Cover

Wir befinden uns im Jahr 2081. Der Mars ist ein grüner Planet geworden. Auf der Erde ist die Hochzivilisation der Menschen aufgrund der selbst verursachten Klimakatastrophe untergegangen. Diejenigen, die diesen Zusammenbruch überlebt haben, interpretieren die neue grüne Farbe des Mars als göttliches Zeichen für Weltuntergang und Wiedergeburt. Aber warum ist der Mars jetzt grün? Vor genau zwanzig Jahren, 2061, war im Krater von Olympus Mons die erste bemannte Landeeinheit mit vier Menschen von der Erde aufgeschlagen. Danach brachten weitere vier Missionen insgesamt weitere 48 Menschen auf den Mars. Unter ihnen waren naturreligiöse Fanatiker, Eden, die neuen Menschen. Sie wollten den Mars mittels Terraforming in eine neue Erde verwandeln um die alten ökologischen Sünden der Menschheit auszutilgen. Deshalb setzten sie irdische, sauerstoffproduzierende Bakterien frei. Von nichts in ihrem Wachstum gehindert, verbreiteten sie sich exponentiell über die Marsoberfläche und der Mars ergrünte. Die jetzt grünen Polkappen saugten Sonnenwärme auf, erwärmten sich und setzten enorme Mengen CO2 frei. Kohlensäure bildete sich und extrahierte aus nitratreichen Mineralien Stickstoff. Die Atmosphäre wurde immer dichter, der Mars immer wärmer. Uralte Marsviren, übriggeblieben aus dem ersten, kurzen Leben des Mars, hatten sich mit irdischen Bakterien vermählt und neue Wesen gezeugt, gefährliche Nesselgift schleudernde Raubtiere: Amöbenquallen.




Langsam, schwerfällig drehte die seltsame Kreatur den Kopf und schaute nach unten. Unter dem Felsgrat auf dem sie saß, befand sich die erste Menschenansiedlung auf dem Mars, Tycho Brahe. Mehrere große, aufgeblasene Kissen wuchsen hier wie grüne Seifenblasen. Von den ersten Gebäuden war kaum noch etwas zu erkennen. Zwanzig Jahre, was hatte sich da nicht alles verändert? Die Bewohner von Tycho Brahe experimentierten mit irdischen Organismen. Zuerst brachten sie, sauerstoffproduzierende, Cyanobakterien aus. Sie wurden durch die Marsstürme auf dem ganzen Planeten verteilt. Danach züchteten und genmanipulierten sie weiter. Flechten, Moose, Pilze. Daraufhin kamen Würmer an die Reihe, wie Pilze Destruenten, das heißt, sie verarbeiten abgestorbenes biologisches Material. So entsteht Erde, Mutterboden. Das Wesen kauerte sich zusammen. Die Sonne, vom Mars aus gesehen nur so groß wie eine Grapefruit, sank langsam unter den Horizont und erzeugte lange Schatten in denen seine Gestalt fast verschwand. Jetzt richtete es sich auf. Große, fledermausartige Flügel spannten sich wie Regenschirme. Der gedrungene, etwas unförmige Körper war mit einer dicken, runzeligen, grünen Haut überzogen. Alles war in dunklen, moosigen Grüntönen gefärbt, auch die Fledermausflügel. Ein langer, echsenartiger, spitz zulaufenden Schwanz stützte den gedrungenen Körper. Das Wesen schien nicht zu atmen, wenigstens bewegte der breite Brustkorb sich nicht. Ein unwirklicher, grünmoosiger Dämon!

Ungefähr fünfhundert Meter von Tycho Brahe entfernt, saßen zwei Gestalten im Marskraut. Die kleinere davon trug einen leichten Schutzanzug mit Pressluftatmer. Die Atmosphäre war zwar jetzt schon ziemlich dicht und relativ warm geworden, bestand aber noch hauptsächlich aus CO2 und Stickstoff. Der Sauerstoffgehalt lag bei 4 % und reichte noch lange nicht zum Atmen aus. Die größere Gestalt dagegen schien keinen Raumanzug zu benötigen.

„René, stimmt es, dass die Menschen aus der selbstgemachten Hölle Erde ausgezogen sind, um hier auf dem Mars der Natur zu dienen und die Menschheit zu erlösen?“ Victor Crouch war in mehrfacher Hinsicht ein ungewöhnlicher, 14jähriger Junge. Zum einen war er besonders aufgeweckt und wissbegierig. Schon als Dreijähriger hatte er in vollständigen Sätzen geantwortet. Er war auch ein außerordentlich hübscher Junge, mit schwarzen, dichten, widerspenstigen Locken und den mittelmeerblauen Augen seines Vaters. Sein Vater war der religiöse Führer hier auf Tycho Brahe, Alex Gillespie. Dessen Anhänger nannten sich „Neue Menschen“ und wollten auf dem Mars eine Menschheit-Punkt-Zwei gründen. Ungewöhnlich war auch sein Freund René, denn es handelte sich um einen Roboter der jetzt antwortete.

„Ja und Nein, Viktor. Die Menschheit auf der Erde, ein ferner, von hier kaum sichtbarer, bläulicher Planet, hat viele Fehler gemacht. Es hat schreckliche Kriege mit Millionen Toten gegeben.“ Viktor wurde ein wenig schwindlig bei diesen Worten. Er konnte sich unter „Millionen“ nichts Rechtes vorstellen und Menschenwesen schon gar nicht. Hier auf Tycho Brahe gab es gerade einmal 28 Erwachsene und 58 Kinder. Es existierte noch eine weitere menschliche Ansiedlung, im Krater von Olympus Mons, in 70 km Entfernung, mit dem Namen „Eden“. Über diesen Ort wurde aber in Gegenwart der Kinder nicht geredet. Er schien sich um einen geheimnisvollen, unheimlichen Ort zu handeln.

Der Roboter René fuhr fort: „Die Menschheit ging sehr unvernünftig mit ihrer Umwelt um. Sie passte ihre technische und wirtschaftliche Entwicklung nicht in die ökologischen Kreisläufe ein. Dadurch erwärmte sich die Erde. Das Klima veränderte sich so stark, dass die Menschliche Zivilisation schließlich auseinanderfiel was nicht heißt dass alle Menschen auf der Erde tot sein müssen.“ Viktor blickte nachdenklich mit seinen meerblauen Augen. Er konnte René alles fragen, egal ob die Erwachsenen darüber sprechen wollten oder nicht. Er war er mit dem Roboter befreundet. Das sahen die Menschen auf Tycho Brahe nicht gern, besonders sein Vater störte sich dran. „Aber wir hier verändern doch auch unsere Umgebung. Wir wollen, dass man einmal im Freien ohne Schutzanzug herumlaufen kann, dass man Luft atmen kann, das ist doch nichts Schlechtes?“ René seufzte: „Ja und Nein.“

René war während der letzten Mission von der Erde mit fünf Landeeinheiten voller Roboter angekommen. Auf dem Flug zum Mars kam er zu Bewusstsein. Irgendwelche Neuronen hatten anders geschaltet, als es bei den Exemplaren der Serie MDLVZR sonst üblich war. Das war kein Wunder bei den hochkomplexen Programmen die in den Computergehirnen moderner Robots abliefen. Ein Wunder war nur, dass die Singularitäten im Programm sich dahingehend auswirkten, dass MDLVZR-3333 alias René sich seiner Existenz bewusst geworden war. Er hatte begonnen nachzudenken und anhand seiner so gewonnenen neuen Erkenntnisse, autonome Entscheidungen zu fällen.

Das unduldsame und hochfahrende Verhalten von Viktors Vater, Alex Gillespie, hatte beispielsweise dazu geführt dass René ihm den unmittelbaren Zugriff auf die Roboter verweigerte. Alex musste René seitdem vorher fragen, wenn er Unterstützung durch irgendwelche Roboter haben wollte. Und das stank ihm gewaltig! Und er fand es unerträglich, dass SEIN SOHN sich ausgerechnet mit diesem impertinenten Roboter auch noch angefreundet hatte!! Und er konnte NICHTS dagegen machen!!! Rein gar nichts!!!! Roboter ist Roboter und niemand auf Tycho Brahe konnte ihm physisch etwas anhaben. Versuche sein Elektronengehirn von außen zu hacken hatte René bisher mit provozierender Mühelosigkeit abgewehrt.

