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Ostern


(vergessene Welt)


Ich war vor einigen Jahren wegen einer Kleinigkeit für einige Tage in einem Krankenhaus, in dem ich zu meiner vollsten Zufriedenheit behandelt wurde. Leider fing ich mir, was ja recht häufig ist, eine Darminfektion ein, die mich zu Hause arg quälte.
Karfreitagmorgen, mein Zustand hatte sich in der Nacht so verschlimmert, dass es nun unumgänglich wurde, stationäre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der einzig erreichbare Notarzt wies mich in das mir bis dato unbekannte Krankenhaus ein. Ein Hochhaus auf der grünen Wiese.
Meine Frau lies mich vor der Pforte aussteigen und suchte den krankenhauseigenen, gebührenpflichtigen Parkplatz auf. Die Frau hinter der Pförtnerloge schaute nicht einmal auf, als ich schweren Schrittes mit Tasche und Überweisungspapieren in der Hand ins Innere schlich. Einen Hinweis auf die Aufnahme fand ich nicht. Außer einem Schild: “Aufzüge“, fand ich in der Halle nur eine weitere, allerdings verwaiste Pförtnerloge, in deren Inneren einige fleckige Tücher von der Decke hingen. Davor luden eine Reihe durchgesessener und teils zerschnittener Ledersessel nicht gerade zum Verweilen ein. Doch kein Passant, kein Besucher oder Patient schien sich hierher zu verlaufen. Die Eingangshalle wurde von niemandem bevölkert,
Also ging ich zurück zu der Pförtner-Dame. Ich machte auf mich aufmerksam und sagte ihr, dass ich die Aufnahme suche, und eine Einweisung hätte. „Warum?“, war die knappe und für mich unerwartete Antwort. Ich nannte ihr den Einweisungsgrund und die prompte Antwort war: „Ich bin kein Mediziner!“ Doch sie wies mir überdies mittels einer mürrischen Geste, einem fast unmerklichen Kopfnickens und schräg nach hinten Schauens, darüber hinaus auch den Weg, weiter ins Innere des Krankenhauses vorzustoßen. Geradeaus, hinter einer blickdichten, geschlossenen Tür, die ich erst durchschreiten musste, erblickte ich einen weiteren „Pförtnerglaskasten“, der derart mit „10¤ bezahlen“ Fotokopien zugeklebt war, dass kein Blick ins ‚Innere dringen konnte. Aber ein außen angebrachter Klingelknopf lud zum benutzen ein. Auf einen einsetzenden, hässlichen Klingelton erschien tatsächlich sofort eine freundliche Schwester, die mich durch 2 weitere, verschlossene Türen eintreten ließ. Sie legte mir sofort einen Venezugang an und erstellte mit einem Uralt-Gerät ein EKG . nach kurzer Zeit erschien eine sehr freundliche Ärztin, die mich nach einem kurzen Anamnese Gespräch anwies, im siebten Stockwerk die Station aufzusuchen, nicht jedoch, bevor ich bei der extrem unfreundlichen Pförtnerin alle Aufnahmepapierformalitäten getätigt hätte.

Auf der Station
Im siebten Stock traf mich fast der Schlag: Als ich mich bemerkbar machte, hier war, hinter einer Glasscheibe, Personal anwesend, wurde ich, sehr schnell „Sie müssen in Quarantäne!“, über den Gang, zum letzten Zimmer auf der rechten Seite geleitet. Als privat Versicherter bekam ich ein Einzelzimmer:
Ein Verschlag von ca. 2,4mm x 3,2m. Die abgerissenen Wertsachenfächer lagen unten im Wandschrank, dessen unterschiedliche Griffe an Gemeinsamkeit nur aufwiesen, alle ehemals vernickelt gewesen zu sein. Ein rostiger Nachtschrank hing an einer Wand. Keine Wand ohne abgestoßene Farbe, Schwarze, tiefe Löcher mit Dübeln und dazugehörigen geometrischen Mustern hellerer Wandfarbe zeugten vom ehemaligen Inventar. Das Nachtschränkchen zeigte abgeschlagene Farbe und Rost. Wie sich später herausstellte, war der Schubladenboden leider schon durchgerostet. Unter der gesamten Längsseite, die nur ein durchgehendes Fenster war, (immerhin ein modernes Hochhaus), prangte ein schwerer, gusseiserner Heizkörper, dessen Rippen allesamt abgeschlagene, undefinierbar braun, beige graue Farbe zierte. In de Toilette befand sich ein rissiges sehr massiv und eckig wirkendes uralt Closet und ein winziges Waschbecken, mit getrennten Heiß- und Kaltwasserhähnen. Eine kleine Funzel erhellte den Raum gerade so viel, um nicht nur „fühlen“ zu müssen.
Diese vier Wände, mit den unübersehbaren, trostlosen Zeichen des Niedergangs und Zerfalls sind nun für die nächsten 5 Tage meine Welt, mein zu Hause, mein Gefängnis. Zu allem Überfluss werde ich in dieser Zeit auch noch fasten. (Eine Darmentzündung erlaubt keine Speiseeinnahme, wurde mir zuvor gesagt) Eine Aussicht, die auch nicht dazu geeignet scheint, dass sich mein Gemütszustand über den allgemeinen Eindruck hinweg hebt.
(Ich sollte noch sehen, dass ich damit falsch lag)

