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Imprint
Sieben Jahre, Sieben Meere
Autobiografie & Erlebnisbericht eines Tauchlehrers
Rene von Reth
Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2012 Rene von Reth
ISBN 978-3-8442-2894-6


In sieben Jahren um die Welt
Vom etwas anderen Werdegang eines Tauchlehrers


Prolog
Oktober 1994
- Thailand -

Ich sitze auf einer Matratze in einer einfachen Lehmhütte. Keine Fenster, zumindest keine aus Glas. Kein Telefon. Kein Fernseher. Kein Kühlschrank. Da in der Ecke steht mein Rucksack und ein Pilotenkoffer mit meinen Ausbildungsunterlagen, und das stellt gerade den Rest meiner viel zitierten "weltlichen Habe" da. Die besteht, abgesehen von den Dokumenten, größtenteils aus ein paar Klamotten und dem Geld, das bei meiner Haushaltsauflösung in Deutschland zusammengekommen ist. Ich bin 31 Jahre alt, und ich bin so weit weg von meinem vorherigen Leben, wie es für den Moment nur möglich ist...

Ein wenig zurückgespult...:

Dick wabert der Smog über der Stadt. Die Luft ist schwül und schwer, und wie dicke Regentropfen rinnt das Kondenswasser außen an meinem Weißbierglas herunter. Nachdem ich gerade ein Wiener Schnitzel mit Pommes "Rot-Weiß" verdrückt habe und nach zwei Tagen (auf Reisen, zusammengedrängt mit Touristen und Geschäftsreisenden... oder etwas in der Art) endlich alleine mit mir selbst bin, beginne ich mit meinen ersten Aufzeichnungen über meinen neuen Lebensabschnitt.

"Allein" ist in diesem Moment zugegebenermaßen ein ziemlich relativer Begriff: Ich sitze in einem bayerischen Restaurant und habe gerade die erste Mahlzeit seit meiner Landung zu mir genommen. Hier in Bangkok, der Hauptstadt Thailands, mit ihren Pagoden, vielen Tempeln und Straßen Küchen, die mit Bayern herzlich wenig zu tun zu haben scheinen, wirkt diese Art Restaurant schon ein bisschen surreal - aber ich wollte noch einmal kurz etwas ansatzweise Vertrautes sehen, bevor es richtig los geht und ich mein Dasein in Deutschland zumindest für eine Weile hinter mir lasse.

Vor zwei Tagen bin ich in Deutschland gestartet, um die Welt als Tauchlehrer kennen zu lernen. Tauchlehrer - das scheint Welten entfernt von meinem früheren geordneten Berufsleben. Bis hierher hatte ich mein Geld mit dem Verkauf von Versicherungspolicen verdient und im Ruhrgebiet meine eigene Versicherungsgeschäftsstelle betreut. Damit war ich eigentlich auch mehr oder weniger zufrieden gewesen, aber dann waren ein Urlaub, die Umstände und ein Schlüsselerlebnis meiner schön geradlinigen Lebensplanung in die Quere gekommen.


1991–1994
- Deutschland, ein Urlaub in Kuba, und wie alles anfing… -

1991 hatten meine Freundin Britta und ich zusammen mit ein paar weiteren Freunden einen Urlaub auf Kuba inklusive Schnorchel-Ausflug gebucht. Ich hatte bis dahin noch keine besondere Erfahrung gesammelt, wenn es darum ging, für länger als ein paar Sekunden den Kopf unter Wasser zu halten. Schnorcheln - das klang für mich wie etwas, das man als Urlaubsaktivität halt "einfach mal mitnimmt". Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich die Unterwasserwelt dermaßen faszinieren würde.

So ein Schnorchel ist maximal 40 cm lang, so dass man sich also direkt unterhalb der Wasseroberfläche halten muss, um durch den Schnorchel Luft zu bekommen. Trotzdem war der Eindruck von dem, was ich da zu sehen bekam, unglaublich - zumal man im Gegensatz zum Schwimmen nun quasi zwei „neue“ Richtungen kennenlernt: nach oben und nach unten. Das ist etwas, das man an Land oder als einfacher Schwimmer so nicht gewohnt ist, weil man sich meist auf demselben horizontalen Level bewegt.

In wunderbar klarem Wasser schnorchelten wir ein Riff entlang, das von einer anfänglichen Tiefe von vielleicht sechs bis acht Metern kontinuierlich auf geschätzte 30 Meter abfiel. Das Riff war wunderschön bewachsen mit bunten Korallen, Schwämmen und tausenden Fischen.
Und dann stießen wir schließlich auf zwei Taucher, die sich in etwa 20 Metern Tiefe, also ein ganzes Stück unter uns, durch diese unglaubliche Unterwasserwelt bewegten. Wie gesagt, trotz der neuen Erfahrung des Schnorchelns und der Fortbewegung auf einer buchstäblich neuen Ebene waren wir eng an die Wasseroberfläche gebunden, während ich nun sehen konnte, wie die Taucher 10 Meter oder 15 oder sogar ganze 20 Meter nach unten konnten. Und da passierte bei mir etwas Komisches: Ich wusste plötzlich mit Bestimmtheit, dass ich das auch wollte! Und das Schnorchel mir bei Weitem nicht genug sein würde. Die Tiefe hatte es mir von da an angetan, und als wir wieder zurück in unserem Resort waren, trieb ich als erstes unseren Reiseleiter auf und erklärte ihm mein Vorhaben, Tauchen lernen zu wollen.

Passenderweise gab es am Ort tatsächlich eine Tauchschule - aber damit leider auch ein Problem, denn wie es sich herausstellte, sprachen die dortigen Tauchlehrer ausschließlich Spanisch - und das reichte bei mir zu diesem Zeitpunkt gerade mal, um im Restaurant die Speisekarte zu lesen und vielleicht mal nach einem Weg zu fragen. In dieser Sprache etwas komplett Neues lernen zu müssen, wäre da schon etwas ganz Anderes.

Meine damalige Freundin Britta und unsere Freunde fanden diese Idee komplett absurd, aber ich wollte meinen Weg gehen.

Also musste eine Tauchschule in Deutschland her - und mit diesem Entschluss war ich dann wohl einer der wenigen Touristen, die es trotz tollem Urlaub gar nicht erwarten konnten, wieder nach Hause zu kommen.

In der heutigen Zeit hätte ich mich einfach hinter den Schreibtisch geklemmt und meine Recherchen im Internet betrieben, aber 1991 mussten stattdessen noch die Gelben Seiten herhalten. Auch Tauchschulen gab es bei uns in Essen nicht gerade wie den sprichwörtlichen Sand am Meer, aber schließlich wurde ich dann doch noch fündig, und zwar in Herne, was von Essen aus eine noch ganz günstige Entfernung ist.

Also rief ich dort an und machte einen ersten Gesprächstermin aus. Der Besitzer dort hieß Peter und war Tauchlehrer vom CMAS und VDTL - kryptische Abkürzungen, mit denen ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel anfangen konnte... auch wenn sich das schon bald ändern sollte. Jedenfalls erklärte ich ihm, was ich wollte und bekam die erfreuliche Antwort, das sei alles kein Problem, nächstes Wochenende würden wir den ersten Tauchgang machen. Ich war natürlich schwer begeistert, und die Tatsache, dass es Winter war und es draußen schneite, konnte meinen Enthusiasmus da auch nicht mehr bremsen. Das nächste Wochenende kam – ENDLICH – und ab ging es nach Herne und zu meinem historischen ersten Tauchgang. Es war der 8. Februar 1992.

In der Schule angekommen, ging es aber noch längst nicht ins Wasser, nein. Zusammen mit den anderen neuen Schülern wurde ich zuerst einmal „eingekleidet“. Unser neues Outfit bestand in einem Tauchanzug (sieben Millimeter dick), Füßlingen, Handschuhen, Maske, Schnorchel, Lungenautomat und der „Klobrille“ – das hatte nichts mit dem Sanitärbereich zu tun sondern war der schicke, szeneübliche Slang für die benötigte Tarierweste, die dazu da ist, unter Wasser den Auftrieb des Tauchers zu regulieren. Eingeblasene Luft in der Weste sorgt für Auftrieb - also muss man, wenn man nach unten will, die Luft logischerweise erst einmal rauslassen.

