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Bus Stop


(so passiert)


Wenn ich Spätschicht habe fahre ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit. Mittags ist es auf dem Firmenparkplatz immer rappelvoll, da muss ich mir die Parkplatzsuche nicht antun. Mit der Straßenbahn fahre ich zum Bahnhof und steige dann in den Bus zur Universität um. Heute, am Bahnhof angekommen, sehe ich schon die Menschentraube an der Bushaltestelle und mittendrin Inge.
„Der Scheißbus kommt nicht!“ sagt sie.
Ich rufe meinen Kollegen in der Firma an und erkläre ihm, dass ich später komme. Er ist natürlich stinkig, denn heute läuft das Viertelfinalspiel der Fußballweltmeisterschaft, Deutschland gegen Argentinien. Ich gebe Inge mein Handy, damit auch sie auf ihrer Arbeitsstelle anrufen kann.
Vor beinahe zwei Jahren bin ich bei einer ähnlichen Situation mit Inge ins Gespräch gekommen. Seitdem fahren wir in meiner Spätschichtwoche zwölf Minuten lang mit dem selben Bus. Inge ist ziemlich klein, grad mal einssechzig oder so. Sie sieht immer wie eine kampfbereite Katze aus. Ihr Haar ist kurz und rot gefärbt und ihre grauen Augen blicken immer etwas verkniffen in die Weltgeschichte, aber wenn sie lächelt …
In den zwölf Minuten, die wir gemeinsam im Bus verbringen, erzählt sie von sich und von ihrer Familie. Ich weiß inzwischen, dass ihr Mann Diabetiker ist und vor kurzem am Fuß operiert worden ist, dass sie eine behinderte Tochter hat, dass ihre Wohnung behindertengerecht ausgestattet ist. Sie fährt gern Fahrrad, hat aber keinen Führerschein. Eine Biographie im zwölf Minuten Takt.
Endlich kommt der Bus. Wir treten unsere Zigaretten aus und stürzen uns ins Gedränge. Drinnen ist es rappelvoll, keine Chance auf einen Sitzplatz. Wir stehen dicht voreinander. Ich habe noch eine Halteschlaufe erwischt. Inge ist zu klein, sie kommt nicht dran. In der nächsten Kurve muss sie sich an mir festhalten. Meine Nase streift ihr Haar und durch ihre dünne Bluse und mein Hemd spüre ich ihre kleinen festen Brüste.
„Bleib so, du riechst gut.“ murmele ich.
„Spinner!“ sagt sie, aber ihre grauen Augen lächeln.
Sie rückt etwas von mir ab, aber nur wenig, sieht dann, dass ich ziemlich ungeniert den Ansatz ihrer Brüste in ihrem Blusenausschnitt betrachte.
„Niedlich,“ sage ich.
„Spinner!“ antwortet sie lächelnd und : „Mein Mann findet, dass sie zu klein sind.“
„Ich finde sie hübsch.“

„Spinner!“ sagt sie noch einmal und drückt sich kurz, aber nur ganz kurz an mich. Dann kommt ihre Haltestelle.
„Mach’s gut.“ sagt sie und schiebt sich in Richtung Ausgang. Noch einmal schenkt sie mir ein Lächeln ihrer grauen Augen, dann hält der Bus und sie steigt aus. Draußen dreht sie sich noch einmal um und winkt mir zu …




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Tag der Veröffentlichung: 27.01.2010

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