Cover

Prolog

Hey Leute,
also ich glaube, bevor ich euch von meiner Geschichte erzähle, solltet ihr erst einmal etwas über mich wissen.
Mein Name ist Anastasia Elif Niquess, aber alle nennen mich nur Tia und das Elif mag ich gar nicht, deshalb lassen wir das ab jetzt einfach weg.

Ich bin 15 Jahre alt und komme aus Basel. Dort lebe ich seit meinem dritten Lebensjahr mit meiner Ma (Alina), meinem Pa (Luca) und Levin.
Ach ja, Levin ist mein kleiner Bruder und gerade mal 18 Monate alt. Auch wenn ich am Anfang nicht sehr glücklich über die Schwangerschaft meiner Ma war, ist der Kleine seit dem ersten Tag mein kleiner Sonnenschein.
Wahrscheinlich bin ich, so wie Ihr es nennen würdet, ein Überflieger.
Warum?
Naja, nicht nur, dass ich auf eine Privatschule für `hochbegabte´ (wie ich dieses Wort doch mag *würg*) gehe, nein selbst hier hab ich schon die eine oder andere Klasse übersprungen. Zurzeit gehe ich in die elfte Klasse.
Ich weiß, das hört sich jetzt total eingebildet und langweilig an, aber deswegen erzähle ich es euch ja gerade, damit ihr merkt, dass ich alles andere als ein Streber bin, ich nehme bisher eher die Rolle des Klassenclowns ein!

Ihr glaubt mir nicht? Na dann viel Spaß beim Lesen und ich hoffe, ich kann euch vom Gegenteil überzeugen, denn das Folgende hat mein ganzes bisheriges Weltbild auf den Kopf gestellt.

Kapitel 1 Abschied

Es ist nun doch so weit.
Ich musste auf Wunsch meiner Eltern, für ‚erstmal‘ ein Jahr zu meiner Tante Alice nach England. Sie meinten, dort würde ich vielleicht einer größeren Herausforderung begegnen, da es mir in der elften Klasse schon wieder langweilig wurde und ich ihnen, für ihr Gefühl, einfach zu viel Unfug anstellte.
Pah!! Das ist doch voll die Verarsche! Oder?
Mein Gott, nur weil ich meine Lehrer aufs Korn nehme oder mir den einen oder anderen Tag `frei nehme´ um mich mit meiner besten Freundin Summer im Café zu treffen?
Na was ist schon dabei??
Kann ich was dafür, dass mir alles in den Schoß fällt?
Naja, nach monatelangem Rumdiskutieren hilft das auch nichts mehr, selbst der Hungerstreik letzte Woche ging daneben. Der war eigentlich auch total dämlich, da ich das Essen einfach liebte!
Also blieb mir nichts anderes übrig. Ich musste mich dem Willen meiner Eltern widerwillig beugen und zu Tante Alice und ihrem Mann Mat fahren.
Die Zwei hatten eine Tochter, die genauso alt war wie Levin, sie hieß Ibis.
Ein Gutes hatte die Sache mit Tante Alice jedoch: Ich musst nicht in so ein dämliches Internat, sondern konnte dort bei ihnen wohnen. Ich hatte mein eigenes Zimmer und sogar ein eigenes Bad.
Da ich mit meinen Eltern schon seit ich drei Jahre alt war, dort jedes Jahr für knapp drei Wochen zu Besuch gewesen war, konnte ich neben meinem Schulenglisch zum Glück auch ein anständiges Gespräch führen, ohne gleich ins Stottern zu kommen. Das hatte ich hauptsächlich Onkel Mat zu verdanken, da er kein Wort Deutsch konnte.
Nachdem ich gestern murrend den letzten meiner drei Koffer gepackt hatte, ging ich mit meinen Eltern noch ein letztes Mal vor meiner Abreise am Sonntag in unser Stammlokal essen. Es war ein sehr entspannter und lustiger Abend und ich genoss die seltene Zeit, die ich mit meinen Eltern alleine verbrachte.

Heute war Samstagabend und ich würde mit Summer und Nick noch ein letztes Mal in die Disco gehen, da meine Klassenkammeraden dort eine kleine Abschiedsfete für mich feiern wollten. Es war bereits 18Uhr und ich konnte mich immer noch nicht entscheiden, was ich anziehen sollte, als Summer plötzlich an meinem Türrahmen lehnte und meinte:
„Na Süße, weißte mal wieder nicht, was du anziehen sollst?“ Ich wusste, dass sie mich mal wieder aufziehen wollte, da ich jedes Mal das gleiche Problem hatte, obwohl es mir nicht an Auswahl mangelte.
„Kannst du mir vielleicht helfen, anstatt nur dort zu stehen und mich aufzuziehen?“ Sie huschte schnell zu meinem mit Klamotten überladenen Bett hinüber und hatte mit zwei Handgriffen etwas herausgesucht. Sie reicht mir eine meiner Lieblings Röhrenjeans und ein dunkelblaues, mit Pailletten besetztes schulterfreies Top.
„Also Tia, ich weiß wirklich nicht, warum du immer so ein Theater machst. Du kannst doch alles tragen und sonst bist du auch nicht so wählerisch und bist immer das stylishste Mädel der Schule.“ Ich verdrehte nur die Augen.
„Das liegt aber auch nur daran, dass ich mindestens zwei Stunden brauche“, und ging ins Bad, um mich anzuziehen. Ich schlüpfte schnell in meine Klamotten und betrachtet mich im Spiegel.
Ich bin für mein Alter recht groß und obwohl ich Essen liebte war ich ziemlich schlank, meine Haut hatte die Farbe von seidigem Alabaster. Meine blonde Lockenmähne, welche mir bis zur Taille reicht, umspielte mein leicht ovales Gesicht. Meine Oberweite ist, zu meinem Bedauern mehr als nur recht ansehnlich, was mir schon den einen oder anderen gierigen Blick der Jungs einbrachte. Das würde wohl auch heute nicht ausbleiben, bei diesem Oberteil.
Ich schminkte mich noch schnell, jedoch dezent, nur etwas Mascara und dezentes Lipgloss, da meine großen Augen so noch besser zur Geltung kamen. Ich sah mir meine Augen gerne an. Diese waren meiner Meinung nach etwas Besonderes und auch das Highlight überhaupt an mir.
Sie sind, wie sollte es auch anders sein, blau. Aber sie sind nicht nur blau, nein, am Rand wurden sie von einem Mitternachtsblauen Ring schon fast umrahmt und zur Mitte hin gingen sie in ein wunderschönes Silberblau über. Das Ungewöhnlichste und zugleich Unfassbare war, wenn man genauer hin sah, waren dort kleine, silbrige Sprenkel zu erkennen. Das war eigentlich seltsam, so etwas hatte ich noch nie gesehen und auch keiner aus meiner Familie hatte solche ungewöhnlichen Augen.
Als ich nun aus dem Bad kam, tönte mir nur ein „Na endlich“ von Summer entgegen. Ich schlüpfte noch in meine High Heels, verabschiedete mich von Ma und gab Levin eine Kuss auf die Stirn „Schlaf schön, Sunshine.“ Ich schnappte mir meine Handtasche stopfte Handy und Lipgloss hinein, nahm meine Jacke von der Garderobe und ging mit Summer und Pa zu seinem BMW M5 und dann fuhren wir los.
Als wir am P1 ankamen, wünschte Pa uns viel Spaß und ich sollte 15 Minuten bevor wir nach Hause wollten anrufen, damit er uns wieder abholen kommen konnte.
„Aber nicht so spät Schatz, denk daran, morgen geht’s los.“ Mit einem kleinen Seufzer, den nur Summer mitbekam, stieg ich aus.
„Warum müssen meine Eltern immer so ängstlich sein? Das nervt echt total.“ „Sie machen sich doch nur Sorgen um dich. Und dass wir nicht nach Hause laufen müssen, finde ich ganz praktisch“, meinte Summer mit einem Augenzwinkern und leicht verschmitztem Lächeln.
Nachdem wir unsere Jacken an der Garderobe abgegeben hatten und aus dem Vorraum des P1 in den Saal kamen, wurden wir auch schon erwartet. Nick (eigentlich heißt er Nickolas) kam auch schon auf uns zugestürmt. Kurz bevor er uns erreichte, blieb er plötzlich stehen und seine Augen weiteten sich, fehlte nur noch, dass ihm die Kinnlade runter fiel. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen und hörte Summer neben mir etwas genervt seufzen, was mich noch breiter grinsen ließ. Wir kannten uns schon seit dem Sandkasten und manchmal hatte ich das Gefühl, er sei in mich verknallt, doch bis jetzt hatte er es noch nicht zugegeben. Und ob er es je tun würde, wusste ich nicht.
„Hey, mein Kleiner“, begrüßte ich ihn, sprang ihm in die Arme und gab ihm einen Kuss auf jede Wange, wobei er mich fest in seine Arme zog. Obwohl ich mich in seinen Armen sicher und geborgen fühlte, blieben bei mir die Schmetterlinge weg. Er war eher so was wie mein großer Bruder auf den ich mich immer verlassen konnte und der mich immer und überall beschützen würde.
Aber ich kann nicht leugnen, dass er heiß aussieht, sehr heiß sogar. Er war mit seinen 16 Jahren sehr muskulös und mittlerweile sogar fast ein Kopf größer als ich, was bei meinen 1,80 nicht so einfach war. Das war nicht immer so, erst seit dem letzten Jahr fing er an, mich einzuholen, bis dahin war ich immer die Größere gewesen, deswegen war er auch ‚mein Kleiner‘. So durfte aber auch nur ich ihn nennen.
Er hatte wunderschöne dunkelblaue Augen die an das tiefe weite Meer erinnerten und ganz dunkelbraune Haare, welche jedoch fast schwarz wirkten und bei genauem Hinsehen einen leichten Blauschimmer hatten. Heute trug er eine schwarze Jeans und ein so dunkelblaues Hemd, welches fast schon schwarz war und nur bei bestimmtem Lichteinfall blau schimmerte. Genau so wie ich es liebte.
„Hey mein süßer Engel, du siehst heute mal wieder bezaubernd aus“, flüsterte er mir schmunzelnd ins Ohr und gab mir ebenfalls einen Kuss auf jede Wange und begrüßte nun auch Summer. Als wir bei meiner Klasse ankamen, wurden wir überschwänglich begrüßt. Summer und ich bestellten uns einen alkoholfreien Cocktail. Kaum hatten wir bestellt, wurde ich auch schon von Summer und den anderen Mädels auf die Tanzfläche gezogen. Wir tanzten ausgiebig, kicherten und ich genoss die Zeit mit meinen Freunden. Als die Mädels nach einer gefühlten Ewigkeit nun andeuteten, wieder zum Tisch gehen zu wollen, blieb ich noch auf der Tanzfläche, da gerade mein Lieblingslied lief. Kaum waren die Mädels verschwunden, merkte ich, wie mir jemand seine Hand an die Hüfe legte und zu sich zog. Geschockt drehte ich mich um und schaute in zwei mir nur allzu vertraute dunkelblaue Augen. Erleichtert entspannte ich mich, funkelte Nick jedoch gespielt böse an:
„Du sollst mich doch nicht immer so erschrecken!“
„Ich mag es aber so sehr, dich zu necken und das werde ich jetzt eine ganze Zeit nicht mehr können. Da muss ich doch jede Gelegenheit ausnutzen.“, gab er mir traurig zurück. Da ich es noch nie leiden konnte, wenn er traurig war, zog ich ihn fester an mich.
„Ich werde dich auch total vermissen, mein Kleiner.“ Er lächelte mich an und drückte mich ebenfalls an sich. Ich bettete meinen Kopf an seine Brust und genoss dieses Gefühl von Geborgenheit. Wir tanzten noch eine Weile zusammen und gingen dann zu unseren Freunden an den Tisch. Dort angekommen unterhielten wir uns noch eine ganze Zeit über Gott und die Welt. Nach weiteren drei Cocktails fiel mein Blick zufällig auf die Uhr und ich musste erschrocken feststellen, dass es schon fast Eins war.
„Mist!“, stieß ich geschockt aus und kramte auch schon mein Handy aus der Tasche.
„Was denn, Tia?“, fragte nun meine ganze Clique.
„Na schaut doch mal auf die Uhr, wenn ich meinem Pa jetzt keine SMS schicke gibt’s noch Ärger, weil’s schon so spät ist.“, und währenddessen schrieb ich meinem Pa bereits eine SMS, dass er uns doch bitte abholen solle. Einige wollten noch bleiben und so verabschiedete ich mich bereits von ihnen, wobei ich jedem versprechen musste, mich zu melden. Der Rest kam mit raus und wir verabschiedeten uns ebenfalls. Sie wünschten mir alle nochmals viel Glück, viel Spaß und ich solle mich doch ab und zu melden und berichten, wie es so wäre, bevor sie sich auf den Heimweg begaben. Keine fünf Minuten später kam auch schon mein Pa mit dem Auto. Summer, Nick und ich stiegen ein.
Daheim angekommen, wünschten wir meinen Eltern noch eine gute Nacht und verschwanden in meinem Zimmer. Da dies meine letzt Nacht vor der Abreise war, durften Summer und Nick bei mir übernachten.
Wir machten uns bettfertig und krabbelten zu dritt in mein großes Himmelbett. „Oh, wie ich das alles vermissen werde“, seufzte ich und versuchte, meine Tränen zu unterdrücken. Nick, dem dieser Versuch nicht entging, nahm mich in seine Arme und tröstet mich, indem er mir sanft über den Rücken strich.
„Es wird schon schief gehen“, meinte Summer, nahm mich ebenfalls in den Arm und entrang mir ein kleines Lächeln. Nach einigen Aufmunterungen drehte Summer sich um und murmelte noch im Halbschlaf:
„Gute Nacht ihr zwei“, und war auch kurz darauf eingeschlafen.
Ich weiß nicht, wie sie das immer machte, aber Summer konnte einfach überall und jederzeit auf Knopfdruck einschlafen.
Ich blieb noch eine Weile in Nick’s Armen liegen, da ich noch viel zu aufgewühlt war, um jetzt zu schlafen.
„Es wird schon alles gut gehen, mein kleiner Engel. Dich kann man einfach nur lieb haben und außerdem bist du für jeden Mist zu haben, nicht so wie die ganzen anderen Weiber“, meinte Nick irgendwann leise zu mir. Ich hob leicht meinen Kopf, damit ich ihn ansehen konnte.
„Da bin ich mir noch nicht so sicher. Vielleicht mögen die es dort nicht, wenn ein Mädel so ist wie ich. Ihr seid es ja gewöhnt, dass ich euch meine Meinung geradewegs ins Gesicht sage und ihr kennt mich auch nicht anders, als nur mit Flachs im Kopf, aber was mache ich, wenn mich keiner mag und ich am Ende ganz alleine da stehe? Was mache ich dann, Nick?“, fragte ich verzweifelt.
„Das wird nicht passieren, glaub mir. Wie oft hast du schon die Klasse gewechselt? Hmm? Und es ist immer gut gegangen. Also zerbrich dir darüber nicht deinen süßen Kopf. Es wird schon alles gut gehen. Und wenn nicht, kommst du ganz einfach zu mir zurück“, meinte er und schenkte mir dieses besondere Lächeln, welches nur mir gehörte. Plötzlich ließ er mich los, kletterte noch einmal aus dem Bett und ging zu seiner Tasche. Dort holte er etwas heraus und setzte sich neben mich.
„Damit du mich nicht vergisst und weißt, dass ich immer bei dir bin.“ Er gab mir eine kleine Schachtel. Mit großen Augen setzte ich mich auf und schaute ihn ungläubig an.
„Das hätte nicht sein müssen, Nick.“
„Doch!“, meinte er bloß und bedeutet mir, ich solle es aufmachen. Mit zittrigen Fingern öffnete ich die Schachtel und es kam eine Kette mit einem wunderschönen Engel als Anhänger zum Vorschein. Der Engel hielt ein rotes Herz in seinen Händen, es sah einfach nur wunderschön aus und trieb mir Tränen in die Augen. Er nahm die Kette aus der Schachtel und legte sie mir um. „Einen Engel, für meinen Engel.“, hauchte er mir ins Ohr und als er den Verschluss schloss, streichelte er mir sanft von meinem Nacken zu meinem Schlüsselbein und von dort wieder hoch bis zu meiner Wange, wo seine Hand letztlich auch liegen blieb. Ich bekam eine Gänsehaut, schloss meine Augen und schmiegte mich an seine Hand. Was passierte hier nur gerade? Er drehte mich langsam zu sich, woraufhin ich meine Augen wieder öffnete. Nick nahm mein Gesicht in beide Hände und sah mir lange und tief in die Augen. Ich brachte unter großer Mühe gerade noch ein geflüstertes „Danke“ zustande. Und bevor ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, lagen seine Lippen auf meinen und er küsste mich sanft. Es war nicht das erste Mal, dass wir uns küssten, aber dieses Mal war es irgendwie anders. Mir lief ein warmer Schauer den Rücken herunter und hinterließ eine Gänsehaut, welche sich über meinen ganzen Körper verteilte. Es lag so viel Liebe und Sehnsucht darin, dass es kaum zu ertragen war. Als er seine Lippen von meinen löste, war ich einerseits erleichtert, andererseits traurig, da sich mit diesem Kuss irgendwie alles ändern würde. Ich sah in seine Augen und konnte auch bei ihm Zweifel und Trauer erkennen, aber am meisten konnte ich sehen, wie viel ich ihm bedeutete.
„Nick, ich…“
„Schhh, ich weiß, dass du nicht dasselbe für mich empfindest, wie ich für dich, doch ich konnte nicht anders. Es tut mir leid. Ich weiß doch auch nicht. Was hab ich mir nur dabei gedacht, so ein Mist.“ Der letzte Satz war so leise, dass er wohl mehr zu sich selber gesprochen hatte, als zu mir. Seufzend schloss er die Augen, um mir nicht mehr länger in die meinen sehen zu müssen und ließ sich aufs Bett fallen. Ich sah ihn noch immer ganz verdattert an. Ich nahm in Gedanken versunken den Engelsanhänger in die Hand und betrachtete ihn, er war so wunderschön. Als mir die Stille zu viel wurde, flüsterte ich ziemlich verzweifelt:
„Nick, Nick schau mich doch bitte an!“ Er blieb immer noch mit geschlossenen Augen auf meinem Bett liegen und rieb sich verzweifelt die Stirn. „Bitte“, flüsterte ich traurig und mir kamen schon wieder die Tränen. Er schlug besorgt die Augen auf und blickte mich verwirrt an. Als er sah, dass mir eine Träne die Wange runter lief, strich er sie sanft weg und nahm mich in seinen Arm.
„Es tut mir leid, Engelchen. Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen.“ Jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, er zog mich noch näher an seine Brust und streichelt mir, wie immer, wenn er mich beruhigen wollte, sanft den Rücken. Langsam, ganz langsam beruhigte ich mich wieder und konnte ihm in die Augen sehen.
„Ich liebe dich, aber ich weiß nicht, ob es eher so ist, wie bei einem großen Bruder, oder ob es mehr ist.“ Er wollte etwas erwidern, doch ich legte ihm einen Finger auf die Lippen und gab ihm somit zu verstehen, dass ich noch nicht fertig war und er bitte abwarten sollte. Er nickte und so konnte ich weiter reden:
„Ich habe schon lange gemerkt, dass du mehr für mich empfindest, doch ich wollte dich nicht verlieren und habe deshalb nichts gesagt. Du bist doch der wichtigste Mensch in meinem Leben. Was soll ich denn ohne dich machen?“ Mir liefen wieder einige Tränen die Wangen herunter und er wischte sie sanft beiseite.
„Ich brauche dich und ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren. Bitte, bitte verlass mich nicht.“
„Du wirst mich nicht verlieren, mein Engel. Ich könnte es genauso wenig ertragen, dich zu verlieren. Ja, ich liebe dich, zwar anders als du mich vielleicht, aber solange du nicht sagst, ich soll dich in Ruhe lassen, werde ich nicht von deiner Seite weichen und immer für dich da sein.“
„Ich will nicht, dass du gehst. Nie. Nie. Ich brauche dich.“
„Ich brauche dich auch, Engelchen“, er nahm mich in den Arm und ich kuschelte mich aufgelöst und total erschöpft an ihn. Kurz bevor ich einschlief, sagte ich noch:
„Ich liebe dich. Lass mich bitte nicht alleine!“
„Nie, versprochen. Ich liebe dich doch auch.“, flüsterte er und ich spürte noch, wie er mir einen Kuss ins Haar gab bevor ich beruhigt in seinen Armen einschlief.

Summer schien letzte Nacht nichts von unserem kleinen Gespräch mitbekommen zu haben, was aber auch alles andere als normal gewesen wäre. Sie sprang fröhlich gelaunt aufs Bett.
„Guten Morgen, du Schlafmütze. Aufstehen!“, schrie sie mir entgegen. Wie konnte man am frühen Morgen nur schon so gute Laune haben? Ich drehte mich mürrisch um und wollte noch etwas weiter schlafen, als ich merkte, dass ich nur noch alleine im Bett lag. Ich schreckte hoch und brachte nur ein ersticktes „Nick“ hervor.
„Nick!“, schrie ich jetzt verzweifelt jedoch noch immer mit zittriger Stimme. Summer sah mich mit großen Augen an und kam zu mir aufs Bett.
„Was hast du, Süße? Was ist passiert?“ Ich sah sie mit Tränen in den Augen an und fragte sie mit zittriger Stimme:
„Wo, wo ist N…Ni…Nick?“, meine Stimme brach am Ende meiner Frage weg und Summer nahm mich erschrocken in den Arm.
„Er ist im Bad, Süße. Alles ist gut. Schhh.“ In diesem Moment ging die Tür auf und Nick sah mich erschrocken und verwirrt an. Ich sprang auf, ihm in die Arme und konnte nicht anders, als weinen. Wie immer konnte er es nicht ertragen, mich weinen zu sehen und drückte mich fest an sich und ich bettete meinen Kopf an seine Brust.
„Was hat sie?“, fragte er etwas irritiert Summer.
„Sie ist ganz plötzlich aufgeschreckt und rief total aufgelöst nach dir.“ Nach einer kurzen Pause, in der sie zwischen uns hin und her blickte, fragte sie noch:
„Sagt mal ihr zwei, hab ich hier vielleicht irgendwas verpasst?“
„Nein, nein, aber ich glaube, ich weiß was los ist. Geh dich doch mal fertig machen, ich regele das hier schon“, und dann lag ich schon auf seinen Armen und er war auf dem Weg zum Bett. Ich krallte mich zittrig an ihn und wollte ihn nicht mehr loslassen.
„Engelchen, sieh mich an. Na los mach schon!“, sagte er sanft und hob mein Kinn soweit an, bis ich ihn tränenüberströmt ansah. „Ich…ich dachte, du…du bist weg.“ schluchzte ich.
„Ich würde dich doch nicht alleine lassen, das habe ich dir doch letzte Nacht noch versprochen.“
„Ich…ich wie…weiß, aber als ich aufwachte, war…war…warst du weeeg. Und ich…ich dachte, du wärst trotzdem gegangen, da du…du es bei mmir nicht mmehr aushältst.“
„Ach du kleiner Spinner, ich würde dich doch nie einfach so alleine lassen.“ „Wirklich?“
„Wirklich Engelchen.“ Und als ob er es mir noch deutlicher machen wollte, zog er mich noch fester an sich. Wir saßen noch so auf dem Bett, als Summer wieder kam. Sie schaute uns skeptisch an.
„Ok, jetzt hab ich wirklich das Gefühl, etwas verpasst zu haben.“
Nick und ich sahen erst uns an und dann Summer und mussten beide anfangen zu grinsen, sie kam ebenfalls grinsend zu uns rüber und nahm uns beide in den Arm.
„Ist wieder alles gut, Süße?“
„Ja, hab mich nur erschreckt.“, antwortete ich ihr und nahm sie in den Arm.
„Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, ich denke das liegt nur an der Aufregung.“
„Na dann ist ja gut. Und jetzt mach dich endlich fertig, deine Ma wartet schon auf uns.“ Ich warf Nick noch einen flehenden Blick zu der sagte:
'Spiel bitte mit.' Er schenkte mir ein Lächeln und ich wusste, dass er nichts sagen würde, egal was Summer anstellte. Somit ging ich ins Bad und stieg unter die Dusche. Ich genoss es, wie das warme Wasser an meinem Körper herunterlief und entspannte mich. Ich wusch mir meine Haare mit meinem Lieblingsshampoo und stieg danach entspannt aus der Dusche. Ich trocknete meine Haare nur kurz ab und ließ sie an der Luft trocknen, alles andere wäre sinnlos gewesen, da meine Haare immer nur das machten, was sie wollten. Nur mit einem Handtuch bekleidet ging ich in mein Zimmer und zog mich schnell an. Als ich die Küche betrat, hatte ich eine dunkelblaue Jeans und mein Mini T-Shirt an, welches Nick mir mal geschenkt hatte.

Alle saßen schon am Frühstückstisch und Levin strahlte mich wie jeden Morgen mit seinem ganz besonderen Lächeln an.
„Tia“, sagte er und streckte seine kleinen Ärmchen nach mir aus. OH, wie ich ihn vermissen werde. Ich nahm ihn auf den Arm und küsste ihn auf die Stirn. „Morgen, mein kleiner Sonnenschein. Hast du gut geschlafen?“ Ich setzte ihn in seinen Triptrapstuhl zurück und setzte mich zwischen ihn und Nick. Beim Frühstück sprach keiner ein Wort und es kam eine bedrückende Stille auf.

Es war nun 14.00 Uhr und zu meinem Leidwesen waren wir schon am Flughafen angekommen. Ich hatte mein Gepäck bereits aufgegeben und musste mich nun von den Personen, die mir am Wichtigsten waren, verabschieden. Meiner Ma standen die Tränen in den Augen, als ich sie in den Arm nahm.
„Pass auf dich auf, meine Kleine und mach Tante Alice nicht so viele Sorgen, ja?“
„Mach dir um mich nicht so viele Sorgen Ma, kennst mich doch.“, gab ich ihr mit einem Lächeln auf den Lippen zurück.
„Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch Ma!“
Dann war mein Pa dran. Er war noch nie der große Redner und er hasste Abschiede genauso sehr wie ich. Wir nahmen uns fest in den Arm, er küsste mich auf die Stirn und flüsterte dann:
„Ich werd dich vermissen. Pass auf dich auf. Ich hab dich lieb, meine Kleine.“ Als ich ihn daraufhin ansah, konnte ich hinter seinem Lächeln die Trauer sehen und ich meinte, auch eine Träne in seinem Augenwinkel aufglitzern zu sehen.
„Mach ich Pa. Ich werde dich auch vermissen. Hab dich lieb.“ Mit diesen Worten drückte ich ihn noch einmal feste an mich und konnte nur mit Mühe meine Tränen verbergen. Nun war Levin an der Reihe. Er kam auf mich zu gelaufen und ich nahm ihn in den Arm, nachdem ich mich auf den Boden gekniet hatte.
„Tia nicht gehen!“, kam von meinem kleinen Sunshine. „Ich komme doch ganz bald wieder mein Sonnenschein.“
„Tia lieb.“
„Ich hab dich auch lieb.“ Er gab mir mit seinen kleinen, sanften Lippen einen ganz dicken Kuss. Bevor ich ihn jedoch meiner Ma gab, drückte ich ihn noch einmal fest und flüsterte ihm ins Ohr:
„Sei brav, mein Kleiner. Ich hab dich ganz doll lieb.“ Ein letztes Mal drückte ich ihn, küsste ihn auf sein Haar und gab ihn Ma. Ich merkte, wie mir eine Träne die Wange herunter lief und erst jetzt wurde mir bewusst, wie wichtig mir diese kleine Nervensäge eigentlich geworden war. Tja, und weiter ging die Runde. Ich stand nun vor einer total aufgelösten Summer. Ich nahm sie in den Arm.
„Schh, nicht weinen, Süße. Sonst fange ich auch noch an.“
„Ich kann auch nichts dafür. Du wirst mir halt so tierisch fehlen. Mit wem soll ich den jetzt Kaffee trinken gehen?“ Ich konnte nicht anders, als zu lächeln, als sie das sagte.
„Keine Sorge, Nick geht bestimmt mit dir. Ich werd dich auch vermissen, aber wir schreiben uns jeden Tag bei ICQ oder What's app, ja?“
„Klar, hab dich lieb.“
„Ich dich auch.“
Wir drückten uns noch einmal und ich wandte mich an Nick. Das würde jetzt definitiv der schwerste Abschied. Wir standen uns stumm gegenüber und schauten uns tief in die Augen während wir uns an den Händen hielten. Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte, vor allem nicht nach dem, was gestern Nacht noch passiert war. Plötzlich lag ich an seiner Brust und er strich mir beruhigend über den Rücken. Nun war es doch um mich geschehen und ich konnte meine Tränen nicht länger zurückhalten. Als ob er es gespürt hätte, drückte er mich noch fester an sich.
„Schh, schh mein kleiner Engel, alles wird gut.“, flüsterte er mir ins Ohr und ich konnte die Trauer hören, die in seiner Stimme mitklang.
„Ich vermiss dich jetzt schon. Wer fängt mich den jetzt auf und bringt mich wieder zum Lachen?“
„Ich bin immer für dich da, mein kleiner Engel, egal wie weit wir voneinander getrennt sind.“ Er hob meinen Kopf sanft soweit, dass wir uns erneut in die Augen sehen konnten und ich sah, wie ihm eine einzelne Träne die Wange herunter lief. Ich wischte sie mit meinem Finger weg und ließ meine Hand an seiner Wange liegen. Er schenkte mir noch einmal dieses besondere Lächeln, was nur für mich bestimmt war. Ich konnte nicht anders, als mich auf die Zehnspitzen zu stellen und ihn zu küssen. Und als er meinen Kuss etwas erstaunt erwiderte, überkam mich auf einmal die Angst, ihm falsche Hoffnungen gemacht zu haben, da ich ja nicht einmal selber genau wusste, was ich für ihn fühlte. Ich löste mich von ihm und sah ihn verwirrt an. Er lächelte und zog meinen Kopf auf seine Brust.
„Keine Angst, ich weiß, dass das nur so ein Kuss war wie schon so viele vorher. Ich liebe dich, kleiner Engel.“, flüsterte er mir so leise ins Ohr, dass die Umstehenden es nicht hören konnten.
„Danke. Ich liebe dich auch.“, flüsterte ich genauso leise zurück. Wir sahen uns noch einmal tief in die Augen und lösten uns voneinander. Als ich mich umdrehte, sah ich in das überraschte Gesicht von Summer, welches stumm die Frage stellte, was das nun wieder wäre und ich zuckte mit einem Lächeln auf den Lippen nur meine Schulten. Meine Eltern wussten ja, was Nick’s und meine ‚Beziehung‘ war und wunderten sich darüber mittlerweile auch schon nicht mehr. Wobei sie am Anfang total den Terz gemacht hatten. Eltern halt. Vor Summer hatten wir uns bis jetzt immer wie ‚normale‘ beste Freunde verhalten, deswegen konnte ich verstehen, dass sie etwas überrascht war, aber das war mir jetzt auch egal. Ich drückte alle noch einmal kurz und gab Levin einen letzten Kuss auf die Stirn, bevor ich zum Eingang des Gates ging. Als ich mich umdrehte, sah ich wie Ma versuchte, Levin ohne großen Erfolg zu trösten.
„Vergiss nicht, mir jeden Tag zu schreiben, Engelchen“, rief Nick mir noch hinterher und ich konnte gerade noch ein „Na klar. Hab euch lieb“, zurück rufen, bevor sich die Schiebetür hinter mir schloss. Ich winkte allen noch ein letztes Mal zu und machte mich auf zu meinem Flieger, ohne zu ahnen, was sich alles in diesem einen Jahr für mich ändern sollte.