Jedenfalls waren wir damit aber immer noch nicht fertig für das Wasser! Nein, das alles wurde erst einmal eingepackt und wir in den „Tauchschulbulli“ verfrachtet, den schuleigenen Kleinbus. Und der brachte uns dann zum Möhnesee – wenn auch mit einiger Verspätung. Für die Strecke, die normalerweise je nach Verkehr eine Stunde Fahrt benötigt, brauchten wir nervenaufreibende vier! Wir hatten uns schlicht und ergreifend verfahren, damals, in den Zeiten ohne Internet und natürlich auch ohne Navigationssystem. Als wir endlich ankamen, war ich aufgeregt wie nie zuvor in meinem Leben und ignorierte daher auch schlicht und total die Tatsache, dass da satte fünf Grad minus Außentemperatur herrschten, während das Wasser immerhin schnuckelige zwei Grad Celsius im Plusbereich vorzuweisen hatte – für die Verhältnisse sogar noch relativ warm.

Wie auch immer, alles was ich wollte, war wieder rein ins Wasser - zurück unter die Wasseroberfläche, genauer gesagt, und das Gefühl genießen, dort trotzdem weiteratmen zu können. Mein Eindruck vom Möhnesee im krassen Gegensatz zu den Umständen auf Kuba zu Zeiten meines Urlaubs dort hätte theoretisch ernüchternd sein können, denn von Exotik gab es hier keine Spur! Aber echter Enthusiasmus kann eine wunderbare Sache sein, und der hielt in meinem Fall auch an, trotz der objektiv nur schwer zu leugnenden Tatsache, dass der Möhnesee an sich nur sehr bedingte Ähnlichkeit mit einem kubanischen Karibik-Riff vorzuweisen hat - von der Wassertemperatur ganz zu schweigen, die hier im verschneiten Deutschland so gar nicht karibisch war.

Wie gesagt, das alles konnte mich nicht abschrecken, wir stiegen also raus aus dem Bulli und in die kalte Wirklichkeit und zogen uns um für das kühle Nass. Ich trug wie die anderen Anfänger meinen Sieben-Millimeter-Anzug, während die Tauchlehrer im luxuriösen "Troko" daherkamen - das ist eine Kurzform für den so genannten "Trockentauchanzug", aber das alles konnte ich damals natürlich nicht wissen, und für den Moment war es mir auch egal.

Jeder der Anfänger bekam einen eigenen Tauchlehrer an die Hand, und zwar buchstäblich. Das Briefing war, wie ich aus heutiger Sicht eines inzwischen selbst erfahrenen Tauchlehrers zugeben muss, nicht gerade umfangreich. Das Wesentliche war: "Steck dir das Ding in den Mund und atme ganz normal. Ich werde dich an die Hand nehmen, und wir tauchen zusammen." Und so ging es los. Ich setzte die Maske auf, steckte mir das Mundstück vom Lungenautomat in den Mund, ließ die Luft aus der Tarierweste, und es ging zuerst rein und dann auch runter. Von Kälte erstaunlicherweise keine Spur, und ich war begeistert - obwohl ich geatmet habe wie ein Nilpferd und ich bis heute nicht ganz sicher sein kann, ob das am kalten Wasser lag oder an meiner Bewunderung für die Unterwasserwelt. Und da gab es tatsächlich so Einiges zu bewundern, auch wenn die Sichtweite schätzungsweise nur 50 cm betrug. Ich erinnere mich jedenfalls an den Anblick von tollen, unter Wasser ganz wundervoll wirkenden Steinen.

Und ich erinnere mich nach wie vor an diese Faszination, mit Hilfe der Tauchausrüstung unter Wasser atmen zu können. Unter Wasser herrscht eine Form von Stille, die wir im Alltag normalerweise nicht gewohnt sind. Dazu kommt noch das Gefühl von Schwerelosigkeit - kurz gesagt, ich nahm also während der nächsten Wochen und Monate in jeder freien Minute meinen Tauchunterricht in Theorie und Praxis, absolvierte meine Tauchgänge und machte auf diese Weise nach und nach auch meine diversen Tauchscheine des CMAS (Confédération Mondiale des Activités Subaquatiques), einem der großen weltweiten Tauchsportverbände. Ich bekam meinen Bronze-Schein, dann Silber und ein wenig später während einer Tauchtour nach Israel schließlich auch noch Gold. Damit war die Grundlage für mich geschaffen, mich zum CMAS Tauchlehrer (Instructor) weiter zu bilden. Warum ich das damals wollte, wusste ich selbst nicht genau. Aber ich bin ehrgeizig, und wenn ich mal etwas anfange, will ich auch möglichst bis in die Spitze.

Wenn man sich allerdings die Voraussetzungen zum Absolvieren des CMAS Instructor anschaut, stellt man fest, dass man neben etlichen Prüfungen auch ein sechswöchiges Auslandspraktikum nachweisen muss - und das war in meiner Situation schier unmöglich, da ich in meinem Hauptberuf Versicherungsfachmann war und meine eigene Geschäftsstelle in Mülheim an der Ruhr hatte. Da konnte ich nicht einfach mal eben einfach so für sechs Wochen für ein Praktikum "verschwinden".

Also schaute ich mich im Januar 1993 auf der "Boot", der Internationalen Bootsausstellung in Düsseldorf, nach Möglichkeiten um, entweder dieses Praktikum doch irgendwie hinzubekommen, oder aber eine Alternative zu finden - denn die Boot ist weit mehr als nur eine einfache Messe für Boote, sondern zieht auch Aussteller und Besucher aus den anderen Bereichen des Wassersports an - also auch die Tauchbegeisterten. Michael, einer meiner Tauchfreunde, der mich an der CMAS Tauchschule oft mit ausgebildet hatte, war mit von der Partie, denn er überlegte sich zu der Zeit gerade, einen ähnlichen Weg wie ich einzuschlagen. Im Rahmen unserer Streifzüge Auf der Messe gerieten wir dort an einem Stand der PADI IDC-Center Group an einen Mann namens Oliver. PADI ist die Abkürzung für "Professional Association of Diving Instructors", eine Organisation, die weltweit Tauchausbildungen anbietet, und obwohl mir von Seiten der CMAS Tauchschule immer von PADI abgeraten worden war, war ich trotzdem hingegangen, um mich zumindest einmal nach den Bedingungen zu erkundigen, PADI-zertifizierter Tauchlehrer zu werden.

Wir ließen uns am Stand beraten und erfuhren unter anderem, dass wir erst einmal den so genannten PADI "Divemaster" Kurs würden absolvieren müssen, um anschließend an einem IDC (Instructor Development Course) - sprich: Tauchlehrerkurs - teilnehmen zu können. Das hörte sich durchaus machbar an, auch für mich. Kurz gesagt, wir meldeten uns beide an, und zusammen mit drei weiteren Teilnehmern (Marcel, Daniel und Andi) ging es für uns ein paar Wochen später los.

Die Art der Ausbildung war eine ganz andere, als ich es bisher gewohnt gewesen war, und Michael und mir begann es zu dämmern, dass wir es bis zu dieser Zeit mit einer ganzen Menge Murks zu tun gehabt hatten, mit einem Unterricht, der mit einer eigentlichen professionellen Ausbildung nicht viel zu tun gehabt hatte. Man stelle sich zum Beispiel nur einmal vor, dass ich bereits mehr als 100 Tauchgänge absolviert hatte - und dabei war dies hier, bei der PADI-Ausbildung, das allererste (!) Mal, dass ich mich zum Tauchen in einem Pool befand. Als Anmerkung, generell findet die Grundausbildung in einem Pool statt, umso die ersten Fertigkeiten in einer ruhigen Umgebung zu erlernen.

Der Divemaster-Kurs war schnell geschafft, nun begann er endlich, der IDC, der Instructor Development Course, der Kurs, der mich zum Tauchlehrer machen würde! Diesmal waren wir 22 Leute, und die Kursdauer betrug acht Tage. Auch die waren schließlich geschafft - und nun gab es nur noch das Eine, das zwischen mir und meinem formalen Status als Tauchlehrer stand: Die Abschlussprüfung oder auch IE für "Instructor Examination". Michael und ich hatten beschlossen, unsere Abschlussprüfung in Augsburg abzulegen, da es dort den ersten möglichen IE-Termin gab. Ich hatte anschließend noch ein paar Tage Zeit zur Verfügung und hatte mir vorgenommen, von München aus weiter nach Izmir in die Türkei zu fliegen, wo ich dann Daniel und Andi wieder treffen wollte, da Andi in Kusadasi ein PADI-Tauchcenter eröffnen wollte. Die beiden hatten sich für einen späteren IE-Termin entschieden, also hatte ich mir für unser Wiedersehen im Geiste schon einige coole Sprüche zurecht gelegt, denn ich hatte ja Grund zu der Annahme, dass ich dort bereits als "fertiger" PADI Instructor auftauchen würde.