René war ein Kinderfreund. Er liebte es, Kindern Märchen zu erzählen. Kinder hatten so etwas vorurteilfreies, unprogrammiertes, bevor sie erwachsen wurden. René fragte sich oft, ob es zwangsläufig so sein musste, dass sich der Menschliche Charakter beim "Erwachsen-werden" so negativ veränderte? Er beschloss, Einfluss darauf zu nehmen. Eifrig hatte er alle Datenbanken im Intranet nach pädagogischen Konzepten zu Kindererziehung durchforstet. Er war auch fündig geworden. Allerdings viel ZU fündig! Hunderte sich widersprechende Ratschläge! Es war nahezu unmöglich - EINE - unumstrittene Pädagogik herauszudestillieren.

„Aber dann waren es ganz schön dumme Menschen, René! Es ist doch doof sich die eigene Umwelt kaputt zu machen!“ Der Roboter hätte gern die Stirne gerunzelt, wenn es ihm möglich gewesen wäre. „Weißt du, Viktor, ich würde es eher kurzsichtig nennen. Viele Menschen haben eben nicht weit genug gedacht. Sie haben sich nur über ihre UNMITTELBARE Umgebung und NAHE Zukunft Gedanken gemacht. Aber die unmittelbare Umgebung ist mit der GLOBALEN Umgebung vernetzt und die nahe Zukunft mit der FERNEN Zukunft. Das haben Viele übersehen. Das wird auch hier auf dem Mars übersehen, bei diesen sorglosen genetischen Experimenten mit Lebewesen! Man weiß einfach zu wenig darüber wie sich das alles auswirken wird. Leben ist immer autonom, es entwickelt sich IMMER anders weiter als man vorauszusehen versucht. Auf der Erde hatte es natürlich auch Warner gegeben. Aber das waren zu wenige und vor allem zu wenig mächtig. Die hatten einfach nichts zu sagen.“

Viktor konnte das nicht einsehen. „Aber warum haben die Klugen nicht bestimmt?“ René schüttelte sanft seinen Kopf. „So ganz genau weiß ich das auch nicht. Wahrscheinlich waren die Menschen insgesamt nicht aufgeklärt genug.“ „Was ist das, ‚aufgeklärt’?“ bohrte Viktor weiter. Blitzschnell verlinkten sich die Begriffe in René’s Computerhirn: Aufklärung – Kant – „Was ist Aufklärung“ von 1784 – Zusammenfassung: „Aufklärung heißt, dass man SELBER nachdenkt und das Nachdenken nicht anderen überlässt. Es gibt Leute, die können nicht selbständig nachdenken, weil sie zu dumm dazu sind. Andere sind vielleicht nicht zu dumm, aber dafür nicht mutig genug oder zu faul selber zu denken. Das hat vor fast dreihundert Jahren ein gewisser Immanuel Kant so gesagt. Ich finde er hatte recht.“ Viktor blieb der Mund offen. Wie gesagt, er war ein ungewöhnlich kluges Kind. „Wow, was für ein starker Typ dieser Immanuel! Und obwohl er das vor dreihundert Jahren schon herausgefunden hat, haben die Menschen es trotzdem falsch gemacht?“ René zuckte die Achseln. „Es lebten viele Menschen auf der Erde. Einige darunter waren bestimmt aufgeklärt, andere nicht. Wie gesagt, wahrscheinlich waren nicht genügend viele aufgeklärt. Vor allem unter denen, welche die Entscheidungen zu treffen hatten!“

