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Vorgeschichte

 

 

Vorgeschichte

Vor sehr langer Zeit ...
Exakt sieben dreiviertel Lichtjahre von der Erde entfernt glitten im luftleeren Weltraum drei göttliche Geschöpfe durch die Schwerelosigkeit. Himmlische Drachenlichtwesen.

Wollte man sie bildlich beschreiben, dann wären sie wie das Universum, tiefschwarz und die Facetten ihre Drachenschuppen schimmerten wie die Sterne am dunkelsten Nachthimmel. Da sie keine in unserem Sinne feste Substanz hatten, flogen sie rein mit ihrer Seelenenergie durch den schwerelosen Raum ... wie sie es seit unendlicher Zeit taten.

Bei näherer Betrachtung trugen Ka, Su und El sehr feminine Gesichtszüge, deshalb trifft die Bezeichnung ‚weiblich‘ sie am ehesten, und so sahen sie sich auch selber. Ursprünglich sprachen die Draggöttinnen nicht. Sie gebrauchten weder Worte noch Laute, ihre Verständigung lief auf einer geistig Ebene ab, die kein sterbliches Wesen verstehen würde.

Um hier nun keine Hieroglyphen zu schreiben, haben die drei Drachengöttinnen nach reiflicher Überlegung grünes Licht gegeben und werden offiziell in unserer Sprache zitiert.

Steigen wir also mitten in ihr ewig sich wiederholendes Streitgespräch über ihre himmlischen Pläne ein …

 

Vorgeschichte

„Du willst es wirklich noch mal wagen? War dir der vierte Galaxie-Sektor nicht Warnung genug?“, fragte Ka zweifelnd, denn sie hatte die grausame Vergangenheit noch sehr gut in Erinnerung.

Su, die hinterhältigste der drei Draggöttin, beäugte Ka im Gleitflug missmutig und schielte über ihre Schwester hinweg zu einem Planeten, dessen Gashülle sich gerade von einem fließenden Violett in ein tiefes Rot wandelte, bevor sie antwortete. „Ja sicher, aber wir müssen einen Planeten finden, der Lebewesen birgt, die anders als die Wafusien leben. Es muss möglich sein, dass sich Wesen um den Schutz ihrer Seelen kümmern und endlich begreifen.“

„Es entspricht aber nicht meinem Wunsch, wieder eine lange Seelenepoche auf einem tristen Elementarball zu existieren. Diesmal muss eine andere Lösung dafür sorgen, dass wir nur zur sporadischen Kontrolle vorbeikommen müssen“, warf Ka ein.

El flog über die beiden hinweg. „Diese Ansicht vertrete ich auch. Es langweilt maßlos. Wir sind dann nicht mehr in der Lage, die unterschiedlichen Dimensionen zu durchfliegen.“
Damit erklärte sich Su einverstanden, denn auch sie überkam nicht das Bedürfnis, ständig einen Planeten mit seinen Bewohnern in seiner Entwicklung zu begleiten.

Auf ihrem Weg durchflogen sie etliche Galaxien, in denen die schon lebenden Wesen entweder einen bereits zu hohen Stand der eigenen Vernichtung hatten oder noch in ihrem Ursprung als schlecht kommunikative Kreaturen ruhten.

Ein Aufgeben kam für Ka, die gerne experimentierte, aber nicht infrage. So steuerten sie einem Sternensystem entgegen, in dem nur ein ansprechender Elementarplanet um einen Feuerplaneten kreiste ... die Erde.

Die drei näherten sich dem blauen Himmelskörper mit rasender Geschwindigkeit.

El umflog die Erde. „Sicher wieder nur ein Wurmplanet. Die lebensspendende Atmosphäre ist kaum geschädigt. Alles ist viel zu intakt.“

Ka lächelte, in ihrer Seele breitete sich das bekannte Gefühl der Hoffnung aus. „Warten wir es ab.“

Sie durchflogen die Atmosphäre und nahmen die Erdschicht genauer in Augenschein. Nach nur kurzer Zeit war alles in ihren endlosen Seelen aufgenommen. Sie landeten auf einem Kontinent, um ihre Eindrücke zu sammeln.

„Sie können sich kommunikativ verständigen und es gibt viele Lebewesen, die eine Vielfalt an Entwicklungsrichtungen zulassen“, bemerkte Ka zuversichtlich.

Su und El nickend zustimmten.

„Aber willst du wieder einen gesamten Planeten infiltrieren?“, fragte Su ihre Schwester Ka.

„Ich bin für Vorschläge offen“, gab Ka zurück.

Els Blick schweifte besonnen über den üppig bewachsenen Boden. „Gut, dieser Planet hat zwei Begleiter. Wovon der größere den Ansatz einer Atmosphäre hat. Lass sie uns verdichten und einen Teil der aufrecht gehenden Lebewesen von dem großen Planeten dorthin übersiedeln. Wir rüsten den kleineren mit magischen Wesen auf und geben ihnen dadurch die Möglichkeit, sich schneller zu entwickeln.“

„Das hört sich gut an. So haben wir auch den direkten Vergleich. Aber ich möchte noch einen Schritt weitergehen und auch diese Lebewesen mit ihren natürlichen Kräften konfrontieren. Ihre seelische Kraft herauslocken“, sagte Ka.

Su blickte zu dem großen Trabanten empor. „Das ist sehr gewagt, aber bestimmt wie immer eine Zeit lang interessant. Doch wo willst du diesmal die Grenze ihres Denkens ansetzen? Sie verkraften nur einen bestimmten Wissensstand. Wir dürfen sie nicht überfordern. Geben wir ihnen wieder zu viel mit auf den Weg, dann enden sie wie die Maksonen und vernichten ihre Körper, um ihre Seelen zu befreien.“

„Auch eine Draggöttin macht Fehler …“, gestand Ka und sprach weiter, „… wir müssen umsichtiger mit den kleinen Lebewesen umgehen.“

El, die Planerin der drei, schlug vor, erst einmal die Oberfläche des Trabanten zu formen, bevor sie sich um deren zukünftige Bewohner weitere Gedanken machen würden. Der Vorschlag wurde einstimmig umgesetzt.

Sie flogen empor und setzen ihre göttliche Dragkraft zum Beleben des größeren Trabanten ein. Nach nur wenigen Augenblicken wurde aus dem Trabanten ein kleiner lebensspendender Planet, der im Einklang mit dem Mond um den großen Planeten kreiste. Sie waren sich auch schnell einig, die niederen Lebewesen in Gruppen auf den kleinen Planeten zu senden. Von jeder Tierrasse wurden so viele umgesiedelt, dass sie sich mühelos vermehren konnte. Auch rüsteten die Draggöttinnen je ein Tier aller Gattungen mit magischen Kräften aus. Diese würden dann, so die Fortpflanzung ihren Lauf nahm, an die Nachkommen weitergereicht werden. Man müsste es nur abwarten, die Zeit spielte ja für die drei Draggöttinnen keine Rolle.

Erneut überflogen sie die Oberfläche des großen Planeten.

„Gewähren wir ihnen andere Ebenen?“, fragte El die beiden anderen.

„Sicher, wie es überall der Fall ist, so soll es auch hier geschehen. Doch entdecken müssen sie die Dimensionsebenen selber. Diesmal wird es ihnen nicht vor die Nase geschoben.“

„Wie halten wir es mit unseren Seelenwächtern? Auf beide Planeten oder nur auf dem kleinen?“, fragte Ka.

Su lächelte. „Beide Planeten bekommen unsere Seelenschutzwesen, doch sie dürfen diesmal nicht in die Entwicklung eingreifen und sollten sich nicht unbedingt zeigen. Viele hatten in der Vergangenheit immer Angst vor den Kräften der Drags. Ihr magisches Umfeld sollte schon ausreichen, um genug Seelenenergie abzugeben.“

Alle waren zufrieden und so wurde der Plan weiter in die Tat umgesetzt.

Nach der Landung in einer wüstenähnlichen Landschaft stellten sie sich zusammen und sahen in den Himmel. Mit ihrer Macht, den Dingen Leben einzuhauchen, zogen sie viele freie Seelen aus der Unendlichkeit und den dazu benötigten Sternenstaub. Während die Seelen nun zwischen ihnen landeten, umschwirrte sie der Sternenstaub und formte ihnen passende Körper.

Ein Dragwesen - oder Drachen, wie wir sie nennen würden - nach dem anderen stand nun im Kreis der drei riesigen Draggöttinnen. Sie reckten und streckten sich in ihren neuen magischen Körpern.

Die Auswahl war getroffen, etliche verschiedene Rassen, von denen jeweils ein männliches und ein weibliches einer Spezies angehörte, sahen wie kleine Kinder erwartungsvoll zu ihren Erschaffern empor.

Wie es zuvor schon immer war, lag nun auch hier eine wachsame Spannung in der Luft …

Wo es keiner Worte bedurfte, da schnalzte El lächelnd mit ihrer Zunge, was die Wesen sofort verstanden, da sie diesen Befehl schon aus vorherigen Zeiten kannten und handelten. Die Drags wuselten optisch planlos durcheinander, doch dem war nicht so, denn alle wussten sehr genau, was sie taten.
Um auch hier für einen bleibenden und sich vergrößernden Bestand zu sorgen, suchten sich die Drag in Windeseile untereinander ihren passenden Partner.

Ka blickte erhaben in die große Runde der Drags herab und wartete, bis alle sich beruhigt hatten und pärchenweise da standen. „Für euch wird es auch hier nicht einfach werden, aber wir spüren die Entwicklung der Allmachtliebe hier tiefer. Geht und besiedelt den Planeten.“

Ein Drittel der Wesen wurde nun von den Draggöttinnen auf den kleinen Planeten gesandt. Die anderen würden auf dem großen verbleiben.
Die Drags verneigten sich ehrfürchtig vor ihren Draggöttinnen und flogen in verschiede Himmelsrichtungen davon. Kurz war der Himmel über ihnen so dunkel vor Drachenflügeln, dass kein Sonnenlicht zu ihnen durchdrang. Doch es war nur von kurzer Dauer, denn die Drags kannten ihren Weg von den vorherigen Aufgaben, die bisher leider immer gescheitert waren.

„Nun zu den vermeintlich höheren Lebewesen. Ich schlage vor, dass die magischen Wesen genug ihrer Energie auf sie abgeben können, um aus ihnen höhere Wesen zu machen. Kein direkter Eingriff in ihre Seelen“, schlug Su vor.

Ka war sich bewusst, was die Vergangenheit sie lehrte … es war nicht gut, einfachen Lebewesen zu viel seelische Kraft zu geben. „Wenn wir ihnen keine seelische Energiegewinnung in ihrer Entwicklung zukommen lassen, dann können wir eine Ewigkeit verharren“, wand Ka ein.

„Hast du damit ein Problem? Wir existieren ewig. Und das nächste Universum ist nur einen Meteoritenwurf entfernt.“

El neigte ihr Haupt. „Ich teile meine Meinung mit Ka. Sie brauchen einen Schubs. Sie müssen sich ihrer Seelen bewusst werden; nicht unbedingt den Sinn begreifen, aber zumindest im Ansatz erahnen können. Ihr Denken muss diesmal in die richtige Richtung gebracht werden. Was sie dann selbst daraus machen, müssen wir der Entwicklung überlassen. Ob nun das seelische Gute oder das geistige Böse eine größere Rolle übernimmt, bleibt wie üblich abzuwarten.“

Sie einigten sich darauf, jedem der Menschen, die auf den kleineren Planeten umgesiedelt wurden, einen Funken in sein Denken zu setzen. Ob nun Magiekraft, Seelenkraft oder Machtbesessenheit daraus entstand, würde sich zeigen.

„Sie haben verschiedene Rassen. Welche wollen wir übersiedeln lassen?“, fragte Ka.

„Von jeder größeren Gruppe müssen welche dazukommen. Genau wie hier trennen wir sie und dann entwickeln sie sich weiterhin unterschiedlich. Zu einer natürlichen Rassenmischung sollen sie sich selber entscheiden“, warf El ein.

Su sah beide an. „Wie viele sollen es diesmal sein?“

Ka sah zum Horizont. „Ich bin für einen ausreichenden Bestand jeder einzelnen Kultur, die sich handwerklich schon etwas entwickelt hat. Keine Völker, die sich rein von der Natur führen lassen und in ihrem Verhalten zurückliegen. Wir würden die Entwicklung dieser Stämme überfordern.“

„Einzelne Lebewesen wie zuvor?“, fragte El.

„Nein, je fünf komplette Ansiedlungen von jeder Rasse. Ihr Blut darf diesmal nicht ständig in Verwandtschaft bleiben“, bestimmte Su.

„Sollen sie an Götter glauben?“, wollte El von Ka wissen.

„Sie wurden zwar durch die große Fügung erschaffen, aber dahinterkommen müssen sie selber. Keine Götzenbilder oder Statuen. Ihr kleiner Verstand soll selber entscheiden.“

Weitere Grundlagen wurden bis ins Einzelne besprochen und dann wurden die größeren Ansiedlungen im tiefsten Schlaf ihrer Heimat beraubt und umgesiedelt. Keiner bekam etwas davon mit, da dieser Schlaf magisch war und niemand zwischendurch aufwachen konnte. Auch bildeten die Draggöttinnen die Landschaft so nach, dass kein Mensch mitbekam, dass er nun nicht mehr auf seinem ursprünglichen Planeten war.

„Wie viel Zeit geben wir ihnen?“ Ka sah El an.

„Genügend. Kommen wir in zwei *Hagomen wieder.“

*Ein Hagomen entspricht in etwa dreitausend Menschenjahren.

Zwei Hagomen später ...

Ka, Su und El durchbrachen die Atmosphäre der Erde. Sie verschafften sich einen Überblick und kamen überein, dass sich alles in einem noch viel zu frühen Stadium befand. „Besuchen wir den kleinen Planeten“, schlug Ka vor.
Sie landeten Sekunden später auf dem Hellamond, dem Ursprungsplaneten der magischen Wesen. Begeistert sahen sie sich die weit fortgeschrittene Entwicklung an.

Fast jedes Wesen trug eine Seelenkraft in sich und war sich dessen auch im Ansatz bewusst. Kaum einer legte Wert auf Zank und Streit. Überall reiften die Kräfte des Übersinnlichen. Und das wohl Wichtigste: Jede Rasse entwickelte sich parallel zur anderen fast gleich schnell. Leichte Hexereien waren im Ansatz sichtbar. Auch die Vermehrung der Bevölkerung hatte rasend schnell um sich gegriffen.

Die Draggöttinnen nahmen Kontakt zu den Drags auf. Von allen Drags bekamen sie die Bestätigung, dass dies alles in allem ein wundervoller kleiner Planet sei. Nach einer Übereinkunft der drei Draggöttinnen verweilten sie acht Tage auf dem Hellamond. Als simple Menschenwesen durchwanderten getrennt beinahe alle neu errichteten Städte und erkundeten sie in allen Einzelheiten. Greifbare Gesetze und übergeordnete Rangordnungen lagen noch lange nicht vor.

„Ob es diesmal einen positiven Stand gibt?“, fragte Ka.

„Warten wir es ab. Sie stecken ja noch in ihren Kinderseelen fest. Die Voraussetzungen liegen wie immer günstig“, meinte Su.

„Wir könnten einen Blick in das Jahrtausendbuch werfen“, schlug El vor.

„Nein, diesmal nicht. Erst, wenn ihre Entwicklung an einem Punkt ankommt, an dem es eine begrenzte geistige Reife gibt. Dann, wenn sie kurz davor sind, sie zu überschreiten. Diesen Knackpunkt, an dem sich alles entscheidet. Dann sehen wir weiter“, entschied Ka.

Ein weiterer Hagomen verging ...

Erneut statteten die drei Draggöttinnen der Erde und dem Hellamond einen Besuch ab. Wie zu erwarten war es nicht mehr so friedlich unter beiden Bevölkerungen. Die geistige Hochentwicklung war so weit ausgereift, und die Hexen und Hexer brauchten neue Ziele. Sie schufen eine Art Rangordnung, aus der ein System einer noch lockeren Überwachung entstand.

Sicher blieb ihr Leben im Großen und Ganzen leichter, als das der Menschen, die mit Krankheiten und Kriegen kämpften. Doch wenn ein Wesen eine Kraft besitzt, die weit über der der normal sterblichen Menschen lag, dann bestimmte auch hier irgendwann die Macht, leider ...

El war ein wenig enttäuscht, obwohl es abzusehen gewesen war. „Wie zu erwarten. Keiner achtet auf seine oder die Seele des anderen. Es wird scheitern, wie die Male zuvor.“

Ka schloss die Augen und schlug das Jahrtausendbuch in ihrer Seele auf. „Sie schufen vor Jahren eine magische Verbindung zu dem großen Planeten. Einige leben schon auf dem großen Lebensspender! Trotz allem wollen viele Frieden in ihren Seelen haben. Sie spalten sich in Gut und Böse. Die treibende Kraft ist eine einzelne Dämonhexe, die den großen Planeten für ihre Zwecke nutzen will. Keiner kann sich ihr entgegenstellen, sie hat herausgefunden, wie sie ihre Seelenkraft auf schlimme Weise stärkt und ihre Seele nach dem Tod ihres Körpers in einen anderen zwingt.“

Sofort blickte El zu ihrer Schwester Su, denn eine Seele, die bewusst andere Körper für sich einnimmt und weiterplant … gab es ohne Hilfe nicht!

Ka öffnete die Augen und auch sie sah Su böse an. „Du hast die Dämonenwesen von Sogulla durch die Tore gelassen, warum?“

„Sie sollten sich die Entwicklung ansehen dürfen“, verteidigte sich Su maulend.

Ka warf ihrer göttlichen Schwester einen finsteren Blick zu. „Gefallene Seelen, die in ihrer Kraft am Tode einer guten Seele wachsen. Welchen Sinn soll das bringen? Ich denke, dir hat unser letzter Besuch nicht gefallen. Für dich lief alles zu gut!“

„Sie sollten es sich verdienen, himmlische Wesen zu werden!“, grollte Su.

El plusterte ihre Sternenstaubschicht auf. „Gut, wenn du in die Entwicklung eingreifst, dann werde ich es auch tun und ihnen Hilfe zukommen lassen“, sagte sie.

Ka blickte mit verschränkten Pranken auf. „An welche Art von Hilfe denkst du dabei?“

„Keine, die Kriege fördert, sondern sie verhindert und der Dämonhexe Einhalt gebietet. Eine Himmelsseele, die hier eine neue Chance bekommt.“

Su schüttelte ihr mächtiges Haupt. „Dazu brauchst du einen, der heilige Drags getötet hat und ihnen später keine Schuppe mehr entfernt, weil er ihren Ursprung erkennt. Ein unmögliches Unterfangen. Der Hilex oder die Heela würde wahnsinnig werden, wenn Eusas Seele in dieses Wesen einfährt.“

Ka sah zu Su. „Möglich, aber lass sie weiterreden. Ich will ihren Gegenplan hören.“

Oh, Su hatte schon mit Widerstand seitens ihrer Schwestern gerechnet, wenn diese hinter ihre Machenschaften kämen. Doch, wenn sie ihren Plan weiterführen wollte, bevor El alles verdarb, dann musste sie nun etwas einlenken und Salz in die fade Seelensuppe streuen. „Ein passender Hilex lebt bereits und er könnte eine neue Mischrasse zwischen sich und einem weiblichen Drag gründen. Dieser taufrischen Rasse wird es ermöglicht werden, einen hervorzubringen, der allen den geistigen Kampf ansagt und Seelenfrieden bringt. Es wird einen Bruchteil eines Hagomen andauern, aber ich bin mir sicher, dass ich den richtigen Weg finde. Wir werden ab jetzt die Zukunft in eine Bahn lenken, die ein lohnenswertes Ziel bietet. Es hängt mir zum Halse raus, dass wir ihnen immer alles alleine überlassen müssen und es dann doch nur in Mord und Totschlag endet.“

Nie zuvor waren sie so weit gegangen und hatten zugelassen, dass ein weiblicher Drag sich mit einem Hilex kreuzt! Da wäre so einiges zu bedenken, denn dieser unnatürliche Eingriff konnte Ergebnisse mit sich ziehen, die nicht abzuschätzen waren.

„Du kannst das Gute in ihren Seelen nicht fördern, wenn das Böse von außen sie nicht dazu zwingt, den Unterschied zu sehen. Ohne einen greifbaren Widerstand in ihrem Leben verzweifelt jedes höhere Wesen an seinem Geist, weil sie ihre Seele nicht entscheiden lassen“, wandte Su ein, um ihrem Plan Nachdruck zu verleihen.
So langsam gingen bei Ka die Lichter an. „Für den passenden Gegner hast du, meine liebe Su, doch schon längst deine Pläne umgesetzt. Ohne die Dämonenseelen hätten sich auf dem kleinen Planeten schon viele zu Lichtwesen weiterentwickelt.“

Diese hinterhältige Ader war den beiden anderen ja schon bekannt, nur leider vorübergehend entfallen, beide sahen zu Su rüber.

„Ja, ihr habt recht. Ich bin aber nicht von einer Vernichtung ausgegangen, wollte bloß etwas Spannung in den Topf hineinwerfen. Im Grunde war es nur eine Handvoll Dämonen, gerade ein Dutzend.“

„Hast du ihnen erlaubt, einen seelensammelnden Irrater mitzunehmen?“, fragte Ka spitz, neigte ihren Kopf auf die Seite und linste ihre Schwester aus Sehschlitzen an.

Su grinste und nickte.

Ka grollte. „Du wirst das wieder gut machen, und mir wird schon ein Weg einfallen!“
Noch waren ihre göttlichen Schwestern nicht überzeugt, diesen Weg einzuschlagen, Su legte nach. „Gut, ich werde dem Hilex einen Weg bereiten, wenn Eusas ihn verlässt.“

Bisher hatte sich El nicht mehr in die Diskussion der beiden eingemischt, ihr Einwurf wurde ja auch gleich von Su untergraben. „Damit ist es nicht getan. Die Wesen auf dem großen Planeten stehen in ihrer Entwicklung noch weit hinter unserer Schöpfung. Es wird Kraftkriege geben, deren Ausmaße nicht abzusehen sind. Vor allem die indirekten Kämpfe um die Vormacht.“

Su guckte El an. „Dann liebste El, verrate mir, wo ich ansetzen soll?“

„Das sage ich dir, wenn es so weit ist. Ich übernehme nun den direkten Eingriff um den Hilex, der sich in der Zukunft der Zucht der Drags widmet. Du treibst uns sonst noch einen Keil in die ohnehin schon schwierige Lage. Zu gegebener Zeit sende ich ihm eine Spur zu dem weiblichen Drag, der jeden anderen Partner ablehnt. Und ihr könnt das weibliche Himmelswesen erschaffen. Und Su … ich behalte dich nun im Auge!“

Innerlich richteten sich Sus Schuppen auf, sie wollte für alles sorgen, und nun nahm El ihr dieses wichtigen Schritt ab, aber nochmals gegen ihre Schwestern anzugehen, ging auch nicht.
Su und Ka sorgten für das himmlische Dragweibchen und sandten es auf die Erde.

El war im Ansatz zufrieden. „Gut, nun zieht Eusas an. Ich gebe den Funken an Idalos, den baldigen Züchter weiter. Woblamu und Zolmer sollen sich in der Dimension umsehen und dort einen Platz für uns drei schaffen. Ab jetzt bleiben wir vor Ort.“
Ka und Su rissen ihre Augen auf. „Du willst von uns, dass wir wesenhaft werden?“, fragten sie entsetzt.
„Ihr habt euch doch gelangweilt, besonders du, Su! Nun dürft ihr Teil dieser Geschichte werden. Das dürfte Aufregung genug sein. Vorerst bleiben wir im Hintergrund. Erst wenn es an der Zeit ist, greifen wir in den Ablauf ein.“

Ein viertel Hagomen vor unserer Zeitrechnung ...

Die gehexte Dauerverbindung vom Hellamond zur Erde brach endgültig und mit ihr mussten die Draggöttinnen den Hellamond aufgeben. Die Neugier des Hexenvolks wurde zu ihrem Verhängnis, denn so verloren sie durch diesen mächtigen Verbindungshex ihren Heimatplaneten, der die Kraft nicht ausbalancieren konnte.

El griff ein, ehe es zu spät war, denn so durfte es nicht enden!

Sie musste seelisch die Bevölkerung per Transporthex evakuiert, bevor der Hellamond wegen dem zu zugstarken Bindungshex in sich zusammenbrach.

Ein Kraftakt ohne Gleichen, denn jedes Lebewesen musste gerettet werden.
Dann sorgten die drei Draggöttinnen dafür, dass nur der Hellamond Lichtjahre entfernt von der Erde implodierte und so kein weiterer Schaden entstand.

Alles aus ihrer Macht hervorgegangene – die gewollte Trennung der Hexen von den Menschen – brach mit dem Untergang des Hellamondes zusammen. Die unterschiedlichen Völker vermischten sich. Wobei sich viele magische Lebewesen einige Zonen und Dimensionen zu Eigen machten, um vor den Menschen einen abgeschirmten Bereich zu haben. Man kennt die mittelalterliche Geschichte zur Genüge, als dass man sie hier nochmals erwähnen müsste. Einer der Gründe, warum sich das magische Volk lieber überwiegend in den Zonen und Parallelen aufhielt.
Von diesem Tage an griffen die Draggöttinnen in den Ablauf ein ... zwar nicht oft ... dafür gezielt und effektiv ...

Und die Zeit schritt voran …

Ein Jahr bevor Jason M. Dragonblood sich seiner Zukunft stellen musste.

Nicht nur die Draggöttinnen planten ihre Zukunft ...

Irgendwo in der tiefsten Hexenzone, in dem düstersten Schloss seit Hexengedenken.
Dort, wo sich keine normal sterbliche Hexe hinwagte. Es sei denn, sie wolle die Seiten wechseln, oder wäre überschwänglich lebensmüde ...

„Es ist mir gänzlich egal, ob du deinen Kopf riskierst. Wenn er nicht innerhalb von einem Jahr wieder auf Dragonrock ist, dann schlage ich dir deinen Eisschädel höchstpersönlich von Hals!“, dröhnte es durch das grottenschwarze Schloss. Die schwarzhaarige Hexe drehte sich demonstrativ der verhüllten Hexe zu, verschränkte ihre Arme vor der Brust. Ihr böser rabenschwarzer Blick wurde durch den Schein der brennenden Feuerschalen noch unterstrichen. „Wie oft muss ich dir noch erklären, dass der Bastard Monate braucht, um ansatzweise dem zu entsprechen, was ich dringend für meinen Plan brauche?“ Ihre schwarzen Augen funkelten so gefährlich, dass die verhüllte Hexe angstvoll drei Schritte zurückmachte.

„Und wenn ich herausbekommen kann, wo er lebt? Du könntest ihm die Seele rauben und ohne ihn an dein Ziel kommen.“

Die bleichen, schlanken Finger der Fürstin, des schwarzen Hexenvolks wischten vor der verhüllten, eingeschüchterten Hexe durch die Luft, als ob sie diese Aussage wie einen bleiernen Nebel wegfegen wollte. „Seine Seelenkraft ist durch die Verbannung viel zu geschwächt. Und in knapp zweieinhalb Jahren muss ich ihn soweit bringen, dass er sich selbst übertrifft ... oder dann ‚und erst dann‘ in einem Kampf mit meinen Seelenfängern stirbt.“

Die junge Eishexe senkte ihren Kopf. „Ich kann mich nicht gegen den gesamten Clan der Wächter auflehnen. Er ist von ihr persönlich erst für sein zwölftes Lebensjahr zur Rückkehr bestimmt, und das sind noch drei Jahre.“

Oh, beide wussten, wer gemeint war, doch den Namen auch nur in den Mund zu nehmen, galt schon als ein direkter Angriff und meist bestrafte Axa diesen Frevel mit dem qualvollen Tod. War es doch die Großmutter des Bastards, die alle ursprünglichen Pläne vereitelt hatte!

„Du musst aber dafür sorgen, dass er spätestens nächstes Jahr zurückkehrt! Ohne seine unverbrauchte Drachenseele müsste ich weitere Jahrhunderte warten, bis ein neuer Friedensbringer der Dragots von irgendeiner dahergelaufenen Hexe ausgebrütet wird. Dir dürfte bekannt sein, wie ungeduldig ich bin ... momentan bin ich ‚sehr‘ ungeduldig. Ich warte schon zu lange.“

Mit drei weit ausholenden Schritten stand die bleiche Hexenfürstin vor der anderen und packte diese ohne deren Widerstand an der Kehle. „Schaff ihn her oder du bist die erste, die meinen Zorn am Leibe spüren wird! Im nächsten Sommer ist er da!“ Um ihren Worten Ausdruck zu verleihen, drückten ihre Finger so weit zu, bis der Mund der Hexe sich öffnete.

„Axa, bitte nicht. Ich mache alles, was du willst! Bitte nicht.“

„In genau einem Jahr hast du ihn auf Dragonrock, sonst interessiert es mich herzlich wenig, welches Blut durch deine Adern fließt.“ Ihre feuerroten Krallen drückten nochmals mit Nachdruck in die weiße dünne Haut der Hexe und ließen dann ruckartig los. Die verhüllte Hexe taumelte und rieb sich über den Hals. Von ihren Fingern lief Blut.

„Aus meinen Augen!“

Die bleiche Hexe schwankte zurück und hastete aus dem Saal.

„Du hast gehört, was sie machen muss?“

Aus dem Schatten einer Wandnische trat ein Mann, der die schon recht große Axa um anderthalb Köpfe überragte. „Jedes Wort! Ich überwache sie.“

„Kümmere dich lieber um deine Aufgabe. Es fehlen noch achtzig Dragots, die ihren Fluch im Nacken haben müssen.“
„Wie du es wünschst.“ Der Mann legte seinen ledernen schwarzen Umhang ab. Darunter trug er eine spezielle Dragotlederausrüstung, die aus einer geschnürten braunschwarzen Lederhose und einem ledernen Brustpanzer samt Harnisch bestand, welche jede Wandlung seines Körpers mitmachte.

Drachenpackleder verband sich mit jeder Abstufung der größeren Wandlung mit seinem Träger und löste sich unbeeinträchtigt mit der Rückwandlung.

Zwischen seinen breiten muskulösen Schulterblättern riss die Haut auf und ein Paar gewaltige Drachenflügel wuchsen hervor. Er schüttelte die Blutreste der Flügelwandlung ab und faltete seine Flügel ein.

„Nimm das dritte Tor. Es führt dich dicht an die Hexenzone heran. Und reiß dich zusammen, die Wächter machen sonst Jagd auf dich.“

Der schwarzhaarige Dragot mit den dunklen Augen lächelte herablassend. „Ja, ja, ich weiß.“

Axa beäugte ihn argwöhnisch und winkte ab. „Wir dürfen noch nicht zu viel Aufsehen erregen. Halte dich zurück, keine Abschlachtung der Wächter mehr.“

„Du verdirbst mir auch jeden Spaß!“, grollte der schwarzhaarige Hüne zu Axa herunter und lächelte anmaßend mit seinen schwarzen Augen. Er strich mit seinem Daumen über Axas Kinn und sah ihr tief in die Augen. So schnell er diese kleine Geste ausführte, so schnell nahm er wieder Abstand. „Er wird es nicht gut heißen, dass du seinen Sohn zu deinen Zwecken missbrauchst.“

„Du hast ja keine Ahnung, wie gleichgültig mir das ist. Er hat selber diesen Weg geebnet und muss nun mit den Konsequenzen leben.“

Der Dragot ging mit gemächlichem Schritt auf den angrenzenden riesigen Balkon und stellte sich an das steinerne graue Geländer. Sein Blick schweifte zur untergehenden Sonne, die den Himmel in rosaviolette Töne tauchte. „Ich werde erst in drei Monaten wieder hier sein“, sagte er beiläufig.
„Damit kann ich leben.“

Mit einem kraftvollen Satz sprang er katzenhaft auf die Brüstung. „Gut, ich auch.“ Seine Flügel weit ausgebreitet sah er sich ein letztes Mal zu der Fürstin der dunklen Hexen um und grinste breit. „Man sieht sich.“ Er sprang in die Tiefe und glitt mit den auftreibenden Winden zwischen den beidseitigen Hügelketten zum Horizont.

Axa wand sich ab, als er am Horizont dem roten Feuerball so nahe war, dass ihre Augen ihn nicht mehr ausmachen konnten. „Ich muss mich weiter absichern.“

Böse Flüche schallten durch ihr Schloss, als sie auf ihre Kristallkugel zuging, um einen ihrer engsten Vertrauten zu sich zu beordern.

Wenige Minuten später kam ein kleiner rothaariger Hexer ihr in der Vorhalle entgegen und verneigte sich vor seiner Fürstin.

„Wir planen nun einen Übergriff in Etappen! Anscheinend begreift hier kein anderer, was ich im Vorfeld alles in ihm aktivieren muss!“

„Ich stehe dir zu deiner vollständigen Verfügung bereit! Was immer du befielst, meine Fürstin, wird geschehen!“

Ein böses Lächeln umspielte die schmalen blutroten Lippen der Hexe. „Wenigstens auf dich kann ich mich verlassen. Setzen wir uns, mein lieber Stafford, der Hexsud steht bereit.“

 

Zeitgleich offenbarte sich für die Dragots im Buch der Chronik, dass in einem Jahr der Friedenbringer in die Hexenwelt zurückkehren würde. Doch das Buch gab nicht, wie sonst, den Namen des Dragots preis. So musste mit der Suche nach ihm gewartet werden, leider, denn ohne seine magische Ausstrahlung konnte Jason noch nicht erfasst werden.

 

 

 

 

 

 

Besuch in der Hexenwelt

 

 

Jetztzeit ... die Geschichte des Jason M. Dragonblood

Vanilla McPowerstone, Jasons Großmutter mütterlicherseits, löschte mit einem Fingerschnipsen das heruntergebrannte Feuer im Kamin. Sie ging in ihre Küche, um ihre Tasche zu packen, oder vielmehr sie sich selber mit Anweisung packen zu lassen. Magische Taschen mochten es nicht sonderlich gerne, wenn man persönlich etwas in sie hinein tat. Im Prinzip saugten diese Behälter die geforderten Utensilien schlicht und einfach auf.

Alles, was mit musste, stellte Vanilla neben ihre Tasche. Verschiedene Kräuterfläschchen, magische Pillen und eine kleine steinerne Drachenfigur verstauten sich von alleine darin.

Nun hexte Vanilla die Fensterläden zu und ließ auf jedes ihre Möbel ein flammenfarbenes Abdecklaken niedersinken, was optisch den Eindruck hinterließ, alle Möbel stünden ebenso in Flammen. Wie es einer reinen Feuerhexe gebührte.

Sie bedachte alles mit einem wohlwollenden Blick, wie sie es immer tat, wenn sie für mehr als ein paar Tage ihr Haus auf Dragonrock verließ.

Abschließend stellte Vanilla sich vor ihren großen Spiegel im Flur, kämmte ihr langes schwarzgrau meliertes Haar zurück und hexte es zu einem Dutt. Ein prüfender Blick in den Spiegel, ja, alles saß, ihre dunkelgrünen Augen leuchteten. Sie freute sich auf ihren Ausflug wie immer, doch dieses Mal ganz besonders. Vanilla legte sich ihren Umhang über die Schultern. „Ich muss mehr darauf achten, was ich esse“, schalt sie sich selber. Ihr Hüftumfang war mit den Jahren nicht sonderlich ausgeartet, doch in letzter Zeit hatte sie nicht viel zu tun und das konnte man ihr mittlerweile ansehen.

Tief einatmend trat sie vor die Tür, wandte sich um und rief ihren Besen. Im Eiltempo schnellte der Besen aus der Küche herbei. „Wir zwei müssen ins Dorf. Der Junge braucht angemessene Kleidung“, flüsterte sie ihrem Besen zu.

„Sei gegrüßt Vanni.“

Ungerührt drehte sich Vanilla nach rechts, dort saß ein riesiger Mann auf ihrer überdachten Verandaschaukel. Dass die dünnen Ketten der Schaukel seinem Gewicht standhielten, war nur dem Umstand zu verdanken, dass sie aus einer Titanverbindung konstruiert waren. Vanilla sog den leichten Schwefelgeruch des Mannes ein, was ihr ein angenehmes Kribbeln auf der Haut bescherte.

Sie ging ein paar Schritte auf den vermummten Mann zu. „Dir auch einen Gruß. Wollten wir uns nicht erst in einem Monat treffen?“

Durch seinen riesigen, schwarzen Umhang konnte sie sein Gesicht wie üblich nicht sehen. Die Kapuze seines ledernen Umhangs war so tief nach vorne gezogen, dass nicht einmal sein Mund zu sehen war. Eigentlich hatte sie sein Gesicht das letzte Mal vor über zehn Jahren gesehen, was ihrer langjährigen Freundschaft aber nicht schadete.

„Was ist so wichtig, dass es nicht noch einen Monat warten kann?“, fragte sie ihn seelenruhig, obwohl sie die Antwort schon kannte.

„Ich will nicht um den Brei herumreden, Vanni. Du kannst es nicht mehr verhindern. Alle meine Seelen kennen seinen Namen. Bilwer schickt die Dragots heute noch auf die Suche nach ihm in alle Reiche. Und sie werden ihn über kurz oder lang sichten.“

Keine neue Information, Vanilla zog eine Braue empor und lächelte. „Das ‚Finden‘ lass mal meine Sorge sein. So schnell gebe ich ihn euch nicht.“

Der große Mann stand auf, verschränkte seine Arme vor seiner breiten Brust und lehnte sich gelassen an die Hauswand. „Es liegt ihm im Blut, du kannst ihn nicht zu einem der euren machen.“

Vanilla sah lächelnd in die tiefe Schwärze seiner Kapuze. „Das hatte ich nie vor. Aber bei seinem derzeitigen Wissensstand könnte ich ihn Axa gleich vor die Krallen schieben. Er muss erst einige Grundregeln der Hexerei beherrschen. Überlege doch, er ist noch viel zu jung.“

„Das ist mir auch bekannt!“, entgegnete der Mann, stieß sich von der orangen Wand ab und fügte hinzu: „Doch wir könnten ihm sein Wissen viel schneller vermitteln, als es je eine Hexe schaffen würde. Einschließlich deiner Person!“

Energisch schüttelte Vanilla ihren Kopf. „Zakton, ich will weder dir noch den anderen Dragots auf die Füße treten. Aber der Junge wird seiner Mutter entrissen, kommt auf eine Insel, an die er sich wahrscheinlich gar nicht mehr erinnert, und darum überlasse ich ihn euch erst, wenn die Zeit reif ist.“

„Du musst es ja wissen! Aber beschwer dich im Nachhinein nicht bei mir, wenn der Junge eher bei meinen Seelen auf meinem Friedhof landet, als es uns allen recht ist!“

Anhand seiner brummigen Stimmlage konnte Vanilla gut heraushören, dass diese Antwort alles enthielt, was ihm nicht in den Kram passte. „Ich werde deine Meinung beherzigen, aber meine wirst du nicht ändern!“, konterte sie mit einem sturen Unterton.

Zakton sah auf sie herab. „Ich nehme das erst einmal so hin. Aber sorge wenigstens dafür, dass Rob ihn unter seine Fittiche nimmt.“

Diese Lösung lag ohnehin schon auf der Hand. Vanilla atmete schwer ein, sie hatte mit viel mehr Widerstand von Seiten der Dragots gerechnet, aber vor ihr stand ja auch nicht der Stimmführer der Dragots. „Nichts anderes hatte ich vor.“

Zakton streckte seine Arme, worauf das Leder seiner Kampfausrüstung leise knirschte. „Gut, und denke daran, dass sein Schicksal geschrieben steht.“

„Nicht alles ist unabdingbar! Er wird seinen Weg finden, und ich beseitige vorher einige Steine für ihn.“

Diese sture Hexe. Zakton resignierte, blies seinen Atem hörbar aus. „Wohl dir, Vanilla McPowerstone.“

„Wohl dir, Zakton.“

Der gewaltige breite Kerl ging ein Stück in den Garten und drehte sich Vanilla zu. Ihr Blick folgte ihm, was gleich kommen würde, sah man selten in der Hexenwelt. Die wenigsten Dragots ließen ihre Flügel heraus, meist flogen sie zur Tarnung mit Besen wie das Hexenvolk.

Hätte sie sein Gesicht sehen können, dann hätte sie sein spitzbübisches Grinsen gesehen, doch sie ahnte es auch so.

Zakton kannte Vanillas Sturheit, und so manches Mal war es lebensrettend, dass sie ihren Standpunkt so vehement vertrat.

Aus Aussparungen seines ledernen Umhangs fuhren auf Schulterblatthöhe zwei gigantische braunschwarze Drachenflügel hervor. Vanilla sah fasziniert dabei zu, nicht allzu oft sah sie die Wandlung eines Hexers zum Dragot. An einigen Stellen fielen Vanilla die Kampfspuren an seinen Flügeln auf. Ein Stück seines Außenknochens lag sogar blank und an mehreren Stellen war die Flügelhaut eingerissen, teilweise fehlten Stücke am unteren Rand. Nie zuvor hatte sie seine Flügel bei Tageslicht so nahe gesehen, doch nun ahnte sie, dass er nicht umsonst seine Kapuze tief im Gesicht trug. Sicher war sein Gesicht, wie auch der Rest seines Körpers, durch die vielen Kämpfe gegen das dunkle Hexenvolk arg in Mitleidenschaft gezogen worden.

„Sie werden nicht lange brauchen um ihn zu finden, lass dir das gesagt sein.“

„Ich weiß“, antwortete Vanilla ruhig.

Zakton begann mit seinen Flügeln zu schlagen, wegen der Beschädigungen brauchte er etwas länger um abzuheben und flog Richtung Wald davon.

Vanilla McPowerstone stieg seelenruhig auf ihren Besen und überflog die Landschaft. Das Dorf lag am östlichen Teil der Insel, nahe den Steilklippen.

Unterwegs traf sie auf eine gute Freundin, die ebenfalls auf dem Weg ins Dorf war. Ihr feuerrotes Haar wehte wie eine Fahne im Wind, sie trug ein ähnliches Hexengewand wie Vanilla, doch an ihr schlackerte es um den dürren, knochigen Körper. Die Hexe lächelte mit ihrem verhärmten Mund zu Vanilla rüber.

„Sei gegrüßt, Kiraba. Was treibt dich in den frühen Morgenstunden ins Dorf?“

„Dir auch einen schönen Tag, Vanni. Ich erwarte meine Enkelin in einer Woche. Da müssen einige Vorbereitungen getroffen werden. Hast du denn schon alles vorbereitet?“ Ihre Stimme war wie immer einige Oktaven zu schrill und tat Vanilla in den Ohren weh, aber sie lächelte freundlich zurück.

Kiraba schob ihre dicke Brille auf ihrem hageren Nasenrücken zurecht.

„Einiges, doch nicht alles. Ich will ihn die Entscheidungen selber treffen lassen. Bei meinem alten Geschmack muss ich dann im Nachhinein womöglich alles wieder ändern“, bemerkte Vanilla Augen rollend.

„Das ist sehr bedacht“, stellte Kiraba nickend fest.

„Wer holt deine Enkelin ab?“

„Meine Schwester, sie bringt sie mir vorbei. Ich kann wegen der Familienfestvorbereitungen nicht alles stehen und liegen lassen.“

Die beiden Hexen landeten auf dem altertümlichen Marktplatz, liefen noch ein kurzes Stück zusammen auf die wenigen Geschäfte zu, und verabschiedeten sich voneinander, da sie verschieden Pläne verfolgten.

Vanilla ging grüßend an dem immer muffeligen Besenmacher vorbei, der wie gewohnt auf seiner Bank vor seinem Laden saß. Ihr Ziel war heute der Kleidershop.

Dieser befand sich an einer steil emporragenden Klippe am Rande des Dorfes. Das Geschäft war halb in den zerklüfteten Stein geschlagen und die vordere Ansicht ähnelte einem grauschwarzen Iglu. ‚Duncan’s Höhle für Kleidung nach Maß in Windeseile‘ stand in goldenen Lettern über der Tür. Vanilla mochte den Ladenbesitzer nicht sonderlich, aber es gab keinen anderen Laden, der so schnell arbeitete.

„Seid gegrüßt, Meister Duncan.“ Vanilla stellte sich an den Tresen.

Ein hochgewachsener, schlanker, schwarzhaariger Mann im Maßanzug reichte ihr lächelnd die Hand. „Seid gegrüßt, Lady McPowerstone. Wie kann ich Ihnen behilflich sein, vielleicht eine neue Pellerine?“ Seine dunklen Augen leuchteten erwartungsvoll. Vanilla war eine vertraute Kundin, die immer nur die besten Stoffe für ihre Kleidung auswählte.

Ihren aufkeimenden Ekel vor seiner schleimigen Art verbarg Vanilla. „Ich komme auf diesen Gedanken zurück, wenn ich mit meinem Enkel komme.“

„Ach, ist es schon wieder so weit?“

Seine Augen verfinsterten sich ein wenig, was Vanilla sehr genau beobachtete. Sie überging allerdings seine ablehnende Haltung.

„Wie werden Sie Dragonrock wieder anreisen? Ich hörte, dass die Zonentore gegenwärtig keinen einreisen lassen. Die Unruhen sollen in den letzten Tagen stark angestiegen sein.“

„Möglicherweise durch die T-Tunnel. Aber ich denke, wir werden vielleicht den Seeweg nehmen. Das hieße, wir wären in ein bis zwei Wochen wieder hier, dann müsste er neu eingekleidet werden.“

„Ich schaue in meinen Terminkalender, was ich noch freihabe.“ Er strich mit dem Finger über die Seiten seines dicken Buches, bis eine freie Stelle aufleuchtete. „Ah da, am Siebzehnten um ein Uhr zwanzig bis ein Uhr fünfundzwanzig, ist es Ihnen recht?“

„Ja, das kann ich einhalten. Dann sehen wir uns am Siebzehnten.“

Vanilla verließ zügig das Geschäft. Sie sah sich um und durchlief schnellen Schrittes das Dorf. Nicht, dass sie es besonders eilig hätte, aber sie müsste zu viele grüßen und die meisten ließen sich auch nicht ohne ein kleines Schwätzchen abspeisen. Leider war der Besenflug im Ort verboten. Noch waren nicht viele unterwegs, doch das konnte sich ziemlich rasant ändern …

Wenn man dran dachte!

So langsam kam Leben ins Örtchen … Fensterläden klapperten, Haustüren gingen auf, als ob ein Uhrwerk zum Tagesanbruch rief.

Kurzerhand bestieg Vanilla schon vor dem Dorfrand ihren Besen und flog empor, so hoch, dass Dragonrock in seiner gesamten Schönheit unter ihr lag.

Seit mehr als sechzehntausend Jahren war es die einzige Insel im Atlantik, auf der ausschließlich Hexen und Hexer lebten. Geschützt durch eine mächtige Hexerei, der ortsansässigen Hexenmeister, lag die Insel auf so hohen Steilklippen, dass selbst Menschen, die sie je durch Zufall erreichten, diese nicht zu erklimmen vermochten.

Dragonrock selbst gehörte einer weitläufigen Inselgruppe an, allerdings waren die umliegenden kleineren Inseln unbewohnt. Seit die Flugtechnik Einzug in die Menschenwelt gehalten hatte, war es unumgänglich geworden, ein spezielles Magnetfeld zu errichten; so trotzte die Insel sogar Satelliten und anderen Ortungsgeräten.

Hin und wieder, wenn der umleitende Wind ein Passagierflugzeug nicht schnell genug erwischte, durchfuhr die Insel ein kleiner Ruck und man hörte Flugzeuge, die an den riesigen Klippen zerschellen. Doch seit gut fünfzehn Jahren hatten die ‚Wächter der Harmonie‘ das endlich in den Griff bekommen.

Auf der Insel lebten momentan überwiegend Hexen, denen die Menschenwelt zu schnell dem Verfall entgegensah, und solche, denen das Menschenvolk schlichtweg zu simpel gestrickt war. Hier auf Dragonrock herrschten andere Gesetze. Sicher konnte auch unter dem Hexenvolk keiner machen, was er wollte, ohne Rücksicht auf die anderen zu nehmen, doch man sah hier vieles lockerer. Für eventuelle Übertretungen der Regeln gab es eine Gruppe von Hütern der Harmonie, die jedoch weniger auf Dragonrock in Erscheinung traten, als vielmehr unter den Hexen, die es vorzogen, unter den Menschen und in den vielen anderen Zonen zu leben.

Die Hüter der Harmonie oder auch meist kurz Harmhüter oder Harmwächter genannt, bekämpften die Hexen, die sich der dunklen Hexerei verschworen hatten. Kein leichtes Unterfangen, denn es wurden stetig mehr.

Seit nun gut zehn Jahren wurde beobachtet, dass es bedenklichen Zuwachs unter den Anhängern der dunklen Hexerei gab. Dunkle Hexen hassten Menschen, hin und wieder mischten sie sich unter sie, um ihnen das Leben schwer zu machen. Da aber jeder nachweisbar vorsätzlich verhexte oder sogar getötete Mensch zu einer sehr hohen Haftstrafe in der Haftzone führte, hüteten sich selbst die dunklen Hexen vor allzu viel Aufmerksamkeit. Andererseits konnten die Harmhüter trotz ihrer großen Anzahl nicht überall zugegen sein. Das war derzeit besonders bedauerlich, denn die Unruhen traten wirklich vermehrt auf.

Vanillas Augen glitten über die Insel, als ob sie sich sicher sein wollte, dass alles in Ordnung war. Ihr Blick wanderte über das Dorf hin zum Wald, der träge und dunkel dem ersten Morgengrauen entgegen trotzte. Sie sah zum Inselvulkan, dessen letzte Aktivität mehr als fünftausend Jahre zurück lag. Der Kraterrand mit seinen flachen Ausläufern hatte über Jahrhunderte einen breiten Vulkansee entstehen lassen, ein beliebtes Ausflugsziel der Inselbewohner und Hexenurlauber, die sich übers Jahr hier einfanden. Natürlich kamen auch fremde Reisende auf die Insel, denn Dragonrock hatte einen der vier ultimativen Überalldurchlässe in die Menschenwelt und Zugänge in sämtliche Welten. Das stand im direkten Zusammenhang mit dem Umstand, dass Dragonrock der Ursprungsplatz des Hexenvolkes war, seit der Hellamond, ihre eigentliche Heimat, nicht mehr existierte.

Hinter dem Vulkan war vor nicht allzu langer Zeit ein Dschungel angelegt worden, denn einige Drachenrassen brauchten die Feuchtigkeit zum Brüten. Vanilla musste schmunzeln; ihre Gedanken drifteten zu ihrem Enkel, der keinerlei Ahnung von diesen Wesen hatte, aber dessen ganzes Zimmer vollgestopft mit Drachenfiguren war. Was würde er sagen, wenn er seinem ersten leibhaftigen Drachen gegenüberstand?
Zu guter Letzt schaute sie auf die majestätische Festung von Dragonrock, die wie ein riesiges Monument in den blauen wolkenlosen Himmel ragte.

Die Drachenburg war eigens zum Zwecke der Drachenzucht errichtet worden. Das Hexenvolk hatte sich darauf geeinigt, die von den Menschen und Hexen fast ausgerotteten Drachenrassen zu züchten, um ihren Untergang zu verhindern.

Alle vier Haupttürme hatten innere Ausmaße von drei aneinander liegenden Fußballfeldern. Verbunden waren die gewaltigen Türme mit einer Burgmauer, die den Türmen in nichts nachstand. Die verbindende Mauer reichte den Türmen bis zur Hälfte an Höhe, ihre Breite war ausreichend, um Drachen jeder Größe ohne Bedenken durch die ausgebauten Gänge zu führen.

Um jedes der vier Turmdächer wand sich ein riesiger versteinerter Elementdrache, ein Überbleibsel aus früher Zeit und doch ein wahrer Dachschmuck der besonderen Art. Erst durch Zuordnung der Elemente gelang Stück für Stück die Zucht, die anfangs erfolglos verlief. Dank Idalos Dragonblood, dem es sehr am Herzen gelegen hatte, dass jedes Drachenweibchen dem passenden Männchen zugewiesen wurde. Er hatte erkannt, dass die Elementzuordnung von entscheidender Wichtigkeit war.

Das nachträglich erbaute große Schloss inmitten des Innenhofes verlor sich fast in der riesigen Festung. Vanilla beobachtete, dass nur wenige Gäste vor dem Schlosshotel standen. Die meisten verlegten ihre Reisen wegen der Unruhen auf Außenbezirke. Keine gute Voraussetzung für die Kinder der Insel, aber dazu später mehr.

Hinter der Festung türmte sich ein zerklüftetes Bergmassiv, in dem vereinzelt Bäume auf winzigen, lebensspendenden Grasflächen wuchsen; sie boten einen bizarren Gegensatz zu den kahlen Bergen. Weit links hinter dem Schloss und damit nördlich reichte die Bergkette in ein kleines Bergwäldchen, in dem ein verfluchter Wasserfall entsprang.

Alles lag an diesen frühen Morgenstunden friedlich und erhaben da. Wehmütig schaute sie sich nochmals um und wusste, dass die Zukunft auch an Dragonrock nicht spurlos vorbeigehen würde.

Vanilla zog ihren Besenstiel an und ließ ihn weiter steigen, die Luft wurde merklich dünner.

Vor ihr breitete sich nun ein Netz von Turbotunneln aus, die in verschiedenen Höhen lagen. Je höher, desto weiter und schneller führten die Luftsogtunnel. Insgesamt gab es drei Typen der Turbotunnel, die tiefsten führten stadtweit, die mittleren länderübergreifend und die höchsten Flugtunnel brachten Hexen in minutenschnell über Ozeane und Kontinente. Sie sahen aus wie Luftsaugströmungen, die durch durchsichtige Röhren führten. Sichtbar waren sie nur dem Hexenvolk, aber nicht jede Hexe konnte darin fliegen. Es war nur eine von vielen Möglichkeiten, die Insel zu verlassen. Vanilla peilte einen spitzen Winkel zum Kontinentaltunnel an und flog hinein. In Sekundenschnelle raste sie durch den Sog ihrem Ziel entgegen.

Parallel mit Vanillas Reise in die Menschenwelt standen auf einer geheimen Insel im Eismeer des Nordens an die dreißig Dragots um den Abgrund ihres Inselvulkans herum.

Teils trugen sie Drachenflügel, teils waren sie Halbdrachen auf zwei Beinen. Durch ihre makellose Mischung aus Hexen- und lebendem Drachenblut waren sie in der Lage, alle Stufen der Wandlung zu vollziehen und halten zu können. Egal, ob simpler Hexer oder ausgewachsener Drache sowie jede Abstufung dazwischen.

Durch die beiden Kräfte, die sie in sich vereinten, standen sie mit ihrer Macht sowohl über dem Hexenvolk als auch allen Drachenrassen. Sobald sie ihre Entwicklung abgeschlossen hatten, gab es nur wenige, die sie zu Fall bringen konnten. Rein äußerlich konnte man sie in ihrer Hexenform nur daran erkennen, dass sie größer und breitschultriger waren. Als Drachen waren sie von anderen Artgenossen nicht zu unterscheiden.

Bilwer, der Stimmführer und Älteste verkündete endlich die Ankunft des größten Sehers der Jetztzeit, denn seine Magie würde bald entfesselt werden.

Ja, die Seelen der verstorbenen Dragots auf dem Friedhof, die dort herumschwirrten, waren manchmal sehr geschwätzig!

Wie schon so oft in den letzten Wochen sandte Bilwer die Späher der Dragots aus, mit der Absicht ihn bis zu diesem Tage zu schützen. Bisher eine fruchtlose Suche, denn keiner wusste, wer er war, noch wo.

Es stand lediglich fest, dass es kein erwachsener Dragot wäre. Weiterhin keine leichte Suche, doch ein Dragot konnte, wenn er gezielt suchte, auch einen jugendlichen Artgenossen erkennen.

In der Weissagung stand jetzt auch endlich geschrieben, was auf alle zukam und wovor der Friedenbringer sie bewahren sollte: In zwanzig Mondwechseln würde sich eben dieser Seher für den Erhalt der Erdoberfläche opfern.

Es wurde ebenso prophezeit, dass er den Schutz benötige und unter keinen Umständen zu Schaden kommen dürfe, da dunkle Mächte schon jetzt nach seiner Seele greifen würden.

„In den nächsten Tagen betritt er die Hexenwelt. Fliegt aus, überwacht die Hexenwelt, er kann noch nicht wissen, dass er einer von uns ist. Findet und schützt ihn!“

Bis auf den Stimmführer breiteten alle Dragots ihre Flügel aus. Keiner widersprach ihm. In Sekunden wurde alles durch ihre Flügelschläge in eine dicke Staubschicht gehüllt. Bilwer blieb mit gemischten Gefühlen am Rande des Kraters stehen.

„Ist es möglich, einem Kind die Rettung aller zu überlassen?“ Seine Flügel erzitterten durch die aufsteigenden Winde.

Grüblerisch kratzte er durch seinen langen, ergrauten Bart und ging eine Runde auf dem Krater, bevor er sich in seine Hütte begab. Mit seinen Gedanken immer bei den Leuten seines Volkes und deren bevorstehender Zukunft, die nicht rosig aussah ... nein, wenn man es genauer betrachtete, dann stand ihre Ausrottung in den nächsten Jahrzehnten buchstäblich bevor. Das Hexenvolk und die Dragots verband nicht viel, im Gegenteil, die ursprünglich roh veranlagten Gemüter der Dragots waren nicht ganz unschuldig daran, dass das Hexenvolk ihnen immer schon nach dem Leben trachtete, um in Frieden leben zu können. Doch die Zeiten hatten sich schon vor Langem geändert ... was das Hexenvolk weder billigte, ja nicht einmal wahrnahm. Und zu allem Überfluss wusste das dunkle Volk, dass Dragots sich in Einzelteilen sehr wohl zu vielerlei Zwecken und magischen Handlungen eigneten.

Europa, Deutschland, irgendwo in Bremen ...

Jason lag steif in seinem Bett, er öffnete ein Auge einen Spalt weit, linste durch seine dunklen Wimpern. Von irgendwoher kam ein Geräusch, das er nicht orten konnte. Er spähte durch sein Zimmer, welches voller Drachen stand. In sämtlichen Variationen sammelte er diese verzaubernden Wesen.

Oben im Regal neben der Tür ruhte sein Lieblingsexemplar, ein feuerroter Drache, der stolz erhobenen Hauptes die anderen bewachte. Jasons neueste Errungenschaft war ein schneeweißer geflügelter Drache, für ihn hatte er den richtigen Platz noch nicht finden können. Jedes Mal, wenn er den Drachen ansah, fühlte er ein leichtes Ziehen im Rücken, denn die Augen des Drachen beobachteten ihn, egal wo er sich in seinem Zimmer aufhielt.

Die kleineren Drachen standen in einem Glasschrank, um den er einen kleinen Aufstand hatte machen müssen, bis er ihn endlich bekommen hatte. Die Vitrine war aufgebaut wie eine Burg, die Stützen waren wie Türme gefertigt. Die Seiten des gläsernen Schrankes ähnelten Burgmauern, auch die Ebenen waren nicht wie üblich aus Glas, sondern sahen aus wie Steinintarsien, die in einen Mosaikboden gebettet waren. Eben einem Schlossboden nachempfunden. Sein Blick wanderte Richtung Tür, wo ein großer rotbrauner Bodendrache saß. Er hielt ein Tablett in den Klauen, darauf standen drei Nachbildungen antiker Drachenkelche. Jason sah auf das Fußende seines Bettes zu seinem Computer, an dem er gestern noch heimlich bis tief in die Nacht sein Lieblingsspiel ‚Drachenturnier des Mittelalters‘ gespielt hatte. Die Kontrollleuchte blinkte, er hatte vergessen den Monitor abzuschalten.

Die Tür war fest verschlossen, das Geräusch musste von draußen kommen. Doch das wirkte sich nicht beruhigend auf ihn aus.

Da war es wieder: Stechende Schmerzen fuhren urplötzlich in Jasons Schulterblätter, raubten ihm den Atem, pressten seine Schultern nach vorn. Er musste sich aufsetzten, so sehr quälten ihn die tiefen Schmerzen. Seit ungefähr einem halben Jahr trat der Schmerz in unterschiedlichen Abständen und zu den unmöglichsten Zeiten auf.

Anfangs hatte er seiner Mutter von den wiederkehrenden Schmerzen erzählt. Da ihre Reaktion aber so beängstigend war - ihre Augen füllten sich dann immer mit Tränen und sie brachte kaum ein Wort heraus - verschwieg er weitere Anfälle dieser Art. Jeder Frage seinerseits wich sie meist mit Wachstumsproblemen aus, die Jason ihr aber bald nicht mehr abnahm. Der stechende Schmerz verging ja auch zum Glück immer ziemlich schnell.
Jason peilte auf den Wecker, halb acht, eigentlich die Zeit, in der er zur Schule ging, aber es waren ja Ferien. Er drehte sich um, ließ sich in seine Kissen fallen und schlief unter dem abklingenden Druckschmerz wieder ein.

Er träumte seit ein paar Tagen vermehrt ein und denselben Traum von einer außergewöhnlich seltsamen Insel. Immer wieder flog er über diese Insel hinweg und suchte etwas in dem nahegelegenen Waldstück. Überall verstreut standen Hütten und Häuser, die nichts ähnelten, was Jason jemals gesehen hatte.

Um zehn Uhr erwachte Jason erneut, nun hielt ihn nichts mehr im Bett. Er schlurfte ins Bad, wusch sich und griente dabei in den Spiegel. Stolze zehneinhalb Jahre, einen Meter und achtundfünfzig Zentimeter groß, braune kurze Haare, tief dunkelgrüne Augen. Ein leichter Bauchansatz, bei Mamas leckerem Essen kein Wunder.

‚Zähne putzen ... frühstücken‘, brummte er gedanklich er und drückte die Zahnpaste auf seine elektrische Zahnbürste. Eine Macke, die er nicht aufgeben wollte, wie oft hatte seine Mutter ihm gesagt, er solle seine Zähne erst nach dem Frühstück putzen.

Jason ließ die Bürste über die oberen Backenzähne kreisen, als seine Mutter aus der Küche heraus rief, dass das Frühstück fertig sei. Er betrachtete seine sauberen Zähne, ließ sie aufeinander klappern und stellte den Becher in seine Wandhalterung. Mit wenigen Schritten war er in der Küche und zwängte sich zwischen Küchenbank und Tisch. Die Küche sowie die gesamte Wohnung waren eher klein gehalten, aber dafür umso gemütlicher. Während er sein Brötchen aß, überlegt Jason, was er heute machen würde. Sein Blick fiel auf seine Mutter, sie sah heute so angespannt und unruhig aus. „Mama, was ist?“

„Nichts, mein Schatz“, antwortete sie übereilt und stellte Jason das Milchglas vor die Nase.

Weiter auf ihren Gemütszustand eingehen konnte er nicht, denn Charlyn, seine sechsjährige Schwester, stürmte in die Küche und direkt auf Elaine zu.

„Mama, Mama, komm mal!“, sie zog ihre Schniefnase lautstark hoch. „Ich brauche meinen Zauberstab aus’m Schrank, und ich kann nicht ran. Schnell Mama, gleich fängt meine Lieblingssendung mit den Hexen an!“

Mit ihrem blauen Stöckchen bewaffnet und wehendem dunkelbraunen, gewellten Haaren rannte sie in die Abstellkammer, schnappte sich den alten Kehrbesen und verschwand im Wohnzimmer.

Hexe zu spielen war für die kleine Charlyn mit der frechen Stupsnase das Größte. Elaine fand das nicht sonderlich prickelnd, was man immer an ihrer krausgezogenen Nase sah. Warum, wusste keines der beiden Kinder, es war ja eigentlich nichts dabei, eine kleine Hexe zu spielen.

Nach seinem ausgiebigen Frühstück von drei Brötchen stürmte Jason in sein Zimmer, zog sich fertig an, denn sein schwarz-weißer Tibet Terrier Charly wollte raus.

Im Vorbeigehen ergatterte er noch ein trockenes Brötchen vom Küchentisch, da klingelte das Telefon.

Elaine hob ab. „Jason, für dich ... Skyla.“ Sie reichte ihm den schnurlosen Hörer.

„Hey Skyla ... ja, ich komm mit Charly. Wir können rumlaufen, okay? ... ja gut, bin gleich da.“ Er beendete das Gespräch und legte das Telefon auf den Tisch.

„Mama, wo ist die Leine?“

„Sie müsste direkt vor deiner Nase liegen.“

Jason stand im Flur, sah nur die Zeitungen, die sich aber in der Mitte verdächtig wölbten. Er hob die Zeitungen an und siehe da, da war die Leine, die sich seltsamerweise immer seinem Zugriff entzog und sich an den unmöglichsten Stellen in der Wohnung vor ihm versteckte. Obwohl ... es lag wohl eher an ihm, weil er sie selber ständig verlegte. Komisch an der Sache war nur, dass er lediglich seine Mutter fragen musste, wo sie läge und immer hatte sie die passende Antwort ... sehr seltsam. Jason verscheuchte den Gedanken und wollte Charly rufen, doch der stand schon längst hinter ihm, stupste seine Nase in seine Wade und wedelte erwartungsvoll mit seiner Rute.

„Tschüss Mama.“

Elaine warf einen Blick aus der Küchentür und guckte Jason bedrückt an. „Pass auf dich auf.“

Da er fast gleichgroß wie seine Mutter war, neigte er nur leicht seinen Kopf. „Mach ich. Ist noch was?“, fragte er vorsichtig, denn sie wirkte heut nicht wirklich so wie immer.

Sie schüttelte leicht den Kopf, doch ihre Miene verriet, dass sie nicht unbedingt davon überzeugt war, das nichts wäre.

„Nun geh endlich, Charly muss!“

Heute Abend würde Jason sie solange nerven, bis sie ihm endlich Antworten geben würde.
Bereits seit seinem zehnten Geburtstag, der schon über ein halbes Jahr zurücklag, war sie hin und wieder besorgt, und es machte auf Jason den Eindruck, sie würde auf irgendwas warten, dem sie lieber nicht ins Auge sehen wollte ... Seltsam.

Jason öffnete die Wohnungstür, warf einen Blick zur Küche, doch Elaine klapperte bereits wieder mit dem Geschirr.

Immer nur jede zweite Stufe nehmend hechtete er die vier Stockwerke runter und zog die Haustür des Mehrfamilienhauses auf. Die Sonne strahlte so heftig vom Himmel, dass Jason im ersten Moment die Augen zukneifen musste. ‚Hoffentlich bleibt das Wetter die ganzen Ferien so‘, dachte er und strahlte mit der Sonne um die Wette.

Charly markierte seinen Lieblingsbaum direkt vor dem Haus. Derweil sah Jason über den langen Fußweg, der bis zur Straße an weiteren sieben Eingängen entlang führte, dass Skyla bereits auf der anderen Straßenseite wartete. Als sie ihn bemerkte, kam sie ihm entgegen.

Sie hatte ihre blonden Haare wie gewohnt zu zwei langen Zöpfen geflochten. Mit ihren braungrünen Augen strahlte sie Jason an.

„Hey Skyla, gehen wir zur Schaukel?“

„Später, ich muss erst für Oma einkaufen. Sie wird immer putziger. Weißt du, was ich ihr besorgen sollte, als ich sie fragte?“ Skyla ließ Jason keine Zeit zum Überlegen und antwortete gleich selber. „Ich soll Fliegenbeine und Käferleber besorgen. Bekloppt oder? Mama sagt: Oma ist verkalkt. Sie bräuchte nur Milch, Brot und ne Tageszeitung.“

Jason grinste, denn Skyla hatte eine Art an sich, die manchmal ziemlich engagiert klang. Sich weiter darüber wundernd, was ihre Großmutter da gesagt hatte, machten beide einen großen Rundgang mit Charly durch das Wohnviertel, das aus mächtig vielen Mehrfamilienblocks bestand.

Charly mit zum Einkaufen zu schleifen war keine gute Idee. Er war noch nie davon begeistert gewesen, vor einem Laden zu warten. Er jaulte dann so steinerweichend und laut, dass alle Passanten sich um ihn versammelten. Jason geriet dadurch immer wieder in Erklärungsnot, denn die Leute dachten meist, dass mit dem Hund etwas wäre.

Dass Charly ein sehr besonderer Hund war, der aus der Hexenwelt kam, konnte Jason ja nicht wissen. Und selbst wenn er es gewusst hätte ... konnte man so was ja auch nicht sagen, weil dann die übernetten Herren mit der weißen, langärmeligen Jacke gekommen wären. Ergo brachte Jason ihn vor dem Einkauf lieber nach Hause.

Kurz kraulte Jason seinen Hund im Flur noch mal durch, steckte dann etwas Kleingeld ein und startete mit Skyla zum Einkaufszentrum durch.

 

Skyla blieb in ihren Taschen kramend bei den Einkaufswagen stehen. „Hast du ’nen Euro? Ich finde keinen, hab nur ’nen Zweier.“

Dass sie nie vorher fragen konnte! Jason hatte ihr Suchen schon lange bemerkt und reichte ihr den Euro. „Brauchen wir für die paar Sachen überhaupt einen Wagen? Ich kann dir auch beim Tragen helfen.“

„Mama will, dass ich einen Einkaufswagen nehme, damit keiner denkt, dass wir was klauen.“

Jason kratzte sich irritiert am Kopf, das verstand er zwar nicht unbedingt, aber was sollte er dagegen einwenden? Skyla widersprach ihrer Mutter, soweit es Jason mitbekam, sehr selten. „Na denn schieb mal.“

Während Skyla noch das Brot im ersten Gang aussuchte, stellte Jason bereits die Milch aus dem Kühlbereich in den Einkaufswagen.

Gerade als Jason sich wieder aufrichtete, huschte etwas winzig kleines, vielleicht ein Käfer, an seinem Ohr vorbei. Es war wie ein kleiner ekeliger kalter Windzug und hinterließ sofort eine Gänsehaut auf Jasons Körper. Sämtliche Härchen im Nacken und auf den Unterarmen sprangen wie Stabhochspringer senkrecht empor. Wachsam sah er sich um, was wiederum ein Ziehen in seine Schulterblätter jagte, und das ließ seine Spannung nochmals ansteigen.

Er sah seine Freundin über den Wagen hinweg an, seine Finger krallten sich in die Gitterstäbe des Einkaufskorbes. „Skyla, du kannst mich jetzt für verrückt erklären, aber ich hab das Gefühl, wir werden beobachtet!“, sagte er leise und spähte möglichst unauffällig durch die Gänge.

Zu seiner Überraschung nickte Skyla Jason mit einem ebenso besorgten Blick. „Ja, dort drüben steht ein Mann, der guckt uns schon eine ganze Weile so komisch hinterher. Soll ich schreien, dann rennt er vielleicht weg?“

Nun zog Jason seine Brauen mit einem genervten Blick in die Stirn. Skyla war über das Ziel hinaus geschossen … eindeutig. „Und was soll das bringen? Alle starren uns an und holen für dich ’nen Wagen aus der Klapse. Mit wem soll ich dann abhängen? Echt, mit wem? Vielleicht mit der komischen Sina oder vielleicht mit Steffi? Die sind doch keine Alternativen. Komm wieder auf den Boden.“

Skyla sah ihn schräg an, zog die Nase kraus und verengte ihre Augen. „Hast du gedacht, dass ich das ernst meine?“, fragte sie herausfordernd.

Jason ließ sein entrüstetes Gesicht heraus. „Bei dir weiß man nie, was kommt!“

Erbost klimperte Skyla mit ihren Wimpern und zog einen wahnsinnig beleidigten Flunsch. „Jason, du bist unmöglich!“, schnaufte sie und es fehlte jetzt nur noch, dass sie mit dem Fuß aufstampfte, doch das hatte sie sich glücklicherweise schon eine Weile abgewöhnt.

Lustig, wenn sie so reagierte, Jason grinste wie ein Honigkuchenpferd, dem ein saftiger roter Apfel gereicht wurde. „Danke, dieses Kompliment, gebe ich gerne zurück.“

Skyla funkelte ihn immer noch böse an, denn auch Jason übertrieb gern und oft.
Gerade wollte Jason einlenken, um sie wieder von der Affenpalme herunter zu locken, da meldete sich sein Rücken erneut. Der Schmerz pulsierte sich in seine Schulterblätter hinein und zog ihm aufs Neue die Luft aus den Lungen.

„Lass uns gehen“, knurrte er leise und kniff vor Schmerzen die Augen kurz zu. Skyla erkannte, dass Jason nicht mehr spielte, denn sie hatte schon öfters mitbekommen, wie er gelegentlich Rückenschmerzen bekommen hatte und sprang alleine von der Palme.

„Sofort, aber ich brauche noch die Zeitung, ich glaub die sind bei der Kasse.“

Nach dem Supermarkt stromerten die beiden noch schnell in einen Schleckerleckerladen, kauften sich ein paar Kaugummis und ein Handvoll gemischte Bonbons.

Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, nahm auch auf dem Nachhauseweg nicht ab. Jason lief Teilstücke rückwärts neben Skyla, um alles überblicken zu können. Allerdings half das nichts, denn sie konnten keinen bösen Buben oder die Mafia entdecken. So beschlossen sie in einstimmiger Absprache, schnellstmöglich den Einkauf nach Hause zu bringen, bevor sich doch noch ein Spion über ihre Kaugummis hermachen würde. Jason zog das Ganze lieber ins Lächerliche, bevor Skyla sich genau die gleichen ernsten Sorgen machen würde, die sich bei ihm buchstäblich zwischen den Schulterblättern eingenistet hatten.

Weder Jason noch Skyla hatten nach ihrem bizarren Einkaufserlebnis das Bedürfnis, sich im Freien aufzuhalten, sie blieben drinnen und sahen mit Jasons Schwester fern. Jason konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass es mit dem seltsamen Verhalten seiner Mutter einherging. Elaine bestätigte seinen Verdacht auch noch zusätzlich, weil sie nicht darauf bestand, dass die beiden bei diesem schönen Wetter lieber draußen spielen sollten, als in der Bude zu hocken ... wieder einmal äußerst komisch.

Den Rest des späteren Nachmittags verbrachten alle drei in Charlyns Kinderzimmer, da seine kleine Schwester ohnehin einen leichten Schnupfen hatte und heut noch drinnen bleiben sollte.

Gemeinsam spielten sie Mensch-ärgere-Dich-nicht.

Eine Zeit lang ging alles gut, alle brachten ihre Läufer ins Ziel, bis Jasons Schwester nach etlichen Spielzügen immer unvorsichtiger wurde. Charlyn war ganz offensichtlich auf der Verliererstraßen und wurde dadurch stetig zorniger.

Sicher konnte sie auch mal verlieren, doch mittlerweile war das das fünfte Spiel in Folge und das passte ihr gar nicht. Sie griff hinter sich auf ihr Bett, bekam ihr Kissen zwischen die Finger und warf es mitten auf das Spielbrett. Wie von Geisterhand prallte das Kissen jäh ab und landete erst in Jasons, dann in Skyla Gesicht. Die beiden waren so verblüfft, dass sie sich erstaunt anguckten.

Flummikissen, davon hatten sie noch nie etwas gehört und es war offensichtlich, das Charlyn keinen Zipfel mehr in der Hand gehabt hatte, als das Kissen auf dem Brett gelandet war ... okay.

Sie waren so verdattert, dass ihre Münder offen standen. Das ging doch so was von gar nicht, unmöglich ...
Weiter darüber nachgrübeln konnten sie allerdings nicht, denn Jasons Mutter stand im Türrahmen. „Es sind zwar Ferien, aber es ist schon acht Uhr und wir haben noch nicht zu Abend gegessen. Charlyn muss schlafen, damit sie ihre Erkältung endlich auskuriert.“

Skyla sprang von Charlyns Bett und Jason begleitete sie bis zur Wohnungstür. Den Vorfall mit dem Kissen hatten beide durch Elaines Erscheinen prompt ins Hinterhirn verdrängt, denn Skylas Mutter achtete peinlich auf die Ausgangszeit ihrer Tochter und bestrafte schon fünf Minuten zu spät kommen mit blöden Aufgaben wie auswendig lernen von Zeitungsartikeln ... Kam zwar superseltsam vor, aber Skyla wollten das lieber vermeiden.

Traurig guckte Skyla zu Jason auf, während sie auf der obersten Stufe im Treppenhaus saß und ihre Sandalen überstreifte. „Ich hab’s dir noch nicht gesagt, aber ab morgen bin ich ein paar Tage nicht da.“

So ganz war er nicht bei der Sache, Jasons Augenmerk haftete eher an ihrem durchaus hübschen niedlichen Gesicht, als dass er auf ihre Worte achtete und er fand, dass sie eine etwas zu große Nase hatte, aber ansonsten irgendwie genau so aussah, wie es zu ihr passte.

Irgendwas an ihr war heute auch anders, nur was, konnte Jason nicht deuten. Vielleicht war es auch nur seine Fantasie, die ihm einen Streich spielen wollte.

„Wenn ich wieder da bin, komme ich doch sofort zu dir“, sagte sie und stand auf.

„Was ? Ja, sicher. Na klar, bei schönem Wetter gehen wir baden“, murmelte er enttäuscht zurück und grübelte weiter.

Sie warf ihre langen blonden Zöpfe über die Schulter und stieg die Treppe runter. Jason ließ sie nicht aus den Augen.

„Tschüss Jason.“

„Bis bald, Skyla.“ Erst als er sie nicht mehr sehen konnte, ging er mit einem heftigen Grummeln im Bauch in die Wohnung zurück.

Nach dem Abendessen brachte Elaine, die sich sträubende, aber todmüde Charlyn ins Bett. Derweil ließ Jason sich aufs Sofa fallen und wartete, bis seine Mutter in die Stube zurückkam.

Kaum, dass sie bei ihm saß, platzte Jason mit dem heraus, was ihnen am Vormittag passiert war.

Trotz der Gelassenheit, mit der sie zuhörte und versuchte, das Ganze als überdrehte Wahrnehmung hinzustellen, entging es Jason nicht, wie sich ihre grünen Augen immer wieder winzige Millimeter weiter öffneten. Manchmal zog sie auch eine Braue unachtsam in die Stirn und dann strich sie sich unbewusst mit ihren Fingern durch das lange strohblonde Haar. Auch ihre Füße wippten ständig auf und ab, was ein deutlicher Beweis war, dass sie nervös seiner Erzählung lauschte.

„Du guckst zu viele Agentenfilme!“

Das war’s dann, mehr sagte sie nicht dazu, aber ihre ganze Körperhaltung sprach dagegen.

Um Jason gezielt vom Thema abzulenken, fragte sie ihn schließlich, was sie für die nächste Woche planen könnten, wenn Skyla wieder da wäre.

Jason, der ahnte, dass er seine Mutter mit weiteren Fragen nur noch huschiger machen würde, schlug einen Zoobesuch und einen Ausflug zum Bürgerpark-Spielplatz vor. Elaine notierte sich seine Vorschläge und fügte noch einige eigene hinzu.

Nachdem sie den Abend mit einem Spielfilm ausklingen ließen, bemerkte Elaine, wie weit die Zeit vorangeschritten war. „Es ist schon halb zwölf, jetzt aber ins Bett mit dir.“

Widerwillig und unter Protest setzte sich Jason in Bewegung, duschte und legte sich müde ins Bett.

Elaine kam wie jeden Abend ins Zimmer. „Schlaf gut, träume was Schönes, hab dich lieb.“

„Ich dich auch, schlaf auch schön.“

Jason starrte eine Weile an seine Decke und zählte die Plastiksterne, die seine Mutter vor ein paar Jahren über seinem Bett angebracht hatte. Er überlegte, was dieser Tag alles ausgelöst hatte und fand keine Erklärung. Vor lauter sinnloser Grübelei nickte er ein und schlief in dieser Nacht so unruhig, wie vor Schultagen, in denen saublöde und völlig überflüssige Mathearbeiten geschrieben wurden.

Sein Traum fing trotz dieses mistigen Einstiegs cool an, heiß und unglaublich ...ließ ihn fliegen ... mit riesigen Flügeln, die einer Fledermaus oder eher einem Drachen ähnelten. Unter ihm war eine Wüste, deren Dünen in Wellen dahin rasten. Einmal wirbelten seine Flügel den feinen Sand auf und er blickte sich um, hatte mit seinen Schwingen einen Sandsturm entfacht ... Irre, dann waren die Flügel plötzlich weg und er stürzte aus dem Himmel und schrak im Bett hoch. Müde schlurfte er in die Küche und holte sich ein Stückchen Kuchen ... Nervenfutter. Auf der Bettkante sitzend, nahm er einen Bissen, legte den Rest auf die Untertasse und stellte diese auf den Nachttisch ab. Erst gegen drei Uhr fiel er in einen tiefen traumlosen Schlaf.

Die ersten Sonnenstrahlen durchfluteten sein Drachenzimmer. Jason erwachte mit dem Gesicht zur Wand, er hörte wieder ein leises Geräusch doch diesmal war es anders, kratzend und schmatzend ... und definitiv ‚im‘ Zimmer. Langsam drehte er sich um, öffnete vorsichtig die Augen. Er mutmaßte, seine Schwester hätte sich reingeschlichen und würde wieder einmal irgendeinen Schabernack veranstalten. Tja, tat sie gelegentlich gerne und meist mit vollem Erfolg, denn diese Schachzüge hatte sie echt voll drauf.

Was er da jedoch erblickte ließ ihn erstarren, schlucken ... ungläubig starren.

Ein handflächengroßer Mistkäfer! Er saß da und ließ die Beine über dem Rand der Untertasse baumeln, nagte an dem Kuchenstück, das kaum für diese winzigen Fühlerhände gedacht war und mit jedem Bissen wuchs der Käfer ein klitzekleines Stückchen. Okay ... echt hyperseltsam!

Fieberhaft suchte Jason nach einem Gegenstand, um nach den Tier zu schlagen, denn Krabbeltiere gehörten nicht unbedingt zu den Tierarten, die sein Interesse weckten. Um es milde auszudrücken, er hasste die Viecher wie Diktate ... Oder besser den Unterricht bei Frau Haselfeld, die immer ihn drannahm, wenn er nicht aufgepasst hatte, um ihn vor der gesamten Klasse lächerlich zu machen. Oder wie eine lästige Wespe, wenn man Eis aß, obwohl, das war ja auch eines dieser mistigen Viecher.

Als ob dieser Mistkäfer ahnte, was geschehen würde, schielte er über seinen Brillenrand ...

‚Was, ein Brillenrand?‘

Da richtete sich der Käfer auf sein letztes Beinpaar empor und verschränkte die oberen zwei Paare.
Mit seiner winzigen Brille auf der Käfernase und einem zornigen Blick sprach er Jason an. „Jason, lass das! Oder willst du mich umbringen?“

Jason klappte der Mund auf und die Augen kullerten ihm fast heraus. Der bebrillte Käfer konnte sprechen?

‚Ich habe einen Albtraum, ganz sicher!‘, dachte Jason und kratzte sich an der Stirn.

„Ich bin hier, um ...“ Bevor der handtellergroße Käfer den Satz zu Ende sprechen konnte, verlor er das Gleichgewicht, kippte von der schwankenden Untertasse und landete unsanft auf dem Teppichboden. Ein lauter Knall ertönte und dem folgte ein Blitz mit aufsteigender Rauchsäule. Dann erhob sich Vanilla vor seinem Bett.

„Oma, wie ...?“, mehr brachte Jason nicht raus und kratzte sich nun mit beiden Händen am Kopf. Wusste er doch gar nichts über die Qualitäten seiner Großmutter, nur dass sie sporadisch zu Besuch kam.

Sie schwang ihren Z-Stab und ein Sternenschauer sprühte aus der Spitze, legte sich über Jason, hüllte ihn ein. Verwirrt schaute Jason um sich herum. Einen kurzen Augenblick später schob er seine Beine über die Bettkante und war komplett angezogen.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Steh auf, komm mit.“ Vanilla lächelte ihren Enkel an und reichte ihm ihre Hand. Mehr aus Reflex griff er zu.

Dann polterten die Fragen nur so aus ihm heraus. „Wo gehen wir denn hin? Wann kommen wir wieder? Und warum bist du überhaupt hier? Und ... wie geht das alles?“ Er hatte ein oberflaues Gefühl, wie schon am gestrigen Tag, in der Magengegend. ‚Ich werde gleich nach Mama rufen!‘, dachte er, da stand sie bereits im Zimmer.

„Mom, es ist dafür zu früh, er ist erst zehn Jahre. Bitte warte noch.“

„Wie lange? Wann willst du es ihm denn endlich sagen, wenn er vierzig ist? Er hat ein Recht darauf, alle anderen wissen über ihre Herkunft Bescheid, nur Jason bleibt dumm.“

Verwirrt guckte Jason von seiner Oma zu seiner Mutter und umgekehrt. „Mama, was ist hier los? Ich verstehe gar nichts mehr.“ Hilfe suchend haftete sein Blick an dem seiner Mutter.

Elaine zeigte nur ein verhaltenes Lächeln, blieb aber in Türrahmen stehen. „Oma hat recht. Jason, mein Schatz, geh ruhig mit ihr mit. Du kommst in ein paar Stunden zurück. Hab keine Angst, wenn du wieder da bist reden wir und ich erkläre dir einiges.“

Mit ihrem Z-Stab zeichnete Vanilla einen imaginären Strich von oben nach unten mitten in die Luft. Es öffnet sich ein Spalt in eine andere Welt, durch den man ohne Mühe hindurch gehen konnte. Jedenfalls sah es für Jason so aus …

Vanilla durchschritt den Spalt und zog an Jasons Hand. Er folgte ihr, jedoch nicht ohne einen letzten Blick auf seine Mutter zu werfen. Sie stand an ihrer Unterlippe kauend wie angewurzelt im Zimmer und versuchte, einen zuversichtlichen Ausdruck auf ihr Gesicht zu legen.
„Bis nachher“, rief sie ihm hinterher, doch der Durchgang war bereits verschwunden.

Als Jason sich umdrehte, fand er sich mitten auf einer viel befahrener Straße wieder. In letzter Sekunde zerrte ihn seine Großmutter auf den Gehweg.

Eine Kutsche mit vier pechschwarzen Schuppenpferden raste lautlos und haarscharf an ihm vorbei. Jason konnte gerade noch erkennen, dass an der Rückwand ein Wappen mit einen feuerrotem Drachen verziert war. Der Kopf des Drachen wendete sich Jason zu, spie sogleich eine Feuersalve in seine Richtung. Erfreulicherweise war die Entfernung bereits groß genug, sodass Jason nur einen heißen Windstoß abbekam.

Verblüfft blickte Jason die kilometerlange kopfsteingepflasterte Straße entlang, die Häuser sahen äußerst merkwürdig aus, uralt und alle viel zu klein, um darin wohnen zu können.

Dagegen stand er selbst vor einem riesigen dunkelgrauen Haus, dessen Ende bis in den Himmel zu reichen schien. An der langen Fassade konnte er gerade mal drei Fenster ziemlich weit oben erkennen. „Wie ein Bunker ... gruselig“, murmelte Jason und ließ seinen Blick die drei Stufen empor wandern, die zur Tür führten. Auch ihr reichlich altertümlich verziertes Aussehen trug nicht dazu bei, dass Jason sich wohler fühlte, denn es machte den Anschein, dass seine Oma das Gebäude betreten wollte.

„Komm, mein Junge.“

Unwillig erklomm Jason die drei Stufen mit einer Gänsehaut im Nacken, begleitet von einem leichten Ziehen in seinen Schulterblättern.

Ein Drachenkopf diente als Türklopfer, seine Augen funkelten, aus seinen Nüstern sprühten in regelmäßigen Abständen kleine grüne Rauchwolken. Insgesamt wirkte das Haus bedrohlich und alles verschlingend auf ihn.
So in Gedanken verloren, erschrak er erneut, als ihn seine Oma wieder ansprach.

„So mein Junge, wir sind hier in der Hexenebene. Ein Parallelbereich auf der Erde, den wir uns geschaffen haben, um ungestört unseren Geschäften nachkommen zu können.“ Vanilla wies auf das Haus, vor dem sie standen.

„In diesem Haus wirst du gleich enthext, denn auf dir, Jason, liegt ein Bann, der verhindert Hexerei auszuüben. Dir wird nichts Schlimmes geschehen. Verhalte dich bitte ruhig und stelle keine Fragen. Umso schneller können wir weiter.“

Jason nickte stumm, was hätte er auch sagen sollen? -Toll, krass … ich bin ein Hexer!-

Nichts lag ferner und Jason glaubte immer noch zu träumen.

Vanilla betätigte den Türklopfer, die Tür schwang lautlos auf. Sofort sah sich Vanilla um, doch sie konnte keinen Dragot ausmachen.

Sanft und beruhigend legte Vanilla ihre Hand in Jasons Rücken, schob ihn voran. Sie betraten die riesige Vorhalle und Jason staunte … so etwas hatte er noch nie gesehen. Überall liefen Zauberer oder Hexen - so genau wusste er es nicht - geschäftig umher und verschwanden hinter riesigen Türen.

An der Decke hing ein überdimensionaler Kronleuchter, in dem an die tausend Kerzen brannten. Jason sah zu Boden, irgendwie kam ihm das eingelassene Steinpentagramm bekannt vor.
‚Hier hab ich schon mal draufgestanden!‘, fuhr es ihm jäh durch den Kopf.

Aus dem Nichts kam plötzlich ein kleiner dürrer Hexer auf Jason zu. „Komm Jason M. Dragonblood, mein Name ist Nergalis und ich geleite dich zur Entbannung, folge mir.“ Er hoppelte vor Jason her, was übertrieben bizarr ausschaute.

Vanilla nickte Jason aufmunternd hinterher. „Ich warte hier auf dich.“ Sie drehte sich um und setzte sich auf eine kunstvoll verzierte Holzbank. Widerwillig kam Jason der Aufforderung nach.

Nach vier endlos steilen verstaubten Treppen und einem langen Gang blieben sie vor einer blauen, mit drei Einhörnern verzierten Tür stehen. Nergalis klopfte und betrat den düsteren Raum.
Das Zimmer wurde von sieben Kerzen beleuchtet, die in meterlangen Kerzenständern steckten. In der Mitte stand ein aus blauem Nebel bestehender Sessel, in dessen nebeliger Substanz Einhörner umherflogen. Aus der Dunkelheit ertönte eine kräftige dunkle Stimme.

„Komm herein, setze dich in den Sessel, Jason M. Dragonblood! Wir wollen keine Zeit verlieren!“

Woher er den Mut nahm wusste Jason nicht, doch er schritt an Nergalis vorbei, blieb aber vor dem durchscheinenden Sessel stehen. Er wollte gerade darauf hinweisen, dass sein Name nicht Jason M. Dragonblood, sondern Jason Wagner sei, doch soweit kam er gar nicht. Irgendetwas katapultierte ihn in den Sessel.

Zeitgleich, als sein Hintern saß, versank Jasons Konzentration in dem Nebelsessel, dieser nahm ihn so in Beschlag, dass er alles um sich herum kaum noch wahrnahm.

‚Hat er sich bewegt? Oder spinn ich?‘, rauschte es neblig durch seinen Kopf.

Tatsächlich ... der Sessel kuschelte mit Jason, ein Gefühl von Geborgenheit lullte ihn gänzlich ein und nahm ihn geistig gefangen.

Der Mann mit der dunklen Stimme trat hinter seinem Schreibtisch hervor, kam bis auf einen Meter an den Sessel heran. Jason konnte nichts außer einem Umhang mit Kapuze und einer herausragenden mächtigen Nase sehen. Dieser Traum wurde immer grotesker ...

Sechs weitere Kapuzenmänner schwebten vor irgendwoher dazu, sie bildeten einen Kreis um Jason, murmelten ununterbrochen. Dann verlor Jason jede verbliebene Orientierung.

Alle Sieben hoben ihren rechten Arm mit dem Z-Stab, drehten ihn über Jasons Kopf. Jason versuchte den Hexern zu folgen, seine Finger krallten sich in den watteweichen Stoff der Armlehnen, doch nach einer Kopfdrehung, die eindeutig schräg herum ging und ihn schwindelig machte, hielt er lieber still. Die Kerzen glitten mit einem Mal durch die Luft, kreisten über den Stäben.

Dann kam ... der Entbanner. Synchron sprachen ihn alle anwesenden Hexer in einem Singsang über Jason aus.
„CAD LUAS AUAGE UPO DO IXAN!“

Jason schloss die bleischwer werdenden Lider. Es folgten mehrere langsame Hexsprüche, von denen Jason nur noch am Rande Fetzen mitbekam. Die Hexer schritten ohne Pause um ihn herum.

Bis es mit einem mal Plopp in Jasons Hirn machte, seine Gedanken bizarrerweise merkwürdig klar wurden. Als ob jemand einen Hauptschalter in einem stockdunklen Fußballstadion umlegte oder Jason durch einen Lift auf eine sonnendurchflutete Dachterrasse katapultierte wurde … alle Gehirnwindungen reagierten mit blendender Reizüberflutung.

„Sehn sie meine Herren, unser junger Besucher ist in seinem Element! Er schwebt über dem Boden, samt Flüstersessel.“

Nergalis, der das Ganze als Zuschauer beobachtete, stimmte dem beherzt zu. „Ich bin überrascht! Trotz der beinahe sieben Jahre in der Menschenwelt! Ein gutes Zeichen. Er kommt nach seinen Vater.“

„Verlieren Sie kein Wort mehr über seinen Vater!“, zischte ihn der größte Hexer an und beäugte Jason nochmals kritisch.

Jason verfolgte das Gespräch, doch konnte er nicht begreifen, was sie damit meinten.

„So Jason, öffne die Augen und entspanne dich.“

Der Sessel schwebte langsam abwärts. „Stehe auf Jason M. Dragonblood! Nergalis bringt dich zurück. Wir wünschen dir für deine ungeschriebene Zukunft immer eine weise Entscheidungskraft, die dich sinnvoll und für unser Volk führen möge.“

Nergalis öffnete Jason die Tür. „Komm, deine Großmutter wartet.“

Den Weg zurück bekam Jason geistig nicht wirklich mit, nur dass ihm in der Empfangshalle plötzlich ein riesiger Mann mit langen schwarzen Haaren und dunklen Augen gegenüberstand, ihn anstarrte und mit seinem schrägen Blick verfolgte.

Freudestrahlend lächelte Vanilla Jason entgegen. „Na, wie fühlst du dich?“

Ja, sie gab ihm Sicherheit, Jason vergaß den Mann und stürmte seiner Großmutter in die Arme.

„Unmöglich, das zu beschreiben, es ist unglaublich!“

Vanilla zwinkerte ihrem Enkel aufatmend zu. Ein Entbanner brauchte mitunter Wochen, bis sämtliche Kräfte zur Verfügung standen. Was bei manchen Hexen und Hexern sinnvoll war, denn einigen knallten durch die Reizüberflutung die Sicherungen durch und sie mussten übergangsweise in eine Sanatorium gebracht werden. Jason hatte keines der Anzeichen, er zuckte nicht mit dem linken Auge, bohrte nicht in seinem linken Ohr und seine Zunge rollte sich auch nicht auf die linke Seite.

„Das wird noch besser. Geht jedem so, der verbannt in der andern Welt lebte.“
Nergalis erreichte Vanilla.

„Vanni, er hat mit dem Sessel über dem Boden geschwebt!“

„Nein Hubertus, das ist doch unmöglich?“ Verwundert sah sie auf ihren Enkel.

„Doch, doch ein gutes Zeichen, nicht wahr?“, fügte Nergalis hinzu.

„Oh ja, sehr gut! So Jason, jetzt müssen wir weiter. Auf Wiedersehen Hubertus!“

„Auf Wiedersehen Vanni und dir, Jason, viel Glück! Wir sehen uns auf Dragonrock.“

Vor dem Haus schaute sich Vanilla nach einer Möglichkeit um, die Straße zu überqueren, was bei diesen vielen Kutschen, Reitern, Motorrädern und Autos kaum machbar schien. Ein Überqueren mit dem Besen war hier strikt untersagt, da manche Fahrzeuge zum Überholen auf dieser schmalen Straße nach oben auswichen. Es waren bereits zu viele Hexen durch solche Überholmanöver zu Schaden gekommen. Bis zum Tunnel zu gehen, fiel Vanilla aber im Traum nicht ein, denn der Weg dauerte locker eine halbe Stunde, und außerdem war sie eine Hexe und musste nicht laufen. Jedenfalls nicht sooo weit, um über eine Straße zu kommen! Vanilla schwang ihren Z-Stab, richtete ihn erst auf Jason, dann auf sich selber.

„AUMUS FRAPARENTA ROPPLUS!“

Im Nu waren beide nahezu unsichtbar. Vanilla griff nach Jasons Arm, zog ihren verdutzten Enkel über die Straße. Jedes Mal, wenn ein Fahrzeug Jason durchfuhr – was angesichts des Verkehrs ziemlich oft vorkam - überkam ihn Panik und ein Gefühl, als ob all seine Innereien zerfetzt würden.

Endlich war der Fußweg erreicht. Ein erneuter Hexspruch seiner Großmutter folgte: „ATUR NUGUS ZATA NOPPLUS.“

Beide wurden wieder sichtbar.

Die Entbannung hatte er weggesteckt, doch nun …Vanilla betrachtete Jason mit sehr ernster Miene.

„Versuch das niemals vor deinem vierzehnten Lebensjahr! Es würde schlimme Folgen für dich haben!“

Jason schluckte, konnte nur nicken.

„Meine Güte, bist du grün im Gesicht, schnell in den Laden mit dir! Die erste Hexerei nach so langer Zeit, kein Wunder.“

Sie gingen in ein Lebensmittelgeschäft mit Waren, die Jason niemals zuvor gesehen hatte. Haufenweise Kräuter hingen vor der Decke herab. Beißender Geruch stieg ihm in die Nase, als sie an verschiedenen schwankenden Fässern vorbeikamen. Jason wagte es nicht hineinzusehen, da aus einigen seltsame Geräusche kamen. An der Wand im Regal reihten sich Unmengen an Gläsern mit den verrücktesten Tierkörperteilen aneinander. Auf einem konnte Jason die Aufschrift Käferleber lesen, daneben standen eingelegte Fliegenbeine.

‚Das kommt mir bekannt vor ... doch woher?‘, dachte er.

Noch etwas benommen bekam er von Vanilla eine Schüssel die Hand gedrückt. „Iss das, hilft gegen die Übelkeit.“
Das bloße Ansehen des sich bewegenden Inhalts reichte aus, um Jasons Gesicht in eine tannengrüne Farbe zu tauchen. „Es lebt ... es bewegt sich, es sieht aus wie Erbrochenes ... ich kann das nicht essen!“, würgte Jason hervor und presste sich den Handfläche vor den Mund.

Vanilla verbarg ein spöttisches Lächeln hinter ihrer Hand, so ganz waren seine Kräfte anscheinend doch noch nicht zurück, aber sie lenkte ein und wand sich der Verkäuferin zu. „Haben sie etwas von der Übelkeitscreme?“

Die Verkäuferin mit den grünen Strähnen in ihrem dichten braunen Haar lächelte verhalten und nickte. „Ja, ich muss sie aber erst zusammenstellen, das dauert einen Moment, wenn ich dabei hexe, wirkt die Creme nicht richtig.“
Dann verschwand sie durch einen Durchlass hinter dem Tresen.

Jason setzte sich auf einen Stuhl, versuchte an Zuhause zu denken. ‚Was Charlyn und Mama jetzt wohl machen?‘

Ohne dass Jason etwas davon mitbekam, reichte die Verkäuferin die angerührte Creme seiner Oma. Vanilla nahm Jasons Hand in die ihre, verrieb die Creme großflächig auf seinem Handrücken. Sofort verschwand die Übelkeit, sein Gesicht erhielt seine natürliche Farbe zurück. „Ich muss dich darauf hinweisen, dass die Creme interessante Nebenwirkungen hat. Du wirst die nächsten halbe Stunde vieles doppelt sehen. Deine Augen werden hin und her kullern. Dazu kommen vielleicht ein paar Wahnvorstellungen.“

‚Schön, wunderbar, klasse!‘ schoss es durch seinen Kopf. Da fing es auch schon an!