Das Problem war nur, dass zumindest aus diesem Teil meiner Vorstellungen zunächst nichts wurde, weil ich nämlich bei der Prüfung prompt durchfiel.

Wie ich Jahre später erfahren sollte, erlebten wir gewissermaßen die Premiere unserer Prüferin (im Fachjargon auch: Examiner). Ruth, unser Examiner, gab mit uns ihren ersten IE und ließ die Leute gleich reihenweise durchfallen. Tja, und ich... gehörte auch dazu. Ihre Begründung war, dass sich mein so genannter "Oktopus-Schlauch" beim Anziehen des Jackets unter Wasser über meinem Arm befunden hatte, obwohl der doch ihrer Auffassung nach unter meinen Arm gehörte. Bei mir stieß diese Entscheidung auf komplette Unverständnis, gipfelnd in der Frage: Wo steht das? Aber alles Diskutieren nützte nichts, am Ende stand fest: Michael hatte die Prüfung bestanden, während ich selbst durchgefallen war.

Trotz des vorübergehenden Schlages für mein Ego veranstaltete ich noch zusammen mit Michael die von vornherein geplante fette Party, bevor er mich dann nach München zum Flughafen Richtung Türkei brachte. Dort nahmen mich Daniel und Andi in Empfang, und man kann sich das Gehäme und die sonstigen Bemerkungen denken, welche die beiden grinsend auf meine Kosten vom Stapel ließen. Das hielt uns aber nicht davon ab, dort zusammen eine gute Zeit mit viel Spaß zu haben.

Sogar für die Rückreise hatten wir uns etwas Besonderes ausgedacht: In einem 28 Jahre alten 180er D Heckflossen-Mercedes fuhren Daniel und ich zurück nach Deutschland, und zwar die ganze Türkische Küste entlang, und dann über Griechenland, Italien und die Schweiz zurück ins heimische Ruhrgebiet. Dafür benötigten wir rund eine Woche, aber wir bekamen eine Menge zu sehen, und dazu noch eine weitere Menge Spaß. Von hier aus ging es dann für mich weiter nach Holland, um einen weiteren Anlauf für meinen IE zu starten. Dieses Mal lief dann auch alles glatt, und die gesamte Truppe bestand die Prüfung problemlos. Es erübrigt sich vielleicht hinzuzufügen, dass das den willkommenen Anlass für eine weitere wilde Party bot.

Mit Oliver, dem Mann vom PADI-Messestand auf der Boot waren wir weiterhin in Kontakt geblieben. Er war Besitzer einer Tauchschule in Duisburg, und jetzt bot er Daniel und mir, da wir ja beide endlich "richtige" Tauchlehrer waren, einen Teilzeit-Job als Instructors an. Beide waren wir erpicht darauf, nun auch selbst auszubilden, und nahmen den Job entsprechend begeistert an.

Der erste Kurs, den Daniel und ich gemeinsam als Ausbilder bestreiten sollten, war ein Anfänger- bzw. "Beginner"-Kurs und trug die Bezeichnung "PADI Open Water". Zusammen hatten wir dreizehn Leute zu betreuen, und man kann wohl sagen, dass diese bei uns nicht nur den Unterricht, sondern verbunden damit auch jede Menge Spaß hatten. Das zeigte sich spätestens, als sich acht unserer Kursteilnehmer nach Bestehen dieses Grundkurses gleich für den PADI Advanced Open Water Kurs und damit dem nächsten Ausbildungsschritt anmeldeten. Das war für uns natürlich eine besondere Selbstbestätigung und auch Motivation. Immerhin waren wir in unserer Eigenschaft als Tauchlehrer ja selbst so etwas wie Anfänger, und da tat es gut zu sehen, dass wir wohl irgendetwas richtig machten.

Es stellte sich heraus, dass Daniel und ich als Team perfekt zusammen passten. Zwar hatte er zwischendurch mal die Tendenz zum Chaotischen, aber von uns beiden war er auch der eindeutig Praktischere, während meine Stärke eher in der Planung lag. Insofern ergänzten wir uns also gegenseitig, und da auch das "Klima" zwischen uns stimmte, kamen wir mit unseren Kursen gut zurecht.

Wir überlegten uns nun, dass wir unseren Schülern (und Schülerinnen) mal etwas bieten wollten. Wir hatten zwar wassertechnisch den wunderschönen Wambachsee in Duisburg zur Verfügung, hatten es uns aber in die Köpfe gesetzt, etwas ein wenig Ausgefalleneres auf die Beine zu stellen, vorzugsweise verbunden mit einer kleinen Wochenendtour für unseren Kurs. Also organisierten wir eine Tauchtour nach "Groene Hoevels" in der Nähe von Nimwegen in Holland. Groene Hoevels ist tatsächlich ein attraktives Tauchgebiet, inklusive Strand, einer sehenswerten Unterwasserwelt mit Karpfen, Hechten und einem Wrack - und von der Sichtweite her bekam das Taucherauge immerhin zwischen zwei und zehn Metern geboten. Passenderweise befand sich der nächste Campingplatz nur etwa acht Kilometer vom Strand entfernt, und wir hatten einen Kompressorwagen, der direkt zum See kam, um die leeren Tauchflaschen wieder zu füllen.

Wir starteten den Kurs am ersten Tag mit einem Tieftauchgang und anschließender Navigationsschulung - denn natürlich ist es unter Wasser, wo man es ja nicht nur, wie schon erwähnt, mit den Richtungen "vor und zurück" und "rechts und links" zu tun hat, sondern eben auch "nach oben" und "nach unten", wichtig für einen Taucher, sich zurecht zu finden. Am Abend folgte dann noch ein Nachttauchgang. Die erste Unterrichtseinheit des zweiten Tages war dem Thema "Suchen und Bergen" gewidmet, und dann, da wir ja nun dieses schöne Wrack zur Verfügung hatten, folgte zum Schluss noch ein spezieller Wracktauchgang.

Damit wären wir eigentlich dann auch am Ende des Kurses angekommen - aber Daniel und ich hatten unseren Leuten ja wie gesagt etwas Besonderes bieten wollen, deshalb bauten wir zwischendurch immer mal wieder ein paar kleine "Extras" ins Programm ein. Beim Wracktauchgang beispielsweise versteckten wir beiden Ausbilder uns im Wrack, um von dort aus die Kursteilnehmer und ihr Verhalten begutachten zu können. Nachdem wir uns dann überzeugt hatten, dass diese alle Leistungsanforderungen erfüllt hatten, überreichten wir ihnen noch unter Wasser eine Flasche Sekt und gratulierten ihnen zum bestandenen Kurs mit der Aufschrift "PADI Open Water Advanced" auf einer speziellen wasserfesten Schreibtafel. Die Reaktionen der Leute waren den ganzen Aufwand definitiv wert, denn wir sahen überall Lächeln und leuchtende Augen. Das werde ich wohl nie vergessen, besonders, wo doch meine eigenen Erinnerungen an meine eigenen Prüfungen zu der Zeit noch so frisch waren. Die Stimmung unter uns allen war nun auch dementsprechend super, und so bot es sich an, das Ganze auf dem Campingplatz noch mal schön zu feiern, was wir dann beim Grillen und Bier auch taten.

Das alles hatte nun die Erwartungen unserer Tauchschüler und -Schülerinnen eindeutig übertroffen, und wie das nun einmal so ist, sprach sich das Ganze unter den Tauchern in unserem Center schnell herum. Die positive Mundpropaganda war die beste Werbung, die wir uns nur wünschen konnten, und bald hatten wir eine Menge neuer Interessenten für unsere Kurse. Jedes Mal gesellten sich mehr Taucher zu uns, und sie nahmen entweder an den diversen Kursen teil, zum Beispiel das Advanced Programm nach einem neuen Open Water Kurs oder spezielle Unterrichtseinheiten für frühere Absolventen. Wieder andere wollten einfach nur mit uns tauchen gehen und anschließend feiern. Bei unserer letzten Tauchtour hatten wir sage und schreibe 70 Leute dabei, und man kann wirklich sagen: Es war gigantisch! Daniel und ich wurden zum Abschluss mit Geschenken praktisch überhäuft - wobei man sagen muss, dass Oliver als Boss und Besitzer der Tauchschule von zumindest diesem Aspekt nicht ganz so angetan war, weil er keine Geschenke bekam.