Kapitel 2 Ein seltsamer Traum

Nach zwei Stunden Flugzeit, nochmals 4 Stunden Zugfahrt und viel Grübelei über Nick und mich, kam ich endlich in Plymouth an. Tante Alice, Onkel Mat und die kleine Ibis warteten schon am Bahnsteig auf mich und begrüßten mich freudestrahlend.
„Hallo Tia, ich hoffe du hattest eine gute Reise?“, fragte mich Alice.
„Naja, wenn man davon...“, ich deutete auf mein Gepäck, „absieht, kann ich mich nicht beschweren.“ Mat nahm mich in den Arm und meinte nur:
„Ich freu mich, dass du hier bist.“ Mat und ich schleppten mein Gepäck zum Auto und wir fuhren zu ihrem wunderschönen alten Herrenhaus.
Also dieses Haus war einfach nur der Hammer. Es war unbeschreiblich und ich liebte dieses Haus schon, als ich es das erste Mal gesehen hatte. Es hatte einen wunderschönen Vorgarten und einen noch beeindruckenderen Garten. Dort hatte Mat früher für mich einmal eine Schaukel aufgehängt, die noch immer dort war. Der Eingangsbereich war hell und groß und eine Wand war mit goldenen Blumen verziert. Von dort führte auch eine wunderschöne alte Treppe ins Obergeschoß. Die Küche war modern und gemütlich eingerichtet. Die Küche und das riesige Wohnzimmer waren durch das Esszimmer getrennt. Im Wohnzimmer befanden sich eine riesige Eckcouch, ein Flachbildschirm und ein wunderbarer alter Flügel. Ebenfalls befanden sich im Erdgeschoss das Arbeitszimmer, welches eher einer Bibliothek ähnelte, ein Gästezimmer und ein Bad mit Dusche. Im Obergeschoß befanden sich alle Schlafzimmer und ein geräumiges Bad.
Als ich mein Zimmer betrat blieb mir die Luft weg.
Alice und Mat schienen es renoviert zu haben, da es nun in einem hellen Beige gestrichen und mit mitternachtsblauen und dunkellila Ornamenten verziert war, meine Lieblingsfarben, müsst ihr wissen. Gegenüber der Tür stand unter dem Fenster ein wunderschöner alter, großer Sekretär, links ein großes Himmelbett, welches passend zu den Ornamenten an der Wand, in Dunkellila und Mitternachtsblau bezogen war. Auf der linken Seite befanden sich zwei Türen. Wie sich später herausstellte, war die eine für den begehbaren Kleiderschrank und die andere führte ins Bad. Das Bad war genau richtig. Es bestand aus einer Badewanne unter dem Fenster, einer Dusche und einem Waschbecken und WC.
„Ich hoffe es gefällt dir, was aus deinem Zimmer geworden ist?“, fragte mich Mat, als er mit dem ersten Koffer nach oben kam.
„Es ist einfach...wie soll ich sagen...fantastisch trifft es nicht. Ich weiß auch nicht, einfach nur WOW!“ Ich konnte Mat hinter mir lachen hören als er meinte: „Das freut Alice bestimmt zu hören, Sie war schon total aufgeregt, ob es dir auch gefallen würde. Sie hat extra alles herrichten lassen.“
Nachdem Mat meine Koffer nach oben gebracht hatte, ließen sie mich erst einmal alleine, um anzukommen und eventuell auspacken zu können. Ich ließ mich mit einem Seufzer als Allererstes erschöpft auf mein Bett fallen und blickte durch mein Zimmer. Nun war es soweit, hier würde ich für das nächste Jahr zu Hause sein.
Ich musste wohl eingenickt sein, denn Alice versuchte gerade mich sanft zu weckten.
„Tia, hast du Hunger? Das Essen ist nämlich fertig.“
„Ja, ich komme gleich Alice, danke“, antwortete ich ihr etwas verschlafen. Lächelnd verließ sie mein Zimmer und ich ging noch einmal kurz ins Bad, um mich frisch zu machen. Als ich ins Esszimmer kam, war bereits alles fertig. Alice hatte mein Lieblingsessen gemacht, Lasagne. Völlig ausgehungert seufzte ich:
„Ich bin schon fast am Verhungern.“ Mat konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und ich fiel mit ein. Nach dem Essen half ich noch beim Abwasch und verabschiedete mich danach in mein Zimmer. Dort angekommen, holte ich erst einmal meinen Laptop aus der Tasche und rief über Skype meine Eltern an, um Bescheid zu geben, dass ich gut angekommen wäre. Nachdem ich auch Summer Bescheid gegeben hatte und über die Situation am Flughafen aufgeklärt hatte, rief ich nach einiger Überlegung auch Nick an.
„Hallo mein Engelchen!“
„Hey Kleiner, und wie geht es dir?“
„Mir gut, und wie dir?“
„Naja, bis auf, dass ich dich total vermisse, ist es ganz Ok.“ Und schon wieder diese bescheuerten Tränen, kann das nicht mal aufhören?
„Ich vermisse dich auch, Kleine, nicht weinen ja?“
„Ich versuch’s ja, aber irgendwie kommen die Tränen von ganz alleine.“
Ich versuchte zu lächeln, was wohl gründlich daneben ging, da Nick mal wieder einen seiner bescheuerten Blondinen-Witze los ließ:
„Woran erkennt man eine Blondine, die einen schweren Hirnschlag hinter sich hat?“, fragte Nick grinsend.
„Weiß nicht“, gab ich etwas genervt zurück.
„Gar nicht, denn was man nicht hat kann auch nicht beschädigt werden.“
„Och Mann, Nick, du weißt doch ich mag sone Witze nicht.“
Aber ich konnte nicht anders, als einfach los zu lachen. Wie er das immer schaffte, weiß ich auch nicht.
„Ich weiß, aber es klappt trotzdem immer wieder!“, und auch er stimmte in mein Lachen mit ein. Als wir uns endlich beruhigt hatten, fragte er:
„Na dann erzähl mal, was machst du denn morgen so? Hast du irgendetwas vor?“
„Ich weiß noch nicht. Ich glaube Alice wollte mit mir ein Handy kaufen und ich glaube, wir wollten meine Schuluniform besorgen. Da bin ich ja sowieso mal gespannt, was für einen Kartoffelsack ich da bekomme!“ Ich konnte mir bei diesem Bild im Kopf, ein Lächeln nicht verkneifen.
„Na also, den musst du mir definitiv vorführen.“
„Wenn du brav bist, können wir darüber noch mal reden.“ Wieder konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen.
„Na, na wir wollen doch nicht, dass ich an deiner guten Erziehung doch noch zweifle, oder?!“, kam die gespielt beleidigte Antwort.
„Mmmh…“, ich konnte mein Grinsen nur schwer unterdrücken, als ich so tat, als ob ich darüber nachdächte.
„Na gut, wenn es sein muss, aber wehe du lachst.“, gab ich mich nun doch geschlagen.
„Ich versuch’s.“, und wir verfielen wieder in lautes Gelächter. Wir erzählten noch eine ganze Weile über alles Mögliche und es tat gut, ihn zu sehen.
„So mein kleiner Engel, da ich morgen wieder in die Schule muss, und zwar alleine, müssen wir jetzt leider aufhören.“
„Wirklich?“
„Ja leider. Ich würde auch lieber weiter machen.“
„Ok, dann schlaf schön.“, gab ich traurig zurück.
„Hey, nicht traurig sein, wir telefonieren morgen wieder, ok?“
„Ok, und wehe du bist nicht on!“
„Keine Panik, ich werde da sein. Schlaf gut und träum was Schönes mein Engelchen.“
„Ja du auch. Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch.“ Er warf mir noch einen Kuss zu und legte dann auf. Traurig und mit einem komischen Gefühl im Magen ging ich ins Bad, nahm eine entspannende warme Dusche und ließ mich erschöpft ins Bett fallen.



Ich stand auf einer kleinen Lichtung, welche übersät war mit wunderschönen Wildblumen in allen möglichen Farben. Die Sonne schien durch die Baumkronen und tauchte die Lichtung in ein warmes Gelbgold. Ich spürte, wie sich mir jemand von hinten näherte, doch ich kannte die Aura, die von dieser Person ausging, sie war mir so vertraut, wie kaum eine andere. Ich wurde sanft von hinten in den Arm genommen und spürte eine mir nur allzu vertraute Wärme.

Nick!!

Ich genoss es, in seinen Armen zu liegen, genoss die Gänsehaut, die mich überkam und ich genoss es, zu wissen, dass ich geborgen und sicher war. Er drehte mich gekonnt in seinen Armen und schaute mich sanft und mit soviel Liebe in den Augen an, dass mein Herz stockte und meine Knie weich wurden. Er streichelte mir sanft über die Wange und dort, wo er mich berührte, breitete sich ein Feuer aus, welches mich erzittern ließ. Gerade, als sich unsere Lippen berühren wollten, versteiften wir uns gleichzeitig und ich spürte sofort, dass Gefahr drohte.
Scheinbar hatte er es auch gemerkt, denn er stellte sich schützend vor mich. Auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung kam auf einmal ein merkwürdiger Mann in einem dunklen, langen Mantel auf uns zu. Ich konnte nur seine Augen erkennen, sie leuchteten rotbraun und irgendwoher kannte ich diese Augen, sie waren mir vertraut, aber mir wollte nicht einfallen, wo ich sie schon mal gesehen hatte. Man konnte spüren, dass die Luft nur so vor Gefahr brannte. Ich wusste nicht, wo auf einmal diese Gewissheit herkam, aber sie war da. Nick schien sie auch zu bemerken. Er war total angespannt, hatte seine Hände so sehr zu Fäusten geballt, dass diese zitterten und seine Knöchel schon weiß hervor traten.
„Was oder wer ist das?“, fragte ich leise und mit zittriger Stimme.
„Sei still und rühr dich nicht von der Stelle, hast du verstanden“, brachte er leise jedoch streng und mit Mühe durch seine zusammengebissenen Zähne heraus. Ich spürte förmlich, wie seine Wut anstieg. Ich nickte nur und kaum hatte er dieses registriert, stürmte er auch schon auf den Fremden zu. Plötzlich gab es einen lauten Knall und vor mir stand ein dunkelblauer Drache anstelle von Nick.

Ich schrie…

 
Schreiend und zitternd wachte ich auf.
Ich stand buchstäblich im Bett.
Das war nur ein Traum, das war nur ein Traum, versuchte ich mir immer wieder einzureden, doch irgendwie hatte es sich so real angefühlt, dass ich nicht so recht glauben konnte, dass es nur ein Traum gewesen sein sollte. Ich nahm meine Kette mit dem Engelsanhänger in die Hand und beruhigte mich langsam, als ich mit geschlossenen Augen immer wieder die Konturen des Engels nachfuhr.
Irgendwann schaute ich auf die Uhr und stellte fest, dass es erst 7 Uhr war. Schlafen konnte ich jedenfalls nicht mehr, also entschied ich mich, eine warme Dusche zu nehmen um mich etwas zu entspannen und meine Gedanken ordnen zu können.
Nachdem ich eine gefühlte Stunde ausgiebig unter der Dusche gestanden hatte, fühlte ich mich wieder einigermaßen normal. Ich fischte aus meinem Koffer eine Jogginghose und ein T-Shirt heraus und zog mich an. Da es noch immer früh am Morgen war, fing ich an, meine Koffer auszupacken und in meinen begehbaren Kleiderschrank einzuräumen. Nachdem ich auch hiermit fertig war, stellte ich fest, dass es erst 8:30 Uhr war. Ich beschloss, nach unten zu gehen, um mir etwas zu essen zu besorgen. Als ich an Ibis Zimmer vorbeiging, hörte ich, dass sie weinte. Ohne groß zu überlegen, ging ich zu ihr und nahm sie auf den Arm, um sie zu trösten. Ich wiegte sie einige Minuten, bis sie sich beruhigt hatte und machte sie dann frisch. Als ich sie nun auch noch umgezogen hatte, setzte ich mich mit ihr auf den flauschigen Teppichboden in Ihrem Zimmer und fing an, mit ihr zu spielen.
Das half sehr gut, musste ich zugeben, sie lenkte mich etwas davon ab, dass ich Levin und Nick vermisste und auch, wenn ich es komisch fand, fühlte ich eine Leere in mir, die ich nicht erklären konnte.
Irgendwann bemerkte ich, dass Alice in der Tür stand und uns beobachtete.
„Morgen, Tia“
„Morgen, Alice. Ich hoffe es war in Ordnung, dass ich Ibis aus dem Bett genommen habe, aber sie hat geweint, als ich vorbeiging und irgendwie brauchte ich eine Ablenkung.“
„Das ist schon Ok. So konnten Mat und ich mal ausschlafen, das konnten wir schon ewig nicht mehr“, sagte sie mit einem herzigen Lächeln im Gesicht. „Aber sag, was ist los mit dir, du siehst so traurig aus.“
Ach ja, das war Tante Alice wie sie leibte und lebte. Vor ihr konnte man so gut wie nichts verheimlichen.
Sie setzte sich zu uns und ich erzählte ihr von meinem Traum und der komischen Leere, die ich in mir fühlte.
„Sag mal Kleines, kann es sein, dass du verliebt bist? Denn das würde die Leere ...“
„NEIN!“, unterbrach ich sie heftig. „Ich bin nicht verliebt! In wen denn?“
„Naja, in deinem Traum gibt es ja schon mal jemanden, der diese Rolle einnimmt, oder?“
„Nein, Nein, Nein und nochmals Nein. Nick ist mein bester Freund, wir kennen uns doch schon seit dem Kindergarten. Er ist wie mein großer Bruder. Nein das geht doch nicht.“ Verzweifelt ließ ich meinen Kopf in den Schoß fallen. Tante Alice rückte zu mir rüber und nahm mich in den Arm.
„Hey, Tia so habe ich das doch gar nicht gemeint. Wenn du dir da sicher bist, dann war dein Traum einfach nur ein fantasievoller Traum und Nick hat nur die Rolle des Beschützers übernommen.“
„Ja, so war es bestimmt. Ganz bestimmt“, versuchte ich mich selber zu überzeugen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Alice doch irgendwie Recht hatte und da vielleicht doch mehr dran war. Da musste ich unbedingt noch mal drüber nachdenken, wenn ich etwas mehr Ruhe hätte.
Wir gingen runter und frühstückten ausgiebig. Danach machten wir uns auf den Weg in die Stadt. Tante Alice meinte, da ich ja nun hier zur Schule ginge, bräuchte ich auch ein englisches Handy. In dem Handyladen durfte ich mir ein Telefon aussuchen. Ich suchte mir das neue Samsung mit Hello Kitty Edition, also ein typisches Mädchentelefon aus.
Wir gingen noch ein wenig shoppen und aßen bei MC Donalds etwas zu Mittag. Danach fuhren wir noch zu einem Schulausstatter, der die Schuluniformen der Davenport High School for Girls führte. Das war ja mal total langweilig. Ich muss zugeben, dass die Uniform wenigsten einigermaßen anständig aussah, ich hatte sie mir viel schlimmer vorgestellt.
Sie bestand aus einem schwarzen Rock, der bis zu den Knien ging und einer weißen Bluse, die einen roten Kragen und rote Doppelmanschetten hatte. Auf der linken Brust war das Schulwappen aufgestickt. Es war ein roter Drachen und hinter diesem waren ein paar cremefarbene Lilien gestickt, dazu kamen noch die Initialen der Schule ‚DECVS‘. Der Blazer war ebenfalls schwarz und auch dort befand sich auf der linken Brust das Schulwappen. Es gab noch eine Bluse mit kurzen Armen, und einheitliche Sportbekleidung für Sommer wie Winter. Außerdem gab es noch weiße Strumpfhosen, und sogar einheitliche Schuhe. Jeweils ein Paar schwarze Ballerinas und schwarze High Heels für den Sommer und schwarze Stiefel für den Winter.
Die Verkäuferin steckte noch alles ab, damit ich nicht aussah wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Wir sollten dann am Donnerstag wieder kommen, dann wäre alles fertig.
Als wir wieder zu Hause ankamen, fiel ich total fertig auf mein Bett. Ich griff nach dem Buch auf meinem Nachtisch: ‚Schwert der Wahrheit‘ von Terry Goodkind, was zurzeit mein Lieblingsbuch war. Nach nicht einmal einem Absatz war ich mal wieder in der Welt von Richard und Kahlan versunken. Ich liebte ihre Geschichten über Intrige, Verrat, Liebe, seltsame Wesen und Magie zu lesen. Es klopfte und Mat stand in der Tür. Er grinste mich freundlich an:
„Alice, sagte, du hättest einen Albtraum gehabt. Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Ja, aber es ist auch gar nicht so schlimm, wie am Anfang gedacht.“
„Gut, das freut mich. Kommst du mit runter? Alice ist mit dem Essen fertig.“ „Klar!“ Ich legte mein Buch auf den Nachttisch zurück und ging mit Mat nach unten.
Nach dem Essen ging ich in mein Zimmer und schaltete meinen Laptop an. Ich loggte mich erst bei ICQ ein, um die neusten Neuigkeiten mit Summer auszutauschen. Bei ihr war nichts Besonderes vorgefallen und so fragte ich Nick, ob er Zeit und Lust hätte, mit mir zu telefonieren, doch wir mussten es leider auf die nächsten Tage verschieben. Ich schrieb ihm noch schnell, was wir heute alles gemacht hatten und wir verabredeten uns für Donnerstag zum telefonieren, damit ich meine Schuluniform vorführen könnte. Bei diesem Gedanken konnte ich nur mit den Augen rollen, denn auch wenn sie ganz in Ordnung war, war sie immer noch ein Graus.
Ich war irgendwie enttäuscht, dass ich seine Stimme nicht hören konnte und eine Frage stellte ich mir immer wieder: Sollte ich ihm von meinem Traum erzählen?
Ich entschied mich dazu, erstmal nichts zu erzählen.

