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Restart 01

V

Forellenduett

 

© by Reinhard Nolte

 

„Stau auf der A7“, tönte es aus dem Autoradio. Auch nichts Neues. Aber ich war noch ganz gut in der Zeit, als ich die dänische Grenze erreichte. Es wäre auch hirnrissig gewesen, zu versuchen, den Zeitverlust auf der dänischen Autobahn herauszufahren. Wer die Geldstrafen für Geschwindigkeitsübertretungen in Dänemark kennt, weiß, warum. In Höhe Kolding bog ich nach Westen ab. Ich wollte nach Nymindegab, wollte an die Nordseeküste, um Ruhe zu finden.

In einer Sauna schwitzend hatte ich vor ein paar Jahren Morten Thomsen kennen gelernt. Er hatte mir sein Leid geklagt, dass die großen Agenturen, die Ferienhäuser an Touristen vermieteten, oftmals mehr als sechzig Prozent des Mietpreises für sich beanspruchten und den eigentlichen Besitzer des Ferienhauses mit einem Taschengeld abspeisten. Im folgenden Jahr hatte ich dann sein Ferienhaus von ihm privat, zu einem vernünftigen Preis, gemietet. Es handelte sich dabei um ein älteres, grundsolides und komfortabel eingerichtetes Haus auf einem riesigen Grundstück, das von Bäumen, hohen Hecken und Büschen umgeben war.

Jetzt, zwei Jahre später, hatte ich wieder sein Haus für drei Wochen gemietet. Er hatte mir geschrieben, dass er das alte Haus abgerissen und ein ganz neues Ferienhaus mit noch mehr Komfort und einer eigenen Sauna gebaut hätte. Den Mietpreis hatte er nicht nennenswert erhöht und so war ich gespannt auf das, was mich erwartete. Als ich endlich am Ziel war und meinen SUV in die neu gestaltete Einfahrt lenkte, musste ich zunächst feststellen, dass diese ebenfalls von Büschen gesäumt war und schräg auf das Grundstück führte, so dass dieses von Außen nicht mehr einsehbar war. Die nächste Überraschung bildete das Ferienhaus selbst: Ein Zwillingshaus, ein siamesisches, zusammengewachsen am Doppelcarport. In der linken Hälfte stand bereits ein Mini, einer von der alten Art, die noch in England gebaut worden war. Vor der rechten Haustür stand Morten Thomsen und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. In der Hand hielt er einen großen Metallring, an dem fünf Lachsforellen von jeweils Unterarmlänge baumelten. Einen dieser Fische hakte er von dem Ring ab und übergab ihn mir zusammen mit den Schlüsseln für das Ferienhaus.

„Aften Mad“, knurrte er und stiefelte dann zu seinem Auto. Ich schloss auf, brachte den Fisch in die Küche und räumte mein Gepäck ins Haus. Unterwegs hatte ich an zwei Supermärkten gehalten und mich mir allerhand Vorräten eingedeckt, hatte Brot, Eier, Speck und Milch, Wurst, Senf und diverse Getränke eingekauft. Baconstreifen gab es im Sonderangebot, ‚kaufen Sie fünf Packungen und Sie bekommen die sechste Packung kostenlos’. Alle diese Dinge schaffte ich ins Haus und verstaute sie. Anschließend inspizierte ich das Bad, die Sauna und die übrigen Räume. Morten Thomsen hatte ganze Arbeit geleistet und ein luxuriöses Feriendomizil geschaffen. Flachbildfernseher und Stereoanlage im Wohnraum, dazu ein großer Kaminofen. In der Küche ein Cerankochfeld mit Touchpad, daneben ein Backofen in Brusthöhe und darunter der Geschirrspüler.

Entspannt betrat ich die Terrasse. Diese wurde von einer Trennwand aus dicken Brettern begrenzt und geteilt, die unter dem breiten Dachüberstand begann, schräg abwärts führte und im letzten Drittel in einer hüfthohen Balustrade endete, auf deren oberem Rand ein  etwa fünfzehn Zentimeter breites Brett befestigt war, das wohl als Ablage für Getränke oder Aschenbecher dienen sollte. Diese Trennwand war Windschutz, Sichtschutz und Abgrenzung zugleich. Die Balustrade hingegen bot Gelegenheit zu Kontakten.

