23 Uhr. Wir wackeln mit unseren Fahrzeugen über unebenes Pflaster wieder auf die Feuerwache. Die fünf Fahrzeuge des Löschzuges wenden mit dröhnenden Dieselmotoren, fahren auf die, sich öffnenden Flügeltüren der ihnen zugeordneten Gassen der Fahrzeughalle zu, rücken ein. Türen öffnen sich, wir steigen aus, müde, hängen die Armaturen wieder auf die Haken. Ein blöder Feuermelder hatte unsere Nachtruhe gestört. Tausende von automatischen Feuermeldern sind im Stadtgebiet verbaut. In 99,9 % aller Fälle lösen sie aus allen möglichen und unmöglichen Gründen aus, mit Ausnahme dem eines Brandes. Man könnte sie eigentlich Nichtfeuermelder nennen, wären da nicht die 0,1 % in denen es tatsächlich eine ernste Ursache für die automatische Meldung gibt. Dementsprechend motiviert arbeiten wir die Feuermeldungen ab. Natürlich nehmen wir trotzdem jeden einzelnen Alarm ernst, auch solche. Aber jetzt gehen wir wieder ins Bett, hoffend auf eine ruhige Nacht.
GONNNG – Zur Burmesterstraße, Behindertenwohnheim. Mit Plan 7- ... Von der Wache 1, der Inspektionsdienst, von der Wache 7 der Löschzug ... eine Feuermeldung.
Oh Mann! Schon wieder! Wir sind doch gerade erst von einer wiedergekommen!! Routiniert aber missmutig werden die Armaturen vom Haken genommen, Stiefel angezogen, Türen geöffnet, eingestiegen, Diesel gestartet, Funk eingeschaltet, Tore geöffnet, Blaulicht an. Wir rücken aus.
Zur Feuermeldung. Die Sitzhaltung im HLF passt sich der 0,1 %igen Gefahr eines echten Feuers an und unserer Müdigkeit. Blaulichter blitzen durch die Nacht. Vor roten Ampeln blasen unsere Presslufthörner den Weg frei. Manche Passanten halten sich die Ohren zu. Der eine oder andere Autofahrer reagiert gar nicht, jedenfalls nicht gleich, kann es schließlich nicht fassen, dass ausgerechnet er jetzt zur Seite fahren soll um uns Platz zu machen. Der Löschzug fährt durch die Nacht zur automatischen Feuermeldung.
Wir erreichen die Alarmadresse. Die Besatzung des 1. HLF steigt aus, voll ausgerüstet mit Pressluftatmern, Handlampen, Maskenbüchsen, Wärmebildkamera, Kleinlöschgerät, Gebäudeplan und F-Schlüssel. Wir nicht, denn wir sind das 2. HLF. Wir steigen erst dann aus, wenn der 0,1 %ige Fall eines echten Feuers eingetreten ist. Das herauszufinden ist die Aufgabe der Besatzung des 1. HLF und des Zugführers. Wir warten.
Wir starren in die Nacht. Gelangweilt. Niemand sagt was. Der Kollege mir gegenüber hat die Augen geschlossen und schläft. Ist ja auch schon spät. Auf der anderen Seite sitzen sich ein alter und ein junger Feuerwehrmann gegenüber. Ihre Blicke schweifen ins Dunkle. Wir warten, hören auf den Funkverkehr, ob nicht irgend etwas auf die 0,1 % hinweist. Das Funkgerät schweigt. Wir hören auf – nichts.
Hoffentlich dauert es nicht so lange. Manchmal stimmen die Laufkarten nicht oder der Schlüssel zu einer verschlossenen Türe war doch nicht im Schlüsselkasten oder es ist unklar welcher Melder das genau sein soll oder die Räumlichkeiten sind so verwirrend dass man sich erst nicht zurechtfindet oder das Gebäude ist riesig und der entsprechende Melder weit entfernt oder, oder, oder.
Wir warten.
„Da drüben sind die zwei Kollegen gestorben.“ sagt der alte Kollege.
Totenstille.
Ja, richtig. Der Brand im Altenheim in der Bauernfeindstraße, einer Parallelstraße unserer Alarmadresse, in den 70ern. Zwei tote Kollegen. Jeder Feuerwehrmann erfährt schon im Grundkurs davon. Ein Zugführer und ein Inspektionsdienst waren damals mit dem Aufzug hochgefahren. Sie hatten zwar Atemschutzmasken dabei, aber keine Pressluftatmer weil sie nicht damit gerechnet hatten dass der Gang verraucht war. Als sich die Aufzugtüren öffneten, drang dichter Qualm in den Aufzug und blockierte die Lichtschranke. Deshalb ließen sich die Türen nicht mehr schließen. Der Brandrauch war voller Blausäure von brennenden Kunststoffen. Sie hatten noch versucht, ihre Atemschutzmasken aufzusetzen, es aber nicht mehr geschafft.
Der Junge fragt nach: „Hier war das, in der Burmesterstraße?“
„In dem Gebäude dahinter, in der Bauernfeindstraße. Sieht aber genau so aus wie das Gebäude hier vorne.“
„Warst du da dabei?“
„Ich hab den einen Kollegen runtergetragen.“
Der Angriffstrupp vom 1. HLF fand in dieser Nacht kein Feuer welches die automatische Feuermeldung ausgelöst haben könnte. Es war eben eine automatische Feuermeldund aus der 99,9 % Kategorie. Wir meldeten an die Leitstelle „Vermutlich Fehler in der Anlage.“ Vor Mitternacht rückten wir wieder ein.
Tag der Veröffentlichung: 10.09.2009
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Widmung:
Ich widme diesen Text meinem Kollegen Dieter Seidl