Der ganze Laden begann ohne Vorwarnung vor seinen Augen zu tanzen. Nichts, aber auch gar nichts, blieb an seinem Platz!

Endlose dreißig Minuten. Verdorrte Frösche flogen mit Windsegeln durch die Luft. Ein Kochbuch schleimte auf seinem Schoß Unmengen an Zutaten hervor, die sich allesamt bewegten. Und so ganz nebenbei erzählte ihm das Buch etwas von mariniert Spinnenbeinen, Eselsohren und Fliegenkacke als Füllung für eine Drachenniere. Jason gab sich darauf alle Mühe, den ekelerregenden Zutaten nicht mehr hinterher zu sehen und stierte mit aller verbliebenen Konzentration nach vorn. Große rot-weiße Pilze mit lila Glupschaugen und gelben Hörnern hopsten vor Jasons Nase im Kreis herum, riefen Schimpfwörter nach ihm. „Affenfratze, Käsefuß, Stinkekralle und Hasenmus.“

Die Einmachgläser in den Regalen verformten sich, als ob sie aus weichem Material bestehen würden. Sie zogen sich in die Länge, schlangen sich um andere Gläser, bildeten Landschaften ... nein, Flugzeuge ... nein, Schuhsohlen. Doch trotz all dieser Umstände wurde ihm nicht mehr schlecht.
Das Ende der halben Stunde rückte endlich näher, langsam wurde sein Blick klar.

„Können wir weiter?“, fragte seine Großmutter.
Die Gegenstände schwebten an ihre ursprünglichen Plätze und erhielten ihre alten Formen zurück. „Ich denke ja“, murmelte Jason und sah auf seinen Schoß ... auch das Buch war weg.

Nebeneinander gingen sie einige Minuten die lange Straße entlang, zum Glück brauchten sie nicht mehr auf die andere Straßenseite. Jason bemerkte nun auch, dass jedes Haus, an dem er vorbei kam, automatisch normal groß wurde, sobald er auf Türhöhe kam. Gleich danach, bei einem Blick zurück, schrumpften sie um die Hälfte. Ebenso verhielt es sich mit den sich im Wind wiegenden Bäumen, die zu beiden Seiten der Straße in riesigen Kugelkübeln gepflanzt waren.

Vanilla beobachtete ihren Enkel lächelnd. „So sparen sie hier sehr viel Platz, das ist übrigens die Drachen-Schrumpf-Allee. Komm, wir müssen in diesen Nebenweg, dort hinten liegt das neue Einkaufszentrum, im ersten Stock befindet sich die Kleiderhöhle.“ Sie bogen zwischen zwei ländlich aussehenden Häusern in einen schmalen Weg ab. „Dieser Bereich wurde erst vor wenigen Jahrhunderten eingehext.“

Vanilla zeigte auf den großen Vorplatz, auf dem viele unterschiedliche Gefährte in schräg aufgereihten Parkplätzen standen. Auf Jason wirkte es schon ziemlich absurd, dass hochmoderne Motorräder neben antiken Kutschen standen.

Nein, wie konnte das denn sein? Jason schaute genauer hin!

Ausnahmslos alle Fortbewegungsmittel schwebten eine Handbreit über dem Kopfsteinpflaster!

Sichtlich erstaunt ging er in die Hocke, um sich nochmals zu vergewissern, dass er es sich nicht doch nur einbildete. „Oma, die schweben alle. Warum?“

„Keine Schlaglöcher, kein Glatteis, kein Aquaplaning, das gibt es hier nicht. Nur in der Hauptstraße fahren alle mit Bodenkontakt. Es liegt an den alten Gebräuchen. Das alte Hexenvolk weigert sich, neumodische Hexereien anzuerkennen. Hier wurden die Umgehungs- und Nebenstraßen gleich nach höchsten Sicherheitsvorschriften angelegt.“

„Und wie funktioniert das nun?“
„Mit den Straßenbeschaffungshexereien kenne ich mich nicht gänzlich aus, aber ich nehme an, hier wurde ein Schakhex angewendet. Diese Art von Hexspruch drückt alles eine Handbreit empor, allerdings kann ich nicht nachvollziehen, wie sie es flächendeckend anwenden. Wie gesagt, Straßenhexerei ist nicht mein Gebiet.“

Diese Antwort brachte Jason keinerlei Erklärung, mit der er etwas hätte anfangen können. Aber selbst wenn er seine Oma nach einer genaueren Auskunft gefragt hätte, er hätte es ohnehin nicht verstanden.

Sie setzten ihren Weg an den schwebend parkenden Fahrzeugen vorbei fort, direkt auf das von außen rustikal wirkende Einkaufszentrum zu. Neben dem Haupteingang stand eine Einrichtung, die einem Sammelplatz für Fahrräder ähnelte, doch dort hingen nur Besen in einer entsprechenden Halterung. „Muss du deinen Besen auch dort lassen?“ fragte Jason und zeigte auf die Sammelstelle.

„Nein, man kann seinen Besen auch mitnehmen und im EKZ herumfliegen.“

„Was machen die, deren Besen hier gestohlen wird?“

Vanilla zog ihre Augenbrauen in die Stirn. „Gestohlen?“ Sie grinste kurz und forderte Jason auf, einen der Besen zu berühren.

Dieser Aufforderung kam Jason ohne zu überlegen nach und wusste umgehend, warum hier niemals ein Besen gestohlen werde könnte. Ein irres Kribbeln in seinen Fingerspitzen verhinderte den direkten Kontakt zu dem Besenstiel. Sie gingen weiter.

Im Einkaufszentrum musste Jason sich erst einmal umsehen, der Grundaufbau ähnelte den Einkaufszentren, die er kannte. Doch hier sahen die Geschäfte und die Leute ganz anders aus. Alles wirkte gemütlicher, die Stützbalken waren aus naturbelassenen Baumstämmen, die irgendwie eingewachsen schienen. All die Geschäfte in dem Gebäude glichen Höhlen und Grotten, das meiste Licht fiel durch das kuppelartige Glasblasendach. In den Läden sorgten Fackeln für ausreichend Beleuchtung. Im Hauptgang fielen Jason sofort die Drachenstatuen auf. Ein bläulicher Drache stand inmitten eines Brunnens und spie Wasser. Ein weiterer rotbrauner Drache saß vor einem Lagerfeuer, versorgte die Holzscheite stetig durch Feuerspeien. In der Luft flog ein heller, fast cremefarbener Drache über einer weißen Wolke und seine Flügelspannweite reichte bis an die Geländer des ersten Stockes. Der letzte, braungrüne Drache war in Kletterstellung an einer Felswand aufgebaut, seine Krallen steckten tief im Gestein.

Die merkwürdigen Kunden waren alle ruhig und gelassen, keiner rannte hektisch herum. Es machte auf Jason vielmehr den Eindruck, alle hier wären eher auf einem Ausflug, als in geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs.

Ältere Damen schlenderten durch die Passage. Einige Typen flogen auf Besen langsam durch die Etagen und eine Gruppe von Kleinkindern spielte in einem eingezäunten Gelände mit seltsam bunten Fellbällen. Modernes Volk mischte sich ohne eigenartige Blicke untereinander auszutauschen, mit antik gekleideten Hexen.

Vanilla betrat die nicht ins Gesamtbild passende Rolltreppe und Jason kam aus dem Staunen nicht heraus. Er erblickte zum ersten Mal in seinem Leben einen Laden für Flugbesen, daneben einen Buchladen für Hexenkunst, in dem die Bücher in den Regalen schwebten. Die skurrilsten Geschäfte reihten sich hier aneinander.

So fasziniert von allem lief er prompt gegen seine Großmutter.

„Halte die Augen offen!“

Jason warf eher einen Blick an ihr vorbei. ‚Duncans Höhle für Kleidung nach Maß in Windeseile‘ Shop zwei, stand über dem Geschäft, vor dem sie stehen blieben. Von außen ein einfacher Laden, innen tatsächlich eine Höhle.

Jasons Augen wanderten an den Wänden entlang. Graue Steine, die ihrer Bauart nach aussahen wie ein Iglu. Ein langer Gang, der tiefer in den Laden führte. An den gewölbten Wänden brannten alle paar Meter Fackeln. Am Ende verdeckte ein Vorhang die weitere Sicht. Nirgends auch nur ein Bekleidungsstück, keine Ständer, nicht ein einziger Bügel weit und breit. Jasons Aufmerksamkeit wurde auf den Verkaufstisch gelenkt.

Es raschelte leise hinter dem Tresen und ein breiter Hundekopf linste vorwitzig um die Ecke. Freudig überrascht - er liebte Hunde – ging Jason in die Hocke, sprach im leisen Ton auf das Tier ein.

„Na komm mal her, ich habe zu Hause auch einen Hund.“

Das Tier machte einen Schritt nach vorne und der ganze wuchtige Kopf wurde sichtbar. Jason rechnete mit einem Rottweiler, Statur und Körpervolumen würden übereinstimmen.
„Du bist aber ein Hübscher, komm doch mal zu mir.“

Und der Hund trollte langsam auf Jason zu, warf aber mit gedrungenen Haltung einen Blick zurück. Jason hielt ihm die Hand zum Schnüffeln hin.

Vanilla, die draußen ein paar Hexen beobachtete, drehte sich Jason zu. „Jason vorsichtig! Das ist ein Höllenhund, die sind nicht berechenbar!“

Der Höllenhund fächerte seine fledermausähnlichen Flügel etwas auf, schlich näher, dann verzog er die Schnauze zu einen breitem Grinsen.

War das jetzt gut oder nicht?

Das bullige Gesicht gab einen Blick auf die übergroßen Reißzähne frei, das schwarze kurze Fell schimmerte im Licht der Fackeln wie ein edler Seidenstoff.

Das wuchtige Tier schmiegte sich an Jasons angewinkeltes Bein, behutsam legte er die Hand auf den Hundekopf. Er sah dem Höllenwesen direkt in die Augen. Eine Flammenträne lief aus dessen linken Auge, rollte über die Schnauze zu Jasons Hand. Bevor der reagieren konnte, war die Flamme auf seinem Zeigefinger. Es brannte nicht, nein, es war angenehm! Auch der Hund sah, die heiße Träne fügte den Jungen keinen Schaden zu. Er sprang mit einem Satz hoch und leckte ihm mitten durchs Gesicht. Beidseitige Hundeliebe, sofort ... augenblicklich.

Feste Schritte näherten sich, der Vorhang wehte wie von Geisterhand auseinander und ein großer stattlicher schwarzhaariger Mann im schwarzen Maßanzug trat hindurch und kam mit schnellem Schritt zum Tresen. Mit einem missbilligen Blick sah er kurz auf seinen Hund, schwenkte dann aber gleich um und lächelte Vanilla ins Gesicht.

„Seid gegrüßt, Lady McPowerstone. Ich sehe, Sie sind schon mit dem jungen Hexer unterwegs. Ist er schon entbannt und über Dragonrock aufgeklärt worden?“
Vanilla machte ein bekümmertes Gesicht.

„Meister Duncan, ich habe leider keine Zeit für ein Schwätzchen. Wir müssen in einer Viertelstunde beim Feenwald sein. Ich dachte es sei besser, wenn mein Enkel bereits jetzt vermessen wird, so haben wir daheim mehr Zeit für andere Angelegenheiten.“

Während Vanilla sprach, fixierten Duncans schwarzen Augen den Knaben anmaßend.
„Wenn das so ist, gehen wir natürlich gleich zum geschäftlichen Teil über.“

Er klatschte zwei Mal in die Hände und sofort wimmelte es nur so von winzigen Wesen, die alle auf Jason zustürmten. Was Jason zuvor nicht gesehen hatte, die Minizwerge kamen aus kleinen Mäuselöchern in den Fußleisten.

Diese Wesen erinnerten ein wenig an Heinzelmännchen aus einem Märchen, rote Zipfelmütze und rote Mäntelchen. Arme und Beinchen im Gegensatz zum Körper und dem Kopf, waren spindeldürr.
Der Höllenhund knurrte, als die Wesen mit ihrer Arbeit an Jason beginnen wollten.
„Tanra, in die Ecke, los.“

Nur äußerst widerwillig löste Tanra sich aus Jasons Armen, schlich mit gebeugtem Haupt und knurrend wieder hinter den Tresen.
„Du hast Glück, das Tanra dich nicht zerfleischt hat! Nur wenige trauen sich ohne ein
Wechselwesen in meinen Laden“, spöttelte der Verkäufer.

‚Wozu braucht der einen Wachhund? Hier ist doch gar nichts zu klauen‘, dachte Jason.

In weniger als fünfzehn Sekunden hatten die kleinen Männchen Jasons kompletten Körper vermessen. „Die Kleidung ist in einer Viertelstunde fertig. Kann ich Ihnen anbieten, meine Wandeltür zu benutzen? So sind Sie in drei Minuten direkt im Feenwald.“
„Nur zu gerne, Meister Duncan. Die Zeit ist einfach zu knapp.“
Duncan schaute mitleidig auf Jason herab.

„Die Kinder sollten nicht bei den Menschen aufwachsen. Es würde eine Menge Ärger vermeiden und jedes Kind wüsste vom Baby an, was ein Turtle-Stab ist.“
Vanilla zwinkerte Jason aus dem Augenwinkel zu und wand sich wieder an den Hexer.

„Ich bin voll und ganz Ihrer Meinung Meister Duncan. Wir müssen weiter, bis bald.“

Jason hörte ein zaghaftes Winseln hinter dem Tresen. „Darf ich mich noch von Tanra verabschieden?“

Diese Frage versetzte Vanilla sowie den Ladeninhaber gleichermaßen in Erstaunen. Nach kurzem Überlegen nickte Vanilla und Meister Duncan warnte Jason mit Nachdruck, vorsichtig zu sein.

Jason schritt hinter den Ladentisch und ging in die Hocke. „Hallo Tanra, schade das ich keine Zeit mehr hab, um mit dir zu spielen.“

Tanra schlackerte mit ihren kurzen Schlappohren und wimmerte leise in Jasons Gedanken. ‚Nimm mich mit, wenn du nach Dragonrock gehst. Ich will nicht hier bleiben. Und sag niemanden dass du mich verstehst.‘

Mit riesig aufgerissenen Augen nickte Jason Tanra zu. Nicht wissend, um welch ein grausames Wesen es sich bei einem Höllenhund handelte, war Jason sich sicher, dass er sie vom ersten Augenblick an in sein Herz geschlossen hatte. Woher sie ihr Wissen hatte, dass er nach Dragonrock fahren würde - danach fragte er gar nicht, weil ihn momentan viel zu viele neue Eindrücke überrumpelten.

‚Mit einem Höllenhund an meiner Seite, kann ich einen besseren Beschützer haben?‘ Er beschloss seine Oma zu fragen, wenn sich die Gelegenheit bot. Vielleicht konnten sie Tanra gemeinsam aus dem Laden entführen, denn dieser Duncan schien seinen Hund auch nicht sehr zu mögen. Sicher, man durfte keinen Hund stehlen … Aber vielleicht fiel seiner Oma ja noch was anderes ein.

Jason richtete sich auf, folgte seiner Großmutter den langen Gang entlang und durch den sich vor ihnen alleine teilenden Vorhang. Eine in blaues Licht gehüllte Drehtür, die in der Wand eingelassen war, verbarg sich hinter dem Behang.

‚Da kommt man doch nur an der Seite raus wo man reingeht!‘ Nirgends war zu erkennen, wo es hinter der Drehtür weiter gehen sollte.

Bevor Jason seine Oma nach dieser unsinnigen Tür fragen konnte, sah er etwas, das ihn mal wieder an seinem Verstand zweifeln ließ. Über der Drehtür erschien ein Mund mit spitzen Zähnen und fragte nach dem Zielort. „Wohin darf ich Sie geleiten?“

„Ins Reich der Regenfeen am Rande des Federwaldes!“, antwortete Vanilla.

„Gehen Sie dreimal herum, dann sind Sie angekommen! Möge kein Fluch Sie begleiten!“
Vanilla betrat die Drehtür als erste, forderte Jason auf, zu ihr in dieselbe Kabine zu kommen. „Sonst landest du in den anderen Kabinen wer weiß wo.“

Sie drehten die Tür dreimal im Kreis und schritten hinaus, mitten auf eine große Wiese.
Es regnete, der Himmel hing voller Wolken und Jason stand mitten im kniehohen und klitschnassen Gras. Überall roch es nach feuchter modriger Erde und Wald.

Jason sah sich um, doch im selben Moment war die Drehtür verschwunden. Sein Blick wanderte nach allen Seiten, nirgends ein Wald oder eine Elfe in Sicht, nur das zwei Mal zwei Meter große nasskalte Wiesenstück aus dem er mit seiner Großmutter stand. Rundherum nichts weiter außer einer Nebelwand.

„Du musst nicht suchen. Geh genau wie ich seitwärts vier Schritte nach links.“

Gesagt, getan, nun standen sie vor einer Nebelwand. Dann machten sie fünf Schritte nach vorne.
Alles wurde klar, der Nebel war verschwunden. Vor ihnen entfaltete sich ein Wald in allen Regenbogenfarben, in dem ein paar helle Punkte umher schwirrten.

„Das sind Regenfeen, wir gehen aber nicht zu ihnen. Diese Hütte dort drüben, da müssen wir hin.“ Sie zeigte auf eine Hütte am Waldrand.

„Was ist in der Hütte?“

Vanilla legte ihre Hand auf seine Schulter. „Dort erhältst du gleich deine Z-Stäbe.“

Ein paar Atemzüge später hatten die beiden die Hütte erreicht.

Aus den Fenstern leuchtete ein verzauberndes Licht in allen Farben. „Wenn wir die Hütte betreten sei bitte sehr leise, die Z-Stäbe schlafen, bis der dazugehörige Besitzer erscheint.“

Die Tür wurde von innen ohne ein Geräusch geöffnet, ein alter Hexer im tannengrünen, mit Sternen besetzten Umhang winkte sie hinein.

„Ah, Jason M. Dragonblood! Ich habe dich erwartet, setz dich doch dort auf den Stuhl. Ich hole deine Stäbe.“
Er schlurfte in ein Hinterzimmer und so blieb Jason etwas Zeit sich umzusehen. Das Licht wirkte hier drinnen noch viel schöner, es beruhigte und machte schläfrig. Überall an den Wänden waren Regale bis unter die Decke, jeweils drei längliche Schachteln lagen übereinander gestapelt. Der Boden war ausgelegt mit einem superdicken flauschigen Teppich, der jedes Geräusch schluckte. An der Decke schwebten kleine Schäfchenwolken, die leise vor sich hin blökten und eine Vielzahl an Sternen glitten unter der dunkelblauen Decke dahin.

So versunken in seine Gedanken wurde Jason jäh aus seiner Träumerei gerissen, die Tür flog heftig auf und knallte gegen die Wand.

Zwei kleine blondgelockte Mädchen im Alter von etwa vier Jahren schoben sich quengelnd herein, fast hätten sie sich einander umgeschubst. Sie schrien sich lautstark an. „Ich kriege meinen zuerst! Du darfst sonst alles als Erste machen, nur weil du zehn Minuten älter bist.“

„Das werden wir ja sehen! Ich will meinen Z-Stab zuerst haben. Mama, Mama ich will zuerst meinen Stab ausprobieren!“

Im dem Moment, als die dazugehörige Frau kam, erhob sich Vanilla und flüsterte scharf auf die Zwillinge ein.

„Wenn hier nicht sofort Ruhe herrscht, verwandle ich Euch in Wanderkringelwürmer für einen Tag!“
Sogleich herrschte Stille, doch der Lärm zuvor hatte ausgereicht, die Hütte in ein heilloses Durcheinander zu bringen. In jedem Regal knackte und knirschte es. Die ersten Funken sprühten aus den Schachteln, einige Z-Stäbe glitten aus ihren Behausungen, flogen Richtung offener Tür. Der alte Hexer kam fluchend aus dem Hinterzimmer und beschwor einen Stophex. „IALDERUS EIL WINIGA HIPP!“

Ein starker Hex erfüllte den Raum, alle Z-Stäbe erstarrten in der Luft.

„Schließen Sie sofort die Tür, bevor der Hex erlischt und die Stäbe hinausfliegen!“

Geistesgegenwärtig sprang Jason auf, rannte zur Tür. Zum Glück erblickte er einen Stab, der mitten im Türrahmen schwebte. Er nahm ihn vorsichtig in die Hand und reichte ihn dem Hexer.

„Danke Jason!“, sagt der Hexer erleichtert und wand sich der Frau zu.

„Und Sie kommen mit Melulie und Malolie in einem Monat wieder! Ich hoffe, das wird euch Strafe genug sein! Ihr seid dann die letzten, die im Koboldgarten hexen lernt.“

Die Mädchen sahen betreten zu Boden, begannen leise zu weinen.

„Ich bitte vielmals um Verzeihung für das Verhalten meiner Töchter. Soll ich Ihnen beim Aufräumen behilflich sein?“

Der Hexer mit dem schütteren Haar schüttelte seinen Kopf. „Das erledige ich lieber alleine, ein leichter Schlafhex, dann ein Sortierhex. Ich hoffe nur, dass keiner entwischen konnte. Es wäre fatal, äußerst folgeschwer.“

Die Frau und ihre Töchter öffneten leise die Tür und flogen davon.

„So, jetzt zu dir. Jason, hier hast du deine zwei Hexstäbe. Pass sehr gut auf sie auf, verliere keinen, denn sie sind unersetzbar!“

Jason konnte sich die aufkeimende Frage nicht verkneifen. „Wieso bekomme ich denn zwei? Ist es denn nicht so, dass man nur einen Hexstab braucht?“

„Bei Hexenkindern, die unter Menschen aufwachsen händigen wir in den meisten Fällen keinen Turtle-Stab aus. Es wäre zu gefährlich. Nicht auszudenken, wenn kleine Babys plötzlich in der Menschenwelt schweben oder von einem auf den anderen Augenblick in einem Haufen von Spielzeug oder in lebenden Pampufftierchen sitzen würden. Hinter der Hütte ist eine kleine Übungswiese mit allerlei Dingen, die du ausprobieren kannst. Hast du denn schon ein paar Sprüche zum Üben?“

Vanilla nahm Jason die Antwort ab. „Dafür ist noch keine Zeit gewesen, er geht heute erst einmal zurück nach Hause.“ Sie drängte zu Eile „Jason, gehen wir, ich habe noch eine Menge zu erledigen. Auf Wiedersehen Meister Lexikus.“

Beide gingen hinaus und Vanilla hob ihren Hexstab in die Luft. „Ich rufe jetzt meinen Besen, damit wir zurück fliegen können. Hab ihn im Kleidershop vergessen. ‚OPAL IBEUM ELIFIX Federwald‘.“

Es würde ein paar Minuten dauern, bis der Besen da sein wäre ...
In der Zwischenzeit unterhielt sich Vanilla mit ihrem Enkel. „Nun Jason, wie gefällt dir unsere Welt?“

„Es ist unfassbar. Schade, dass Charlyn das hier nicht sehen kann. Jetzt kann ich mir auch denken, warum sie so gerne Hexe spielt. Ich hab da eine Frage, darf ich sie stellen?“

Vanilla lächelte in sein vor Aufregung glühendes Gesicht. „Natürlich, frag mich alles was du möchtest.“

„Wann bekomme ich einen Hexenbesen zum Fliegen?“

„Deinen Besen bekommst du morgen. Noch eine Frage, die ich beantworten soll?“

Jason schnappte nach Luft. „Ich habe noch tausend Fragen!“

„Einige Fragen beantwortet dir Elli, bis wir uns morgen wieder treffen. Alles andere erkläre ich dir auf Dragonrock.“ Vanilla sah sich um. „Oh, da kommt er ja.“

Mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit raste der Besen auf Vanilla zu und sie streckte ihren Arm aus. Auf den Punkt genau landete er in ihrer Hand. Jason blieb wieder einmal der Mund offen stehen. Vanilla stieg auf ihren Besen und winkte ihn auffordernd heran.

„Dürfen da denn zwei drauf?“

Vanilla nickte. „Steig auf!“

Jason, der gerade noch so furchtlos einen eigenen Besen wollte, bekam monströs kalte Füße. Er hatte schließlich Höhenangst. Dachte er zumindest.

Langsam schwang er sein rechtes Bein über den Besenstiel. Seine Finger krallten sich in den Umhang seiner Großmutter und er kniff seine Augen fest zu. Der Besen stieg flott in die Luft und Jason linste vorsichtig hinter dem Umhang hervor.

Boah, was war das? Jason überkam ein Gefühl, das ihn schlichtweg umhaute. Frei wie der Wind und leicht wie eine Feder! Am liebsten würde er jetzt, so er welche hätte, seine Flügel ausfahren.
Der Besen gewann schnell an Höhe und stieg immer weiter, sie glitten in einen für Jason noch nicht sichtbaren Turbotunnel.

Die Geschwindigkeit nahm so rasend zu, dass er mit seinen Gleichgewicht und dem Gegendruck kämpfte. Der Wind schnitt in ihre Gesichter und Jason fühlte sich wie in einer Achterbahn, die gerade einen nicht enden wollenden Sturzflug absolvierte. Der Gegendruck presste ihm die Luft aus dem Gesicht und erschwerte ihm das Atmen. Keuchend verbarg er sein Gesicht im wehenden Umhang.

Wo ihn vorher so viele Fragen erdrückten, lag jetzt nur noch eine in seinem direkten Interesse. ‚Wann hört dieser bekloppte Flug endlich auf?‘

Als ob sein Stoßgebet erhört wurde … Seine Großmutter zog den Besenstiel sachte nach oben, abrupt stand sie in der Luft. Vanilla machte einen Schlenker nach links und nahm ihren Flug wieder auf, jedoch im Schritttempo, und Jason sog die frische Luft tief in seine fast kollabierten Lungenflügel.

„Wir sind gleich da, sieh dort unten.“

Wahrhaftig sie flogen direkt über Jasons Wohnhaus!

„Kann man uns denn nicht sehen?“

„Nein, ich habe unterwegs einen Tarnhex ausgesprochen. Für die Menschen sind wir nicht sichtbar.“

Jason fragte sich, wie sie bei der vorherigen Geschwindigkeit überhaupt was sagen konnte, doch da stoppte der Besen vor seinem Fenster und Vanilla klopfte an die Scheibe.

Es dauerte nicht lange und Elaine öffnete.

Mit eingezogenen Köpfen landeten sie und stiegen ab. Jasons Knie zitterten höllisch und er ließ sich erst mal auf sein Bett fallen. Vanilla ergriff das Wort und streckte ihre Hand in Jasons Richtung. „Gib mir bitte die Stäbe.“

„Warum muss ich meine Z-Stäbe abgeben? Ich soll doch auf sie aufpassen!“
„Das ist in der Menschenwelt zu gefährlich und darüber hinaus strikt verboten!“
Jasons Mutter mischte sich in das Gespräch ein. „Lass ihm wenigstens den Turtle-Stab. Ich passe auf, dass alles gut geht und kein Mensch etwas mitbekommt.“

Mit einem Augenaufschlag, vor dem jeder Dackel vor Neid erblassen würde, sah Jason seine Oma schräg an, selbst seine Unterlippe schob sich bis zum Anschlag vor. Vanilla musste schlucken und ein breites Grinsen unterbinden. „In Jason steckt viel ungezügelt Macht. Ich hoffe er nutzt sie zum Guten. Elli, wir sehen uns morgen.“

„Bis Morgen Oma.“

Jason verabschiedete sich mit einer dicken Umarmung.

Vanilla stieg wieder auf ihren Besen und flog eilends davon.

Und schon brannte die erste Frage auf seiner Zunge. „Mama ist Skyla auch eine Hexe?“

Ein schlaues Kerlchen, Elaine nickte lächelnd. „Ja, und genau wie du reist sie vielleicht dieses Jahr nach Dragonrock.“

Prompt strahlte Jason von einem Ohr zum anderen. „Das ist Klasse, weiß sie es schon? Und was genau ist Dragonrock? Alle reden davon, nur ich hab keinen Schimmer.“
Elaine griff nach seiner Hand.

„Nein, sie weiß es bald und Dragonrock ist unsere Heimatinsel. Aber sag mal, hast du gar keinen Hunger? In der Küche steht das Mittagessen und wartet auf dich. Wir reden später weiter.“

Sein Magen knurrte wirklich und zwei Tellerfüllungen später lehnte er sich gemütlich zurück. „Wo sind Charlyn und Charly?“

„Die beiden sind bei Angel nebenan und spielen mit Joyce.“

„Darf Charlyn wissen, was heute passiert ist?“

Bloß nicht! Elaine schüttelte den Kopf. „Nein, erst in vier Jahren.“

Jason kam in Fahrt und löcherte seine Mutter weiter. „Ahnt Charlyn, was sie ist? Sie spielt doch so gerne Hexe.“

„Nicht offensichtlich, aber bei ihr wirkt der Bann allem Anschein nach nicht richtig. Ihre Hexenkraft kommt manchmal in kleinen Schüben durch. Was für mich nicht immer einfach zu bremsen ist.“
Jason kratzte sich am Kopf.

„Warum ist das bei mir nie gewesen, oder weiß ich nichts davon?“

„Mein Schatz, wenn ich dir alles erzählen soll, machen wir beide es uns lieber gemütlich, wir trinken eine Tasse Kakao und setzen uns in die Stube.“

„Okay Mama. Kann ich dir helfen?“

„Ja, gib mir die Milch aus dem Kühlschrank. Ich hole den Kakao.“

Als alles fertig war, machten sie es sich auf dem Sofa bequem und Elaine begann. „Ich erzähle dir erst mal, warum wir in Verbannung leben, denn so bekommst du einen besseren Überblick. Es ist etwas über zehn Jahre her, da hab ich deinen Vater, Leonard M. Dragonblood geheiratet. Wir haben im Hexenhotel auf Dragonrock gearbeitet. Kurz vor unserer Heirat wurde ich schwanger, unser Glück schien perfekt, bis zu deinem dritten Geburtstag. Dein Vater schlug einen Zoobesuch in der Menschenwelt vor, denn du hattest irgendwo so ein Buch über Dschungeltiere der Menschen gefunden. Keiner wusste woher du es hattest, in jedem Fall hast du dieses Buch nicht mehr aus der Hand gegeben. Wir haben mindestens fünfzig oder mehr Bücher besorgt. Sogar einfache Menschenbücher, aber keins faszinierte dich so wie dieses Buch. Und so beschlossen wir, diese Tiere aus dem Buch im Zoo zu besuchen. Und wir hofften, dir würde das Buch endlich egal werden, denn der Reparaturhex verlor an Kraft. Die Seiten gingen nach ein paar Stunden immer aus dem Leim. Kopieren ließ es sich auch nicht. Und da ich sowieso am menschlichen Verhalten interessiert war, fand ich die Idee zweckmäßig, wie Menschen zu reisen. Wir planten unseren Weg zum Zoo also wie Menschen, keine Hexereien, kein Besenflug. Es begann mit einer Schiffsreise nach Bremerhaven, darauf folgte eine Busfahrt zum Hauptbahnhof. Und dort veränderte sich unser gesamtes Zusammenleben. Wir gingen zu dem Gleis, von dem unser Zug nach Hamburg abfahren sollte. Der Zug war noch nicht da, also schauten wir dem geschäftigen Treiben der Menschen zu. Wie sie auf den anderen Gleisen in die Züge stiegen, sich verabschiedeten und dabei Tränen vergossen. Kamen sie mit Hunden an uns vorbei, warst du ganz aufgeregt, jeden wolltest du streicheln, was ja heute noch so ist, oder Jason?“

Jasons Augen begannen zu glänzen. „Ja Mama, vorhin hab ich einen Höllenhund kennengelernt, aber erzähle bitte weiter.“

„Was, einen Höllenhund, ist das wahr?“

Elaine schaute verstohlen auf ein Bild von Charly, das an der Wand neben dem Wohnzimmerschrank hing.

„Ja. Mama erzähl jetzt weiter.“

„Na gut, du musst nachher aber auch von deinem Ausflug berichten. So standen wir dann bei den Gleisen. Irgendwie hast du dich immer mehr, unbemerkt, dem Rand der Bahnsteigkante genähert. Dein Vater und ich bestaunten gerade einen Mann, der mit fünf Koffern beladen, schwer schnaufend versuchte, in ein Zugabteil zu steigen, und dem dabei immer wieder einer der Koffer wegrutschte. Wir müssen unser Gepäck nicht so umständlich transportieren, einen Schrumpfhex und dann alles in eine kleine Tasche, fertig. Aber egal, ich drifte ab. Aus einer Ahnung heraus drehte ich mich zu dir um, aber da war kein Jason mehr. Ich griff nach dem Arm deines Vaters, schrie los, denn ich sah dich auf den Gleisen stehen. Leonard sprang auf die Gleise. Er bemerkte, dass der Zug einfuhr, es war keine Zeit mehr, um einen langen Hexspruch auszurufen, der die Zeit im Bahnhof anhielt. So rief er mit ausgestrecktem Arm, ´Rapidas Fetur Legago Ontra´, was zufolge hatte, dass der Zug abrupt stand. Aus einem unerklärlichen Grund fuhr der Intercity dann plötzlich ruckartig rückwärts wieder an. Erst ein paar Meter später kam er

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Tag der Veröffentlichung: 26.07.2011
ISBN: 978-3-7309-2829-5

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