Kapitel 3 Interessante erste Bekanntschaft

Wir hatten nun schon Freitag und das hieß, ich war nun schon fünf Tage bei meiner Tante in England. Irgendwie fühlte ich mich hier noch nicht so wirklich zu Hause, da ich das Gefühl nicht loswurde, dass mir etwas ganz Wichtiges fehlte.
Mat hatte mir gezeigt, wo ich am besten Joggen konnte. Die ‚Hoe Road‘ war ein Traum, sie führte direkt am Meer entlang und man konnte den Sonnenaufgang beobachten.
Ich musste heute einfach raus und mich auspowern, da ich gestern vergeblich versucht hatte, Nick zu erreichen. Ich war richtig sauer auf ihn, aber nicht nur das, ich war enttäuscht und traurig. Bevor ich hierher kam, war so etwas noch nie vorgekommen. Nicht mal, wenn einer von uns krank war, und jetzt? Jetzt war ich nicht mal fünf Tage hier und er fing schon an, mich zu vergessen. Ich griff unbewusst an die Kette, die er mir geschenkt hatte und merkte, wie mir eine Träne die Wange runter rollte. Schnell wischte ich sie weg und lief schneller, um nicht mehr darüber nachdenken zu müssen.
Gerade lief ich die ‚Hoe Road‘ mit ihren vielen Cafés entlang, als mich das Gefühl nicht los ließ, dass ich beobachtet wurde. Ich schaute mich nervös um, aber es war niemand zu sehen. Es war gerade mal 8 Uhr und um diese Uhrzeit war es eigentlich auch kein Wunder, dass ich allein unterwegs war. Ich genoss die Anstrengung und war froh, wenigstens für kurze Zeit den Kopf frei zu bekommen.
Ich setzte mich auf eine Bank, um mich etwas auszuruhen, immerhin war ich schon seit mehr als einer Stunde unterwegs. Ich schloss die Augen, ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen und hörte dem Rauschen des Meeres zu, genoss einfach die Stille. Plötzlich hörte ich, wie jemand zu mir kam und mit samtweicher Stimme fragte:
„Darf ich mich zu dir setzen?“
„Ja klar, die Bank gehört ja nicht mir“, ich konnte ein leises Lachen von ihm hören, ließ meine Augen jedoch geschlossen, da ich den Moment einfach weiter genießen wollte, konnte mir ein Grinsen jedoch ebenfalls nicht verkneifen.
Wir saßen eine ganze Weile auf der Bank, sagten nichts und genossen einfach die Stille, was mir auch ganz recht war.
„Ich bin übrigens Tymon“, sagte er auf einmal ganz überraschend.
Er streckte mir seine Hand entgegen, als ich ihn verdattert ansah.
Er war heiß, anders kann ich’s nicht sagen. Er hatte ein kantiges Gesicht, wunderschöne dunkelbraune Augen, dazu dunkelbraune Haare, die etwas wuschelig waren, aber dennoch sexy aussahen. Sein Lächeln war mir auf gewisse Weise vertraut. Naja, und selbst durch sein T-Shirt konnte man erkennen, dass er sehr muskulös war.
„Hi, ich bin Tia. Eigentlich heiße ich Anastasia, aber alle nennen mich nur Tia.“, und schüttelte seine Hand.
Als wir uns berührten, war dort etwas Seltsames. Es fühlte sich wie ein kleiner Stromschlag an, aber dennoch auch etwas merkwürdig Bekanntes, ich wusste jedoch nicht, was es war. Er schien auch etwas gespürt zu haben, da wir unsere Hände gleichzeitig ruckartig zurückzogen. Er schaute mich mit großen Augen an, so als hätte er etwas gespürt oder gesehen, was er nicht wahr haben wollte.
Fragt mich nicht woher ich das weiß, aber irgendwie konnte ich es spüren. Genauso schnell wie diese Überraschung kam, war sie auch schon wieder aus seinen Augen verschwunden und hätte ich in dem Moment geblinzelt, hätte ich es wahrscheinlich gar nicht mitbekommen.
Was war das denn bloß gewesen? Ich beschloss, später noch einmal darüber nachzudenken. Es kam immer mehr zusammen, worüber ich nachdenken wollte. Und es sollte noch lange nicht aufhören, wie sich später herausstellen würde.
„Ich habe dich hier noch nie gesehen, bist du neu hier?“
„Ja, ich bin vor knapp einer Woche von meinen Eltern hierher verfrachtet worden. Wohn jetzt bei meiner Tante.“, antwortete ich halbherzig.
„Was heißt denn ‚verfrachtet worden‘?“
„Naja, habe in der Schule zu viel dummes Zeug angestellt und deshalb bin ich hier gelandet, in der Hoffnung, dass es besser wird, aber da können sie lange warten. Einmal durchgeknallt, immer durchgeknallt!“ Ich grinste ihn breit an. Er sah etwas verwirrt aus und bei diesem Anblick konnte ich nicht anders, als laut drauflos zu lachen. Jetzt sah er noch komischer aus, da er wohl nicht verstand, was los war und ich steigerte mich so richtig in einen Lachanfall rein.
Als ich mich etwas beruhigt hatte meinte er leicht verwundert:
„Was war das denn gerade?“
„Dein Gesicht war echt erste Sahne.“
„Freut mich immer wieder, wenn ich Euch zum Lachen bringen kann, Eure Hoheit.“, und er verbeugte sich sogar, soweit das im Sitzen ging, versteht sich. Ich konnte mir nur schwer einen weiteren Lachanfall verkneifen.
„Also jetzt mal im Ernst, was verschlägt so ein zuckersüßes Ding wie dich in so ne Provinz wie hier?“, fragte er mich ernst. Ich verdrehte die Augen und meinte bloß mit leicht genervtem Unterton:
„Sagte ich doch schon, meine Eltern haben mich hergeschickt, in der Hoffnung, ich würde mich besser benehmen.“
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“
„Klar doch.“
„Und was haste angestellt?“
„Bin halt so ein kleiner Spaßvogel und das soll mir hier ausgetrieben werden.“ „Also ich glaube ja, das wird nix.“, meinte er grinsend.
„Sehe ich genauso, aber was soll’s, ändern lässt es sich jetzt nicht mehr“, und grinste zurück.
„Wie alt bist du eigentlich?“
„Fünfzehn, werde aber bald sechzehn. Und du?“
„Ich bin 18. Und auf welche Schule gehst du?“
„Auf die Davenport High.“
„Dann sehn wir uns wohl immer in den Pausen. Ich geh da nämlich auch hin.“ „Echt? Ich dachte die ist nur für Mädchen.“
Jetzt musste Tymon lachen:
„Eigentlich nicht so richtig, es gibt einmal die für die Mädchen und einmal die für die Jungs, aber die befinden sich auf demselben Gelände und jede hat ihre eigenen Räume nur die Sporträume und die Kantine werden gemeinsam genutzt.“
„Na toll, und ich dachte, mich bekommt kein Kerl in dieser blöden Uniform zu sehen.“, meinte ich resigniert und verdrehte die Augen. Tymon fing an zu lachen.
„Haha, muss ja sehr witzig sein.“, entgegnete ich genervt.
„Ja, das sagt irgendwie jedes Mädel, aber sei froh, es gibt noch schlimmere.“
„Das stimmt auch wieder. Wenigstens kenne ich schon mal einen.“
„Mach dir mal keinen Kopf, so jemand wie du kommt bei uns schneller klar als man gucken kann. So Tia ich muss dann auch mal weiter. Hat mich gefreut, dich kennen zu lernen und wir sehn uns sicher am Montag.“
„Hoffe ich doch, bis dann. Ciao.“
„Auf Wiedersehen, Prinzessin“, sagte er ernst, stand auf und verbeugte sich wieder leicht, während er meine Hand nahm und mir einen Kuss auf meinen Handrücken hauchte. Kaum hatte er sich weggedreht, war er auch schon verschwunden und ließ mich verdattert zurück.
Was war das denn gerade gewesen? Prinzessin? Verbeugung? Handkuss? Hä? Er hatte das so ernst gesagt, dass es sich aus seinem Mund so anhörte, als wäre es nicht nur ein Spitzname gewesen. Naja, vielleicht bildete ich mir das ja auch nur ein. Wir würden es sehen.
Jedenfalls machte ich mich jetzt auch auf den Weg, sonst würde Alice sich noch Sorgen machen.
Zu Hause ging ich erst einmal duschen und setzte mich nach dem Frühstück mal an den Flügel, um meine Gedanken zu ordnen. Meine Finger flogen nur so über die Tasten, sie fanden von ganz alleine ihr Ziel. Ich spielte noch nicht lange Klavier, eigentlich erst seit ich den ersten Teil der Twilight Saga gesehen habe und Edward `River Flows in you` von Yiruma für Bella als Schlaflied spielte. Ich wollte es unbedingt selber spielen können und hatte mich somit vor meine Eltern gestellt und diesen Wunsch geäußert. Da sie mir noch nie etwas  abschlagen konnten, schickten sie mich zum Klavierunterricht und nach nicht mal vier Wochen konnte ich perfekt Klavier spielen. Naja, selbst der Lehrer glotzte Bauklötze.
Ich weiß Streeeeber!
Mittlerweile schrieb ich gelegentlich selber neue Stücke, so wie das, welches ich gerade spielte. Aber plötzlich änderte sich meine Melodie von ganz alleine und ich ließ meinen Gefühlen freien Lauf. Ich merkte nicht, dass Alice ins Zimmer kam und mit Tränen in den Augen dort stand und zuhörte. Als ich eine kurze Pause einlegte, hörte ich sie schniefen und blickte irritiert auf.
„Alice, was hast du denn? Hab ich was falsch gemacht? Ich wollte nicht einfach an den Flügel, ich musste mich nur etwas ablenken. Bitte sei nicht böse auf mich.“
„Quatsch Kleine, ich weine nur, weil dein Lied so schön war. Du kannst, wann immer du magst, an den Flügel, Mat spielt schon lange nicht mehr und er steht nur da und verstaubt. Spielst du das Lied noch mal für mich? Ich fand es so schön.“
„Klar, magst du dich vielleicht zu mir setzen?“
Sie kam zu mir rüber und ich spielte noch einmal das Lied, welches aus irgendeinem Grund meine Gefühle für Nick genau widerzuspiegeln schien. Warum er mir gerade jetzt in den Kopf kam, weiß ich auch nicht. Ich war doch sauer auf ihn, naja egal. Ich spielte noch eine ganze Weile und Alice hörte bis zum Schluss gespannt zu.
„Ich hoffe du spielst bald wieder. Es erfüllt das Haus richtig mit Leben. Danke, dass ich zuhören durfte.“ Ehe ich etwas erwidern konnte, war sie schon verschwunden.
Später am Abend, nachdem ich wieder einmal vergebens versucht hatte, Nick zu erreichen, fiel mir das seltsame Gespräch mit Tymon wieder ein. Jedoch so oft ich das Gespräch mit ihm auch durch ging, ich kam einfach nicht dahinter, was es mit der Verbeugung und so auf sich hatte. Warum hatte ich so ein seltsames Gefühl bei der ganzen Sache?
Er sollte nicht der Letzte bleiben, der ein solch seltsames Verhalten an den Tag legen würde, aber so schnell sollte ich noch nicht dahinter kommen, was das alles zu bedeuten hatte.

Kapitel 4 Erste Schultag

Es war nun Montagmorgen, mein Wecker klingelte und ich feuerte ihn gegen die Wand.
Ihr müsst wissen, ich bin der totale Morgenmuffel.
Außerdem träumte ich jede Nacht diesen bescheuerten Traum. Es hatte sich nur eine Kleinigkeit geändert: Tymon erschien jetzt auch immer an meiner Seite wenn dieser komische Typ mit den leuchtend rotbraunen Augen auftauchte. Ich wachte jedoch immer an derselben Stelle schweißgebadet und schreiend auf. Was hatte das alles nur zu bedeuten?
Alice kam kurze Zeit später in mein Zimmer, um mich erneut zu wecken.
„Tia, mein Schatz, komm wach auf, du musst zu Schule.“
„Mhm“, antwortete ich schlaftrunken, rappelte mich auf und verschwand im Bad.
„Ich mach dir dann mal Frühstück!“, rief sie mir noch hinterher. Ich stieg erstmal unter die warme Dusche, meine Muskeln entspannten sich langsam und ich wurde wach. Als ich nun aus der Dusche stieg, trocknete ich mich ab, zog mir meine Uniform an und versuchte, meine Haare vergebens zu einer Frisur zu ordnen. Nach drei vergeblichen Versuchen schüttelte ich meine Haare nur noch einmal auf und ließ meinen Locken ihren Willen. Ich begutachtete mich noch ein letztes Mal im Spiegel und richtete meine Bluse.
Ich ging noch einmal schnell zu meinen Laptop, um ihn anzuschalten. Ich hatte die Hoffnung, dass Nick vielleicht online wäre, er hatte irgendwie in den letzten Tagen keine Zeit für mich gehabt, obwohl er es mir doch versprochen hatte. Es machte mich traurig, wütend und auch verzweifelt. Was war nur los?
Irgendwie sehnte ich mich danach, ihn zu sehen und seine Stimme zu hören. Was war das bloß? Warum ging es mir nur so schlecht, wenn er keine Zeit für mich hatte?
Zu meiner Überraschung war er heute Morgen sogar online. Ich wählte ihn auch sogleich an, in der Hoffnung, er würde wenigstens heute ran gehen.
Als ein „Hey Kleines“ kam, erschreckte ich mich zuerst, sah ihn jedoch gleich böse an.
„Na Nickolas, hört man von dir auch mal wieder etwas?“, meinte ich sauer und zugleich verletzt.
„Tia, jetzt sei doch nicht gleich sauer auf mich. Es tut mir doch leid.“
„Es tut dir leid? Du hast es mir versprochen und jetzt das? Da soll ich dir nicht böse sein? Scheinbar bin ich dir doch nicht so wichtig, wie du immer sagst.“
Ich musste mich wegdrehen, da mir die Tränen nur so meine Wangen herunter liefen.
„Hey, hey jetzt beruhige dich doch erst mal wieder. Was soll ich denn noch sagen, außer dass es mir leid tut? Und sag nicht, du bedeutest mir nichts, du weißt genau, wie wichtig du für mich bist, mein Engel.“
„Ich soll mich beruhigen? Du hast es mir versprochen, aber seit meiner Ankunft hier hast du nicht mehr mit mir gesprochen. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr du mir fehlst? Hier ist alles so seltsam, ich hätte es so sehr gebraucht, deine Stimme zu hören oder einfach nur dich zu sehen und mit dir zu reden. Ich schlafe hier nämlich keine Nacht durch und heute ist mein erster Schultag und, und…“, ich redete mich so sehr in Rage, dass sich meine Worte überschlugen und ich einfach nur noch drauf los heulte.
„Tia, Engelchen, bitte, es tut mir doch leid. Mein Gott wie gern würde ich dich jetzt in den Arm nehmen. Bitte denk doch nicht, ich hätte mein Versprechen vergessen. Mensch, du fehlst mir doch auch tierisch und es tut einfach nur weh, dich so verzweifelt zu sehen, das wollte ich doch nicht. Tia, bitte sieh mich doch an!“
Ich konnte hören, wie er mit den Tränen kämpfte, aber ich war noch immer sauer und enttäuscht. Aber da ich es nicht leiden konnte, wenn er traurig war, sah ich in irgendwann doch an. Und was ich da sah, brach mir fast das Herz: Er saß so niedergeschlagen dort, als stünde der Weltuntergang bevor. Wir sahen uns einfach nur an. Ich legte meine Hand auf den Bildschirm und er tat es mir gleich. Ich hatte das Gefühl, im so näher zu sein und wir verstanden uns auch ohne Worte. Als ich mich etwas beruhigt hatte, sagte wir zeitgleich „Tschuldigung“, und wir mussten beide lächeln.
„Engelchen, es tut mir wirklich leid. Ehrlich. Es kommt nicht wieder vor, versprochen.“
„Das will ich dir aber auch raten, denn ab jetzt kommst du nicht mehr so leicht davon, das ist dir hoffentlich klar.“
„Ja, ich weiß und jetzt zeig mir mal dein Outfit.“
„Aber denk dran. Wehe du lachst!“
Ich ging ein paar Schritte zurück, damit er mich ganz sehen konnte und drehte mich um meine eigene Achse. Als ich wieder näher ging, hatte Nick immer noch nichts gesagt und ich dachte schon, er müsse sich sein Lachen so sehr verkneifen.
„Was? Ist es etwa so schlimm?“ Ich bekam immer noch keine Antwort.
„Erde an Nick? Hallo ist irgendjemand zu Hause?“
„Ja, ja bin noch da. Es sieht nur so, so… na halt echt WOW. Ich glaub, da kann dir keiner widerstehen, leider.“, seufzte er „Aber du solltest gleich noch mal kurz ins Bad und dein Make-up neu machen, Schatz.“, meinte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte. Erst jetzt bemerkte ich, dass durch mein Geheule eben, alles verschmiert war.
„Danke, mach ich. Aber jetzt mal ehrlich, die Uniform ist doch fürchterlich.“
„Nein, ganz und gar nicht. Ich würde am liebsten kommen und jedem Kerl, der dich auch nur anschaut, eine reinhauen.“
„Na jetzt aber mal halblang, mein Kleiner. Lass die Pferde im Stall. Nicht dass ich was dagegen hätte, dass du hier wärst, aber es sind doch nur Mädels in der Schule und mit den paar Jungs in den Pausen werde ich auch noch gerade so alleine fertig.“
„Tia kommst du endlich? Sonst kommst du an deinem ersten Schultag noch zu spät.“, rief Tante Alice von unten.
„Ja bin gleich da“, antwortete ich ihr.
„Ich muss dann wohl oder übel mal. Wir wollen ja keinen Ärger.“, meinte ich zu Nick und verdrehte die Augen.
„Mach das und heute Abend erzählst du mir ausführlich, wie es war und warum du so schlecht schläfst meine Kleine.“
„Mach ich. Bis später. Vermiss dich.“
„Ciao, vermiss dich auch. Und halt mir die Jungs in Schach.“
„Klaro.“, zwinkerte ich. Wir winkten uns noch kurz zu und dann hatte ich auch schon aufgelegt und den Laptop ausgeschaltet. Ich flitzte noch mal schnell ins Bad machte mich frisch und legte neues Mascara und Lipgloss auf, dann schnappte ich mir mein neues Handy, den Lipgloss, meine Schultasche, schlüpfte noch schnell in meine Ballerinas und war auch schon bei Tante Alice in der Küche.
„Da bist du ja. Jetzt aber zackig, sonst sind wir doch noch zu spät.“
Ich schlang mein Brötchen hinunter und trank meinen Kakao in einem Zug aus. „Fertig!“, rief ich meiner Tante mit einem verschmitzten Lächeln entgegen. Diese verdrehte nur die Augen. Keine fünf Minuten später saßen wir im Auto und waren schon unterwegs zur Davenport High für Mädchen.