Zurück in der Küche betrachtete ich den Fisch. Wollte ich ihn jetzt zubereiten, bekäme ich mein Abendessen wohl reichlich spät. Ich blickte auf die Uhr, es war schon später als ich gedacht hatte. Ich verpackte die große Lachsforelle in einem Plastikbeutel und deponierte den Fisch einstweilen im Kühlschrank.

Statt mit dem mitgebrachten Mountainbike zu fahren, entschied ich mich für das Auto und fuhr nach Hvide Sande. Kurz hinter der Klappbrücke fand ich eine Cafeteria. Bei der freundlichen, molligen Frau, die sich hinter dem Tresen langweilte, bestellte ich Moellehjul: Eine große Rinderfrikadelle in einem Kranz von Pommes Frites. Remoulade auf den Pommes und zunächst Röstzwiebeln, dann rohe Zwiebelwürfel auf die Boulette gehäuft und eine ordentliche Portion brauner Sauce oben drüber gegossen. Das mag für den Feinschmecker gruselig klingen, schmeckt aber erstaunlich gut.

Gesättigt fuhr ich zurück zum Ferienhaus. Von den Bewohnern des Nachbarhauses immer noch keine Spur. Ich beschloss, den knappen Kilometer zum Strand zu Fuß zurückzulegen und machte mich auf den Weg, ohne vorher das Haus betreten zu haben.

Zwanzig Minuten später stand ich oben auf der vordersten Dünenreihe und blickte aufs Meer. Die Nordsee wälzte träge Wellen an den Strand. Die Sonne stand bereits sehr tief. Langsam näherte sie sich dem Horizont, keine Wolke störte die Sicht.

„Eigentlich müsste es gleich zischen und dampfen, wenn die Sonne eintaucht.“ Die Stimme klang hell und irgendwie belustigt. Der Strand war menschenleer, nur in der Ferne, in nördlicher Richtung, war eine kleine Gruppe von Leuten  gerade noch zu sehen. Hier war doch wirklich Platz genug. Musste diese Frau ausgerechnet direkt neben mir auftauchen?

Ich grummelte eine unverständliche Antwort und sah zu, wie die rot glühende Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand und mit ihrem Widerschein den dunkler werdenden Himmel färbte.

„Eigentlich kitschig, aber doch irgendwie immer wieder schön.“ Wieder diese helle, amüsiert klingende Stimme. Endlich wandte ich mich der Sprecherin zu. Eine gut aussehende Frau, deren dunkle Haare im Wind flatterten. Sie war vermutlich etliche Jahre jünger als ich. Ihre Bernsteinaugen blickten mich hinter schmalen Brillengläsern neugierig an. Sie lächelte und ich lächelte zurück. Alles an ihr war sanft gerundet, ihre Schultern, ihre Hüften und ihre Brüste, die sich unter ihrem Pullover abzeichneten. Als sie vor mir vom Dünenkamm zu dem improvisierten Parkplatz hinab stieg, konnte ich sehen, dass auch ihr Po unter den Jeans sanft gerundet war. Unten auf dem Parkplatz stand ein Mini. DER Mini! Zwar hatte ich vor einiger Zeit ein Auto gehört, aber nicht weiter darauf geachtet. Diese Frau war also die geheimnisvolle Mieterin des Nachbarhauses.

„Kann ich mitfahren?“, fragte ich und musste dabei schmunzeln.

„Wohin?“, ihre helle Stimme klang jetzt überrascht.

„Hestehavn 10B“, antwortete ich.

Sie grinste plötzlich schelmisch.

„Tut mir leid, ich fahre nur bis Hestehavn 10A!“

„Dann muss ich wohl den Rest des Weges zu Fuß gehen!“

Wir schauten uns an und prusteten gleichzeitig los. Dann öffnete sie mir die Beifahrertür und ich zwängte mich in den Wagen. Nach kurzer Fahrt parkte sie den Mini in ihrer Hälfte des Carports.

„Noch Lust auf einen ...“

„Trinken wir noch ...“

Wir sahen uns wieder an und lachten. Offenbar hatten wir gleichzeitig dieselbe Frage stellen wollen. Hatte mich die Anwesenheit dieser Frau oben auf der Düne noch mächtig gestört, empfand ich ihre Gesellschaft jetzt als ausgesprochen angenehm.