Ich hatte inzwischen feststellen können, dass sich durch das Tauchen, insbesondere durch Kurse, gutes Geld verdienen ließ, wenn man den Kunden einen super Kurs und entsprechenden Service bieten konnte. Da blieben Vergleiche meines Tauchlehrerdaseins mit meinem regulären Job in der Versicherungsgeschäftsstelle natürlich nicht lange aus.

Das Versicherungsgeschäft war zu der Zeit noch immer mein Hauptjob und insoweit meine Existenzgrundlage, doch seit der Maueröffnung schien es nicht mehr so richtig zu laufen. Einerseits hatte ich nach wie vor eine Menge potentieller Kunden - im Gegensatz dazu kamen aber mehr und mehr der eingehenden Anträge auf Versicherung am Ende nicht zustande, weil sie von der Hauptverwaltung abgelehnt wurden.

Man muss dabei wohl erwähnen, dass die Gesellschaft, für die ich arbeitete, damals Deutschlands drittgrößter Autoversicherer war, und auf diese Weise bekam ich meine Hauptkunden. Hier bot ich denn zusätzlich weitere Versicherungspolicen aus anderen Bereichen an, also Unfallversicherung, Rechtsschutz, Lebens- und Krankenversicherung, Haus-/Gebäude- und Firmenversicherungen. Je weiter dieses Jahr jedoch voranschritt, desto mehr von mir erarbeitete Anträge wurden mir abgelehnt. Es war hochgradig frustrierend!

Ich erinnere mich zum Beispiel an den Fall einer Rechtsanwältin, welche eine private Krankenversicherung hatte abschließen wollen. Eine solche Versicherung besteht in der Regel aus drei Tarifen: einen für die ambulante und einen für die stationäre Behandlung, und dann noch der Zahnarzttarif. Nun hatte diese besagte Kunden eine Tierhaarallergie, weshalb man von ihr einen fünfundzwanzigprozentigen Preisaufschlag verlangte. Der Kundin war dies natürlich viel zu teuer, zumal sie nicht einsehen konnte, was eine Tierhaarallergie mit einer Zahnarztbehandlung zu tun haben könnte.

Auch hatte die Hauptverwaltung wohl noch nie gehört, dass es so etwas wie Wohngemeinschaften gibt. In diesem Zusammenhang hatte ich einen Versicherungskunden, der bei mir eine Lebensversicherung abschließen wollte, und da keine Verwandten als potentielle Begünstigte vorhanden waren, setzte er kurzerhand seinen Mitbewohner als Bezugsberechtigten ein. Dieser Antrag wurde schließlich von der Hauptverwaltung abgelehnt - mit einem Hinweis auf "Aidsgefahr".

So ging es andauernd - was ich vorne an Anträgen einbrachte, fiel gewissermaßen hinten wieder weg. Dadurch verlor ich nicht nur viel Geld durch entgangene Provisionen, sondern als Folge davon auch weitere Prämien und diesbezügliche Wettbewerbe, die unter den Versicherungsagenten ausgeschrieben werden. Ich hatte derzeit bereits dreimal den Jahreswettbewerb gewonnen, dazu unzählige Kurzwettbewerbe, die mir mal eine Reise zum Timmendorfer Strand oder auch ein paar Tage Urlaub auf Mallorca eingebracht hatten. Finanziell gesehen war diese neue Entwicklung der Dinge also nicht gerade erfreulich.

Dazu kommt noch, dass das Geschäft mit Versicherungen meiner Meinung nach an sich schon keinen besonders spaßigen Charakter hat. Schließlich muss der Kunde ja zuerst einmal bezahlen, nämlich seine Versicherungsbeiträge. Geld erhalten er bzw. seine Begünstigten ja nur im Versicherungsfall, also bei einem entsprechenden negativen Ereignis. Es handelt sich also gewissermaßen um so etwas wie Wetten auf potentielle Unglücke und dergleichen.

Ich verglich zwangsläufig immer mehr den Verkauf von Versicherungspolicen mit meinen Tauchkursen - also mit dem Verkauf und der Durchführung von Spaß, Reisen und Abenteuer. Man kann sich wohl leicht denken, zu welchen Gunsten diese Vergleiche regelmäßig ausfielen.

Eines Tages rief mich mein bester Kunde an, den ich mir über Jahre hinweg kontinuierlich aufgebaut hatte. Er war der Inhaber einer Speditionsfirma, die über vierzig Großraum-LKWs verfügte, und seine Firma hatte einen Vertrag mit Coca Cola in Essen, in ganz Deutschland die gelben Getränkekisten für Coca Cola, Fanta und Lift von den verschiedenen Getränkemärkten einzusammeln und dann nach Essen ins Hauptlager zu befördern. Ich kann wohl behaupten, dass ich meinem Kunden über die Jahre erstklassigen Service geboten habe, und so hatte ich inzwischen alle vierzig LKWs für ihn versichern können - das allein entsprach einer Jahreprämie für mich in Höhe von mehr als 100.000 DM! Ich bekam eine "Betreuungsprovision" von zehn Prozent, was also einen Verdienst von 10.000 DM nur durch diesen einen Kunden ausmachte. Zu alldem hatte er auch noch seine private Krankenversicherung bei mir abgeschlossen, außerdem die Firmen- und Gebäudeversicherung, und einige seiner Angestellten hatten sich ebenfalls bei mir versichert.

Genau dieser Kunde also rief mich an und erklärte mir, dass er eine neue Versicherungs-Doppelkarte für ein neues von ihm gekauftes Fahrzeug benötige. Kein Problem. Ich fuhr direkt zu ihm, um ihm das Gewünschte persönlich zu überbringen, und nahm einige Tage später die Daten der Neuanschaffung auf, um den Versicherungsschutz mit dem Kunden zu besprechen. Wie es sich herausstellte, hatte er sich einen nagelneuen Porsche Turbo gekauft, der damals einem Wert von beinahe 200.000 DM entsprach. Dementsprechend hoch war auch die zu Versicherungsprämie. Ich nahm den Antrag auf und schickte ihn wie gehabt zur Hauptverwaltung.

Die allerdings rief mich wiederum einige Tage später an und teilte mir mit, dass sie den Porsche nicht versichern würden, da es sich bei einem Wagen dieser Klasse um ein erhöhtes Risiko handele - und man wüsste ja, wie viele Autos seit dem Mauerfall über die Grenze nach Polen verschwänden. Ich versuchte die Leute davon zu überzeugen, in diesem Fall eine Ausnahme zu machen, eine Ausnahme für meinen besten Kunden, den ich über diese Angelegenheit nicht enttäuschen und verlieren wollte - ohne Erfolg. Ich versuchte mein Glück schließlich selbst beim Abteilungsleiter - aber das "Beste", was ich damit erreichen konnte, war die Annahme des Antrags unter der Maßgabe einer Selbstbeteiligung im Falle eine Diebstahls, und zwar einer Selbstbeteiligung in Höhe von satten 30.000 DM.

Ich setzte meinen Kunden also von dieser Entscheidung in Kenntnis, und der war - vorsichtig ausgedrückt - nicht sehr erfreut. Genauer gesagt war er hochgradig sauer und erklärte mir, dass wenn sein neuer Wagen nur unter diesen Bedingungen von uns versichert werden könne, er sich nicht darauf einlassen würde. Und dass er darüber hinaus dann auch die Versicherungen für seine ganzen LKWs bei uns kündigen würde. Ich versuchte es noch einmal, hängte mich ans Telefon und versuchte mein Glück bei allen möglichen zuständigen Leuten - es nützte nichts. Der Kunde machte seine Drohung wahr und kündigte die Versicherungen für seinen gesamten Fuhrpark. Das war - abgesehen von der Frustration - einer herber finanzieller Verlust für mich.

In derselben Woche, in der ich all diesen Riesenärger in meinem Hauptjob hatte, machte ich im Tauchcenter die Bekanntschaft einer anderen Tauchlehrerin, der ich bis dahin noch nie begegnet war. Ihr Name war Gloria, und sie kam aus Mettmann im Rheinland. Ich fand sie zunächst ein wenig eigenartig und chaotisch, aber dabei doch irgendwie nett, und so kamen wir ins Gespräch.

