Kapitel 1: Leben
Es war ein ganz gewöhnlicher Montagmorgen, an dem Jack wie gewohnt in die Schule ging. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, stand jedoch schon hoch am Himmel. Das Meer rauschte so laut, dass es das Zwitschern der Vögel übertönte. Gelangweilt schaute Jack auf seine Armbanduhr. Ja, es war ein ganz normaler, langweiliger Montag. Oft wünschte er sich ein wenig Abwechslung in seinem Leben.
Endlich erschien das Schulgebäude vor ihm, und er konnte es kaum abwarten, seine Freundin nach den Ferien wiederzusehen. Anne war für ihn das schönste Mädchen der Welt, auch, wenn sie eher ein Mauerblümchen war. Sie hatte kastanienbraunes, schulterlanges Haar, welches sie meistens zu einem Zopf zusammenband. Ihren rehbraunen Augen wurde nur selten Beachtung geschenkt. Doch für ihn gab es keine Andere, was die meisten Mädchen der Schule in Liebeskummer versetzte. Jack war so etwas wie der Schulschwarm, mit seinen dunkelbraunen Haaren, seinen dunklen Augen und seinem schlanken, sportlichen Körperbau. Er war einfach perfekt und hätte vermutlich jede haben können, doch sein Herz gehörte nur diesem einen Mädchen.
"Hey Jack!", rief eine Stimme. Kurze Zeit später spürte er eine Hand auf seiner Schulter und drehte sich um. "Oh, hallo Mary", sagte er und lächelte. "Na, wie waren deine Ferien?", fragte sie und erwiderte sein Lächeln. "Bescheiden. Nichts Besonderes. Und bei dir?", fragte er zurück. "Ebenso", antworte sie, "Oh, da hinten kommt Anne. Da geh ich mal lieber. Bis später!", flüsterte sie und umarmte ihn zum Abschied. Mary war seine beste Freundin, sie war schon seit vielen Jahren in ihn verliebt. Daher mochte sie Anne nicht besonders. Sie verschwand blitzschnell hinter der nächsten Ecke.
Jack drehte sich um und rannte auf seine Freundin zu. "Anne! Ich habe dich so vermisst!", raunte er ihr zu und nahm sie in den Arm. Sie hob den Kopf und küsste ihn. "Das hat mir so gefehlt! Ich hasse die Ferien, wenn ich sie nicht mit dir verbringen kann.", sagte sie, "Aber jetzt können wir uns wieder sehen." "Es klingelt gleich, bitte gehen Sie in ihre Klassen.", ermahnte sie ein Lehrer. Sie umarmten sich noch einmal und gingen dann wieder getrennte Wege. Anne ging in die achte Klasse, Jack in die zehnte. Der Unterricht kam ihm so vor, als würde er Jahre dauern. Er konnte nur an Anne denken, und war unkonzentriert. Als es endlich zum letzten Mal klingelte, packte er seine Sachen und stürmte sofort nach draußen, wo sie bereits auf ihn wartete. Die beiden hatten die rosarote Brille aufgesetzt, so wie sie es schon seit beinahe zwei Jahren getan hatten. Sie hatten sich nie gestritten, und waren eigentlich das
Traumpaar der Schule.
Hand in Hand gingen sie zum Meer, setzten sich auf einen der großen Felsen und schenkten sich gegenseitige Wärme. Erst als die Sonne den Horizont bereits rot färbte trennten sie sich wieder und gingen nach Hause. Der Himmel zog sich, wie so oft, schlagartig zu und ein Sturm baute sich auf. Zu Hause angekommen machte Jack seine Hausaufgaben und lauschte dann dem Rauschen des Meeres im Sturm. Er legte sich in sein Bett, entspannte sich, und schlief schließlich ein.
2. Kapitel: Traum
Dunkelheit, sie umhüllte ihn wie Seidentücher. Seine Haut war benetzt mit einer Flüssigkeit, vermutlich hatte es reingeregnet. Er wollte aufstehen, doch er konnte sich nicht bewegen. Es war, als würde ihn etwas an den Boden ketten. Ja, an den Boden. Er lag nicht mehr auf seinem Bett und er war nicht mehr in seinem Zimmer. Er wusste nicht, wo er war.
Trapp, Trapp, Trapp, ...
Er hörte ein dumpfes, gleichmäßiges Klopfen. Schritte? "Wer ist da?", stammelte Jack, doch er konnte es nicht sehr laut ausprechen. Sein Hals fühlte sich trocken an, als wäre seine Kehle zugeschnürt.
Trapp, Trapp, Trapp, ...
Wieder dieses Geräusch. "Ist da jemand?", dieses Mal konnte er es ein wenig lauter und deutlicher rufen. Doch niemand antwortete ihm. Das Geräusch wurde lauter, schien immer näher zu kommen. "Ich muss hier weg!", dachte er plötzlich und bekam Panik. Er versuchte erneut, sich aufzurichten, doch wieder schien er wie an den Boden gekettet zu sein. "Ich bin verloren", murmelte er. Seine Kehle schmerzte immernoch, dann schloss er die Augen und wartete auf seinen Untergang. Egal, ob er die Augen geschlossen hatte oder nicht, er sah so oder so nichts, nicht einmal die eigene Hand. Doch sie zu schließen beruhigte ihn, also tat er es. Er atmete so flach wie möglich, denn vielleicht würde man ihn so nicht finden. Erst jetzt nahm er diesen schrecklichen Gestank wahr, der ihn die ganze Zeit über umgeben hatte. Was war das nur? Wo war er hier?
Trapp, Trapp, Trapp, ...
Jetzt hörte es sich so an, als würden die Geräusche direkt neben ihm erklingen. Er spürte eine Berührung an seinem Hals, als würde eine Hand ihn streicheln. Plötzlich hörte diese Berührung auf, und Jack bemerkte, dass sein Hals nun an eben dieser Stelle warm und feucht war. "Jack...", wisperte nun eine ihm vertraute Stimme. Doch er konnte sie nicht zuordnen.
Plötzlich sah er klarer und klarer, alles wurde hell, doch er konnte nichts identifizieren. Und von einem Moment auf den Anderen bemerkte er, dass alles nur ein Traum war. Er erwachte aus seinem Albtraum.
"Jack! Hörst du mich?", schrie seine Mutter besorgt. "...Hm? Ja. Natürlich höre ich dich...", antwortete er schlaftrunken. "Du hast geschrien! Ich habe mir sorgen gemacht, mein Junge!", klärte sie ihn auf. "Geschrien? Ich habe nur schlecht geträumt, das ist alles.", erklärte er. "Was ist eigentlich das?", fragte sie und zeigte auf eine Stelle an seinem Hals. Er schaute in den Spiegel und erstarrte. An seinem Hals war ein dunkler, roter Fleck, er war noch feucht. Die Flüssigkeit tropfte auf den Boden und hinterließ dunkle Flecken. "Oh nein.", stammelte er. Der Albtraum begann.