Wir fuhren gerade auf den Schulparkplatz und mir klappte die Kinnlade herunter. Vor mir stand ein wunderschönes Schloss, anders konnte man dieses riesige Gebäude nicht beschreiben. Vorne war ein wunderschön angelegter Park, in dem sich bestimmt prima die Pausen verbringen ließen. Tante Alice riss mich aus meinen Gedanken:
„Und, gefällt sie dir?“
Ich konnte ihr nicht antworten, weshalb ich einfach nur stürmisch nickte. Sie lachte und fragte dann:
„Soll ich dich noch begleiten, oder willst du alleine gehen?“
Ich dachte darüber nach und beschloss dann, alleine zu gehen.
„Ich gehe alleine!“
„Gut, aber sei vorsichtig. Hab viel Spaß. Ich komme dich dann um Vier wieder hier abholen.“ Ich nickte und stieg mit einem leisen „Danke“ aus.
Tja nun war es soweit, auf in die Höhle des Löwen.
Ich ging Richtung Eingang und spürte sämtliche Blicke auf mir. Ich versuchte, die neugierigen Blicke zu ignorieren und begab mich in Richtung Direktorat um mich anzumelden und meine Unterlagen abzuholen. Ich klopfte an und trat etwas schüchtern ein. Es war ein kleiner gemütlicher Raum, in dem eine kleine pummelige Frau an ihrem Schreibtisch saß und mich mit großen Augen ansah. „Guten Morgen, mein Name ist Anastasia Niquess, und ich bin neu hier.“
„Ha, Miss Niquess. Einen Moment bitte.“
Sie tippte etwas in ihren PC und reichte mir schließlich einen Haufen Zettel und meine Schulbücher.
„Also, das hier ist ein Plan der Schule, das Rotumrandete ist der Bereich, der Mädchen und der Blaue der der Jungenschule, in dem Sie im Übrigen nichts zu suchen haben!“
Sie sah mich streng an und ich nickte.
„Gut, das hier ist Ihr Stundenplan, dies hier Ihre Liste, welche Lehrer Sie in welchem Fach haben, ach ja und das ist die Nummer Ihres Schließfaches und der Code, den können sie aber auch gerne ändern, steht alles hier auf dem Zettel. So, haben Sie noch Fragen?“
„Nein erst einmal nicht.“
„Gut, einen Moment bitte noch, ah hier ist er ja. Diesen Zettel lassen Sie bitte von allen Lehren ausfüllen und geben ihn dann heute Nachmittag wieder hier ab.“ Ich nickte und schaute auf meinen Stundenplan.
Ich hatte meine Eltern zum Glück dazu überreden können, mich in eine altersgleiche Klasse zu stecken, jedoch mit der Bedingung, dass ich noch zwei weiter Sprachfächer belegen konnte, neben meinen schon drei vorhandenen. Somit belegte ich eigentlich alle Fächer, die diese Schule anbot. Naja ich wollte halt einmal so normal wie möglich sein. Leider war dadurch meine Freizeit sehr begrenzt. Aber das würde schon irgendwie gehen.

Ich hatte jetzt Astronomie bei Mr. Edwards. Na da war ich mal gespannt, denn dieses Fach kannte ich von Zuhause nicht. Ich machte mich auf die Suche nach Zimmer OG507. Laut meinem Plan befand sich dieser Raum ganz oben. Nach endlosem Suchen hatte ich nach geschlagenen 20 Minuten auch endlich meinen Astronomie Raum gefunden. Ich klopfte an und betrat nach einem „Herein“ etwas unsicher den Raum. Nicht nur, dass ich jetzt die ‚Neue‘ war, nein ich musste auch noch zu spät kommen.
„Entschuldigen Sie die Verspätung. Mein Name ist Anastasia Niquess und heute ist mein erster Tag hier und habe mich ganz klassisch verlaufen.“ Ich zuckte verlegen mit den Schultern.
„Nun gut Miss Niquess, mein Name ist Mr. Edwards und ich bin Ihr Lehrer für Astronomie. Würden Sie sich vielleicht kurz vorstellen und etwas über sich erzählen?“ Ich seufzte innerlich leicht genervt auf, wandte mich trotz Allem an die Klasse.
„Ähm, also mein Name ist Anastasia Niquess, nennt mich aber bitte einfach Tia. Ich komme aus Basel und werde erst einmal für ein Jahr diese Schule besuchen. Meine Hobbys sind Musik, Malen, Shoppen und auf Partys gehen. Alles Andere, würde ich sagen, müsst ihr selber herausfinden.“, ratterte ich das übliche Vorstellungszenarium runter und zwinkerte am Schluss frech. Dann wandte ich mich grinsend wieder an Mr. Edwards. Dieser wies mir einen Platz neben einem kleinen dunkelblonden Mädchen in der letzten Reihe zu, nachdem ich ihm meinen Zettel zum Unterschreiben gegeben hatte. Sie hatte ein richtig schönes herzförmiges Gesicht, graue Augen und pinke Strähnen in den Haaren. Als ich mich setzte lächelte das Mädchen mich fröhlich an:
„Hey, mein Name ist Lilia, aber mich nennen alle Lia.“ Ich lächelte ihr ebenfalls zu und sagte:
„Hey, ich bin Tia.“ Wir grinsten beide.
Die Stunde ging wie im Flug vorbei und ich packte meine Sachen zusammen.
„Was hast du jetzt, Tia?“
„Moment Lia, da muss ich auf meinen Plan schauen.“ Ich kramte meinen Stundenplan aus meiner Tasche und schaute nach. Sie sah von oben auf meinen Plan und meinte:
„Wie es aussieht haben wir jetzt zusammen Englisch bei Mrs. Haywood. Aber lass mal sehen.“
„N…“, weiter kam ich erst gar nicht, denn Lia hatte meinen Stundenplan schon in den Fingern. ‚Bitte, bitte lieber Gott lass sie es nicht merken‘ flehte ich in Gedanken. Aber sie merkte es, das sah ich ganz deutlich an ihren weit aufgerissenen Augen.
„Tia, was ist das denn? Willst du mich verarschen? So einen vollen Plan gab es, glaub ich, noch nie. Hast du irgendwann auch mal was anderes vor, außer Schule, oder willst du hier übernachten?“ Ich blickte verlegen auf den Boden und musste noch einmal tief einatmen bevor ich antwortete:
„Bitte gib ihn mir wieder.“, sagte ich kleinlaut dennoch mit klarer Stimme und hoffte inständig, um eine Antwort herum zu kommen. Sie reichte ihn mir, sah mich aber immer noch fragend an.
„Und, bekomme ich nun eine Antwort?“ Sie gab immer noch nicht auf, na großartig. Mensch, Tia, lass dir etwas Gutes einfallen, da du wohl nicht um eine Antwort herum kommen wirst. Ich musste leicht grinsen, sie war genauso dickköpfig wie ich.
„Naja, also JA das eben war MEIN Stundenplan und es gibt bestimmt noch mehr, die einen so vollen haben.“, antwortete ich ihr genervt und hoffte, dass die Sache damit beendet wäre.
„Tia, erstens weiß ich, dass das DEIN Stundenplan war und zweitens gibt es KEINEN, ich wiederhohle, wirklich KEINEN hier, der so gut wie alle Kurse belegt. Hast du überhaupt irgendeinen Kurs nicht?“, fragte sie und verschränkte die Arme vor Ihrer Brust.
Sie wartete immer noch auf eine plausible Erklärung und ich wusste nicht, ob ich ihr die Wahrheit sagen sollte, oder ich mir eine gute Ausrede zu Recht legen sollte. Ich beschloss mir noch bis zur Pause Gedanken darüber zu machen.
„Lia, kann ich dir das vieleicht in der Pause in Ruhe erklären?“
„Ja, aber glaub nicht, dass du mich so schnell los wirst.“, antwortete Lia mir, nahm mich am Arm und wir gingen zu Englisch.

Als wir nach weiteren zwei Stunden in die Mensa kamen, standen Lia und ich gerade an der Essensausgabe, da hörte ich hinter mir jemanden meinen Namen rufen. Irritiert drehte ich mich um, um nachzusehen, wer da nach mir rief. Als ich jemanden mir sehr bekannten winkend auf mich zu laufen sah, musste ich schmunzeln.
„Du kennst Tymon?“, kam es entgeistert von Lia. „Ja“, antwortete ich ihr. Er trug die gleiche Art von Uniform, natürlich anstatt des Rockes eine Hose und die roten Applikationen waren bei Ihm in einem wunderschönen Blau gehalten, sie sah richtig edel aus. Tymon erreichte uns, nahm meine Hand, gab mir einen Handkuss und verbeugte sich wieder vor mir.
„Guten Tag, Eure Hoheit.“ Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Lia stand nur mit großen Augen bei uns und ich spürte auch noch andere Augenpaare auf uns ruhen.
„Hallo Tymon. Könntest du mir bitte einen Gefallen tun und mit dieser Verbeugerei aufhören? So langsam finde ich das ja schon ein wenig albern.“, entgegnete ich kichernd.
„Wie Ihr wünscht Eure Majestät.“, und wieder diese angedeutete Verbeugung. Ich verdrehte die Augen und wandte mich wieder zu Lia, die immer noch mit aufgerissenen Augen neben mir stand. Ich nahm sie einfach am Ärmel und zog sie mit zu einem freien Tisch.
Nach gefühlten Stunden, ich hatte mein Mittagessen schon fast aufgegessen, hatte Lia sich wieder gefangen und sah mich ungläubig an. „Tia, sag jetzt bitte nicht, dass du IHN kennst.“, flüsterte sie entsetzt.
„Doch, er hat mich letzte Woche morgens beim Joggen angesprochen und wir haben uns kurz unterhalten, warum?“
„Er hat dich angesprochen?“ Lia schien es die Sprache verschlagen zu haben.
„Äh Lia, Erde an Lia“, ich fuchtelte wie so eine Wilde mit der Hand vor ihrer Nase herum. Als Lia nach gefühlten zwei Stunden wieder reagierte, hatte ich es mittlerweile aufgegeben, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen und angefangen zu essen.
„Er, er hat dich angesprochen? Da musst du ja einen richtigen Glückstag erwischt haben, der redet nie mit uns Mädels und selbst bei den Jungs nur mit seinen zwei Kumpels.“
„Na ich fand, dass er eher ne Quasselstrippe ist.“ Lia schien das nicht ganz verkraften zu können, schüttelte den Kopf und fing an zu essen. Nach einigen Minuten fragte sie mich doch noch:
„Gut, aber jetzt mal zurück zu deinem Stundenplan. Ich möchte da jetzt mal ne Erklärung.“, und Puff war die Hoffnung, dass sie es vergessen haben könnte dahin.
„Wie, ne Erklärung für Deinen Stundenplan?“, mischte sich nun auch Tymon ein, als er sich gerade zu uns an den Tisch gesellte. Ich verdrehte schon wieder meine Augen. Na ganz toll, der hatte mir ja gerade noch gefehlt.
„Nix ist damit“, versuchte ich das Thema zu umgehen, doch ich hatte meine Rechnung ohne Lia gemacht.
„Na, Tia hat, glaub ich, jeden Kurs belegt, den unsere Schule anbietet und ich wollte von ihr wissen, warum. Ich finde das doch etwas seltsam.“
„Du hast wirklich alle Kurse belegt?“, fragte nun auch Tymon.
„Mein Gott JA, und was ist daran jetzt sooo schlimm?“, antwortete ich schon langsam etwas genervt.
„Entschuldigt, Majestät, ich habe nur aus Neugier gefragt. Ich hab noch nie gehört, dass jemand so viele Kurse hatte oder hat, nicht einmal bei uns Jungs.“, meinte Tymon.
„Na ich hab´s halt und warum ist und bleibt meine Sache. Verstanden?“ Ich stand auf und ging raus in den Hof, atmete einmal tief ein und wieder aus. Ich suchte mir einen abgelegenen Platz unter einem Baum, lehnte mich an dessen Stamm und schloss meine Augen, um mich besser zu beruhigen und in Ruhe nachdenken zu können.
Toller erster Schultag, dachte ich genervt. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Wie konnte ich nur hoffen, dass nie jemand etwas von meinen vielen Kursen mitbekam? Wie sollte ich das bloß Lia und Tymon erklären, ohne gleich als Schlaumeier, Klugscheißer oder sonst Irgendetwas dargestellt zu werden? Sollte ich die Wahrheit sagen oder doch besser lügen? Ich wusste es einfach nicht.
Plötzlich hörte ich Schritte auf mich zukommen und öffnete meine Augen, um zu sehen wer es war. Es war Tymon.
„Hey, entschuldigt, Eure Hoheit. Ich wollte Euch nicht verärgern.“
„Ist schon gut, ich dachte nur, ich könnte mich um diese Fragen noch etwas drücken. Und bitte, hör mit diesem förmlichen Gerede und diesem Hoheit Gedöns auf. Warum machst du das denn? Ich bin keine Hoheit, oder sonst irgendwas Adeliges. Also sag einfach du oder Tia.“
„Entschuldige, es ist einfach die Macht der Gewohnheit.“
„Macht der Gewohnheit?“, ich schaute ihn etwas verwirrt an.
„Oh, du weißt es noch gar nicht. Entschuldige.“
„Kannst du nicht mal aufhören, dich die ganze Zeit zu entschuldigen und mir das erklären?“
„Das kann und darf ich leider nicht. Aber Ihr werdet es bald selber herausfinden. Verratet mir lieber warum Ihr so viele Kurse belegt habt.“ Er hatte sich mittlerweile neben mich gesetzt und sah mich jetzt erwartungsvoll an.
„DU…Himmel Herr Gott nochmal, was ist daran so schwer?“, fuhr ich ihn an, ließ ihm aber gar keine Wahl, etwas zu erwidern da ich gleich weiter redete. Diesmal aber wieder in normaler Lautstärke. „Ich weiß nicht…“, gab ich etwas kleinlaut zu. „Ich will nicht schon wieder unter den ganzen Vorurteilen leiden, ich will doch einfach nur ein ganz ‚normales Mädchen‘ sein.“ Ich sah ihn traurig an.
„Also, ein ‚normales Mädchen‘ bist du schon mal nicht, du bist etwas ganz Besonderes und das solltest du nicht verstecken.“, versuchte er mich zu trösten und nahm mich in den Arm. Ich lehnte mich an seine Schulter, diesmal gab es jedoch keinen Stromschlag. Hatte ich mir das nur eingebildet? Ich wollte später darüber nachdenken und wieder ein Punkt mehr auf meiner Liste, sie wurde immer länger. Bald würde ich ein ganzes Buch voll haben, wenn das in dem Tempo weiter ging. In Tymon`s Armen fühlte ich mich an Nick erinnert und mir schossen, ohne dass ich es wollte, die Tränen in die Augen.
„Schsch!“, versuchte Tymon mich zu beruhigen. Ich wischte mir schnell meine Tränen weg und schaute ihn von unten etwas verlegen in seine dunkelbraunen Augen.
„Na willst du mir nicht sagen was los ist?“, fragte er mich ruhig und sanft. Ich überlegte kurz. Was hatte ich jetzt noch zu verlieren? Und meinte dann:
„Nur, wenn du mir versprichst, nichts zu sagen. Du musst es für dich behalten.“
„Versprochen!“
Ich überlegte nochmals kurz, gab mir innerlich jedoch einen Ruck und fing dann an:
„Also, du weißt ja, dass meine Eltern mich hergeschickt haben, damit ich mich nicht mehr so aufmüpfig benehme. Naja, das stimmt zwar, aber den Ausschlag gebenden Teil habe ich dir noch nicht erzählt.“ Ich schaute ihn verzweifelt an und hoffte immer noch, ihm nicht die Wahrheit sagen zu müssen. Für mich war dieser Teil, der für jeden anderen auf der Welt eigentlich lächerlich wäre, schon fast ein Weltuntergang. Ich wollte hier ganz neu anfangen, als ganz ‚normales Mädchen‘. Ich sah ihm an, dass ich dieses Mal nicht um die Wahrheit herum käme. Seufzend sagte ich:
„Ich, ich bin nicht die, die ich vorgebe, zu sein.“
„Und wie meinst du das?“
„Ich, ach Scheiße!“ Ich schüttelte den Kopf und schloss meine Augen. „Ich gehe eigentlich schon in die 11. Klasse und das nicht auf einer normalen Schule wie hier, sondern auf einer Hochbegabtenschule.“, sprudelte es ganz leise aus mir heraus und ich hatte die Hoffnung, er würde es nicht hören. Doch er tat es, denn als ich nach einer Ewigkeit, in der eine komische Stille herrschte, meine Augen wieder öffnete, sah ich, wie seine Augen sich geweitet hatten und er mich ungläubig ansah.
„Und warum gehst du dann hier in die Neunte und nicht auch in die Elfte?“
„Wie gesagt ich wollte ein ganz ‚normales Mädchen‘ sein.“
„Und warum die vielen Fächer?“
„Die Bedingung meiner Eltern, dass ich hier in die Neun darf.“, antwortete ich und schaute auf den Boden. Mir war das alles so peinlich.
Tymon zog mich in seine Arme, als er meine Tränen in den Augen bemerkte und damit brachen in mir alle Dämme, ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Als er mir auch noch beruhigend über den Rücken streichelte, kamen auch noch die Erinnerungen an Zuhause und vor allem an Nick an die Oberfläche, er fehlte mir so sehr. Ich brach in heftiges Geschluchze aus und Tymon zog mich fester an sich und strich mir weiter beruhigend über meinen Rücken. Ich spürte eine wohlige Wärme, die mich überrollte. Wo kam das auf einmal her? Ich beruhigte mich jedoch wirklich langsam und ignorierte es erst einmal, setzte es aber gedanklich mit auf meine Liste.
„Geht’s wieder?“, fragte mich Tymon, nachdem ich aufgehört hatte zu schluchzen und mich langsam endgültig beruhigt hatte.
„Ja, ich denke schon. Ich glaube, wir sollten zu Lia zurück, nicht dass sie sich noch Sorgen macht.“ Und somit gingen Tymon und ich zu Lia zurück. Diese saß unruhig an ein und demselben Tisch, den ich vor einer gefühlten Ewigkeit verlassen hatte. Ich setzte mich betrübt neben sie und sah sie entschuldigend an. „Entschuldige, dass ich einfach so gegangen bin, aber das ist einfach eine persönliche Sache, die ich im Moment noch nicht preisgeben möchte, kannst du das verstehen?“
„Ist schon in Ordnung, ich sollte auch ein ‚Nein’ verstehen können. Mir tut es auch leid.“ Wir sahen uns lächelnd an und nahmen uns überschwänglich in die Arme. Wir zuckten beide merklich zusammen als unser Wangen sich berührten. Mich durchfuhr derselbe kleine Stromschlag, wie schon bei meiner ersten Begegnung mit Tymon. Wir wichen erschrocken von einander zurück. Lia schaute mich verwundert und irritiert an und ich fühlte mich nicht wirklich anders. Als ich mich etwas gefangen hatte, schaute ich ungläubig zwischen Tymon und Lia hin und her. Lia sah ungläubig zu Tymon hinüber, der jedoch Lia wissend zunickte. Bei Lia blitzte Verstehen in ihren Augen auf und sie schienen beide etwas über diese Stromschläge zu wissen. Aber auch Lia schien mir keine Antwort geben zu wollen, als ich fragend zu ihr rüber sah. Ich musste trotz allem fragen:
„Was ist hier los? Ich erwarte eine Antwort und zwar sofort!“ Mein Ton ließ keine Widerrede zu.
„Wir dürfen Euch nichts sagen Eure Hoheit.“, meinte Lia zu mir. Ich verdrehte genervt meine Augen und sagte sauer:
„Ihr wisst etwas und sagt es mir nicht, weil ihr nicht dürft? Was ist das denn für ein Scheiß?“
„Wir dürfen einfach nicht, Hoheit“, meinte Lia noch einmal betreten.
„Das habe ich Tymon schon gesagt und dir sage ich es nur noch einmal: HÖRT MIT DIESEM HOHEITS BLÖDSINN ENDLICH AUF!“ Ich war mittlerweile richtig sauer. Tymon nahm mich in den Arm und versuchte, mich wieder zu beruhigen.
„Tia beruhige dich. Wir würden es dir ja wirklich erklären, dürfen es dir aber nicht sagen, versteh doch bitte.“
„Nein, ich hasse Geheimnisse. Und ich verstehe das nicht. Ich glaube es ist besser, wenn ich jetzt gehe, bevor…“, mit diesen Worten stand ich auf und ging zu meiner nächsten Stunde. Den Rest des Tages ignorierte ich die beiden und war froh, als die Schulglocke die letzte Stunde beendete und ich zu Tante Alice ins Auto steigen konnte. Zu Hause verschwand ich in meinem Zimmer, schloss die Tür ab und musste erst einmal über alles in Ruhe nachdenken. Ich war Alice und Mat dankbar, dass sie meine Stimmung scheinbar gesehen hatten und mir meine Zeit ließen, die ich brauchte.

