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Magdaléna weinte sich in den Schlaf. Nur eine triste, weißfleckige, dünne Membran, aufgespannt auf den acht Spinnenbeinen des Rescue-Roboters, trennte sie von der eiskalten, unwirtlichen Marsnacht. Abends waren noch Immanuel mit Roboter Putin eingetroffen. Der Anblick seiner, von Amöbenquallen skelettierten, Freunde schockierte auch ihn. Aber er hatte immerhin schon den ersten Marskrieg als militärischer Führer mitgemacht. Er verbarg sein Entsetzen hinter einer steinernen Maske. Schweigend rollte er sich in seinen Schlafsack.

Michail legte sich neben Magdaléna und nahm sie in den Arm. Tröstend streichelte er ihr über ihr, zu einem dünnen Zopf geflochtenes, braunes Haar. Ein Déjà-vu bemächtigte sich seines armen Hirnes. Vor 13 Jahren hatte er schon mal eine traumatisierte Frau in den Armen gehalten, Anna Gavalda. Die Beziehung hatte nicht gehalten und er hatte sich als alternder, langhaariger, motorradfahrender Rocker auf den einsamen Kontrollposten Pavonis Mons zurückgezogen. Jetzt hatte es das Schicksal so gewollt, dass er sich wieder verliebte. In eine grünhäutige, beflügelte, marsangepasste Dämonin mit Reptilienschwanz. Wer kann die Liebe erklären? Magdaléna lag ihm zugewandt so dass das ganze Geflügel und der Schwanz sich auf die abgewandte Seite streckte. Michail fasste einen Flügel an, knochig, lederig. Oh Mann, auf was hatte er sich da schon wieder eingelassen? Aber wo die Liebe hinhaut ... da wächst eben kein Gras mehr. Magdaléna bewegte sich unruhig im Schlaf. Ihr gleichmäßiger Atem begann zu stocken, zu schluchzen, krampfartig zuckte ihr Oberkörper ... Shhhhhhht meine Liebe, alles guuuut, shhhhhhhht, machte Michail, nahm sie wieder fest in seine starken Arme bis sich der zitternde Oberkörper beruhigte. Er streichelte ihren Kopf. Er streichelte ihre grünmusterigen Wangen. Die dicke Haut durch die sie sich ohne Schutzanzug in der kalten Marsatmosphäre aufhalten konnte, vergröberte ihre Züge. Trotzdem erkannte er darunter ein sehr empfindungsfähiges Gesicht. Es hatte schon glücklich gestrahlt, die meerblauen Augen leuchtend, wie Saphire, das Gesicht aufgehellt durch Grübchen, eine Sonne, ein hellklarer Wasserfall der trübes Grau aus der Umgebung spülte! Er hatte aber auch gesehen wie diese meerblauen Augen sich vor Trauer verdunkelt hatten, die Gesichtszüge sich verdüstert, das ganze Gesicht Trauer und Unglück einer ganzen Welt ausdrückend als sie dem schrecklichen Tod ihrer beiden Gefährten gewahr wurde. Traurig drückte Michail Magdaléna an sich. Wenn er ihr nur diesen Schmerz ersparen könnte! Aber leider ging das nicht. Man möchte das immer so gern aber es geht nicht. Der einzige Weg Trauer und Schmerz zu verarbeiten führt mitten durch die Trauer hindurch. Egal was man sich auch wünscht. Michail schlief ein.

„Was sind eigentlich Amöbenquallen?“
Michail schreckte aus kurzem Schlaf hoch. „Wwwaaaaas?“
Meerblaue Augen über einer kleinen, spitzen Nase schauten ihn von oben herab an. Er war gerade erwacht und musste sich noch orientieren. Ja, er hatte marsangepasste Symbionten, Dämonen, kennengelernt. Ja, er hatte sich in eine hübsche blauäugige Dämonin verliebt. Ja, Scheiße, ihre beiden Freunde waren von Amöbenquallen skelettiert worden. Oh Mann, verdammte, verdammte, gottverdammte Scheiße! Michail schloss wieder die Augen und presste seine Lippen zusammen. Er grenzte sich ab. Er war er, die Welt war die Welt, abgetrennt. Soetwas lernt man als Einsatzkraft, als ehemaliger Geheimagent, das muss man können in solchen Berufen. Langsam und bedächtig setzte Michail sich auf.

