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Bei dem postorgasmischen Fluchtreflex handelt es sich um ein bisher noch nicht von der empirischen Sozialforschung beachtetes Phänomen. Jedenfalls meines Wissens nicht…..aber ein interessantes Objekt ist er fraglos.

In der Regel werden männliche Wesen von ihm befallen, bei Frauen tritt er wesentlich seltener auf. Mir sind nur solche Fälle bekannt, in denen der dem Reflex vorausgegangene Geschlechtsverkehr so grottenmäßig miserabel war, dass die Frau nur durch die blitzartige Flucht vor einer Wiederholung geschützt war. Aber lassen wir das unkommentiert.

Bei Männern tritt er unterschiedlich auf, bei Lebens- oder Ehepartnerschaften meist in Form eines plötzlich auftretenden Tiefschlafs. Teils derart schnell, dass die Frage: "Wie war ich Liebling?" nicht mehr gestellt werden konnte. Wobei durchaus Fälle bekannt sind, in denen dieser Tiefschlaf mit Erleichterung von Seiten der mit "Liebling" betitelten Person registriert wird. Fragen wir uns, wovor flüchtet dieser Mann? Vor der danach häufig von Frauen ausgeführten Kuschelattacke? Oder will er nicht sehen, nun unverhüllt durch vorher hormonell hervorgerufene präkoitale Sehstörungen, mit wem er mal wieder seinen ehelichen Pflichten nachkommen musste? Die geneigte LeserInnenschaft wird sich bei dieser Fragestellung einer gewissen Empathie nicht entziehen können. Jedoch ist eine Beantwortung dieser Fragen nicht ohne weiteres möglich und wohl auch individuell total unterschiedlich.

Sollte nun dieser postorgasmische Fluchtreflex einem sogenannten ONS, also One-Night-Stand, folgen, liegen die Gründe ganz anders. Mann hatte Bock auf Sex, riss eine Frau auf, schleppte sie ab, vernaschte sie und nun? Sie soll bitte gleich wieder das Schlachtfeld räumen, ihm sein Bett alleine überlassen. Vielleicht weil sie sich doch auf Dauer nicht schön trinken lies, oder weil er schändlich versagte, der Magic One wollte sich einfach nicht aufrichten, oder eine Ejaculatio praecox beendete das intime Zusammensein? Die Ursachen sind vielfältig und sollen hier nicht alle aufgezählt werden. Also dient der postorgasmische Fluchtreflex einem schnellen und notwendigen Abgang, der meist mit den Worten:" Ich rufe Dich an!" untermalt wird und nur von selten weltfremden Wesen geglaubt wird. Also jenen, die Aufklärung betreibende Kinofilme, wie "Er steht einfach nicht auf Dich!" bisher noch nicht gesehen haben. Einiges in diesem Absatz trifft auch auf Frauen zu, nur gerechtigkeitshalber erwähnt.

Wenden wir uns nun dem Bereich zu, in dem dieser Reflex am häufigsten in Erscheinung tritt, der sexuellen Dienstleistung. Dies ist ein überaus delikater Bereich und muss mit größter Vorsicht weiter ausgeführt werden. Ähnlichkeiten mit lesenden Personen sind also rein zufällig und von der Autorin in keinster Weise bewusst herbei geführt.

Der Einfachheit halber betrachten wir hier ausschließlich die Version: weibliche Dienstleisterin vs. männlicher Inanspruchnehmer. Es stellt keinen großen Unterschied dar, ob es sich um eine erotische Massage oder Geschlechtsverkehr handelt, geflüchtet wird in beiden Fällen. Bei der erotischen Massage kann es vorkommen, dass der Gast, anstatt die angebotene Dusche danach zu nutzen, sich sofort hektisch in seine Bekleidung stürzt und das Etablisment ohne Rücksicht auf an seinem Körper haftende Öl- oder Körpersaftrückstände verlässt. Dieser Abgang ist mit einer Flucht absolut vergleichbar.

Beim ordinären gewerblich durchgeführten Geschlechtsverkehr sind vergleichbare Reflexe zu verzeichnen. Sei es, dass die erwählte Dame ihre Aufgabe als Lustbegleiterin nur mit größter Unlust erfüllte, hier ist eine Flucht schon eher nachvollziehbar. "Einmal und nie wieder!" Sei es, dass die dem Orgasmus vorausgegangene Intimität von so großer Intensität begleitet wurde, dass dies zu starken Schuldgefühlen führte. "Oh Gott, denkt sie jetzt, dass ich in sie verliebt bin?" Sei es, dass auch hier die Standfestigkeit schmählich versagte, wer würde in so einem Fall einer Flucht nicht mit Nachsicht begegnen oder sie sogar begrüßen? Ebenfalls können der Flucht Gedanken zugrunde liegen, die sich um Bedürfnisse drehen, die nur mit Hilfe einer finanziellen Aufwendung erfüllt werden können. Und eine solche Bedürftigkeit gibt wohl niemand gerne zu, also können wir in diesem Falle die Flucht mit dem Verhalten des Vogels Strauß gleichsetzen, den Kopf in den Sand zu stecken. Nur weg hier, als sei nichts geschehen!

Gelegentlich wird der postorgasmische Fluchtreflex jedoch krampfhaft unterdrückt, was sich in einem seltsam verkniffenen Mund, einer versagenden Stimme oder einer verkrampften Körperhaltung ausdrücken kann. Ist es denn nicht besser, dem Reflex nachzugeben und blitzschnell das Weite zu suchen, als mit feuchtschlaffem Händedruck und einem rechts-links Luftkuss, dabei Augenkontakt vermeidend, über die Türschwelle zu stolpern?

Wohlwissend dass Mann wieder einmal durchschaut wurde.


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Texte: Alle Rechte (Text und Foto) bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 15.05.2010

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