Kapitel 5 Wutausbruch

„Scheiß Ding, gleich schmeiß ich dich aus dem Fenster!“, schrie ich meinen Laptop wutentbrannt an. Sofort hörte ich, wie jemand die Treppe herauf kam. Ich verdrehte meine Augen. Es konnte nur Alice sein, die scheinbar wieder einmal Angst um mich hatte.
Gut, ich konnte es irgendwie ja auch verstehen, doch so langsam wurde es lästig.

 

Seit dem Vorfall vor vier Wochen mit Lia und Tymon, war ich nicht mehr ich selbst. Ich grübelte viel, sprach nur das Nötigste, hatte schon bei der kleinsten Kleinigkeit einen Wutausbruch und selbst meine wenigen, und kurzen Telefonate mit Nick konnten mich nicht aufheitern, sondern brachten mich noch mehr zur Weißglut, da er nie Zeit zu haben schien und wenn, dann nur für wenige Minuten. Und selbst Summer schien keine Zeit mehr für mich zu haben. Wirklich tolle Freunde hatte ich da.
JA, ich war einfach mies drauf, um es mal gelinde auszudrücken. Und wenn ich mal keinen Wutausbruch hatte, saß ich an Mat’s Klavier, spielte depressive Musik und dachte über meine Liste und das Geheimnis, was die zwei vor mir verbargen, nach. Denn dass es etwas mit mir zu tun hatte, war mehr als eindeutig.
In der Schule sonderte ich mich ab und ignorierte die Zwei so gut es ging. Was nicht heißt, dass es einfach war, denn das war es ganz und gar nicht. Lia saß in jedem Kurs, den wir zusammen hatten, neben mir und sah mich jedes Mal zerknirscht und traurig an. Tymon gesellte sich in jeder Pause zu mir und hatte denselben Blick aufgelegt wie Lia. Die ersten Tage hatte ich versucht, ihn wegzuscheuchen, doch da hatte er nur gemeint:
„Es ist meine Aufgabe, dich zu beschützen und DAS werde ich unter keinen Umständen unterlassen, auch wenn das heißt, deinen Zorn auf mich zu ziehen. Du wirst mich also nicht los.“
Ich hatte es schließlich seufzend hingenommen und versucht, ihn so gut es ging zu ignorieren.
Ich stürzte mich quasi auf die Schularbeiten, obwohl es mir alles so leicht wie immer fiel, selbst Chinesisch konnte ich nach lächerlichen zwei Wochen fast perfekt sprechen und schreiben, was meine Lehrerin Mrs. Li verblüffte. Doch sie war nicht die Einzige, alle meine Lehrer waren es und ich hasste es. Es war doch immer dasselbe.
Tante Alice sah wirklich immer besorgter aus und ich wusste, dass sie täglich mit meinen Eltern sprach.
Ich hatte gehofft, wenigstens meine nächtlichen Albträume verheimlichen zu können, doch das gelang mir nicht, ich sah es jeden Morgen in Alice’s Augen.
Dieser fürchterliche Traum überrollte mich jede Nacht und wenn er so nicht schon schrecklich genug war, nicht zu wissen was das alles zu bedeuten hatte, kamen Tymon und Lia jetzt ebenfalls darin vor. Wie aus dem Nichts tauchten sie auf, standen scheinbar beschützend vor mir, während Nick auf den mysteriösen Mann los stürmte. Ich wachte immer an derselben Stelle schreiend, zitternd und in Schweiß gebadet auf.
Meist konnte ich dann nicht mehr schlafen, ging joggen oder hörte laut Musik. Doch egal wie früh oder spät es war, ich wusste immer, dass Tymon da war. Auch wenn er sich Mühe gab, außer Sichtweite zu bleiben, ich spürte trotz allem seine Anwesenheit. Mir war es jedoch egal, wenn er meinte, er müsste auf mich aufpassen, sollte er.
Bitte, wer nicht hören will muss fühlen.

 

Alice riss besorgt meine Tür auf.
„Ist alles in Ordnung Kind?“
„Jaaa, ist es“, gab ich genervt zurück. Sie sah mich noch einmal traurig an, ging jedoch ohne ein weiteres Wort wieder. Sie wusste mittlerweile, dass sie nicht mehr von mir zu hören bekommen würde.

 
Heute war Donnerstag, und ich würde in zwei Tagen 16. Und ich wünschte ich hätte meinen Geburtstag schon hinter mir.
Als mich Alice heute nach der Schule abholte, sah sie zwar wie jeden Tag besorgt aus, doch irgendwie schien sie etwas besonders zu beruhigen und ich ahnte Schlimmes. Und wie ich doch Recht behalten sollte. In dem Moment, als ich die Tür zu meinem Zimmer aufmachte, hasste ich meine Intuition. Dort stand er, mit dem Rücken zu mir und schaute aus dem Fenster. Als er anscheinend hörte, dass ich scharf die Luft einzog, drehte er sich langsam zu mir um.
„Hallo mein kleiner Engel.“
Ich stand wie angewurzelt in der Tür und wusste nicht so recht, wie ich reagieren sollte. Ja ich freute mich, sehr sogar. Ich spürte sogar, wie mich etwas magisch zu ihm zu ziehen schien. In meinem Magen war ein leichtes Kribbeln zu spüren und als sich unsere Blicke trafen, verfingen wir uns in dem Blick des anderen.
Oh wie sehr ich ihn doch vermisst hatte! Seine wunderschönen dunkelblauen Augen schienen bis auf den Grund meiner Seele zu sehen. Sein wunderbarerer muskulöser Körper, seine starken, beschützenden Arme …
Doch Halt. Was dachte ich da gerade? Ich war sauer auf ihn, sogar so sehr, dass ich ihm am liebsten den Kopf abreißen wollte.
Ich verschränkte meine Arme vor der Brust, zog eine Augenbraue nach oben und fragte genervt:
„Was willst du hier, Nickolas?“
Er sah mich erschrocken an. Ja, wenn ich ihn Nickolas nannte und nicht einmal Nick, war ich so richtig wütend auf ihn und das wusste er.
„Tia, was soll die Frage? Ich hab dich total vermisst und du hast doch in zwei Tagen Geburtstag. Ich wollte dich überraschen. Was hast du? Bist du etwa sauer auf mich? Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?“
Was für überflüssige Fragen, natürlich war ich sauer, das konnte er doch genau sehen.
„Nein natürlich nicht. Wie kommst du denn darauf, dass ich sauer sein könnte? Siehst du nicht das Loch in der Decke?“, antwortete ich sarkastisch. Er kam ein paar Schritte auf mich zu, doch ich gab ihm mit einem ernsten Blick, der sagte ‘komm-mir-ja-nicht-zu-nah‘ unmissverständlich zu verstehen, das bleiben zu lassen, wenn ihm sein Leben lieb wäre und er blieb tatsächlich abrupt stehen. Er wusste nur zu gut, dass, wenn ich einmal sauer war, mit mir nicht mehr gut Kirschen essen war.
„Tia, Schatz es tut mir leid. Ich, ich… ach Scheiße!“ Er sah verzweifelt zu mir und fuhr sich mit der Hand durch sein wunderschönes dunkelbraunes Haar. Halt, Stopp, falscher Ansatz.
„Scheiße, genau es ist Scheiße und es bleibt auch Scheiße. Mein bester Freund hat keine Zeit mehr für mich. Er redet nur das Nötigste mit mir, merkt nicht mehr, wenn es mir so richtig dreckig geht, wofür er mir vor ein paar Wochen noch nicht einmal in die Augen sehen musste. Er sagte mir, er liebt mich und ich wäre sein ein und alles und dann, dann …“
Ich redete mich in Rage, wurde langsam immer wütender und mir stiegen die Tränen in die Augen, doch ich versuchte, sie herunterzuschlucken.
Als ich mich so einigermaßen gefangen hatte, fragte ich mit zittriger, aber dennoch wütender Stimme:
„Also warum bist du hier?“
„Ich hab dich vermisst mein kleiner Engel. Bitte…ich…“, er wollte einen weiteren Schritt auf mich zu machen, hielt aber in der Bewegung inne, als er mir in die Augen sah.
„Vermisst? Du hast mich vermisst? Willst du mich auf den Arm nehmen? Du meldest dich nicht bei mir, bist nicht online und Telefonieren tust du auch höchstens noch 10 Minuten mit mir, wenn überhaupt. Und dann willst du mir weis machen, dass du mich vermisst hast, Monsieur? Also verarschen kann ich mich ganz gut selber!“, schrie ich jetzt schon fast.
„Tia, bitte lass es mich doch erklären?“
„Nein ich habe genug, mehr als genug. Lass mich einfach in Ruhe. Lasst. Mich. Einfach. Alle. In. Ruhe!“ Mir stiegen jetzt doch die Tränen in die Augen. Ich drehte mich um und stürmte aus der Tür. Ich wollte nur noch weg. Weg von meinem besten Freund, weg von den Lügen und Geheimnissen, ich wollte einfach nur noch weg. WEG WEG WEG!
„Tia, bitte warte doch. TIAAAAAAA!“, rief Nick mir nach.
„Lass mich!“, schrie ich und lief schluchzend noch schneller. Ich wollte jetzt allein sein, doch ich wusste, dass mich zum Einen Tymon immer im Auge hatte, sobald ich das Haus verließ und zum Anderen kannte ich Nick gut genug, um zu wissen, dass auch er mir folgen würde. Nach gefühlten Stunden des Umherirrens, war ich irgendwo im Central Park gelandet. Ich brach erschöpft, verzweifelt und Tränen überströmt zusammen.
Hinter mir hörte ich die gedämpften Stimmen von Nick und Tymon, die auf einander trafen.
„Wer bist du und was willst du von Ihr?“ Das war Tymon, wie immer der allzeit bereite Beschützer, um jedes Unheil von mir fernzuhalten. Obwohl ich noch immer sauer auf ihn war, war ich ihm in diesem Moment unendlich dankbar dafür, dass er Nick zurückhielt.
„Wer ich bin? Ich sollte wohl eher fragen was für ein Spacko du bist.“
Typisch Nick, und für den Bruchteil einer Sekunde zog sich mein Mundwinkel leicht nach oben, doch beide konnten es nicht sehen, da ich mit dem Rücken zu ihnen auf der Wiese kauerte. Sie funkelten sich böse an, ich konnte die Funken, die zwischen Ihren Augen hin und her sprühten sogar spüren.
„Hört damit auf, sofort! Seht ihr denn nicht, wie es ihr geht?“ Das konnte doch nicht war sein, jetzt war auch noch zu allem Überfluss Lia dazwischen gegangen. Sie schauten wohl gerade alle zu mir rüber, denn die Stille brach über mich herein.
„Entschuldige, ich bin Tymon. Ich bin …, naja ich passe auf Tia auf.“, sagte er etwas kleinlaut. Es blieb still, und ich spürte Nick ´s Blick auf mir.
„Ihr wisst es. Stimmt´s?“
In mir blieb alles stehen.
Das konnte doch nicht wahr sein.
Mein bester Freund wusste ebenfalls Bescheid und hatte mich all die Jahre angelogen, mit mir gespielt?
War er jemals mein Freund gewesen oder spielte er mir das die ganze Zeit nur vor?
Liebte er mich überhaupt oder war das genauso eine Lüge wie alles andere auch?
Wie konnte ich ihm nur vertrauen? Er wusste alles über mich, restlos alles!
Und er, er hatte Geheimnisse und dann auch noch welche, die mich betrafen.
In mir brach etwas, ich konnte es hören und spürte das Loch in meiner Brust, welches immer größer wurde.
In mir stieg eine so große Wut auf, dass ich mir meine Tränen weg wischte, aufstand und die drei wutentbrannt anstarrte. Ich zitterte vor Wut und konnte mich nur schwer zusammenreißen. Wenn Blicke jedoch töten könnten, wären alle drei sofort tot umgefallen. Alle drei zuckten zusammen, als ich auf sie zu kam. Vor Nick blieb ich wutschnaubend stehen. Er sah mich entschuldigend an. Ich konnte nicht anderes, als ihm mit all meiner Kraft die ich aufbrachte eine Ohrfeige zu geben. Er stolperte drei Schritte zurück und sah mich entsetzt an. Ich schrie, nein ich brüllte:
„Du hast mich all die Jahre angelogen! Du hast mir den besten Freund gemimt, dir mein Vertrauen erschlichen. Und ich dumme Kuh fall auch noch darauf rein. Ich habe dir alles erzählt, wirklich alles. Und DU? Du lügst mich die ganze Zeit nur an? Du liebst mich auch nicht, stimmst´s? Das war auch nur eine Lüge! Dein ganzes Getue, all die Jahre, war nichts als eine riesengroße Lüge!!“ Meine Stimme vibrierte richtig vor Zorn.
„Tia bitte, ich war immer und werde auch immer dein bester Freund sein. Bitte Tia. Ich liebe dich. Ich habe dich nie angelogen, wenn es um meine Gefühle ging. Hörst du ICH LIEBE DICH!“, brachte er mir verzweifelt entgegen und ich konnte die Tränen erkennen, die seine Wangen herunter liefen. Doch es ließ mich das erste Mal kalt. Ich war nur noch sauer und enttäuscht. Doch das stärkste Gefühl war der Hass.
„ICH GLAUBE DIR KEIN WORT! ICH HASSE DICH! HAST DU MICH VERSTANDEN? ICH.HASSE.DICH!“ Ich spürte, wie mir eine einzelne Träne die Wange herunter lief, doch ignorierte ich sie. Ich drehte mich um und wollte gehen, doch ich spürte wie mich jemand am Handgelenk fest hielt. Ich spürte ganz am Rande meines Zornes, ein ganz schwaches Kribbeln. Es konnte nur Nick sein, denn nur er brachte dieses Kribbeln zustande. Wer sollte es auch sonst sein. Ich drehte mich nicht zu ihm um, sondern sah nur hasserfüllt über meine Schulter in sein Gesicht.
„Tia, bitte bleib bei mir! Ich habe doch nur einen Befehl befolgt. Bitte verlass mich nicht. Ich brauche dich, mehr als alles andere auf dieser Welt. Bitte, Ich liebe dich doch. Geh … nicht …bitte.“, flehte er mich Tränen überströmt an. Dieses geheuchelte Freundschaf und Liebe von ihm machte mich noch wütender und ich wusste gar nicht, dass das überhaupt noch möglich war.
„LASS. MICH. LOS!“, fauchte ich ihn regelrecht an, doch er dachte scheinbar nicht daran.
Oh das war ein Fehler. Ein riesengroßer Fehler.
In mir tobte nur so die Wut und sie schien unsagbar an Größe und Stärke zuzunehmen.
In mir zerbrach eine Mauer, ich spürte, wie sich eine Art Energie in meinem Körper ausbreitete und mich innerlich zu erhellen schien.
Lia und Tymon zogen entsetzt die Luft ein und traten ein paar Schritte zurück.
„Sieh doch, ihre Augen!“, hörte ich Lia erschrocken sagen. Nick jedoch ließ meine Hand immer noch nicht los, sondern er verschränkte die Finger seiner Hand mit meinen und mit der anderen Hand hielt er mich immer noch an meinem Handgelenk fest und verstärkte sogar seinen Griff.
Ich spürte wie mir meine Haare ums Gesicht peitschten und die Luft um mich herum zu sirren begann.
„Das ist unmöglich.“, hörte ich Lia’s erstickte Stimme hinter mir. Der Wind um mich herum wurde stärker und langsam spürte ich den Boden unter meinen Füßen nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, zu fliegen und nur Nick’s Hände würden mich davon abhalten, davon zu fliegen.
„Tia, mein kleiner Engel. Bitte, du musst dich wieder beruhigen. Tia … Bitte.“, hörte ich Nick irgendwann sagen. Es drang jedoch nur schwach durch meinen Nebel aus Wut. Doch ich konnte mich nicht beruhigen, es tat noch immer zu sehr weh, zu wissen, dass er mir die ganze Zeit nur etwas vorgespielt hatte. Ich zog an meiner Hand und wollte mich von ihm los machen. Ich ertrug es einfach nicht mehr, von ihm berührt zu werden.
„Lass mich gehen Nick.“, sagte ich zu ihm und versuchte weiter, meine Hand aus der seinen zu lösen.
„Tia bitte ….“
„Nick, ich glaube es ist besser, wenn du mich es versuchen lassen würdest.“, mischte sich nun Tymon ein. Ich bekam ihr Gespräch nur gedämpft mit, da mein Schleier aus Wut alles abschwächte.
„Du? Was willst du denn bitte erreichen, du kennst sie doch gar nicht.“, gab er gereizt zurück.
„Vielleicht nicht so lange wie du, aber seit ich sie das erste Mal sah und wusste, wer sie ist, hab ich sie nicht mehr aus den Augen gelassen. Ich kenne sie nicht so lange wie du, das ist wahr, doch ich glaube, das ist der Grund, warum du es nicht schaffst. Sie ist zu sehr von dir enttäuscht. Schau sie dir doch an. Siehst du nicht, wie tief sie verletzt ist und an allem zweifelt. Zu allem Überfluss überfällt sie jetzt auch noch diese unglaubliche Macht, welche selbst wir uns nicht erklären können. Bitte, lass es mich doch wenigstens versuchen, ich will doch auch nur ihr Bestes.“
„Nein, ich bin ihr bester Freund.“
„Nick, ich glaube Tymon hat Recht, er hat sie beschützt, als du es nicht konntest. Lass es ihn bitte versuchen, wer weiß, was sie alles anstellt, wenn sie ihre Kraft nicht mehr kontrollieren kann.“, mischte sich nun Lia ein. Ich hörte Nick leise aufseufzen und drohend sagen: „Na gut, aber ich warne dich, wenn ihr auch nur irgendetwas passiert, dann Gnade dir Gott. Hast du mich verstanden?“
„Ja, habe ich. Nun gib mir ihre Hand und geh bitte mit Lia wieder zu Tia nach Hause. Ich komme mit ihr nach. Ich verspreche es dir.“
Ich konnte spüren, wie verzweifelt alle drei waren, vor allem Nick, doch scheinbar war er am Ende mit seiner Kraft und gab meine Hand wortlos an Tymon weiter. Als sich seine Finger von meinen lösten, verschwand das wohlige Kribbeln und es entstand eine gewisse Leere in mir. Ich konnte hören und sogar spüren wie die Zwei gingen. Der Wind um uns herum flaute etwas ab, als ich Nick nicht mehr spüren konnte, doch ich schwebte noch immer in der Luft.
„Tia, Hoheit. Bitte, wenn Ihr mich hören könnt, schaut mich doch bitte an.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich auf ihn hören sollte, doch so langsam bekam ich Angst. Was passierte hier nur gerade mit mir? Das war auf jeden Fall nicht mehr normal. Ich hatte das Gefühl, jetzt, wo Nick nicht mehr in meiner Nähe war, wieder klare Gedanken fassen zu können.
„Eure Hoheit, bitte schaut mich an.“
Ich gab nach und schaute Tymon Tränen überströmt in die Augen. Sie waren jedoch jetzt anders als vorher, sie hatten nicht mehr dieses schöne Dunkelbraun, sondern glühten golden. Wie hatte er das bloß gemacht?
„So ist´s gut, genau, schaut mich an. JA, gut und nun versucht Euch bitte zu beruhigen, ja? Es wird alles wieder gut, das verspreche ich.“
„Nichts wird wieder gut. Mein ganzes Leben basiert auf einer Lüge!“, schrie ich und der Wind um mich herum frischte wieder auf.
„Doch, Prinzessin, es wird alles wieder gut. Bitte vertraut mir, ich werde Euch alles erklären, aber zuerst müsst Ihr Euch beruhigen. Ihr verbraucht Eure gesamte Energie, wenn ihr so weiter macht dann fallt Ihr in ein Koma. Wollt Ihr das?“
Nein, das wollte ich nicht. Aber wie sollte ich mich denn bitte schön beruhigen? In meinen Gedanken stand alles auf dem Kopf.
„Tymon, ja, aber wie? Ich weiß nicht wie!“
Jetzt war ich verzweifelt und mich überflutete Angst und Trauer. Ich spürte, wie auch der Wind um mich herum schwächer wurde.
„Tia, schaut mir in die Augen.“
Ich tat was er sagte.
„Gut, und nun lasst mich Euch in den Arm nehmen. Bitte. Ihr müsst weiter in meine Augen sehen und mich zu Euch herauf holen.“
„Zu mir herauf?“, fragte ich entsetzt und schnappte nach Luft. „Aber wie? Ich weiß ja noch nicht einmal wie ich hier hoch gekommen bin.“
„Ihr kontrolliert den Wind um Euch herum, Hoheit. Versucht ihn auch um mich zu lenken, und dann hebt ihr mich einfach zu Euch nach oben, Ihr schafft das. Ich vertraue auf Euch. Ihr seid stark, sehr stark sogar. Versucht es. Ihr müsst Euch nur konzentrieren.“
Konzentrieren war einfacher gesagt als getan, in meinem Kopf sprangen all meine Gedanken hin und her. Doch ich musste es einfach schaffen. Ich sah in Tymon’s Augen und sah, wie besorgt er um mich war, aber halt Tia, konzentrier dich auf den Wind. Ich versuchte es, doch ich konnte ihn nicht erfassen.
„Es klappt nicht, Tymon. Ich schaffe es einfach nicht.“
„Doch Ihr könnt es. Ich weiß es, es ist Eure Bestimmung. Versucht es weiter. Schließt Eure Augen. Konzentriert Euch auf den Wind, der Euch umgibt, und dann müsst Ihr mich aufspüren. Ich weiß, Ihr könnte mich spüren. Also versucht Euch zu konzentrieren, bitte.“
Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich. Eine Zeitlang geschah gar nichts und als ich schon aufgeben wollte, da spürte ich ihn, den Wind. Er wirbelte wie ein Tornado um mich herum. Wisperte und schien mir ununterbrochen etwas zuzuflüstern, was ich jedoch nicht bewusst greifen konnte. Und da, in mir, war dieses Leuchten und ein farbiges Licht, welches eine Silhouette umhüllte. Ich versuchte, beides zu fassen.
Ja, da, ich spürte Tymon in dem farbigen Licht und wie der Wind um ihn herum wehte. Ich versuchte, mich auf den Wind an seinen Füßen zu konzentrieren. Ich versuchte, dem Wind zu zeigen oder zu sagen, was er zu tun hatte, in der Hoffnung es richtig zu machen. Und plötzlich spürte ich, wie sich zwei starke Arme um mich schlangen. Ich öffnete meine Augen wieder und sah in ein goldenes Augenpaar.
„Tymon!“, japste ich und ließ meinen Kopf erschöpft auf seine Schulter sinken. „Das habt Ihr prima gemacht, Eure Hoheit. Ich bin stolz auf Euch.“
„Tymon?“
„Ja, Eure Hoheit?“
„Wann hörst du endlich auf, mich Hoheit zu nennen und sagst gefälligst Tia?“ Ich hörte, wie er versuchte, ein Schmunzeln zu unterdrücken, was ihm jedoch nicht gelang, den ich konnte das leichte Vibrieren in seiner Brust spüren.
„Endschuldige, Tia, es wird nicht mehr vorkommen. Und nun beruhige dich. Ich bin bei dir.“
Meine Tränen fanden nun endgültig den Weg nach draußen und ich konnte sie nicht mehr zurück halten. Wenn wir nicht schweben würden, wäre ich in seinen Armen zusammen gebrochen. Er streichelte mir beruhigend über meinen Rücken und da war sie auch schon wieder, diese wohlige Wärme, welche sich von seiner Hand in meinem gesamten Körper zu verteilen schien. Somit schaffte Tymon es, mich in kürzester Zeit zu beruhigen. Der Wind um uns herum flaute immer mehr ab und wir sanken langsam auf den Boden. Als ich den Boden mit meinen Füßen berührte, gaben diese nach und ich fiel. Zwei starke Arme fingen mich zum Glück jedoch auf.
„Alles ist gut, Tia. Entspann dich. Schlaf ein wenig, du musst wieder zu Kräften kommen. Ich werde dich jetzt erst einmal nach Hause bringen. Die anderen machen sich bestimmt schon große Sorgen um dich.“ Ich spürte noch, wie er mich auf den Arm nahm und wir losgingen.
„Tymon?“, fragte ich ihn schon halb im Schlaf.
„Ja?“
„Bitte, lass mich nicht alleine.“ Ich bekam sein: „Ich bleibe solange wie du willst.“ schon gar nicht mehr mit, ich war bereits im Reich der Träume.
Ich fiel in einen unruhigen, aber zum Glück traumlosen Schlaf.