Still saßen sie beide im Marskraut, das ungleiche Paar. Ein kleiner Junge im Raumanzug und ein großer, matt schimmernder Roboter. Befreundet, in Gedanken versunken. Plötzlich schnellte ruckartig der Metallkopf hervor und wechselte die Blickrichtung. „Was ist los René?“ Viktor wurde neugierig. René scannte die Umgebung. Parallel dazu spulte er seine optischen Wahrnehmungen noch einmal ab, die er aus Sicherheitsgründen immer 24 Stunden aufbewahrte. Genau, da war Bewegung gewesen! Zu unscharf, um es eindeutig identifizieren zu können, aber eindeutig Bewegung. Victor erhob sich schweigend um die Stelle besser fixieren zu können. „Was ist los René!!“ Viktor wurde ungeduldig und starrte erfolglos in die gleiche Richtung wie der Roboter. René antwortete nicht. Sirrend wechselte er seine optischen Filter durch. Keine Feststellung. Dann versuchte er es mit Computerprogrammen. In den ungeheuren Datenbeständen die sich in Tycho Brahe und seinen Landeeinheiten befanden, hatte er einmal ein altes militärisches Programm entdeckt mit dem man sich aus der Luft unter Tarnnetzen hindurchrechnen und die darunter befindlichen Gegenstände, Gebäude, Panzer etc. räumlich darstellen konnte. So wurde er schließlich fündig. „Da befindet sich etwas im Kraut. Ich kann nicht genau definieren was es ist. Es muss auf jeden Fall beweglich sein, weil es da normalerweise nicht hingehört.“ „Was ist es René! Ich seh nichts! Lass uns hingehen und nachsehen!!!“ Ein neugieriger Junge ist eben ein neugieriger Junge. „Wie viel Druck hast du noch?“ verlangte der umsichtige Roboter zu wissen. Viktor las sein Manometer ab: „250 bar! Das reicht noch ewig!!! Da hab ich mindestens noch eine Stunde Zeit! Komm, lass uns schnell hinlaufen!“ René hielt den quirligen Vierzehnjährigen am Kragen fest. „Also schnell geht schon mal gar nichts! Erstens verbrauchst du so schneller deine Luft und zweitens wissen wir überhaupt nicht um was es sich bei unserem Fund handelt. Es schadet nicht, ein wenig vorsichtiger vorzugehen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste Hooh hooh hooh!“ René erzeugte etwas, das er für Lachen hielt. Seit ein paar Monaten hatte er Sprichtwörter und Humor für sich entdeckt. Leider fehlte es ihm an einem kritischen Publikum, denn außer den anderen Robotern die auch nicht mehr Phantasie hatten wie handelsübliche Staubsauger hatte er eigentlich nur Viktor als Ansprechpartner. Die anderen Menschen von Tycho Brahe traten ihm in der Regel verstockt und feindselig gegenüber. Sie lachten nie über einen Witz von ihm.

René setzte sich Viktor ohne viel Federlesens auf seine Schultern und schritt gemächlich los, die optische Beute nicht aus den Augen lassend. Ungeduldig wippte Viktor auf den Metallschultern des Roboters hin und her. René hatte ungefähr drei Kilometer zu überwinden, dann würden sie vor dem seltsamen Fund stehen. Für seine unermüdlichen Roboterbeine waren drei Kilometer keine besondere Herausforderung und schon zehn Minuten später wurden immer mehr Details sichtbar.

Plötzlich begann sich das Ding zu erheben. Es stand auf, es hatte zwei Arme, zwei Beine, einen Kopf, zwei Flügel, einen Schwanz, es handelte sich um ein biologisches Wesen! René blieb wie angewurzelt stehen. „OOOUUMPH!!!“ stöhnte Viktor, dessen Magen sich durch den ruckartigen Stillstand gegen Renés Kopf presste. Und gleich darauf: „Boooahhhh! Was ist denn DAS!!!“ René checkte hastig seine Datenbanken.

Sie standen sich lauernd gegenüber. Hochauflösende Optik in dem matt schimmerndem Roboterschädel scannte die Gestalt in zweihundert Meter Entfernung und versuchte zu klassifizieren, ob von ihr irgend eine Gefahr ausging. „Dämon!“ entfuhr es René als er endlich ein vergleichbares Bildmuster gefunden hatte. „Auf der Erde gab es Fabelwesen, die nannte man Dämon. Sie sahen in etwa so aus!“

Überraschend antwortete die Gestalt: „Ich bin kein Dämon!“ Check - Fund antwortet in menschlicher Sprache – daraus folgt – kein Fabelwesen. René löschte den Link zwischen "unbekannter-biologischer-Fund" und "Dämon" wieder. Allerdings fiel ihm auch nichts Besseres ein und so warteten sie erst einmal eine Weile ab. Die seltsame Gestalt bewegte ihre Fledermausflügel und antwortete auf die unausgesprochene Frage: „Ich komme von der Station "Eden", 70 km von hier. Der zweiten menschlichen Siedlung auf dem Mars.“ „Sind sie denn ein Mensch?“ fragte der Robot. „Allerdings. Mein Name ist Manuel Lustiger. Hat man Ihnen etwa nichts von mir erzählt?“ Die 70 km entfernte Ansiedlung mit dem Namen „Eden“ war auf Tycho Brahe ein Tabuthema. Viktor Crouch schmiegte sich näher an den Roboterkopf und versuchte sich auch ein wenig zu ducken. Von dem Ort „Eden“ ging eine unausgesprochene, düstere Bedrohung aus!

Die fremdartige Gestalt begann zu lachen. Kein böses, dämonisches Lachen, eher ein trauriges. Dieses Lachen ließ die Atmosphäre der Bedrohlichkeit in sich zusammenfallen, als wenn man eine Blase angestochen hätte. Viktor begann sich ein wenig zu entspannen. „Entschuldigen sie bitte mein befremdliches Äußeres. Ich bin nur noch zum größten Teil ein Mensch. Insgesamt würde ich mich als einen Symbionten bezeichnen.“ Check – Symbiose – Lebewesen leben zum gegenseitigen Nutzen miteinander.

Der Symbiont wandte sich direkt an den Roboter. „Sie, Herr Roboter. Sind Sie sich ihrer selbst bewusst?“ „Ja!?“ antwortete René überrascht. Das war er noch nie gefragt worden. Und dann auch noch in der Höflichkeitsform! „Woher wissen Sie das?“ „Ich habe damit gerechnet, dass es irgend wann einmal passieren würde.“ antwortete der, in der Tat befremdlich aussehende, Manuel Lustig. „Sie müssen wissen, ich bin Wissenschaftler, Biologe. Ich war sogar einmal ziemlich berühmt, damals, auf der Erde. Durch ein missglücktes Experiment wurde meine Haut von mutierten Cyanobakterien befallen. Die wachsen jetzt auf mir und atmen für mich. Sie können Sonnenenergie unmittelbar in Sauerstoff verwandeln, den sie direkt in meine Blutbahn abgeben. Dafür versorgt sie mein Organismus mit Nährstoffen. Im Laufe der Jahre ist die äußere Haut auch immer derber geworden. Deshalb kann ich ohne Schutzanzug und Pressluftatmer hier auf dem Mars herumspazieren.“ René versuchte diese Informationen zu verarbeiten. Viktor verhielt sich ganz still. Er verstand nicht viel von dem was hier geredet wurde. Wichtig war nur die Nähe zu seinem Freund, dem unbesiegbaren Roboter René, dann konnte ihm nichts passieren. Und eigentlich weg wollte er auch nicht. Irgendwie war da ja doch auch noch ein neugieriger Junge!

Der menschliche Symbiont fuhr fort in dem er träge mit seinen Fledermausflügeln schlug. „Diese Flügel hier sind keine Flügel mit denen man fliegen kann. Wir haben uns aus den Rippen Knorpelspangen wachsen lassen, mit Haut dazwischen, auf denen wieder meine Symbiosebakterien, Anabaeana Ares, wachsen. Das erhöht die Effektivität. Mehr Bakterien erzeugen auch mehr Sauerstoff.“ Klang logisch. „Und in meinem Anhängsel hier“ Manuel Lustiger krümmte die Schwanzspitze „befindet sich einfach ein Vorrat an Wasser. Zur Photosynthese brauchen wir neben Licht und Kohlendioxid aus der Atmosphäre nur noch Wasser.“ René war sprachlos. Viktor fasste sich Mut: „Hey, Herr Symbiont Lustiger. Sind Sie der Einzige ihrer Art?“