Kapitel 3: Erschütterung
"Und was ist dann passiert?", fragte Mary mit großen Augen. Jack hatte ihr alles über seinen unheimlichen Traum erzählt, sie war richtig erschüttert. "Meine Mutter hat mich geweckt. Du wirst es nicht glauben! An der Stelle, an der das... Ich nenne es mal Wesen mich berührt hat, hatte ich Blut am Hals! Es war aber nicht mein eigenes, ich hatte keine Wunden.", erklärte er verzweifelt. Seine coole Fassade war mit diesem Erlebnis komplett gefallen. "Bedrückt dich irgendwas?", wollte sie wissen. "Nicht, dass ich wüsste...", antwortete er. Er schaute ihr tief in die kristallblauen Augen, einen Moment dachte sie, er würde sie küssen. Doch dann wand er seinen Blick wieder ab und schloss schließlich die Augen. "Hey, Jack...", sagte sie und versuchte zu lächeln, "Das wird schon wieder. Kopf hoch!" Jack öffnete seine Augen wieder und nahm Mary in seine Arme. "Danke.", flüstere er. "Hey, was soll das denn?", schrie Anne fassungslos, "Betrügst du mich jetzt etwa?" Mary schaute Jack enttäuscht an. "Nein Anne", klärte Jack sie auf, "Wir sind beste Freunde. Wir haben uns nur umarmt." "Für mich sah das aber anders aus!", brüllte sie. "Hey, reg dich mal ab! Ich geh mal lieber, okay, Jack? Bis später!", sagte Mary schnell und rannte wieder weg. Es schien so, als würden sich Jack und Anne das erste mal in ihrer Beziehung streiten. "Mary passt doch eh viel besser zu dir! Was mache ich mir eigendlich vor?!", schrie sie, "Es ist aus!" Dann rannte sie weinend weg. Jack konnte es nicht fassen, er hatte Anne verloren. Erschüttert sank er zusammen und dachte, er würde nie wieder lachen können. Nun würde nie etwas besser werden, es war absolut sinnlos.
Mit gesenktem Kopf machte er sich auf den Weg zum Strand. Er ging oft dort hin, wenn er traurig war und nachdenken wollte. Er setzte sich auf denselben Fels, auf dem er auch am Vortag mit Anne gesessen hatte. Sie hatte ihm und Mary überhaupt nicht zuhören wollen, glaubte nur an das, was sie gesehen hatte. Vermutlich war es besser so, dass sie sich getrennt hatten. Sie hätte ihn vielleicht nie verstanden. Ja, es sollte niemand außer Mary von seinem eigenartigen Traum erfahren, sie war die Einzige, die ihn trösten konnte und ihn verstand. "Mist, wie konnte ich nur so blind sein? Mary ist eines der schönsten Mädchen der Schule und noch dazu hat sie eine so tolle Persönlichkeit! Ich muss sofort zu ihr!", murmelte Jack in Gedanken versunken vor sich hin. Er sprang auf und rannte durch die Straßen. Es war nicht besonders weit, bis zu Mary's Haus. Er würde vermutlich nur zehn Minuten bis zu ihr brauchen. Als er vor dem Gebäude stand, keuchte er einige Zeit. Er war viel zu schnell gerannt, und das pausenlos. Als er klingelte, war er immernoch ein wenig Atemlos. "Ja?", ertönte Mary's Stimme aus der Gegensprechanlage. "Ich bins! Jack!", keuchte er. Da öffnete sich die Tür und Mary trat heraus. Das Licht des Sonnenunterganges ließ ihre roten Haare golden Schimmern, ihre Augen funkelten. "Hey, was ist denn los? Du siehst ja total mitgenommen aus... Komm erstmal rein, ja?" Sie setzten sich zusammen auf ihr Bett. Entzwischen konnte er wieder normal atmen, er schaute ihr in die Augen, sein Blick war beinahe flehend. "Anne hat Schluss gemacht. Sie war es nicht wert. Wegen so einer kleinen Sache gleich Schluss zu machen... Das ist krank!", sagte er, doch er schien immernoch traurig zu sein.
"Oh gott, du armer!", wisperte Mary. Sie umarmte ihn, und spürte, wie er weinte. "Ganz ruhig... Sie hat dich gar nicht verdient.", versuchte sie ihn zu trösten. "Möchtest du vielleicht diese Nacht hier schlafen? Vielleicht ist es besser, wenn dir jemand Gesellschaft leistet.", schlug sie vor. Jack nickte stumm und emotionslos, doch im Inneren war er wahnsinnig glücklich darüber, dass sie sich um ihn kümmern wollte.
Kapitel 4: Gemeinsam
Nur ein paar Minuten später rief Jack seine Mutter an und erzählte ihr, was passiert war. Er bat sie darum, bei Mary zu übernachten. Sie willigte verständnisvoll ein. "Deine Mutter ist schon cool, sei froh, dass du sie hast. So auf die Schnelle jemanden übernachten zu lassen ist nicht selbstverständlich.", stellte Mary fest. Sie hatte fast jeden Abend Sturmfrei, daher interessierte sich niemand dafür, ob Jack bei ihr schlief oder nicht. Im Grunde genommen war es ihren Eltern egal, was sie aus ihrem Leben machte. Hauptsache, sie machte keinen Ärger. Aber ihr machte diese Einsamkeit nichts aus, denn sie lebte nur für Jack und alles andere war ihr egal. "Kann schon sein. Ach übrigens: Danke.", flüsterte er und lächelte. "Wir waren vorhin doch noch nicht ganz fertig, oder?", hauchte sie in sein Ohr und musste grinsen, "Anne hat uns ja unterbrochen..." Er zwinkerte ihr zu. "Das stimmt allerdings...", murmelte er und nahm sie erneut in seine Arme. "Dieses Mal wird uns niemand unterbrechen...Niemals...", wisperte er. Er hatte erkannt, dass Mary ihm mehr bedeutete als er gedacht hatte. Vielleicht war es noch zu früh, eine neue Beziehung anzufangen, aber er wollte diesen Moment unbedingt nutzen. Er beugte sich näher zu ihr herüber, wieder blickte er ihr genau in die Augen. Er konnte sich nicht mehr halten, er musste sie einfach küssen. Langsam kam er ihrem Gesicht näher, bis er ihren Atem spürte. Sie schloss die Augen, vermutlich wusste sie ganz genau, was er vorhatte. Nun konnte er unmöglich einen Rückzieher machen. Er legte seine Hände auf ihre Schultern und presste seine Lippen auf ihre. Der Kuss schien eine Ewigkeit zu dauern, als würden alle Uhren still stehen. Gemeinsam durch alle Ewigkeiten, das war es, was Jack wollte. Er wollte sie nie verlieren, so wie er Anne verloren hatte. "Wieso erst jetzt?", fragte Mary und umarmte ihn. "Weil ich wahnsinnig blind war.", antwortete er, "Aber das wird nie wieder passieren. Mein Herz schlägt nur noch für dich..."Sie kannten sich schon so wahnsinnig lange, es war, als wären sie immer ein Paar gewesen.
"Jetzt will der Junge tatsächlich eine Liebesgeschichte anfangen?", murmelte eine störrige alte Frau vor sich hin. "Das kann auf die Dauer nicht gut gehen, ich will ihn nur für mich haben..." Sie redete mit sich selbst, schien einsam zu sein. "Wirst schon sehen, Jack... Das Leben ist nicht immer so perfekt, wie es scheint."
"Du bist bestimmt total müde, oder?", fragte Mary. Sie konnte schon immer aus seinem Gesicht ablesen, wie er sich fühlte oder ob ihn etwas bedrückte. Das war etwas, was nur sie konnte, Anne hatte es nie so beherrscht wie sie. "Du liest mal wieder Gedanken, oder?", neckte er sie und lächelte. Ohne ein weiteres Wort verschwand er ins Badezimmer und machte sich fertig für's Bett. Mary hatte ein großes Doppelbett in ihrem Zimmer stehen, in dem sie immer gemeinsam schliefen, wenn er übernachtete. Ein paar Minuten später lagen sie auch schon darin, eng zusammen gekuschelt und suchten den Schlaf. Das Meer rauschte in der Ferne, der Mond leuchtete mit seinem silbernen Licht durch das Fenster.
Tag der Veröffentlichung: 04.02.2011
Alle Rechte vorbehalten