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Einführung




Zwei demenzkranke Frauen, die kurz zuvor in ein Pflegeheim aufgenommen wurden, im Gespräch:

„Hier ist es herrlich und gemütlich, aber nicht wie zu Hause.“

„Ich will doch mal eben nachsehen, ob die Jungen zu Hause sind.“

„Wir haben es hier ja so gut! Hier ist es wirklich zu empfehlen.“

„Am liebsten bin ich mit meinen Eltern. Aber man darf nicht klagen, wir müssen froh sein über das, was wir haben. Weißt du, ob meine Mutter da ist?“

„Du musst nur abwarten. Durch das Wegholen weißt du es nicht mehr.“

„Die Leute hier sind zwar nett, aber doch…..“

„Ich geh’ jedenfalls fragen, ob wir nach Hause dürfen. So sind Mütter nun mal: Sie wollen ihre Kinder um sich haben.“

„Meine Kinder sind erwachsen.“

„Ich weiß es nicht. Wo sollten sie jetzt hinkönnen? Ein eigenes Haus haben wir nicht.“

„Ich hab’ in München eine eigene Wohnung. Sie haben auch eine eigene Wohnung.“

„Aber trotzdem will ich auch wieder einmal zu meiner Mutter.“

„Ich will nach München, da wohnen meine Eltern auch.“

„Ich will nach Polen. Ich möchte am liebsten fliegen, rennen, nach Hause, am liebsten zu meinem Vater. Meine Großmutter lebt auch noch.“

„Ich kann nicht so vorausschauen. Das geht nie gut aus.“




Mit der gesprochenen und geschriebenen Sprache können Menschen Erfahrungen, Gefühle, Sehnsüchte und Ideen miteinander teilen.
Kommunikation vermittelt uns ein Gefühl der Verbundenheit mit anderen. Demenz lässt allerdings die Fähigkeit, Erfahrungen mit anderen zu teilen, nach und nach verkümmern.
Der Demenzkranke ist immer weniger imstande, in der gewohnten Art mit anderen zu sprechen. Es kostet ihm immer größere Mühe, Gesprächspartnern deutlich zu machen, was in ihm vorgeht, und zugleich fällt es ihm immer schwerer, zu verstehen, was andere ihm nahe bringen wollen.
In einem normalen Gespräch zwischen zwei Personen bringen etwa beide den gleichen Anteil ein. Diese Balance ist nicht mehr vorhanden, wenn man ein Gespräch mit einem Menschen führt, der an Demenz leidet. Um mit ihm zu kommunizieren, wird man selber viel mehr Energie einsetzen müssen. Je weiter die Demenz fortschreitet, desto mehr Kraft kostet den Gesunden jede Kommunikation.


Kommunikation in den drei Phasen der Demenz




In der ersten Phase kann der Demenzkranke nicht mehr über kurz zuvor geschehene Ereignisse sprechen und hat häufig Mühe, die richtigen Worte zu finden. In Gesprächen benutzt er immer häufiger verschwommene und unscharfe Begriffe. Beispiele solcher genannten ‚leeren’ Begriffe sind ‚es’, ‚irgend….’, ‚Dings’, ‚etwas’, ‚jemand’, ‚man’, ‚so’, ‚da’. Man nennt sie ‚leer’ weil man sich nichts Konkretes darunter vorstellen kann: „ich kann das Ding nicht finden, es muss doch da liegen.“
Wenn der Demenzkranke bei der Benennung von Gegenständen Fehler macht, dann wählt er oft Wörter, die dem richtigen ähnlich oder verwandt sind. So sagt er zum Beispiel „Kuli“ statt „Bleistift“. Er versteht in der Regel noch recht gut, was ihm gesagt wird.