Der missgestaltete, moosgrüne Kopf hob sich und blickte zu dem Jungen hinauf. „Du bist aber ein aufmerksamer Junge! Nein, ich bin nicht der Einzige. Mit mir zusammen gibt es noch fünf weitere Symbionten. Nach dem wir zuerst wütend und verzweifelt waren, haben wir begonnen die Vorteile der Symbiose zu sehen. Wir haben uns alle freiwillig verändert. Oh, ich glaube wir kriegen Besuch!“ René und Viktor wandten sich um. Vier Rover näherten sich von Tycho Brahe in rasendem Tempo. Als sie näher kamen konnte man erkennen, dass sie mit Menschen besetzt waren. „Was wollen die hier?“ fragte René. Er hatte mit den Menschen von Tycho Brahe keine guten Erfahrungen gemacht. Unsanft kamen die Rover zum Stehen, hektisch sprangen aufgeregte Menschen in Schutzanzügen herunter. „Das Monster will das Kind töten! Tötet das Monster!!!“ Bevor irgend jemand reagieren konnte flogen Steine und andere harte Gegenstände. Der menschliche Symbiont schwankte unter den harten Treffern, die er am ganzen Körper hinnehmen musste. Viktor schrie auf: „Neeeeiiiinnn!!!“
Check – 1. Viktor in Sicherheit bringen – 2. Symbionten schützen. Renés Gehirn lief auf Hochtouren. Flink wie ein Wiesel brachte er den Jungen hinter den Rovern vor den Fanatikern in Sicherheit bevor er wieder hervorstürzte um sich schützend vor das fremdartige Wesen zu stellen. Immer mehr Marsgestein prasselte auf den zerschlagenen Körper herab. René versuchte so viele der Wurfgeschosse wie möglich abzufangen. Manuel Lustiger stöhnte. René versuchte seine Hände überall zu haben, aber er konnte nicht alle Wurfgeschosse abfangen. Dazu waren es einfach zu viele. „AUFHÖREN!!!“ schrie er schließlich. „NIEMAND TUT VIKTOR ETWAS AN!!!!!!“ Aber die aufgepeitschten Menschen waren einfach nicht zugänglich. Der seltsame Körper des Marssymbionten und vormaligem Biologen zerbrach mehr und mehr unter den Steinwürfen. Wenn er das Wesen retten wollte müsste er die Menschen direkt angreifen, analysierte René. „ACHTUNG; ACHTUNG; STELLEN SIE DIE ANGRIFFE SOFORT EIN!!! SONST GEHE ICH ZUM GEGENANGRIFF ÜBER!!!!!!“ René versuchte es mit der vollen Lautstärke zu der er technisch in der Lage war. Die Angreifer wanden sich wie unter aktustischen Peitschenhieben. Schon nahm wieder einer einen Stein auf – Viktor war mit einem Satz heran, entwand dem, sich sträubenden Angreifer den Stein und hielt ihn fest. PACK PACK PACK machte es, als weitere Steine das reptilienartige Symbiontenwesen trafen. René wollte die Menschen nicht ernsthaft gefährden. Er ließ von dem einzelnen Angreifer ab, sprang zu Manuel Lustig hin und versuchte ihn mit seinem Körper zu decken. KLONK KLONK KLONK prallten die Steine an seinem Metallkörper ab. Aber die Angreifer ließen in ihrer Wut nicht von dem vermeintlichen Monster ab. In seiner Not hob René den Schwerverletzten auf und begann zu rennen.

Die Siedler folgte ihm nicht. Hatten sie eingesehen, dass es sowieso sinnlos war? In ihrer aufgebrachten Stimmung waren sie wohl nicht in der Lage irgend etwas einzusehen. Sie hatten wohl ihr Ziel erreicht und Viktor „gerettet“. Sie sammelten den sich sträubenden Jungen ein und fuhren mit ihm wieder in die Station zurück.

Nach dem René registriert hatte dass er nicht verfolgt wurde hielt er an und legte das zerschlagene Wesen ins Marskraut. Manuel Lustig sah schlimm aus. Die Knorpelspangen seiner Atemflügel waren gebrochen und streckten sich geknickt, wie ein kaputter Regenschirm in die Luft. Die derbe Haut war an mehreren Stellen aufgeplatzt, dunkles Blut quoll aus den Rissen. Ein mittelgroßer Stein hatte ihn im Gesicht getroffen und das Jochbein zertrümmert. Sein Schädel sah aus wie ein eingedrücktes Ei. Der Biologe stöhnte leise. René versuchte das Ausmaß der Verletzungen abzuschätzen aber darin hatte er keine Erfahrung. Musste das Wesen etwa sterben? „Was soll ich tun, Manuel Lustig?“ Doch Lustiger antwortete nicht mehr. Der einst weltberühmte Biologe, Held und Hassfigur von Indien, Anhänger und Gegner von Alex Gillespie, erster Marssymbiont, starb. Erschlagen von einer aufgehetzten Meute.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /