The old Rocker wore his hair too long,
wore his trouser cuffs too tight.
Unfashionable to the end – drank his ale too light.
Michail Scholochow trug seine Haare zu lang und die Hosen zu eng. Er trank manchmal ganz gerne. Er sah altmodisch aus, wenn man von Mode überhaupt reden konnte, im Jahr 2081, in New York Mars. Schon New York auf dem Mars war nicht das was ein Erdenmensch sich unter New York so vorstellen würde. Anstatt steilen Hochhäusern die an den Wolken kratzen duckten sich riesige Blasen wie Seifenschaum auf den rostroten Schuttboden am Westende der Valles Marineris. New York Mars wurde im Jahre 2067 von Flüchtlingen gegründet die vor der religiösen Unterdrückung durch die totalitäre Eden-Sekte von Olympus Mons geflohen waren. Es hatte sich in den vergangenen 14 Jahren prächtig entwickelt.
Nicht so das Leben des ehemaligen russischen Geheimagenten Michail Scholochow. Er und Anna Gavalda waren die einzigen Überlebenden des Massakers von Ottobrunn Weltraumbahnhof und die einzigen menschlichen Teilnehmer der 5. und letzten Expedition von der Erde zum Mars. Alle anderen Mitreisenden dieser Expedition waren Roboter der verschiedensten Bauarten. Während des gut einjährigen Fluges zum Mars hatten sich Michail und die traumatisierte Anna ineinander verliebt – oder sie waren eine Zweckgemeinschaft eingegangen. Die Beziehung hielt nicht lange. Michail war wieder einmal allein. Er war schon sehr oft allein gewesen in seinem Leben. Die Arbeit im Russischen Auslandsgeheimdienst vertrug sich nicht mit einer normalen Zweierbeziehung. Nach dem ihn Anna verlassen hatte bezog er freiwillig den einsamen Kontrollposten bei Pavonis Mons auf halbem Weg nach Olympus Mons, der alten Heimat der Flüchtlinge. Seine Aufgabe war es diese alte Heimat zu beobachten und mögliche bedrohliche Entwicklungen frühzeitig zu entdecken. Diesen Eden-Fanatiker war jede Ungeheuerlichkeit zuzutrauen!
Death’s head belt buckle - yesterday’s dreams
The transport caf’ prophet of doom
Ringing no change in his double-sewn seams, in his post-war-babe gloom
Michail war immer schon ein Fan alter westlicher Rockmusik gewesen. Eine seiner Lieblingsbands war Jethro Tull. In der Figur des Ray Lomas von dem 1976er Album „Too Old To Rock’n’Roll, Too Young To Die“ konnte er sich völlig wiederfinden. Ray Lomas, der „alte Rocker“ der an Idealen festhielt die nicht mehr zeitgemäß waren, der in den Fernfahrerkneipen herumhing, düsteren Zukunftsvisionen vom Verfall der Zivilisation nachhängend. Die menschliche Zivilisation auf der Erde war mittlerweile tatsächlich zerfallen! Eine selbstverursachte Klimakatastrophe hatte Flüchtlingsströme in Gang gesetzt; eine neue, diesmal globale, Völkerwanderung die alle bestehenden staatlichen Gebilde zu Staub zerblies. Sein „Babe“ hatte ihn verlassen, es gab keine großartige Abwechslung mehr in seiner „doppeltgenähten“ Jeans. Michail fühlte sich ‚Ray Lomas’ so verbunden dass er sogar mit einer Schnalle in Form eines Totenkopfs am Ledergürtel herumlief. Die hatte er sich noch auf der Erde besorgt, bevor er Pilot wurde für die 5. Expedition auf den Mars.
He once owned a Harley Davidson and a Triumph Bonneville.
Zwischen Pavonis Mons und Olympus Mons lagen 1.500 km rostige Steinschuttwüste. Michail durchkämmte regelmäßig das Vorfeld von Pavonis Mons. Dazu hatte er sich eine Art Motorrad konstruiert. Allerdings lief der Motor mit Methan und nicht mit Benzin weil das auf dem Mars leichter herzustellen war. Etwa zwei Jahre hatte er mit der Konstruktion einer Einspritzdüse verbracht die den, auf dem Mars fehlenden aber für einen Verbrennungsmotor unerlässlichen, Sauerstoff in den Verbrennungsraum einspritzen konnte. Das war technisch der anspruchsvollste Teil gewesen. Aber er hatte ja Zeit gehabt, zuviel Zeit, nach seiner gescheiterten Beziehung mit Anna. Von daher war er eigentlich ganz froh gewesen über dieses technische Problem das ihn zwei Jahre so gefesselt hatte. So lange die Sauerstoffeinspritzpumpe seine Gehirnwindungen beanspruchte konnte er nicht über sein verpfuschtes Leben und seine Einsamkeit nachdenken. Danach hatte er ein Motorrad mit dem er auf dem Mars herumcruisen konnte. Immer auf verschiedenen Routen, damit sich keine verdächtigen Pfade in den Boden einfrästen welche die Eden-Fanatiker von ihrem Berg aus eventuell entdecken hätten können. Seine Beobachtungsmission sollte schließlich geheim bleiben!
Manchmal war er tagelang unterwegs.
Counted his friends in bourned out spark plugs
And prays that he allways will
But he’s the last of the blue blood greaser boys
All his mates are doing time …
Drei humanoide Roboter aus der MDLVZR-3300er Serie hatte er sich auf seinen Beobachtungsposten mitgenommen. Das war die Serie aus der auch René stammte, der zum Bewusstsein erwachte Roboter aus der letzten Mission. Aber diese Roboter waren dumm geblieben. Kein anderer Roboter war, seines Wissens nach, jemals zum Bewusstsein erwacht. Michail gab den Robotern Namen: Felix Dserschinski, Lawrenti Berija und Wladimir Putin. Die beiden Ersten waren Vorsitzende des Russischen Geheimdienstes gewesen, Putin russischer Staatschef. Es machte Michail Spaß, als ehemaliges kleines Licht im russischen Geheimdienst, berüchtigte Geheimdienstchefs und einen Staatschef herumzukommandieren. Er nannte sie ‚Blue Blood Greaser Boys’ wie in dem Song von Jethro Tull. Ihre Zeit mussten sie mit Aufgaben verbringen die er ihnen stellte.
Dserschinski hatte zur Zeit Beobachtungsdienst auf dem Kraterrand von Pavonis Mons. In den letzten Monaten hatten sie beunruhigende seismische Aktivitäten auf Olympus Mons festgestellt! Erwachte der Vulkan etwa wieder zum Leben? Von der Charakteristik her war es allerdings eher wahrscheinlich dass es sich um menschengemachte Explosionen handelte. Führten sie untereinander Krieg auf Olympus Mons? Michail hatte von den New Yorkern erfahren, dass auf Olympus Mons auch noch bakterienverseuchte Wissenschaftler, Gegner der Eden-Fanatiker, zurückgeblieben waren. Oder waren ihnen irgendwelche Anlagen in die Luft gegangen? Auf jeden Fall gab es genügend Anlass sehr aufmerksam zu sein und den Vulkan genau zu beobachten!
Jetzt meldete sich Roboter Dserschinski über Funk: „Scholochow von Dserschinski. Infrarotortung. Zwei Reflexe. WNW, 821 km.”
Michail antwortete: “Dserschinski von Scholochow. Na, alter Massenmörder ... „ der historische Felix Dserschinski stand 1917 – 1922 der Tscheka und 1922 – 1926 der GPU vor. Aus dieser Zeit gab es mehr als 10.000 Mordbefehle mit dessen eigenhändiger Unterschrift. „... hast du wirklich etwas Nützliches herausgefunden oder langweilst du mich nur mir irgend einem unwichtigen Scheiß weil du zu unfähig bist das richtig einzuschätzen?!“
Der Roboter war natürlich völlig unempfänglich für die Beleidigungen die Michail ihm an den Kopf warf: „Die beiden Infrarotwahrnehmungen sind ungewöhnlich groß, zwischen 1,6 und 1,7 m. Sie sind beweglich. Es könnte sich um Lebewesen in der Dimension von Menschen handeln.“
Infrarotwahrnehmungen in dieser Größe waren in der Tat ungewöhnlich. Es kreuchten und fleuchten zwar allerhand undefinierbare Wesen draußen herum, Ergebnisse der ‚großen biologischen Revolution’ der Eden-Fanatiker, aber bisher waren sie deutlich kleiner gewesen. Auf jeden Fall musste das genau untersucht werden!
