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Es gab einmal eine Zeit, da war die Feuerwehr noch nicht völlig durchdemokratisiert. Ich spreche von einer Zeit lange nach 1945. Man könnte sie als die böse alte Zeit bezeichnen. Wenn ich heutzutage einmal in den dunklen Ecken meines Gedächtnisses herumstöbere und in verstaubten Winkeln Geschichten aus jener Zeit entdecke, hervorhole, abstaube und betrachte, erscheinen sie mir selbst unglaublich. Obwohl sie wahr sind, vielmehr wahr waren. Denn in der abgeschotteten Welt der Feuerwehr kann leicht ein Paralleluniversum entstehen, ein Biotop, in dem Naturgesetze von Demokratie und Menschenwürde in veränderter Form, mutiert sozusagen, existieren.

Die Arbeit als Feuerwehr gleicht mehr einer Wohngemeinschaft, als einem normalen Arbeitsplatz. Man ist 24 Stunden in einem Gebäude zusammengesperrt das man nicht so ohne Weiteres verlassen kann. Es ist wie in einem Raumschiff, obwohl es von aussen nicht wie ein Raumschiff aussieht. Man arbeitet, isst und schläft zusammen. Man begibt sich in Gefahr zusammen. Kleine und große Geschichten ereignen sich - wie in der Lindenstraße - Beziehungen werden geknüpft und zerbrechen, es wird geliebt, gehasst, intrigiert, gestritten, sich versöhnt, nach eigenen Stammesriten gelebt die den Menschen außerhalb zum Teil völlig unverständlich sind oder zumindest merkwürdig vorkommen würden. Man lebt in zwei Welten mit zwei Zeitrechnungen. Wenn ich auf der Feuerwache morgen sage, meine ich in Wirklichkeit übermorgen, also den nächsten Wachtag. Oder in fünf Tagen, wenn eine viertätige Freischicht dazwischenliegt. Genau so ist es, wenn ich wieder draußen lebe, in der Welt der Normalmenschen. Morgen heißt da der nächste Tag wenn ich wieder draußen bin. Das kann schon mal zu Kommunikationsproblemen mit normalen Menschen führen.

In diesem Paralleluniversum oder Raumschiff oder Biotop verlief die Zeit anders als in der Draußenwelt. Es gab damals Vorgesetzte, deren Inkompetenz man in Worten gar nicht beschreiben kann – damals wollte niemand Vorgesetzter werden. Das waren Feinde. Sie waren auf der anderen Seite. Die, welche dann doch Vorgesetzte werden wollten, waren entweder inkompetent oder außergewöhnlich talentierte Idealisten. Die Inkompetenten waren in der Mehrheit und wenn ein Inkompetenter etwas besonders hasst, dann einen außergewöhnlich talentierten Idealisten. Und was ein Inkompetenter besonders gut kann, ist sich mit anderen Inkompetenten zu einem undurchdringlichen Machtkartell zusammenschließen, zu einer telefonisch vernetzten Inkompetenz-Community, mit dem gemeinsamen Ziel alles was da irgendwie anders ausschaut, was also den Verdacht erregt, kompetent zu sein, was eine Gefahr heraufbeschwören könnte, im harten Licht der Kompetenz die Schatten der Inkompetenz sichtbar zu machen, so einen Sonderling zu isolieren, zu behindern und nach Möglichkeit auszumerzen.

