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Vorwort ... von drei kindische Drachengöttinnen

 

Im Irgendwo auf einem öden grauen Wandelstern in einer Zwischenwelt saßen die drei Drachengöttinnen und jede grollte für sich - vor sich hin. (Ich darf hier nicht so schreiben, wie ich es gerne würde und langsam frag ich mich, ob himmlische Wesen nicht doch ein wenig so wie - du und ich - sind, denn sie saßen wie beleidigte Leberwürste mit ihren Rücken zueinander.)

Su linste provokant zu Ka rüber. „Ich bleibe dabei! Er muss sich entscheiden. Die Zeit ist reif.“

Ka riss die Augen auf. „Bisher hat er alles mit Bravour und unter Einsatz seines Lebens gemeistert, aber ihm jetzt auch noch die Seelenschieber auf den Hals zu hetzen, schlägt alles! Su, er ist zwar reifer, doch mit sechszehn Erdenjahren immer noch ein Kind.“

El folgte dem Gespräch schon eine Weile, schwieg aber vorerst.

„Wir haben gemeinsam ins Buch der Zukunft gesehen und du weißt, wovon ich rede! Wir können ihn nicht mehr schonen. Entweder er begreift endlich, was hier läuft und auf welcher Seite er stehen sollte oder er geht unter. Es warten noch viele auf eine Chance“, nörgelte Su.

„Wann bitte sehr hat Jason etwas getan, das nicht dem allgemeinen Wohlbefinden diente?“, zischte El dazwischen.

„Jedes Mal! Die Seelenschieber wurden durch ihn erst aus ihrer tausendjährigen Gefangenschaft freigelassen“, meuterte Su.

Ka schäumte vor Wut. „Oh nein, du verdrehst die Tatsachen so, wie du sie haben willst! Und ich gehe so weit, dass du vorher wusstest, was der Anführer in die Wege leiten würde. Am Ende sind wir dafür verantwortlich, dass Jason sich aus reiner Verzweiflung dem dunklen Seelenjäger zuwenden wird. Nicht Jason versteht falsch, was wir von ihm wollen, du schiebst ihm ständig schreckliche Hindernisse in den Lebenszyklus, die ihn zweifeln lassen!“

„Meine Rede!“, wandte El ein und sah beide unzufrieden an. „Ihr habt dafür gesorgt, dass unser Abgang auf diesem Planeten viel zu früh und plötzlich kam. Die Lebewesen dort stützen sich auf die Liebe zu anderen Wesen und wir nehmen dem Jungdragot einfach das Wichtigste, was er in seinen Augen je geleistet hat. Eure Flucht hat ihn zusammenbrechen lassen.“

„Na und? Er hatte nun drei Erdenjahre Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was er will!“, grollte Su.

Nichts, rein gar nichts hatten die beiden richtig verstanden … insbesondere Sus göttliches Hirn blockierte da in einem Dauerfluss …

El plusterte ihren Sternenstaub auf. „Klasse, was für eine Wahl! Drei Jahre allein in den Wäldern. Wie kann man da ohne einen Eindruck des Geschehens eine Entscheidung treffen. Muss ich dir erst wieder ins Gedächtnis rufen, warum er dort ist?“

Das nahm Ka El ab. „Wegen uns! Er hat sich zurückgezogen, weil er den seelischen Verlust nicht verarbeiten konnte. Ich habe über diese drei Erdenjahre seinen Zorn und seine Hilflosigkeit auf uns gefühlt. Und du willst weitermachen, wo wir aufgehört haben … ohne ihm die Luft zum Atmen zu lassen. Seine Seele braucht Stabilität und keine neue Herausforderung, um gegebenenfalls eine falsche Entscheidung zu treffen!“

Su blickte auf ihre Füße runter. „Sein Leben läuft aber nicht in einer geordneten Bahn. Eins kommt immer wieder zum anderen! Er muss damit zurechtkommen und dieser Grundstein wird in den Jahren seiner körperlichen Entwicklung gelegt.“

„Lächerliche Weisheiten von einfach denkenden Wesen haben uns noch nie weitergeholfen“, schnaufte El und sah Su böse an.

Kas Augen funkelten ebenso verächtlich. „Ohne deine Mithilfe, das Dämonenvolk auf diesen Planeten zu lassen, wäre es doch erst gar nicht so weit gekommen!“

„Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Aber ich lerne dazu und möchte abwenden, was ich damals verbockt habe. Ihr seid jetzt die, die Jason weiterhin in Watte verpacken wollt, was ebenso sinnlos und schädlich für seine Entwicklung ist“, maulte Su.

„Nichts ist sinnlos! Die Wesen lernen aus allen Umständen, die sich in ihrem Leben einstellen“, konterte Ka und fügte hinzu: „Oder willst du das abstreiten?“

„Nein“, antwortete Su und bekam von der anderen Seite eine weitere Standpauke.

„Und du willst Jason jetzt in eine viel zu extreme Aufgabe führen. Und das ist seiner derzeitigen geistigen Entwicklung gegenüber unfair!“, nörgelte El.

Su plusterte sich gegen ihre Schwestern auf. „Er trägt den Donnertrank in seinen Adern. Was bitte sehr ist da noch unfair? Er kann handeln wie wir ... ist allmächtig.“

Über diese unbedachte Bemerkung konnte El nur noch mit ihrem Kopf schütteln. „Tja, wenn er ihn zu gebrauchen wüsste.“

Su sah sich gegen die geballte Front von El und Ka geschlagen und lenkte endlich ein. „Mein Vorschlag zur Güte, wir sehen, was kommt und greifen ein, wenn sein Leben dem Ende entgegensehen sollte. Falls er alles gut meistert, dann soll Zolmer entscheiden.“

„Diese Entscheidung kommt spät, aber sie kommt wenigstens!“, schnaufte El leise.

Die drei sahen sich milde lächelnd an und stiegen auf ins Weltall.

 

 

 

 

 

Irgendwo tief in einer Hexenzone der Kanadischen Wälder …

 

 

Zakton landete auf einer kleinen Lichtung und sah sich um. Der Dragot roch, dass er auf der richtigen Fährte war. Zielsicher stapfte der Friedhofswächter durch den tiefen Schnee. Der Wald schien unendlich zu sein. Je näher er seinem Ziel kam, umso mehr bestätigte sich ihm, dass sein Gespür und die Seelen endlich recht hatten. Vor ihm lag eine kleine Senke, in der eine dünne Rauchsäule in den kalten Himmel stieg. Lächelnd ging Zakton weiter und rieb sich seine kälter werdenden Hände aneinander.

Die kleine Hütte stand umringt von riesigen Tannen auf einem kleinen Platz. Von oben hätte Zakton sein liebe Müh gehabt sie ausfindig zu machen. Lediglich eine kleine Stelle zwischen den dichten Baumkronen ließ das Licht direkt bis zum Boden durch.

Zakton verlangsamte seinen Schritt und sah sich genauer um. Das kleine Holzhaus war, wie es für diese Gegend üblich war, aus groben Baumstämmen gebaut.

Neben dem Haus stand ein kleiner Schuppen, in dem vielleicht die Vorräte lagerten oder was auch immer.

Auf den Holzbohlen vor der Tür lag ein weißer Höllenhund, den Zakton sofort erkannte.

Drag döste vor sich hin und stieß kleine Rauchwolken aus seiner Nase.

Der Höllenhund war mächtig gewachsen. Eine Dogge konnte sicher locker unter ihm durchlaufen, ohne sich überhaupt ducken zu müssen.

Gelangweilt hob Drag seinen gewaltigen Schädel und linste in Zaktons Richtung. Er witterte den bekannten Geruch eines sich nähernden Wesens bereits und leckte sich müßig über die Lefzen.

Zakton kam näher, doch Drag zeigte keine weitere Reaktion, blieb liegen. Die Tür hinter ihm ging auf. Jason trat heraus, hockte sich neben Drag hin und kraulte ihn mit beiden Händen durch, was dem Höllenhund so gut gefiel, dass er seinen Kopf auf Jasons Beine ablegte.

Sabber der Güteklasse zäh und schleimig lief am Bein seiner Lederhose hinab. Jason kümmerte sich nicht darum. Er sah auf, roch ebenso einen bekannten Geruch und erkannte Zakton, der zwischen den Bäumen stehen geblieben war.

Drei Jahre lang hatte er keinen seiner Familie, zu der er Zakton ebenso zählte, gesehen. Jasons Blick blieb teilnahmslos, er richtete sich auf und stiefelte zum Schuppen rüber.

An der linken Seite der kleinen Hütte waren Holzscheite über die gesamte Wandlänge gestapelt. Vor ihnen blieb Jason stehen, derweil kam Zakton langsam näher.

Eisigkalter Wind blies ihm um die Ohren, Jason schlug den Kragen seiner Winterjacke hoch, nahm ein paar geschlagene Holzscheite und ging zur Blockhütte zurück.

„Was willst du hier?“, blaffte Jason Zakton unwirsch an, weil dieser nun neben der Hüttentür stand.

„Junge, wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht. Du bist einfach verschwunden und deine Gewitterziegen mit dir. Seit drei Jahren suchen wir dich.“

„Jetzt hast du mich gefunden und kannst wieder gehen!“

„Ich rühre mich erst von diesem Fleck, wenn ich erfahren habe, warum du auf und davon bist.“

„Dann bleibe ... mir einerlei.“

Zakton beobachtete Jason und folgte ihm in die Hütte.

Drinnen war es wärmer als an einem heißen Sommertag auf Dragotan. Jason legte die Holzscheite neben den Kamin und zog seine Jacke aus.

Er nahm den Schürhaken, um das abgebrannte Holz zusammenzuschieben und legte neue Holzstücke auf die verkohlten Stücke.

Zakton blieb mittig in dem Einzimmerhaus stehen und sah sich um.

Alles war perfekt eingerichtet, hier konnte man problemlos lange leben, ohne etwas Lebensnotwendiges zu vermissen.

Der Seelenwächter sah eine kleine Küchenzeile, die mit allem ausgerüstet war. Neben der Spüle war noch eine Tür, die sicher zum Bad führte. Zentral befand sich eine gemütliche weinrote Big-Couch im Raum, die fast gänzlich einen runden Holztisch umrahmte. Rechts an der hinteren Wand stand ein Einzelbett. Über dem Kamin hing sogar ein großes Stück Luxus. Dort war ein großer Flachbildschirm angebracht. Links daneben eine Hexbox.

Zakton wusste, allein diese Box sorgte dafür, dass Jason alles bekam, wonach sein Herz begehrte. Man konnte fast alles in dieser magischen Box bestellen. Und von Rob wusste Zakton, dass er ein Konto für Jason eingerichtet hatte, das auch genutzt wurde.

„Gemütlich hast du es hier. Alles Notwenige zum Leben ist da“, bemerkte Zakton.

Jason sah schweigend vom Kamin zu ihm rüber.

Drag kam herein und schob die Tür mit seinem Hinterteil zu. Er wandelte sich kleiner und legte sich vor das offene Kaminfeuer.

Die Gelegenheit nutzte Zakton und sah sich Jason genauer an. Gute zwanzig Zentimeter war er gewachsen und wirkte auch dementsprechend männlicher. Sechzehn war er nun. Seine Haare waren so kurz, wie Rob sie meist trug. Alles an ihm war im Wandel zum Mann.

Die Weichheit seiner kindlichen Gesichtszüge war kaum noch zu erkennen.

Doch am meisten fiel Zakton auf, wie mächtig Jason an Muskelmasse zugelegt hatte. Von hinten konnte man gar nicht mehr erkennen, dass der Bengel noch nicht volljährig war.

„Wie kommst du klar?“, fragte Zakton ihn.

„Sieht man das nicht?“, fragte Jason gegen, ohne den Friedhofswächter anzusehen.

Den unterschwellig angreifenden Ton überhörte Zakton großzügig und setzte sich ohne Einladung auf die Couch. Inzwischen ging Jason zur Hexbox und bestellte einen Kasten Krealimo.

Sekunden später stand der bestellte Getränkekasten in der einmal einen Meter großen Box.

Jason zog den Kasten hervor, stellte ihn in der Küchenecke ab, nahm zwei Gläser und drehte sich Zakton zu. „Fang!“, rief er und warf dem Dragot eines der beiden Gläser zu.

Der Friedhofswächter fing das Glas und stellte es vor sich ab, währen Jason samt seinem Trinkglas sowie einer Flasche zum Tisch kam. Er füllte für Zakton ein und setzte sich ihm gegenüber hin. „Ich gebe dir fünf Minuten, dann gehst du wieder. Tauchen in den nächsten Tagen andere hier auf, dann bin ich weg, und dann wird mich keiner mehr finden!“

Diese unmissverständliche Ansage musste erst mal sacken ... Zakton trank einen Schluck und stellte das Glas ab, dann kam sein Blick hoch. „Ich gehe erst, wenn du mir gesagt hast, was ich hören will!“

Dreist, aber okay, Jason zog eine Braue in die Stirn. „Die drei waren die Draggöttinnen Ka, Su und El. Sie haben mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie die Erde wieder verlassen würden, und dann haben sie ihre körperlichen Hüllen abgestreift. Sie haben mir was von Seelenquark erzählt und dies und das. Ich hatte keinen Bedarf mehr ihr Spielball zu sein und hab mich abgesetzt.“

So etwas hatte Zakton - für sich allein - schon gedacht und vorsorglich vor jedem anderen Dragot verschwiegen. Ebenso stillschweigend gab er sich nun keinem Kommentar zu Jasons Aussage hin.

Da kein Widerstand kam, weitere Fragen ausblieben ... Jason blickte in sein Glas, ließ die grünliche Flüssigkeit darin hin und her schwappen. „Sie haben mein gesamtes bisheriges Leben geplant und sind dann einfach abgehauen.“

Selbst wenn Jason es verbergen sowie herunterspielen wollte, Zakton las zwischen den Zeilen so viel mehr heraus ... Was war der Junge frustriert und mit seinem Glauben an alles am Ende. „Dein Hass auf sie ist grenzenlos?“

„Nein ... nicht mehr.“

„Aber du willst ihnen auch keine Chance mehr geben, wieder in dein Leben einzugreifen?“

„So sieht es aus“, antwortete Jason knapp.

Schweigend trank Zakton aus und sah dabei in die Flammen des Kamins, während Jason nun sein Gegenüber fixierte, um zu ergründen, was in dem Friedhofswächter vorging. „Was spukt in deinem Kopf herum?“, fragte er voller Argwohn.

„Alles und nichts. Ich verstehe deine Einstellung.“

Nette Worte ... Weiterhin beobachtete Jason den ungewollten Besucher misstrauisch. „Kein Versuch mich zu überzeugen … wieder zurückzukommen?“

Zakton lächelte vor sich hin. „Nein, wozu? Jeder lebt sein Leben. Ich habe auch viele Jahre im Suff vergeudet.“

„Aber ich bin doch der liebe Friedenbringer und muss brav meinen Job erledigen.“

Sicher, das war seine Bestimmung … und doch mied Zakton den Augenkontakt zu Jason und starrte weiter in die Flammen. „Wer sagt das? Mit Axa und den Acht hast du doch schon so viel erreicht, dass alle etwas glücklicher sind und freier durchatmen können. Selbst die Errettung der Erde kannst du als Pluspunkt verbuchen.“

„Stimmt. Für die restlichen Querdenker kann ruhig ein anderer den Kopf hinhalten.“

„Tut er schon“, antwortete Zakton leise.

Jason wusste nicht genau, was er von diesen drei Worten halten sollte, fragte aber auch nicht nach, denn es interessierte ihn nicht und die fünf Minuten waren um.

„Ich geh dann mal wieder. War schön dich gesund gesehen zu haben. Soll ich den anderen einen schönen Gruß von dir ausrichten?“

„Mach, was immer dir Spaß macht.“

Nun blickte Zakton den Jungen durchdringend an. „So wie du?“

Jasons Kiefer mahlten aufeinander, es war ihm schon klar, dass Zakton einen Versuch machen musste.

