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Es ist ein eigenartiges Gefühl um drei Uhr nachts als Einziger wach zu sein, auf einer Feuerwache, auf der 30 Mann schlafen. Einsatzbereit schlafen. Nur die Kollegen vom ASB die auch auf unserer Feuerwache stationiert sind, schlafen nicht. Sie haben keine 24 Stunden Dienst wie wir, sondern acht Stunden Schichten. In der Fahrzeughalle ist die Nachtbeleuchtung eingeschaltet. Ein paar Neonröhren verbreiten ein blasses, künstliches Licht. Ich mache die Türe vom NEF leise zu. In der Nachrichtenstelle schlafen zwei Kollegen – wieder. Neben mir, an den Armaturen der Kollegen vom 1. HLF lehnt das Spineboard. Ein flaches, gelbes Kunststoffbrett mit Griffen und Gurten. Damit haben wir vor eineinhalb Stunden den Brandverletzten aus dem ersten Stock nach unten gebracht. Ein typischer, frisch brandstinkender Geruch geht von den Uniformen aus.

Was brauche ich noch? Reserveakkus für das tragbare EKG, Spritzen, Hypnomidate (ein Narkosemittel), Berichtsformulare (Was wäre ein Einsatz ohne Bericht!), Spitzabfallbehälter, Kapnometrieleitungen. Alles? Ein Blick auf meine Notizen ----- alles. Ich bin müde. Oder auch nicht. Eigentlich bin ich müde, aber im Einsatz verzieht sich das Müdigkeitsgefühl. Es wird sozusagen geparkt, verschoben, umgebucht auf einen günstigeren Zeitpunkt. Und ich bin immer noch im Einsatz. Fahrzeug aufpacken gehört dazu. Erst wenn alles wieder aufgefüllt ist, endet der Einsatz. Dann ist man nur noch einsatzbereit. Egal um welche Uhrzeit. Leise schließe ich die schwere Eisentüre zur Fahrzeughalle hinter mir und betrete das Wachgebäude. Ich gehe den Gang entlang auf dem alten, etwas schäbigen Fußboden. Es ist die zweitälteste Wache in München. Da wären einige Renovierungen nötig. Aber wir haben gerade eine neue Küche bekommen. Tja, das liebe Geld. Das Rettungsdienstbüro liegt am Ende des Ganges. Dort kann ich ergänzen, was wir in den letzten eineinhalb Stunden verbraucht haben.

Vor eineinhalb Stunden bin ich nachalarmiert worden. Zimmerbrand. Unser Löschzug war bereits vor Ort. Jetzt hatten sie eine Person gefunden. Jeder Beruf hat seinen bestimmten Sprech. Bei uns heißt ein Mensch Person. Das ist unpersönlicher als Mensch. Manchmal heißt ein Mensch bei uns auch Polytrauma oder Rea (von Reanimation). Einen Namen bekommt der Mensch, Person, Polytrauma in der Regel erst wenn der Bericht geschrieben wird. Das hat nichts mit Menschenfeindlichkeit zu tun. Diese Menschen sind unsere Arbeit. Unsere Arbeit setzt ein, wenn bei diesen Menschen die gewohnte Umwelt aus den Fugen gerät und bedrohlich wird. Dass Menschen bei uns Person, Polytrauma oder Rea heißen, hat eher mit einem sachlichen Umgangston zu tun. Man muss möglichst sachlich bleiben, in dieser Umwelt, die für den Menschen plötzlich gefährlich geworden ist. Mir käme es zynisch vor, diese Menschen als „Kunden“ zu bezeichne. Nein, „Kunde“ trifft nicht den Kern der Sache.

Ein Zimmer hatte gebrannt. Unser Angriffstrupp war reingegangen und hatte das Feuer gelöscht. Im Rücken unseres Angriffstrupps bauten die Kollegen vom Löschzug Wasserleitungen auf, erkundeten die Umgebung, entschieden was noch zu tun oder nicht zu tun sei. Stellen wir die Drehleiter auf? Wenn ja, wo? Oder brauchen wir sie nicht? Wo sind die Hydranten? Gibt es eine Steigleitung im Gebäude? Zwanzig Mann laufen sinnvoll durcheinander. Ein ganzes Räderwerk oder vielmehr, eine Art mobiler Ameisenhaufen. Sieht chaotisch aus aber in kürzester Zeit sind mehrere 10 Meter Schläuche verlegt, Hydranten angeschlossen, ist Wasser an der Brandwohnung, geht der Angriffstrupp rein. Draußen wird dem Angriffstrupp weiter zugearbeitet. Der Fahrer von ihrem HLF überwacht deren Atemschutz. Ein Rettungstrupp für den Angriffstrupp wird bereitgestellt. Der Feuerwehr RTW (Rettungswagen) steht für den Eigenschutz bereit oder für eine Person.

Der Angriffstrupp war reingegangen und hatte das Feuer gelöscht. Der Fernseher war noch an gewesen. Sie hatten ein Geräusch gehört das sie erst nicht orten konnten. Ein Schnarchgeräusch. In der Küche lag eine Person. Sie war tief bewusstlos, die Schutzreflexe hatten nachgelassen, dadurch hatte sich der Zungengrund vor die Luftröhre gelegt und das Schnarchgeräusch erzeugt. Das hat nichts mit Gemütlichkeit zu tun! Die Person war kurz davor zu sterben. Sie hatten die Person rausgezogen. Die Person war im Begriff eine zweite Chance zu bekommen.

Der Zugführer alarmierte den Rettungsdienst, weitere RTW und uns als NEF (mit Notarzt an Bord) nach. Wir haben uns durch das Chaos zum Patienten vorgekämpft. Wir sind den Schläuchen nachgelaufen, haben uns durchgefragt: Wo wird reanimiert? Wir sind über Schläuche gestolpert und haben uns in einem engen, kalten und vom Löschwasser nassen Treppenhaus an vermummten Kollegen mit Pressluftatmer vorbeigedrückt. Man kennt sich – wir sind ja eine Feuerwache. Ein Zeigefinger, gehüllt in einen dicken, schmutzigen Lederhandschuh, deutet nach oben. Noch ein Stockwerk! Wir betreten einen Flur vor der Brandwohnung. Der Zugführer spricht gerade ins Funkgerät und fordert ein Spezialmedikament nach. Verschiedene Feuerwehrleute und Polizisten bevölkern den Gang. Einige knien. Zwischen ihnen liegt, verrußt, mit teils zerrissener, teils weggeschnittener Kleidung, ein Mensch. Unsere Person. Unsere RTW-Besatzung beatmet den Patienten bereits. Er musste nicht reanimiert werden (ein gutes Zeichen); er hatte noch selbst geatmet. Mit Sicherheit hatte er eine Menge Rauch eingeatmet und eine Menge Kohlenmonoxid im Blut (das er dort nicht brauchen kann weil es den Sauerstoff verdrängt). Wir bereiten die Intubation vor. Betäubungsmedikamente werden auf Spritzen aufgezogen. Ein Zugang wird gelegt - Kanüle in die Vene. Es wird Hand in Hand gearbeitet. Löschknechte mit Einsatzmänteln verwandeln sich in Rettungsassistenten. Die dicken Lederhandschuhe sind ausgezogen. EKG wird aufgeklebt. Jetzt wird intubiert. Sitzt der Tubus? Ja. Tubus fixieren. Spineboard ist unterwegs. Spineboard trifft ein. Der Patient wird draufgelegt. Wir tragen ihn durch ein enges, kaltes und vom Löschwasser nasses Treppenhaus, vorbei an Feuerwehrkollegen und Polizisten. Ein Gemenge von Uniformen, Kälte, Wasser; Bitte Platz machen!

Im Krankenhaus dann, haben wir den Patienten im Schockraum übergeben. Medizinische Versorgung ist der Unterschied zwischen Person und Patient. Danach haben wir, der RTW und ich (das NEF), unsere Ausrüstung wieder auseinandergeklaubt. Ein entscheidender Nachteil des NEF-Fahrers ist, dass er das Fahrzeug ganz allein wieder einsatzbereit machen muss. Der Arzt ist im Schockraum, die beiden Rettungsassistenten vom RTW packen ihr Fahrzeug auf und ich meins. Ich ergänze, was ich aus dem (begrenzten – ein NEF ist kein großes Fahrzeug) Reservematerial ergänzen kann, wir fahren auf die Wache zurück. Gute Nacht! Mein Notarzt geht ins Bett. Ich packe das Fahrzeug fertig auf. Ich, das NEF, bin jetzt wieder einsatzbereit.

Ich gehe in den ersten Stock, zu den Schlafräumen. Vor manchen Türen liegt eine brandstinkende Hose. Das sind die Zimmer in denen die Angriffstrupps einsatzbereit schlafen. Brandrauch ist nicht gesund und daher wird die verrauchte Einsatzhose nachts vor die Tür gelegt.

Ich gehe in mein Bett. Es ist ein Teilzeitbett, dass ich mir mit zwei Kollegen von den anderen Schichten teile. Meine Einsatzkleidung wird sorgfältig über den Stuhl gelegt. Jeder Feuerwehrmann hat seine besonderte Art, das Gewand hinzulegen. Aber er legt es immer exakt auf die gleiche Art und Weise hin, stellt die Schuhe immer an den exakt gleichen Platz. Wenn man im Alarm aus dem Schlaf gerissen wird, muss alles automatisch gehen. Man greift nach den Sachen ohne sie unbedingt zu sehen. Mein Piepser (ein NEF wird über Piepser alarmiert, die Feuerwehr über einen Gong) wird in das Ladegerät gesteckt. Ich ziehe die Bettdecke über.

Ich bin 4.76.1 (mein Funkrufname). Bevor ich einschlafe, sage ich mir noch ein paar mal meinen Funkrufnamen vor. Wie eine Art Nachtgebet. Man fährt ja nicht jeden Tag das gleiche Fahrzeug. Und wenn man im Alarm aus dem Schlaf gerissen wird, muss alles automatisch gehen. Da hat man keine Zeit großartig darüber nachzudenken was man eigentlich fährt. Man hat ja nur 60 Sekunden Zeit bis man aus der Wache mit Blaulicht rausfahren muss.

Ich bin 4.76.1 – ich bin ein NEF – die Müdigkeit ist wie ein heißer Stein im Kopf - ich bin 4.76.1 - ich bin ein NEF - eine schwere Steinplatte legt sich auf meine Stirn - i c h b i n . . . .

Der Piepser hört sich ein bisschen wie ein Martinshorn an. Alarm! Jetzt muss alles automatisch gehen. Ich greife nach den Sachen ohne sie unbedingt zu sehen. Ich laufe auf den Gang – ich rutsche (mit einem RRRIIIITSCH-Geräusch) die Rutschstange runter. Die Müdigkeit verkriecht sich in einen hinteren Winkel des Kopfes – bis ich wieder Zeit für die Müdigkeit habe. Ich bekomme mein Alarmschreiben – ich starte den Wagen und schalte den Funk ein – ich melde mich bei der Leitstelle – mein Notarzt steigt ein. Gleichzeitig hatte der Gong ein HLF alarmiert. First Responder. Bewusstlos. Sechs Mann hatten nach ihren Sachen gegriffen ohne sie unbedingt zu sehen und waren mit einem RRRIIIITSCH-Geräusch die Rutschstange runtergerutscht. Mäntel werden angezogen, der Dieselmotor vom HLF springt krachend an. Die Kollegen vom ASB laufen zu ihrem RTW. Wir werden zusammenarbeiten. Von 30 einsatzbereit schlafenden Menschen rücken zehn aus um vielleicht einem Menschen die zweite Chance zu geben!

1008

ASB Arbeiter Samariter Bund

HLF Hilfeleistungs Lösch Fahrzeug

Löschzug Einsatzleitwagen (Vorausfahrzeug mit Zugführer an Bord), zwei HLF. eine Drehleiter und ein RTW

NEF Notarzt Einsatz Fahrzeug

RTW Rettungs Transport Fahrzeug

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.10.2008

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