„Bis gleich!“

„Ja, bis gleich.“

Kurz darauf stellte ich zwei Cognacschwenker und eine Flasche Metaxa auf die Balustrade und drehte mir eine Zigarette. Einen Augenblick später erschien die Nachbarin mit einem Tablett, darauf eine geöffnete Weinflasche, zwei Gläser und ein Aschenbecher. Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab und kam mit den gefüllten Gläsern an die Balustrade. Ich schenkte den Weinbrand ein.

„Was zuerst?“

Sie drückte mir, ohne zu antworten, ein Weinglas in die Hand.

„Prost!“

„Skal!“

Sie beugte sich plötzlich über die Balustrade und schmatzte mir einen herzhaften Kuss auf den Mund.

„Ich heiße Britta, Britta Häfner.“

„Jan, Jan Arnoldsen.“

Ich beugte mich ebenfalls über die Balustrade und ihre Lippen erwarteten mich bereits. Es war inzwischen dunkel geworden. Der zunehmende Mond leuchtete gelb am Himmel. Eine kleine graue Katze, deren Fell im Mondlicht silbrig schimmerte, lief eilig über die Wiese und verschwand zwischen den Büschen, die das Grundstück begrenzten. Wir tranken und rauchten schweigend. Jeder hing seinen Gedanken nach. Endlich unterbrach sie die Stille:

„Hat Herr Thomsen dir auch einen Fisch geschenkt?“

„Hat er.“

„Und was soll ich damit anfangen?“

„Essen“, schlug ich vor.

„Wie denn?“

„Mit Messer und Gabel“, war meine nächste Idee.

„Verarsch mich nicht! Wenn ich Fisch essen will, dann gehe ich in ein Fischgeschäft und kaufe mir ein Stück Filet oder eine geräucherte Forelle oder ich gehe in ein Lokal und lass mich bedienen!“

„Wir könnten die Forellen braten. Morten Thomsen war ja so freundlich, die Fische schon auszunehmen. Jetzt müssen sie nur noch entgrätet und filetiert werden. Dann ab in die Pfanne.“

„Und dann?“ Britta war neugierig geworden.

„Essen!“

„Wie?“

Ich verschluckte eine ironische Antwort und sagte stattdessen:

„Mit Kartoffeln und Sauce.“

„Das soll schmecken?“ sie klang jetzt ziemlich skeptisch.

„Das schmeckt! Ich weiß es. Ich hab das schon öfter so gemacht.“

„Ich weiß nicht ...“ Immer noch klang Skepsis in ihrer Stimme mit.

„Wir könnten die Forellen gemeinsam zubereiten“, schlug ich vor.

„Na gut“, meinte sie endlich, „falls es schief geht, kann ich ja vorsorglich eine Dose Ravioli bereithalten.“ Wieder grinste sie schelmisch.

„Du traust mir also nicht zu, dass ich Forellen mit Kartoffeln und Sauce zubereiten kann?“ Ich gab mir Mühe, beleidigt zu klingen.

„Die meisten Männer, die ich kenne, kochen perfekt … mit dem Dosenöffner!“

Wieder schenkte sie mir ein unwiderstehliches Lächeln. Sie hob ihr Glas und leerte es, dann drückte sie ihre Zigarette aus.

„Ich hatte eine lange Fahrt hierher und ich bin ziemlich müde, ich glaube, ich muss jetzt ins Bett.“ Sie verabschiedete sich mit einem beinahe zaghaften Gutenachtkuss und verschwand in ihrem Haus. Die leere Flasche und ihr Glas ließ sie auf dem Terrassentisch stehen. Ich blieb noch eine Weile auf meiner Terrasse, rauchte noch eine Zigarette, trank mein Glas aus und räumte endlich  die leeren Gläser und die Flaschen in die Küche. Dann ging ich auch schlafen.

So kam es, dass weder Britta noch ich den Fuchs sahen, der eilig über die Wiese schnürte und, genau wie vorher die Katze, zwischen den Büschen am Rand des Grundstücks verschwand.

 

Der Vormittag war bereits weit fortgeschritten.

schoss es mir durch den Kopf, <können vormittage="" schreiten,="" egal="" ob="" fort="" oder="" voran?="" blödsinnige="" formulierung!="">

Ich schaute auf meine Armbanduhr: Zehn Uhr fünfundvierzig. Aber ich hatte schließlich Urlaub, keine Verpflichtungen, keine Termine. Also gemächlich ab ins Bad und erstmal duschen, dann Zähne putzen und rasieren. Rasieren? Im Urlaub? Die nette Frau von nebenan fiel mir ein. Ich hatte etwas voreilig versprochen, ihr zu zeigen, wie man die Forellen von Morten Thomsen zubereiten könnte. Ich schabte mir also die Stoppeln von den Wangen und weil ich schon mal dabei war, stutzte ich auch gleich den Bart an Kinn und Oberlippe und schlüpfte in meine Shorts.

In der Küche machte ich mich daran, das Frühstück zu richten. Ich hatte Lust auf ein richtiges englisches Frühstück. Toast, Spiegeleier, Bacon, Würstchen und Pilze, dazu eine große Kanne Tee.

Die Würstchen brutzelten in der Pfanne und ich schlug zwei Eier dazu. In der anderen Pfanne, der unbeschichteten, brieten die Pilze und der Toast bräunte auf dem Toaster. Ein typisch dänischer Toaster, dessen Form an einen Grill erinnerte. Und die Baconstreifen? Kein Problem, es gab zwar nur zwei Pfannen in dieser Ferienhausküche, aber es gab einen Mikrowellenofen. Ich legte einen Bogen Küchenkrepp auf einen Teller, die Baconstreifen darauf und deckte sie mit einem weiteren Bogen Küchenkrepp zu. Den Timer der Mikrowelle stellte ich auf zwei Minuten ein.

Das Ergebnis waren Speckscheiben, die so kross waren, dass sie bei der leichtesten Berührung zerbröselten. Also das Ganze noch einmal, aber diesmal nur eine Minute und zwanzig Sekunden. Bei diesem Verfahren sollte man nach der Nase ‚kochen’: Wenn der Speck lecker duftet ist er richtig, riecht es verbrannt, dann ist es zu spät.

Ich trug mein Frühstück auf die Terrasse, holte noch ein Glas ‚Bähncke’s Jubilaeumssennep’ für die Würstchen dazu und aß mit Genuss. Nach einer Verdauungszigarette und dem dritten Becher Tee überkam mich die Sattstarre und mir fielen die Augen zu.

 

„Hey, du Schlafsack! Wach auf!“ Die nette Nachbarin rüttelte an meiner Schulter. In der anderen Hand trug sie einen geflochtenen Henkelkorb über dessen Rand die Hälse von drei Weinflaschen ragten. „Ich hab Kartoffeln mitgebracht.“ Sie trug ein gelb und orange gestreiftes Sommerkleid und hatte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden

Ich brachte mein Frühstücksgeschirr in die Küche und Britta folgte mir.

„Was ist DAS?!“ Sie deutete auf die zu kross gewordenen Baconstücke, die immer noch auf dem Teller lagen.

„Amuse Gueule!“, antwortete ich.

„Amüwas?“

„Amuse Gueule, wörtlich übersetzt: Fresse Bespaßer, oder etwas gepflegter ausgedrückt: Gaumenkitzler, noch einfacher: Appetitanreger.“ erklärte ich.

„DAS soll meinen Appetit anregen? Du willst mich veräppeln.“

Ich holte ein Päckchen mit Salzcrackern aus dem Schrank und bestrich sechs davon dick mit Schmelzkäse, darauf streute ich die zerbröselten Baconstückchen.

„Probier mal“, forderte ich sie auf und biss herzhaft in einen der Cracker.

Ihr Gesichtsausdruck war skeptisch, als sie ebenfalls, allerdings sehr vorsichtig, in einen Keks biss. Sie kaute, lächelte dann und griff nach dem nächsten Cracker.

„Kaum zu glauben, dass etwas, das so aussieht, so gut schmecken kann.“

Sie hatte den Korb inzwischen auf der Arbeitsplatte abgestellt und die Weinflaschen im Kühlschrank verstaut.

„Ich hol jetzt meinen Fisch.“ sagte sie, nachdem sie den letzten Cracker verdrückt hatte.