„Amöbenquallen sind Hybridlebewesen aus irdischen und marsianischen Genen. Sie bilden einen Stock so wie irdische Staatsquallen. Viele kleine Einzellebewesen bilden zusammen einen Organismus. Sie leben räuberisch und greifen größere Lebewesen mit Nesselkapseln an. Dann verdauen sie ihre getötete Beute außerhalb ihres eigenen Organismus.“
„Also auch wieder so eine Missgeburt aus der glorreichen biologischen Revolution.“ Magdalénas Stimme klang bitter. Sie musste an die selbstherrlichen genetischen Experimente von Alex Gillespie denken.
„Ja, leider. Die Amöbenquallen können über große Distanzen gut riechen. Sie sehen so aus wie Pfannenkuchen und sind schwer zu bekämpfen. Wenn man sie greifen will teilen sie sich in kleine Einzellebewesen auf. Man kann sie eigentlich nur verbrennen. Oder einfrieren mit einem Kohlensäurefeuerlöscher.“

Schweigen breitete sich aus. Immanuel, der andere Dämon, war auch schon aufgewacht und brütete halbsitzend, an die Zeltwand gelehnt. Michail wurde praktisch.
„Wir müssen sie begraben.“

Magdalénas Gesicht wurde wieder dunkel von namenloser Trauer; tiefe Falten furchten in ihrem Gesicht; laut aufschluchzend fiel sie vornüber; ihr Oberkörper bebte als sie von ihren Gefühlen überwältigt wurde. Michail sprach den Rettungsroboter an:
„Rescue 1. Schaff’ die Verstorbenen nach draußen, deck sie zu und bewache sie.“
Der spinnenkörperige Roboter wiederholte die Anweisung während schon bewegliche Tentakel aus seinem runden Bauch wuchsen. Die beiden halbverdauten Skelette wurden in ihren Schlafsäcken durch eine Schleusenblase an die Marsoberfläche verbracht. Immanuel stierte nur ausdruckslos vor sich hin. Michail überlegte, was er seinen neuen Dämonenfreunden Gutes tun könnte. Essen! Gegen Trübsinn hilft eigentlich immer – ein schönes Essen!

„Kennt ihr Pelmeni?“
Immanuel schaute ihn an. Magdaléna, von krampfhaftem Weinen unterbrochen, schluchzte:
„Wwwwassss -------------- sind -------------- denn --------------- Pelmeni?“
„Das ist alte sibirische Jägernahrung.“ erklärte Michail.
„Fleisch, Gemüse, Gewürze, in kleinen Nudelteigtaschen und eingefroren. Muss man nur noch in kochendes Wasser werfen. Schmeckt lecker und hält ewig.“
Rescue 1 hatte auf das Stichwort „Pelmeni“ hin schon reagiert – schließlich arbeitete der Robot schon länger mit Michail zusammen. Aus seinem Spinnenbauch holten die vielseitigen Tentakel einen kleinen Kocher mit Kochtopf heraus. Im Nu war alles aufgebaut. Der Kocher begann das Wasser zu erhitzen als ein geheimnisvoller Sack am Ende des Tentakels heranschwebte. Pelmeni, die gefüllten sibirischen Teigtaschen, waren eine uralte sibirische Erfindung. In der ewigen Kälte am Polarkreis konnte ein Jäger an einem Tag einen Vorrat für Wochen und Monate herstellen. In Säcken gelagert, eingefroren in dieser Permafrostgegend, hatte er so eine ideale und wohlschmeckende und jederzeit verfügbare Nahrung, ohne viel Aufwand. Fast Food, eigentlich. Normalerweise wurde die Füllung der Pelmeni aus mehreren Fleischsorten hergestellt. Der große Vorteil bestand auch darin, dass ein müder Jäger am Abend tatsächlich nur noch ein Feuer anmachen und Wasser in einem Topf erhitzen musste. Die gefrorenen Pelmeni hineingestreut, entstand in sehr kurzer Zeit eine wohlschmeckende und stärkende Mahlzeit während das Kochwasser sich in Fleischbrühe verwandelte. Schließlich saßen sie mit kauenden Backen um den Kocher herum und genossen den Trost einer guten Mahlzeit inmitten der kalten Marswüste.