Kapitel 6 Fragen über Fragen

Als ich aufwachte, war es noch dunkel draußen. Ich konnte es nicht glauben, ich hatte das erste Mal seit ich hier bei Tante Alice war, eine Nacht durchgeschlafen und war nicht durch meinen immer wiederkehrenden Traum schreiend aufgewacht.
Jedoch erschrak ich im ersten Moment etwas, da ich beim Wachwerden von zwei Armen festgehalten wurde. Wider Erwarten fühlte ich mich trotz allem wohl und kuschelte mich etwas näher an den wärmenden Körper, der neben mir im Bett lag und bettete meinen Kopf auf die Brust meines Bettgesellen, ohne jedoch die Augen zu öffnen. Ich wollte den Moment der Ruhe noch eine kurze Zeit genießen.
In meinem Kopf jedoch tanzten die Gedanken nur so. Langsam drangen die Erinnerungen des gestrigen Abends wieder in mein Gedächtnis und ich versteifte mich unmerklich. Mein Gegenüber schien es jedoch bemerkt zu haben, denn ich wurde in eine noch festere Umarmung gezogen und spürte, wie mir jemand beruhigend den Rücken streichelte. Ich konnte spüren, dass es Tymon war, der mich im Arm hielt. Er war also meiner Bitte doch nachgekommen und hatte mich nicht alleine gelassen. Ich fing an zu schluchzen, da mich die Wucht der Ereignisse von gestern nun endgültig eingeholt hatte.
„Schhh, mein kleiner Wirbelwind, alles wird gut. Das verspreche ich dir.“
„Versprich mir nichts, was du nicht halten kannst, Tymon. Davon hab ich die Nase voll.“, gab ich ihm flüsternd, jedoch resigniert zurück. Er schob mich etwas von sich, um mir in die Augen sehen zu können:
„Das würde ich nie tun, Eure Hoheit.“
Ich konnte in seinem Blick sehen, dass er es ernst meinte. Ich nickte nur und legte meinen Kopf wieder auf seine Brust.
Ich musste wohl noch einmal eingeschlafen sein, denn ich wurde durch den nervigen Piepton meines Weckers geweckt. Ich wollte noch nicht aufstehen, ich vergrub mein Gesicht in der Armbeuge von Tymon und zog mir die Decke über den Kopf.
„Morgen, mein kleiner Wirbelwind. Willst du nicht aufstehen? Wir müssen in die Schule.“, sagte Tymon sanft an meinem Ohr und zog mir die Decke wieder vom Kopf.
„MHHHHHH, will nicht!“, murrte ich und vergrub mein Gesicht noch tiefer in seiner Armbeuge.
„Komm schon, Tia, Lia reißt mir den Kopf ab, wenn ich dich nicht mitbringe und glaub mir, das schafft sie.“, sagte er mit solch einem ernsten Unterton, welcher bewirkte, dass ich meinen Kopf abrupt hob, um ihm in die Augen zu schauen. Er meinte es wirklich ernst, das konnte ich sehen und auch spüren. Ich nickte nur und legte meinen Kopf wieder auf seine Schulter.
„Tymon?“
„Ja?“
„Darf ich dich was fragen?“
„Sicher“
„Kannst du mir sagen, was das gestern war?“
„Nein leider nicht. Da bin ich überfragt, aber es wird sich alles klären.“
Wieder nickte ich nur und hing meinen eigenen Gedanken nach. Nach ungefähr zehn Minuten raffte ich mich mit einem Seufzer und schweren Herzens auf und verschwand im Bad. Nach einer ausgiebigen Dusche, ging ich mit meiner kompletten Schuluniform bekleidet in mein Zimmer und blieb erschrocken stehen.
Vor mir stand Tymon nur mit Boxershorts bekleidet. Er hatte mir den Rücken zugedreht und war gerade dabei, die Hose seiner Schuluniform anzuziehen. Mir fiel ein kleines Mal an seiner Schulter auf, welches mich magisch anzog. Ich merkte nicht, wie ich auf ihn zuging. Kurz bevor ich ihn erreicht hatte, blieb ich stehen und streckte eine Hand danach aus. Das Mal hatte die Form eines kleinen Drachens und irgendwo hatte ich so etwas schon einmal gesehen, das wusste ich hundertprozentig doch wollte mir partout nicht einfallen wo.
Ich konnte nicht anders, wie ferngesteuert hob ich meine Hand, um den kleinen Drachen zu berühren. Als ich ihn mit meinen Fingern berührte, durchströmte mich wieder dieser Stromschlag, doch diesmal gefolgt von einem prächtigen goldbraunen Drachen, welcher vor meinem inneren Auge auftauchte.
Erschrocken zog ich meine Hand zurück und brachte zwei Schritte Abstand zwischen uns. Tymon drehte sich zu mir um und schaute mich wieder mit diesen goldenen Augen an.
„Was … was hat das zu bedeuten?“, und ich merkte, wie mir wieder Tränen in die Augen stiegen, die ich versuchte zu unterdrücken.
Das war einfach alles zu viel. Zu viele Fragen, auf die mir keiner eine Antwort geben konnte oder, besser gesagt, geben wollte.
„Das, Tia, ist nur ein Muttermal, weiter nichts.“, gab mir Tymon reserviert zurück.
„Und das soll ich dir jetzt glauben? Da war schon wieder dieser Stromschlag und sag nicht, dass du ihn nicht auch gespürt hast. Ich weiß es nämlich besser. Und dann das Bild von diesem goldbraunen Drachen, er hatte dieselben Augen wie du jetzt, also sag mir bitte nicht ‘Da ist nichts‘, das glaube ich dir nämlich nicht.“
„Das kann nicht sein, Tia.“
„Doch, ich sehe sie noch immer, genau wie gestern Abend auch schon.“
Er schloss seine Augen und schien sich kurz zu konzentrieren und als er seine Augen wieder öffnete hatte er wieder seine normal dunkelbraune Augenfarbe.
„Tia“, sprach er mit ermahnender Stimme. „Da ist nichts“, setzte er nachdrücklich hinzu und sah mich schon fast bittend an.
Ich nickte resigniert und flüsterte: „Wieder etwas, was mir keiner erklären will; Was ich nicht wissen darf.“ Ich drehte mich um und ging zum Fenster, vor dem ich stehen blieb weil die Tränen sich nun wirklich nicht mehr zurückhalten ließen.
Ich hörte, wie Tymon näher kam, hinter mich trat und mich in seine Arme zog. „Es tut mir leid.“, flüstert er in mein Haar. So leise, dass ich es kaum verstand. „Warum? Warum nur Tymon?“
„Ich weiß es nicht, mein kleiner Wirbelwind. Ich weiss es nicht.“ Er seufzte traurig.
„Ich würde dir so gerne das alles hier ersparen. Ich kann es nicht ertragen, wenn du weinst und doch kann ich nichts sagen.“
„Warum?“
„Ich darf es nicht.“
„Warum?“
„Ich darf es nicht, Tia!“
„Warum?“ Ich spürte wie er sich bei jedem meiner ‘Warums‘ immer mehr versteifte und trauriger wurde. Doch konnte ich nicht aufhören. Ich musste einfach weiter fragen, also fragte ich erneut: „Warum?“
„Tia, bitte, glaube mir, mehr darf ich dir nicht sagen. Vertrau mir einfach, es ist wirklich nichts Schlimmes.“
Ich löste seine Arme von mir, drehte mich zu ihm um und sah ihm ernst in die Augen.
„Nichts Schlimmes? Ihr habt scheinbar alle Geheimnisse vor mir, die zu allem Überfluss auch noch was mit mir zu tun haben. Warum könnt ihr mir nicht endlich mal die Wahrheit sagen? Warum müsst ihr mich immer alle belügen? Ihr wollt, dass ich euch vertraue, aber ihr belügt mich immer nur…warum?“, fragte ich verzweifelt, ließ mich auf den Boden sinken und vergrub meinen Kopf in meinen Händen. „Ich möchte doch nur endlich die Wahrheit wissen…Warum müsst ihr mich alle immer nur belügen?“, flüsterte ich immer wieder verzweifelt vor mich hin. Ich merkte wie aus weiter Ferne, dass ich angehoben und auf mein Bett gelegt wurde. Tymon legte die Decke über mich und nahm mich in den Arm.
„Nicht weinen, mein kleiner Wirbelwind…bitte.“
„Ich kann nicht. Es tut so weh!“
„Tia. bitte!“
„Dann sag mir warum…bitte Tymon“, schluchzte ich an seiner Brust.
„Ich kann nicht…bitte versteh doch. Ich will und kann dich nicht verlieren!“, entgegnete er mir nun fast schon genauso verzweifelt wie ich es war. Und doch versuchte er, mich noch immer zu beruhigen, indem er mir über den Rücken strich, was bei mir nach kurzer Zeit auch langsam Wirkung zeigte und ich mich beruhigte.
„Aber du verlierst mich doch nicht.“
„Doch das würde ich. Die Altehrwürdigen…“, er brach abrupt ab, biss sich auf die Unterlippe, ganz so, als ob er etwas gesagt hätte, was er nicht durfte.
Ich blickte zu ihm hoch und sah ihn fragend, bittend und abwartend an. In der Hoffnung, er würde mehr sagen, was er jedoch nicht tat.
„Tymon...“ Doch er legte mir einen Finger an die Lippen und brachte mich so zum Schweigen.
„Bitte sprich es nicht aus.“
„Warum?“
„Weil ich dich nicht verlieren will; es nicht kann. Weil du mein Licht bist. Weil du mich am Leben erhältst. Weil du meine tingilya bist nin taririn. Weil…“, doch ihm versagte die Stimme und eine einzelne Träne schlich sich aus seinem Augenwinkel die Wange hinunter.
„Schhh, ist schon gut. Ich bin still. Versprochen!“, flüsterte ich. Meine Hand ging ganz von alleine zu seiner Wange und strich die Träne weg. Danach umarmte ich ihn fest und legte meinen Kopf wieder an seine Brust.
So saßen wir eine gefühlte Ewigkeit auf meinem Bett und gaben uns gegenseitig Halt. Ich bemerkte nicht, wie mir wieder Tränen die Wangen hinunterliefen. Tymon jedoch schon, denn er schob mich etwas von sich und wischte sie weg. Der Blick, den er mir dabei schenkte, war so voller Trauer aber auch so unglaublich liebevoll, dass es mir ganz warm ums Herz wurde.
Wir kamen uns langsam näher, ließen unseren Blick nicht los und Tymon flüsterte: „Vertrau mir. Ich bin immer bei dir, lasse dich nie alleine und beschütze dich, tingilya.“
Dann kamen seine Lippen meinen näher, er sah mir noch ein letztes Mal in die Augen und dann lagen seine Lippen auf den meinen. Erst war ich etwas erschrocken, doch dann erwiderte ich den Kuss, welcher so unglaublich sanft und voller Liebe war. Und doch fühlte er sich nicht vollkommen richtig an. Dennoch konnte ich mich nicht von Tymon lösen, sondern ließ zu, dass er mich näher zu sich zog und unseren Kuss vertiefte.
Ich bekam nur ganz am Rande mit, dass meine Zimmertür aufging, ein tiefes Knurren erklang und kurz darauf die Tür mit einem tosenden Knall wieder zugeschlagen wurde. Dieser Knall löste meine Starre und ich schob Tymon sanft, jedoch bestimmt von mir. Ich sah ihn entschuldigend an.
„Es tut mir leid, aber…“
„Ist schon gut, ich habe es mir schon gedacht, erst recht nach deinem Ausraster gestern. Doch ich wollte wenigstens den Versuch wagen. Hätte ich es nicht getan, hätte ich es wohl ewig bereut nin taririn.“
„Was meinst du damit?“
„Du liebst Ihn… Ihr seid füreinander bestimmt. Man sieht es nicht nur, man kann es praktisch in der Luft spüren, wenn ihr im selben Raum seid.“
„Das stimmt doch gar nicht… er ist nur ein Freund. Mein bester Freund, mehr nicht.“
„Bist du dir da wirklich sicher?“, fragte er mich zweifelnd und blickte mir tief in die Augen.
Ja, war ich mir da wirklich sicher?
„Na los, geh schon, klär es mit ihm. Und egal was dabei rauskommt… denk daran, du kannst immer zu mir kommen, ich bin für dich da, nin taririn!“
Ich sah ihn dankbar an, gab ihm noch einmal einen sanften Kuss und sprang aus dem Bett.
In der Küche fragte ich Alice, wo Nick sei.
„Der ist wutentbrannt raus gestürmt. Was ist denn passiert? Erst das gestern und jetzt das hier…“
„Wenn ich das wüsste…“, sagte ich mehr zu mir selbst als ich schon im Gehen war. Denn nachdem ich gehört hatte, dass er raus ist, war ich schon auf dem Weg zur Tür. Kurz überlegte ich, wo er hin sein könnte und rannte dann, mich auf mein inneres Gefühl verlassend, los. Nach kurzer Zeit konnte ich seine Aura deutlich spüren und beschleunigte meine Schritte noch einmal. Als ich völlig erschöpft an der Hoe Road ankam, sah ich ihn auf einer Bank sitzen. Ich näherte mich langsam und wusste nicht, was ich sagen sollte, also setzte ich mich einfach neben ihn. Nick blickte mich nicht einmal an, als ich mich setzte, sondern fragte nur eiskalt:
„Was willst du?“
„Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht… ich musste dir einfach nach.“, erwiderte ich zerknirscht und blickte auf meine Hände. Wir schwiegen beide eine Weile bis ich mich dazu durchringen konnte, die erdrückende Stille zu durchbrechen.
„Vielleicht sollten wir mal reden?“
„Was gibt es da zu reden? Das, was ich gesehen habe, sagt mehr als tausend Worte.“, gab er mit vor Wut zitternder Stimme zurück.
„Aber es war…“
„…nicht so wie es aussah? Das kannst du stecken lassen, Tia. So wie ihr aneinander geklebt habt….“
„Ja wir haben, wie du es so schön ausdrückst‚ aneinander geklebt“, erwiderte ich und spürte, wie die Wut wieder in mir hoch stieg. „Und ich konnte nicht aus eigener Kraft aufhören, das stimmt auch.“ Ich musste eine kleine Pause machen, denn das, was ich jetzt sagen würde, wollte ich mir selber nicht eingestehen:
„A… aber es fühlte sich einfach… einfach nicht richtig an.“, entgegnete ich flüsternd und blickte ihn schüchtern von unten an. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah er mich endlich an und hatte eine Augenbraue hochgezogen:
„Und das soll ich dir jetzt einfach so glauben?!“ Er zog erwartungsvoll seine Augenbraue noch weiter nach oben.
„Ja, bitte…“, flüsterte ich noch leiser.
„Nenn mir nur einen Grund, warum ich das tun sollte…nur einen Tia.“, fragte er mich schon fast verzweifelt.
„Ich weiß es nicht, Nick, wirklich nicht. Ich kann dir nur sagen, wie ich es empfunden habe und aus irgendeinem Grund ist es mir wichtig, dass du es weißt.“ Ich musste tief ein- und ausatmen bevor ich weiter sprach:
„Um mich herum fällt gerade alles zusammen, Nick. Ich habe das Gefühl, aus einem Netz von Lügen aufgewacht zu sein. Ihr alle belügt mich, verlangt von mir, dass ich euch vertraue, es alles so hinnehme, als wäre nichts gewesen. Das kann ich nicht und das weißt du besser als jeder andere hier. Ich habe das Gefühl, in den unbeantworteten Fragen in meinem Kopf zu ertrinken. Ich kann nicht mehr, kannst du das nicht verstehen? Ich klammere mich gerade an den letzten Strohhalm der mir geblieben ist, ohne zu wissen warum, wieso und weshalb das alles gerade mit mir geschieht. Und dann kommst du einfach so daher und bringst alles nur noch mehr durcheinander. Du, mein bester Freund, der für mich bisher immer mein rettender Anker war, an den ich mich klammern konnte. Und jetzt habe ich das Gefühl, trotz euch allen um mich herum, alleine da zu stehen, mit all den Lügen.“ Ich bemerkte gar nicht, wie meine Stimme immer verzweifelter geworden war und mir die Tränen leise und unaufhörlich die Wangen hinunter liefen.
„Du kennst mich besser als jeder andere. Wir waren mal unzertrennlich. Wussten was der andere dachte nur wenn wir uns angesehen haben. Was ist da bloß passiert? Warum lässt du mich allein? Warum belügst du mich? Und verdammt noch mal warum redest du jetzt nicht mit mir?“ fragte ich und brach in mich zusammen.
Nick saß noch immer reglos neben mir und sah mir nur tief in die Augen.
Das war doch zum verrückt werden. Was war hier bloß los???
Ich bekam wieder dieses Gefühl das sich uns jemand bekanntes näherte. Als ich aufschaute und meinen Tränenschleier versuchte wegzublinzeln, erkannte ich eine blonde Mähne mit pinken Strähnen welches eilig auf uns zu rannte. Lia. Bei uns angekommen ging sie vor mir in die Knie und zog mich ohne ein Wort einfach in die Arme, wo ich nur noch mehr zu weinen anfing.
Warum war nur alles so kompliziert geworden?
Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, bemerkte ich leises Gemurmel. Immer mehr Wortfetzen drangen zu mir durch. So wie es aussah, macht Lia Nick gerade ziemlich rund, weil ich hier so aufgelöst saß. Sanft aber bestimmt schob ich Lia etwas von mir, wischte mir die Tränen aus den Augen und schaute Lia an. Diese blickte noch immer böse zu Nick, der irgendwie traurig, enttäuscht und wütend zu mir rüber sah.
„Lia, schaust du mich mal bitte an?“ Zu meiner Verwunderung sah sie auch gleich zu mir. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von wütend zu mitfühlend.
„Lia, bitte hör auf, Nick so rund zu machen. Er kann nichts dafür. Ganz im Gegenteil, ich habe ihm wehgetan. Also bitte lass ihn.“
„Aber du bist so aufgelöst und…und...“
„Nichts und Lia. Ich bin einfach fertig. Mir wird das alles zu viel. Zu viele unbeantwortete Fragen, zu viele Ungereimtheiten und ihr alle scheint etwas zu wissen und wollt mir nichts sagen.“
„Tia, von wollen ist nicht die Rede…wir dürfen nicht. Ach, Mann, das ist doch alles so…grrrrrrrrrr!“ Lia fuhr sich in die Haare und raufte sie sich.
„Komm wir müssen in die Schule.“, sagte sie auf einmal bestimmt und zog mich einfach hinter sich her. Einen letzten verzweifelten Blick auf Nick werfend stolperte ich ihr hinterher, blieb dann jedoch abrupt stehen, zog sie zu mir herum und sah sie fragend an.
„Lia was soll das?“
„Komm jetzt!“, und damit zog sie mich einfach weiter.
Wo nahm sie nur diese Kraft her?
Als wir endlich an der Schule ankamen, stand Tymon vor dem Tor und hielt mir mit einem aufmunternden Lächeln meine Schultasche entgegen.

In der Mittagspause saßen Tymon, Lia und ich wie am ersten Tag zusammen am Tisch in der Mensa und schwiegen uns an. Jeder von uns schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Plötzlich kamen zwei hochgewachsene und wirklich gut aussehende Jungs auf unseren Tisch zu. Wie in letzter Zeit schon öfter, spürte ich ihr Näherkommen noch ehe sie in meinem Blickfeld auftauchten.
Der eine, ich schätzte er war einen Kopf größer als ich, hatte schwarze Haare und grüne Augen, welche mich an eine Wiese im Sommer erinnerten und seine Schultern waren so breit, dass Lia und ich uns locker nebeneinander hinter ihm hätten verstecken könnten. Der anderen schätzte ich auf meine Größe, er hatte eine unglaublich helle Haut, blaugraue Augen, die aufmerksam umherhuschten und rotbraune Haare.
„Hey, Tymon, willst du uns nicht endlich mal die zwei süßen Schnecken vorstellen, die du uns seit Wochen vorziehst?“, fragte ihn der Schwarzhaarige „Halt die Klappe Adrian und benimm dich mal lieber. Du hast keine Ahnung, wem du hier gegenüber stehst.“, fuhr Tymon ihn so wütend an, dass Lia und ich zusammen zuckten.
„Mensch, Alter, was ist denn in dich gefahren?“, fragte nun der andere.
„Wirst du noch sehn, Lieke.“, gab Tymon schon etwas besänftigter zurück, bevor er sich an Lia und mich wendete: „Tia, Lia, darf ich vorstellen: Adrian und Lieke. Lieke, Adrian das sind Tia und Lia.“ Mit einer kurzen Handbewegung zu der jeweiligen Person beim Namen befand Tymon die Vorstellung wohl als beendet, da er seine Freunde fragend ansah. Diese jedoch ignorierten ihn und widmeten sich uns Mädels.
`Oh ha´ dachte ich mir nur `zwei Möchtegern Machos der Sonderklasse´
Und es fing auch gleich in Form eines grünäugigen schwarzhaarigen Kerls an. „Meine Damen, darf ich mich ihnen vorstellen. Ich bin Adrian, stets zu Diensten.“, stellte er sich zwinkernd vor. Zuerst nahm er Lias Hand und hauchte ihr einen Handkuss auf den Handrücken. Bei dieser schlich sich auch gleich ein rötlicher Schatten über die Wangen. Innerlich verdrehte ich bereits die Augen, das konnte noch lustig werden. Nach Lia folgte nun bei mir dieselbe Prozedur, nur mit dem Unterschied, dass mich bei der ersten Berührung ein Stromschlag durchfuhr.
`Na toll, noch einer mehr. Hört das auch irgendwann wieder auf?´
In Adrians Augen blitze kurzer Unglauben auf. Er blickte fragend zu Tymon der nur kurz wissend nickte. Fast gleichzeitig verbeugte Adrian sich vor mir und begrüßte mich mit: „Euer Hoheit, es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen.“ Genervt verdrehte ich die Augen und entgegnete nur: „Tia, und jetzt verzieh dich!“ Völlig entgeistert sah er zuerst mich und dann Tymon an. Dieser grinste nur und zuckte mit den Schultern.
Lieke hatte das Ganze interessiert beobachtet und reichte nun kurz Lia die Hand und drehte sich dann zu mir um. Und, wie sollte es anders auch sein, als sich unsere Hände berührten, durchströmte mich wieder der altbekannte Stromschlag. Zu meiner Verwunderung blieb Lieke jedoch ruhig, nickte mir kurz zu und meinte: „Freut mich, dich endlich kennenzulernen, Tia.“
`Ahhh, da hatte wohl jemand eine ziemlich schnelle Auffassungsgabe. Mal sehen wie lange noch.´
„Jetzt weiß ich auch, warum unser lieber Tymon sich in letzter Zeit bei uns kaum noch blicken lässt“, dabei grinste er Tymon schelmisch an und setzte sich ganz frech einfach neben mich. Adrian hatte sich immer noch ziemlich perplex uns gegenüber zu Tymon gesetzt.
„So, und nun würde mich doch mal interessieren, was so eine Schönheit wie dich hierher verschlägt.“ Und Peng war der erste gute Eindruck dahin. Aber ich dachte mir, 'ein bisschen Spaß kann ja nicht schaden…sie wollten es ja so´
Nach einem kurzen Blick zu Tymon, der mich schon wissend anlächelte, drehte ich mich zu Lieke herum und lächelte ihn mit meinem besten naiven Mädchenlächeln an. „Ach weißt du, mein Süßer, ich hab mich einfach so sehr gelangweilt. Keine vernünftigen und netten Kerle und keiner von denen wollte Spaß haben. Da dachte mir…auf zu neuen Abenteuern und tadaaaaaaa, da bin ich! Und wie es mir scheint, ja nicht umsonst.“
Während ich mir eine Haarsträhne um den Finger wickelte, zwinkerte ich ihm keck zu. Im Augenwinkel sah ich, wie Tymon und Lia versuchten, sich das Lachen zu verkneifen und Adrian mich mit großen Augen ansah.
„Uhhh, da kann ich mich ja glücklich schätzen, dass es dich gerade hierher verschlagen hat. Solch eine Augenweide wie dich sehen wir hier selten. Und hey, nette Kerle findest du hier auch. Ich meine jetzt kennst du ja schon mal Adrian, Tymon und mich.“ Sein Zwinkern sagte schon alles und ließ mich innerlich die Augen verdrehen.
„Wirklich? Und ich, ich hatte bisher eher das Gefühl von Idioten und Machos umgeben zu sein. Und um ehrlich zu sein…“
'Ach ja und jetzt die taktische Pause´, Mann, war das schwer, nicht über seinen Gesichtsausdruck zu lachen.
„Jaaaaaaa???“, fragt Lieke auch gleich ungeduldig und in seinen blaugrauen Augen blitzte es kurz auf.
„Um ehrlich zu sein, hat sich das noch nicht geändert.“  Währenddessen sah ich ihn todernst an und jegliches Lächeln war aus meinem Gesicht verschwunden. Perplex sah er mich an, ich jedoch wandte mich wieder meinem Essen zu und aß weiter, ganz nach dem Motto: War was?? Genau das war für Lia und Tymon der Augenblick in dem sie sich nicht mehr halten konnten und lauthals in Gelächter ausbrachen.

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Lektorat: BB/Reini....Danke das du dir das immer wieder antust ;)
Tag der Veröffentlichung: 11.10.2010

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Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner kleinen Familie die mich immer Unterstützt und für mich da ist.

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