In der mittleren Phase wird es schon wesentlich schwieriger, ein Gespräch zu führen. Auch spricht der Betreffende nun meistens viel weniger als zuvor.
Für die Umgebung wird es eine immer mühsamere Aufgabe, ihn zu verstehen, weil er viele Dinge, über die er spricht, beim Partner als bekannt voraussetzt. Er leitet sein Gespräch nicht mehr ein, sondern fällt gleich mitten hinein und kann sich dabei nicht mehr in die Perspektive seines Gesprächspartners hineinversetzen.
Er erfasst auch nicht mehr die Bedeutung abstrakter Begriffe wie: Intelligenz, Politik, Idee oder Chance. Der Unterschied zwischen Gegenwart und Vergangenheit besteht für ihn nicht mehr. Der Sessel im Tagesraum des Pflegeheims erinnert ihn nicht an einen Sessel in der Vergangenheit, es ist der Sessel von früher – sein eigener Sessel.
Dem Erkrankten gelingt es jetzt auch nicht mehr, eine gut aufgebaute und logische Erzählung wiederzugeben. Er kann ja weder ankoppeln an das, was er kurz zuvor gesagt hat, noch einen Anschluss zum Folgenden finden. Gespräche haben darum weder Beginn noch Ende. Das „Gespräch“ zu Beginn illustriert dies deutlich.
Es kostet den Betroffenen die größte Mühe, korrekte Sätze zu bilden. Immer häufiger flüchtet er sich darum in Automatismen und Standardsätzen.

Eine Angehörige:
Er spricht immer weniger. Von einem wirklichen Gespräch konnte schon lange keine Rede mehr sein, aber jetzt wird auch die einfachste alltägliche Konversation schwierig. Man sieht förmlich wie Otto mit seinem kärglichen Wortschatz kämpft. Die mühsam gefundenen Buchstaben weiß er kaum noch zu Wörtern zusammenzufügen und vollständige Sätze zu bilden ist eine zu schwierige Aufgabe geworden. Aber auch um das zu kaschieren, findet er eine Methode. So hat er einige Standardsätze in petto, die beim Hören ganz normal klingen und mit denen er ganz gut zurechtkommt.
Als sein Freund und Kollege Paul bei einem seiner vielen Besuche hereinkommt, wird er mit einem freundlichen „Und wie war Ihr Urlaub?“ begrüßt. Da es keine festen Ferienzeiten mehr gibt, ist diese Frage das ganze Jahr über anwendbar. Sätze wie „Hattest du einen schönen Tag?“ oder „Fein, dass du vorbeischaust“ oder „Wie ist das Wetter heute?“ sind feste Bestandteile seines selbst zusammengestellten Vokabulars geworden. Eine Antwort tut er mit „Ja, ja, so kann’s gehen“ ab.
Bei einem längeren Besuch fängt er an Sätze zu wiederholen, aber nach einem zügigen Beginn verliert er schnell den Faden und verfällt in Schweigen.



In der letzen Phase der Demenz ist dem Kranken das Sprechen nicht mehr möglich. Selbst standardisierte Sätze kann er nicht mehr bilden. Sein Ausdrucksvermögen – von einigen unartikulierten Lauten abgesehen – fast völlig zum Erliegen gekommen. Auch auf Fragen reagiert er kaum noch. Nur körperliche Wahrnehmungen wie Schmerz, Wärme und Kälte oder Bewegung können ihm noch eine Reaktion entlocken.
Wie schon in der Einführung erwähnt, lässt das Kommunikationsvermögen den Phasen entsprechend nach. Dennoch werden wir hier versuchen, eine Reihe von allgemeinen Hinweisen oder Tipps zu formulieren, die dazu dienen sollen, so gut wie möglich mit dem Demenzkranken zu kommunizieren.


Grundsätzliches



Zunächst einmal sollte man dafür sorgen, dass ein Gespräch mit dem Dementen nicht mit Hintergrundgeräuschen – wie einem zu laut gestellten Fernseher oder Radio – konkurrieren muss, denn es wird dann noch größere Mühe kosten, sich auf das Gespräch zu konzentrieren.
Sorgen Sie außerdem dafür, dass Sie selbst weder unter Zeitdruck stehen noch angespannt sind. Die Chance auf eine erfolgreiche Kommunikation ist am größten, wenn Sie dem Kranken Ihre volle Aufmerksamkeit widmen können. Vermeiden Sie, in seiner Gegenwart zu flüstern.

Eine Tochter, die aus Schaden klug wurde:
Wenn ich in Mutters Anwesenheit mit jemanden spreche, muss ich laut sprechen. Flüstere ich, wird sie misstrauisch. Vor allem beim Telefonieren muss ich daran denken.



Aus Respekt vor dem Betroffenen sollte man in seinem Beisein nicht in der dritten Person über ihn sprechen – also nicht sagen: „Er sieht heute aber gut aus.“


Verbale Kommunikation



Gestalten Sie die Kommunikation so einfach wie möglich. „Es ist halb vier, Zeit, etwas zu trinken. Soll ich Kaffee kochen oder Tee?“ Bei langen oder komplexen Mitteilungen verliert ein Demenzkranker oft den Faden. Dasselbe geschieht, wenn man ihm eine Frage mit doppelter Wahlmöglichkeit vorlegt wie zum Beispiel: „Wollen wir Tee trinken und danach einen Ausflug mit dem Auto machen?“
Eine Bitte sollte man am besten möglichst erst direkt vor dem Zeitpunkt aussprechen, zu dem etwas getan werden soll. Sagen Sie also nicht: „Kannst du in fünf Minuten…?“ oder „Kannst du nachher….“, sondern besser: „Kannst du bitte jetzt…..“
Sinnvollerweise sollte eine Bitte in jener Umgebung oder Situation ausgesprochen werden, in der die Ausführung erfolgen soll: die Bitte, sich anzukleiden etwa im Schlaf- oder Badezimmer, die Bitte zu essen am Esstisch usw.
Gewöhnen Sie sich an, zu prüfen, ob der Demenzkranke die Botschaft – Frage oder Bitte – verstanden hat. Ein Ja oder Nein ist nicht immer ausreichend. Schauen Sie, ob er nur so tut, um was er gebeten wurde – etwa seine Tabletten einzunehmen. Tut er etwas anderes, hat er die Aufforderung vielleicht nicht verstanden. Es ist jedoch auch möglich, dass er die Frage zwar verstanden hat, aber nicht entsprechend reagieren konnte oder wollte.

Er erfand schon seit Jahren Worte, seltsame Wörter konnten in Sätzen verborgen sein, die im Übrigen fehlerlos waren, aber ihre genaue Bedeutung war unklar.
Die größten Schwierigkeiten tauchten auf, wenn er versuchte, Gedanken und Gefühle auszudrücken. Herta (seine Partnerin) hatte den Verdacht, dass er weit mehr fühlte und verstand, als er ausdrücken konnte.



Dieses Zitat verdeutlicht, dass man auch nicht zu schnell folgern sollte, der Demenzkranke habe etwas nicht verstanden. Infolge einer Demenz benötigt das Gehirn viel mehr Zeit, um Informationen zu verarbeiten. Selbst ein nur leicht Erkrankter braucht über kurz oder lang fünfmal mehr Zeit für die Verarbeitung von Informationen wie ein Nichtdementer.

Eine Partnerin:
Fragt man ihn etwas, so dauert es manchmal einige Zeit, ehe eine Antwort erfolgt, die zudem nicht selten nur einen sehr losen Zusammenhang mit der Frage hat. Ich selber habe nach und nach eine Art Dekodierungssystem entwickelt, aber Außenstehende sind mit ihrer Erzählung dann schon so viel weiter, dass sie die annähernde Antwort auf die vorherige Frage nicht mehr auf die zurückliegende Gesprächsstelle beziehen können. Dann nicken sie nur freundlich oder sagen auf gut Glück „Ja“.



Oft ist es am besten, das Gemeinte zu zeigen. Etwas vorzuführen ist die effektivste Art zu kommunizieren, die das Risiko des Missverständnisses auf ein Minimum reduziert. Noch ein Schrittchen weiter geht man, indem man dem Betroffenen bei der Ausführung der ersten Bewegung hilft, zum Beispiel, indem man ihm ein Handtuch reicht, um dann seine Hand beim Abtrocknen des Bauches zu „führen“.

Anstrengende, vergebliche Nein!-Doch!-Diskusssionen sind für Angehörige, die mit einer beginnenden Demenz konfrontiert werden, einer der schwierigsten Bereiche im Umgang mit dem Kranken. Sie widersprechen ihm , wenn er etwas Unrichtiges sagt, und landen schnell in einem Tauziehen, bei dem es nur Verlierer gibt. Folglich ist eine der wichtigsten Regeln, Diskussionen möglichst zu vermeiden und sich nicht über Dinge aufzuregen, die nicht wirklich wichtig sind: zum Beispiel, ob eine bestimmte Frage schon einmal gestellt wurde oder nicht oder ob heute Dienstag oder Mittwoch ist.

Lange habe ich gedacht, die Wahrheit sei wichtig. Behauptete meine Mutter, es sei April, wenn es tatsächlich schon Mai war, so meinte ich, dies sofort korrigieren zu müssen. Dann gerieten wir in Streit. Schließlich dachte ich: „Ich bin ja wohl völlig verrückt! Was macht es denn, wenn sie meint, es sei April?“ Es war ein befreiender Augenblick. Von diesem Zeitpunkt an hatten wir viel weniger Streit und einen viel besseren Umgang miteinander.



Um in der Lage zu sein, dem anderen um des lieben Friedens willen Recht zu geben, muss man allerdings akzeptiert haben, dass der Angehörige an Demenz leidet und sein Geist daher nicht mehr richtig arbeitet. Widerstand gegen diese bittere Wahrheit bewirkt, dass man sich bisweilen doch auf Diskussionen einlässt.
Es gibt natürlich Augenblicke oder Situationen, in denen man den Demenzkranken doch einmal korrigieren muss, so zum Beispiel, wenn er beim Ankleiden den rechten und linken Schuh verwechselt hat. Überlegen Sie jedoch, ehe Sie eingreifen, wie Sie selbst wohl am liebsten korrigiert werden würden. Wahrscheinlich wird die Antwort sein: so unauffällig, leise und freundlich wie möglich, erst recht, wenn der Fehler ohne böse Absicht unterlaufen ist. Dies gilt ebenfalls für den demenzkranken Menschen. Korrigieren Sie also im Sinne von „Das ist nur eine Kleinigkeit“ oder „Ach, wenn man mal nicht aufpasst, geht doch bei jedem mal etwas schief“.
Viele Verhaltensweisen von Demenzkranken – vor allem, wenn sie sich verweigern – werden verständlich, wenn man sich klar macht, dass sie Fehler vermeiden und eventuelle Unzulänglichkeiten kaschieren möchten.


Eine Tochter:
Mein Vater liebte Wellensittiche sehr und kann Stunden vor dem Vogelbauer verbringen. In der letzten Zeit fiel mir jedoch auf, dass er öfter einmal vergaß, seine Lieblinge zu füttern. Da er untröstlich wäre, wenn die Tiere vor Hunger sterben würden, behielt ich die Sache im Auge.
Als ich heute merkte, dass die Futterpackung, die ich gestern gekauft hatte, noch nicht angebrochen war, fragte ich ihn: „Papa, willst du nicht die Wellensittiche füttern?“ Zu meinem Erstaunen antwortete er: „Nein, dazu habe ich jetzt keine Lust!“
Als ich mich von meiner Verblüffung über diese unerwartete Antwort erholt hatte, kam mir die Idee, er könnte möglicherweise vergessen haben, wo das Futter steht. Ich beschloss also, es eine halbe Stunde später noch einmal anders zu versuchen. „Papa, ich habe eine neue Packung Futter für die Wellensittiche gekauft und in den Kellerschrank gestellt. Magst du vielleicht die Vögel füttern?“ Jetzt stand er sofort auf und kurz darauf sah ich ihn strahlend zuschauen, wie die Tiere das Futter aus dem Napf pickten.



Um den Demenzkranken nicht in Verlegenheit zu bringen, sollte man besser Fragen über kurz zuvor geschehene Dinge vermeiden. Will man dennoch ein Gespräch über etwas beginnen, was am selben Tag oder in derselben Woche geschehen ist, sollte man selbst die wichtigsten Informationen „vorsagen“, etwa in Form einer bestätigenden Frage „Dein Sohn Peter war mit seiner Tochter Sophie heute Morgen hier, nicht, Mutter?“
Manche Angehörige haben die Angewohnheit, den Kranken mit Fragen zu überschütten, vor allem, wenn er im Pflegeheim lebt und sie ihn dort besuchen. Der Betroffene ist aber auch an den Berichten über andere interessiert, vor allem über Menschen, mit denen er sich verbunden fühlt. Es ist darum wichtig, zu erzählen, was man selbst erlebt hat, worüber man sich gefreut hat oder traurig war, welche Freunde man besucht hat usw. Es macht nichts, wenn der Demenzkranke diese Erzählungen nicht vollständig versteht. Er wird dennoch die im Bericht enthaltenen Gefühle genießen sowie alles, was nonverbal durch Intonation, Blicke, Gesichtsausdruck und Körperhaltung mitgeteilt wird. Etwas erzählt zu bekommen wird ihm das Gefühl vermitteln, noch wichtig zu sein und dazuzugehören. Die Tatsache, dass man mit ihm spricht, ist viel wichtiger als der Inhalt.


Nonverbale Kommunikation



Versuchen Sie, immer ruhig und in einem natürlichen Tonfall zu sprechen – nicht lauter als gewöhnlich.
Obwohl jeder dazu neigt, die Stimme zu heben, wenn man mit einem Menschen spricht, der aus verschiedenen Gründen nicht richtig versteht, ist es wichtig, dies nicht zu tun. Lautes Sprechen wird vom Demenzkranken als Bösesein interpretiert, was wiederum mit Bösesein, Traurigkeit, Unruhe oder Angst beantwortet wird.

Signalisiert man durch Tonfall oder Körperhaltung Überlegenheit gegenüber dem Demenzkranken, so wird sich die Chance, dass die Botschaft bei ihm ankommt, deutlich verringern. Eine Stimme, die Ebenbürtigkeit und Freundlichkeit suggeriert, ist oft der Schlüssel zu einer glatt verlaufenden Kommunikation. Auch ein Lächeln kann Wunder bewirken.

Ein Enkelkind:
Mein Lächeln ist meine wichtigste Waffe bei Opa. Lache ich ihn an, öffnen sich die Türen, die sonst verschlossen bleiben. Ich darf dann alles und kann gar nichts falsch machen.



Es ist im Übrigen sinnvoll, soweit wie möglich Blickkontakt zu halten und sich dem Betroffenen körperlich zuzuwenden. Bleibt man in seinem Blickfeld, solange man mit ihm spricht oder ihn versorgt, wird der Kontakt reibungsloser verlaufen. Manche Demenzkranken reagieren mit Panik, wenn man sich ihnen von hinten nähert oder sie von hinten anspricht. Da sie die Situation nicht mehr übersehen können, entsteht Angst bei ihnen, die sich in Ärger, manchmal sogar in Aggression entladen kann.
Erklären Sie, soweit möglich, alles, was geschieht. „Es läutet, das wird die Nachbarin sein. Sie hatte versprochen, um diese Zeit vorbeizuschauen.“
Am besten ist es, über Dinge zu sprechen, die der Demenzkranke zugleich hören, riechen, fühlen oder berühren kann. „Man kann nicht mehr das voraussetzen, was sie früher einmal wussten; man kann nur noch auf das bauen, was sie ‚jetzt gerade’ erleben, drückte es eine Tochter aus.
Es ist hilfreich, Gedächtnisstützen zu benutzen, zum Beispiel auf Dinge zu zeigen, über die man sprechen will. Will man also über das Wetter sprechen, sollte man dafür sorgen, dass der Demenzkranke auch hinausschauen kann – also die Gardinen zur Seite ziehen und auf Regen, Wolken, Schnee oder Sonne zeigen.

Ein bekannter niederländischer Schriftsteller schreibt über einen Besuch im Pflegeheim, in dem seine Frau Anni als Pflegerin arbeitet:

Anni erzählte von dem Gemüsegarten, von den Hühnern, Ziegen und Schafen. Denn du kannst einem Menschen hundertmal erklären, dass jetzt Frühling ist, aber diese Nachricht errreicht ihn vielleicht erst dann, wenn man ihm ein kleines Lämmchen in den Schoß legt.




Rückgreifen auf frühere Erlebnisse



Da die Erinnerungen an Erlebnisse aus der fernen Vergangenheit viel länger bewahrt werden als die aus kurz zuvor durchlebten Zeiten, ist es ratsam, in Gesprächen an Gewohnheiten, Interessen, Neigungen und Erfahrungen aus früheren Zeiten des Demenzkranken anzuknüpfen. Sie können beispielsweise über seine Eltern und Geschwister sprechen, über seine schönen Jugenderfahrungen, die Zeit der Grundschule, die Arbeit, die erste Verliebtheit und Liebeserlebnisse usw. Natürlich sollte man in erster Linie nach Erlebnissen fragen, von denen man weiß, dass sich mit ihnen schöne Erinnerungen für ihn verbinden. Da die Vergangenheit oft mit der Gegenwart verschmilzt, ist das Einhaken bei solcherlei früheren Erfahrungen manchmal die einzige Möglichkeit, mit ihm Kontakt herzustellen und ihn glücklich zu machen.

Ein Pfleger:
Ein Bewohner unserer Abteilung war früher Landwirt gewesen. Dreißig Jahre war er jede Woche zum Markt gegangen, um eine oder zwei seiner Kühe zu verkaufen, hatte mir seine Frau erzählt.
Wenn ich morgens zum Dienst kam, ging ich immer zu ihm, um einige Kühe von ihm zu kaufen. Wir besiegelten das Geschäft mit einigen kräftigen Handschlägen. Dann war für ihn der Tag ein Erfolg. Er hatte seine Arbeit getan und war für den restlichen Tag die Zufriedenheit selbst.
Als dieser Bewohner neu in der Abteilung war und von seinen Kühen zu erzählen begann, machte eine Auszubildende einige Male den Fehler, ihn mit der Realität zu konfrontieren, indem sie ihn belehrte, dass er schon seit zehn Jahren keinen Hof und kein Vieh mehr hatte. Dadurch geriet er völlig in Panik und blieb den ganzen Tag über unruhig.




Gefühle in den Mittelpunkt stellen



Nicht nur Erinnerungen an frühere Zeiten, sondern auch Gefühle sind weniger von der nachlassenden Gedächtnisleistung betroffen. Die Ursache liegt möglicherweise darin, dass Gefühle zeitlos sind und darum nicht im Gedächtnis (dem Ort für Informationen) verankert sind, sondern viel tiefer liegen.

Eine Tochter fasste es in folgende Worte:
Mein demenzkranker Vater wird immer einsamer. Wenn ein Kleinkind schon Einsamkeitsgefühle empfinden kann, so kann sich auch ein demenzkranker Mann allein, ebenso jedoch glücklich und zufrieden fühlen – ja, wie ein Kind.



Eine der größten Herausforderungen im Kontakt mit Demenzkranken ist also der Versuch, den Sinn hinter dem scheinbaren Unsinn zu entdecken. Und dieser Sinn liegt häufig in einem Gefühl.
Ist also eine demenzkranke Angehörige unruhig, weil sie meint, für ihre Kinder sorgen zu müssen („Die Kinder kommen gleich aus der Schule!“), während diese tatsächlich schon ein Vierteljahrhundert aus dem Hause sind, so könnte man sagen: „Erzähl’ doch etwas von deinen Kindern! Du vermisst sie wohl sehr, oder?“ Sie ‚ist’ ja mit ihren Gefühlen bei den Kindern, und das will sie offenbar ausdrücken. Bittet man sie also, über ihre Kinder und ihre Gefühle zu ihnen zu sprechen, so wird sie sich wieder sicher und auf vertrautem Boden fühlen, denn ihre Kinder waren ja ihr Leben und ihr ganzer Stolz. Spricht man so mit ihr, so wird sie sich ernst genommen fühlen.

Ein anderes Beispiel:
Eine Demenzkranke behauptet, schwanger zu sein. Statt auf ihr Alter hinzuweisen, sollte man lieber auf ihren Gesichtsausdruck reagieren. „Du strahlst ja! Du bist sicher sehr glücklich.“
Falls man nicht gleich herausfindet, welches Gefühl hinter einer Äußerung steht, bleibt immer noch die Möglichkeit, den Satz zu spiegeln oder zu paraphrasieren. Sagt beispielsweise ein Demenzkranker über seine Mitbewohner im Pflegeheim: „Die sind doch alle verrückt hier“, so kann man antworten: „Du findest, dass die nicht ganz bei Trost sind?“ Häufig ist dies ein Weg, und man entdeckt, dass der Demenzkranke sich nicht zu Hause oder nicht wohl fühlt.


Wenn Sprechen nicht mehr möglich ist




Da der Demenzprozess auf längere Sicht auch Informationen von früher verschwinden lässt, wird der Betroffene sich allmählich immer hilfloser fühlen, wenn Menschen mit ihm über frühere Zeiten und Ereignisse sprechen.
Auch wenn Sie spüren, dass der Demenzprozess so weit fortgeschrittten ist, bleiben Kontakt und Kommunikation durchaus noch möglich.
Werden Worte nicht mehr verstanden, kann man immer noch die Körpersprache einsetzen: Man kann liebkosen, streicheln, die Hand halten, lächeln. Bis zu seinem Ende wird der Demenzkranke auch die Satzmelodie verstehen. Wie Kleinkinder und Haustiere hört er sehr gut, ob man etwas Schönes, etwas Böses oder Trauriges sagt, selbst wenn die Bedeutung der Worte nicht mehr zu ihm durchdringt.
Und schließlich kann man auch kommunizieren, indem man einfach da ist. Die ruhige Gegenwart einer vertrauten Person kann nämlich bedeuten. „Ich bin bei dir, du bist sicher.“ Und dies brauchen vor allem schwer Demenzkranke sehr.

Eine Tochter:
Es ist eine tödliche Krankheit – eine Krankheit, die alle Erinnerungen auslöscht. Hat man dies erst einmal akzeptiert, kann man trotzdem noch ein gutes Leben führen. Es mag Klischee sein – aber das Einzige, was für meine Mutter zählt, ist, dass sie Liebe bekommt. Erhält sie diese, ist alles in Ordnung. Dieses Gefühl von Liebe kann man miteinander teilen, vor allem auch darum, weil sie viel besser als ich im Heute leben kann. Die Liebe, die sie empfindet, wird nicht dadurch belastet, dass beispielsweise noch Kartoffeln geschält werden müssen.




Impressum

Texte: Cover von Renate M. Kaufmann
Tag der Veröffentlichung: 09.05.2009

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