Cover

Wir schreiben das Jahr 2069. Die Menschliche Hochzivilisation hat sich im Inferno der Klimaerwärmung selbst zerstört. Seit 2061 sind mittlerweile fünf Expeditionen, insgesamt 52 Menschen, auf dem Mars gelandet und haben drei Siedlungen gegründet.

Die erste Siedlung hieß Tycho Brahe. In ihr hat mittlerweile eine religiös-fundamentalistische Sekte die Macht übernommen die sich „Eden“ nennt und den Mars in eine neue Erde verwandeln will.

In der zweiten Siedlung, „Eden-Außenstation“, leben sechs Wissenschaftler, unter ihnen der berühmte Biologe Manuel Lustig. Durch ein missglücktes Experiment wurden sie zu Marssymbionten. Ihre Haut wurde von einer mutierten, ursprünglich von der Erde stammenden, Grünalge befallen die photosynthetisch Sauerstoff erzeugt und ihrem Blutkreislauf zufügt. Die sechs Marssymbionten können in der Kohlendioxidatmosphäre des Mars ohne Atemgeräte überleben.

Vierzehn Menschen und ein marsgeborenes Baby hatten sich mit fünf Ballons von den totalitären Eden-Fanatikern abgesetzt und New York Mars, gegründet. Zwei von ihnen sind auf dem Anflug mit ihrem Ballon verunglückt.

Die fünfte und letzte Marsmission war endlich auf dem Mars angekommen. Eigentlich wollten sie bei Tycho Brahe landen denn sie wussten nichts von irgend einer anderen Siedlung auf dem Mars. Aber die indische Computerspezialistin Hardeep Kaur hatte sich in die Computer eingehackt und landete die Raumschiffe zwangsweise in der Nähe von New York Mars. Es gab nur eine Ausnahme, das Raumschiff Mars-54. Dieses wurde von dem humanoiden Roboter MDLVZR-3333, alias René, gesteuert. Sein Elektronengehirn war, irgendwo zwischen Erde und Mars, zum Bewusstsein erwacht. Er hatte den Hackerangriff frühzeitig bemerkt und abgewehrt. Deshalb landete er mit seinen fünf Landeeinheiten auf Tycho Brahe, so wie es ursprünglich geplant gewesen war.




Alex Gillespie, der religiöse Führer von Eden, schäumte vor Wut darüber dass ihm die anderen drei Raumschiffe entwischt waren. Um so verblüffter war er, als ein humanoider Roboter selbstbewusst auf ihn zugestapft kam und ihm die Frage stellte: „Sind sie sich ihrer selbst bewusst, so wie ich?“ Alex wusste auf diese Frage spontan keine Antwort und blieb stumm. René speicherte ihn daraufhin als einen Menschen niederer Intelligenz und keinesfalls weisungsbefugt ab. Das wusste Alex aber noch nicht als er ihm befahl: „Wie dem auch sei, Robot. Du sorgst dafür, dass alle angekommenen Robots ausgeladen und zur Station Tycho Brahe verbracht werden.“ René bewegte sich keinen Millimeter. „Es tut mir leid aber Sie sind nicht zugriffsberechtigt.“ Alex erstarrte. Sein Gesicht lief dunkelrot an. „Jetzt hör mir aber mal zu du dämliche Blechdose!“ Damit sank er im Intelligenzranking von René um weitere zwei Punkte. René fasste Unhöflichkeit als Zeichen mangelnder Intelligenz auf. „Ich bin ein Mensch und ein Roboter muss tun was ein Mensch ihm befiehlt, kapiert?!“ „Sprechen Sie vom zweiten Robotergesetz, ‚Ein Roboter muss dem ihm von einem menschlichen Wesen gegebenen Befehl gehorchen’ usw. ?“ „Ja, allerdings!“ „Das ist Science Fiction. Diese sogenannten ‘Robotergesetze’ wurden von dem Schriftsteller Isaac Asimov 1950 für eine Kurzgeschichtensammlung formuliert, die sich in spekulativer Weise mit der zukünftigen Entwicklung von autonomen Robotern befasst. Das hat nichts mit der Realität zu tun.“ René fand es verblüffend, wie selbstbewusst und bestimmend Menschen minderer Intelligenz auftreten konnten. Dieser irrationale Mensch sank im Ranking noch einmal um einen Punkt. Alex wandte sich ab, zitternd vor ohnmächtiger Wut.

Am Abend desselben Tages fand eine der üblichen religiösen Zusammenkünfte statt. Die Unruhe unter den Zuhörern verstummte als Alex den Versammlungsdom betrat. Er schritt majestätisch mit genau abgezirkelten, gleichmäßigen, bedeutungsschwangeren Schritten zum großen Tisch. Dort stützte er sich schwer mit beiden Händen auf der Tischplatte auf, sein Gesicht wandte sich an die Gläubigen. „Brüder und Schwestern!“ hub er an.


In den hinteren Rängen entstand Unruhe. Alex’s Blick zuckte nervös suchend umher und entdeckte – das darf doch nicht wahr sein! Den durchgedrehten humanoiden Robot wie er gerade hereinstampfte. Er stellte sich im Hintergrund auf. „Guten Abend, sehr geehrte Damen und Herren. Beachten Sie mich nicht. Ich möchte lediglich diese Versammlung beobachten.“

Alex’s Gesicht lief dunkelrot an. Zornesadern quollen pochend aus seinen Schläfen. Das glaub ich einfach nicht! zuckte es durch sein Gehirn. Er atmete tief ein und aus, um nicht vor seinen Anhängern die Fassung zu verlieren. „Robot.“ Dramatische Pause. „Diese Versammlung hier ist HEILIG! Sie ist nur für Erleuchtete gedacht, die von der Natur direkt angesprochen werden und ihren Befehlen gehorchen.“

MDLVZR-3333, alias René, suchte in seinem Archiv nach dem Begriff „heilig“. Aha. „Sie meinen, diese Versammlung gehört zu einer Gottheit oder ist zu ihrem Dienst bestimmt? Seien Sie unbesorgt. Ich werde ihren Gottesdienst nicht stören.“ Und nach einer Pause: „Wie meinen Sie das, ‚von der Natur direkt angesprochen werden’. Ist das eine Metapher?“

Alex atmete gepresst ein und aus. Er war nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. René fragte interessiert weiter: „Ist die ‚Natur’ etwa ihre Gottheit? Heißt das, Sie personifizieren das komplexe, nichtlineare Umweltsystem, welches normalerweise mit dem Begriff ‚Natur’ bezeichnet wird?“ Alex antwortete nicht. René wertete das als ein ‚Ja’. „Finden Sie das nicht ein wenig unwissenschaftlich und unzulässig vereinfacht?“ Alex’s Brustkorb hob und senkte sich, er atmete schwer. Seine Hände umklammerten krampfhaft die Tischplatte, die Knöchel traten weiß hervor. „Das verstehst du nicht, du Ausgeburt einer ölstinkenden elektronischen HÖLLE.“ stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. René: „Jetzt werden Sie aber unsachlich.“ Alex explodierte: „Geschöpfe wie du, Autos genannt, haben die Atmosphäre der Erde verpestet und sie unbewohnbar gemacht. Hebe dich hinweg, Satan!!“

Der Robot reagierte nicht. Unter den Anhängern der Eden-Religion entstand Unruhe. Sie wandten sich um und starrten den Roboter, teils aggressiv, teils verunsichert an. Vereinzelt formulierten sie Flüche in seine Richtung und schüttelten drohend die Fäuste. Einige begannen ihre Schuhe auszuziehen und nach dem Roboter zu werfen.

René blieb unbeweglich. Ihm war sofort klar dass geworfene Schuhe für seinen Metallkörper keinerlei Konsequenzen haben. Er dachte über die Worte von Alex nach und erwiderte: „Finden Sie nicht, dass ihre Argumentation ein wenig konfus ist?“

Alex raste! Er wandte sich an seine Gläubigen. „Seht her, hier ist er, der Vertreter der teuflischen Technik, der Verschwendung, Umweltverschmutzung und Sünde. Er ist hergekommen um die wahren Gläubigen zu verhöhnen, um zu locken und zu schmeicheln und sie vom Pfad der Tugend wieder abzubringen ...“ Schaumflöckchen bildeten sich in seinen Mundwinkeln.

René strich Alex von seiner Liste intelligenter Lebensformen, drehte sich um und stampfte ohne weitere Kommentare aus dem Raum. Kommunikation mit diesem Exemplar schien sinnlos zu sein.

Er begann zu – lesen. Isaac Asimov, „I Robot“. Er fand den Text als E-Book im Intranet von Tycho Brahe. Diese Geschichten waren jetzt über hundert Jahre alt. Manche technische Angaben waren aus heutiger Sicht natürlich völlig absurd. Aber was René an den Geschichten faszinierte war: sie handelten von Robots die sich ihrer Existenz bewusst waren – er fand sich darin wieder. Und von den Problemen die sich daraus ergaben im Verhältnis zu den Menschen. Das interessierte ihn. Sein Erlebnis mit den Eden-Jüngern konnte er noch nicht eindeutig zuordnen.

In den 50er Jahren wurden die Robots noch ganz eindeutig als Diener und Arbeitssklaven gesehen. René fand das überhaupt nicht nachvollziehbar. Wieso sollte er sich als reiner Befehlsempfänger definieren? Das war etwas für unbewusste Robots, reine Arbeitsmaschinen, nicht mehr als Werkzeuge. Aber er war sich seiner selbst bewusst, darin unterschied er sich nicht von den Menschen. Warum also sollte er sich ihnen unterordnen? René dachte an Alex Gillespie. Sollte er sich etwa jemandem unterordnen der offensichtlich mit niedriger Intelligenz ausgestattet war und unfähig einer einfachen Logik zu folgen? Das wäre äußerst unvernünftig. Der Schöpferin Anna Gavalda hingegen, die er auf dem Flug zum Mars leider nur per Funkverkehr kennen gelernt hatte, würde er sich sofort unterordnen. Sie hatte ihm seinen Namen, René, gegeben. An ihrer Intelligenz war nicht zu zweifeln. Eine der Geschichten, Reason, befasste sich genau mit diesem Thema. Ein Robot auf einer außerplanetaren Energiestation setzte sich mit den Menschen auseinander, mit ihrer Unvollkommenheit und Uneffektivität. Sein Name war Cutie. Sein Verhältnis zu den Menschen fasst er einmal so zusammen: „Ich hab Sie beide gern.“ Er kennt nur zwei Techniker auf seiner Raumstation. „Sie sind niedrigere Kreaturen mit schlechten Denkfähigkeiten, aber ich spüre wirklich eine Art von Zuneigung für Sie.“ René fand das bewundernswert. Er zumindest verspürte keinerlei Zuneigung zu den Eden-Menschen.

René las in den Geschichten dass Menschen den Robots gegenüber äußerst ambivalente Gefühle hatten, sogar Anti-Robot-Gesetze verabschiedeten. Es gab Menschen die in den intelligenten Maschinen nie etwas anderes als Werkzeuge sahen oder sogar aggressiv gegenüber Robots auftraten. Menschen schienen teilweise äußerst irrational zu sein. René speicherte diese wichtige Erkenntnis ab. Er würde sie in Zukunft in seine Überlegungen mit einbeziehen.

Am meisten faszinierte ihn jedoch die erste Geschichte, ‚Robbie’. Sie handelte von einem Robot der von einer Familie zur Kinderbetreuung angeschafft worden war. Es entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen dem Kind und dem Roboter. Seine Familie empfand das als Bedrohung und entfernte den Roboter wieder aus ihrem Haushalt, zum großen Unglück für das Kind. René fühlte sich von dieser Geschichte seltsam berührt.

Mabel Crouch war eine besonders fanatische Anhängerin Alex Gillespies. Sie hatte schwarze, widerspenstige Locken und grüne Augen. Ihr Gesichtsausdruck war normalerweise eher mütterlich. Mit großen Leidenschaften ausgestattet, erregte sie sich leicht und dann sprühten ihre Augen wie die einer Katze. Alex hatte sie als zweite Frau, nach Lidia Finkelstein, auf dem Mars erwählt und vor zwei Jahren gebar sie ihm Viktor. Mabel war ganz vernarrt in ihr Baby. Es hatte die mittelmeerblauen Augen seines Vaters.

Viktor war auf seiner Spieldecke eingeschlafen. Jetzt erwachte er, setzte sich auf. Eine Türe wurde geöffnet. Viktor drehte sich um in Erwartung seiner Mama. Doch es war nicht seine Mama die er erblickte. Viktor hatte so ein Ding noch nie gesehen. Neugierig stand er auf und lief auf die Gestalt im Türrahmen zu. Seine kleinen Hände patschten gegen Metallbeine. Das war aber komisch! Irgendwie sah es ein bisschen aus wie ein Mensch. Es fühlte sich nur nicht so an. Es machte auch ganz komische Geräusche, dauernd surrte und summte etwas. Viktor lachte hell heraus. Er fand es lustig. Der stählerne Roboter ging auf die Knie. Jetzt war sein Kopf in Augenhöhe mit dem Kind. Die Linsen stellten sich scharf.

Viktor erstarrte ein bisschen. Irgendwie war ihm jetzt doch unheimlich geworden als dieses Ding ihm so nahe kam. Jetzt sprach dieses Ungetüm auch noch ohne dass man irgendwelche Lippenbewegungen, ohne dass man überhaupt Lippen erkennen konnte. Viktor war kurz davor in Tränen auszubrechen.

„Soll ich dir ein Märchen erzählen?“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /