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Ein Palast für den Friedenbringer

 

 

 

Ein eisiger Griff umklammerte seit vielen Tagen sein Herz.

Sehnsüchtig sah Jason über dem weiten Meer den Wolken hinterher, die so arglos davonzogen ... ohne ihn mitzunehmen.

Tief unter ihm schlug die Gischt an die kahlen steilen Felsen. Seine weißen Drachenschuppen richteten sich durch den kühlen Wind von hinten leicht auf. Der Windzug zerrte an seinen Flügeln.

Seit einer Woche war Skyla weg ... nur einen Abschiedsbrief hatte sie zurückgelassen …

 

Mein geliebter Jason,

verzeih mir, aber ich musste gehen! Ich konnte es dir nicht ins Gesicht sagen, denn du hättest mich nicht gehen lassen. Leider kann ich dir nicht sagen, wo ich bin, denn du würdest mich suchen. Mir wurde eine Hexenlehre angeboten, die ich annahm.

Unsere Beziehung ist so ehrlich, wie nichts auf dieser Welt, doch wir sind zu jung. Sicher will ich mich mein ganzes Leben an deiner Seite sehen, doch es ist zu früh. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, vielleicht kann ich es auch nicht verhindern, dir Signale zu schicken.

Um überhaupt die nächsten vier Jahre zu überstehen, werde ich mich in meine Lehre stürzen und jede Hexerei in mich aufsaugen. Mach dir keine Sorgen. Ich bin bei Hexen, die sehr gut auf mich achten werden. Such bitte nicht nach mir! Oh Jason, du fehlst mir jetzt schon unendlich ...

Ich liebe dich!‘

 

Deine Skyla

 

Sein Herzschlag hatte für einige Schläge ausgesetzt, als er den Brief vor zwei Wochen auf dem Tisch liegen sah. Er wusste sofort … sie war weg, fühlte er doch ihre Nähe nicht mehr.

Bleiern lagen seine Knochen auf den blanken Felsen. Tausendmal hatte Jason den Brief von ihr gelesen. Wieso konnte sie nicht bei ihm bleiben? 

Die Abendsonne senkte sich über dem weiten Horizont, färbt die dicken Wolken hinter den Felsen gelbbraun ein. Und das Grau des Himmels drückte auf sein Seelentief. Der kalte Wind wurde stärker, ließ seine Flügelhäute bläulich schimmern.

Seitdem Jason ihre Nachricht zum ersten Mal gelesen hatte, lebte er als Drache zurückgezogen in den kahlen Bergen von Dragotan. All seine Lieben waren hier, nur ‚sie‘ nicht und mit ihr flog seine Hoffnung und sein Mut von der Insel.

Monate hatte er nach ihr gerufen. Monate gehofft, sie würde ihn findet. Monate lang dem Tod ins Auge gesehen. Warum war sie nun wieder gegangen? 

Visionen, die ihn heimsuchten, blockte er konstant ab … alles war bedeutungslos. Sein Blick wanderte traurig an der Küste nach rechts entlang. Die Sehnsucht zerfraß ihn innerlich. Immer wieder spielte er mit dem Gedanken einen Seelenschrei zu entfesseln, doch sie war freiwillig gegangen - und er war nicht in Gefahr.

Die steilen Felsformationen dort rechts verschwammen vor seinen Augen. Tränen füllten seine Augen, er wischte sie fort. Eine Illusion? Ein verschwimmendes Trugbild - die Felsen wandelten sich vor seinem Blick. Erneut rieb er seine Augen.

Nein, es war keine Illusion!

Auf den steilen Felsenstücken, die oberhalb des Wassers nicht mit der Insel verbunden waren, ging etwas vor. Mitten auf den breiten mittleren Felsen formte sich ein Gebilde in den Himmel, schaffte Verbindungen zu den umliegenden steilen Klippen. Nur zur Insel bildete sich keine Brücke. Jason richtete sich langsam auf. Er suchte den Himmel nach Drachen oder Dragots ab, aber es war niemand in Sicht.

Woher kam die Kraft, die dort etwas erschuf?

Zum ersten Mal seit diesen zwei Wochen, ließ seine Sehnsucht nach. Seine natürliche Neugier war geweckt. Zögernd erhob er sich. Er konnte sandfarbene Türme erkennen, die alle eine Verbindung mit einem sehr schlanken Schloss eingingen. Vielleicht waren es Brücken, möglicherweise auch geschlossene Wände, das konnte er von hier nicht ausmachen. Zögernd schlug er seine abgekühlten steifen Flügel aus, musste das Blut in ihnen vorantreiben.

Eigentlich passierte hier auf der Insel nichts, das Bilwer entging, doch auch weiterhin war keine Seele in Sicht. Jason streckte seine kalten, steifen Knochen aus, er fühlte wie sich sein Blut aufheizte. Sein Flügelschlag wurde fester.

Über dem Hauptgebäude flimmerte die Luft rötlich. Jason breitete seine Flügel vollends aus, hob ab und flog an der Steilküste über dem Meer seinem Ziel entgegen.

Auf halber Strecke verließ ihn die Energie, seinen Flügelschlag konstant kraftvoll auszuführen. Die ganze Woche hatte er kaum etwas zu sich genommen, was sich jetzt in seiner vollen Drachenwandlung bemerkbar machte. Er musste landen.

Um überhaupt noch einen Meter voran zu kommen, wandelte er sich zum Dragot und ging zu Fuß weiter.

Am Wegesrand wuchsen einigen Stäuchern, die leckere Beeren an sich trugen. Jason pflückte ein paar und schob sie sich, während er weiterging, einzeln in den Mund.

Die Früchte waren schnell verputzt, doch die seltsamen Türme sowie das Hauptschloss kamen im Verhältnis nicht wirklich näher. Wenn er also auf seinem Weg nicht eines armseligen Hungertodes sterben wollte, musste er wieder fliegen. Ohne sein Drachengewicht käme er hoffentlich schneller voran, Jason hob erneut ab. 

Endlich landete er auf den Steilklippen vor dem Hauptschloss. Unschlüssig suchte Jason abermals den Himmel und die Umgebung ab. Natürlich rechnete er immer noch damit, dass Bilwer aufkreuzen würde. Doch der Himmel blieb, bis auf die Wolken, leer. Gut, wenn er erst später mehr über das Erscheinen dieses seltsamen Gebäudes erfahren würde, dann konnte er es sich jetzt auch genauer ansehen. Sein Blick wanderte zu dem großen Torbogen des Hauptschlosses. Es war schlicht und doch so groß, dass er mühelos als Drache hindurch fliegen könnte, ohne seine Flügel komplett einfahren zu müssen.

So aus der Nähe betrachtet, war jetzt auch klar zu erkennen … acht Verbindungsbrücken führten zu den dazugehörigen Türmen auf den einzelnen Klippenstücken.

Bisher gab es keine Brücke, die ihn direkt hinüberlaufen ließ, aber das änderte sich gerade, denn vor ihm bildete sich ein Übergang ... Stein für Stein.

Mal sehen, ob ihm seine Fantasie doch einen Streich spielte und er gleich in den Abgrund stürzen würde ... Jason setzte vorsichtig einen Fuß auf die Hauptbrücken. Tja, die Brücke war echt ... oder er träumte den wildesten aller Träume. 

Von seiner Neugier gepackt, saugte Jason alle Einzelheiten mit seinen Augen auf. Jeder der acht Übergange war aus einem anderen Material gefertigt - jedenfalls sah es so aus. Auch waren einige geschlossen, andere Überdacht und doch offen, und ein paar waren frei. Eine der Brücken war sogar so gebaut, dass es weder ein Geländer noch sonst eine Stütze gab, die vor einem Absturz schützte.

Ebenso waren die Türme verschieden gebaut, manche roh und klobig, manche altertümlich, doch alle hatten einen gleichen Blickfang … der Jason nicht entging. Alle trugen ein Dach, das spitz zulief und in der Breite weit über jeden Turm hinaus ragte. Auch hatten alle Türme nur wenige Fenster. Das Hauptschloss kam wieder in sein Blickfeld ... und irgendwie überkam Jason das Gefühl nicht mehr allein zu sein.

Zögernd schaute er im Wechsel von den einzelnen Türmen zum Schloss. Sollte er es wagen ein Gebäude zu betreten, das vor einer Stunde noch nicht hier stand?

Damals nach der Entstehung des Tempels waren innerhalb einer kurzen Zeitspanne beinahe alle Dragots anwesend. Hier stand er allein da.

Aus seinem Augenwinkel blitzte etwas Weißes im Torbogen auf. Jason schaute genauer hin, doch es war wohl nur eine Lichtspiegelung.

Der Platz vor dem Tor wäre auch ausreichend, um darauf als ausgewachsener Drache zu landen. Wofür war dann die Hauptbrücke überhaupt entstanden?

Wieder blitzte etwas auf und ein Drachenkopf lugte aus dem Tor. Über Jasons Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Es war Zolmer, der Himmelsdrache.

Damals hatte Jason ihn über seine drei Töchter kennengelernt. Bei Zolmer hatte er seine Dragdaan-Ausbildung beendet.

Jason hob ab, landete vor den Bogen. „Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?“

Zolmer lächelte Jason breit an. „Es mangelt wie immer an deiner Erziehung.“

Natürlich wusste Jason sofort, was der weiße Drache meinte und korrigierte sich. „Seit gegrüßt, Zolmer.“

„Sei gegrüßt, Jason. Komm herein, ich führe dich durch deinen Palast.“ Zolmer machte eine einladende Geste, doch Jason zog seine Brauen zusammen.

„Meinen Palast?“, fragte er überrascht.

Zolmer ignorierte seine Frage und schritt ins Innere des schmalen Schlosses. Jason folgte ihm. 

Nach ein paar Stufen hatte Zolmer den Hauptraum erreicht und blieb in der Mitte stehen, drehte sich zu Jason um. „Warum verdrängst du deine Visionen? Skyla ist in Sicherheit. Sie hat sich für ihre Ausbildung entschieden, ehe sie an deiner Seite leben wird. Also füge dich deinem Schicksal.“

Unvermittelt richtete Zolmer seine Zeigekralle auf die Körpermitte des jungen Dragots aus, ebenso abrupt drehte sich Jasons Magen und ein Krampf schüttelte ihn durch.

„Ich verdränge nichts. Ich lasse es nur nicht zu!“, knurrte Jason und unterdrückte eine aufkeimende Vision, die Zolmer in ihm aktiviert hatte, während er sich gleichzeitig krümmte.

„Das bringt dich aber nicht weiter.“

„Ach ... und wer sagt, dass ich weiter will?“

„Oh, du brauchst einen Grund? Deine kleine Freundin geht ihren vorbestimmten Weg und du bläst Trübsal. Ist das dein Ziel?“

„Ich habe monatelang auf sie gewartet und dann blieb sie nur drei Wochen.“

Zolmer atmete schwer ein und zog seine Kralle zurück. „Und das empfindest du natürlich als ungerecht.“

Jason richtete sich auf, schaute Zolmer missmutig an, bis dieser seine Vermutung bestätigt sah. „Jason, ich weiß, dein geistiger Horizont ist noch nicht offen genug, um zu erkennen, was vorrangig ist. Und doch musst du dein egoistisches Getue ablegen.“

„Wozu? Habe ich noch nicht genug durchgemacht?“

„Manche Leben verlaufen ereignislos - manche sind dazu bestimmt, das Weltgeschehen mit dem darin bestehenden Leben zu retten.“

„Und ich gehe davon aus, dass ich zu den Letzteren gehöre“, kommentierte Jason.

Zolmer nickte und ein breites Schmunzeln legte sich um sein Maul.

„Und wenn ich einfach nicht mehr will? Wer will mich zu meinem Schicksal zwingen?“

Zolmer antwortete nicht, er schob Jason in die Mitte des Raumes.

Warum auch immer … Jason starrte auf den Boden.

Unter seinen Füßen war ein Pentagramm in den Marmorstein eingearbeitet. Zwischen den Spitzen des Pentagramms waren Bilder zu sehen. Jason erkannte einen Bogen mit Pfeilen. Auf der nächsten Abbildung war ein Drachenfläschchen, in dem eine leuchtende Flüssigkeit war. Das dritte Bild zeigte eine weißblaue Drachenschuppe. Auf dem vierten war eine schwarze Drachenkralle, die Jason von irgendwoher kannte …

Schlagartig fielen ihm die Zusammenhänge ein. Damals auf dem Schiff nach Dragonrock schmiss ihm einer der Drachen diese Kralle ins Rettungsboot. Und als er sie unter seine Zunge gelegt hatte, nahmen die Schmerzen seiner Wandlung ab.

Der junge Dragot blickte zu Zolmer hoch und wieder auf das letzte Bild, es zeigte sich unscharf und doch glaubte Jason einen jugendlichen Drachenwandler in einem Mantel zu erkennen.

„Das Bild stellt dich da. In einem Jahr ist es schon lange Vergangenheit.“

Jason hörte zwar, was Zolmer sagte, sah sich aber kommentarlos weiter um.

Von dem Fleck aus - auf dem er stand - gingen zehn Türen ab, wobei er den Ausgang wieder abzog, also neun.

Jeder Durchgang führte zu einem der Türme. „Ich habe von draußen nur acht Türme gezählt“, stellte er mehr für sich selber fest.

„Der neunte Turm erscheint erst, wenn du die acht anderen Angelegenheiten geregelt hast.“

Nun sah Jason Zolmer fest an. „Acht Angelegenheiten? Kannst du mir das genauer erklären?“

„Nein, das ist allein deine Angelegenheit. Aber ich kann dir sagen, im neunten Turm werden deine Ängste und Sorgen warten. Sobald du diese bezwingst, nimmt dein Schicksal seinen Lauf.“

Jasons Augen funkelten. „Und wenn ich keinen der Türme betrete?“

Das Lächeln um Zolmers Maul erstarb. „Du kannst die Zeit nicht anhalten“, brummte er Jason zu und fixierte ihn.

Ob er wollte oder nicht, stand nicht zur Debatte, Jason brach unter seinem durchdringenden Blick zusammen und landete auf seinen Knien. Seine Nase begann zu bluten. Jede Faser seines Körpers weigerte sich gegen die aufkommende Vision, er wollte nicht, nein!

Die Vision drückte ihn zu Boden.

„NEIN, ICH WILL NICHT! MACH, DASS ES AUFHÖRT!“ Jason wollte sich aufrichten, doch die Bilder vor ihm zwangen ihn stillzuhalten.

„Füge dich!“, flüsterte Zolmer.

Jason jagten, angesichts der Bilder vor seinem inneren Auge, etliche Schauer über den Rücken. Immer wieder schrie er zwischen den grauenhaften Bildern. Das Blut rann aus seiner Nase, bis die Vision ausklang. Erschöpft kauerte er sich auf dem kalten Marmorboden zusammen.

Zolmer reichte ihm ein schwarzes Tuch, das nach Jasmin duftete. „Wisch dir das Blut damit aus deinem Gesicht.“

Jason kniete sich hin, rieb sein Blut weg. „Ich kann doch eh nicht ändern, was geschehen wird. Wozu die Visionen?“

Zolmer atmete geräuschvoll ein und prustete seinen schwefeligen Atem in Jasons Gesicht. Jason hielt seinem stinkendem Atem stand, sah den Drachen verächtlich an. „Ich kann sein Blut nicht aus ihren Adern filtern. Und wenn sie nicht mehr da ist, dann kannst du mich vergessen!“, knurrte Jason böse.

„Warum hast du deine Visionen? Warum bist du ein Seher?“, fragte Zolmer seelenruhig.

„Was weiß ich?“, grollte Jason.

„Hat dir das Jahr der Beherrschung deinen Kopf gelöscht? Denk nach!“

Jason stand auf und kratzte sich über die Schläfen. „Die Zukunft ist nicht unabdingbar.“

Zolmer nickte. „Richtig, und was heißt das für dich?“

„Ich kann sie ändern und abwenden?“

„Richtig!“

Jason drückte das schwarze Tuch zwischen seinen Händen. „Und wie soll ich das machen? Es geschieht in wenigen Stunden!“

„Weiß ich nicht, das ist deine Aufgabe“, antwortete Zolmer mit einem Drachenseufzer.

„Aber du wusstest es, sonst hättest du mir doch das Schloss hier nicht gebaut, um mich abzulenken und auf meinen Weg zu bringen.“

Zolmer lächelte weise. „Das Schloss wäre so oder so in wenigen Tagen erschienen. Ich habe es nur ein wenig beschleunigt, da ich ein aufkeimendes Knurren in meinem Magen verspürte.“

Jetzt wusste Jason gar nicht mehr, was er denken sollte und sagte das erste, was ihm in den Kopf schoss. „Und wenn du nur Hunger hattest?“

Nett, dieser kleine unwissende Drachenscheißer, Zolmer grinste belustigt. „Junger Mann, das Essen gehört schon seit unzähligen Jahrtausenden nicht mehr zu meinem Dasein. Nein, ich muss mich korrigieren, ich habe nie Nahrungsmittel zu mir genommen. Brauche ich ja auch nicht.“

„Das wusste ich nicht, entschuldige.“

„Wofür entschuldigst du dich? Treffe lieber eine Entscheidung, sonst stirbt ihre Hexenkraft und sie verwandelte sich in einen Dämon.“

„Sie stirbt nicht wirklich? Sie wandelte sich in einen Dämon?“

Irritiert schaute Zolmer Jason an. „Ist diese Wandlung nicht so schlimm, und ihr wie Dasein als Dämon wäre dir recht? Nur sterben dürfte sie nicht?“

„Ist es meine Bestimmung ihr Leben zu retten?“

Zolmer zog seine Brauen zusammen. „Jason, hör auf! Ich hätte warten können, aber dann hätte ich nur noch schwieriger zu dir gefunden. Tu, was du für richtig hältst. Wir sehen uns wieder, wenn du die acht Angelegenheiten bewältigt hast.“ Zolmer öffnete ein Tor in seine Dimension und machte sich behände auf den Weg.

„Warte!“, rief Jason ihm hinterher. „Muss ich da allein durch?“

„Nein, die acht Angelegenheiten musst du nicht allein bewältigen. Aber egal, wen du mitreisen lässt, keiner von euch darf hexen oder andere überirdische Kräfte anwenden. Auch wandeln ist strengstens untersagt!“

Hätte er das nicht schon vorher sagen können? Jasons Augen weiteten sich. „WIE SOLLTE ICH DAS SCHAFFEN?“, brüllte er, doch Zolmer hörte schon gar nichts mehr zu, denn das Tor schloss sich bereits.

 

Wie ein begossener Pudel stand Jason da und starrte auf den Fleck, wo Zolmer verschwand.

„Und nun?“, murmelte er und knetete das superweiche Tuch wieder.

Zum ersten Mal sah er sich den schwarzen Lappen genauer an, entknüllte ihn und hielt das Stoffstück hoch.

Eine tiefrote pentagrammähnliche Abbildung war darin eingebrannt. Jason zählte aber nur vier spitz zulaufende Enden.

Und egal wie lange er es in seinen Händen rieb, das Gewebe gab sein Blut nicht mehr her. Eigentlich war es viel zu dünn, um Blut aufzusaugen. Jason hielt es unter seine Nase, es roch auch nicht nach Blut. Nur der Duft, den er schon zuvor wahrnahm hafte an ihm. Jason schnüffelte genauer, meinte den Geruch einer Blumenwiese zu erkennen. Er atmete den Duft tief ein, wickelte es danach an seinen Oberarm und verknotete es. Entnervt von den vielen Visionen, die ihn heimgesucht hatte, strich er fahrig mit seinen Händen durch sein Haar. „Der verdammte Pony nervt!“

Sobald sich die Gelegenheit bot, würde er sich eine neue Frisur zulegen. Gedankenverloren drehte Jason sich in der Mitte des Raumes und blieb vor dem neunten Durchgang stehen. Wie von selbst setzten sich seine Füße in Bewegung.

Erneut bekam Jason Magenschmerzen und einen Schweißausbruch, aber er ging unverdrossen auf die Brücke zu.

Kurz bevor er die Überführung erreichte, fiel mit einem lauten Scheppern ein eisernes Gitter davor herunter …

… und hinter ihm kreischte etwas.

Jason fuhr herum und erblickte seine Töchter, die wie irre schreiend im Kreis rannten.

Was es auslöste, ob es ihre Schreie waren oder hier eh etwas Neues entstehen sollte, wusste Jason nicht, aber in ihrer Mitte schob sich ein schwarzer Marmoraltar aus dem Boden. An jeder Ecke des Opfertisches drehten sich zwei gewundene Säulen aus dem Boden, die ebenso schwarz waren und bis zur Decke reichten.

Jetzt blieben die Drachenmädchen stehen und sahen zu Jason. Der kam dazu und blieb vor dem Marmorblock stehen. Seine Finger streiften über das warme Gestein. Ähnlich, wie sein Hexenbesen auf seine Berührung mit einem Farbspiel seine Gefühle widerspiegelte, reagierte auch der Marmor unter seinen Fingern. Jason schaute über den Altar zu seinen Töchtern, die nebeneinander saßen und auf irgendwas zu warten schienen.

„Und nun?“, fragte Jason die Mädchen und wanderte ihre Augen ab.

Kaja setzte sich in Bewegung und ging rechts an Altar vorbei. Suja links und Elja sprang mit einem Satz mitten auf den Marmorblock.

„Weihe ihn!“ Sprachen alle drei wie aus einem Mund, was Jason unfreiwillig in einen Trancezustand gleiten ließ.

Unfähig es selber zu steuern, führte Jason seine Hände flach zusammen und hielt beide Daumen unter sein Kinn. Elja sprintete von dem Altar. Jason begann in einer Sprache zu sprechen, die er nie gehört, noch deren Sinn er erahnen konnte.

Aus den vier Säulen des Altars entströmte eine Hitzewelle, die den Stein anheizte. Irgendwie wurde der Marmor flüssig, verformte sich zu einem rohen unbearbeiteten Steinblock und erstarrte wieder. Jason legte seine Hände auf den glühenden Stein und dieser erkaltete.

„Wakur mento“, flüsterte Jason und der Altar war geweiht.

Die Drachenmädchen trennten die geistige Hochverbindung zu ihrem Vater und lächelten ihn an. „Wir schützen deinen Palast und werden unser Leben für seine Unberührtheit geben. Niemand, den du nicht einlädst, darf ihn betreten, dafür sorgen wir“, bekundete Kaja ehrfürchtig.

„Ist es so wichtig, dass niemand hierher kommt?“, fragte Jason neugierig.

„Ja, dieser Palast ist ein Haupttor zu acht Welten, die niemand außer dir betreten darf“, antwortete Elja ehrfürchtig.

„Und die Person, die ich einlade!“, fügte Jason hinzu, worauf Elja heftig nickte.

„Die Einladung gilt aber nur solange, bis du sie widerrufst oder die eingeladene Person dieses Schloss verlässt“, gab Suja an.

Jason tippte sich an die Wange. „Auch Charlyn darf als Herrscherin hier nicht ohne meine Zustimmung rein?“

Suja sprang an seine Brust. „Nur wir dürfen ohne deine Einladung hier sein.“

Jason nahm Suja in den Arm und sie wandelte sich dabei zur kleinen Dragotin. „Unsere primäre Aufgabe ist, die allmächtigen Tore vor unbefugtem Zugang zu schützen. Auch du darfst in der ersten Phase nur die vier Tore durchschreiten, die deinem Geist angepasst sind.“ Kaum hatte sie ausgesprochen, wozu sie hier waren, rannten Elja und Kaja auf einige Tore zu und versiegeln vier von ihnen. Jason schaute ihnen dabei zu.

„Davon hat Zolmer aber nichts gesagt.“

Suja wandte sich in seinen Armen und schaute ihn liebevoll an. „Zolmer kennt deine Kräfte, weiß wie stark du bist ... doch wir wissen es besser. Du musst mit vier leichten Aufgaben beginnen, dann gelingen dir die anderen schneller. Was für deinen Zukunft sicherer ist und besser vorbereitet.“

„Hat es was mit den hohen Acht zu tun?“

Nun schwieg Suja, auch die beiden anderen sagten keinen Mucksen mehr.

„Ich hatte eine Vision, als ich Axa auf ihren Planeten geschickt habe.“

Die Mädchen kicherten. Ja, Jason hatte so seine eigene Art, Axa in die Wüste zu schicken.

„Visionen sind sehr wichtig und du wirst deinen Weg gehen“, bemerkte Suja und sprang aus seinem Arm.

Alle drei setzten sich vor Jason und neigten ihre Köpfe.

Nur Elja sah ihm direkt in die Seele. „Nun hilf. Ihr Blut musste gereinigt werden.“

„Schaff ich das?“

Seine Töchter neigten ihre Köpfe.

Rapide fiel sein Blutdruck ab und mit ihm erkalteten seine Hände. „Heißt das … nein?“

Kaja verzog betrübt ihr Drachenmäulchen. „Es liegt in deiner Hand und in deiner Entscheidung. Du kannst sie solange nicht wiederbeleben, wie sein Blut in ihr ist. Wenn sie sterben sollte, dann wird sie zum Dämon ... ohne Wiederkehr.“

Da alle ihn irgendwie vermittelt hatten, dass die Zeit drängte, wandte Jason sich dem Ausgang zu und drehte sich kurz vor ihm um. „Schlaft ihr hier auch?“

Alle drei nickten.

„Sollte ich euch Vorräte bringen oder erledigt ihr das selber?“

„Kümmre dich um deinen Weg, wir regeln alles andere allein.“

„Mein Vater wird durchdrehen, wenn sie es nicht schafft.“

Die Mädchen nickten bedrückt und kehrten zum Altar zurück. Elja drehte sich ein letztes Mal zu Jason um. ‚Er ist schon jetzt ratlos und am Ende.‘

 

 

 

 

 

 

 

 

Kampf der vier Blute

 

 

 

Gute zehn Mal musste Rob sich mit Elaine im Arm heilwandeln, bevor sich ihr Brustkorb wieder regelmäßig hob und senkte.

Ihre Atmung wurde nun mit jeder Wandlung ruhiger. Ihre Innereien fanden zu ihrem Ursprung zurück, heilten. Elaine schlug die Augen halb auf. „Rob“, flüsterte sie kaum hörbar.

„Ist gleich wieder gut. Ruh dich aus.“ Rob entzog sich ihr und setzte sich auf die Bettkante.

Irgendwas lief hier extrem aus dem Ruder, er legte seine Hände auf sein Gesicht, begann lautlos zu weinen.

Elaine versuchte sich aufzurichten, aber sie war viel zu schwach, fiel zurück. Doch sie musste ihn berühren, streckte ihre Hand aus und legte sie auf sein Bein. „Sein Blut kämpft gegen deines. Wenn er gewinnt musst du mich töten“, flüsterte sie leise.

Sicher, er hatte jedes Wort gehört und auch verstanden … Rob drehte sich ihr zu. „Was redest du da?“

„In mir kämpft ein irrsinniger Blutkrieg. Bete, das deines siegt.“

Während er ihre Wange streichelte, irrten seine Gedanken umher. „Ich hole Jason!“

„Nein, er darf mich nicht zurückholen, es geht nicht. Leonard hat mit seinem Blut meinen Körper verseucht. Ich kann nicht wiederbelebt werden.“

Es musste doch eine Lösung geben, Rob nahm ihre Hand und hielt sie an sein Gesicht. „Du kannst mich nicht allein lassen. Wenn du stirbst, folge ich dir!“

„Denk an unsere Kinder. Sie haben es nicht verdient, allein gelassen zu werden. Wer soll ihnen denn beibringen, was in dieser Welt richtig und was falsch ist?“

„Ich bleibe nicht, wenn du gehst!“

Auch wenn es sie unendlich viel Kraft kostete, Elaine atmete tief ein. „Es beginnt. Mein Blut beginnt sich zu erhitzen. Ich liebe dich!“

Alles brach über ihm zusammen, Rob wollte sie an sich ziehen, doch ihr Körper war zu energielos, hing schlaff in seinen Armen. Nun spürte er ihre sich verändernde Körperwärme, die stetig anstieg. Wenn ihre Hexenkörpertemperatur über 47° Grad anstieg, würden ihre inneren Organe versagen und sich auflösen.

Rob streichelte über Elaines Wange, die glühte, als ob verbrennen würde. „Schatz bitte, geh nicht“, flüsterte er verzweifelt und hexte ein kühles, feuchtes Tuch auf ihre Stirn.

Dass diese Hexerei in ihrem Blut nicht heilen würde wie eine normale Grippe, wusste er, denn auch nach mehreren Heilvereinigungen half es ihr nicht. Abermals überschlugen sich seine Gedanken. Hat sie womöglich Recht? Setzte sich Leonards Blut zur Wehr? War es möglich, dass die Blute der beiden Dragots miteinander rangen, bis eines die Oberhand bekam?

Vielleicht hatte er es durch sein Blut erst in Gang gesetzt?

Vielleicht besaß Leonards Blut aber auch eine zeitliche Aktivierungsfrist, die nun ihren Nullpunkt erreicht hatte?

Vielleicht beschwor dieser Drachensack es aber auch gerade …

Voller Frust und Wut lief Rob Kreise vor dem Bett. Hilflos sah er sich in der Hütte um.

Charlyn konnte auch vieles bewegen, sie war bei Raika.

Während Jasons Seelenschrei hatte Charlyn Skyla auch gewaltig geholfen! Er musste handeln … Rob hechtete in seine Hose und rannte hinaus.

 

Es war mitten in der Nacht, doch Charlyn stand heulend im Mondlicht vor Raikas Hütte. Rob blieb abrupt einen Meter vor ihr stehen. Sie schüttelte ihren kleinen Kopf. Schweigend sahen sich die beiden an. Unbändige Ohnmacht schüttelte seinen schmerzenden Körper, ein Urschrei kroch in seiner Kehle hoch und der Boden der Insel erbebte unter seinem Drachenschrei.

In dem Moment landete Jason neben der Hütte und stürmte hinein. Charlyn sah, wie ihr Bruder in der Tür verschwand und zeigte auf die Behausung ihrer Eltern … Rob rannte hinterher.

Kaum in der Hütte, sah Rob, wie Jason etwas in das Ohr seiner Mutter sprach.

„Jason, was sollen wir machen? Ich weiß nicht mehr weiter, hilf ihr!“

Als ob er aus einem anderen Grund gekommen wäre, Jason sah Rob unzufrieden an und trat vom Bett zurück. „Mir ist klar, nur ich kann sie retten, aber ich weiß nicht wie!“, schnauzte er seinen Vater an.

„Du bist fähig ihr Leben zu retten und weißt nicht wie?“ Rob sackte am Tisch zusammen.

„Ja, ich darf sie nicht wiederbeleben. Über den Rest hab ich keine Ahnung.“

Robs Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. „Dann streng dich an!“, knurrte er.

Jason fixierte seinen Vater mit einem Blick, der jedem das Blut in seinen Adern gefrieren ließ. „Deine Kommentare sind nicht hilfreich. Wir müssen erst einmal dafür sorgen, dass ihre Körpertemperatur nicht weiter ansteigt, aber wie?“

Zumindest kam wieder etwas Logik zurück, Rob hatte sich gefangen und stellte sich neben seinen Sohn. „Ich könnte mit ihr zum Eissee fliegen, ihren Körper dort hineinlegen und die Temperatur senken.“

Das wäre keine sinnvolle Handlung, Jason schüttelte den Kopf. „Dann erfriert sie uns! Nein, es muss eine bessere Lösung geben.“

Ein Name tauchte vor Jasons innerlichem Auge auf, Sabera.

Jason legte seine Hände in den Nacken und schob sie auf seinen Hinterkopf. Er schloss die Augen.

„Was machst du da?“

„Unterbreche mich bitte nicht! Ich rufe Sabera.“

Erneut konzentrierte Jason sich und Sabera erschien vor seinen Augen - zumindest eine geistige Erscheinung von ihr.

„Hallo Jason. Wie geht es dir?“

Jason begrüßte sie kurz und schilderte ihr grob die Umstände.

„Es tut mir leid! Ich darf nicht mehr ins zeitliche Geschehen eingreifen. Für die Dauer von fünf Hexperioden ist es mir untersagt.“

„Das brauchst du auch nicht unbedingt. Ich wäre schon für einen Rat dankbar.“

„Dann frag mich.“

„Wie halte ich die Körpertemperatur meiner Mutter konstant unter 40° Grad, bis ich eine Lösung gefunden habe, ihr das Blut von Leonard zu entziehen.“

„Erst mal musst du einen Platz finden, an dem ein konstant kühle Luftzufuhr herrscht und dort muss sie in ein Hexenbad. Diese Art von Bädern halten, wenn es von Nöten ist, jahrelang ihre Temperatur. Zweitens bekämpfe ihr Blut bitte unter keinen Umständen mit dem Blut von einem anderen Dragot. Das würde die Sache um ein vielfaches verschlimmern, wenn nicht sogar zum Tode führen. Leonard ist ein Halbdämon, deren Blut verträgt sich nicht in solch einer Kombination.“

Jason schaute zu seinem Vater, der das Gespräch aufmerksam verfolgte hatte und nun die Augen schloss. „Sie hat mich gebissen und mein Blut getrunken.“ Sein Blick verfinsterte sich. „ELLI WIRD STERBEN!“ Rob sprang auf und rannte aus der Hütte.

„Jason, hol ihn zurück! Ich musste die Verbindung wieder abbrechen. Ruf mich, wenn ich dir mit einem Rat weiterhelfen kann.“

„Warte Sabera! Wo finde ich so einen Ort, der für meine Mutter gut wäre?“

„Überall dort, wo du Hexen findest.“

„Was, wenn wir nicht rechtzeitig ankommen?“

Sabera senkte ihre Augen und verblasste.

„Scheiße!“ Jason stürmte seinen Vater hinterher und fand ihn unter dem Wasserfall.

„Komm, wir müssen in meinen Palast.“

„Zum Strand?“, wollte Rob wissen.

„Nein. Und warum stehst du hier überhaupt im Wasserfall?“

„Ich kühle mein Blut runter, um dann ihren Körper abzukühlen.“

„Gute Idee.“

Die beiden sahen synchron zu Charlyn, die immer noch traurig vor der Hütte stand. Es brach Jason das Herz … „Hol du Mama. Ich rede kurz mit Charlyn.“

Mit schweren Schritten kam Jason seiner Schwester entgegen. Sie fielen sich in die Arme.

„Ich wollte dir doch sagen, wir brauchen dich, aber ich habe dich nicht gefunden“, schluchzte Charlyn.

„Es ist meine Schuld. Ich habe nur noch an Skyla gedacht und war so verletzt darüber, dass sie einfach gegangen ist.“

Charlyn sah ihrem Bruder in die Augen. „Hilf Mama! Papa schafft es ohne nicht sie. Er wird uns wie sie verlassen. Sie sind seelenverwandt, wenn Mama stirbt, dann stirbt er innerlich auch.“

Beide wussten, dass sie gerade die nackte Wahrheit ausgesprochen hatte … Jason schaute auf seine Schwester runter. „Ich kann dir nichts versprechen.“

„Ich weiß, aber mach dein Möglichstes.“

„Werde ich!“ Jason drückte seine Schwester noch einmal und löste sich aus ihrem klammernden Griff. „Pass mit Raika zusammen auf die Zwillinge auf. Meine Töchter kommen momentan nicht zu euch, sie folgen ihrer Bestimmung.“

„Ich weiß. Komm gesund zurück.“

Jason streichelte über ihr Haar und wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.

„Jason, komm.“ Rob stand mit Elaine auf seinen Armen vor der kleinen Brücke.

Sofort hob Jason vor Rob ab und wartete in der Luft, bis er ihm folgte.

 

Beide erreichten das Schloss in wenigen Augenblicken. Rob flog ihm hinterher, ohne auf den Weg zu achten. Umso erstaunter war er, als das Schloss in seinen Blick fiel.

Jason landete vor dem Tor, Rob neben ihm. „Ich lade dich und Mama hiermit ein, meinen Palast zu betreten!“

„Ist das hier nötig, so wie bei den Hütten?“

„Wenn man das überhaupt vergleichen kann, dann ja.“

Sie betraten den Hauptsaal.

„Wo sind wir hier?“ Rob nahm alle Eindrücke in sich auf.

„Ich gehe stark davon aus, dass dieses neue Bauwerk, welches Zolmer höchstpersönlich aus dem Boden gestampft hat, zu meiner persönlichen Folterkammer wird oder bereits ist. Von hier aus soll ich acht Angelegenheiten erledigen. Doch Mama hat Vorrang vor allem. Leg sie bitte auf dem Altar ab.“

Umgehend reagierte der schwarze Marmor auf Elaines glühenden Leib. Der Altar verformte sich und bildete leichte Vertiefungen, um ihren Körper an den Druckpunkten zu entlasten. Und es ging noch weiter, der Stein handelte, wo Handlungsbedarf erforderlich war, zwischen Körper und Stein stiegen Kälteschwaben auf.

Rob traute diesem seltsamen Altar nicht und fühlte ihn ab … er war kalt. Exakt das, was Elaine benötigte, damit ihre extreme Körpertemperatur abfallen konnte. „Wie geht das? Keiner von uns beiden hat gehext.“

„Fragen dieser Art kann ich dir nicht beantworten, denn der Palast steht erst seit heute da und ich bin noch nicht dazu gekommen, alles zu testen. Sein wir einfach froh, der Altar ist uns gut gestimmt.“

Rob nickte.

Jason setzte sich auf eine der steinernen Bänke, die neben jedem Durchgang standen.

„Suja, Kaja, Elja kommt ihr mal zu mir?“

Die drei kleinen Dragotin stellten sich vor ihren Vater, während Rob nicht von Elaines Seite wich. „Ich kann mir denken, dass ihr mir auch nicht sagen dürft, was ich tun muss, um meiner Mutter zu helfen. Aber ich bitte euch darum, mir wenigstens einen Ratschlag oder einen Tipp zu geben. Wir haben nämlich ein größeres Problem als nötig. Mama hat Papas Blut getrunken und ich nehme stark an, ihr drei wisst, was das heißt. Mir fehlt die Zeit zum Nachdenken. Sie wird sterben.“

Die Mädchen steckten ihre Köpfe zusammen und tuschelten in einer Sprache, die mehr nach Lauten als nach Sprache klang.

Es machte auf Jason den Eindruck, Elja wäre gewillt zu helfen, denn sie schaute immer wieder bekümmert zum Altar. Doch allen Anscheins konterten Suja und Kaja dagegen. Sie fauchten sich immer schärfer an.

„Doch, er muss es lernen, nur so kann er es anwenden“, knurrte Elja Suja an, nun in einer Sprache, die Jason verstand.

„Wir können aber nicht so lange ihren Zustand hier dulden. Sie hat Dämonenblut in sich. Ihre Aura verunreinigt die Durchgänge!“

Jason erhob sich, umwanderte die streitenden Mädchen und blieb hinter Elja stehen. „Ich werde mir das Leben nehmen, wenn ihr mir nicht sagte, was hilf!“

In seiner Stimmlage schwang eindeutig die blanke Drohung mit, es wirklich in die Tat umsetzen, darin bestand kein Zweifel!

Entsetzt sahen ihn seine Töchter an und Jason setzte noch einen drauf! „Wirklich … ich habe das ganze Rätselraten satt! Wenn ich von euch keinen Vorschlag höre, sehe ich in meinem weiteren Dasein keinen Sinn. Eure verfluchten Spielchen mit mir, könnt ihr dann ja mit einem anderen durchziehen.“ Jason rannte aus dem Palast.

„Halte ihn auf! Wir achten auf Elaine!“, schrien die Dragotin Rob zu und der sprintete augenblicklich seinem Sohn hinterher.

Jason war in der Luft, er orientierte sich und flog rasend schnell los. Rob ahnte anhand seiner Flugrichtung, wohin Jason flog.

Und er behielt Recht.

Die Wut in seinem Bauch war schier grenzenlos, Jason landete vor den Friedhof und rannte auf den Platz in der Mitte. Zu allem bereit fiel Jason auf die Knie und breitete seine Arme aus.

Gerade als er losschreien wollte, legte sich von hinten eine Hand auf seinen Mund. Rob hockte hinter ihm. Er würde nicht zulassen, dass Jason seine Seele herausschrie.

Erst als Jason sich beruhigte, nahm er seine Hand weg.

„Ich bin deiner Meinung, aber ein nutzlosen Heldentod stirbst du hier nicht!“

Jason sah zu Rob auf, der ihn gequält anlächelte. „Sie wissen alles, kennen jeden Trick hier durch zu kommen. Warum helfen sie uns nicht? Elja würde ja, aber die beiden wettern nur gegen sie. Ist es denn so sehr von Bedeutung, dass ich mir den Kopf zermartere, um meiner Mutter das Leben zu retten? Wo doch alles anscheint schon zu spät ist, und sie nur darüber nachdenken oder verhandeln, wie wir reagieren.“

„Junge, ich weiß nicht, was die Mädchen wollen. Ich wusste ja bis eben nicht, dass du eine persönliche Folterkammer hast. Doch offenbar halten die jungen Damen sehr viel von dir, wenn sie dir zutrauen die Acht zu besiegen.“

„Was weißt du darüber?“, fragte Jason ihn irritiert.

„Du redest von einer Folterkammer mit acht Angelegenheiten, die du erledigen sollst. Nicht, dass du mich jetzt falsch verstehst, ich hänge sehr an deiner Mutter und würde ihren Tod nicht ertragen, noch akzeptieren, aber du musst zurückgehen.“

„Warum?“

„Die Legende der Acht ist grausam und sie werden kommen, um den zu töten, der der Nachfahre des Maskenbauers ist. Ihre Kraft soll in den Jahrhunderten immens gestiegen sein. Jason, du bist der direkte Nachfahre, sie werden kommen und dich töten wollen.“

„Ist mir egal, und wenn es so ist, dann nehme ich ihnen die Arbeit gleich hier ab.“

Sicher konnte er diese Entscheidung nachvollziehen … Rob legte seine Hände auf Jasons Schultern. „Das kannst und darfst du nicht! Wenn der Nachfahre stirbt, bevor die Acht ihn zur Strecke gebracht haben, dann schicken sie die acht Hexengeißeln in die Zonen.“

„Davon bekomme ich dann ja zum Glück nichts mehr mit.“

„Nein, du nicht. Aber jedes weibliche Hexenkind und jede Hexe stirbt. Nur die Hexer blieben am Leben. In jeder Zone wird es nur noch männliche Wesen geben. Selbst die Menschenheit wird nicht verschont bleiben. Nie wieder Kinder, nie wieder Frauen. Und das ist nur eine der Plagen, die auch unter uns Dragots wüten wird!“

Für den Moment war er abgelenkt, Jason zeigte seinem Vater einen Vogel. „Das geht doch gar nicht!“

Robs Miene blieb ernst.

„Aber warum muss ich das alles in die Waage bringen? Äh, ich bin erst lausige zwölf Jahre alt und sollte schon wieder die Welt erretten, es kotzt mich an!“

„Nein ... du sorgst für den Fortbestand aller Rassen.“

„Mir liegt jetzt ein unanständiger Kommentar auf der Zunge, aber ich schluck ihn lieber runter.“

„Warum? Flüstere ihn mir zu.“

Jason tat es und Rob sah ihn erstaunt an. „Junge, du bist ganz schön frühreif. Aber jetzt brauche ich deine Entscheidung. Ich will Elli nicht weiter allein lassen, das verstehst du doch?“

„Sicher, wir müssen unseren Grips für Mama verbiegen. Sie muss überleben!“

Rob zog Jason auf die Beine, beide hoben ab, sie durften keine Zeit mehr vergeuden.

 

Alle drei Dragotin standen um Elaine herum, als die beiden eintrafen.

Während Rob sich an Elaines Seite stellte und ihre glühende Hand hielt, blieb Jason vor dem Altar stehen. „Und habt ihr euch entschieden? Helft ihr oder lasst ihr uns auflaufen?“

Elja lächelte ihn innig an. „Du musst in die Lehre zu Drag Ham. Er bringt dir das Ziehen mit deiner Seele bei. Doch du musst es im Eiltempo lernen. Leider kann Elaine nicht hier blieben, du hast ja sicher mitbekommen, sie bewirkt hier ein schlechtes Klima. Kämpfendes Dämonenblut lockte Feinde aus dem Tor an. Sie muss auch von der Insel runter. So leid es uns auch tut, verzeih uns!“

Kaja übernahm den zweiten Teil. „Bring deine Mutter an einen Ort, wo eine Klinik steht. Dort werden Kühlbetten stehen.“

Jason sah zu seinem Vater rüber, der nickte ihm zu. Beide wussten, wo sie hinfliegen würden, Dragonrock.

Die Insel war rehabilitiert, seit Axa mit ihren dunklen Hexen den Planeten verlassen hatte. Auch das Hotelschloss war Bergar, dem ehemaligen Dämonenfürst, wieder entrissen worden.

Nur die Harmwächter hatten, laut Ariums Aussage, ihre Probleme alle Tore für die Reisenden wieder zu öffnen.

„Wo werde ich auf diesen Drag Ham treffen?“, wollte Jason von Suja wissen.

„Du triffst ihn bei deiner baldigen Rückkehr hier an. Er wird dich morgen Abend hier empfangen.“

„Ich dachte außer uns Vieren darf ‚ohne meine Einladung‘ keiner den Palast betreten?“

Elja stellte sich neben Jason und nahm seine Hand. „Verlieren wir uns nicht in weitere Erklärungen. Bring Elaine an einen sicheren Ort und komme morgen Abend zurück.“

Rob hob Elaine an und hebelte sie sich über die Schulter. „Beeilen wir uns!“

 

Axa hatte den Waldfluch in der Klinik auf Dragonrock erneuert, als sie die freien Gänge sah, so verwunderte es Rob wenig, dass ihn das bekannte Klinikhexenpersonal anflehte, diesen Fluch wieder zu beseitigen. Er gab ihnen die Zusage, sobald es Elaine Dragonblood besser gehen würde.

Die Hexenärzte legten Elaine umgehend in eines der Kühlbäder und hexten ihr einen so starken Starrehexer in den Körper, dass sie praktisch im Tiefschlaf lag. All ihre Organe liefen auf Sparflamme.

Rob streichelte über ihre Wange. „Wie lange wird sie so überleben können?“

„Darüber möchte ich keine Angaben machen. Solch einen ernsten Fall hatten wir schon lange nicht mehr“, antwortete der Hexenheiler ehrlich.

„Aber vielleicht eine vage Schätzung?“, mischte Jason sich in das Gespräch ein.

Der Heiler sah von Elaine zu Jason. „Vielleicht einen Tag. Ihre Temperatur liegt immer noch bei 43° Grad, trotz Kühlwasser.“

„Das muss reichen!“ Jason wandte sich Rob zu. „Wie komme ich zu einem Friseur?“

Momentan eine außergewöhnliche Frage, Rob sah ihn zerstreut an. „Wozu?“

„Ich will diesen langen Pony nicht mehr. Er nervt bei allem.“

„Jetzt, wo sich alle dran gewöhnt haben … aber gut, ich rufe Basimo.“

Der Heiler winkte ab. „Das braucht ihr nicht. Basimo lebt seit einem Jahr nicht mehr hier. Ich könnte euch aber einen anderen Friseur empfehlen. Sollte ich ihn herbeirufen?“

Jason zupfte an seinem Pony. „Ja, bitte. Das Schnibbeln geht ja schnell.“

Während Rob und Jason einen Bissen zu sich nahmen, traf der neue Friseur in der Klinik ein.

Der Heiler führte Jason in einen Nebenraum. „Wart einen Augenblick. Pimores kommt gleich zu dir.“

Jason setzte sich an die Fensterbank und pulte an einer Baumwurzel, die von der Decke herunterhing und blickte aus dem Fenster. Sobald das Mistding vor seinen Augen ab war, würde er aufbrechen!

 

Draußen herrschte das bunte Treiben auf dem Marktplatz, das er von früher kannte. Doch ein wenig hatte es sich schon geändert. Zwischen den Hexen konnte er gelegentlich auch ein paar Dragotsflügel in der Menge sehen.

Er versuchte wenigstens einen Dragot richtig zu sehen, was ihn am heutigen Markttag nicht gelingen wollte. Während er angestrengt nach draußen schaute, betrat eine Person den kleinen Raum. Erst als es klapperte und Geräusche hinter ihm erklangen, schaute er sich um.

Ein verhüllter schmächtiger Hexer rückte unbeholfen den Stuhl vor den Hexenspiegel zurecht.

„Sollte ich helfen?“

„Nein, das kann ich schon allein“, antwortete ihm eine recht helle Stimme.

Dann legte der Hexer seinen Umhang ab. Jason hatte mit einem Mann gerechnet, doch vor ihm stand nun eine Hexe, die noch recht jung war. Er schätzte sie auf höchstens vierzehn. Ihre langen blonden Locken verstärkten den Eindruck ebenso wie ihr hübsches Gesicht. Jason konnte nicht anders, ihre braunen Augen fesselten ihn. „Hast du schon vielen Hexen die Haare geschnitten?“

Die Hexe lächelte spitzbübisch, antwortete aber nicht und zeigte auf den Stuhl. „Setz dich.“

Mehr aus Reflex als Vertrauen kam Jason der Aufforderung nach. Er beobachtete, was die Friseuse in ihren Händen hielt. Auch sie schaute über den Spiegel in Jasons Gesicht.

„Na, Angst?“, fragte sie ihn direkt.

„Wovor?“

„Du guckst, als ob ich eher zu den Gästen ins Hotel gehen wollte.“

So kam sie ja auch rüber, Jason drehte sich zu ihr um. „Du siehst ja auch sehr jung aus.“

„Und jetzt willst du einen erfahrenen Schnibbler?“

„Nö, nicht unbedingt. Basimo war mir auch nicht geheuer.“

Die junge Hexe lachte auf. „Ja, da muss ich dir Recht geben. Basimo hat mich drei Wochen unterrichtet und es waren die schlimmsten drei Wochen meines Lebens. Allein, was er den Kunden für Frisurvorschläge im Spiegel gezeigt hat, war grausam.“

Jason lächelte. „Japp, das hat er bei mir auch gemacht, schrecklich.“

„Gut, darüber sind wir uns dann ja einig. Vielleicht kann ich dich dann ja von meinen Künsten überzeugen. Ich zeig dir mal ein paar Vorschläge und keine Angst, ich richte mich ganz nach deinen Wünschen.“

„Okay, dann zeig mal, was du drauf hast.“

„Ich heiße übrigens Skyla.“

Jasons Magen verkrampfte sich leicht. „Schöner Name. Meine Freundin heißt auch so. Ich heiße übrigens Jason.“

„Dann guck jetzt in den Spiegel, Jason.“

Jason hob seinen langen Pony an und legte ihn über seinen Kopf. Skyla ließ ihn mittels Hexerei im Spiegel verschwinden. „So wäre es ganz ohne Pony.“

„Nee, ist mir zu langweilig.“

„Du willst mehr Pep?“

„Ja, mach mal, dass die Seiten superkurz geschoren sind und nur in der Mitte ein Kamm bis in den Nacken reichte.“

„So, wie die Punker bei den Menschen?“

„Ja.“

Skyla tippte gegen den Spiegel und Jason wuchs ein riesiger Kamm.

„Nee, nicht so hoch und die Seiten nicht ganz kahl.“

Skyla tippte wieder gegen den Spiegel. Der Kamm schrumpfte auf fünf Zentimeter und an den Seiten sprossen Stoppeln aus der nackten Kopfhaut.

„Ja, so ist es gut. Jetzt nur noch die Farbe ändern.“

„Schlag was vor.“

Jason kratzte sich an der Stirn. „Mach mal blond.“

„Jason, wenn ich ehrlich zu dir sein soll, dann alles außer blond. Das passt nicht zu dir. Aber wenn du es selber sehen möchtest.“ Sie änderte seine Haarfarbe.

„Du hast Recht, aber so kann ich es wenigstens selber sehen.“ Jason drehte seinen Kopf etwas um den blonden Kamm genauer zu betrachten. „Welche Farbe schlägst du vor?“

„Rabenschwarz, dadurch kommen deine schönen tiefgrünen Augen voll zur Geltung.“

Jasons Wangen röteten sich leicht, was Skyla nicht entging. Sie lächelte ebenso verlegen und tippte gegen den Hexenspiegel. „Die Seiten lasse ich in deiner Originalfarbe, sonst ist es zu krass.“

Wieder änderte sich sein Spiegelbild und Jason war begeistert. „Ja, so ist es klasse. Kann ich den Kamm auch ‚nicht‘ stehen lassen?“

„Sicher, dann sieht es so aus.“ Skyla ließ den Kamm in sich zusammenfallen.

„Ja, lass es so. Im Moment ist diese Frisur besser. Doch wie bekomme ich es allein hin, dass die Haare stehen?“

„Is ganz einfach. Du musst nur Mund und Nase zu machen und versuchen Luft unter Druck auszupusten.“

Ja sicher … niemals! Aber davon würde er sie gleich in Kenntnis setzen! Jason presste die Lippen aufeinander und verschloss seine Nase mit den Fingern. Er versuchte gegen den Verschluss seiner Atemöffnungen auszuatmen und die Haare richteten sich tatsächlich auf. Tja, und wieder hatte er etwas gelernt, ab und zu konnte man der unsinnigen Aussage einer jungen Hexe ruhig glauben schenken.

„Musst du jetzt noch was an meinem Kopf machen, oder bin ich fertig?“

Skyla tippte gegen den Spiegel und Jason sah seine alte Frisur im Spiegel. „Das war bis hierher nur eine Illusion. Jetzt mach ich es richtig. Halt still!“

Basimo hatte für seinen Haarschnitt eine Beschleunigerkugel benutzt, damit rechnete Jason auch diesmal. Doch Skyla schmierte Jason eine grüne Paste auf die Haare. Prompt fragte er nach und bekam eine Antwort, mit der er nicht gerechnet hatte.

„Nein, wenn ich einen Kunden habe, der mit sympathisch ist, dann mach ich es auf die altmodische Art.“

Wieder wurde Jason verlegen und schaute ihr beim Arbeiten zu. „Was schmierst du mir da in die Haare?“

„Ein Mittel, damit dein Haar schneller wächst. So ist es obendrauf und hinten zu kurz.“

„Dann mach mal.“ Jason sah bei jedem ihrer Handgriffe genau zu.

„Ist diese Skyla deine feste Freundin?“

Jason sah Skyla durch den Spiegel seltsam an.

„Guck nicht so. Wir machen nur Small Talk … ich will nichts von dir.“

„Ja, sie ist meine feste Freundin.“

„Lebt ihr hier auf der Insel? Ich frage nur, weil ich seit ein paar Monaten hier lebe und dich noch nie gesehen habe.“

„Nein, wir leben seit über einem Jahr nicht mehr hier.“

„Das heißt dann ja, du verschwindest bald wieder?“

Erneut fixierte Jason ihr Gesicht. In ihrem Gesichtsausdruck spiegelte sich ein Hauch von Enttäuschung. Seltsam … er wollte das irgendwie nicht. „Ich werde heute Abend die Insel wieder verlassen.“

Nun wanderten ihre Mundwinkel gänzlich gen Süden. „Schade, ich finde dich ziemlich nett. Wie alt bist du?“

„Zwölf.“

„Wow, da hab ich mich aber gründlich verschätzt!“

„Warum, wie alt hättest du mich den geschätzt?“

„So um die fünfzehn bis sechszehn.“

„Seh ich schon so alt aus? Nicht, dass ich was dagegen hätte.“

„Im allgemeinen liege ich im Schätzen nie so weit daneben. Bist du vielleicht ein Halbwesen?“ Skyla stoppte ihre Schere und schaute ihn unverwandt an.

Da es ja schon über ein Jahr her war, dass Dragots wieder ins Hexenreich durften, nahm Jason an, es wäre nicht schlimm ihr die Wahrheit zu sagen. „Ja, bin ich.“

„Noch mal … wow! Ich bin noch keinem so jungen Dragot begegnet. Kannst du mir deinen Flügel zeigen?“

„Hast du hier auf der Insel noch nicht genug Dragots gesehen?“

„Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

„Bist du nicht, aber ich finde nichts Besonderes an mir.“

„Aber ich finde dich besonders. Und außerdem kommt die Beschreibung des Friedenbringers dir sehr nahe. Er soll auch so einen markanten Pony tragen.“

„Gleich aber nicht mehr“, flüsterte Jason, doch Skyla hatte es mit ihren wachsamen Ohren sehr gut verstanden.

„Machst du jetzt weiter oder soll ich dir die Schere abnehmen und selber schnippeln?“

„Nein, nein, ich mach schon weiter!“

Gerade als sie die Schere erneut ansetzen wollte, hielt Jason ihre bebende Hand fest. „Warte! Ich möchte nicht, dass du mit solch zittrigen Händen an meinen Haaren herum schneidest.“ Er stand auf und setzte sich verkehrt herum auf den Stuhl und legte seine Ellenbogen auf die Lehne. „Ich bin der Friedenbringer. Und ich bin nicht gerade wild drauf es zu sein. Hast du jetzt Fragen, die dir auf der Seele brennen? Nur zu!“

Zunächst hexte Skyla sich einen zweiten Stuhl her. Sie war so verdattert, dass ihre Knie weich wurden. „Ich habe die Ehre, dem Friedenbringer die Haare zu schneiden. Das ist der pure Wahnsinn!“

„Bleib auf’m Teppich. Ich bin so normal wie du.“

„Nein, ich könnte nicht die Erde vor den Nebelgleitern erretten. Du bist etwas Besonderes!“

Jason verdrehte seine Augen. „Schaffst du es jetzt meine Haare in Form zu bringen?“

„Ja, ich werde mein Bestes geben, denn mit der Frisur wird der Friedenbringer durch die Welten reisen.“

Jason verkniff sich einen weiteren Spruch, der auf seiner Zunge brannte und drehte sich auf dem Stuhl wieder um.

Skyla bemühte sich ihre zappeligen Finger in den Griff zu bekommen und vollendete ihr Werk mit schnellen Kunstgriffen und einer flink geführten Schere.

„Willst du es von hinten sehen?“

Jason nickte und Skyla hexte einen Spiegel über seinen Hinterkopf.

„Gut, genau so wollte ich es.“

Bevor er aufstand, ließ er sich von Skyla die restlichen Haare vom Lederpanzer bürsten. Direkt vor ihrer Nase blieb er stehen und sah leicht auf sie herab. „Wie alt bist du denn?“

„Ich bin sechszehn und seit einem Monat mit meiner Ausbildung bei sieben Friseuren fertig.“

„Siehst du, ich hätte dich jetzt auch falsch eingeschätzt. Ich nahm an, du wärst höchstens vierzehn Jahre alt.“

Skyla winkte ab. „Das sagt jeder. Liegt wohl an meiner Mutter, sie ist auch nicht groß.“

„Mag sein, das kann ich nicht beurteilen. Was bin ich dir für meinen neuen Schnitt schuldig?“

„Nichts.“

Jason zog die Braunen zusammen. Er wollte gerade anfangen zu protestieren, da schnitt sie ihm das Wort ab. „Es ist gut so, wie es ist. Warte mal, halt still. Da ist noch eine Strähne, die ich übersehen hab.“

Hilfsbereit neigte Jason seinen Kopf zu ihr runter, war ihren Gesicht so nahe, dass ihr der Atem stockte. „Mach!“

„Was?“, fragte sie nervös.

„Na, du wolltest mir doch die Strähne abschneiden.“

„Ja, sicher. Warte, ich muss nach meiner Schere suchen.“

Jason drehte sich kurz von ihr weg und griff hinter sich, denn dort hatte sie die Schere abgelegt. „Hier.“ Er hielt ihr die Schere unter die Nase. „Du hast schöne Augen.“

Nun errötete Skyla bis unter die Haarwurzeln. Jason stand so dicht vor ihr, sie spürte seine Körperwärme. „Kannst du deinen Kopf noch etwas runter neigten?“

Brav ging Jason stattdessen etwas in die Knie, was seinen Körper dem ihren noch näher brachte. Auch er fühlte dadurch ihre Nähe viel intensiver.

„Du hat ein tolles Parfüm“, stellte er steif fest und räusperte sich, weil sein Hals austrocknete.

„Ich trage kein Parfüm an mir. Vielleicht riechst du die Seife, mit der ich mich wasche.“ Nervös zupfte sie an der noch überstehenden Strähne herum.

Jasons Hals war mittlerweile ausgedorrt. Doch das merkte er gar nicht mehr, denn seine Augen hafteten an ihren Ausschnitt, der irgendwie immer tiefer einzusehen war. „Aua!“

„Entschuldige, das wollte ich nicht.“

Jason kam etwas hoch. „Macht nichts!“

Ihre Nasen berührten sich. Keiner wich zurück. „Und was nun?“, flüsterte er superleise.

„Ich weiß nicht.“

„Hast du die Strähne erwischt?“, flüsterte er und kam ihrem Mund näher.

„Ja, ich glaube … ja“, nuschelte sie und verringerte ebenso den Abstand, bis ihr warmer Atem seinen Mund streifte.

„Ich glaube, wir sollten das nicht tun“, murmelte Jason rau und küsste sie dennoch vorsichtig. Postwendend erhitzte sich sein Drachenblut, als sie seinen Kuss erwiderte. Ganz sachte legen sich ihre Arme um seinen Hals und er umfasste ihre Mitte.

 

Dann kam ein Blackout … wie er ihn noch niemals zuvor erlebt hatte …

 

Nach fast einer Stunde saß Jason allein in dem Zimmer und grübelte darüber nach, was gerade passiert war, weil er irgendwie einen kompletten Filmriss hatte. Müde, ausgelaugt und mit weichen Knien stand er auf, verließ das Zimmer.

 

Rob saß neben dem Kühlbett als Jason das Zimmer betrat. „Wo warst du so lange?“

Jasons Wangen glühten. „Ich habe mir von einer netten jungen Lady die Haare schneiden lassen. Und ist die Frisur gelungen?“

„Wie man’s nimmt. Der Pony ist weg und damit hast du wieder ein freieres Gesichtsfeld.“

„Und was sollte ich von der Aussage halten?“ Jason hielt seine Nase zu und presste die Lippen aufeinander, seine Haare richteten sich auf.

Der Bengel hatte eindeutig noch nicht alle verrückten Flusen aus seinem sturen Schädel herausbekommen, aber das wäre legitim, denn er war ja noch ein Kind. Rob grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Hat dir schon mal einer gesagt, wie du unmöglich bist?“

„Ja, des Öfteren.“ Jason setzte sich zu seinem Vater. „Und was machen wir jetzt?“, wollte Jason von ihm wissen.

„Du fliegst zu Idalos rüber und sprichst mit ihm über deine acht Angelegenheiten.“

„Und was machst du?“

„Ich halte Händchen mit deiner Mutter.“

„Können wir nicht tauschen?“, fragte Jason trübselig.

Rob wuselte über seinen Kamm, was der Frisur nicht anhaben konnte, der Iro stellte sich sofort wieder auf. „Nee, geht nicht.“

„Ich bin müde … und fix und fertig“, maulte Jason.

„Junge, ich glaube, du hast dich mit deiner Friseuse zu sehr verausgabt.“

Jason senkte seinen Kopf und sah, worauf Rob anspielte, er hatte seine Hose falsch zugeschürt. Verlegen korrigierte er die Schnürung und stand hibbelig auf. Die fehlende Zeitspanne setzte ihm noch zu.

Rob sah seinem Sohn an, dass, was auch immer passiert war, ihm peinlich war.

„Nicht jedes Paar hat solch eine seelische Verbindung wie deine Mutter und ich. Mach dir keine Gedanken. Dein innerlicher Drache ist auch schon viel zu weit entwickelt, daher kann es kommen … dass die - sagen wir mal - Drachentriebe mit dir durchbrennen.“

Jason zog seine Brauen hoch. „Kann man mir irgendwas ansehen? Obwohl ich gar nicht weiß, was überhaupt in der letzten Stunde passiert sein soll?“

„Ja ... und ich kann riechen, dass du dir nicht nur die Haare hast schneiden lassen.“

„Stinke ich?“

Irgendwie schien Jason nicht zu begreifen, was er anscheinend … nein, unter Garantie getan hatte!

Wie sollte er seinem Jungen noch mehr verdeutlichen, dass er für sein Alter schon viel zu weit wäre? Rob lächelte unverschämt. „Das nicht, aber unter gewissen Umständen legte sich ein bestimmter Geruch auf die Haut.“

„Dann flieg ich erst mal nach Omas Haus und dusche, ehe ich zu Idalos rüber fliege.“

„Lass dir nicht zu viel Zeit und betrete ihr Haus mit guten Gedanken, das hat es nach der ganzen Aufregung bitter nötig.“

„Könnte Leolein dort aufkreuzen?“

„Sicher kann man nie sein. Aber ich denke nicht, dass er sich dort einquartiert hat. Sollte ich mitkommen?“

„Nein, pass du mal lieber auf Mama auf.“ Jason öffnete die Tür und sah kurz zurück. „Bis später.“

Rob nickte nachdenklich und Jason verließ die Klinik. 

Draußen atmete Jason tief durch und ging los. Was immer auch mit der jungen Hexe gelaufen war, sein Unterbewusstsein strich es aus seinen Gedanken! Er rief seinen Besen und wartete am Rande des Marktplatzes.

Gute fünf Minuten vergingen, ehe sein Besen in seiner Hand landete. Jason streichelte über den Stiel und stellte beglückt fest, wie dieser unter seinen Fingern erzitterte. „Ja, wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen, aber nun bleibst du an meiner Seite“, flüsterte er ihm zu und setzte sich darauf. Er überflog das Dorf, ohne weiter auf die Leute zu achten, und landete in Vanillas Vorgarten.

Aus irgendeinem Grund blieb Jason stehen, er sah sich um und ließ die Umgebung auf sich einwirken, denn alles machte so einen friedlichen Eindruck auf ihn. Fast erwartete er, seine Oma würde gleich aus dem Fenster guckte oder die Tür für ihn öffnete, um ihn zum Essen zu rufen. Doch sie war tot und würde nie wieder dieses Haus betreten und er würde ihre Stimme auch nie wieder hören!

Eine Windböe setzte die Schaukel auf der Terrasse in Bewegung, die Ketten knarrten. Automatisch kam Sparkie in seine Gedanken und wie er mit ihr zusammen so oft auf der Bank gesessen hatte. Er musste an den Tag denken, an dem er Rex mit Skylas Hilfe zum ersten Mal mit Würmern aus dem Garten gefüttert hatte, und wie der Drache danach träge sowie vollgefressen in der Sonne lag. Auch war er sich in diesem Augenblick nicht mehr sicher, wie sinnvoll es gewesen war, Drag für ein Jahr ins Reich der Höllenhunde zu schicken.

Der weiße Höllenhund fehlte ihm sehr, doch Drag musste lernen, was es hieß ein Höllenhund zu sein. Charly oder nun Fararot, Fürst der Höllenhunde, hatte Drag, eine Woche nachdem sich alle erholt hatten, abgeholt und würde ihn in einem Jahr wieder in Jasons Obhut übergeben.

Missmutig, da seine Gefühle ihn bedrückten, betrat Jason die Terrasse und blieb vor der Tür stehen. Er legte die Hand auf die Klinke und drückte sie langsam runter.

Boah, ekelig … ein widerlicher Geruch drang in seine Nase, als er die Tür einen Spalt aufgemacht hatte. Jason hielt sich die Nasenlöcher zu und stupste die Tür gänzlich auf. Augenblicklich schnürte ihm ein fetter Kloß die Kehle zu, er stolperte zurück und übergab sich über das Terrassengeländer.

Die Wohnung stand zentimetertief im Dreck. Zwischen dem Unrat ragten Knochen heraus. Jason konnte es nicht wissen, Dämonen hatten so ihre eigene abstoßende abscheuliche Art zu feiern. Ob nun an allem Leonard schuld war - oder die Belagerung durch Axa und ihr Gefolge - war nicht mehr nach zu vollziehen. Und da der Grundbesitz des Hauses nicht zur Dorfgemeinschaft gehört, hatte sich bei der Instandsetzung keiner um das Haus gekümmert.

Es stank bestialisch zum Himmel und Jason war mit der Situation hoffnungslos überfordert. Sicher gab es einen Hexspruch, der allen Müll und die Leichenteile weghexen könnte, doch den kannte Jason nicht. Mutlos bestieg er seinen Besen und flog zur Klinik zurück.

 

Rob war sichtlich erstaunt, Jason so schnell wieder zu sehen. Doch nachdem ihm Jason die Lage geschildert hatte, stand er augenblicklich auf. „Ich begleite dich. Wir machen das zusammen.“

„Kannst du Mama denn allein lassen?“

„Ihre Körpertemperatur ist konstant bei 39° Grad, sie ist so tief im Schlaf, dass ich es wagen kann.“

Beide machten sich auf den Weg als Robs Besen erschien. 

Auch Rob hatte damit zu kämpfen, sich sein Frühstück nicht noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. „Hier ist ja alles verdreckt! Wenn ich es nicht besser wüsste, dass Axa sich nicht zu solch einem Scheiß herablässt, dann würde ich sagen, sie hat uns diese Überraschung extra hinterlassen.“

„Wie kommst du darauf?“

„Die Knochen gehören zu den Gästen des Schlosses. Ich erkenne einige der Stammgäste an den Fetzen ihrer eigenwilligen Bekleidung.“

„Sollten wir die Wächter darüber in Kenntnis setzen?“

Nun musste Rob würgen. „Ja.“ 

Rob brauchte nicht weit zu fliegen, um dem ersten Harmwächter zu treffen. Ihre Präsents war immer noch gewaltig.

Wenig später wimmelte es vor Wächtern im und vor dem Haus.

Die Aufräumarbeiten waren trotz des Chaos schneller erledigt, als Rob erwartet hatte. Von der Einrichtung war nichts mehr zu gebrauchen. Überall steckte der beißende Geruch von Verwesung drin.

Nachdem alle Hexer wieder weg waren, standen Rob und Jason mitten in der leeren Stube. Nur der offene Kamin erinnert an den Raum, in dem Jason sich am liebsten aufhielt.

„Wie wollen wir das Haus einrichten? So wie es war oder hast du einen anderen Vorschlag?“

„Wenn ich nach meinen Erinnerungen gehe, dann wieder so wie es war. Aber Oma kommt dadurch nicht wieder und alles erinnert an sie.“ Jason schaute seinen Vater betrübt ins Gesicht.

„Mir geht’s genauso. Richten wir es neu ein, aber kein Schnickschnack.“

Jason und Rob kratzten sich gleichzeitig am Kopf. „Was verstehst du unter Schnickschnack?“

„Möbel, die nicht bequem sind, sondern nur Anschauungswert haben.“

„Du meinst, so wie Mamas Sofa bei den Menschen. Das sah lustig aus, war aber sau unbequem. Ach, das hast du ja nicht gesehen.“

„Doch hab ich und es stimmt, absolut unangenehm. Besonders beim ... nein, lassen wir das lieber.“ Rob grinste in seine Erinnerung rein und hexte das erste Möbelstück herbei. Ein U-förmiges schwarzgrau Sofa, das seinesgleichen suchte, stand mittig in der Wohnstube. Und man sah dem guten Stück seine Urgemütlichkeit förmlich an.

Prompt ließ Jason sich in die weichen Polster fallen. „Ja, das ist klasse.“

Nacheinander richteten sie abwechselnd Tisch, Schränke und Kommoden ein. Jason hatte anfangs leichte Schwierigkeiten, die korrekten Hexsprüche zu zitieren, doch es klappte immer besser.

„So, den Rest mit dem Teppichen und Tapeten mach ich allein, du gehst dich duschen. Die Zeit läuft uns davon.“

Jason nahm immer zwei Stufen auf einmal und stürmte in sein Zimmer. Hier standen noch alle Möbel. Die Wächter hatten sie nur wieder sauber gehext. Neugierig und auch ein wenig ängstlich öffnete Jason seinen Schrank.

Puh, all seine Sachen waren noch da. Doch Jason hatte sich so an seine maßgeschneiderte Ledersachen gewöhnt, ungeachtet schloss er den Schrank wieder. Er löste seine Schnüren und schmiss das Lederoberteil aufs Bett, gefolgt von seiner Hose.

Das warme Wasser war eine Wohltat für seine angespannten Muskeln. Klatschnass ging er wieder ins Zimmer zurück. Er hexte seine Ledersachen sauber und setzte sich aufs Bett. Mit seinen Z-Stab hexte er sich trocken und zog sich wieder an.

„Das war’s dann wohl“, murmelte er und verließ sein Zimmer.

Melancholisch ging Jason auf die Treppe zu und blieb am Geländer stehen, sah nach unten. Rob musste in der Küche sein, die Geräusche von rückenden Möbeln kamen von daher. Irgendwie hatte Jason keine Eile mehr, er stieg langsam die Stufen hinunter und warf einen Blick in die Stube.

Rob hat ein neues Bücherregal hinten an die Wand gehext, doch die Bücher fehlen noch.

„Na, gefällt dir der Teppich?“ Rob stand direkt hinter Jason, legte die Hände auf die Schultern seines Sohnes.

„Ja, passt prima zu allem. Wie weit ist der Rest?“

„Stube und Küche sind fertig. Wie sehen die Zimmer oben aus?“

„Ich war nur in meinem, aber das ist wie es war.“

„Gut, dann lass uns aufbrechen. Ich bring dich zum Schloss. Den Rest können wir ein anderes Mal erneuern.“

Erleichtert atmete Jason ein, er konnte das Bild des Flures mit der Knochensuppe und dem ganzen anderen Unrat nicht aus dem Kopf kriegen.

 

Mittlerweile war es später Nachmittag. Die gigantische Festung lag in einem leichten Nebel. Auch der Himmel war so grau wie selten. Die feuchte Luft stand zwischen den Türmen. Einige Fenster, hinter denen Licht brannte, wirkten wie Irrlichter.

Jason überlief eine Gänsehaut. „Ich habe das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Frag mich nicht wieso, es ist einfach so.“

„Gut, halten wir die Augen offen.“

Sie landeten vor dem Schloss.

Einige der Kinder, die länger bei den Gästen lernten, kamen aus dem Schloss und hoben ab. Jason erkannte keines von ihnen.

Rob stieg vor Jason die Treppe empor. „Ich kann dich nicht bis in den Schaukasten begleiten, nur bis zu den Pentagrammen.“

„Das reicht mir schon.“

An der Rezeption stand ein alter Bekannter, dem weder Rob noch Jason aufs Fell gucken konnten.

Der stellvertretende Hotelleiter Mr. Hangpulling linste über seinen Brillenrand, wie gewohnt er trug seinen grauen Anzug. Sein feistes Gesicht verlor das herablassendes Grinsen als er erkannte, wer da auf ihn zukam.

Rob lächelte anmaßend und stellte sich an die Rezeption. „Mr. Hangpulling, schön, dass Sie noch da sind.“

Die härteste Lüge, die Jason je aus dem Mund seines Vaters gehört hatte.

„Das beruht auf Gegenseitigkeit, Sir Williams“, würgte Mr. Hangpulling vor.

„Ist es möglich, den Katakomben einen Besuch abzustatten?“

Der Mann nickte und blickte zu Jason. „Kindern ist der Zugang nicht mehr gestattet.“ Betonte er nicht ohne einen Spur von Hohn in der Stimme und grinste dabei Jason gehässig an.

Jason sah zu Rob auf, der blieb ruhig und gelassen.

„Ich denke doch, Jason würde eine Ausnahme bildet. Oder sollten wir vorzugsweise Mrs. Stiffbotter um Erlaubnis bitten?“

„Mrs. Stiffbotter weilt nicht mehr unter uns. Sie ist seit den Vorfällen, im letzten Jahr, nicht mehr gesehen worden und die Wächter haben seitdem jeden Kontakt zu ihr verloren. Ich bin nun der Hotelleiter.“ Wieder dieser zynische Ton in seiner Stimme. Unverhohlen starrte er Jason an. „Vielleicht kann ich es einrichten, dass Jason Dragonblood ein bis zwei Stunden zu den Gästen kann. Während Sie sich in den Katakomben vergnügen.“

Jason neigte seinen Kopf, er war nahe dran einen Luftdrag auf den Hotelleiter zu schießen. Leise atmete er tief ein und sammelte die Atemluft in seinen Lungen.

Dieser Atemzug war nicht leise genug ... Rob legte seine Hand auf Jasons Schulter. „Lass es“, flüsterte er seinem Jungen zu und sah zum Hotelleiter auf.

Rob startete einen neuen Anlauf. „Unter welchen Umständen wäre eine Erlaubnis in Kraft zu setzten?“

„Unter keinen!“, antwortete Mr. Hangpulling stur.

Entgegen seiner Natur blieb Rob in seiner ruhigen Gelassenheit. „Gut, dann müssen wir uns mit den Wächtern in Verbindung setzen. Sicher werden die Wächter der Harmonie dem Friedenbringer Einlass gewähren, wenn es der zukünftigen Sicherheit dieser Insel dient.“

Ein süffisantes Lächeln breitete sich auf dem feisten Gesicht des Hotelleiters aus. „Die Wächter selbst haben diesen Erlass erwirkt!“

Das galt es zu überprüfen! Ganz gegen seine Prinzipien rief Rob gedanklich nach einem Wächter. Und seine innere Stimme wurde erhört.

Hinter dem Hotelleiter tauchte eine Hexe im Wächtergewand auf. Mr. Hangpulling wich vor der Frau zurück und diese stellte sich an den Empfang und sah den Leiter an.

„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte sie freundlich.

Mr. Hangpulling zupfte ein Taschentuch hervor und tupfte sich den Schweiß von der Stirn, der drohte an seinem Gesicht herunter zu laufen. „Wir haben alles im Griff. Ich komme ganz gut allein zurecht.“

„Das denke ich nicht!“, warf Rob ein.

Die Wächterin versuchte in Robs Gedanken zu dringen, doch er blockte ab. Seine Flügel fuhren aus seinem Rücken.

Die Situation entglitt allen.

„Ich möchte in den Schaukasten, Idalos Dragonblood besuchen“, meldete Jason sich zu Worte.

Rob sah ihn strafend an. „Verhülle deine Gedanken, sofort!“, fuhr er Jason an.

Jason schloss die Augen und blockte die Wächterin ab.

Die Wächterin lächelte Rob an. „Ich kann Ihnen nicht gewähren, die Schaukästen aufzusuchen.“

„Es ist zwingenden erforderlich, um die Zukunft zu sichern“, beharrte Rob auf seinen Wunsch.

„Idalos Dragonblood ist nicht in der Lage Besuch zu empfangen.“

Jason starrte erst die Wächterin, dann seinen Vater an. „Ist er krank?“, fragte er in seiner kindlichen Naivität, ohne über seine Worte nachzudenken.

„Man könnte es so nennen“, antwortete die Harmwächterin ausweichend und lächelte Jason an.

„Vielleicht kann ich ihm helfen“, bohrte Jason weiter.

Die Wächterin lehnte sich über den Tresen. „Wie willst du einem Geist helfen? Du kannst ihm keine Medizin geben oder ihn mit Hexerei heilen. Außerdem ist schon Hilfe bei ihm.“

Jason wandte sich Rob zu. „Ich muss zu ihm. Papa, mach was, sonst tu ich es!“

Alle starrten Jason an. Sein Tonfall ließ alle wissen, wie ernst es ihm war. Rob sah sich um und schüttelte den Kopf. Aus jeder erdenklichen Tür trat ein weiterer Wächter hervor und näherte sich der Rezeption. „Es sind zu viele.“

„Nein, ich schaff sie alle“, flüsterte Jason ihm zu.

„Nein Jason. Wir brauchen eine Genehmigung.“

Er sah zur Wächterin. Die Lage spitzte sich zu. Jason trat an den Tresen heran. „Bitte erlauben Sie es uns.“

Die Wächterin schüttelte den Kopf. Jason wich zurück, ging rückwärts, bis die Wächter ihn eingekreist hatten.

„ROTAN ABWERT BLAGO!“, schallte es plötzlich durch den Empfangssaal.

Alle erstarrten, einschließlich Jason und Rob. Vor Jasons Augen wurde es schwarz.

 

„OBWERT NATOR SOGA!“

Jason erwachte aus seiner Starre und merkte, er lag im Gras. Sein Kopf dröhnte, als ob er gleich explodieren würde. Langsam drehte er sich auf den Bauch.

„Mach eine Heilwandlung!“

Aus weiter Ferne nahm Jason die Worte wahr, doch diese tiefe Schwärze lullte ihn wieder ein.

Wann er erneut erwachte, konnte er nicht sagen, aber sein Kopf schmerzte immer noch wahnsinnig.

„Mach eine Heilwandlung!“

Wiederholte die dunkel, aber bekannte Stimme und kurz bevor er das Bewusstsein wieder verlor, drückte Jason seine Flügel raus, wandelte sich zum Dragot und zurück.

Die Schmerzen, die seinen Kopf zu zerreißen drohten, klangen ab. Jason lag weiterhin auf seinen Bauch, versuchte sich abzustützen, da wurde er herumgedrehte. Helfende Hände setzten ihn auf. Rob und Bilwer guckten ihn besorgt an. Ein leichter Schwindel ließ Jason die beiden doppelt sehen.

„Wandle dich noch mal.“

Jason drückte seine Flügel ein weiteres Mal raus. „Wo bin ich?“, nuschelte er und bemerkte den pelzigen Geschmack auf seiner Zunge.

„Du bist in Sicherheit. Komm trink einen Schluck.“

Jemand hielt ihn eine Flasche an den Mund. Jason schluckte so gierig, dass er sich prompt verschluckte. Irgendwer klopfte ihm auf den Rücken, worauf er kräftig aushustete.

Jason drückte seine Augenlider zusammen, öffnete die Augen, verschloss sie und machte sie wieder auf. „Wo bin ich?“, fragte er erneut.

Abermals erschien Bilwer in seinem Blickfeld. „Wie geht’s dir?“, fragte er Jason.

„Ich hab das Gefühl, dass tausend Drachenpferde samt Kutschen durch mich durchgerast sind. Dabei hatten sie es auf meinen Kopf ganz besonders abgesehen.“

„Dann wandle dich weiter, bis es aufhört.“

Weitere fünf Mal wandelte er sich von Hexer zum Dragot und zurück.

Kaum wieder klar im Kopf, schaute Jason sich sofort hektisch um. „Warum sind wir vor der Festung? Ich war doch eben noch im Schloss. Was ist passiert?“

Rob sah ihn immer noch besorgt an. „Wir sind im Schaukasten. Du bist doch mit uns zusammen hierher gekommen. Erst wie wir dem Rasen betreten haben, bis du einfach umgekippt.“

„Dann muss ich einen Filmriss gehabt haben. Ich erinnere mich nur daran, dass mir in der Halle schwarz vor Augen wurde.“ Jason streckte seine Glieder.

Bilwer und Rob starrten sich skeptisch an. „Die Acht. Ich denke hier im Hotel ist einer von ihnen. Sie tasten sich an Jason heran. Suchen seine Schwachstelle“, murmelte Bilwer Rob zu.

„Die Wächter kennen alle acht. Keiner von denen lässt diese Monster auf die Insel.“

Bilwer neigte seinen Kopf von einer Seite auf die andere. „Die Zeiten ändern sich. Durch Axas Abflug können sie ungehindert handeln.“

Als ob Rob dort oben einen der Acht erspähen könnte, blickte er hoch zum Glas des Schaukastens. „Aber ich habe sie nicht gespürt.“

„Sie verfügen über all ihre Kräfte“, betonte Bilwer. „Ist das Schloss schon auf Dragotan erschienen?“

Rob nickte.

Jason sah vor sich etliche Speisen und bediente sich, während Rob und Bilwer ihre Gedanken austauschten.

„Wenn du die Folterkammer für Jason meinst?“

„Folterkammer?“, wiederholte Bilwer beunruhigt.

Mit vollem Mund mischte Jason sich ein. „Ja, Zolmer hat mir ein Schloss mit acht, nein, neun Türmchen vor die Nase gesetzt und will, dass ich mich acht Angelegenheiten stelle.“

„Wozu dann der neunte Turm?“, hakte Bilwer nach.

„Um meine Ängste und Sorgen in den Griff zu bekommen. Oder so was ähnliches“, antwortete Jason.

Bilwer schüttelte kaum merkbar den Kopf. Er wusste, es dürfte keinen neunten Turm geben, doch er behielt sein Wissen vorerst für sich. „Du weißt, wofür die acht Türme da sind?“

„Nee, woher? Zolmer wollte ja mit der Sprache nicht rausrücken.“

„Ich kann dir auch nicht genau sagen, was dich in den Türmen erwartet. Aber du suchst nach den vier hohen Aufrüstern. Sie sind von den Achten, als Chance dich ihnen zu widersetzen, erschaffen worden.“

„Jetzt fühle ich mich verarscht! Die wollen mich ausschalten, geben mir aber die Möglichkeit sie zu vernichten?“

„Es besteht ein Pakt zwischen den Achten. Sie werden dich vernichten, wenn es nach ihnen geht, um dann die Herrschaft übernehmen und das weltenweit. Dafür brauchen sie die Aufrüster, doch es gibt nur vier und keiner darf seinen eigenen Aufrüster verwenden. Ergo haben sie die Aufrüster vor sich selbst versteckt und da kommst du ins Spiel.“

„Blubber, blubber, quak, quak! Ich verstehe nur Bahnhof.“

„Gut, für dich noch mal ausführlich. Idalos hatte die Maske gefertigt. Die Maske war ihm über den Kopf gewachsen. Die Drachengöttinnen gaben ihm die Chance, durch acht hochrangige Hexengroßmeister von ihr loszukommen. Doch das Versiegeln der Truhe brachte ihnen zugleich den Tod, in ihren damaligen Körpern. Sie kamen jedoch in ihren Nachfahren wieder und gründeten diesen Pakt gegen die Drachengöttinnen. Man versprach ihnen nämlich im Vorfeld Reichtum und Herrschaften über riesige Völker, für das versiegeln der Maske und nicht den Tod. So trafen sie sich einige Jahre in den Körpern ihrer Kinder wieder, und dann erschufen je zwei Hexenmeistern, je einen hohen Aufrüster und jeder der vier Aufrüster wurde vor den anderen sechs versteckt.“

„Warum haben sie nicht gleich acht Aufrüster gebaut?“, fragte Jason beiläufig.

„Weil es nur vier Grundelemente und vier Himmelsrichtungen gibt.“

„Alles klar“, maulte Jason, weil er darin keinen Sinn oder eine Erklärung sah.

„Jason, dir die Sache in allen Puzzleteilen zu erklären führte zu nichts. Oder doch, dein Kopf qualmt ununterbrochen. Die vier Aufrüster sind natürlich nicht wirklich für dich bestimmt gewesen, doch die Acht denken, dass du sie zu den Aufrüstern führen wirst.“

„Durch die vier Türme in meiner Folterkammer?“

„Acht Türme“, verbesserte Bilwer ihn.

„Nee, es sind laut deiner Aussage vier Aufrüster. Ergo vier Türme und die restlichen sind Nieten.“

Rob musste sich ein Lachen verkneifen, Jasons Logik war erschlagend.

Ein Schmunzeln ließ sich nicht unterdrücken und doch atmete Bilwer tief ein, es machte sich auch für ihn bemerkbar, Jason war einfach noch zu jung. Deshalb duldete er es auch, dass Jason ihm widersprach und in seinen Augen unpassende Bemerkungen machte.

Bilwer stellte aber auch fest, welch Ruhe er selber an den Tag legte. Früher hätte er jeden, der ihn nur ansatzweise ins Wort gefallen wäre, in der Luft zerrissen. „Kein Turm ist, wenn ich es in deine Worte fasse ‚eine Niete‘. Die anderen vier Türme ermöglichen es dir erst, die Aufrüster in den anderen Türmen zu finden und ihre Bedeutung zu ergründen.“

„Schlüsselsuche?“, quakte Jason wieder dazwischen.

„Was?“, fragte Bilwer irritiert.

„Is nicht wichtig“, warf Jason ein, da er registrierte, wie Bilwer ihn ansah.

„Doch, alles ist wichtig!“, knurrte Bilwer und blickte Jason nun böse an.

„Okay, ich hab mal ein Computerspiel gespielt, in dem man Schlüssel suchen musste, um Türen zu öffnen. Ohne die Schlüssel kein Schatz.“

„Computerspiel?“

Wie sollte er Bilwer erklären, wie ein computeranimiertes Spiel ablief? Jason zog seine Brauen in die Stirn. „Ich sagte ja, unwichtig.“

Gleich würde er platzen, Bilwer atmete wieder tief ein.

Auch Jason fühlte die sich aufbauende Spannung und versuchte Bilwer zu besänftigen. „Ich werde dich jetzt nicht mehr unterbrechen. Tut mir leid.“

„Es würde der Sache dienlich sein.“

Um sich selber nicht zu widersprechen, stopfte Jason sich vorsorglich einen großen Bissen in den Mund.

„Gut, wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Um an die Aufrüster zu gelangen, musst du die Seelenwesen finden, in denen der Hinweis auf den jeweiligen Aufrüster steckt. Es ist unseren Vorfahren in den letzten Jahrhunderten gelungen, die Hinweise Seelenwesen zukommen zu lassen. Bis dahin war es eine sehr beschwerliche Suche. Und wenn man den Überlieferungen Glauben schenken kann, dann würde für dich keine Chance bestehen, ohne die Vorarbeit der Ahnen.“

„Darf ich fragen, warum?“, hakte Jason nach.

„Ja. Der Pakt wurde unter ominösen Umständen bekannt und Zolmer, der weise Drache schickte Spione aus, die das Bündnis überwachen und auskundschaften sollten. Sie riskierten ihr Leben, denn die hochrangigen Hexer wollten sich natürlich nicht in die Karten sehen lassen. Drei haben es auch nicht überlebt, sie wurden entdeckt. Lange Rede kurzer Sinn, sie haben es nach Ewigkeiten geschafft, die Wegweiser in Lichtwesen zu verstecken und die musst du suchen.“

„Lichtwesen, ich dachte du hast gesagt, es wären Seelenwesen?“

Bilwer schmunzelte. „Das ist das gleiche.“

„Und warum darf ich in den Türmen nicht hexen oder irgendwas machen, was damit zu tun hat?“

Auch hierzu lieferte Bilwer eine Erklärung. „Die Spurenfinder kleben bereits an deinen Hacken. Sie schlagen zu, wenn du die Aura um dich veränderst. Was so ziemlich jedes Mal der Fall ist, wenn du hexte oder dich komplett zum Drachen wandelst.“

„Was ist eine Aura und warum änderte die sich?“

„Jedes Wesen und alles um es herum hat eine Aura, selbst die Erde hat eine Aura. Es ist die Seele, die in allem wohnt. Deine Seele ist nicht nur in dir drin, sie umgibt dich auch.“

„Warum?“

Für Jasons Alter eine berechtigte Frage, Bilwer kraulte sich durch seinen weißen Bart am Kinn. „Du hast für Heute genug zu verarbeiten.“

„Okay, ich muss eh gleich wieder los. Die Mädchen wollen, dass ich mich für Mama von einem ‚Drag Ham‘ im Seelenziehen unterrichten lasse.“

„Drag Ham? Was ist mit deiner Mutter?“, fragte Bilwer und schaute gleichzeitig zu Rob.

„Ich erkläre das Bilwer allein. Geh du zu Walli, sie wartete schon sehnsüchtig.“

Jason sah sich um. „Bevor ich zu ihr geh, möchte ich gerne wissen, warum Idalos krank sein sollte und warum du überhaupt hier ist?“

„Axa hat sich mit Hilfe ihrer Dämonenratten eine Möglichkeit eröffnet, den Schaukasten mit Dämonenblut zu verseuchen. Idalos hat versuchte das Blut aus dem See zu verbannen, doch er kam in Berührung mit dem Blut und wurde irrsinnig. Rip hatte vorsorglich alle im Luftturm schlafend eingeschlossen, doch für Idalos kam jede Hilfe zu spät.“

„Ist er tot?“ Bereits in dem Moment, in dem er diese Frage stellte, kam sie ihm rational schon irre komisch vor. Idalos war ein Geist!

„Jason, er ist doch schon lange nicht mehr am Leben“, bemerkte Bilwer.

„Ich habe nicht nachgedacht. Aber irgendwas muss doch mit ihm sein.“

„Ja, die Magie des Dämonenblutes hat seine Masse oder was auch immer verändert, sodass er nicht mehr klar denken kann.“

„Und wie ist es jetzt? Hat er sich aufgelöst?“, wollte Jason wissen.

„Nein, aber ich musste ihn in eine Blase bannen, nachdem ich ihn mit meinem Blut gereinigt habe.“

„Warum?“, fragte Rob dazwischen.

Für einen Augenblick ruhte Bilwers Blick in dem von Rob. „Er wollte eine Dragseele und einen Körper.“

Synchron klappten Rob und Jason die Münder auf. Beide konnten sich denken warum, doch Jason wollte es aus Bilwers Mund hören.

„Er wollte auferstehen“, antwortete Bilwer leise.

Hinter Bilwer raschelte es im Gebüsch. „Rip, komm vor. Es ist der Friedenbringer und sein Vater. Du brauchst keine Angst zu haben.“

Ein kleiner Halbdrache mit menschlichem Gesicht und Stummelflügeln, die sicher nicht zum Fliegen geeignet waren, kam langsam zwischen den Ästen hervor. Seine Vorderpfoten sahen mehr menschlich aus, die Hinterläufe hatten lange, scharfe Krallen. Seine Schuppen waren weißgräulich. Der Drachenschwanz wedelte nervös herum, klopfte ab und zu auf das feuchte Gras. Aus Hals und Wangen wuchsen krumme Hörner. Seine spitzen Ohren waren in Bilwers Richtung gedreht.

Jason bemerkte sofort, wie seine schwarzen Augen ihn von oben bis unten musterten. „Wir kennen uns doch schon. Es ist schön, dass ich dich endlich mal sehen kann“, flüsterte Jason dem ängstlichen Wesen zu.

Rip lächelte, kuschelte sich an Bilwer und ließ sich den Hals kraulen.

Verdrossen blickte Bilwer an den Türmen empor. „Den Hexen geht es gut. Nur Idalos, ihm konnte ich nicht weiterhelfen.“

Trotz alledem oder gerade deshalb, Jason schaute Bilwer erst an. „Kann ich ihn sehen?“

„Sicher Jason, folge mir.“

„Wartete, ich klink mich aus.“ Rob zog es nach Elaine, was beide verstanden.

Jason fiel seinem Vater in die Arme. „Ich komme, bevor ich nach Dragotan fliege noch mal vorbei. Pass gut auf Mama auf.“

„Mach ich. Bis nachher.“ Rob flog zum Ausgang.

„Er wollte mir noch sagen, was mit deiner Mutter ist. Nun gut, gehen wir.“ Bilwer ging voran, Rip an seiner Seite.

Jason holte auf und erklärte, warum es Elaine schlecht ging.

Obwohl ihn einiges dazu einfiel, unterbrach Bilwer ihn nicht. Er wartete bis Jason zu dem Teil kam, in dem Elaine in Kühlbett lag.

Rip war mittlerweile verschwunden.

„Sie hätte Robs Blut nicht trinken dürfen. Aber vielleicht war es doch gut, ich habe nie zuvor ein Paar gesehen, dessen Nähe so stark war. Rob wusste immer, wann es ihr schlecht ging und war sofort an ihrer Seite und sie sendete ihm Signale. Sie sind seelenverwandt. Ich nehme an, sie tat es aus reiner Verzweiflung oder mit einem Wissen, das wir nicht einmal erahnen können. Leonard ist und blieb ein Tier.“

„Was bewirkt sein Blut in ihrem Körper?“

Bevor er antwortete, hob Bilwer ab, flog den Erdturm an und wartete, bis Jason neben ihm gelandet war. „Dämonenblut ist schwarz und zähflüssiger. Je nach Grad des Dämons wird es instabil. Manche der Dämonen können sich wandeln, deren Blut ist dann nochmals anders zusammengesetzt. Hexenblut ist voller Magie, es kann Krankheiten der Menschen abwehren. Ist um ein vielfaches stabiler gegen alle Viren und Bakterien. Unser Blut ist eine Mischung aus Hexenblut und Drachenblut, aber in einer anderen Form wie bei den Halbwesen. Unser Blut ist durch Magie entstanden, lebendiger Magie. Sollte ein Dämon versuchen, dir sein Blut aufzudrängen, wäre das solange gefährlich, wie du keine Heilung machst. Dir bliebe bei einer Dämonenbluteinnahme genau zwei Minuten Zeit, ehe es deinen ganzen Körper infiziert hätte.“

„Ist dieser Bolak mit Axas Blut infiziert. Sie ist doch auch eine Dämonie?“

„Sie ist eine Halbdämonie und er trägt blaues Blut in sich, das vermischt sich mit keinem anderem Blut, ist einzigartig. Wenn du so willst eine Laune der Natur.“

„Und ihr gemeinsames Kind?“

„Wenn die Laune der Magie nichts Neues daraus entstehen lässt, dann wird das Kind sein Blut in sich tragen.“

„Sie gebärt es und es hat sein Blut?“, hakte Jason nach.

„Ja, das blaue Blut in seinen Adern ist stärker als alles, was ich kenne.“

„Und was ist nun mit meiner Mama?“

„Wenn sie den heutigen Tag überlebt, dann wird es wohl richtig sein, dass sie sein Blut getrunken hat.“

„Jetzt verstehe ich nichts mehr? War es jetzt gut oder nicht?“

„Jason, ich weiß, dass deine Mutter mit dem Tode ringt. Diesen Kampf vielleicht schon fast verloren hat, aber du kannst jetzt eh nichts mehr erreichen. Leonards Blut ist schon zu lange in ihr.“

Jäh blieb Jason stehen. „WAS? Wozu sollte ich dann noch nach Dragotan zurückkehren?“

„Du musst die Dinge akzeptieren, wie sie sind. Eigentlich hat sie mit seinem Blut in sich schon viel zu lange überlebt. Hätte nie das Gegengift von dieser Adelina bekommen durften.“

Jason fühlte, wie der Boden unter seinen Füßen nachgab. Seine Kehle trocknete aus. Warum gestand Bilwer ihm das jetzt? Er machte auf dem Absatz kehrt und hechtete aus dem Turm und flog zum Ausgang.

Der Junge musste begreifen, das Leben war nun mal irgendwann zu Ende, Bilwer hetzte Jason hinterher. „Jason … warte!“

Jason passierte den Ausgang und landete auf dem Schaukasten. „Was willst du mir noch an den Kopf werfen?“, fragte er Bilwer böse.

Bilwer antwortete nicht, er ritzte seinen Arm auf und hexte eine winzige Flasche herbei, in die er sein Blut tropfen ließ. „Lass es nicht fallen. Rob sollte entscheiden. Sie könnte durch mein Blut zu einer Dragotin mutieren. Der Kampf der Blute wird zwei Tage anhalten. Dann hat das Dämonenblut ihren Organismus vernichtet oder ihr gesamter Organismus ist durch das Drachenblut umgestellt. Jede Zelle wird durch mein Blut gereinigt und jede Faser baut sich neu auf. Wenn … es nicht schon zu spät ist! Aber lass deinen Vater entscheiden, du entscheidest nicht, ob sie es zu sich nehmen soll! Die beiden leben zusammen. Dein Leben ist von ihrem Überleben nicht abhängig.“

Irritiert guckte Jason auf das Blut in der Flasche, dann zu Bilwer. „Warum tust du das für uns?“

„Reine Freundschaft. Aber vergiss nicht, sie kann auch sterben. Ihre Chancen steigen nur mit meinem Blut, so wäre sie jetzt schon verloren. Auch dieser ominöse ‚Drag Ham‘ könnte nichts bewirken.“

Mit einem kurzen Nicken hob Jason ab und landete auf dem Pentagramm. Er wandelte sich zur normalen Größe und rannte aus den Katakomben. Bilwer wartete einen Moment und folgte ihm. Es war gut möglich, dass die Wächter ihn nicht durchließen, das musste er verhindern.

Jason betrat die Empfangshalle und machte einen Schritt zurück. Es waren so viel Wächter in der Halle, dass er niemals unbemerkt an ihnen vorbeikommen würde.

„Na, sollte ich dir helfen?“, flüsterte Bilwer hinter ihm.

„Nein, das muss ich allein schaffen. Wie sollte ich acht Großmeistern gegenüberstehen, wenn ich noch nicht einmal die paar Wächter schaffe?“

„Gut, ich greife nur ein, wenn du nicht weiterkommen solltest.“

„Okay.“ Jason schloss seine Augen, öffnete sie wieder und ging zielstrebig auf den Ausgang zu. Zuerst beachteten ihn die Wächter nicht.

Jason schaffte die Hälfte der Strecke und fragte sich plötzlich, wie sein Vater hier überhaupt durchgekommen war.

Durch die parallel aufkeimende Angst in seinen Gedanken drehten sich nach und nach alle Wächter zu ihm um.

Sie ließen ihn zwar weitergehen, doch das ganze wurde ihm so unheimlich, dass er immer schneller wurde, ja fast rannte.

Die Gasse zum Ausgang wurde enger und mit einem Mal konnte Jason den Ausgang nicht mehr sehen. Abrupt drehte Jason seinen Kopf und sah … er war umzingelt. Wie gebannt blieb er stehen, blickte in die einzelnen Augenpaare der Wächter, die versuchten in seinen Gedanken zu lesen.

Sämtliche Dragotsensoren sprangen an, Jason blockte die Wächter erfolgreich ab, doch sie kamen näher. Ohne sein bewusstes Zutun drang er nun seinerseits in die Köpfe der Wächter ein, ohne es diese merken zu lassen. Er las in ihren Köpfen, wusste, was los war und die Angst in ihm wuchs.

Seine Flügel schnellten hervor, trafen einige der Harmwächter hinter ihm. Nun ging ein Ruck durch die Menge. Alle setzten sich in Bewegung. Jason handelte instinktiv, er drehte sich mit ausgefahrenen Flügeln. Alle Wächter die ausweichen konnten, bauten sich in sicherer Entfernung auf, zückten ihre Stäbe und richteten sie auf Jason.

Bilwer traute seinen Augen nicht, die Wächter wollten den Friedenbringer vernichten!

Das ging niemals mit rechten Dingen zu!

Schnell schaute er sich um und erblickte den überheblich grinsenden Hotelleiter, der eine fremdartig grünlich schimmernde Kristallkugel in der Hand hochhielt. Bilwer setzte seinen Wärmeblick ein und das Blut in seinen Adern begann zu pulsieren. Alle Wächter standen mit einem gefächerten Strahl der Kugel in Verbindung! Hinter der Rezeption stand also eines der acht Paktmitglieder oder ein Mitläufer. Doch warum wollten sie Jason vernichten, wenn er bisher keinen der hohen Aufrüster gefunden hatte?

Um den Kontakt zu trennen, schickte Bilwer einen intensiven Wellenluftdrag zwischen den Wächtern zu der Kugel.

Mr. Hangpulling konnte die Kugel nicht mehr ruhig halten, sie schlingerte in seinen Händen. Die Wächter sahen sich untereinander an, einige drehten sich dem Hotelleiter zu.

Fein, die Gedanken der Wächter änderten sich schlagartig, richteten sich auf ein anders Ziel aus, Jason nutzte die Gunst der Unaufmerksamkeit auf seine Person und rannte hinaus.

Gut, der Junge war entkommen, Bilwer zog sich zurück und versiegelte hinter sich die Katakomben.

Jason stand vor dem Tor, auch von hier kamen Wächter auf ihn zu. Er hob ab und flog einen Umweg über den Wald, um den Vulkan herum und von außen am Dorf vorbei, bevor er den Hintereingang der Klinik betrat. Leise schlich er sich durch die Gänge, alles war so weit ruhig.

Hier und da liefen Heiler aufgeregt herum.

Irgendwas stimmt doch nicht, genauso wie in der Festung. Jason konnte die gespannte Atmosphäre beinahe riechen. Endlich hatte er sich bis zu dem Gang durchgeschlichen, in dem sein Mutter in dem Zimmer mit der Nummer 34 lag. Wie zu erwarten war, standen drei Wächter vor der Tür. So kam er an denen nicht vorbei, Jason schaute den Quergang entlang, er endete in einer Außenwand, in der ein Fenster war. Jason peilte ab, wo das Zimmer lag und drehte sich dem Quergang zu.

Nur von dort aus käme er unbemerkt an sein Ziel. Jason öffnete das Fenster, was sich nicht so einfach gestaltete, wie er es sich erhofft hatte. Durch die knolligen Verwucherungen eines Strauches, der über dem Fenster wuchs, musste er die Wurzelknollen abbrechen. Als das Fenster endlich offen war, schwang Jason sich auf den Sims im ersten Stock und warf einen Blick hinunter … unter ihm wimmelte es vor Wächtern. Schwer atmend zog er seine Flügel ein.

Um unter den vielen Fenstern vorbei zu kommen, musste Jason auf allen Vieren krabbeln. Er schaute nach vorne und behielt die Wächter im Blick. Glücklicherweise kam Jason auf den schmalen Sims gut voran. Er zählte in Gedanken die Zimmer anhand ihrer Fenster ab und stoppte unter einem der beiden, hinter denen er seine Mutter vermutete.

‚War rechts oder links ein Wurzelbüschel vor dem Fenster?‘, überlegte Jason und ging gedanklich von innen durch den Raum, doch es wollte ihm nicht einfallen. Er musste es riskieren und hob den Kopf, linst in das Fenster. Das Zimmer hat drei Betten und war das falsche. Er zog seinen Kopf wieder runter.

Vor oder wieder zurück? Jason krabbelte weiter und lag diesmal richtig. Rob saß steif am Bett seiner Mutter, hinter der Tür hatten sich vier weitere Wächter versteckt, sie warten anscheinend auf ihn. Doch warum tat sein Vater nichts?

Jason prägte sich die Lage ein und linste nochmals hinein. Nun sah er, warum Rob nicht handeln konnte, hinter ihm kauerte ein Wächter, der seinen Stab zwischen die Rippen seines Vaters drückte, genau auf Herzhöhe.

Unschlüssig setzte Jason sich unter das Fenster, was sollte er machen? Die Nacht rückte näher, vielleicht konnte er in der Dämmerung mehr erreichen, doch wie lange würde seine Mutter noch durchhalten? Er musste handeln.

Etwas kitzelte an seinem Arm. Jason sah hin und zupfte das Blatt ab, dessen Ast zwischen Fenster und Wand herauswuchs.

Scheißblätter, Jason überlegte angestrengt und grinste mit einem Mal.

Der Ast stellte eine direkte Verbindung mit dem Zimmer her. Jason sammelte seine Kräfte. Eigentlich hatte er die Erddrags nur mit Erde erlernt, doch die ‚Erde‘ wurde ja in gewisser Weise von den Pflanzen aufgenommen, es bestand eine direkte Verbindung zwischen beiden. Doch Pflanzen trugen auch einen erheblichen Anteil an Wasser in sich. Jasons Gedanken wirbelten die Drags in seinem Kopf zusammen, kombinierten sie. Sein Kopf fand eine Zusammensetzung, die ihm richtig erschien. Er tastete die Wand ab, strich mit seinen Fingern tiefer, wollte mit seinen Fähigkeiten erfühlen, ab wo im Raum der Boden mit Erde bedeckt war.

Ein Kribbeln durchzog seine Fingerkuppen, er fühlte die pulsierende Erde durch die Wand, konnte förmlich den hohen Wasseranteil spüren.

Zunächst schickte Jason einen zentrierten Luft-Erddrag ins Mauerwerk, kreiste die Stelle mit seinem Finger ein und veränderte die Dichte der Mauer, worauf diese sich in ihre Bestandteile zersetzte. Mühelos bohrte er seine ganze Hand durch den feinen Staub des kreisrunden Lochs und bekam Kontakt zur kalten Erde. Durch die anwandten Erddrags verband er sich mental sowie physisch mit der Erde und erfasste wie viele Personen im Raum Druck auf den Waldboden ausübten.

Nun filterte Jason die verschiedenen Belastungspunkte per Raster des feinen Wurzelwerks heraus ... die seines Vaters, der als einziger auf einem Stuhl saß und das Kühlbett, das den schwersten Druck ausübte - umging er.

Die feinen Wasseradern der Pflanzen reagierten. Jason entzog der Luft das Wasser und schickte es über alle Gewächse in die Richtungen der übrigen Druckpunkte - unter den Wächtern. Die somit aktivierten Wurzeln saugten den Lebenssaft auf, wandelten ihn um und setzten mittels Jasons Hex eine beschleunigtes Wachstum in Gang. Unter jedem Wächter verdichteten sich die Wurzeln. Tief mit der Natur in dem Zimmer verbunden konzentrierte Jason sich völlig auf die Erde. Er musste all seine mentale Kraft in diesen einen Versuch stecken.

Die angesammelte Energie in seinen Adern war zum Bersten gespannt. Jason atmete aus, schloss seine Lider und schickte die Drag-Hex-Kombiwelle mit einem Druck los, dass die Erde um seine Finger vibrierte.

Sekunden später krachte es gewaltig und rund um die gesamte Klinik wucherten alle Sträucher und Bäume in den Himmel. Verdammt, er hatte seine Kraft mächtig unterschätzt … Jason wurde fast von einem Ast mit in die Höhe gerissen, konnte sich gerade noch in das - von irgendeinem Gewächs - zersprungene Fenster retten.

Sein Hechtsprung rollte er gekonnt auf dem Waldboden des Zimmers ab, sprang zügig auf und blieb mittig stehen.

Jetzt musste es schnell gehen, falls sein Plan nicht bei jedem Wächter den gewünschten Effekt erzielt hatte.

Puh, okay, mit diesem Ergebnis hatte er nicht gerechnet …

Die Wurzeln hatten sie nicht, wie Jason es geplant hatte, eingewuchert ... nein, der Drag war so stark, dass die Wurzeln rasend schnell durch sie hindurch gewachsen waren. Alle waren tot, fürchterlich entstellt, ihre Körperteile waren teilweise mit den Wurzeln durch die Decke in den dritten Stock geschossen.

Rob stand fassungslos neben dem Bett und starrte nach oben, die Wurzeln hatten riesige Löcher in die Decke gerissen, der Weg nach oben war frei. Glücklicherweise war in dem Zimmer über ihnen niemand gewesen.

„Können wir verschwinden?“

Weiterhin wortlos starrte Rob durch den Raum, bevor er zu Jason runter sah und nickte, er hebelte Elaine aus dem nassen Bett und beide hoben ab. Direkt in die K-Tunnel, zurück nach Dragotan. Dragonrock war nun nicht mehr sicher!

Minuten später hatten sie die Insel erreichte und standen unschlüssig vor dem Palast.

„Ich lade euch beide ein! Mir ist es herzlich bis scheißegal, ob Mama eine schlechtes Klima in dem Schuppen erzeugt!“

Rob flog Jason hinterher.

Die Dragotin stellten sich ihnen in den Weg, blockierten das Tor.

Jasons Blut war noch so von seinem Drag erhitzt, dass er mühelos einen weiteren Luftdrag zu seinen Töchtern schickte. Die drei rutschten wie auf einer Eisfläche zurück.

Jason folgte ihnen und streckte seine Finger in ihre Richtungen aus. „Wer immer es von euch wagt, sich mir in den Weg zu stellen, muss damit rechnen, dass ich dieses Schloss dem Erdboden gleich mache!“

Um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, bebten die Klippen unter dem Palast durch seinen Bodenkontakt bedenklich. Keine seiner Töchter rührte sich.

Jason folgte Rob in die Haupthalle, sah zu, wie sein Vater den Altar ansteuerte und seine Mutter wieder auf den Marmorblock legte, der genauso reagierte, wie er es schon zuvor getan hatte.

Die Mädchen kamen vorsichtig hinter Jason hervor. Elja wagte sich zuerst die Nase hochzuhalten. „Du kannst das nicht hier machen!“, flüsterte sie ihrem Vater zu.

Oh Mann, immer diese unnützen Widerworte! „Ich dachte, wir sind uns einig? Ich dulde keinen Widerspruch mehr! Wenn es euch nicht passt, dann verschwindet!“

„Das meint sie nicht! Sie redet von dem blauen Dragotsblut, das du bei dir trägst. Elaine darf es nicht bekommen, das verstößt gegen unseren Plan!“, knurrte Suja.

„Ich scheiß auf euren Plan! Ihr seid doch die, die ihn ändern könnten - also tut oder lasst es!“ Jason holte die keine Flasche aus seiner Hosentasche und stellt sie neben dem Kopf seiner Mutter ab und sah seinen Vater an.

„Dir ist klar, was passiert, wenn Mama es trinkt?“, fragte er seinen Vater.

„Nein, und woher hast du das Blut?“

Jason wiederholte die Kurzfassung der Erklärung von Bilwer.

Rob hörte angestrengt zu und wurde leichenblass. „Das ist eine große Entscheidung! Wie kann ich die über den Kopf deiner Mutter entscheiden?“

„Tja, mir ist mittlerweile klar, alles Leben hat einmal ein Ende, auch meines. Mama kann nicht ewig leben. Sie wird zu einer Dämonie, stirbt oder wird zu einer von uns. Welche Lösung ist die beste für sie und für dich?“ Jason stellte sich neben seine bewusstlose Mutter, streichelte ihre glühende Wange und legte die Hände auf dem Marmor ab.

„Ich aktiviere einen Wasserdrag, der den Altar dauerhaft abkühlt, so hast du noch einige Minuten Zeit eine Entscheidung zu treffen.“

„Einige Minuten?“

„Ja, ich fühle, Mama hat wieder einen Temperaturanstieg, der nicht mehr zu stoppen ist. Sein Blut gewinnt!“

Hier durfte er nicht bleiben, sein Vater musste die Entscheidung seines Lebens treffen, Jason trat vom Altar zurück und setzte sich auf die Stufen des Ausganges.

Zögernd kam eine seiner Töchter hinterher, Elja setzte sich zu ihm, während die anderen beiden Rob beobachteten. „Sie ist schon am Ende. Warum gibst du Rob die Hoffnung, sie sei noch zu retten?“

„Weil die Hoffnung zuletzt stirbt!“ Er fixierte Elja. „Ich erinnere mich genau, dass du in den Augen der anderen auch aufgegeben wurdest, doch ich habe an dich geglaubt.“

Beschämt neigte Elja ihren Kopf.

„Wenn Mama überlebt, stelle ich mich der Folterkammer, wenn nicht, dann werde ich nur noch für meinen Vater da sein. Das ist meine endgültige Entscheidung! Sollten mich die Acht finden, dann ist es mir egal. So egal, wie meine Mutter euch ist. Ich weiß, ihr müsstet euch nicht einmal anstrengen, um sie zu retten, aber ihr wolltet eine Entscheidung von mir. Nun habt ihr sie!“

Elja ging zu ihren Schwestern zurück, ließ Jason allein.

 

Kaja kam wenig später zu Jason und setzte sich vor ihn. „Du hast deine Entscheidung getroffen, doch ist es richtig ein Wesen gegen alle Lebewesen dieses Planeten aufzuwiegen?“

„Wenn das einzelne Leben nicht gerettet wird, ist es dann richtig? Wer will entscheiden, was für alle richtig ist? Wenn die Acht die Herrschaft über alles bekommen, was haben sie davon, wenn es niemanden mehr gibt, dem sie ihren Willen aufzwingen können? Es werden Hexer geboren, die sich ihnen stellen werden und irgendwann kommt einer, der die Freiheit wiederherstellt.“

Kaja neigte ihren Kopf. „Du hast an Weisheit viel dazugelernt.“

„Danke! Aber nützt es mir jetzt etwas?“

Kaja lächelte Jason an. „Ja viel! Sag Rob, er sollte ihr das blaue Dragotsblut geben. Suja wird auf ihren Kreislauf achten. Elja auf ihre Seele und ich senke den Widerstand ihres Geistes, der von dem Dämonenblut schon eingenommen ist. Handelst du nicht, dann wird sie in genau fünf Minuten und zweiundzwanzig Sekunden eurer Zeitrechnung sterben - und dann müssen wir sie als Dämon vernichten.“

Jason wollte sich freuen, doch das, was jetzt auf alle zukam … würde ein Drahtseilakt werden. Aber es gab keinen anderen Weg mehr … Mit einem Schmerz, der durch seine Eingeweide kroch, stellte Jason sich vor Rob, der die Flasche unschlüssig in seinen Fingern drehte. „Gib ihr das Blut!“

Unschlüssig schaute Rob von der Flasche zu seinen Sohn. „Ist es der richtige Weg? Können wir es verantworten?“

„Sollte sie leben oder sterben? Triff eine Entscheidung und das schnell!“

Tod oder Leben … Rob küsste Elaine auf den Mund, ihr Unterkiefer öffnete sich.

„Sie will es auch“, flüsterte Jason.

Rob öffnete das Fläschchen. „Das letzte Mal, als ich ihr das Gegengift gab, wäre sie fast gestorben.“

„Nun ist sie schon fast tot!“

Mit zitternden Fingern legte Rob die kleine Öffnung der Flasche an ihre Lippen und zog sie wieder weg. Er sah Jason an und schluckte … setzte erneut an. Jason hob den Flaschenboden an und das blaue Blut rann über ihre Lippen in den Mund.

„Geht vom Altar weg!“, schrien alle drei Dragotin und sprangen über Elaine.

Elja stellte sich über ihren Bauch. Suja setzte sich auf ihren Brustkorb und Kaja nahm ihren Kopf in ihren Schoß, hielt ihren Kopf fest. Das blaue Blut gelangte schnell zum Mittelpunkt ihres Körpers. Ihr Leib bäumte sich auf. Arme und Beine hingen schlaff herunter.

„Geht weiter weg! Sie wird nach euren Seelen greifen, um Hilfe für ihre Dämonseele zu bekommen!“, schrie Elja Jason ins Gesicht.

Rob bewegte sich kein Stück, er war erstarrt. Kurzerhand legte Jason alles rein und riss seinen Vater mit sich vom Altar weg. Beide stürzten zu Boden - und das keine Sekunde zu früh.

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Copyright liegt bei mir! Text oder Textabschnitte zu kopieren ist verboten!
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Lektorat: Sorry, konnte mir weder ein professionelles Lektorat, noch ein Korrektorat leisten!
Tag der Veröffentlichung: 06.08.2011
ISBN: 978-3-7438-3791-1

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