Auch, wenn ein Ferienhaus recht luxuriös ausgestattet ist, nie ist ein Sieb da und auch die Küchenmesser sind nicht selten in einem beklagenswerten Zustand. Aus diesem Grund hatte ich mir angewöhnt, ein paar eigene Messer in den Urlaub mitzunehmen. Mein absoluter Favorit ist ein großes japanisches Santokumesser aus achtundsechzig-lagigem Damaszenerstahl, das nahezu universell einsetzbar ist. Als Britta mit ihrem Fisch zurückkam und uns erst einmal ein Glas Wein einschenkte, hatte ich bei meiner Forelle bereits den Kopf entfernt und mit einem Ruck die Mittelgräte herausgerissen. Einzelne Gräten, die sich dieser Behandlung entzogen hatten, entfernte ich mit Hilfe einer kleinen Flachzange, bevor ich das Filet mit der breiten Klinge des Santokumessers von der Haut löste. Mit dem zweiten Fisch verfuhr ich genauso, während meine charmante Nachbarin am Weinglas nippte und interessiert zuschaute.

Ein solch frisches Filet zerfällt leicht in der Pfanne und um dem entgegen zu wirken, schnitt ich die Filets in handtellergroße Stücke. So entstanden acht größere und vier kleinere Stücke, die ich jetzt mit wenig Salz und reichlich Pfeffer aus der Mühle würzte. Auf dem Schneidbrett legte ich dann zwei Bacon Streifen kreuzförmig, wie ein Pluszeichen, übereinander. Dann dort, wo die beiden Streifen sich kreuzten, ein Stück Filet darauf und die Enden wurden  umgeschlagen und festgedrückt. So entstand ein kleines, handliches Päckchen. Britta, die immer noch zuschaute, verstand jetzt und half mit, die Fischstücke mit Bacon Streifen zu umwickeln.

In der nicht beschichteten, eisernen Pfanne, die inzwischen vorgewärmt war, erhitzte ich jetzt ein wenig Olivenöl und gab drei der Fischpäcken hinein, mehr passten nicht in die Pfanne. Sobald der Speck bei niedriger Hitze schön brutzelig braun gebraten war, war auch der Fisch gar. Ein Erfahrungswert. Die fertigen Stücke legte ich in eine Auflaufform aus Glaskeramik, zu der es einen Deckel gab und stellte sie bei achtzig Grad im Backofen warm. Britta hatte inzwischen begonnen, die Kartoffeln zu schälen und ich briet die restlichen Fischpäcken fertig. Sobald die letzten Stücke in der Pfanne brutzelten, hackte ich eine kleine Zwiebel so fein, dass fast nur noch Zwiebelmus übrig blieb und löste einen Brühwürfel in siedendem Wasser auf.

Britta, die mir neugierig über die Schulter sah, meinte nur:

„Die Pfanne sieht ja schlimm aus. Wie willst du die wieder sauber kriegen?“

„Das siehst du gleich.“ schmunzelte ich und nahm, trotz der Küchendünste, zum ersten Mal bewusst ihren Duft wahr.

„Cerruti 1881“, sagte sie lächelnd. Es war ihr nicht entgangen, dass ich, ziemlich unverschämt, mit meiner Nase etwas zu lange an ihrer Halsbeuge verweilt hatte.

„Riecht gut“, murmelte ich und wandte mich wieder der Pfanne zu. 

Die Zwiebelstückchen, eigentlich das Mus, durfte nicht braun werden, sondern sollte in der Sauce vollständig zerkochen und so goss ich schnell den Rest aus meinem Weinglas in die Pfanne. Es zischte und dampfte und schäumte und ich füllte jetzt noch ein wenig von der Brühe in die Pfanne, um alle Rückstände loszukochen.

„Was wird DAS jetzt?“, fragte meine hübsche Nachbarin. Dass sie mich dabei, absichtlich oder nicht, streifte, empfand ich als durchaus angenehm.

„Das wird die Sauce, Senfsauce.“

„Ganz ohne Senf?“

„Kommt noch“, beruhigte ich sie und holte das Glas ‚Bähncke’s Jubilaeumssennep’ aus dem Kühlschrank, löffelte die Hälfte des Inhalts in die Sauce und begann, schnell und gleichmäßig mit einem kleinen Schneebesen zu rühren, um zu vermeiden, dass sich Klümpchen bildeten.

„Das sieht eklig aus, riecht aber schon ganz gut“, meinte Britta, die mir über die Schulter sah und sich dabei an meinen Rücken lehnte. Es gefiel mir, ihre Nähe so deutlich zu spüren.

„Du solltest jetzt endlich die Kartoffeln aufsetzen, sonst müssen wir diese seltsame Sauce noch löffeln.“

Ich folgte brav ihrem Rat, vergaß dabei aber nicht, weiter die Sauce in der Pfanne zu rühren. Als keine Klümpchen mehr sichtbar waren, goss ich den Rest der Brühe dazu und kippte zusätzlich einen Becher Sahne in die Flüssigkeit. Die Sauce hatte jetzt eine rehbraune Farbe angenommen. Kein Vergleich mit der gelblichen Pampe, die gelegentlich in Fischkonserven als Senfsauce verkauft wird.

Die Kartoffeln köchelten munter vor sich hin und ich gab jetzt einen Teelöffel voll heiler grüner Pfefferkörner zur Sauce, Salz, einen Teelöffel Zucker und einen Spritzer Zitrone. Britta probierte skeptisch und meinte dann:

„Nicht schlecht, aber etwas Crème Fraiche könnte nicht schaden.“

„Ich hab aber keine“, gab ich zu bedenken.

„Aber ich!“, triumphierte sie und tänzelte aus der Küche.

Schon kurze Zeit später war sie zurück, in der einen Hand einen Becher mit Crème Fraiche in der anderen ein Päckchen Saucenbinder.

„Das da“, ich deutete auf den Saucenbinder, „Ist eigentlich eine kulinarische Todsünde.“

Britta sah auf ihre Armbanduhr.

„Die Kartoffeln brauchen noch etwa zehn Minuten. In der Zeit wird die Sauce nicht mehr genügend reduzieren. Eigentlich solltest du kalte Butter unter die Sauce schlagen, damit sie sämig wird, aber ich habe heute vergessen, Butter zu kaufen und in deinem Kühlschrank hab ich auch keine entdecken können. Also zier dich nicht, nimm den Saucenbinder, es merkt ja keiner.“

Sie gab zwei Esslöffel voll Crème Fraiche in die Sauce und streute ein wenig Saucenbinder auf die Flüssigkeit.

„Los, jetzt rühr schnell!“, feuerte sie mich an und erhöhte die Temperatur unter der Pfanne. Nach wenigen Minuten hatte die Sauce eine schöne, sämige Konsistenz und ich beeilte mich, sie aus der Pfanne in eine feuerfeste Stielkasserolle umzufüllen und zum Fisch in den Backofen zu stellen.

Britta deckte den Tisch auf der Terrasse und füllte unsere Gläser mit dem fruchtigen Weißwein, den sie mitgebracht hatte. Ich goss die Kartoffeln ab und servierte dann den Fisch und die Sauce.

Der Fisch war saftig und schmeckte hervorragend und der Wein passte perfekt dazu. Britta war zunächst skeptisch, was die Sauce anging, aber nach einem vorsichtigen Versuch mit einer halben Kartoffel griff sie herzhaft zu. Am Ende blieben zwei Stückchen Fisch übrig. Von der Sauce waren lediglich ein paar Pfefferkörner zurückgeblieben. Wir hatten sogar das Stieltöpfchen mit einem Stück Weißbrot sauber ausgewischt.

Ich brachte Teller und Bestecke in meine Küche und als ich mit einer Flasche ‚Blaavand’s Bitter’ und zwei kleinen Gläsern zurück auf die Terrasse kam, saß Britta auf ihrem Stuhl und versuchte mit einem Stückchen von dem übrig gebliebenen Fisch, die kleine Katze mit dem silbrig glänzenden Fell, die sich vorsichtig näherte, anzulocken. Kaum hatte die Katze mich erspäht, machte sie kehrt und rannte zur Grundstücksgrenze, wo sie im Gebüsch verschwand.

Wir tranken unseren Digestif und ich schenkte erneut ein, schließlich konnte man auf einem Bein schlecht stehen. Obwohl es inzwischen dunkel geworden war, hatte sich die Wärme des Tages gehalten. Der Nordwestwind war beinah eingeschlafen. Britta und ich saßen am Tisch, rauchten und betrachteten die Sterne. Ohne die Dunstglocke und das Licht der Großstadt wirkte die Milchstraße beeindruckend. Ein Fuchs schnürte eilig über die Wiese und schlüpfte zwischen die Büsche auf der der Terrasse gegenüberliegenden Seite des Grundstücks.