Irdische Amöben verfügen über ein sogenanntes diffuses Nervensystem. Das heißt, Nervenknoten sind unsystematisch verteilt und verbunden. Es reicht, um vor sich hin zu existieren und zu fressen was einen zwischen die Nesselhaare geriet. Die Nervenstränge bei den marsianischen Amöbenquallen hatten begonnen sich stärker zu verzweigen, auszudifferenzieren, kleine Ganglienknoten bildeten sich, wie bei Insekten oder Krebsen, noch kein richtiges Gehirn zwar aber nun waren schon komplexere Reaktionen möglich. Geruchszellen an der Oberfläche nahmen etwas wahr: Nahrung! Noch sehr diffus, wahrscheinlich weiter entfernt, aber es war schon eine Richtung festzustellen aus der die Geruchsstoffe stammten. Die Amöbenqualle setzte sich in Bewegung, zusammen mit ein paar anderen Amöbenquallen die ebenfalls Witterung aufgenommen hatten. Wenn sie sich an den Ränder berührten verschmolzen sie und wurden immer größer und größer ...

„Diese Pelmeni sind wirklich göttlich!“ schnaufte Magdaléna zufrieden, schmatzend. Michail freute sich.
„Weißt du,“ ergänzte der männliche Dämon Immanuel, „wir sind so etwas gar nicht gewöhnt. Auf Tycho Brahe wird alles aus Algen mit Geschmacksstoffen hergestellt. Es schmeckt alles ein bisschen – einheitlich. Ich wusste gar nicht dass Essen ein solches Vergnügen sein kann.“ Er rieb sich am Bauch. Magdaléna zog ihre kleine, etwas spitze Nase kraus: „Sag mal, aus was bestehen diese Pelmeni eigentlich?“
Michail kratzte sich hinter den Ohren. „Ja richtig, ihr seid ja auf dem Mars geboren. Ihr kennt weder richtiges Gemüse noch Fleisch.“
„Fleisch?“ Magdaléna setzte sich kerzengerade hin. „Meinst du ....?“ damit griff sie sich an ihren Unterarm.
„Ja,“ Michail lachte, „… Fleisch. Auf der Erde da gibt es Tiere. Die hat man geschlachtet um sie zu essen.“
Immanuel und Magdaléna sahen sich an und verzogen ihre Gesichter. Sie hatten noch nie so etwas wie „Tiere“ gesehen. Fleisch essen kam ihnen vor wie Menschenessen.
Michail grinste: „Ich kann euch beruhigen. Das Fleisch in den Pelmeni ist nicht von wirklichen Tieren. Wir machen das in New York Mars mit Tissue Engineering. Zellen werden als Fasern gezüchtet und aufeinandergepresst so dass sie aussehen wie richtiges Fleisch. Sie schmecken auch wie richtiges Fleisch. Wenn wir mal je auf die Erde kommen“ fügte er ironisch hinzu „werd ich persönlich Wild für euch erlegen und dann machen wir ganz frische Pelmeni.“

Rescue 1 schaltete sich in das „Tischgespräch“ ein: „Ich habe eine Feststellung.“
Michail blickte auf. „Was für eine Feststellung?“
„Bewegliche unidentifiezierbare Objekte. Hypothese: Amöbenquallen mit 63 %iger Wahrscheinlichkeit. Sie bewegen sich in Richtung unseres Standortes.“
Magdaléna erstarrte, Immanuel biss sich auf die Lippen, Michail stand langsam auf.
„Frage, Eintreffzeit?“
„In ca. 36 Stunden.“
„O. K., schaun wir uns die Sache mal an.“
Michail suchte den geflickten Schutzanzug und begann sich anzuziehen. Immanuel und Magdaléna entspannten sich. 36 Stunden, das hörte sich erst mal nicht besonders bedrohlich an. Durch eine Schleusenblase begaben sie sich in die kohlendioxidgeschwängerte, kalte Marswüste und kletterten an den Spinnenbeinen von Rescue 1 auf den runden, leicht schwingenden Körper der Rettungsroboterspinne. In die Oberseite waren Sitze eingearbeitet. ‚Wie ein Jägerstand‘ dachte Michail und suchte mit seinem Fernglas den Horizont ab während die Dämonen ihre besonderen Sinne für Infrarotstrahlung und Elektromagnetische Felder einsetzten.
„Ja, da seh ich schon was.“ murmelte Michail.
„Ich auch“ bestätigten Immanuel und Magdaléna.
„Verdammte Scheiße!“ Am Horizont waren nicht ein paar oder ein dutzend Amöbenquallen zu sehen. Da waren hunderte. Sie näherten sich von allen Seiten. Und was das wirklich beängstigende an der Sache war, sie vereinigten sich und wurden größer! Was für eine Masse!! Wie grüner Teig wälzte es sich heran!