Menschliche, intelligente und fähige Vorgesetzte waren sehr vereinzelt, ziemlich einsam und ständigem Druck und Verfolgung ausgesetzt. Nicht wenige davon sind damals von der dunklen Macht der Inkompetenz zerbrochen und in menschliche Wracks verwandelt worden. Heute ist das weitgehend anders. Die Feuerwehr wurde zwar nicht von einem Prinzen, aber von zwei Branddirektoren wachgeküsst und aus ihrem vordemokratischen Dornröschenschlaf erlöst. Auch deshalb erscheinen die alten Geschichten so irreal, weil sie sich heute so nicht mehr ereignen könnten. Die neuen jungen Kollegen wachsen in einer völlig andere Atmosphäre auf. Inkompetente Vorgesetzte gibt es zwar immer noch, sie sind jedoch mittlerweile in der Minderheit und ständig davon bedroht auf ein Seminar geschickt zu werden, wo sie den vernünftigen Umgang mit Mitarbeitern lernen oder einen Führungsdialog über sich ergehen lassen zu müssen. Man kann solchen Leuten auch das Leitbild vor die Nase halten in dem zum Beispiel geschrieben steht, dass „der Umgang miteinander von gegenseitigem Respekt geprägt“ ist. Es gibt Vorgesetzte die darauf ähnlich reagieren wie Vampire denen man ein Kruzifix vor die Nase hält.

Wie fängt man also eine Geschichte an, die sich zu jener Zeit ereignet hat? Es war einmal...

Es war einmal ein junger Mensch, der normale Eltern gehabt hatte und größtenteils vernünftige Lehrer. Die Bundeswehr hatte dieser junge Mensch, vom Vater zum strengen Antimilitaristen erzogen, verweigert. Damals war dazu noch eine sogenannte Gewissensprüfung notwendig in der man sich, teilweise äußerst konstruierten, Fragen zu stellen hatte. Eine Art Inquisition ohne Scheiterhaufen. Dieser junge Mensch befand sich also in einem Zustand völliger Unschuld und Naivität. Vom Innenleben militaristischer Organisationen hatte er zwar viel gehört und gelesen, aber praktische Erfahrungen damit waren ihm bis zu dem Zeitpunkt gnädig erspart geblieben. Gott meinte es gut mit ihm, denn der junge Mensch hatte darüber hinaus von seinem Vater ein gutes Quantum niederbayrische Sturheit und Eigenwilligkeit geerbt.

Von der Feuerwehr hatte dieser junge Mensch genau so viel Ahnung, als dass er wusste, dass die Feuerwehr sogenannte Drehleitern besaß. Eine Drehleiter war für diesen jungen, naiven Menschen das Feuerwehrauto schlechthin. Er lernte erst im Grundkurs, dass es erstens nicht Auto sondern Feuerwehrfahrzeug hieß und dass es neben der Drehleiter (DLK 13-12 Niedrigbauweise, um genau zu sein) noch LF 16 (Löschgruppenfahrzeug 16 mit 1.600 l Wasser an Bord), TroTLF (ein besonders schönes Wort: Trocken-Tank-Löschfahrzeug), RTW (Rettungswagen), RW 3 (Rüstwagen 3) u.v.a.m. gab. Diesem jungen, naiven Menschen sagte man, dass man bei der Feuerwehr viel Zeit zum Lesen habe und bewirkte damit dass die Unschuld sich bewarb. Er schaffte den Grundkurs als drittbester Münchner. Dann war es so weit: er zog auf. So heißt es bei der Feuerwehr wenn man seinen Dienst antritt. Er zog auf und betrat damit eine Welt, die ihm völlig fremd war. Er wusste es bloß zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er betrat dieses Paralleluniversum völlig arg- und ahnungslos – und lief gegen eine Wand.

Hier musste man sich zu Dienstbeginn mit Helm und Atemschutzmaske ausgerüstet in einer Reihe aufstellen. Geputzte Stiefel zählten wesentlich mehr als kompetente Arbeit. Uniform, war ein Wert an sich. Der naive Mensch musste fünfundzwanzig Jahre alt werden, um sich zum ersten mal so richtig grundlos anschreien zu lassen. Darüber erschrakt er nicht einmal, er konnte es nur absolut nicht einordnen was das jetzt gewesen sein sollte was da über ihn hereinbrach wie ein Platzregen! Er lernte, sinnloseste Arbeiten auf der Feuerwache zu verrichten wie beispielsweise das Abmontieren von blechernen Deckenpanelen, welche einzeln mit Scheuerpulver gesäubert wurden, abgespült, getrocknet und wieder aufmontiert. Die erste Tagesleistung an Panelen musste übrigens nachgearbeitet werden – sie war nicht sauber genug geworden! Nach diversen verworrenen und unangenehmen Abenteuern, begab es sich, dass es ein schöner, heißer, sonniger Sommertag war.

Es war heiß. So um die 30 Grad. Es war sonnig. Der junge Unschuldige und sein in etwa gleichaltriger Lehrgangskollege waren gemeinsam auf einer Feuerwache und Wachabteilung gelandet. Es sollte Dienstsport stattfinden – schwimmen im Maria-Einsiedel-Freibad an der Isar. YEEEAAAHHHHHH! Es war heiß! Sie waren jung! Da gab es Mädchen! Wäre doch gelacht, wenn sich da nicht ein paar Mädels für knackige junge Feuerwehrmänner interessieren würden! YEEEAAAHHHHHH!

In der Fahrzeughalle stand ein ältlicher, kautziger Hauptbrandmeister und winkte die beiden zu sich. Seine wasserblauen Augen wurden durch die Brille unnatürlich vergrößert. Weiße Locken ringelten verlegen auf dem Kopf herum.

- Wir machen heute Dienstsport im Maria-Einsiedel-Freibad an der Isar. Nehmt Turnhosen, Turnhemden und Turnschuhe mit.

Über den Köpfen der jungen Feuerwehrmänner bildeten sich dicke Fragezeichen. Die Gesichter blickten blöde.

- Was sollen wir mitnehmen? Warum denn das?

Der ältliche, kautzige Hauptbrandmeister fuchtelte mit dem Finger vor ihren Nasen herum und schüttelte missbilligend den weißbelockten Kopf.

- NNNicht fragen! Einfach machen!!!

versuchte er Autorität auszustrahlen. Er strahlte so viel Autorität aus wie eine sehr billige Taschenlampe die man nach fünf Jahren im Kofferraum wieder findet und in der mindestens zehn Jahre alte Batterien sind. Er zockelte ab.

Der Naive und sein Freund wandten sich ihre Gesichter zu und versuchten ernsthaft sich einen Reim darauf zu machen.

- Warum sollen wir unser Turngewand mitnehmen?
- Vielleicht aus Gründen der UVV (Unfall Verhütungs Vorschrift)? Damit wir nicht in Glasscherben treten?

Egal. Es war heiß. Es war sonnig. Sie waren jung. Sie würden Mädchen anharfen. YEEEAAAHHHHHH!

Das LF 16 verließ mit sieben Feuerwehrleuten und einem ältlichen Hauptbrandmeister die Wache und fuhr in Richtung Isar. Die Fenster waren runtergedreht. Die heiße Luft wehte herein. YEEEAAAHHHHHH! Der Unschuldige saß mit fünf älteren Kollegen hinten, sein Freund war Fahrer und neben ihm thronte der ältliche Hauptbrandmeister. Die heiße Sommerluft spielte mit seinen weißen Locken. Der Naive grinste aus vollen Kräften nach draußen und war bis zum Platzen guter Laune. YEEEAAAHHHHHH! Ein guter Tag! Ein sauguter Tag!! Was für ein Leben!!!

Sie bogen auf die Liegewiese des Freibades ein. Sie war vollbesetzt. Kein Wunder – bei einem so heißen und sonnigen Tag. Freibadwetter königlichstes! So ein LF 16 ist ein ziemlich großes, unübersehbar rotes Feuerwehrfahrzeug. Sie stellten es am Rand der Liegewiese ab. Der ältliche Hauptbrandmeister wandte sich zu den einfachen Feuerwehrleuten um.

- wir werden uns jetzt erst einmal aufwärmen.

Es war heiß, ungefähr dreißig Grad. Aufwärmen? Sollten sie etwa für Olympia trainieren?

- ich bleib am Funk

reagierte der Freund des Naiven blitzschnell. Feuerwehrfahrzeuge sind immer im Alarm. Auch während des Dienstsports. Das bedeutet, einer muss am Funk bleiben. Wenn das Fahrzeug von der Leitstelle alarmiert wird, gibt der den Alarm an die anderen weiter. Die packen dann möglichst schnell ihre Siebensachen zusammen (sie sollen die 60 Sekunden Ausrückezeit einhalten) und los geht’s mit Blaulicht und Martinshorn. Normalerweise bleibt keiner gern am Funk. Vor allem nicht, an einem so heißen und sonnigen Tag, wenn Dienstsport im Freibad ansteht. Ganz besonders dann nicht wenn man jung ist und es dort Mädchen anzuharfen gibt. Der Freund des Naiven reagierte also gedankenschnell und rettete sich freiwillig hinter den Funk.

Der Naive dachte,
- nun gut. Machst du dich also zehn Minuten lang in aller Öffentlichkeit lächerlich. Dann gehst du schnell zum nächsten Becken und schaust wo die Mädchen sind.

Sie stiegen aus. Dafür also war die Turnbekleidung gedacht gewesen! Das Fahrzeug, groß und unübersehbar rot, stand also am Rande der vollbesetzten – königlichstes Freibadwetter – Liegewiese im Maria-Einsiedel-Freibad an der Isar. Es bildete die Hintergrundkulisse für sieben Feuerwehrmänner die sich – a u f w ä r m t e n. Nach Maßgabe eines ältlichen, kauzigen Hauptbrandmeister. Bei ungefähr dreißig Grad. Im Schatten.

Sie liefen also im Kreis. Erst vorwärts. Dann rückwärts. Dann seitwärts. Dann mit schwingenden Armen.

- jetzt gehen wir sechs Schritte vorwärts, mit Knien ganz hoch gezogen.
- jetzt gehen wir sechs Schritte rückwärts.

Es war eine Art Rentnerschwangerschaftsgymnastik. Wie Wassergymnastik ohne Wasser. Es hörte nicht mehr auf. Der Naive machte sich nicht nur zehn Minuten lächerlich. Es wurden fünfzehn Minuten. Eine junge Mutter mit ihrem Kinderwagen fuhr vorbei. Sie versuchte vorbeizufahren. Sie musste sich am Griff des Kinderwagens einhalten, weil sie sonst vor Lachen umgefallen wäre. Es wurden siebzehn Minuten. Der Naive versuchte zu insistieren:

- ist es nicht ungerecht, dass mein junger Kollege so lange am Funk sitzen muss und nicht Sport machen kann? Soll ich ihn nicht nicht ablösen?

Keine Chance. Der bebrillte, kautzige Hauptbrandmeister hatte alles voll im Griff. Er war in seinem Element. Immer neue Übungen fielen ihm ein.

- ich werd’ dir das schon sagen, wenn du den Kollegen ablösen kannst!

Es wurden quälende zwanzig Minuten. Die älteren Kollegen machten unerschütterlich alles mit. Sie schienen sich kein bisschen dafür zu schämen, dass sie sich jetzt schon zweiundzwanzig Minuten lang in aller Öffentlichkeit lächerlich machten. Manche der Badegäste auf der Liegewiese konnten vor Lachen gar nicht umfallen, weil sie schon auf ihrem Handtuch lagen.

Es wurde unerträglich. Der junge Naive lief weg, Richtung LF 16 zum Fahrersitz. Sein junger Freund hielt sich gerade am Lenkrad fest um nicht vor Lachen aus dem Auto zu fallen.

- lös mich ab oder ich schlag dich nieder!

forderte der junge Naive humorlos. Schon kam der ältliche weißlockige Hauptbrandmeister angewackelt. Es entwickelte sich ein heftiger Disput den der Kautzige mit den Worten beendete:

- wenn du bei der Feuerwehr jemals etwas werden willst musst du das Denken schon mir überlassen!

Er hatte sich selbst und denken in einem einzige Satz untergebracht!

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.11.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Geschichte widme ich in Dankbarkeit Günther Hölzl und Wolfgang Schäuble. Sie haben sehr dazu beigetragen dass Absurdes Theater keine Realität mehr ist.

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