Britta und ich brachten die Reste unserer Mahlzeit in die Küche, lediglich die Gläser behielten wir auf der Terrasse. Britta schenkte Wein nach und wir setzten uns dicht nebeneinander auf die Bank. Wir hatten beide keine Lust, zu reden. Sie legte ihren Kopf an meine Schulter. Ihr Haar kitzelte meine Wange und ich genoss ihren Duft und ihre Nähe. Ich legte meinen Arm um ihre Schulter und sie schmiegte sich an mich, dann fanden sich unsere Lippen. Zögernd stupsten unsere Zungenspitzen gegeneinander und tanzten schließlich langsamen Blues. Unsere Hände erkundeten den Körper des jeweils anderen und in mir machte sich ein unglaublich zärtliches Gefühl für diese Frau breit.

Was später geschah, ist bis heute im Dunkel der Nacht verborgen geblieben.

 

Wir verbrachten viel Zeit zusammen, unternahmen lange Spaziergänge am Strand, fuhren zum Shopping nach Esbjerg und bummelten Hand in Hand durch die angeblich längste Fußgängerzone Jütlands.

Zwei Kilometer von unserem Doppeldomizil entfernt gab es einen kleinen Laden, in dem man all das kaufen konnte, was man beim Einkauf in den großen Supermärkten vergessen hatte. Daneben stand eine Hot-Dog-Bude und es gab eine Tankstelle, an der man auch Fahrräder ausleihen konnte. Britta mietete für die Dauer von zwei Wochen ein Trecking-Bike. Ich hatte mein Mountain-Bike bisher nur benutzt, um damit morgens zum Brötchen kaufen zu fahren; jetzt konnten wir auf dem gut ausgebauten Radwege-Netz in der Umgebung lange Radtouren unternehmen. So vergingen die Tage und von den Nächten will ich hier nichts berichten. Die Erinnerungen daran gehören nur Britta und mir.

 

Am Donnerstag der dritten Woche saßen wir nachmittags auf der Terrasse und lasen. Den ganzen Tag über war Britta wortkarg gewesen und schien irgendwie bedrückt. Plötzlich fiel ihr ein, dass die Leihfrist für ihr Fahrrad heute ablief. Ich bot ihr an, das Mietrad für sie zum Fahrradverleih zurück zu bringen. Sie nahm mein Angebot gern an. Ich fand es eher übertrieben, dass sie mich umarmte und lange küsste, bevor ich mich auf den Weg machte.

Die zwei Kilometer bis zur Tankstelle legte ich in gemächlichem Tempo zurück, gab das Rad beim Tankwart ab und kaufte mir ein Hot-Dog an der Bude. Dann trat ich zu Fuß den Rückweg an. Ich machte einen Umweg zum Strand. Der Wind hatte aufgefrischt und die Brandung war heftiger als sonst. Ich trödelte auf dem Weg zum Ferienhaus und als ich endlich ankam, stand Brittas Mini nicht im Carport. Beinah hätte ich den Zettel übersehen, der hinter dem Scheibenwischer meines Autos klemmte.

 

Liebster Jan,

die Zeit mit Dir war wunderschön, aber ich könnte es nicht ertragen, mich von Dir zu verabschieden. Ich muss immerzu weinen. Dies ist mein Abschiedskuss für Dich.

Britta

 

P.S. In einem Jahr und einem Tag werde ich hier auf der Terrasse sitzen und auf Dich warten.

B.

 

 

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. So hatte ich mir unseren Abschied nicht vorgestellt. Am nächsten Tag packte ich meine Klamotten zusammen und fuhr zu Morten Thomsen ins Büro. Ich zahlte die Stromrechnung und einer spontanen Eingebung folgend fragte ich ihn, ob ich das Haus im nächsten Jahr zur selben Zeit wieder buchen könnte. Er teilte mir grinsend mit, dass das Haus ‚Hestehavn 10B’ leider in der fraglichen Zeit schon vermietet sei, aber das Nachbarhaus wäre noch frei. Also buchte ich das Haus ‚Hestehavn 10A’ und leistete gleich eine Anzahlung.

Würde Britta wirklich im nächsten Jahr auf mich warten? Nachdenklich machte ich mich auf den Heimweg.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für die kleine graue Katze Dies ist der erste Teil einer kleinen Reihe von Fehlstarts Dank an die Mondkatze für ihr Lektorat! Dank auch an moony für ihre klugen Ratschläge

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