„Mann, so viele hab ich ja noch nie gesehen! Wo kommen die nur alle her?“
Aber Michail hielt sich nicht zu lange mit abstrakten Fragen auf. Seine jahrzehntelange Routine als Agent im Außendienst übernahm das Kommando.
Gefahr – Einschätzung - Gegenmaßnahmen.
„An Rescue 1. Ich bestätige: es handelt sich bei der Feststellung um Amöbenquallen. Ausstoß von Smart Dust für Lebewesenortung vorbereiten.“
„Was ist denn Smart Dust?“ schaltete sich Immanuel ein.
„Smart Dust sind kleine Roboter die miteinander kommunizieren können. Habt ihr schon mal was von ‚ubiquitous computing‘ gehört?“
Die Fragezeichen über den Köpfen von Immanuel und Magdaléna waren mit Händen zu greifen.
„Die Idee von ‚ubiquitous computing‘, allgegenwärtige Computer, ist sozusagen die Umkehrung vom riesigen Zentralrechner. Kleine, allgegenwärtige Computer bilden ein Netzwerk. Smart Dust sind ein paar hundert, beweglicher Kleinstrechner die miteinander kommunizieren können. Rescue 1 wird sie in Form einer Wolke ausstoßen. Sie werden ihre unmittelbare Umgebung scannen, miteinander kommunizieren und ihre Wahrnehmungen dann wiederum Rescue 1 mitteilen. Auf diese Art müssten wir ein relativ exaktes Bild von der Gefahrenlage bekommen.“
Immanuel und Magdaléna waren beeindruckt. Rescue 1 meldete Vollzug:
„Ausstoß von Smart Dust ist vorbereitet.“
„An Rescue 1. Ausstoß von Smart Dust in einem Umkreis von 1.500 m.“
„Von Rescue 1. Ausstoß von Smart Dust in einem Umkreis von 1.500 m.“
„An Rescue 1. Ausstoß jetzt.“
Der federnde, runde Spinnenleib ruckelte ein wenig als hunderte, millimetergroße Kleinstroboter in die Umgebung gespuckt wurden.
„Von Rescue 1. Ausstoß von Smart Dust ist erfolgt.“
Michail wandte sich an seine Mitstreiter.
„Lasst uns wieder reingehen. Dort können wir die Rückmeldungen besser verfolgen.“

Die Wolke aus Kleinstrobotern segelte wie Asche in einem Umkreis von 1.500 m herab. Feine Drähtchen spannten sich aus den winzigen Körperchen und verwandelten sich bei Bodenberührung in Insektenbeine. SD-581 stemmte sich mit seinen drahtigen Minibeinen in den Marsboden. Sofort nach dem Aufschlagen sendete er seine Kennung und wartete auf die Reaktion anderer SD-Roboter. Check – check – check – check – check. Fünf Robots antworteten. SD-581 vernetzte sich und schaltete um auf Ortung. Infrarotsinne scannten die Umgebung auf ungewöhnliche Wärmeentwicklungen – und wurden fündig. Tausende von Infrarotortungen jagten durch das SD-Netzwerk. Einige der SD-Robots verwandelten sich in Nervenknoten, sammelten die Informationen und leiteten sie an andere Knotenpunkte weiter. Wieder andere SD-Robots vernetzten sich zu komplexeren Nervenknoten, begannen Informationen zu sammeln und nach Rescue-1 zurückzusenden.

Michail sprach Rescue 1 an:
„Auswertung Smart Dust.“
„Muster Amöbenqualle erkannt. Verortet ringförmig um Eigenposition. Größte Annäherung 521 m. Eintreffzeitpunkt 3 Stunden und 12 Minuten.“
„WAS!“ brüllten alle drei zugleich.
„Wie kann das sein! Die Eintreffzeit lag gerade bei 36 Stunden!“
„Die Verortung durch Smart Dust ergibt nach innen ragende Ausläufer. Diese waren vorher nicht zu orten.“
Die drei sahen sich an. Michail ergriff die Initiative:
„Drei Stunden bleiben uns noch. Wir müssen durchbrechen!“
„Wie sollen wir das machen?“ fragte Immanuel. Sein Mund war staubtrocken. Gestern erst hatte er zwei Freunde verloren und heute schon war er selbst umzingelt von mörderischem Schleim! Er hatte keine Ahnung wie sie da wieder rauskommen sollten.
Michail überlegte fieberhaft.
„Ihr könnt nicht Motorrad fahren. Ihr werdet auf Rescue 1 reiten.“
„Wir werden was?!“
„Ihr klettert wieder auf den Roboter, genau so wie gerade als wir die Umgebung beobachtet haben. Ich werde mit dem Motorrad vorausfahren und der Rescue 1 wird mir folgen. Ihr müsst euch nur festhalten.“

Die methangetriebene Triumph-Mars heulte auf. Michail warf noch einen Blick zurück über die Schulter. Rescue 1 stand laufbereit da. Auf seinem runden Spinnenkörper konnte er zwei geflügelte Gestalten sehen. Michail reckte den Daumen in ihre Richtung. Zwei Antwortdaumen zeigten sich. Prüfend schweifte sein Blick in die Umgebung. Jetzt war der ankriechende Mörderschleim schon mit bloßem Auge zu sehen. Michails Gehirn klärte sich. Alle Unsicherheiten fielen ab. Es ist wie es ist. Nichts geht mehr! Alle Gedanken daran, was passieren würde wenn sie es nicht schaffen sollten verdunsteten wie Wasser in der Wüstensonne. Es war egal. Sinnlos darüber nachzudenken. „Michail an Rescue 1. Selbständiger Rückmarsch nach Pavonis Mons. Los!“

Die Spinnenbeine strafften sich und begannen, schneller und immer schneller zu laufen. Michail ließ die Triumph sich aufbäumen und schoss dem tödlichen Schleim entgegen. Elegant wich er ein paar rotbraunen Felsbrocken aus. Die grünmusterige Masse kam immer näher. Michails Magen zog sich unwillkürlich zusammen. Mittlerweile hatten sich die Amöbenquallen alle zu einem schleimigen Ring vereinigt. Über mehrere hundert Meter zog sich endlos die Masse hin, ohne die kleinste Lücke. Jetzt hatte das Vorderrad Kontakt mit dem Hybridwesen. Es war wie in nassem Laub fahren! Fast hätte es ihn geschmissen. Er konnte die Maschine im letzten Moment stabilisieren. Grüner Schleim spritzte wie Dreck unter den Reifen hervor. Da – ein Stein – ausweichen – der Hinterreifen rutscht weg – mit dem linken Fuß Bodenkontakt – abfangen – über den Lenker beugen – runterschalten – aufbäumen – Motorbrüllen – mit einem Schmatzen setzt der Vorderreifen wieder in der grünen Masse auf – Wellen bilden sich – was ist das? – ein Nadelschauer wird ausgestoßen – gottseidank – kann den Schutzanzug nicht durchdringen – hochschalten – aufjaulen.

Magdalena und Immanuel hielten sich verzweifelt fest. Rescue 1 steigerte sich langsam in der Geschwindigkeit. Es schwankte und ruckte in alle Richtungen, keine Chance sich darauf einzustellen. Ein massiver Stoß riss Magdalenas linke Hand vom Geländer, hob sie aus dem Sitz. Ihre ganze Körpermasse hing an der rechten Hand mit der sie sich einzig noch festhalten konnte, die Finger wurden müde, wollten loslassen, unter Anspannung aller Kräfte versenkte sie ihren linken Arm unter das Geländer und versuchte sich zu verkeilen. Die schnellen Schritte des Roboters sausten wie Prügel auf die beiden Dämonen herab, zermürbten ihren Willen. Nein! Festhalten!! Durchhalten!!!

Michail legte sich in die Kurven. Mit Slalomschwüngen versuchte er den Angriffen der Monsteramöbenqualle zu entgehen. Diese grüne Scheiße schien eine gewisse Intelligenz zu entwickeln und probierte jetzt verschiedenste Substanzen aus die sie auf Michail schleuderte. Was war das? Feiner Dampf schien sich um ihn herum zu bilden. Verdammt, verdammt, was war das denn für eine Scheiße die dieser verdammte Dreckhaufen da gegen ihn schleuderte. Hoffentlich hält das der Schutzanzug aus!

Amöbenquallenfetzen begannen an den Beinen von Rescue 1 hochzuklettern. Kleine Flecken erst, wie Dreckspritzer, vereinigten sich mit anderen Dreckspritzern zu immer größeren Flecken, krochen an den Beinen empor, überzogen das Metall mit grünem, beweglichen, bedrohlichen Schleim.

Der Dunst wurde dichter und immer dichter. Die Sichtscheibe trübte ein. Das musste irgendeine verdammte Scheißsäure sein oder was immer auch. Michail konnte schon den Rand des Desasters sehen und er konnte sehen dass die vereinigte Amöbenqualle ihre Richtung gewechselt hatte und sich jetzt genau in diese Richtung ausbreitete in der sie zu flüchten versuchten. Nur noch 10 Meter, sie waren immerhin schneller als diese grüne schleimige Ausgeburt der Biohölle, sie müssen nur endlich durchbrechen! Mit einem dumpfen Knall platzten die durchgeätzten Reifen. Michail stürzte genau in den grünen Brei hinein, ein Bein eingeklemmt vom Motorrad.

Endlich, freies Gelände! Aber was!? Der Roboter hielt an mit einem Ruck und drehte sich um 180 Grad. Beinahe hätte er damit Immanuel abgeworfen. Verdammt! Michail war gestürzt!! Der grüne Schleim begann ihn zu überwuchern – Rescue 1 nahm trampelnd Fahrt auf und näherte sich dem Gestürzten. Magdalena und Immanuel fühlten sich hilflos, was sollten sie dem Roboter auch befehlen, konnten sie ihm überhaupt etwas befehlen? Tentakel rollten sich auf – jetzt waren sie über ihm – Michail wurde von zwei Tentakeln erfasst und aus dem grünen Matschbrei gerissen, schon über und über mit Schleim bedeckt, er dampfte und bewegte sich matt. Rescue 1 wendete im weiten Bogen um auf dem kürzesten Weg aus dem Gefahrenbereich herauszukommen. Jetzt, jetzt hatten sie es fast geschafft. Tränen stiegen Magdalena in die Augen, Tränen der Erleichterung! Überlebt, sie hatten überlebt! Schmerz zerriss brutal ihre Glücksgefühle. Sie wandte den Kopf und bemerkte wie gerade eine grüne Masse über den Spinnenkörper kroch und sich mit anderen grünen Massen vereinigte.

„AAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHH!“
Immanuel hatte es auch entdeckt. „Rescue 1: Kohlensäureeinsatz gegen die Amöbenqualle!“ Der Schmerz machte ihn ohnmächtig als eine neue Nesselattacke erfolgte. Es war die letzte. An mehreren Stellen des Spinnenkörpers wuchsen schwarze Schläuche hervor, tiefkalte Kohlensäure verspritzend. Die tödliche, grüne Schleimmasse, getroffen, versteifte sich, bröckelte ab. Magdalena kratzte verbissen an dem derben Belag herum, fast hob es sie wieder aus dem Sitz als sie einen Tentakel um ihre Hüfte spürte. Rescue 1 hatte bemerkt dass er seine Passagiere verlieren konnte und hielt sie fest. Der Robot überprüfte auch die Vitalfunktionen seiner beiden bewusstlosen Passagiere, Michail und Immanuel. Sie atmeten, das Herz schlug. Mehr konnte man im Augenblick nicht verlangen. Mit gleichmäßigem Trab näherte er sich der Basisstation bei Pavonis Mons.

Hinter dem Roboter, immer weiter zurückbleibend, kroch eine grüne Schleimspur, Zentner an halbintelligenter Biomasse im Schlepptau, ebenfalls in dieselbe Richtung, in Richtung der Basisstation bei Pavonis mons.

Langsam, aber unaufhaltsam.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.07.2010

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