich versah, schlief er halbwegs. Allerdings war es mehr ein Dämmerzustand … unruhig wälzte er sich im Bett herum und wurde jäh wieder aus dem Schlaf geholt.

„Jason, Jason wach auf!“

Verschlafen linste er in die Runde.

„Hallo mein Schatz. Ich bin gekommen um mit dir zu reden, es ist wichtig.“

„Mama, bist du das?“

„Ja, werd wach.“

Im Halbschlaf setzte er sich auf und schaute in die durchsichtige Gestalt seiner Mutter. Schlagartig war er wach und riss die Augen ängstlich auf.

„Nein, sag, dass das nicht wahr ist!“, grunzte er völlig von der Rolle.

„Was Junge?“

„Bist du ... bist du ... tot?“

„Nein, ganz und gar nicht! Ich bin lediglich auf einem Seelenflug.“

Jason atmete hörbar auf. „Ich dachte schon. Skylas Verwandte damals, die waren tot und durchsichtig.“

„Da ich meine Hexenkraft wieder hab, kann ich über meinen Körper einen Hex aussprechen, der die Seele bei wichtigen Begebenheiten vom Körper befreit.“

„Kannst du das öfter machen, so jeden Abend zum Beispiel?“

„Nein Jason. Nur in wichtigen Situationen und höchstens einmal alle dreiunddreißig Tage. Jetzt zum eigentlichen Thema meines Besuches. Seit heute vor ungefähr drei bis vier Stunden fühle ich ein extremes Unwohlsein bei dem Gedanken an dich. Ist dir da etwas Außergewöhnliches zugestoßen?“

„Nö, nicht

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Lektorat: Kein Lektorat! Kein Korrektorat! Kann ich mir nicht leisten! Sorry!
Tag der Veröffentlichung: 21.08.2011
ISBN: 978-3-7309-9150-3

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Danke Iris! Du hast mir beim Lektorieren sehr geholfen!

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