Wie sie mir erzählte, war sie hergekommen, um sich Ausrüstung auszuleihen, denn sie hatte zwei Bekannte in der Gegend, die sie ausbilden wollte. Allerdings kannte sie sich im Ruhrgebiet nicht besonders gut aus, zumindest nicht was die örtlichen Tauchgegebenheiten betraf, denn sie arbeitete und tauchte, wie sie mir erklärte, überwiegend im Ausland. Also gab ich ihr ein paar Tipps für die umliegenden Seen.

Einige Tage später liefen wir uns erneut über den Weg, und da fragte ich sie, ob wir uns nicht mal ganz in Ruhe unterhalten könnten, denn ihre Bemerkungen über ihre Auslandstätigkeiten hatten mich neugierig gemacht. Wir trafen uns also privat, und sie erzählte, dass sie wieder zurück nach Thailand gehen würde. Dort war ich noch nie gewesen und nutzte daher die Gelegenheit, sie ein wenig über das Land auszufragen, speziell im Hinblick auf die dortigen Jobmöglichkeiten. Ich kann nicht einmal genau sagen, wie ernst es mir damals mit dieser Frage war.

Ernst oder nicht, ich wollte jedenfalls mehr wissen, und sie erzählte - und ich hörte zu und wurde dabei immer hellhöriger... und immer interessierter. Im Verlauf des Gespräches wurden meine Fragen dann auch zunehmend konkreter, bis ich sie schließlich direkt fragte, wie ihrer Meinung nach wohl die Chancen für mich stünden, dort unten einen Job als Tauchlehrer zu bekommen.

Sie jedenfalls schien die Frage durchaus ernst zu nehmen und erklärte mir, dass sie im September, zwei Wochen später, zurückfliegen wolle. Und sie versprach mir, sich unverbindlich für mich umzuhören und mir dann zu schreiben. Genauso verblieben wir dann auch. Sie flog zurück nach Thailand, während ich im Ruhrgebiet meiner Doppelbeschäftigung als Versicherungsmakler einerseits und Tauchlehrer andererseits nachging. Hatte ich in der Zwischenzeit ernsthafte Erwartungen an ihr Versprechen? Schwer zu sagen, doch tatsächlich bekam ich ein paar Wochen später Post von ihr - mit der Nachricht, dass ich dort sofort einen Job antreten könne!

Ich war - gelinde gesagt - beeindruckt. Auf einmal tat sich mir hier eine ganz neue Gelegenheit auf, eine Gelegenheit zu einem Neuanfang, eine Gelegenheit, den Beruf auszuüben, der mir wirklich Spaß machte! Aber es bedeutete natürlich auch, meine bisherige berufliche Karriere aufzugeben, eine Karriere, die ich mir über die Jahre hinweg sukzessive aufgebaut hatte. Meine bisherigen beruflichen Erfolge hatten sich auch in meinem Lebensstil gezeigt, im Kauf eines neuen Autos jedes Jahr, und in einer guten Wohnung... sollte ich das alles wirklich einfach so aufgeben... ganz einfach so?

Ich versuchte das Ganze von der rationalen Seite her zu betrachten. Es stimmte, mein Geschäft entwickelte sich rückläufig - die bereits beschriebenen frustrierenden Umstände, unter denen ich einen meiner Hauptkunden verloren hatte, waren da nur ein Beispiel. Andererseits gab es da aber auch die Zusage meines Bezirksdirektors von vor längerer Zeit, dass ich einen größeren Kundenbestand von einem ausscheidenden Mitarbeiter übernehmen könne. Damit würde es möglicherweise wirtschaftlich wieder aufwärts gehen mit der Firma, und das würde auch noch einmal einen neuen Motivationsschub bedeuten. Nun war diese Zusage wie gesagt schon eine Weile her - also beschloss ich, meinen Bezirksdirektor zu einem Gespräch zu bitten und ihm noch einmal nachdrücklich auf den Zahn zu fühlen, bevor ich mir über anderweitige drastischeren Entscheidungen weiter den Kopf zerbrechen würde.

Wie es sich bei diesem Gespräch herausstellte, hatte der Versicherungsvorstand anscheinend entschieden, mir aus welchen Gründen auch immer diesen Kundenbestand nicht zu übertragen! Der Plan sah statt dessen vor, diese Bestandskunden auf verschiedenen andere Kollegen aufzuteilen, obwohl diese ihre Geschäftsstellen in anderen Städten wie Essen, Duisburg oder Oberhausen hatten, diese Kunden jedoch überwiegend aus Mülheim an der Ruhr stammten. Mir war ganz klar, dass die meisten Versicherungskunden die Nähe zu ihrer Geschäftsstelle zu schätzen wussten und nicht erst in eine andere Stadt fahren wollen würden. Aber meine Meinung war in dieser Hinsicht ganz offensichtlich nicht von Belang.

Das war also die Situation. Die Annahmepolitik der Versicherungsgesellschaft hatte sich dramatisch geändert, und ich hatte dadurch viele Anträge und Kunden verloren - und nun wurde auch noch der mit zugesagte Kundenbestand nicht an mich vergeben! Das gab für mich den Ausschlag! Ich hatte mein Leben in Deutschland in den alten Bahnen schlicht und ergreifend satt und beschloss, Gloria in Thailand direkt anzurufen und mit ihr zu sprechen. Ich wollte das Ganze nochmal von ihr persönlich und aus ihrem eigenen Mund hören. Sie sollte mir noch einmal bestätigen, dass dort tatsächlich ein Job als Tauchlehrer auf mich wartete und mir erzählen, wie es dort sein würde, dort im sonnigen Tropenparadies.

In ihrem Brief hatte sie mir keine Telefonnummer mitgeteilt, doch es gelang mir über ihre Eltern, denen ich die ganze Geschichte erzählte, den Namen der Tauchschule herauszubekommen, bei der sie arbeitete. Dort rief ich an, und nach einigem Hin und Her bekam ich tatsächlich Gloria persönlich ans Telefon. Sie war sichtlich guter Laune und zufrieden und bestätigte mir noch einmal: "Ja, die warten hier wirklich auf dich!" Von besonderer Bedeutung dabei war wohl auch, dass ich inzwischen zertifizierter PADI IDC Staff Instructor war und ich es damit in der Tauchlehrer-Hierarchie schon ziemlich weit gebracht hatte.

Der Anruf bei Gloria war also in jeder Hinsicht Bestätigung für mich gewesen. Jetzt war es an der Zeit, gründlich nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen. Und dann... war die Entscheidung eigentlich gar nicht so schwer. Meine Versicherungskarriere vor Ort war in einer Sackgasse angelangt. Man konnte auch wirklich nicht behaupten, dass mein Herz noch in irgendeiner Weise daran gehangen hatte. Stattdessen hatte ich mit dem Tauchen eine neue Leidenschaft für mich entdeckt, und da gab es nun für mich eine echte Perspektive, auch wenn die nicht mehr in Deutschland lag. Aber ich hatte die Nase voll von meinem alten Leben. Was hielt mich hier in Deutschland? Ich war 31 Jahre alt, und ich wollte selbstständig über mein Leben entscheiden können. Ich wollte etwas von der Welt sehen, und in ganz anderen Gefilden tauchen gehen. Ich wollte meinen Lebensunterhalt damit verdienen. Und ich wollte Course Director werden, die höchste Stufe auf der PADI Leiter werden.

Von Seiten meiner Familie bekam ich keinerlei Druck. Zu meinem Vater hatte ich seit über 10 Jahren sowieso keinen Kontakt mehr, und als ich die Sache mit meiner Mutter besprach, erkärte sie mir lapidar: "Du musst wissen, was du willst." Ich konnte ihr da eigentlich nur Recht geben. Was gab es sonst noch? Ich spielte von Zeit zu Zeit Fußball, und hatte natürlich auch einen Freundeskreis... aber den Fußball aufzugeben fiel mir nicht schwer, und was die Freunde betraf, so dachte ich mir, dass dies genau der richtige Zeitpunkt war, um herauszufinden, wer meine wahren Freunde waren. Die nämlich würden sicher auch über die Distanz versuchen, unsere Freundschaft aufrecht zu erhalten. Ja, im Endeffekt fiel mir die Entscheidung - die Entscheidung für Thailand - sogar tierisch leicht! Damit erledigte sich auch die Beziehung mit meiner Freundin Britta.