„Von Scholochow. Stell die exakte Position fest und übermittel die Daten. Berija, Putin, Standordmeldung.“
„Von Putin. Standort: Basisstation.“
Berija meldete sich nicht. Vielleicht war er gerade in einem Funkloch. Dserschinski übermittelte die Daten. So wie’s aussah war er selbst am nächsten dran. Michail rieb sich mit dem Handschuh das Kinn. Aus der Box holte er sich ein Präzisionsfernglas. Umständlich montierte er es mit einem Stativ auf die Lenkstange. Von seinem Standpunkt aus waren die ungewöhnlichen Reflexe noch gute 50 km entfernt. Völlig unmöglich da von hier aus irgend etwas zu sehen! Michail stieg von der Maschine, holte eine interaktive Karte aus der Box und breitete sie auf dem Boden aus. Der Ortungspunkt leuchtete auf der Karte. Das musste der Don-Graben sein der sich kilometerweit von Nord nach Süd ausdehnte. In der Nähe des Ortungspunktes befand sich ein bis auf den Boden des Grabens befahrbarer Geländespalt. Er könnte sich also bis in die unmittelbare Nähe, eventuellen Blicken entzogen, mit dem Bike heranschleichen. Sehr, sehr gut!
„Putin von Scholochow. Nähere dich dem Ortungspunkt bis zum Eingang der seitlichen Geländespalte. Auf Sichtdeckung achten.“ Putin bestätigte.
„Dserschinski von Scholochow. Nimm Kontakt mit Berija auf. Er soll sich in der Basisstation bereithalten. Behalte die Infrarotkontakte im Auge. Melde jeden Standortwechsel.“ Dserschinski bestätigte.
Michail bestieg wieder seinen Bock und rollte, in mäßigem Tempo, immer auf Sichtdeckung achtend, auf den Eingang der Schlucht zu. Ein Schwarm Tagfledermäuse flatterte aufgescheucht aus dem Marskraut auf. Auch so ein Produkt aus der ‚großen biologischen Revolution’. Die Fledermäuse lebten in Symbiose mit, zur Photosynthese fähigen, Anabaeana Bakterien. Deshalb waren sie auch tagaktiv. Aber es waren mistige kleine Raubtiere die sich sofort auf ihn stürzten. Unwirsch wischte er die grünen flatternden Blutsauger von seinem Schutzanzug. Die ganze Szenerie wirkte besonders gespenstisch durch die nahezu totale Stille, bedingt durch die dünne Atmosphäre. Ein Schwarm grüner Stummfilmfledermäuse, auf ihn herabregnend, weggewischt durch seine handschuhbewehrte Linke. Ein kurzer Dreh am Gasgriff befreite ihn von der flatternden, beißenden, prasselnden Wolke. Auch das Motorrad; er spürte mehr die Vibrationen als dass er es hörte. Wie in einem Traum fegte er durch die Stille der rostigen Steinwüste. Dort war der Eingang zum Tal. Michail hielt an.
Genau in dem Moment meldete sich Roboter Dserschinski: „Scholochow von Dserschinski. Die Infrarotkontakte bewegen sich von Ihnen weg in Richtung Olympus Mons.”
„Von Scholochow. Verstanden. Standort Eingang zur Schlucht. Hat sich Berija schon gemeldet?“
„Scholochow von Dserschinski. Die Kontaktaufnahme mit Berija war erfolgreich. Berija wird in 20 Minuten Basisstation erreicht haben.“
„Putin von Scholochow. Wann hast du deinen Bereitstellungsraum erreicht?“
„Scholochow von Putin. In 42 Minuten habe ich meinen Bereitstellungsraum erreicht.“
O. K., er war also auf sich allein gestellt!
Michail rollte langsam den Pfad zur Schlucht hinunter. Was würde ihn in der Schlucht erwarten? Eine weitere Ausgeburt der ‚großen biologischen Revolution’? Die Felswände zu beiden Seiten ragten immer höher hinauf. Geschickt wich er kleineren und größeren Felsbrocken aus. Jetzt hatte er das Ende des Pfades erreicht. Sollte er absteigen und sich nach Indianerart heranschleichen? Quatsch! Diese halbintelligenten Infrarotviecher werden ihn wahrscheinlich sowieso nicht so schnell bemerken. Langsam, gaaanz vorsichtig, rollte Michail in die Schlucht. In 300 Meter Entfernung bemerkte er zwei menschengroße Wesen die aber doch irgendwo wie Riesenausgaben dieser bissigen Tagfledermäuse aussahen! Michail stoppte. Die fremden Wesen hielten inne, drehten sich mit beängstigender Zielstrebigkeit um und fixierten ihn! Michail erstarrte auf seinem Motorrad. Wie konnten diese Riesenfledermäuse ihn in ihrem Rücken bemerkt haben? Nervös nestelte er an seiner Box und holte den Raketenwerfer heraus. So, jetzt könnt ihr kommen, Scheißfledermäuse, ich werd euch schon helfen!!
Michail versuchte sich ein Bild von dem zu machen was ihm in 300 m Entfernung gegenüberstand. Die Wesen waren Riesenviecher, ungefähr so groß wie er selbst. Sie hatten Hände und Beine und Flügel und einen Reptilienschwanz. Keine Ahnung was für eine Art Bioexperiment dass sein sollte. Gefährlich oder harmlos? Der Raketenwerfer war noch gesichert. Das Laservisier peilte auf 295 m. Mit einem Schuss müsste er eigentlich beide Tiere treffen können. Die Monster reckten ihre Hälse nach ihm.
Wie konnten sie mich bemerken?
Michail erstarrte zur Salzsäule. Wenn ich mich nicht bewege wird das wahrscheinlich am Besten sein. Hoffentlich sind das keine Fleischfresser!! Vorsichtig, mit einer kaum merklichen Bewegung seines Daumens, entsicherte er den Raketenwerfer.
Die Tiere rührten sich nicht. Es herrschte Totenstille, bedingt durch die dünne Marsatmosphäre, Geräusche wurden nicht besonders weit übertragen. Michail war zur Eisstatue erstarrt. Er wagte keinen Muskel zu rühren. Feine Schweißperlen rannen ihm über die Stirn. Das kitzelte auf der Haut. Michails Herz fing an zu hart gegen seine Rippen zu pochen. Diese Viecher waren schon ziemlich groß. Was, wenn sie ihn plötzlich angriffen? Wer weiß wie die auf Beutefang gehen?! Michail hatte bereits Bekanntschaft mit den tückischen Amöbenquallen gemacht die ihre Beute mit Nesselpfeilen angriffen und durchaus auch Menschen gefährlich werden konnten. Und Amöbenquallen waren normalerweise nicht größer als Pfannenkuchen. Und diese beiden Viecher waren fast so groß wie er selber. Wo blieb denn die scheiß Verstärkung?
„Putin von Scholochow. Wann hast du deinen Bereitstellungsraum erreicht?“
„Scholochow von Putin. In 21 Minuten.“ Verdammt, zu lange! Sie würden sich niemals noch endlose 21 Minuten gegenüberstehen ohne dass irgend wer oder was reagierte.
Eins der Viecher begann plötzlich auf ihn zuzurennen und mit den Armen zu drohen! In einer fließenden Bewegung hatte Michail seine Bike aufgebockt, war heruntergeglitten und kniete sich in Schussposition nieder. Das Fledermausvieh wurde immer schneller, breitete seine Flügel aus und glitt teilweise durch die Luft.
Das zweite Viech begann loszurennen. Noch mehr Schweißperlen rannen kitzelnd über Michails Gesicht. Er leckte sich die Lippen. Das Laservisier peilte 210 – 200 – 190 Meter ... verdammt ... wann spätestens müsste er schießen ... das Scheißviech kam immer näher ... beißt das nur oder spuckt es oder was ... 150 – 140 – 130 Meter ... oh Mann, in was bin ich da nur reingeraten ... die Dinger sind aber auch wirklich scheiße groß ... Michail nahm seine ganze Kaltblütigkeit als erfahrener Agent zusammen, er atmete durch, tiefe Bauchatmung, gaaaanz tief ausatmen und wurde ganz ruhig.
Zeigefinger auf den Auslöser.
Druckkontakt.
Nochmal ausatmen, Herz beruhigen, Hände ruhig kriegen.
100 – 90 – 80 Meter
Michail konnte das Heulen der Kreatur zu hören: „huuuuu ... juhuuuuuuu ... geretteeeeeet ...“
Was?
50 – 40 – 30 Meter
„ ... Ausgezogener ... Gottseidank ... „
Michails rechter Daumen sicherte den Raketenwerfer. Dann wurde er von der Kreatur umgeworfen.
„Ein Ausgezogener! Gottseidank!“
Michail fühlte sich umarmt und geherzt. Eine widerliche Reptilienschnauze versuchte ihn zu küssen. Mit Mühe konnte er sich erwehren.
„Verdammte Scheiße! Was bist du eigentlich!! Lass mich los!!!“
Das Reptiliengesicht lächelte selig: „Mein Name ist Magdalèna Platzová. Ich bin so froh dass du aufgetaucht bist, Ausgezogener!“
Tag der Veröffentlichung: 18.01.2010
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