„Wenn du das so siehst“, antwortete Jason leise.

Zakton stellte sein Glas auf den Küchentresen und ging zur Tür. „Du hast dich hier in deiner Einsamkeit verschanzt und das schließt aus, dass du dich für die Probleme deiner Familie interessierst. Doch ich möchte wenigstens erwähnt haben, dass deine Mutter dich vermisst und nach einem anderen Mann schielt. Charlyn bis über beide Ohren in Kergan verliebt ist, was deinen Vater fast zur Weißglut treibt und Raika … ist nach der Geburt ihres Kindes gestorben. Tabuma, Ariums Frau zieht ihr und Antrons Kind auf. Im Übrigen deuten einige Zeichen darauf hin, dass Antron noch immer am Leben ist. Rob wird in den nächsten Tagen mit einem Suchtrupp in die Unterwelt durchstarten und ihn suchen. Tschüss Jason.“ Zakton schmiss hinter sich die Tür zu.

 

Tief durchatmend blieb Zakton vor der Tür stehen, sah zwischen den Baumkronen in die aufkeimende Dämmerung.

Hinter ihm ging die Tür auf.

„Woher wusstest du, wo du mich finden konntest?“

„Ich wusste es seit etwa einem Jahr. Die Tafeln deiner Töchter waren gleich nach deinem Verschwinden weg und deine Tafel hing wie immer da, nur ihre Schrift war extrem blass. Was so viel heißt, du willst keinen Kontakt haben. Im Großen und Ganzen sind die Tafeln so etwas wie ein Barometer für die Laune des jeweiligen Dragot. Aber warum erzähle ich dir das überhaupt? Vielleicht bis irgendwann.“ Zakton hob ab und flog davon.

Jason schloss die Tür wieder und kuschelte sich mit Drag auf dem Sofa zusammen. „Na mein Junge, was hältst du davon? Sollen wir zurückfliegen?“

Drag sah Jason eine Weile an.

„Nein, denke erst darüber nach. Seit drei Jahren sind wir hier und du solltest dir im Klaren sein, dass du wieder in den alten Trott verfällst.“

„Das stimmt schon, aber ich war damals Mitschuld daran, dass Antron verschollen ist.“

Drag schaute Jason mit seinem Dackelblick an. „Jeder ist für sein eigenes Schicksal verantwortlich. Aber mach, was du willst. Ich bin an deiner Seite, was auch immer kommt.“

„Danke Drag.“

Irgendwann schliefen beide übers Grübeln ein ... 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aufbruch ins Dämonenreich

 

 

Rob stand vor seiner Hütte als Zakton landete. „Und?“

„Es geht ihm gut.“

Irgendwie konnte der Friedhofswächter weder dem Vater noch dessen Sohn länger in die Augen sehen, Zakton schaute von Rob zum Wasserfall.

„Wird er uns begleiten?“, hakte Rob mit verschränkten Armen nach.

„Sicher, spätestens in der Unterwelt ist er da.“

„Hat er das gesagt?“

„Nein, aber ich habe seine Neugier geweckt. Und du weißt, dass er Antron damals schon retten wollte.“ Zakton lächelte schief. „Wie geht’s Elaine?“

„Sie verfällt ihm und hat ein weiteres Tattoo.“

„Lässt du sie ziehen?“

„Niemals! Ich sorge dafür, dass sie sich nur holt, was sie bei mir offenbar nicht bekommt.“

Durch Zaktons Gesicht quälte sich ein unschönes Lächeln. „Sie wird es herausbekommen und dich lynchen.“

„Nicht, wenn du mich nicht verrätst. Ich liebe sie und will sie nicht verlieren. Kannst du das verstehen?“

„Sicher, aber gehst du daran nicht kaputt?“, fragte Zakton vorsichtig.

„Werden wir sehen. Ich lasse sie in den Glauben, ich würde es nichts wissen. Immerhin bin ich selber schuld daran. Hätte ich mich nicht auf Gigxo eingelassen, wäre Elaine Raven nie begegnet.“

„Und ich Vollidiot schleppe ihn an.“

Rob grinste gequält. „Du hast es ja nur gut gemeint. Wer konnte schon ahnen, dass er sich in seine Kundin verguckt. Tausende von Hexenweibern und gerade Elaine verdreht ihm den Verstand.“

„Du hast es gleich gemerkt?“

„Zakton, für wie dumm hältst du mich eigentlich? Er hat beim Tätowieren ständig seine Finger unter die Decke gesteckt und sie gestreichelt. Und beide dachten ernsthaft, ich seh das während des Stechens nicht. Aber verrate mir, was ich hätte machen sollen? Wegen Gigxo konnte ich Elaine nicht einmal mehr anfassen, geschweige denn etwas Anderes tun. Ohne ihr notwendiges Tattoo wäre ich durchgedreht. Und zu allem Überfluss wäre Elli ohne ihn zum Dämon oder sonst was mutiert.“

„Der wohl wichtigste Grund, warum du die beiden machen lässt?“

„Ja.“

Zakton atmete hörbar ein. „Wann treffen wir Andrak und Flanora?“

„Voraussichtlich am nächsten Hexenvollmond auf Dragonrock.“

Zakton sog die kühle Abendluft tief in seine Lungen. „Bis dahin ist dein pubertierender Sohn allemal wieder an deiner Seite.“

„Wollen wir es hoffen. Elaine dreht mir sonst doch noch durch.“

Wie aufs Stichwort kam die Dragotin aus der Hütte. Genau wie Rob zuvor, sah sie Zakton fragend an. „Und?“

Selbst Robs Weib konnte er nicht lange in die Augen schauen, ohne daran zu denken, wie lange er schon wusste, wo Jason sich aufhielt und es keinem verraten hatte. „Rob gibt dir Auskunft. Kabula wartet.“ Zakton hob ab.

Bevor er ihr Auskünfte über ihren gemeinsamen Sohn erteilen würde, setzte Rob sich auf den Tisch und sah Elaine in die Augen. „Liebst du mich eigentlich noch?“

Elaine zog einen Mundwinkel nach oben, so dass in ihrer Wange ein Grübchen entstand. „Mal überlegen ... ich denke ja, ein wenig schon.“

Rob grinste. „Ja, so ähnlich geht es mir auch.“

Wo er sonst mit Liebesschwüren nicht so geizig war ... Elaines Augen verengten sich zu Sehschlitzen. „Ach ... du liebst mich nur noch ein wenig?“

Samt schelmischen Lächeln beugte Rob sich vor. „Ja, ein wenig mehr als mein eigenes Leben.“

Elaine legte Rob ihre Arme in den Nacken und zog ihn an sich heran, doch er hielt sie vorerst etwas auf Abstand. „Schlafen die Mädchen schon?“

„Tief und selig. Warum?“

„Dann lass uns am Strand spazieren gehen“, schlug Rob vor.

„Ich dachte da eher an etwas Anderes.“

„Was könnte das wohl sein? Vielleicht ein geselliges Beisammensein mit unseren Nachbarn?“

„Nein, ich will dich heute nicht mehr teilen“, schmollte Elaine.

Wie süß sie schmollen konnte, Rob näherte sich ihrem Mund. „So, dann verrate mir, was du mit mir vor hast.“

„Soll ich es dir nicht lieber zeigen?“

Rob rutschte vom Tisch und nahm sie ganz in seine Arme. „Gerne“, flüsterte er und küsste ihre Nasenspitze.

„Dann folge mir zum Vulkan!“

„Und ich berichte dir unterwegs, was Zakton bei Jason erreicht hat.“

Elaine wandte sich aus seinem Arm, fuhr ihre Flügel aus und hob ohne zu warten ab.

 

Gegen sechs erwachte Jason schweißgebadet. Raika war ihm im Traum begegnet. „Warum ist sie gestorben?“, murmelte er vor sich hin.

Drag, der am Abend zuvor alles mitbekommen hatte, hob seinen Kopf vom Sofa. „Ruf doch ihre Seele.“

Eine reichlich mutige Aufforderung, Jason sah zu dem Albinohöllenhund rüber. „Die ist doch sicher schon längst im Reich der Seelen.“

„Nö, glaub ich nicht. Du guckst ständig diesen Hexenkanal und vielleicht stimmt da ja einiges.“

„Worauf willst du hinaus?“

„Dass Seelen von werdenden Müttern meist nach der Geburt, wenn sie dabei sterben, bei ihren Kindern bleiben. So was wie ihr Schutzengel werden.“

„Hm … dann könnte ich auch ihre Gebeine wiederbeleben.“

„Japp.“ Drag streckte sich und öffnete die Tür, seine Blase meldete sich.

Derweil schlurfte der Jungdragot ins Bad und wusch sich.

Nach einem gemeinsamen Frühstück zog Jason seinen Mantel über und ging mit Drag vor die Tür. „Warum ist Charlyn immer noch in diesen blonden Affen verliebt und warum schielt Mama nach einem anderen Mann?“ Jason fuhr seine Flügel aus und hob gemeinsam mit Drag ab.

Zakton hatte alle wichtigen Glocken in Jasons Geist erklingen lassen, einschließlich der schlimmsten … Antron.

Dragotan war durch die Tunnel schnell erreicht. Jason landete nicht, wie er anfangs plante, bei der Hütte seiner Familie, nein, sein Weg führte ihn direkt zum Friedhof. Da es auch hier früher Morgen war, begegnete er keiner fleischverpackten Seele. Langsam ging er die Gräber ab.

Inzwischen döste Drag vor dem Tor, denn er durfte den Friedhof der Dragots nicht betreten.

„Wen suchst der Friedenbringer?“, fragte ihn eine heranschwebende Seele.

„Raikas Gebeine.“

Die Seele streckte ihren Arm aus. „Sie ruht dort hinten.“

Jason atmete schwer ein und ging in die Richtung.

Ihr Grab war schlicht und mit einem Herz versehen, das aus kleinen Steinchen geformt war. Jason hockte sich davor. „Es tut mir leid … ich war nicht für dich da.“

Wieder näherte sich die Seele.

„Sollen wir sie für dich rufen, Friedenbringer?“

Der Dragot sah auf und nickte.

Drei Atemzüge später war Raika da und er bekam kein Wort heraus.

Lange sahen sie sich nur an, bevor Jason den Mund aufmachte. „Warum hast du dich nicht heilgewandelt?“

Raikas Seele sah ihn unglücklich an. „Ich bin im Schlaf verblutet und nicht wieder aufgewacht.“

„Soll ich dich zurückholen?“

„Erst, wenn Antron wieder da ist. Ohne ihn bleibe ich die Schutzseele unserer Tochter.“

„Du weißt, was unsere Töchter waren oder besser sind?“

„Ja, sie kamen zu mir, nachdem sie ihre Körper verlassen hatten.“

„Zakton behauptet, Antron würde noch leben. Falls das stimmt, dann werde ich ihn finden und euch vereinen.“

„Danke Jason!“

„Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich damals nicht schon mehr für dich getan habe.“

„Du musst auch dein eigenes Leben führen und kannst nicht immer für alle anderen da sein.“

„Sicher.“

Er sah über die anderen Gräber, bis sein Blick zum Tor glitt.

Charlyn stand dort und kraulte Drag.

Auch Raika sah in die gleiche Richtung. „Geh zu ihr. Sie hat dich so unendlich vermisst.“

Jason nickte Raikas Seele zu und machte sich auf den Weg.

Er sah schon von Weitem, wie mächtig Charlyn gewachsen war. Sie müsste jetzt zwölf sein. Allerdings sah sie eher wie vierzehn oder fünfzehn aus.

Ihre Blicke trafen sich. Charlyn ließ von Drag ab und drehte sich ihrem großen Bruder zu.

Ihr Herz hüpfte vor Freude und Aufregung und ein süßes Lächeln verschönerte ihr schmales Gesicht. Sie kam ihm zögernd entgegen, glaubte nicht wirklich, er wäre real da. Doch dann wurde sie schneller und rannte in seine Arme. Jason fing sie auf und drehte sich mit ihr.

„Meine kleine Schwester ... was hab ich dich vermisst.“

Charlyn drückte ihm einen Kuss auf die Wange und zog ihm gleich danach an den Ohren. „Sag nie wieder, ich wäre klein!“

Jason grinste breit und drückte sie an sich.

„Ich hab dich so vermisst.“

Er ließ sie runter und sah seiner Schwester in die feuchten Augen. „Fang jetzt bloß nicht an zu heulen.“

Charlyn zog ihre Nase hoch und wischte sich eine Träne weg. „Ich doch nicht! Was denkst du denn von mir? Ich bin doch kein kleines Mädchen mehr, das bei jeder Gelegenheit heult.“

Für einen Moment sah Jason sie schräg an und schüttelte den Kopf. „Würde ich niemals behaupten.“

Beide gingen mit Drag zum Strand und sie hatten ihn noch nicht ganz erreicht, da wusste Jason fast alles, was in den letzten drei Jahren passiert war. Charlyns Mund ging einfach nicht mehr zu, doch Jason genoss nach den drei Jahren ihr Plappermäulchen.

Erst, als ihr spontan nichts Sinnvolles mehr einfallen wollte, begann sie zu schweigen, was sich merkwürdig auf Jasons Gemüt auswirkte. So kannte er Charlyn nicht, eigentlich stand ihr Mund nie still.

„Was hast du?“, fragte er sie nach einer ganzen Weile.

„Du bleibst nicht, oder?“, fragte sie leise.

„Ich muss Antron finden. Dann sehen wir mal, was kommt.“

„Hast du noch Zeit, um mit mir bei Habea zu frühstücken?“ Ihre Augen funkelten ihn hoffnungsvoll an.

„Sicher, für mein großes Schwesterchen hab ich allemal Zeit zum Frühstücken. Aber warum bei Habea und nicht zu Hause?“

„Weil Sabula und Shajan nerven“, antwortete Charlyn knapp.

„Wie können dich zwei kleine Nervensägen so von der Rolle bringen, dass du freiwillig das Feld räumst?“

„Sag ich nicht“, murmelte Charlyn leise.

„Vielleicht, weil du verliebt bist und sie dich damit aufziehen?“

Prompt lief Charlyn rosarot an. „Niemals! Ich doch nicht! Wer hat dir das verraten?“

Jason ließ ihre Frage unbeantwortet. „Treffen wir ihn bei Habea?“

Charlyn presste ihre Lippen aufeinander und senkte ihr Gesicht.

Doch Jason hob ihr Kinn wieder an. „Sag schon!“

„Möglich, wenn er nicht mit den anderen Jungs unterwegs ist.“

Weiter wollte er nicht bohren, Jasons Blick schweifte über die Sanddünen. „Sind damals eigentlich wieder Kinder von der Insel weggegangen?“

„Nein, keiner wollte wieder weg. Sicher war ein ausschlaggebender Grund, dass Habea so lecker kochen kann und für jedes Kind wie eine Mutter ist.“

„Und um wie viel Kinder hat sie ihre eigene Familie vergrößert?“

„Sie haben Jakan und Chabima, die beiden Zwillinge, von denen du ja noch wissen müsstest. Und in acht Monaten bekommt sie weiteren Nachwuchs. Eigentlich haben sie ja mit den ganzen Heimkindern schon eine Riesenfamilie.“

„Kommt Bolak darauf klar?“, fragte Jason nachdenklich.

„Ja, alles klappt prima.“

Vor ihnen tauchte die große Hütte auf und mit ihnen eine Gruppe größerer Jungdragots. Charlyn wurde langsamer.

„Welcher?“

„Der blonde mit dem Rücken zu uns.“

„Sieht auch von seiner Statur am besten aus. Hast einen guten Geschmack“, lobte Jason seine kleine Schwester und überspielte damit seinen Beschützerinstinkt. Charlyn brauchte nicht wissen, was Zakton ihm schon verraten hatte. „Ist es immer noch dieser Kergan?“

„Ja, und wenn du etwas sagst, das mich blamiert, dann ziehe ich dir meine Krallen durchs Gesicht.“

Hui, Jason hielt Charlyn am Arm fest. „Was denkst du denn von mir?“

„Jason, auch wenn du drei Jahre deinen Hintern nicht auf diese Insel gesetzt hast, ich kenne dich. Und ich nehme stark an, du bist eher frecher geworden.“

Wie recht sie doch hatte, keiner sollte es sich wagen, ihm jetzt noch über den Mund zu fahren, Jason schmunzelte und schielte wieder zu dem Dragot.

„Wage dich nicht!“, knurrte Charlyn.

„Mal sehen, was sich machen lässt.“

Beide setzten ihren Weg fort.

Kergan wurde angeschubst und sah sich um. Er wusste ja bereits, dass Jason der Bruder von Charlyn war und maß den beiden keinerlei Beachtung bei. Er drehte sich einfach wieder um.

„Nett, dreht sich einfach wieder weg“, murmelte Jason und sah Charlyn an, die abermals rosarot anlief. „Spiegelt dein Gesicht jetzt Frust, Verliebtheit oder Schüchternheit wieder?“

„Sei einfach still und lass uns in die Hütte gehen“, grummelte sie leise.

Aha, es war Frust …

Ehe er noch mehr peinliche Fragen stellen würde, schob Charlyn ihren Bruder vor sich her, bis sie die Tür erreicht hatten. Abermals sah Jason sich um und grollte leise vor sich hin, denn dieser Möchtegern stierte seiner Schwester unverhohlt auf den Hintern.

„Ich brechen ihm sämtliche Rippen!“, knurrte Jason, weil der Penner nicht damit aufhörte.

„Tust du nicht! Geh endlich rein!“

„Nein, der starrt dir auf den Hintern! Kannst du nicht einen unförmigen Schneeanzug anziehen?“

Wer hier gleich als erster platzen würde, war noch nicht sicher, Charlyn verdrehte genervt ihre Augen und öffnete die Tür.

Wenn er schon nicht handgreiflich werden durfte ... Jason fixierte Kergan mit seinem finsteren Blick und erntete einen ebenso düsteren Augenaufschlag. „Fasst er dich an, bevor du nicht mindestens dreißig bist, dann kill ich ihn!“

„Jason, sei still! Er kann dich hören!“, zischte Charlyn.

„Das sollte er auch!“

Hui, im nächsten Atemzug fühlte Jason eine große Hand, die ihn im Nacken am Kragen packte, da verlor er auch schon den Bodenkontakt und zappelte in der Luft herum. Nett, welch eine Begrüßung, der Friedenbringer griente breit in Bolaks wütendes Gesicht. Obwohl Jason so viel an Muskelmasse zugelegt hatte, reichte er an Bolak noch lange nicht heran.

„Standpauke?“, fragte Jason leise, während er weiter grinste.

„Ja sicher! Was denkst du denn? Meinst du, ich schüttel dir die Hand und sag, schön dich wieder zu sehen? ... und hör mit diesem breiten Grinsen auf!“

„Ich freu mich aber dich zu sehen, und dass du mich vermisst hast, finde ich auch total toll und schnuckelig.“

„Das werde ich jetzt nicht zugeben! Aber eins verspreche ich dir, wenn du das noch mal machst, dann werde ich dich unmanierlich über mein Knie legen und dir den Hintern versohlen!“

„Das würdest du deinem Blutsbruder antun?“, fragte Jason lachend.

Samt Friedenbringer, der weiterhin in der Luft baumelte, stapfte der riesige Dragot in seine hauseigene Kinderhölle ... ähm ... Kinderhütte. „Worauf du einen lassen kannst! Und jetzt setz dich und iss was! Habea hat Wildbraten gekocht und der lässt einen den Sabber im Mund zusammenlaufen.“

Nachdem Jason wieder Boden unter seinen Füßen fühlen konnte, fragte er mutig nach einem Stück Fleisch für Drag, der es vorgezogen hatte draußen zu warten. Just sowie kommentarlos eilte Bolak davon und kam mit einem halben Schwein, jedenfalls sah das Stück so groß aus, zurück und stiefelte an Jason vorbei.

Im Türrahmen blieb Bolak stehen und wandte sich Jason zu. „Nimmt dein Höllenhund von Fremden etwas an?“

„Frag ihn selber.“

Bolak drehte sich und Drag stand bereits mit Geifer, der auf den Boden tropfte, vor ihm.

„Das riecht unglaublich lecker“, brummte Drag und biss, bevor Bolak das Fleisch ablegen konnte, herzhaft hinein und zerrte darauf los.

Bolak wusste nicht, was er machen oder denken sollte. Drag riss ihn mit dem festen Biss fast von den Beinen.

„Lass los!“, knurrte Drag zwischen seinen Zähnen, die sich ins Fleisch verbissen hatten, hindurch.

„Wieso kann dein Höllenhund reden?“, fragte Bolak und guckte verdattert in Jasons lachendes Gesicht.

„Kann jeder Höllenhund, bloß die meisten geben sich nicht mit uns einfachem Volk ab.“

„Wir ... ein einfaches Volk?“, wiederholte Bolak kopfschüttelnd.

„Wollen wir jetzt darüber diskutieren, was Drag kann oder nicht? Dann muss ich aber vorher einen Bissen essen, denn das Thema ist nicht in einer Stunde vom Tisch und ich habe Hunger.“

„Ich auch“, maulte Charlyn und zog Jason hinter sich her, bis sie an einem Tisch Platz nahmen.

Habea hatte von der Küche aus zugehört und hexte den Männern einen riesigen Teller voller Köstlichkeiten vor die Nase und Charlyn bekam einen etwas kleineren Teller.

„Wirst du armes, mageres Ding von dem Bisschen satt?“, fragte Bolak Charlyn und schielte mitleidig auf ihren trotz allem voll beladenen Teller.

„Mal sehen ... wenn’s nicht reicht, dann mops ich mir bei dir noch ein paar fette Happen“, säuselte Charlyn und grinste Bolak dabei frech an.

„Wie immer“, konterte Bolak und begann zu essen.

 

Nach einem längeren Spaziergang, der nach diesem köstlichen und üppigen Mahl dringen nötig war, trennte Charlyn sich von Jason und Bolak. Sie wollte nach ihrer Mutter sehen, die sicher mit den Nerven am Ende war, weil Sabula und Shajan in einem Alter waren, das höchste Konzentration verlange, damit keine der Drachenziegen Extremverstecken spielte.

„Warst du schon bei Rob?“

Jason ließ seinen Blick über das weite Meer gleiten. „Nein“, antwortete er knapp.

„Du hast Angst, dass er dir die Ohren lang hext?“

„So in etwa ... Nein, eigentlich nicht. Ich wollte allein sein und er müsste eh durch das Konto, welches er mir eingerichtet hat, gewusst haben, dass es mir gut geht. Und er hat ja auch schon seine Zeit gehabt, wo keiner ihn sehen sollte.“

„Das geht wohl jedem Dragot so, wenn er seine Phasen hat, in denen er mit sich ins Reine kommen muss. Allerdings findet das meist ab Mitte zwanzig statt. Aber bei dir geht ja eh alles schneller.“ Bolak sah in den Himmel. „Wenn man vom Dragot spricht, dann kommt er auch schon, weil er wittert, dass man es tut.“

Jason folgte Bolaks Blick.

„Soll ich noch bleiben oder das Weite suchen?“

„Kannst du halten, wie du willst. Mir geht es sowieso vorrangig um Antron und Raika“, gab Jason an.

Rob landete vor ihnen.

„Ich muss Antron finden und wieder mit Raika zusammenbringen“, fügte Jason noch hinzu und wollte, dass Rob es mitbekam.

Ohne zunächst auf seinen Sohn zu achten schaute Rob Bolak in die Augen. „So sehr ich eure Freundschaft respektiere, so sehr wünsche ich mir jetzt … Lass uns allein.“

Wortlos nickte Bolak dem Dragot zu und breitete seine Flügel aus.

„Die erste Standpauke hat Bolak mir verpasst, bekomme ich jetzt die zweite von dir?“, fragte Jason seinen Vater.

„Nein, wozu? Ich wusste erstens, dir geht’s gut und zweitens ... hat das jeder von uns mal. Ich bin nur froh, dass wir uns nicht erst im Dämonenreich begegnet sind und du vorher den Weg auf unsere Insel gefunden hast.“

„Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, später zu erscheinen“, gab Jason zu.

„Davon bin ich zunächst auch ausgegangen. Doch glücklicherweise bist du schneller schlauer geworden, als ich es in deinem Alter hätte nachvollziehen können.“

Wo nun alles Nebensächliche geklärt war ... wollte Jason nur noch eines wissen. „Unterhalten wir uns jetzt über alles und jeden oder gleich über die Suche nach Antron? Immerhin musste der arme Kerl über drei Jahre warten. Ich weiß auch nicht, was mich geritten hat, ihn solange zu vergessen.“

Dass Jason dieses Thema wortwörtlich unter den Nägeln brannte, konnte Rob verstehen, doch es war auch ziemlich heikel, denn bis zu Raikas Ableben wollte gar keiner seine Drachenschuppen für Antron riskieren. „Zumindest lebt er, wenn man Rillas Spähern Glauben schenken kann.“

Jason atmete schwer ein. „Ja, und in was für einer Verfassung?“

„Dazu hat sie sich nicht geäußert. Aber sie leitet uns durch ihr Tor so ziemlich in den Bereich, in dem er zuletzt gesehen wurde.“

„Und der Seelenzerfetzer, der ihn verfolgt hat?“

„Keine Ahnung. Sie will uns in ein paar Stunden im Grauwald treffen, dann werden wir bestimmt von ihr aufgeklärt.“

„Wie kommen wir dorthin?“, fragte Jason seinen Vater.

„Zakton öffnet ein Tor.“

„Wie lernt man das eigentlich?“, hakte Jason nach.

„Was? Das Tore öffnen?“

Jason nickte.

„Frag Zakton, ich habe darüber auch noch keine Ahnung.“

„Wer kommt alles mit?“

„Bolak und Andrak haben sich angeboten. Zakton kommt eh mit und meine Wenigkeit.“

„Wie kommst du mittlerweile auf Andrak klar?“

Das war ebenfalls ein haariges Thema. Rob setzte sich in den Sand. „Wir hatten eine sehr lange und ausgiebige Unterhaltung. Doch allein wegen der Sache an deinem elften Geburtstag bin ich noch hin- und hergerissen.“

„Das liegt jetzt aber schon fünf Jahre zurück“, wandte Jason leise ein.

„Jason, ohne Sabera hätten wir dich verloren.“

„Okay, ich lass dich damit in Ruh, denn das musst du mit dir ausmachen. Ich finde meinen Opa interessant und werde mich zu gegebener Zeit auch mit ihm unterhalten.“

„Mach das. Im Übrigen hat er mittlerweile vier Kinder. Famora hat nach ihrer ersten Tochter gleich Drillinge bekommen.“

Jason guckte seinen Vater mit großen Augen an. „Wow, Andrak ist aber fleißig gewesen.“

„Ja, er hat seit einem Jahr auch eine Hütte hier auf der Insel.“

„Das hat mein Schwesterchen schon erwähnt. Stimmt es, dass er den Job von Bilwer ins Auge gefasst hat?“

„Ja, aber die hohen Dragots müssen noch darüber abstimmen. Charlyn und Bolak würden es befürworten.“

„Die magischen Voraussetzungen bringt er ja gleich mit.“

„Dem kann ich nicht widersprechen …“

„Aber?“, fragte Jason, weil er einen ablehnenden Unterton heraushörte.

„Kein Aber ... doch! Bilwer ist und bleibt auf seine Art nicht zu ersetzen.“

Wo er recht hatte ... Jason schwieg, denn dieser Meinung waren sicher alle Dragots, die Bilwer kannten.

„Würde er die Hütte am Vulkankrater übernehmen?“

„Jason, denk nach … bei vier kleinen Kindern wird er vieles tun, aber sicher nicht an einem Krater leben.“

„Wie kann er dann Bilwers Posten übernehmen? Und wo ist seine derzeitige Hütte überhaupt?“

„Noch steht nicht fest, ob er Bilwers Posten übernimmt. Seine Hütte ist in den tiefen Wiesen hinter den Plantagen. Willst du ihn besuchen? Er ist seit ein paar Tagen wieder da, damit seine hochschwangere Frau etwas Entlastung durch die anderen Dragotin bekommt.“

„Sie ist schon wieder schwanger?“

„Ja, manchmal hab ich das Gefühl, Andrak will die letzten Jahrhunderte in ein Leben pressen und für jedes Leben ein Kind mit ihr zeugen.“

„Und wie steht’s bei Mama und dir?“

„Hast du Sabula und Shajan schon gesehen? Wenn ja, dann frage ich mich, wie weit dein Grips reicht. Deine Mutter würde mich kochen oder eher gleich roh auffressen, wenn ich ihr momentan ein Kind ansetzen würde.“

„Warum sind die Zwillinge eigentlich so schwierig?“

„Ich hab bei ihrer Zeugung drei Aufrüster getragen. Dementsprechend ist ihr Blut aufgerüstet und ich sehne den Tag herbei, an dem passende Kerle kommen und sich der Ladys annehmen.“

Das waren ja mal Neuigkeiten, Jasons Mund klappte auf und tonlos wieder zu, bis seine Synapsen fröhlich losfunkten. „Nee ... echt? Bei Charlyn macht du auf streng und würdest ihrer großen Liebe am liebsten den Kopf abschlagen und bei den zwei kleinen Drachenziegen suchst du schon nach Dragots?“

„Du kennst die Teufelsladys eben nicht. Und Charlyn hat eine Bestimmung. Sie soll uns führen, das klappt nur mit den richtigen Dragot.“

„Ist Kergan das nicht?“

„Ich kenne seine Absichten ihr gegenüber nicht.“

„Dann solltest du mit ihm reden.“

Sprachlos schaute Rob seinen Sohn an. „Stimmt“, murmelte er.

Jason schwieg ebenso. Zu ersten Mal machte er sich Vorwürfe, weil er sich nicht um seine Familie gekümmert hatte. Auch wegen Antron plagten ihn erdrückende Gewissensbisse.

 

„Ihr sitzt da, wie zwei Trauerdrachen, denen man das Maruffel geklaut hat. Los, hoch mit euren Hintern. Andrak und Bolak warten beim Tempel. Rilla hat sich bei mir gemeldet, wir sollen jetzt und sofort kommen. Antron wurde wieder gesichtet.“ Zakton streckte seine Hände aus und zog beide gleichzeitig auf ihre Beine.

„Dann wollen wir mal.“ Jason stapfte entschlossen voran.

„Und, wie kommst du mit deinem Sohn zurecht?“, fragte Zakton, als Jason außer Hörweite war.

Rob sah seinem Jungen hinterher. „Er ist sehr erwachsen geworden. Die Zeit in seinem Wald hat ihn unglaublich reifen lassen.“

„Und doch steht seine Entscheidung noch aus. Ich habe seinen Widerstand nie so hart gefühlt wie an dem Tag, als ich in seiner Hütte saß.“

„Is mir auch aufgefallen, er blockt, lässt keinen richtig an sich ran. Warten wir es ab und behalten ihn im Auge.“

Zakton äugte nicht glücklich aus der Lederwäsche. „Die Seherseelen sagen, er steht noch vor seiner Entscheidung ... und sie sagen, es wird in den kommenden Tagen so weit sein.“

Über diese Auskunft war Rob alles andere als begeistert. Den Seherseelen etwas abzuringen, was die Zukunft barg, war eine schwierige Sache, doch wenn sie selber von sich aus etwas preisgaben, dann würde es unumstößlich auf sie zukommen.

 

Andrak begrüßte Jason, reichte ihm die Hand und hielt sie kurz fest. „Junge, was bist du groß geworden! Fast hätte ich dich nicht wiedererkannt. Schön, dass du wieder da bist. Famora möchte dich sehr gerne kennenlernen, um dir dann in den Hintern zu treten!“

„Wetten, es geht um die Kinderschar, die du um euch aufbaust?“

„Wette schon gewonnen! Sie will dir aber wirklich mal in die Augen sehen. Denn immerhin hast du dafür gesorgt, dass ich mir meiner wieder bewusstwurde. Und das war schon lange vorher ihr Ziel bei mir gewesen.“

Jason grinste. „Ja, ja, ich weiß, ich bin immer an allem schuld.“ Dabei sah er zu Zakton rüber, der ihm prompt mit gehobener Faust und ebenso breit grinsend zudrohte. „Sag ich doch!“, frotzelte Jason mit einem leichten Lächeln im Mundwinkel.

Zakton sah zu Bolak rüber. „Hat Habea Futter in deinen Sack gesteckt?“

Bolak schielte auf den Sack vor seinen Beinen, der zum Bersten voll war. „Ja, sie hat Angst, wir könnten verhungern. Ich habe den Fehler gemacht, ihr zu erzählen, dass ich euch Stümpern einen Futtersack von Elaine mitbringen musste, damit ihr euch nicht gegenseitig anknabbert.“

Zakton stöhnte auf und machte Rilla nach, die ihm damals ins Bein gehackt hat. Alle lachten.

„Ich hätte allerdings nicht erwähnen sollen, dass wir mit fünf Dragots unterwegs sind. Die Lebensmittel im Sack sind auf Minigröße geschrumpft.“

Nun bekamen alle große Augen, denn der Sack war gut einen Meter groß und wog bestimmt einen Zentner.

„Wie lange wollen wir uns denn im Dämonenreich aufhalten?“, fragte Jason unsicher.

Abermals äugte Bolak auf den Sack und dann zu Jason. „So, wie Habea gepackt hat, kommen wir sicher ein Jahr über die Runden.“

„Wollen oder müssen wir so lange nach Antron suchen?“, war Jasons nächste Frage.

„Rilla bringt uns so dicht an Antron ran, dass wir ihn innerhalb von wenigen Stunden finden müssten“, beantwortete Zakton Jasons Frage. „Aber ich weise darauf hin, dass wir nicht außer Acht lassen sollten, wie viele verschiedene Ebenen es gibt, in die wir uns schneller, als uns lieb ist, verirren könnten“, fügte der Friedhofswächter hinzu und sein Blick traf auf Rob.

„Stimmt, ist vielleicht doch gut, wenn wir genügend Proviant haben. Begleitet Rilla uns?“

Zakton zuckte mit seinen Schultern. „Falls ja, dann möchte ich den Sack gerne tragen!“

Rob lachte schallend auf und kassierte sich dafür von Zakton einen Tritt in seinen Hintern.

Andrak neigte seinen Kopf an Jasons Ohr. „Das wird bestimmt ein interessanter Ausflug.“

Jason nickte und musste über Zaktons schrägen Gesichtsausdruck lachen.

„Hört auf zu lachen! Ich mag Rilla und sie mag es … mich anzuknabbern.“

Alle grölten.

Zakton grinste ebenso, denn das hatte er bezweckt. Jason sollte sehen, dass die gute Seite der bessere Weg für seine bevorstehende Entscheidung wäre. Allerdings vergaß er den Chaoseffekt, der immer dann zur Stelle war, wenn man ihn am wenigsten brauchte.

Nachdem alle sich soweit beruhigt hatten, öffneten Zakton ein Tor in den Grauwald.

Wie abgesprochen liefen sie der Waldfürstin - dank ihrer Späher - nach wenigen Minuten in die Arme. Sie fackelte nicht lange und hexte die gesamte Gruppe in ihre Erdwohnung.

Skyla saß am Tisch in der Küche. Jason ging auf sie zu und stoppte unvermittelt. „Was ist mit ihr?“, fragte er Rilla.

„Sie steckt in einer tiefen Lernphase und ich hab sie erstarren lassen, damit du sie nicht ablenkst.“

„Das ist scheiße!“, maulte Jason und strich Skyla liebevoll über die Wange.

„Ob es dir nun passt oder nicht, ich werde sie nicht erwecken! Sie steckt zu tief in Trance, und wenn ich sie da jetzt raushole, dann kannst du ein weiteres Jahr auf sie verzichten!“

„Trotzdem scheiße!“, muckte Jason grimmig gegen.

„Okay Friedenbringer, ich weck sie … nur für dich!“, murrte Rilla und hob ihre Hand.

Der Wille war da, das reichte ihm, Jason lenkte ein. „Lass es! Ich hab sie wenigstens gesehen und es geht ihr gut.“

„Kommst du mit?“, fragte Rob Rilla.

„Nein, Toraper begleitet euch, bis Antron in Sichtweite ist, dann muss er schon allein wegen der vergangenen Vorkommnisse umkehren. Die Dämies wollen ihn einen überbraten. Und ihr könnt euch glücklich schätzen, dass er sich überhaupt wegen einem von euch dahin traut.“

„Könnte der Irrater von den Seelenzerfetzer damals vernichtet worden sein?“, hakte Zakton nach.

„War er nicht. Aber ich hab meine Späher kundschaften lassen und der Seelenzerfetzer sowie sein Irrater sind aus der Welt. Ihr braucht euren Antron nur einsammeln und gut.“

Zakton und Rob atmeten auf, doch Jason beobachtete sehr wohl, dass Rilla sich bedeckt hielt und ihnen etwas verschwieg.

„Wo ist das Problem?“, fragte er Rilla unvermittelt.

Die Walddämonie sah Jason an und ihr Gesicht sprach Bände. „Seelenjäger der übelsten Sorte!“, platzte es aus ihr heraus.

„Wo ist der Unterschied zu den Seelenzerfetzern?“, wollte Jason wissen.

„Das ist nicht mit zwei Worten erklärt.“ Rilla setzte sich in ihren Schaukelstuhl und alle nahmen Platz.

„Jahrhunderte lang waren sie nur in den tiefsten Dämonenreichen, doch seit Bergar am Ruder ist, hat er offenbar ein Abkommen mit den Seelenjägern geschlossen. Wie und warum weiß ich noch nicht, aber ich bleibe dran. Eigentlich jagen die Seelenjäger nur Seelen, die einer neuen Bestimmung zugefügt werden sollen. Doch seit ein paar Jahren treiben sie sich in allen magischen Tiefwelten herum. Irgendwas oder irgendwer hat sie durch die Tore gelotst. Und sie folgen einem, der die Oberhand über ihnen hat. Jaxul heißt der Knabe und er jagt alle Seelen, die vor seinen Gleiter kommen. Dadurch, dass sie durch die Tore konnten, bringt ein neues Risiko mit sich. Sie können durch eigene Tore überallhin, wo sie schon mal waren und ...“, Rilla brach ab und wandte sich Jason direkt zu. „Friedenbringer, ich will nichts verlangen, was unmöglich ist, aber gebiete ihnen Einhalt! Seelenjäger sind das Schlimmste, was diesem Planeten in all seinen Zonen widerfahren kann. Sie können innerhalb von Stunden eine Kleinstadt ausrotten und es bleiben nur tote Hüllen zurück. Sie machen keinen Unterschied zwischen Jung und Alt oder Mann und Frau. Drei von ihnen sind in Dollag eingefallen und sie haben die angrenzenden Irraterfelder gleich mit geleert. Nicht, dass ich um die Dämonen traure, doch was zu viel ist, ist zu viel!“

„Wie kommt man gegen die an?“, fragte Andrak.

„Überhaupt nicht! Die Berichte reichen so weit, dass die, die ihnen gegenüberstanden, es nicht überlebt haben. Die Jäger sehen ihrer Beute in die Augen und entziehen ihnen im selben Augenblick die Seelen. Es gibt keine Überlebenden, die ihnen begegnet sind. Sie brauchen ihre Beute nicht bekämpfen wie die Seelenzerfetzer es tun, sie ziehen die Seelen einfach und das macht es so gefährlich.“

„Macht es dann überhaupt noch Sinn, einen Fuß ins Dämonenreich zu setzen?“, fragte Bolak in die Runde und fügte hinzu: „Antron könnte so einem schon zum Opfer gefallen sein.“

Rilla schüttelte ihren Kopf. „Ist er aber nicht. Das Grenzgebiet, wo er gesichtet wurde ... dort waren noch keine Seelenjäger.“

„Aber sie können jederzeit dort einfallen?“, fragte Andrak.

Rilla nickte widerwillig.

Bolak neigte sich vor. „Wie sieht es mit Drags aus, könnten wir sie damit außer Gefecht setzen?“

„Kann ich nicht sagen. Wir haben da keine Anhaltspunkte. Einige Dämonen haben sie aus der Ferne mit Schlafsteinen beworfen, doch sie sind schneller durch ihre Tore verschwunden, bevor auch nur ein Stein sie treffen konnte.“

Alle blickten nach dieser Auskunft zu Jason.

„Auch, wenn deine Hilfe als Friedenbringer dringend erforderlich wäre und ich mich mit meiner folgenden Frage mir selbst im Wege stehen werde, weil diese Mörder aus allen Reichen verschwinden müssten … Ist Antron das wert?“, fragte Rilla Jason nachdrücklich.

„Weiß ich nicht. Aber ich weiß, ich habe Raikas Seele versprochen, ihn zurück zu holen und ich habe bisher nie ein Versprechen gebrochen.“

Rob lächelte seinen Sohn an und erhob sich. „Dann lasst uns aufbrechen!“

Rilla brauchte keine Bestätigung … der Friedenbringer sah die brennende Gefahr nicht, in die er sich begeben würde …

Der Drachenbengel und seine blauäugigen Begleiter mussten nochmals angeschubst werden, die Dämonenfürstin konnte diese überheblichen Drachensäcke nicht unvorbereitet in ihren Untergang fliegen lassen. Rilla startete einen letzten Versuch, um Jason zu stoppen. „Du kannst keinen Körper wiederbeleben, wenn die Seele von einem Seelenjäger eingesammelt wurde!“

Jason nickte ihr zu. „Ich weiß“, antwortete er leise, folgte dem Beispiel seines Vaters und stand auf. „Wo ist Toraper?“

„Hier!“ Toraper hatte alles gehört und blieb im Türrahmen zu Rillas Wohnzimmer stehen. „Folgt mir.“

„Wartet!“, rief Rilla aus.

Alle drehten sich ihr zu.

„Es geht das Gerücht um, dass sie Flügel haben und euch sehr ähnlich sind.“

„Ich kenne keinen Dragot, der Seelen jagt ... und ich kenne fast alle. Selbst die Darkdragots jagen niemanden mehr und sind nur mit ihrem Krieg gegen die Drachen beschäftigt“, wandte Andrak ein.

„Mag sein, aber die Neuigkeiten gehen so weit, dass die Wesen solche Kräfte haben sollen wie der Dragot, der im Grauwald ausgeflippt ist.“ Rilla sah zu Zakton rüber.

„Das ist hart“, murmelte der Friedhofswächter und schaute in die Runde.

„Dann sollten wir uns beeilen!“, sagte Bolak und schob Jason hinter Toraper her.

Bereits im Vorfeld hatte Jason Drag, bis auf Abruf bei seiner Schwester auf Dragotan gelassen, was ihm nun als sehr sinnvoll erschien. Er wusste ja nicht, welche Kräfte Höllenhunde gegenüber Dämonen hatten.

 

 

 

Die Suche nach Antron

 

 

Im Dämonenreich war alles trügerisch still.

„Alle haben sich vor den Jägern verzogen und teilweise sind sie unterwegs, um ihre Irrater an neuen unzugänglicheren Stellen zu verstecken. Jeder ist sich selbst der nächste“, erklärte Toraper auf die fragenden Gesichter.

„Das kann doch nicht Bergars Ziel gewesen sein“, stellte Zakton fest und sah sich um. Sie waren in der Nähe einer Stadt gelandet.

Toraper blieb kurz auf der Anhöhe vor der Stadt stehen. „Ich gehe davon aus, er hat die Macht der Seelenjäger unterschätzt und weiß jetzt nicht mehr, was er machen soll. Ehrlich, selbst Bergar kann mit seinem eigenen Volk nicht einen solch grausamen Plan gehabt …“

„Wo soll Antron sein?“, unterbrach Jason Toraper, weil es ihn momentan nicht interessierte, was Bergar - den er überhaupt nicht kannte, für Probleme hatte.

Tja, wenn er gewusst hätte, dass Skyla schon auf seinen Speiseplan, nein, bereits auf seinem Esstisch gelegen hatte und das auch noch unbekleidet. Wo und wie er sie berührt hat … Jason würde rücksichtslos und augenblicklich Antrons Problem nach hinten verschieben, Berger jagen und in atomare Kleinteile zerfetzen …

„Er soll sich in der Stadt verstecken. Ist an sich nicht schwer ihn dort zu finden, aber jetzt ist ja alles anders. Und in der Stadt gibt es derzeit viele aktivierte Zonenzugänge, die in andere Dämonenebenen führen. Kann jederzeit passieren, dass sich einer von uns allein in eine anderen Ebene verirrt.“

„Kommen dann die scheiß Ängste und der dazugehörige Fantasietraum?“, fragte Rob.

„Ja. Aber ich bleibe, bis ihr den Kerl habt.“

Bolak wandte sich Toraper zu. „Und was bietet uns das für Vorteile?“

„Ich bin ein Halbdämon und trage Springergene durch meinen Vater im Blut. Ich kann riechen, wo sich ein Nichtdämon rumtreibt, und dann fange ich jeden von euch wieder ein. Allerdings altert ihr dementsprechend. Die Stadt Lamu ist bekannt dafür, dass sie auch einige Tausendtore hat.“

Wieder so ein Ding, das ihm unbekannt war, Jason schaute Toraper fragend an. „Was sind Tausendtore?“

Toraper erklärte es allen und erntete dafür kritische Blicke, denn keiner wollte um tausend Jahre altern.

„Wie kommen wir eigentlich zurück?“, fragte Jason nach einer Weile, als sie kurz vor der Stadtgrenze angekommen waren.

„Ich öffne ein Tor“, antwortete Zakton.

„Überhaupt nicht empfehlenswert!“, bemerkte Toraper energisch.

„Warum nicht?“, fragte der Friedhofswächter nach.

„Sollte ein Jäger in der Nähe sein, kann er vielleicht das Tor nutzen, um es sich zu eigen zu machen und dann können sie auch in eure Welt.“

„Okay, verstanden und wie kommen wir dann zurück?“, fragte Jason nochmals.

„Nur durch den Grauwald. Ihr müsst dahin zurück und von dort aus ein Tor öffnen. Der Grauwald schließt Tore restlos sowie ohne Spuren.“

Bolak hielt die Gruppe an. „Wie suchen wir in der Stadt? Teilen wir auf oder suchen wir im Teams?“

„Allerhöchstens zwei Gruppen. Ich möchte nichts riskieren. Ich kann zwar springen, aber ich mache es nicht gerne. Und es könnte Wochen dauern, bis ich euch alle wieder zusammen hab.“

Diese Entscheidung befürworteten alle, keiner wollte durch ein Zeittor verschwinden.

Bevor sie die Stadt betraten, verteilte Bolak die Vorräte, jeder bekam einen gleichen Anteil. Alle hexten sich Rucksäcke her, die ihre Flügel nicht behinderten und luden ihren Proviant auf.

„Wer geht mit wem?“, fragte Jason.

„Wir sind zu sechst, also bilden wir zwei Dreiergruppen“, schlug Toraper vor.

„Immer einer geht in die Häuser oder Hütten und die anderen warten vor der Behausung. So muss ich immer nur einen finden. Vereinfacht die Sache. Und wir bleiben in Sichtweite zueinander, damit ich gleich reagieren kann.“

„Ich geh mit Andrak und Bolak“, schlug Jason vor.

Rob nickte Jason zu. „Ist mir recht, dann geh ich mit Zakton und Toraper.“

 

Sie betraten die Stadt und wurden sich im nächsten Moment darüber bewusst, dass hier unter Garantie schon Seelenjäger gewütete hatten.

Dämonenleichen … wohin das Auge sah.

Jason blieb vor einer Leiche stehen, ging in die Knie. „Ich kann keine Wunden entdecken und für mich sieht es so aus, als ob sie nicht nur die Seele stehlen. Sie entziehen dem Körper auch die Lebensenergie.“

Andrak hockte sich neben Jason. Er fuhr eine Kralle aus und durchstach den Torso des Dämons. „Alles ist erhalten und doch wirkt es, als ob das Fleisch seit Jahren konserviert ist. Ich hätte gedacht, sie würden in sie zusammenfallen, aber dafür haben sie ...“ Andrak sprang auf und zog Jason von der Leiche weg.

Einen Atemzug später zerplatzte die Leiche und um sie herum lagen Gewebefetzen, die bis zum Himmel stanken.

War das ein Einzelfall? Andrak spähte auf die anderen Leichen und erkannte, dass sie sich langsam aufblähten.

„Los, ab in den Himmel!“, brüllte Andrak und zog Jason abermals mit.

Über dem gesamten Bereich, in dem die Leichen lagen, platzten alle Dämonenkörper auf und hinterließen einen sich ausbreitenden stinkenden Teppich aus Innereien und Gewebestücken. Das schwarze Blut aus ihren Adern ergoss sich überall und tropfte von allem herab.

Sekunden später war alles wieder ruhig.

Jason bat Andrak ihn loszulassen und fuhr seine Flügel aus. Er überflog die Stadt und rief nach Antron, doch er bekam keine Antwort.

„Verfluchter Mist!“, schimpfte Jason und flog zu Bolak hinüber. „Ich weiß, dass er noch lebt! Ich kann seinen scheißverfluchten Herzschlag hören!“

„Wie machst du das?“, fragte Bolak entsetzt und hoffte sich verhört zu haben.

„Woher soll ich das wissen? Es ist, wie es ist, ich höre seit einer vielleicht zwei Minuten seinen Herzschlag und er ist am Ende, jedenfalls so wie ich es wahrnehme. Er ist auch nicht allein ... irgendwer ist bei ihm.“

„Kannst du seinen Herzschlag orten?“, fragte Zakton.

Jason drehte sich in der Luft und lauschte in die Stille, die nur von den Flügelschlägen der Dragots durchbrochen wurde.

Mit einem Mal hielt Jason in der Luft und zeigte in eine Richtung, die außerhalb der Stadtgrenze lang. Ohne auf irgendwen zu achten, schoss Jason vor und die Gruppe folgte ihm.

Gute zwei Kilometer später hielt Jason wieder an und sah sich um. Vor ihnen lagen die Ausläufer eines Gebirges, das sich bis zum Horizont erstreckte.

Toraper flog auf seinem Besen neben Jason. „Wie sicher ist es, dass du seinen Herzschlag wirklich hörst?“

„Ich bin mir zu einhundert Prozent sicher, weil ich ihn zwei Mal wiederbelebt habe und ich irre mich nicht.“

Toraper drehte sich den Dragots zu. „Wir können hier nicht lange in Bodennähe bleiben. Die obere Erdschicht ist übersät mit Schlafgestein und suchen können wir auch nicht richtig, weil dieses Bergmassiv unglaublich verwinkelt ist.“

Mit einer Drehung auf seinem Besen sah er Jason wieder an. „Du musst ihn sehr genau orten, damit wir allerhöchstens einmal mit einer Atempause kurz landen müssen.“

Jason nickte ihm zu und flog langsam weiter.

Antrons Herzschlag hämmerte sich bedächtig aber immer lauter in Jasons Kopf hinein. Der Friedenbringer flog nach links ab.

Plötzlich hörte Jason eine weitere Geräuschwelle, die rasend schnell lauter wurden. Er sah in die Ferne und hielt an.

Vor ihm verdunkelte sich der Himmel. Fliegende Dämonen kamen auf sie zu und mit ihnen schlug Antrons Herzschlag gegen Jasons Gedanken.

Bevor es hier gleich zu einem wilden Kampf kam, rief Rob alle zusammen und hexte sich sowie die anderen mit einem Hex durchsichtig. Sie flogen ein ganzes Stück empor und ließen die Flugdämonen unter sich vorbeiziehen.

Erst als sie sich sicher sein konnten, dass keiner umdrehen würde, enttarnte Rob alle Anwesenden.

Toraper sah in die Richtung, in der die Dämonen verschwunden waren. „Die waren auf der Flucht, sonst hätten sie uns garantiert gerochen und als Futterquelle wahrgenommen!“

„Wo ist Jason?“, brüllte Bolak plötzlich auf und alle sahen sich um.

Jason war weg.

„Er ist den Dämonen gefolgt“, murmelte Andrak und lenkte seine Flügel in die gleiche Richtung.

„Was macht dich so sicher?“, fragte Rob und flog versetzt neben seinem Vater her.

„Ich habe einen Windhauch wahrgenommen und jetzt weiß ich auch warum. Wenn ich jetzt drüber nachdenke, es roch nach Jason und entfernte sich mit den Dämonen. Vielleicht hatten die Dämonen Antron bei sich. Sozusagen als lebenden Proviant.“

„Wir werden ihn verlieren, wenn du unrecht hast!“, wandte Rob ernst ein.

„Ich irre mich äußerst selten und gelandet sein kann er nicht. Ich würde seine Anwesenheit riechen. Ich bleibe dabei, er folgt den Flugdämonen!“

„Warum hat der Bengel uns nicht Bescheid gegeben?“, fluchte Zakton.

„Weil er nicht konnte! Die Dämonen hätten uns gegrillt!“, antwortete Toraper und setzte sich an die Spitze.

Bolak holte auf. „Aber er hätte Andrak oder mich durch unsere Blutspakte über den Geist erreichen können.“

Toraper blickte Bolak finster an. „Wollen wir uns jetzt darüber auseinandersetzen - was wäre wenn gewesen? Er ist weg und wir müssen ihn finden, ehe ein Seelenjäger an seinen oder unseren Hacken klebt!“

 

Jason hatte Glück im Unglück, denn sein Vater folgte ihm in einem Abstand, der den Unsichtbarkeitshex bei ihm noch gut aufrechterhielt. Er flog direkt hinter den letzten Dämonen her. Antron war, wie Andrak es vermutet hatte, als Proviant unter den Dämonen. Der Dragot wusste es ja anhand des gehörten Herzschlags, doch nach einer Weile sah er Antron auch.

Zwei Dämonen hatten ihre Krallen in seinen ausgefahrenen Flügeln stecken. Antron selber hing wie ein nasser Sack zwischen ihnen. Viel Lebensenergie war nicht mehr in ihm.

Hin- und hergerissen versuchte Jason einen Plan auszutüfteln, wie er unbemerkt an Antron herankommen könnte, doch alle hirnrissigen Gedanken wurden von seiner Logik über den Haufen geworfen.

Erst als die Nacht hereinbrach landeten die Dämonen.

Jason blieb auf Abstand und sah, dass Antron einfach fallen gelassen wurde.

 

„Wamo, wann zerreißen wir ihn endlich? Ich habe seit fünf Tagen nichts mehr gefressen.“

Ein anderer Dämon drehte sich dem hungrigen Artgenossen zu. „Warte noch ein paar Stunden. Wenn wir aufbrechen, dann ist er mit den anderen unser Frühstück.“

Grummelnd ging der ausgehungerte Dämon in die Hocke und schloss seine Augen. Nach und nach kauerten sich alle hin und verfielen in eine Art Dämmerschlaf.

Was für andere?‘, schoss es Jason in den Kopf und er sah sich um.

Außer Antron konnte er keine weiteren Gefangenen ausmachen. Nur hier und da waren ein paar Dämonen, die nicht hockten und flach atmend auf dem Boden lagen. Jason schluckte.

Die ausgemergelten Körper ihrer eigenen Rasse würden sicher das Frühstück ergänzen und auffüllen.

Allzu lange wollte er nicht zwischen den ausgehungerten Dämonen verweilen, Jason sah sich nach einem halbwegs begehbaren Weg zu Antron um und begann langsam zwischen den Schlafenden umherzuschleichen. Nach ein paar Metern zog er seine Flügel ein, da die Dämonen sich immer enger zusammengehockt hatten. Gleichzeitig wurde er mit dieser Wandlung wieder sichtbar.

Hier komme ich ohne einen Drag niemals lebendig mit Antron raus!‘, dachte Jason und sah sich abermals um. Er fühlte an den Elementen, was hier machbar war und aktivierte einen stillen Wasserdrag, um an die Wasservorräte zu kommen, die er der Erde entziehen konnte.

Schritt für Schritt zog Jason Wasser in sich auf und ging weiter. Das Heer der Flugdämonen war in der Luft schon beeindruckend, doch hier unten sah der Dragot vor Dämonen kaum einen freien Fleck auf dem Boden.

Endlich erreichte Jason Antron und hockte sich neben ihn. Der halbtote Dragot lag auf dem Bauch und somit günstig um seine Flügel einfahren zu lassen. Jason drückte den Punkt zwischen seinen knochigen Schulterblättern und Antrons Flügel zogen sich in den Rücken zurück. Vorsichtig sah Jason sich um, ob irgendwer die knackenden Geräusche bemerkt hatte, doch keiner rührte sich.

Dann wollen wir mal hoffen, dass du genügend Gewicht verloren hast, damit ich dich schultern kann‘, grübelte Jason gedanklich und zog Antron langsam auf die Beine.

Es ging besser als Jason es sich erhofft hatte. Antron war nur noch Haut und Knochen. Das Gesicht des bewusstlosen Dragots kam kurz vor seines. Ein Auge von ihm war komplett zugeschwollen, das andere sah ihn halb geschlossen teilnahmslos an. War Antron wach oder warum war sein Auge offen? Nur zu gerne hätte Jason ihn jetzt wiederbelebt, doch dann wären mit Antrons Lebensgeistern auch die der Dämonen erwacht.

Er musste sofort hier weg, Jason fuhr seine aus Flügel und faltete sie so leise es ging eng an den Körper, um ja keinen schlafenden Dämon zu streifen.

Dass ihn im selben Moment irgendwer vom Boden hochriss, konnte Jason nicht sehen, dafür fühlte er es umso mehr.

Der rasende Schmerz fuhr ihm durch alle Knochen, Jason biss sich auf die Zunge, um nicht laut aufzuschreien, denn dann wären er und die Dragots in arge Bedrängnis geraten.

Wer hatte ihn da in die Höhe gerissen? Jason wollte aufsehen, doch Antrons Gewicht, das bei dieser Geschwindigkeit um das gefühlte hundertfache anstieg, forderte seine volle Konzentration.

Urplötzlich überkam Jason das Gefühl hundert Wandlungen machen zu müssen, um diese Schmerzen wieder aus seinen Flügeln zu bekommen.

Wie konnten die Dragots solch eine Zugkraft entwickeln? Alles ging auch viel zu schnell.

Jäh änderte der Schmerz seine Art und ein unendlicher Druck auf all seine Flügelknochen, bis hin zu seinem Rücken, folgte. Reichlich unerwartet sowie ziemlich plötzlich hatte Jason wieder Boden unter den Füßen und damit setzte seine Heilwandlung automatisch ein.

Antron sackte nach zwei Wandlungen ganz von seiner Schulter. Er trieb seine Flügel raus, wie Bolak es ihm beibrachte, und gleich wieder rein. Nebenbei ergoss sich das gesammelte Wasser aus sämtlichen Poren. 

„Starke Leistung!“

Jason war nicht in der Lage aufzusehen, um herauszufinden wer da sprach, aber er hörte eindeutig eine fremde Stimme heraus.

Weitere zehn Wandlungen im Eiltempo folgten. Endlich ebbten der Schmerz sowie die Wasserflut ab und damit verschwand auch Jasons verschleierter Blick. Als erstes stürzte er sich auf Antron und fühlte nach dessen Puls.

Antron lebte ... aber sein Herzschlag war dem Ende nahe.

Irgendetwas stimmte mit seinem Körper noch nicht richtig, Jason ließ sich nach hinten fallen. Der Druck in seinen Flügelansätzen zum Übergang der Schulterblätter wollte nicht heilen. Auch hingen seine Flügel seltsam schlaff herunter.

„Steh auf, dann kugle ich dir deine Gelenke wieder ein.“

Eine helfende Hand erschien vor seinem Gesicht und Jason packte zu. Ohne dass Jason sehen konnte, wer ihm da half, drehte er ihm den Rücken zu.

„Könnte jetzt etwas wehtun, aber ein Dragot kennt ja keinen Schmerz“, scherzte die Stimme hinter ihm.

Und wahrhaftig folgte ein Schmerz, der Jason erneut in die Knie zwang.

„Aua, scheißverfluchte Dämonenhölle, tut das weh!“, brüllte Jason.

„Hab dich nicht so! Wenn ich den zweiten so lasse, dann bleibst du flügellahm.“

„Mach schon, ehe ich die Flugdämonen mit meinem verfluchten Geschreie anlocke.“

„Wird nicht passieren, weil wir Meilen entfernt sind und von denen eh keiner mehr lebt.“

Die letzten Worte hörte Jason nicht, da der Unbekannte ihm währenddessen den zweiten Flügel eingerenkt hatte.

„Verfluchte Scheiße!“, entfuhr es Jason abermals.

„So alles wieder drin ... Mach noch ein paar Wandlungen, dann ebbt der Schmerz schneller ab.“

Das hätte sein Helfer nicht sagen brauchen, weil Jason automatisch die Flügel einzog. Klappte jetzt auch noch schneller.

„Echt, wie machst du das, rein-raus-zack-bum?“

„Kann jeder der Gips in der Birne hat und weiß wie man es anstellen muss!“, knurrte Jason und setzte sich mit der letzten Wandlung wieder erschöpft auf den Boden neben Antron.

Die Schmerzen waren vollständig weg, Jason stützte sich mit seinen Händen ab und lehnte sich zufrieden zurück. Nun sah er seinen Helfer zum ersten Mal ins Gesicht.

Vor ihm stand ein vielleicht zwanzigjähriger Dragot, der lange schwarze Haare und eine schwere schwarze lederne Kampfausrüstung trug. Darüber hatte er einen ärmellosen Ledermantel, aus dessen Rückenteil zwei gigantische schwarze Flügel ragten, an. Sein sonnengebräuntes Gesicht war übermäßig fein geschnitten. Die tiefschwarzen Augen blickten bohrend auf ihn herab. Allein dieser Blick ging Jason durch und durch.

Von seiner Unterlippe lief ein schmaler Bartstreifen bis zu seinem Kinn und hing dann noch gute zwanzig Zentimeter herunter. Jason musste diesem Blick ausweichen, denn er zog förmlich an seiner Seele.

„Wem hab ich meine ausgerenkten Flügel zu verdanken?“, fragte Jason.

„Eh man, ich hätte dich auch gleich mitkillen können. Brauchst nur ein Wort sagen, dann zieh ich dich!“

„Wohin?“, fragte Jason, weil er nicht wusste, was der Fremde damit gemeint hatte.

Der dunkle Dragot grinste schief. „Ich hab’s fast geahnt! Du bist keiner von uns.“

„Ich bin ein Dragot und heiße Jason M. Dragonblood und so ganz nebenbei bin ich der Friedenbringer meines Volkes und ein ausgebildeter Dragdaan.“

„Sei gegrüßt, Friedenbringer der Dragots, ich bin auch ein Dragot, aber ein Dämonendrag vom Planeten Lo. Und mein Name ist Jaxul. Dass du den Dragdaan erwähnst finde ich seltsam, ist doch jeder bei uns.“

Bei dem Namen ‚Jaxul‘ klingelte die Alarmglocken in Jasons Hirn Sturm, doch noch kam der Zusammenhang nicht.

„Du hast die Flugdämonen gekillt ... alle?“, fragte Jason nach.

„Klar, aber ich habe ihre scheiß Irrater noch nicht gefunden. Ohne die muss ich das Pack noch mal killen. Und zu allem Überfluss hab ich meinen Begleiter übersehen und gleich mit gekillt.“

„Wie geht das so schnell? Ich bin doch gerade bei Antron angekommen, da hast du mich schon mit ihm zusammen in die Luft gerissen.“

Jaxul zog seine Flügel ein. „Sag mal, was für einem Stamm gehörst du eigentlich an? Jeder weiß, wie man Seelen in Massengruppen zieht.“

Nun fiel Jason wieder ein, wer den Namen Jaxul und in welchem Zusammenhang erwähnt hatte, und seine Nackenhaare standen augenblicklich wetteifernd zu Berge.

Egal, was er jetzt sagen würde, dieser Jaxul würde sofort wissen, dass Jason kein Seelenjäger oder einer von ihnen war. Aber was sollte er sagen? Er entschloss sich bei der Wahrheit zu bleiben.

„Ich gehöre nicht zu eurem Stamm. Mein Anliegen galt und gilt nur dem Dragot, der hier neben mir liegt.“

„Was an ihm ist so wichtig? Ist er dein Begleiter?“, fragte Jaxul und sah kurz auf Antron. „Wenn er dein Begleiter ist, dann hast du eine schlechte Wahl getroffen. Der Typ ist am Ende.“

„Tja, da sagst du mir nur, was die anderen auch schon zu mir sagten. Ich will ihn auch nur nach Hause bringen.“ Jason erhob sich und erblickte das Gefährt von Jaxul.

„Heißes Geschoss, was ist das?“, fragte Jason neugierig und beäugte den Gleiter.

„Du atmest wohl beim Full. Das ist ein Gleiter und um es genau zu sagen, mein Gleiter.“

„Kann ich ihn mir wenigstens ansehen?“

Jaxul stiefelte Jason hinterher. „Klar, aber nicht anfassen!“

Das Gefährt erinnerte Jason entfernt an ein reifenloses Motorrad in Kombination mit einem Jetski oder einem Schneemobil. Nur die windschnittigen stählernen Flügel unter den Fußrasten fielen übermäßig auf. Ebenso sah der Gleiter unglaublich windschnittig aus.

„Wie schnell fliegt das Teil?“

„Annähernd Lichtfluss. Ich bin noch dabei ihm Sternengleitstaub einzutreiben, dann sind Sekunden bis zum Lo nichts.“

Diese großspurig herausposaunte Auskunft schlüsselte für Jason gar nichts auf, doch er nahm an, das wäre sicher sehr schnell.

„Cooles Teil!“, bemerkte er ehrfürchtig und wollte über den wahrscheinlichen Tank fassen, doch der Gleiter flog vor seiner Hand weg.

„Ohne mich geht bei dem Gleiter gar nicht. Du könntest ihn noch nicht einmal waschen, er gleitet vor jeder fremden Hand zurück.“

„Heiß! Würde mir auch gefallen, aber ich brauche keinen.“

Jaxul grinste und aus seinen Fingerspitzen schossen kleine Flämmchen, die anwuchsen und nach seinem Fingerzeig umherwanderten. Jason drehte sich und sah den Flammen kurz hinterher, ehe er sich wieder Jaxul zuwandte.

Jason blieb vor dem Dämonendragot stehen und sah ihm in die stechenden Augen.

Ohne Umschweife quatschte Jaxul Jason an. „Friedenbringer Dragonblood, du gefällst mir mit deiner eigensinnigen Art. Ich mache dir einen Vorschlag. Sein mein Begleiter, dann lass ich dich leben.“

Ein Weg um herauszufinden, wie den Seelenjägern auf den Zahn zu fühlen wäre, tat sich in diesem Augenblick für den Friedenbringer auf, doch er ahnte nicht, was damit noch auf ihn zukommen würde. „Und Antron?“, fragte Jason und sah zu dem am Boden liegenden Dragot, der kurz vor seinem Ende war.

„Du kannst ihn zuerst nach Hause bringen und heilen. Obwohl ich den Sinn im Erhalt seines Lebens nicht sehe.“

„Ich muss aber noch etwas erledigen, bevor ich auf deinen Deal eingehen kann.“

„Was?“, fragte Jaxul.

„Eine kleine private Angelegenheit, die mich nur wenige Minuten aufhalten wird.“

Warten war keine seiner Stärken, Jaxul spielte mit den Flammen auf den Boden. Er ließ sie um Jason herumtanzen. „Ich begleite dich. Doch zuvor bindest du dich für lausige sechs Mondwechsel, sechs Tageswechsel und sechs Folgestunden an mich.“

„Wie soll das gehen?“

Zunächst schweigend ließ Jaxul die Flammen weiter tanzen und sie wanderten an seinem Mantel empor. „Wie schon? Durch einen Drag!“

Ohne sein Gegenüber vorzuwarnen packte Jaxul ihn bei beiden Armen und zog ihn vor sein dämonisch grinsendes Gesicht.

Ihre Unterarme verschmolzen trotz Jasons Mantel miteinander.

Ein unglaublich brennender Schmerz zwang den Friedenbringer in die Knie. Lächelnd folgte ihm der Seelenjäger und beiden entfuhren ihre Flügel.

Was war das für eine seltsame Verbindung? Jason litt Höllenqualen, die immer stärker wurden und an seiner Seele zogen. Es wurde kurz schwarz vor seinen Augen und sein Bauch rebellierte, als ob ein riesiger Stein all seine Innereinen wegschieben würde. Mit einem Mal lösten sich ihre Arme voneinander und Jason schob augenblicklich seine heilen Ärmel von seinem brennenden Fleisch hoch.

Der stechende Schmerz ließ nicht nach, Jasons Blick haftete auf seinen Unterarmen, die brannten als seien sie mit glühenden Eisen geschlagen worden. Auf den rechten Arm war ein seltsames unleserliches Datum in seine Haut gebrannt. Auf dem linken stand Jaxuls Name in verschnörkelten Buchstaben.

„Mach dir keine Gedanken darüber. Mit jedem Mondwechsel ändert sich das Datum, danach jeden Tageswechsel und dann stündlich nach der Sonne.“

„Ich wäre auch so mitgekommen!“, maulte Jason und machte eine Heilwandlung.

„Geht nicht ohne Schwur. Du bist nun mein Begleiter und keiner kann dich abwerben.“

„Ist gegessen! Wo treffen wir uns wieder?“

„Kein Treffen! Ich bringe euch beide dahin, wo du ihn hinhaben willst. Wir werden uns vor Ablauf der Frist nicht mehr als zwölf Homs voneinander trennen.“

Jason überlegte, wie er hätte anders aus der Sache herauskommen können, doch er wusste ja, dass keiner einer Begegnung mit einem Seelenjäger entkommen konnte. Sechs Monate und ein paar zerquetschte würden schnell vergehen. Und ein paar Dämonen mehr oder weniger würden sicher nicht gravierend auffallen.

Nur eins bedachte Jason bei seiner Grübelei nicht … Jede neue Zone, die er mit Jaxul betreten würde, könnte der Jäger danach auch wieder allein aufsuchen.

Jason wurde so zu einem Toröffner der Spitzenklasse, denn Jaxul könnte diese Tore auch allen anderen Seelenjägern vermitteln!

Und Jasons Ziel war momentan Dragotan.

„Denke an dein Ziel und steige hinter mir auf. Deinen Begleiter pack zwischen uns und halte dich gut am mir fest!“

Jason hievte Antron auf den Gleiter und schwang sich auf das letzte Stück Sitzbank.

„Festhalten!“, knurrte Jaxul und drehte den Gashahn auf.

Jason umfasste den Dämonendragot, der kaum größer als er selber war und der Flug ging los.

Jason flog zum ersten Mal durch ein Tor, das nur durch seinen Geist in die Gedanken von Jaxul drang und so geöffnet wurde.

Glück im Unglück, Jaxul landete mit seinem Gleiter direkt auf dem Friedhof und somit in einem eigenen geschützten Bereich, den man nur zu Fuß oder als Seele wiederfand. Dragotan blieb somit vorerst vor einem erneuten Besuch der Seelenjäger geschützt.

Jaxul sprang von seinem Gleiter, als ob er einen kleinen Ausflug gemacht hätte.

Hingegen fiel Jason fast von der Sitzbank. Alle Knochen in ihm brannten von dem höllenschnellen Flug.

„Was ist das für ein Scheiß? Warum tut mir alles weh?“

„Hatte ich vergessen zu erwähnen. Du musst einen Luftdrag ausüben, der dem Widerstand der Luft nichts entgegenbringt.“

„Und warum fällt dir das jetzt erst ein?“, fragte Jason nach und fiel beim Absteigen auf seine Knie.

Jaxul drehte sich Jason zu und grinste ihn frech an. „Hab ich doch gesagt, hab’s vergessen. Mach ne Heilung.“

Tat Jason dann auch. Als es ihm einigermaßen besserging, zog er Antron vom Gleiter und trug ihn zu Raikas Grab.

Jason ließ Antron, während er sich zum Dragot zurück wandelte, aus seinen Drachenarmen gleiten und hob das Grab von Raika aus.

Ihre Gebeine waren, wie es Sitte bei Beerdigungen der Dragots war, in ihre Flügel eingebunden. Jason löste die halb verwitterten Stricke und wickelte den vermoderten Leichnam von Raika aus. Antron kam etwas zu sich und sah ihn dabei zu.

Tränen rannen über sein hageres Gesicht, als er erkannte, wen Jason da ausgebuddelt hatte.

Warum holperte Antrons Herzschlag plötzlich? Jason warf ihm einen Blick zu … ach so, Antron war wieder bei Besinnung. „Ihr seid gleich wieder vereint.“

„Was für eine Verschwendung von Platz und Seelen!“, maulte Jaxul, während er über den Friedhof blickte und sich auf einen der Lochsteine setzte. Um ihn herum flirrte die Luft.

Jason sah es, wusste aber nicht, warum die nähere Umgebung um den Seelenjäger flimmerte, und es war ihm für den Augenblick auch egal. Er hielt nach Raikas Seele Ausschau, die abwartend in der Mitte des Hauptplatzes schwebte. „Komm näher“, rief Jason ihr zu.

Raikas Seele schwebte über ihren Gebeinen.

„Bist du bereit?“, fragte Jason Raika.

Die Seele nickte und lächelte.

Nun nahm Jason Antrons Hand in seine und mit er anderen nahm er Raikas Knochenhand auf.

Mit dem kommenden Satz würde der Friedenbringer für sechs Monate, sechs Tage und sechs Stunden sein Leben verfluchen, doch es gab kein Zurück mehr.

Die Draggöttinnen waren nicht da und niemand anderes hätte ihm zur Seite stehen könnte.

Dieser Totenacker gefiel ihm nicht, Jaxul stand auf und hockte sich vor den Friedenbringer hin. 

Irre, in seinen Augen sah Jason eine blaue Flamme, die begierig aufloderte. 

„Lass uns Seelen jagen und vernichten!“, summte Jaxul.

Für einen Moment schloss Jason seine Augen, und das Blut lief aus seiner Nase … er wartete die Vision ab.

„SOLEIDA WOLEIDA PANGARY FANGY - SEELIGAME!“

So lange, wie Raika und Antron brauchten, bis ihre Körper sich vollständig regeneriert hatte, hielt Jason ihre Hände fest. Und nebenbei gab er, unbemerkt von Jaxul, zwei winzige Teile seiner eigenen Seele an beide ab.

Seine Rückkehrversicherung, die ihm die Vision offenbart hatte.

Kaum auf den Knien, nahm Antron Jason in seine Arme. „Danke Jason! Hab vielen Dank! Du hast mich nie aufgegeben und ich schwöre dir meine ewige Treue!“

Diese ehrliche Danksagung zu hören, obwohl schon drei nutzlos Jahren verstrichen waren, tat weh, Jason drückte Antron und sah ihn traurig lächelnd an. „Schützen meinen Seelenteil in dir!“, flüsterte der Friedenbringer ihm zu und ließ den gesunden sowie weiterhin mageren Dragot los.

Sie ließ es sich nicht nehmen, Raika nahm Jason ebenso in die Arme und auch ihr murmelte er die gleichen fünf Worte eindringlich zu.

Müde sah er zu Jaxul auf. „Wir können gehen.“

Jaxul reichte Jason seinen Flammenarm und zog ihn auf die Beine. Sie blieben Brust an Brust stehen und sahen sich gegenseitig in die glühenden Augen. Jaxuls Gleiter grollte auf und glitt an die Seite der beiden.

„Jason, was hast du vor?“

Der Friedenbringer wandte sich Antron zu. „Alles hat seinen Preis. Auch die Seelen vieler. Wir sehen uns wieder!“

Jason bestieg den Gleiter und setzte sich hinter Jaxul auf die Sitzbank.

Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht! Antron wollte aufstehen, Jason aufhalten, doch Raika zog ihn zurück. „Nein! Jason weiß, was er tut und du stirbst für immer, wenn du versuchst sie aufzuhalten!“

„Eine weise Dragotin. Du tust lieber, was sie sagt!“, lachend drehte Jaxul den Gashahn seines Gleiters auf und seine linke Hand streckte sich vor. Ein blaues Zonentor öffnete sich.

Jason sah zu Antron und Raika und schloss seine Augen. Der Gleiter setzte sich in Bewegung, fuhr rasant an und schoss durch das Tor, das sich sofort hinter ihnen wieder verschloss.

Nun trauten sich die Seelen des Friedhofs wieder aus ihren Verstecken.

 

 

 

Verkaufte Seele

 

 

„Mir völlig schnuppe, was ihr denkt, alle Seelen schreien nach mir! Jason ist auf unserem Friedhof und ich öffne jetzt ein Tor nach Dragotan!“, grollte Zakton, der nicht wahrhaben wollte, was für ein Heer an Leichen von Flugdämonen unter ihnen lag.

Bolak kam von seinem Rundflug wieder. „Weder Jason noch Antron sind hier!“

Rob sah sich weiterhin suchend um.

Andrak flog zu ihm rüber. „Seine Spur verliert sich hier. Zakton wird recht haben und es muss Jason einfach gelungen sein zu entkommen.“

Auch wenn er mit seiner Vermutung richtig lang, Rob fühlte, dass da noch mehr im Busch war. „Irgendwas läuft hier gewaltig schief! Jason hätte uns geistig anziehen können, doch er hat jeden Kontakt geblockt.“

Zakton flog vor Rob und sah ihn durchdringend an. „Wir sollten keine Zeit mehr verlieren!“

„Mach das verdammte Tor auf!“, knurrte Rob und gab sich geschlagen.

Zakton öffnete ein Portal, das gleich vor dem Tor des Friedhofes lag.

Bis auf Toraper, der sich lieber ausklinken wollte, durchflogen es alle und rannten sogleich auf den Friedhof.

Kaum dass er den Leichenacker betreten hatte, umschwirrten sämtliche Seelen den Friedhofswächter und redeten durcheinander. Doch das nahm Zakton nicht wahr, er sah wie gebannt auf Raika und Antron, die beide neben ihrem Grab im nassen Gras saßen und sich in den Armen hielten.

Rob erblickte sie ebenfalls, ging langsam und sich umsehend auf die beiden zu. Ebenso folgten Bolak und Andrak.

Kurz vor den beiden blieben die Dragots stehen und Rob ging vor dem Paar in die Hocke. „Wo ist Jason?“

Wo die Worte fehlten, Raika schossen die Tränen in die Augen, denn Jasons Seelenanteil in ihr hatte der Dragotin vermittelt, dass er nicht mehr in der Lage war eigenständig zu handeln. Antron blickte Rob ebenso schweigend an, weil auch er spürte, was Raika gerade durchmachen musste.

„Wo ist mein Sohn?“, wiederholte Rob leise.

„Junge rede!“, forderte Andrak Antron auf.

Böse Erinnerungen loderten empor ... Antron sah zu Andrak auf und begann sofort am ganzen Körper zu zittern.

„Scheiße, ich weiß, dass ich gewaltigen Mist mit dir gebaut habe, doch das werde ich nie wieder tun! Es tut mir unendlich leid, und wenn ich könnte, ich würde es ungeschehen machen! Jason hat meine Einstellung zum Leben gewaltig verändert und wir wollen wirklich nur von dir wissen, wo er ist.“

Warum sollte nun alles anders sein? Und warum griff keiner den Mörder an? Antron warf einen verzweifelten Blick in die Runde.

Bolak, Zakton und Rob nickten Antron zu und alle rahmten den Verbrecher ein. 

„Jason hat seinen Großvater wirklich von einem anständigen Leben überzeugt! Andrak lebt hier bei uns, hat eine Dragotin zur Frau und bereits drei ... nein, bald vier Kinder mit ihr. Er wird dir wirklich nie wieder wehtun“, beruhigte Rob den verwirrten Dragot nochmals. 

Da ihn keiner angriff, schluckte Antron und wich Andraks Blick aus. „Er ist zu einem in schwarz gekleideten Dragot auf so ein komisches fliegendes Gefährt gestiegen, und dann sind sie durch ein blaues Zonentor verschwunden.“

Rob blickte Antron so entgeistert an, dass dieser nicht wusste, ob der Dragot ihn überhaupt zugehört hatte.

„Hat er noch irgendwas gesagt, ehe er mit dem Kerl losgeflogen ist?“, fragte Zakton und ging nun auch in die Knie.

„Er sagte, alles hätte seinen Preis. Auch die Seelen vieler und wir sehen uns wieder“, wiederholte Antron Jasons Worte.

Nachdem sie sich die Tränen weggewischt hatte, sprach Raika Zakton an. „Der andere hat, bevor Jason uns wiederbelebt hatte, gesagt, dass er Seelen jagen und vernichten will.“

„Er ist bei einem Seelenjäger!“, flüsterte Bolak entgeistert und sah in Andrak entsetztes Gesicht.

Drachenhimmel, Zakton ließ sich auf den Hintern fallen. Keiner wollte glauben, was geschehen war ...

„Andrak, mach alles mobil, Jason muss gefunden werden! Ich aktiviere jeden Kontakt, der mir zur Verfügung steht! Ich jage diesen verschissenen Jäger und zerlege ihn in seine Bestandteile, und wenn Jason dabei draufgeht, soll es dann halt so sein!“

Umgehend starrten alle fassungslos Rob an.

„Drehst du jetzt durch?“, fragte Andrak seinen Sohn.

„Wenn Jason es vorzieht einem Seelenjäger der übelsten Sorte zu folgen, dann hat er auf die dunkle Seite gewechselt. Und ihr alle habt Rillas Worte gehört … Seelenjäger sind Abschaum und angeblich unbesiegbar.“

„Nein Rob, das stimmt nicht!“, schrie Raika auf. „Er ist nicht freiwillig bei ihm! Bevor er die körperliche Verbindung zu uns gelöst hat, hat er Antron und mir einen kleinen Teil seiner Seele überlassen und wir sollen auf sie achten ... und sie schützen!“

Selbst wenn … Rob raufte sich die Haare. „Aber er wird nie wieder von diesem Jäger loskommen! Sie töten alles und jeden, der sich ihnen in die Quere stellt!“

Zakton stand auf. „Ich rufe die hohen Dragots zusammen. Wir sind voreingenommen und brauchen eine Meinung, die uns auf den Boden zurückholt. Außerdem hat Jason ein Tor für diesen Jaxul hierher geöffnet. Wir müssen gegensteuern, sonst sind wir die nächsten.“

„Mach, was du willst, ich fliege in die Hexenzone und finde heraus, wo diese Aasgeier sich herumtreiben.“ Rob sah seinen Vater an, der ihm zunickte und beide hoben ab.

Wobei Andrak seinem Sohn vielmehr folgte, um ihn im Auge zu behalten, da Rob reichlich unüberlegt handelte.

Bolak sah ihnen hinterher. „Ich habe nicht genügend Kontakte“, flüsterte er und sah zu Zakton rüber. „Rufen wir den Rat zusammen.“

Raika ließ sich von Antron auf die Beine helfen.

Eigentlich sollte er sich für die beiden freuen, doch ihm war nicht danach, Zakton sah von Raika zu Antron. Jason hatte sein Versprechen gehalten, doch zu welchem Preis? „Tabuma und Arium haben auf eure Tochter geachtet. Lasst dem Mädchen Zeit, sich an euch zu gewöhnen. Reißt sie nicht gleich aus ihrer gewohnten Umgebung. Und ich fordere euch dazu auf, dass ihr - solange Jason nicht wieder bei uns ist - die Insel unter keinen Umständen verlasst!“ Der Friedhofswächter beugte sich zu Antron vor. „Ich habe nie zuvor etwas so ernst gemeint! Keine Selbstjustiz Antron! Ich werde dich persönlich zu Asche verarbeiten und in unserem Vulkan entsorgen. Jason bekommt nie wieder die Gelegenheit dich zurück zu holen! Wir haben uns in eine unabsehbare Gefahr begeben, um dich zu finden. Sicher, Andrak hat mächtige Scheiße mit dir gebaut, aber Jason hat nie aufgegeben, um deinen Arsch zu finden. Riskiere es und verlassen die Insel ...  Aber dann sei dir gewiss, dass ich dich kriege und das mit dir tu, was ich dir eben angedroht habe.“

Einer innerlichen Unruhe folgend hatte Charlyn Habeas Hütte verlassen und kam auf den Friedhof gerannt, gefolgt von Drag, der nun keine Rücksicht mehr auf das Verbot, den Leichenacker zu betreten, nahm.

Verflucht, Zakton sah sie im Augenwinkel und um sein Herz wurde alles schwer. „Verschwindet, wenn Charlyn euch begrüßt hat! Ich rede allein mit ihr.“

Mit großen Augen lief Charlyn Raika in ihre Arme und Antron fiel vor ihr auf die Knie.

Wenigstens eine sollte sich richtig freuen, die Wiedersehensbegrüßung gewährte Zakton ihnen und wartete ab, während er die herzliche Umarmung im Augen behielt.

Derweil trottete Drag auf den Friedhofswächter zu. „Du hast Jason aus dem sicheren Wald gelockt und nun ist die Insel wieder wegen ihm in Aufruhr. Wo ist Jason?“

„Er musste einem Seelenjäger folgen.“

Das war keine Auskunft, die der Höllenhund hören wollte, Drag schüttelte seinen mächtigen Schädel. „Nein, jeder Seelenhüter hat nur einen Begleiter, der ihm freiwillig folgen. Niemand ‚muss‘ einem aktiven Seelenhelfer folgen!“

Der Friedhofswächter horchte auf. „Was weißt du über die Seelenjäger?“

„Nur das, was alle Höllenhunde aus den Tiefen der Dämonenschichten wissen.“

„Verrätst du es mir?“

Wenn es dem Friedenbringer helfen würde, musste er reden, Drag nickte Zakton zu. „Seelenhüter sind seit ihrer Existenz vor vielen Tausenden von Jahren dazu bestimmt gewesen ihrer Berufung zu folgen. Sie zogen in Unterreichen Seelen, die sich verirrt hatten, in unheilbar kranken Fleischhüllen gefangen waren, in alten gebrechlichen Körpern steckten oder einer neuen Bestimmung zugeführt werden sollten. Sie durften sich keinem Wesen nähern, das dieser Bestimmung widerstrebte. Seelenhüter waren ausschließlich dazu da, um das Gleichgewicht zu schützen. Ihr Planet ähnelte dem unseren in vielen Bereichen, doch er erstarb. Wie das zustande kam, wissen die Ältesten nicht. Sieht man einen Seelenhüter - soll man sich von seinem Blick abwenden - dann muss der Hüter Abstand zu dieser Person nehmen und weiterziehen. Was allerdings nur für gesunde Lebewesen gilt.“

„Dann läuft bei denen etwas gewaltig schief! Sie rotten im Dämonenreich systematisch ganze Städte aus und machen vor nichts halt!“

Drag schaute Zakton an, als ob er nicht glauben konnte, was er da gehört hatte. „Kein normal denkendes Wesen kann sie in die höheren Dämonenwelten gelassen haben! Sie können seit tausend Jahren nur noch durch Tore, die ihnen andere zeigen und das tut keiner. Darüber hinaus sind sie vom ältesten Hüter in die tiefsten Dämonenreiche verbannt worden, weil die Seelen mittlerweile selber entscheiden sollen, wie es nach dem Tod der Hülle weitergehen soll. Seelen lernen nach tausend Lebensjahren selber, was sie wollen oder nicht, was sich nach den Lebenserfahrungen richtet, die sie sammeln konnten.“

„Ist aber so geschehen. Ich habe die Leichenfelder, die sie zurückließen, gesehen.“

„Ich will nicht sagen, dass es Rassen gibt, die nicht würdig sind in ihrem Reich zu leben, doch Dämonen tragen von sich aus Seelen in sich, die nicht freiwillig in ihnen sind. Will sagen, es wäre nachvollziehbar, wenn die Hüter unter denen wüten würden. Sie folgen ihrer Bestimmung. Doch es ist nicht realitätsbezogen, wenn andere Wesen von ihnen vernichtet werden würden. Wie ich ja schon sagte, diese Bestimmung der Hüter ist überholt und hinfällig geworden.“

„Sie sind aber schon in anderen Teilen der Dämonenzonen gesichtet worden oder zumindest die Opfer, die sie hinterlassen haben.“

Drag hob seinen breiten Kopf und sein Nackenfell richtete sich ebenso auf. „Ich muss Fararot darüber in Kenntnis setzen. Auch unsere Zone könnte in Gefahr geraten.“

Kaum hatte Drag diesen Gedanken ausgesprochen, da erschien der Fürst der Höllenhunde am Tor des Friedhofs.

Zakton war schon darüber erstaunt, dass andere Wesen Dragotan einen Besuch abstatten konnten, doch er erinnerte sich, dass Charly alias Fararot damals durch Jason einen Sonderstatus erhalten hatte.

„Ihr habt Seelenkontakt?“, fragte Zakton trotzdem.

„Solch wichtige Hinweise müssen möglichst schnell besprochen werden, um sie gegebenenfalls im Keime zu ersticken. Die Welten dürfen durch die Seelenhüter nicht aus den Fugen fallen. Jede Zone hat eine begrenzte Anzahl von Seelen und die hält das Gleichgewicht.“

Der Fürst der Höllenhunde nahm neben dem Friedhofswächter Platz und ließ sich die Lage der Dinge schildern, die sich in den letzten Wochen ereignet hatten.

Fararot, der die vergangenen drei Jahre den Thron als akzeptierter Nachfolger innehielt, war entsetzt darüber, wie die Seelenhüter ihren eigenen Trieben folgten und versprach seinerseits alles in die Wege zu setzen, was hilfreich wäre, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

 

Während Rob und Andrak in der Hexenwelt alles auf den Kopf stellten, sah Jason seiner ersten Seelenjagd entgegen.

Jaxul flog direkt eine kleine Gruppe Dämonen an, die mit ihren wenigen Habseligkeiten zu Fuß auf der Flucht waren.

„Was machst du jetzt?“, fragte Jason Jaxul.

„Seelen einziehen, was sonst? Hier halte den Beutel, dann entgeht mir auf die übliche Art keines der Opfer. In Massenjagden verliere ich immer vier bis fünf Seelen.“ Jaxul hielt Jason einen Beutel hin, der gerade die Größe hatte, dass ein Kopf hineinpassen konnte.

„Aufhalten und nicht einklappen lassen, sonst entwischen uns die Seelen. Die wissen nämlich, wie sie entkommen können.“

Gebannt sah Jason zu, wie Jaxul die Dämonen im Sturzflug ansah und ihnen einfach so per schnellem Augenkontakt die Seelen entzog.

Wie fast durchsichtige Nebelschwaden schossen die Seelen aus den Mündern der Dämonen. Kurz machte es auf Jason den Eindruck, die Seele würden ihn entgegen lächeln, doch dann sahen sie den Sack und ihre durchsichtigen Gesichter verzogen sich zu unglaublich schmerzverzerrten Fratzen.

Jason blickte auf den ledernen Beutel und wie jede Seele in ihn einfuhr. Es gab keinen Widerstand, noch fühlte der Friedenbringer, wie er sich füllte. Ungläubig starrte Dragot den Seelenbehälter an und schaute darunter.

In seinem verwirrten und irrationalen Gedanken dachte er, die Seelen würden unten aus dem Sack wieder herausfliegen. Doch das geschah nicht.

„Verwahre den Seelensack und verschließe ihn gut! Als mein Begleiter steht dir diese Aufgabe zu und ich will dich nicht tagelang anlernen.“ Jaxul drehte bei und sie überflogen die Leichen der Dämonen. Soweit hatte Jason kein Problem damit. Wohl drückte ihn sein Magen wegen der toten Wesen, doch keiner sah Dämonen und deren Dasein als sinnvoll an.

„Esst ihr auch mal was?“, fragte Jason, als sie ein Stück weitergeflogen waren.

„Klar, alle paar Wochen schlagen wir uns den Magen voll.“

„Alle paar Wochen?“, fragte Jason entsetzt.

Jaxul sah sich zu Jason um. „Wie oft isst du denn sonst?“

„Drei Mal am Tag.“

„Wow, du hast keinen Vorratsmagen?“

„Was ist das denn?“

„Egal, erkläre ich dir nicht. Aber selbst wenn du so oft was fressen musst, hier im Dämonenreich werden wir nichts Großartiges außer ein paar Leichen finden.“

„Dann lass uns ins Hexenreich fliegen. Nein, wir fliegen zu den Menschen, da gibt’s besseres Futter. Geld hab ich auch genug dabei, ich wusste ja nicht, wohin es mich verschlägt, als ich Antron gesucht habe.“

Jaxul stoppte den Gleiter. „Was sind Menschen und was ist Geld?“

Jason überlegte nicht lange und erklärte. „Menschen sind Hexen ähnlich nur ohne Hexenkräfte und sie werden nicht so alt. Geld ist eine Sache, die man gegen Essen oder andere Dinge eintauschen kann.“

„Was sind nun wieder Hexen? Ich kenne nur Dragots und Dämonen.“

„Hexen sind Dragots ohne Flügel und ohne Drachenblut.“

„Was bleibt dann und wozu sollen die gut sein?“

„Sie leben wie andere Wesen auf diesem Planeten.“

Was Jason in diesem Augenblick nicht sah … Jaxuls Augen weiteten sich. „Gibt es noch weitere Wesen?“

„Sicher, es gibt viele verschieden Wesen“, antwortete Jason ohne weiter darüber nachzudenken.

Wie sehr er damit Jaxuls Sucht nach Seelen entfachte, konnte Jason nicht ahnen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wusste er auch zu wenig über Jaxul und seiner ganz eigenen Berufung, alle Seelen vor seinem Gleiter restlos einzusammeln.

Dass der dunkle Dragot Jason nicht mitvernichtet hatte, lag einzig und allein daran, dass er einem Seelenjäger zu ähnlich sah.

Untereinander zog man sich, wenn es keinen Streit gab, nicht und da sein alter Begleiter ja ums Leben gekommen war, kam ihm die Begegnung mit Jason gerade recht.

„Denk an einen Ort bei den Menschen!“, forderte Jaxul Jason auf und verbarg gekonnt seine Neugier sowie seine Seelensucht.

„Egal wo und in welcher Stadt?“

„Ja“, antwortete Jaxul.

„Magst du es eher warm oder kalt?“

„Ich hasse kalte Zonen, aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, nehme ich die auch mit.“

Warum Jaxul die Kälte eher mied, lag wiederum daran, dass die Seelen eher eine Chance hatten den Seelensack zu entfliehen. In kalter Luft glitten Seelen nur langsam voran und konnten gegebenenfalls absacken … wenn sie erkannten, wer sie einsammeln wollte. Nebenbei öffnete das Sergaleder seine Poren zu weit, doch auch für dieses Problem kannte der Seelenjäger Möglichkeiten die Seelen trotzdem zu bannen. Alles nur eine Frage des Begehrs und des Kraftaufwands.

„Mach, was du willst, denke an jeden verdammten Ort auf diesem Planeten und wir sind im Handumdrehen dort.“

Jason grübelte und kam auf Los Angeles in Amerika. Seit er vor Jahren einen Bericht über dieser Stadt im Fernsehen gesehen hatte, wollte Jason, wenn er erwachsen wäre, dort einmal hin. Warum also nicht jetzt?

„Und eine Lebensecke im Kopf?“

Jason nickte ihm zu und Jaxul entlockte es seinem Geist.

Sekunden später flog der Gleiter aus seinem blauen Tor auf einen sonnigen Strand. Jaxul checkte im Bruchteil eines Augenblicks die Umgebung ab, landete unter einem hölzernen Pier und stieg von seinem Gleiter. „Kennen die hier Seelenjäger?“

„Nein ... noch nicht!“, murmelte Jason und eine Gänsehaut lief über seinen Rücken bis hoch zum Nacken, wo sich die Haare einzeln aufstellten. „Noch nicht“, wiederholte der Friedenbringer leise und schloss seinen Lider. Schlagartig wurde ihm bewusst, was er da angerichtet hatte. Menschen waren Seelenträger und er hatte einen Seelenjäger zu ihnen gebracht …

… und Jaxul eine immer wiederkehrende Möglichkeit offeriert, hierher zu kommen.

Bruchstücke fügten sich in Jasons Gedanken zusammen. Er war auch auf Dragotan mit ihm gewesen. Panik breitete sich in ihm aus. „Können wir wieder in die Dämonenwelt? Ich könnte ja mal versuchen, länger ohne Nahrung auszukommen!“ ‚Am besten ein halbes Jahr… oder länger, bis mir ein Hex einfällt, der dich die Tore vergessen lässt!‘

Jaxul, der neben seinem Gleiter stand und aufs Meer blickte, drehte sich ihm zu.

Heiliger Drachenhimmel, Jason sah in seinen Augen ein Feuer, das er nie zuvor bei irgendwem gesehen hatte.

„Bist du verrückt? Wir bleiben! Ich rieche hier Seelen, die viel reiner sind und es sind viele. Ich fliege nie wieder in dieses dreckige Dämonenreich!“

Kalter Schweiß rann Jason den Rücken hinunter. Wie viel Seelen konnte ein Seelenjäger innerhalb von einem halben Jahr einsammeln, wenn er für zwei Dutzend Dämonen nur wenige Sekunden gebrauchte hatte?

„Was ist nun? Du wolltest doch etwas essen.“ Jaxul bestieg seinen Gleiter.

„Damit kommen wir hier nicht weit. Die Menschen kennen keine Gleiter und fahren nichts Ähnliches, was ohne Reifen funktioniert und gleichzeitig fliegt.“

„Ich könnte jetzt nachfragen ... was Reifen sind, aber hier sind so viel Seelen, dass mir deine Erklärungen höllisch egal sind.“

Jason trat den Sand vor seinen Stiefeln auf. „Wir können nur gehen. Der Gleiter muss hierbleiben.“

„Okay, eine Frage: Warum?“

„Sie wehren sich mit Waffen, denen wir nicht ohne weiteres ausweichen können. Ziehst du hier nur eine einzige Seele, dann kleben sie an unseren Ärschen, bis sie uns erledigt haben!“

„Sie sind mächtiger als Seelenjäger?“, fragte Jaxul argwöhnisch.

„Einige schon.“

Ohne einen Versuch würde er nicht aufgeben, Jaxul sagte irgendwas zu seinem Gleiter und dieser verschwand in einer grauen Wolke, die darauf verpuffte.

„Gehen wir!“ Jaxul grinste Jason an und lief los.

Nach ein paar Metern an der Strandpromenade erkannte Jason zumindest, dass sie hier nicht großartig auffallen würden, denn dafür waren zu viele verschieden gekleidete Menschen unterwegs. Trotz des warmen Klimas zog sich hier jeder an, wie es ihm in dem Kram passte. Fein, so konnte der Friedenbringer sich auf andere Dinge konzentrieren ... zum Beispiel auf ein Futtergeschäft, denn sein Magen knurrte bereits. Nebenbei, weil es sich einfach nicht vermeiden ließ, beobachtete Jason den Seelenjäger, der direkt neben ihm lief ... Eigentlich müsste der Jäger doch vielmehr ausflippen, weil er noch nie in einer zivilisieren Welt unterwegs gewesen sein dürfte ... Aber nein, Jaxul reckte nur andauernd seine Nase in die Höhe und sog scharf seinen Atem ein. „Warum machst du das?“

„Was?“, fragte Jaxul gegen.

„Du ziehst die Luft ein und streckst deine Nase in die Höhe.“

„Ich rieche die Seelen ... sie sind so frisch und tragen ihre Energie in voller Kraft mit sich. Die Dämonen riechen modrig und sie haben kaum Seelenenergie. Was meinst du, wie alt die Seelen von denen schon sind?“

„Keine Ahnung und es interessiert mich auch nicht“, gab Jason zu und steuerte einen Fast-Food-Laden an.

Diese Wesen waren sonderbar und machten komische Dinge, die für ihn nicht einleuchtend waren, Jaxul hielt sich vorerst im Hintergrund und beobachtete Jason, der zwei Menüs bestellte. Der Dragot bezahlte und suchte einen freien Platz.

Alles war hier merkwürdig, der Jäger sah seinem Begleiter genau zu und machte es ihm nach. Jason öffnete diese dünne Verpackung, biss in seinen - was-auch-immer-Ding - hinein und kaute. Verpackte Nahrung, was für ein Schwachsinn, Jaxul roch an diesem seltsamen weichen Teil und leckte über die interessant riechende Fleischeinlage.

Das sah schon lustig aus, wei der Seelenjäger an seinem Burger roch und daran herumleckte, Jason musste grinsen und aß schmunzelnd weiter.

Ein kleiner Happen würde ihn schon reizen, der Seelenjäger biss in den Burger und kaute ihn durch. „Mm, schmeckt … gut!“, schmatzte er und schlang das belegte Ding fast im Ganzen herunter. „Füllt allerdings nicht gut auf. Ich brauche viel mehr.“

Kein Problem, Jason schob ihm seinen zweiten Burger rüber. „Bediene dich! Ich hole gleich Nachschub.“

Nach dem siebten Burger rülpste Jaxul und lehnte sich zurück. Derweil verdrückte Jason nur drei Bigburger, bis ihm übel wurde, weil er ebenso sein Essen zu schnell hinuntergeschlungen hatte. Die Burger im Magen mussten mit Flüssigkeit versorgt werden und Jason griff nach dem Becher mit der Cola.

„Was ist in diesem Behälter?“, fragte Jaxul neugierig.

„Cola, ein Getränk der Menschen.“

„Wie trinkt man das?“

„Man zieht am Halm und dann kommt die Flüssigkeit heraus.“

Abermals machte Jaxul es Jason nach und verzog das Gesicht von dem durch Eiswürfel gekühlten Getränk. „Klares Wasser wäre mir lieber gewesen.“

„Ansichtssache, ich trink gerne mal ne Limo.“

Hinter ihnen betrat eine Horde jugendlicher Kids den Laden, alle bestellten ihr Essen und kamen dann damit in die gleiche Sitzecke, in der die beiden saßen. Jason sah den Jugendlichen zu, wie sie sich setzten. Dabei fiel ihm ein Mädchen auf, das ihm zulächelte.

„Sie guckt dich an, als ob sie mit dir ficken will“, stellte Jaxul trocken und viel zu laut fest.

Boah, wie peinlich, selbst wenn hier keiner sein dämliches Gelaber verstehen konnte, da sie ja Deutsch sprachen, einige Worte hörten sich schon ähnlich an und Jasons Kopf schoss herum. „Bist du gaga? Du kannst doch nicht so laut reden, dass dich alle hören!“, fuhr er Jaxul an.

Keiner durfte so mit ihm reden ... Jaxuls Arm schnellte vor und seine Hand packte Jason an der Kehle. „Ich rede, wie es mir in den Kram passt! Und du solltest dir gut überlegen, in welchem Ton du mich ansprichst. Ich fackel beim nächsten Mal nicht lange und zieh mir deine Seele! Und außerdem habe ich recht, sie will mit dir vögeln!“

Jason schluckte und rieb sich über den Hals. Sein Kopf begann zu arbeiten. Woher kannte Jaxul diese Begriffe und warum wusste er als Seelenjäger überhaupt darüber Bescheid?

„Soll ich sie dir gefügig machen?“

„Nein, mein Bedarf ist gedeckt“, flüsterte Jason und vermied es von Jaxul wegzusehen. 

„Du musst aber irgendwann deinen Druck abbauen. Das geht nur durchs Ficken.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte Jason leise.

Jaxul lachte auf. „Erstens sehe ich es dir an und zweitens … deine Hose ist seit ein paar Augenblicken unter Garantie zu eng.“

Klar reagierten seine Drachengene, doch das würde er dem Seelenjäger niemals eingestehen, Jason verdrehte genervt seine Augen. „Können wir gehen?“

„Wohin, wenn ich keine Seelen ziehen kann, ohne dass jemand mich jagt?“

„Keine Ahnung, ich will nur raus aus diesem Laden.“

Er musste seinem neuen Begleiter verdeutlichen, wer hier Ansagen machen durfte ... Jaxul schaute von dem Mädchen zu Jason und beugte sich vor. „Vielleicht weiß sie, wo wir hingehen können. Soll ich sie fragen?“

„Darf ich, ohne dass du mir an die Kehle gehst, sagen, dass du nervst?“

„Sicher, ich mag es nur nicht, wenn ich in einem respektlosen Tonfall angesprochen werde.“ Aufs Neue blickte Jaxul angestachelt zu dem jungen Mädchen hinüber. „Sie hat bestimmt eine energiegeladene Seele. Wäre gut, wenn du sie ziehen würdest. Suchen wir uns doch eine Ecke, in der uns keiner sieht.“

„Ich kann keine Seelen ziehen!“, flüsterte Jason.

„Das ist nicht richtig! Als mein Begleiter kannst du das und du tust es bereits, seit du ihr in die Augen gesehen hast.“

„Woran merke ich, dass ich ziehe?“, fragte Jason irritiert.

„Sieh in ihre stumpf werdenden Augen. Du hast sie in wenigen Sekunden soweit … sie wird für dich ihrem Mund öffnen und ihre Seele entlassen.“

Entsetzt sprang Jason auf und rannte fast aus dem Lokal.

Dieses alberne Getue würde er seinem Begleiter noch abgewöhnen, Jaxul grinste frech, fixierte zwei andere junge Mädchen, und als sich die Tür hinter ihm schloss, fielen zwei ausgebrannte Leichen von der hinteren Bank.

„Ja, ich wusste es!“, schrie Jaxul aus und streckte sich.

„Was wusstest du?“, hakte Jason nach und blickte von der Bank, auf der vor dem Fast-Food-Restaurant saß, auf.

Er musste die Frage nicht beantworten, denn hinter Jaxul schrien plötzlich alle Kunden sowie das Personal in Laden auf und viele flüchteten nach draußen. Ungerührt sah Jaxul seinem Begleiter in die erstarrten grünen Augen. „Es sind wahnsinnig aktive Seelen.“

Das Mädchen, welches Jason angesehen hatte, rannte an ihnen vorbei. Doch sie kam nicht weit, denn Jaxul hielt sie am Arm fest. „Entweder sie oder du! Zieh ihre Seele!“

„Ich will das aber nicht!“, knurrte Jason und wäre am liebsten an Jaxuls Kehle gesprungen, um sie zu zerfetzen.

„In Ordnung, dann halt nicht!“ Jaxul lächelte das Mädchen an, sie versteifte sich unter seinem Blick und er konnte ihr die Seele mühelos entziehen. Ihren erschlaffenden toten Körper schmiss er mitten in das Gewühl der schreienden Leute.

Demonstrativ sah Jaxul sich um. „Ich sehe einfach keine Jäger, die mir an die Stiefel pissen wollen.“ Sein Blick blieb abermals an Jason hängen. „Wolltest du mich vielleicht hochnehmen, um diese erbärmlichen Kreaturen zu schonen?“

„Nein, früher oder später erwischen sie uns!“

Jaxuls Gesicht verzog sich zu einer Fratze. „Mir kann keiner etwas! Ich bin der Herr über alle Raubseelen!“

Ohne eigenen Willen glitten Jasons Finger unter seinen Mantel und holten auf Jaxuls geistigen Wunsch den Seelensack hervor. Willenlos öffnete der Friedenbringer den Lederbeutel und musste zusehen, wie der Jäger sämtliche Seelen in ihrem Umfeld zog.

„Ja, das tut gut!“ Jaxul sog einige Seelen direkt in sich ein und alle Menschen um sie herum sackten tot zusammen, bis nur noch ein Mann stehen blieb.

„Deiner!“

 

 

 

Kotz die Seele aus!

 

 

Weiterhin willenlos ging Jason auf den Mann zu und sah ihm tief in die Augen. Der ältere Herr öffnete den Mund, worauf seine Seele herausflog und den anderen in den Sack folgte. Jetzt entzog Jaxul Jason seine geistige Lenkung und der Friedenbringer fiel schreiend vor unbändiger Wut auf die Knie.

„Nur die ersten Seelen tun mächtig weh, danach bekommst du mit jeder weiteren Seele ein Hochgefühl und willst mehr ... versprochen!“

Klasse, der Dragot wollte weder das eine, noch das andere. Der Schmerz brannte sich in jede Faser seines Körpers, Jason konnte nicht anders, er holte mit seinen Fäusten aus und bereicherte den Straßenbelag um zwei blutgetränkte Schlaglöcher.

„Ja gut, lass den Schmerz raus, dann verebbt er schneller.“

Nicht mit ihm, lediglich ein einziges Lebewesen würde Jason noch töten ... mit geballten Fäusten erhob sich der Dragot und ging auf den Jäger zu.

„Los komm, versuch es!“, forderte der ihn ungerührt auf.

Wenn er schon eine Einladung aussprach ... Jason holte aus und der Seelenjäger schnipste ...

Gute zwanzig Meter flog der Friedenbringer von dem Jäger weg und krachte auf den Boden.

„Du verpisstes Arschloch!“, fluchte Jason und stand auf.

Niemand kam gegen ihn an, also ignorierte Jaxul Jason und sah sich wieder um. „Was sind das für komische hohe Bauwerke? Welcher größenwahnsinnige Herrscher lässt sich diese glänzenden Klötze in den Himmel bauen?“

Verdammt, Jasons Blick folgte dem ausgestreckten Finger und er erkannte sofort, worauf sich Jaxuls Interesse ausgerichtet hatte. Wolkenkratzer … etliche Hochhäuser … in denen viele Menschen lebten ... mit Seelen!

Mit schnellen Schritten kam Jaxul Jason entgegen. „Los rede!“

„Die Menschen bauen sie.“

„Wozu? Und versuch jetzt

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Copyright liegt bei mir! Text oder Textabschnitte zu kopieren ist verboten!
Bildmaterialien: Mein Bild, Finger weg!
Cover: Mein Bild, Finger weg!
Lektorat: Sorry, konnte mir weder ein professionelles Lektorat, noch ein Korrektorat leisten!
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2011
ISBN: 978-3-7487-7429-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Zum Abschluss dieser Buchreihe danke ich allen Lesern und Leserinnen für Ihr Interesse an "Jason M. Dragonblood" und seinem abenteuerlichen Leben.

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