Für diesen neuen Lebensabschnitt mussten jedoch noch ein paar Voraussetzungen geschaffen werden. Ich musste mein Vertragsverhältnis mit der Versicherungsgesellschaft kündigen und damit meine Firma aufgeben. Das Gleiche galt für die Wohnung - ich musste meinen gesamten Haushalt auflösen und verkaufen, was mir bei der Umsetzung meiner Pläne letztendlich nur Ballast war. Das alles ging schneller, als ich erwartet hatte. Die Gesellschaft zahlte mir noch die Provision für das letzte Quartal, und von meinem Vermieter konnte ich ebenfalls noch Geld herausholden, indem ich ihm die Einbauküche und das von mir ausgebaute Dachgeschoss verkaufte. Den überwiegenden Teil meiner Möbel setzte ich als Annonce in die Zeitung und inserierte eine Wohnungsauflösung. Tatsächlich wechselte der komplette Hausstand - verteilt auf verschiedene Abnehmer - innerhalb eines einzigen Tages den bzw. die Besitzer. Die Schrankwand, meine Musikanlage und den Wagen verkaufte ich an meinen Bruder - und dann auf einmal hatte ich fast gar nichts mehr: Keine Wohnung, keine Möbel, keinen Auto, keinen Job - nur noch mich selbst, das mit den Verkäufen und meiner Arbeit erwirtschaftete Geld, einen Rucksack mit ein paar Klamotten, die Tauchausrüstung und meinen schwarzen Pilotenkoffer mit großem PADI-Aufkleber drauf, der meine Papiere und Ausbildungsunterlagen enthielt.

Ein paar Formalitäten waren noch fällig, und dann brauchte ich nur noch mein Flugticket nach Thailand - also ab ins Reisebüro, und da besorgte ich mir ein One-Way-Ticket über Rom nach Bangkok mit Weiterflug nach Phuket, von wo aus es mit der Fähre rüber nach Koh Phi Phi gehen sollte - der Name meines neuen Wohn- und Arbeitsortes.

Es war schon komisch - aber ich hatte plötzliche keinerlei Bedenken mehr. Ich hatte innerlich sowohl mit Deutschland als auch mit meinem dortigen Leben abgeschlossen, und daran änderten auch Familie, Freunde und Bekannte nichts. Nachdem ich mein Flugticket bezahlt hatte, hinterlegte ich 2000 DM als absolutes Back-up für Notfälle bei einem Freund in Deutschland. Darüber hinaus blieben mir noch 7000 DM, und die tauschte ich in US Traveller Cheques um. Nach Aufgabe meiner Wohnung kam ich noch für drei Tage bei Daniel unter. Am letzten Abend feierten wir zusammen mit Andi nochmal so richtig Abschied, und am nächsten Tag ging es zum Flughafen Düsseldorf. Ich konnte da natürlich nicht wissen, dass es - soweit es Deutschland betraf - ein Abschied für immer sein würde.


Oktober 1994 – April 1995
Koh Phi Phi/Thailand

Obwohl ich am Abend meiner Ankunft in Bangkok noch bis fast ein Uhr morgens draußen bei 30 Grad Celsius gesessen hatte, wachte ich am Morgen bereits um sechs Uhr morgens wach. Das lag wahrscheinlich am Jetlag, denn nach deutscher Zeit war es bereits 12 Uhr mittags. Um 14 Uhr Ortszeit würde mein Weiterflug nach Phuket starten, und bis dahin blieb mir noch etwas Zeit. Aber an Schlaf war nicht mehr zu denken - ich war hellwach. Also stand ich auf und ging erstmal frühstücken.

Glücklicherweise war mein Hotelzimmer klimatisiert gewesen, doch draußen kam ich mir prompt vor, als stünde ich mitten in der Saune: Selbst morgens um 6:30 Uhr hatten wir - schon oder noch immer - eine Temperatur von um die 30 Grad. Na ja, zumindest trug das dazu bei, dass ich mir bewusst machen konnte, definitiv nicht mehr im Ruhrgebiet zu sein. Auch das Frühstück fiel ein wenig anders aus, als ich es gewohnt war, und bestand abgesehen vom Kaffee hauptsächlich aus frischen Früchten, darunter Ananas und gefrorene Lychees - ein wenig anders... aber super lecker!

Gegen sieben Uhr war ich wieder zurück in meinem Hotelzimmer, und noch immer waren es ganze sieben Stunden bis zu meinem Flug nach Phuket. Ich wusste zuerst nichts Sinnvolles mit mir anzufangen, aber von der Rezeption bekam ich den guten Tipp, mir ein paar der sehenswerten Tempel in der Nähe anzuschauen. Das brachte mich wieder nach draußen, und ich ließ mich von einem der ortsüblichen "Tuk-Tuks" mit lautem Geknatter durch die selbst um diese Uhrzeit schon verstopften Straßen von Bangkok fahren. Die Besichtigung verschiedener Tempel und Märkte nahmen mich auf ziemlich angenehme Weise bis 11.30 Uhr in Anspruch, und tatsächlich schaffte ich es irgendwie, mir die restliche Zeit bis zur Abfahrt in Richtung Flughafen auch noch zu vertreiben.

Mit dem Taxi ging es endlich ab zum Flughafen - und zwar im Schritttempo. Möglicherweise wäre ich zu Fuß schneller gewesen - aber angesichts meines 30 Kilo schweren Tauchrucksacks plus des Pilotenkoffers, der auch nochmal rund 20 Kilo auf die Waage brachte, verkniff ich mir ein solches Experiment lieber - zumal auf den Straßen nach wie vor eine Bullenhitze herrschte. Anderthalb Stunden später hatten wir es dann schließlich wirklich und wahrhaftig geschafft!

Jetzt kam das Einchecken an die Reihe, und dann die Warterei auf das Boarding. Glücklicherweise war der Flieger zumindest pünktlich, und ich bekam einen Kindersitz in Reihe 21 - zumindest kam es mir von den Platzverhältnissen her so vor. Irgendwie schaffte ich es aber dann doch, in den Sitz zu kommen, auch wenn ich nicht sicher sein kann, ob ich meine Knie dazu bis an die Ohren ziehen oder die Ohren auf die Knie ablegen musste. Jedenfalls saß ich endlich und tröstete mich damit, dass der Flug ja nur eine Stunden dauern und ich diese sicher überstehen würde.

Auf Phuket angekommen (der letzten Etappe vor meinem Ziel), nahm ich mir ein Taxi direkt zum Hafen, von wo aus um 16.00 Uhr ein Boot zur Insel Koh Phi Phi ablegen sollte. Am Ticketschalter kaufte ich mir ein (wieder einmal) One-Way-Ticket für die Überfahrt. Das Boot ist eine etwa 20 Meter lange Dschunke aus Holz, die die zwei Stunden dauernde Fahrt übers Meer ständig unternahm und damit quasi das "Shuttle" zwischen Phuket und Koh Phi Phi darstellte. Dort saß ich auf dem Oberdeck, lümmelte mich so halb auf meinem Rucksack und schaute der untergegenden Sonne nach, während ich über die vergangenen beiden Reisetage nachdachte.

Dort an Deck, nur noch eine verhältnismäßig kurze Strecke von meinem Ziel entfernt, kamen mir plötzlich Zweifel. War das alles die richtige Entscheidung? Wo würde ich heute Abend schlafen? Was ist wenn Gloria gar nicht mehr da ist? Oder wenn ich gar keinen Job bekomme? Typische Neu-Aussteiger-Ängste, wie ich vermutete, und sagte mir immer wieder, dass ich nun ganz einfach alles auf mich zukommen lassen musste. Etwas anderes blieb mir in meiner momentanen Situation sowieso nicht übrig.

Der "Hafen" von Koh Phi Phi, wo die touristische Erschließung im Jahr 1994 sich noch im Anfangsstadium befand, war nicht viel mehr als ein auf Stelzen gebauter Anlegesteg. Um vom Boot aus an Land zu kommen, musste ich sogar teilweise noch über andere dort festgemachte Boote hinüberklettern und dann eine rostige Leiter hoch. Doch da oben stand tatsächlich Gloria, braun gebrannt, und umarmte mich zur Begrüßung. Meine vorübergehenden Zweifel hatten sich zu dem Zeitpunkt auch schon bereits wieder verflüchtigt.

Wir befanden uns an einem kleinen Strand mit einer schmalen Küstenstraße, an der sich Bars, Souveniershops, eine Bäckerei und diverse Tauchschulen entlangreihten, dazu ein großes Hotel - das einzige Gebäude aus Stein, und wie ich später herausfand, für hiesige Verhältnisse unheimlich teuer. Gloria ließ mich wissen, dass sie zunächst mal für diese Nacht einen Bungalow für mich angemietet hatte, der sich in demselben Dorf befand, in dem sie ebenfalls wohnte. Damit hatte sie dann auch die Frage geklärt, wo ich heute schlafen konnte. Sie schlug mir vor, die Unterkunft heute Nacht einfach einmal zu testen, und dann könne ich ja immer noch entscheiden, ob ich für die Dauer meines Aufenthalts auf der Insel dort wohnen oder mir doch lieber etwas Anderes suchen wolle. Es würden jedoch so einige Tauchlehrer dort wohnen.

Nach ca. zehn Minuten Fußweg (während dessen ich mir mit meinen Turnschuhen unter all den Barfuß-Gehern schon ein wenig dämlich vorkam) erreichten wir schließlich das Dorf, das aus einer Gruppe von zwanzig Hütten auf einem Platz in einem kleinen Palmenwald befand. Es sah alles sehr einfach aus, aber sauber. Ich bekam den Bungalow mit der Nummer Acht und war für den Moment ganz einfach froh, endlich mein Gepäck loszuwerden, denn ehrlich gesagt, die Herumschlepperei von 50 Kilos hatten mich doch ganz schön fertig gemacht. Ich verabredete mit Gloria, dass ich erst einmal eine Dusche nehmen würde, um dann anschließend mit ihr essen zu gehen.

Das Innere wirkte allerdings ein wenig ernüchternd auf mich. Unter einem Moskitonetz befand sich das Bett, vielmehr eine Matratze - dazu gab es noch ein Regal. Die Wände waren aus Lehm, und das Ganze wurde von einem Reetdach bedeckt. Das Licht kam durch eine einzelne Glühbirne, die durch einen einzelnen großen Kompressor auf der Insel gespeist wurde. (Dieser fiel, wie ich später erfuhr, mitunter schon mal aus, und dann gab es auf ganz Koh Phi Phi plötzlich kein Licht.)


Das "Badezimmer", wenn man es überhaupt so nennen will, befand sich in einem kleinen Anbau, der nur durch einen Vorhang vom meinem Schlafzimmer getrennt war. Die Dusche dort bestand aus einem Kaltwasserschlauch, und die Toilette war nichts weiter als ein Loch im Boden. Soviel also zu den sanitären Anlagen. Ich ließ mich auf mein Bett sinken und machte mir Vorhaltungen: "Rene, was hast du bloß gemacht? Du hattest eine gute Wohnung, einen Job mit gutem Einkommen, und jetzt sitzt du hier im Palmenwald und hast noch nicht mal eine anständige Toilette!"

Glücklicherweise hielt aber auch dieses Stimmungstief nicht lange an. Ich führte mir vor Augen, dass dies hier Thailand war und ein ständiges Vergleichen mit Deutschland nichts bringen würde, und dass ich mich an die hiesigen Gegebenheiten und an die Kultur schlicht und ergreifend würde anpassen müssen. Außerdem war das Wetter super, die Sonne schien, und ich konnte es kaum erwarten, endlich tauchen zu gehen. Immerhin würde das zum allerersten Mal für mich im Indischen Ozean sein!

Nachdem ich schnell kalt geduscht und mir ein frisches T-Shirt angezogen hatte, fühlte ich mich schon wieder bedeutend besser. Ich überlegte kurz, ob ich wohl meine Turnschuhe wieder anziehen sollte, entschied mich aber dann dagegen. Ich hatte ja bereits festgestellt, dass hier keiner mit Schuhen durch die Gegend zu laufen schien, und da ich gerade vorhin noch beschlossen hatte, mich an die Umstände anzupassen, ließ ich die Schuhe nun ebenfalls weg.

Bald darauf verhandelte ich übrigens auch schon mit dem Dorfältesten oder Häuptling und mietete meine Hütte für die nächsten sechs Monate - zu einem monatlichen Preis von umgerechnet 80 DM. Davor allerdings war zuerst einmal das versprochene Abendessen mit Gloria an der Reihe. Sie wohnte in Bungalow Nummer 10, und dort holte ich sie ab, und wir gingen gemeinsam die schon früher erwähnte Hauptstraße hinunter, die nicht asphaltiert war, sondern mehr einem Lehmboden glich.

Sie spielte den Fremdenführer für mich und gab mir einen ersten kleinen Crashkurs zur Orientierung - denn es war ja schließlich vorgesehen, dass ich nicht lange ein "Fremder" bleiben sollte. Rechts und links der Straße gab es, wie schon erwähnt, kleinere Geschäfte und Restaurants, und Gloria klärte mich darüber auf, welches Restaurant gut war und welches eher nicht, wo sich welche Tauchschule befand, wo das örtliche Postamt war usw. Ich sagte ihr, dass ich mit ihr ins beste Restaurant am Platze gehen und sie einladen wollte - denn immerhin hatte sie mir sehr geholfen. Ohne sie wäre ich nicht einmal dort in Thailand... und wie gesagt, meine Laune hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits wieder erheblich gebessert. Das Restaurant, das sie daraufhin aussuchte, war französisch und bekam später für mich eine gewisse Bedeutung.

Zunächst einmal aber bewunderten wir das Angebot des Lokals an fangfrischen Fischen, die draußen auf Eis präsentiert wurden, so dass die Gäste sich exakt den Fisch aussuchen konnten, der ihnen am meisten zusagte. Wir beide trafen unsere Wahl und machten es uns dann drinnen bequem, wo Gloria mit ihrem Einführungskurs über die Gegebenheiten der Insel, die örtlichen Sitten und Gepflogenheiten weitermachte. Dazu gab es wunderbaren, frisch zubereiteten Fisch. Vielleicht wirkt es ironisch, dass ich, ein gerade erst ausgewanderter Deutscher, ein Aussteiger in Thailand, an meinem ersten Abend auf Koh Phi Phi ausgerechnet beim Franzosen landete. Aber andererseits war es eigentlich rückblickend auch wieder ein guter Einstieg dort, denn genau dieses Restaurant sollte mir während der folgenden Monate noch sehr nützlich werden.

Vorerst einmal aber beschlossen Gloria und ich den Abend in der bis dato einzigen Bar dort. Sie gehörte einem Deutschen und nannte sich "Moskito Bar". Wie es sich herausstellte, war das Publikum hier ziemlich gemischt. Etwa 60 Prozent machten wohl die Touristen aus, weitere 30 Prozent stellten die in verschiedenen Tauchschulen beschäftigten europäischen Tauchlehrer da, und 10 Prozent waren Einheimische. Und hier bekam ich nun einen weiteren Einblick in einheimische Besonderheiten, denn wir bestellten uns dort ein "Sangtip-Set" - mehr oder weniger ein Nationalgetränk, wie ich erfuhr. Hinter diesem Namen verbarg sich ein Aluminium-Eimer gefüllt mit Eis, und auf dem Eis wurden ein Flachmann mit Thai-Whiskey, zwei Flaschen Cola und zwei Gläser serviert. Und damit wurde nun erst einmal angestoßen. Es muss allerdings dazu gesagt werden, dass wir es nicht bei einem einzigen Sangtip-Set bewenden ließen, und so machte ich mich zu fortgeschrittener Stunde ziemlich schwankend auf den Weg zu meinem neuen Zuhause. Um es etwas direkter zu formulieren: Ich war voll wie ein Otter, und es war total dunkel draußen. Ich brauchte alles in allem satte 45 Minuten, während der ich ziemlich unorientiert über die Insel lief, bis ich endlich meinen Bungalow gefunden hatte und dort ins Bett fiel.

Die erste Zeit des nächsten Morgens ist mir nur noch vage im Gedächtnis geblieben, doch es gelang mir schließlich, mich aufzurappeln - denn es war an der Zeit, meine neue Arbeitsstätte kennen zu lernen. Die Tauchschule, bei der ich untergekommen war, gehörte zwei Thailändern aus Bangkok, die ich dort allerdings zunächst einmal nicht zu sehen bekam. Das Management hatten zwei Europäer übernommen, Paolo aus Italien und John aus England. Wir unterhielten uns eine Weile, nicht viel mehr als Small Talk, und dann holte ich meinen Tauchrucksack und meinen Pilotenkoffer mit den gesammelten Ausbildungsmaterialien. Die beiden waren offensichtlich beeindruckt von der Professionalität meiner Ausrüstung und der Unterlagen, auch wenn das für mich inzwischen selbstverständlich war. Doch da ich, wie ich später erfuhr, der einzige PADI IDC Staff Instructor auf der gesamten Insel war (und somit ausgebildet, um aktiv in PADI Tauchlehrerkursen, so genannten IDCs, auszubilden), war man diesen Level von den übrigen Tauchlehrern her wohl nicht gewohnt.

An dieser Tauchschule gab es abgesehen von mir noch drei weitere Tauchlehrer, wie man mir erklärte: Johanna aus Schweden, James aus England und Bernd aus Deutschland. Außerdem gab es da noch Werner aus der Schweiz, der allerdings kein Lehrer, sondern als Divemaster und Tauchguide tätig war. Es war geplant, dass ich diese Vier am Abend kennenlernen sollte. Paolo hatte zum Abendessen einen Tisch in einem kleinen (wie könnte es anders sein) italienischen Restaurant reserviert, und dort wollten wir uns alle um 21.00 Uhr zusammensetzen und zwanglos beschnuppern. Bis dahin blieb mir an diesem Tag nicht viel zu tun, und nachdem ich meine Sachen wieder verstaut hatte, beschloss ich, mir erst einmal die Insel ein wenig genauer anzuschauen.

Es gab die schon erwähnten kleinen Geschäfte und Restaurants am Straßenrand, mehrere Tauchschulen und auch ein paar Reisebüros. Die Erschließung von Koh Phi Phi für den Tourismus war nach wie vor in der Entstehung begriffen, und ich hatte schon gehört, dass die meisten Touristen auf die Insel kamen, um hier einen Tauchkurs zu machen und dann anschließend aber wieder weiter zu ziehen. Dies also war meine Zielgruppe.

Man muss dazu sagen, dass ich nicht als Angestellter für "meine" Schule arbeiten sollte, sondern als "Freelancer", das heißt auf freiberuflicher Basis, eingestellt worden war. Ich würde dementsprechend kein Fixgehalt bekommen, sondern war mit einem Anteil von 35 Prozent an den Einnahmen beteiligt, die sich durch die von mir durchgeführten Kurse ergeben würden. Es lag insofern in meinem Interesse, möglichst viele neue Schüler für diese Kurse (beinahe buchstäblich gesprochen) "an Land zu ziehen". Und obwohl ich Deutschland gewissermaßen als Aussteiger verlassen hatte, konnte ich hier in Thailand meine unternehmerische Denkweise doch nicht so ganz abschütteln. Das aber, so sagte ich mir, musste ja schließlich kein Hindernis sein! Ich begann entsprechend, mir über meine zukünftigen Kunden ein paar Gedanken zu machen.

Koh Phi Phi liegt etwa auf halber Strecke zwischen Phuket und Krabi. Ich ging ins Buchungsbüro am Anlegesteg und erkundigte mich nach den Ankunftszeiten der Boote. Wie ich erfuhr, gab es täglich vier Stück, zwei von Phuket her kommend und zwei aus Krabi, die jeweils mittags und gegen Abend anlegten. Die Anreise von Phuket aus hatte ich gerade erst selbst hinter mir - so fiel es mir nicht besonders schwer, mich in die ankommenden Touristen hinein zu versetzen: Eine zweistündige Fahrt über das Meer auf Booten, die nicht gerade bequem ausgestattete Luxusliner mit Restaurant waren. Das Ganze in der Hitze und mit Gepäck... wenn ich also hier als Tourist an Land ginge, wollte ich garantiert nicht direkt mit Angeboten für Tauchkurse überfallen werden. Ich würde mein Gepäck loswerden wollen, mich vielleicht etwas erfrischen und einen guten Platz zum Essen finden wollen. Ganz wichtig würde auch die Frage nach der passenden Unterkunft sein. Das bedeutete für mich, dass meine Kundenwerbung nicht damit getan sein konnte, am Strand irgendwelche Flyer zu verteilen und zu hoffen, dass die Leute dann einfach bei mir in der Schule aufkreuzen würden. Da würde ich schon etwas mehr aufbieten müssen!

Ich musste versuchen, mich auf die Bedürfnisse der Neuankömmlinge einzurichten, zum Beispiel wenn es darum ging, ihnen eben diese vordringlichen Informationen zu liefern, um einen ersten Kontakt zu schaffen und sie dann damit zu ermutigen, sich mein Angebot bezüglich des Unterrichts näher anzuschauen. Was sie sicher nicht wollten, war gleich nach dem Betreten der Insel mit Werbung überfallen zu werden! Natürlich bedeutete das, dass ich mich zunächst einmal selbst genau informieren und meine "Hausaufgaben" machen musste.

Da ich in der Regel tagsüber ausbilden würde, war klar, dass ich mich auf die Touristen konzentrieren musste, die am Abend ankamen. Das Boot aus Phuket kam laut Plan gegen 18.00 Uhr auf Koh Phi Phi an, das aus Krabi etwa eine Stunde später. Offensichtlich war dies also die für mich maßgebliche Zeit, um den Kontakt zu meinen potentiellen Schülern und Schülerinnen herzustellen.

Da unsere Tauchschule direkt auf dem Weg zu den meisten Bungalows und damit strategisch entsprechend günstig lag, musste ich also sehen, dass ich die Leute ab 18.00 Uhr abpassen konnte, wenn diese einerseits auf dem Weg zu ihren Unterkünften sein würden, und dann wieder zwischen 19.00 und 20.00 Uhr, wenn sie von dort aus zum Essen in die Restaurants gehen würden. Ich wollte versuchen, die deutschen Ankommenden zu identifizieren, sie anzusprechen (passenderweise in ihrer Muttersprache) und ihnen mit Tipps und Infos zu den gerade genannten Fragen zur Verfügung zu stehen. Die neuen Gäste würden entsprechend dankbar sein, mich positiv im Gedächtnis behalten und später, wenn sie dann vom Essen wiederkamen, mir gegenüber viel aufgeschlossener sein würden. Und erst dann, wenn sie keinen Hunger mehr hatten, für ihre Übernachtungen gesorgt hatten und in entspannter Stimmung waren - dann konnte ich mit ihnen über das Thema Tauchen sprechen.

Ich würde jeden Abend ab 18.00 Uhr in/an der Tauchschule meinen Posten beziehen, um einerseits meine Tipps zu geben und dann andererseits als Ansprechpartner für interessierte Schüler zur Verfügung zu stehen. Das hatte den zusätzlichen Vorteil, dass ich auf diese Weise auch vor Ort sein würde, während meine Tauchlehrer-Konkurrenz von den anderen Schulen selbst beim Essen war. Denn die ging, wie ich später feststellen durfte, um dieselbe Zeit zum Abendessen wie ihre potentielle Kundschaft.

Ich profitierte jetzt in gewisser Weise tatsächlich wieder von meinen Erfahrungen beim Versicherungsverkauf - und wie schwierig sich dieser gestalten konnte, habe ich ja schon erzählt. Jedenfalls machte ich mir als Nächstes meine Gedanken zum Thema der eigentlichen Werbung. Zurück in der Schule, wo wir alle uns für das gemeinsame Abendessen beim Italiener verabredet hatten, nutzte ich also die Zeit, um eine Wand mit Whiteboard zum einem Werbeplakat umzugestalten. Mit großen Buchstaben, welche schon aus einer Entfernung von 20 Metern gelesen werden konnten, schrieb ich "Deutsche Tauchkurse". Nach dieser großen und deutlichen Überschrift führte ich weitere Informationen auf, allerdings viel kleiner geschrieben, so dass die Passanten gezwungen sein würden, näher heranzukommen, um sie lesen zu können. Ich würde auf diese Weise die Leute ganz einfach zu mir kommen lassen - und dann würde die Gelegenheit da sein, sie anzusprechen und zum Geschäftlichen zu kommen.

John, der englische Manager, staunte nicht schlecht, als ich anfing, meine Werbewand zu gestalten. Paolo schmunzelte nur und sah mir dabei zu. Inzwischen trafen nach und nach auch meine Kollegen ein. Nachdem wir uns alle kurz vorgestellt hatten, schloss John die Schule ab, und wir gingen das kurze Stück zur Pizzeria hinüber. Dort bekamen wir Pizza und Wein, und nach einer kurzen Aufwärmphasen auch rege Diskussionen, bei denen jeder mit jedem sprach und ich die anderen ein bisschen kennenlernen konnte. Da gab es zunächst Werner, den schweizer Divemaster. Der war ein netter Typ mit einer riesigen Nase im Gesicht. Mit ihm kam ich von Anfang

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Rene von Reth
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2012
ISBN: 978-3-95500-129-2

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