In diesem Moment wurde das Bett hineingeschoben, was nicht ohne Schimpfen und Fluchen des Personals geschah. Auch das Bett, dass auf den ehemals lackierten Flächen durch blankes Metall und kunstfertigen Ornamenten einer Rostpatina überzeugte, hatte auf seine Art schon resigniert: An einem Rad existierte noch eine Feststellbremse, die jedoch in ihrer Funktion ihrem Namen nicht zur Ehre gereichte. Die Außenfront, wie gesagt, stellte ein Wand zu Wand Glas, über die gesamte Breite dar, und die somit einen herrlichen Ausblick über das Areal darstellte. Ohne dieses, der Raum lediglich zur Hyposensibilisierung von Klaustrophobie Patienten geeignet wäre.
Die Möblierung wurde abgerundet durch eine Reihe von rechteckigen, oben offenen ca. 50l fassenden Kunststoffbehältern, in denen der anfallende Müll, von Injektionsflaschen, Spritzen und Kanülen und Papiertüchern getrennt entsorgt werden sollte, und die eine weitere Möblierung , bis auf ein winziges Tischchen am Fenster, unmöglich machte. Allerdings enthielten dies Kunststoffkästen schon einiges an Kanülen, Schläuchen und Spritzen, was sie aber dennoch für die nächsten Tage überdimensioniert erscheinen ließen.
Unter dem Tischchen befand sich, den Raum darunter füllend, ein gut gefüllter Papierkorb, dessen Inhalt regelmäßig morgendlich von einer Reinigungsdame inspiziert wurde; doch, da er nicht überquoll und noch nicht allzu viel danebenlag, auch regelmäßig so belassen wurde.
Auf dem fünfbeinigen, sterngleichen und doch spinnenartigen Fuß des Infusionsständers hatten sich die einsamen Rostnester schon zu Kolonien zusammengefunden.

Das Personal schien sich nahtlos in dieses Gesamtbild einzufügen. Alle Schwestern schienen seit der Krankenhauseröffnung, vor 35 Jahren, hier zu sein. Nur alte, mürrische Gesichter, deren Grau noch durch die ehemals dunkelblaue, und nun, vom vielen Waschen verschwommen-graue Anstaltskluft unterstrichen wurde.

„Vergessene Welt“
Rief meine Frau aus, als sie all dies ansichtig wurde. Meine scherzhafte Bemerkung, ob das Bett, das sie gerade unter leisem Fluchen hinein schob, aus einem rumänischen Krankenhaus stamme, erregte nicht das geringste Zucken in der Mimik der Schwester. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte meinen Gesamteindruck: Ein par 18 stöckige Wohntürme blickten mich im schönsten Plattenbau Design trostlos an. Lediglich die spärliche Begrünung der beiden sichtbaren Penthouse Wohnungen schienen der Tristesse zu trotzen. Etwas weiter hinten erblickte ich eine nur 4 – 8 stöckige Wohnanlage, die wie ein Geschwür den Hügel hinuntergewachsen war, und nun, vorerst, vor einer verloren wirkenden Kleingartensiedlung einen vorläufigen Stopp einlegte. Etwas weiter rechts fiel mein Blick auf eine schöne, neue Saunaanlage, und, um mich dann doch wieder zu versöhnen, weiter in Feld und Wald überzugehen. Die Ruhe, die diese Aussicht ausstrahlte, wird wieder mal unterbrochen durch das gellende Schimpfen der Oberschwester auf dem Flur, leicht zu unterscheiden vom verhaltenen Fluchen der übrigen Angestellten. Lediglich ein junger Pfleger ist stets freundlich und hilfsbereit. Sein fest implantiertes Dauerlächeln scheint angekokst zu sein. Doch tatsächlich leidet er an einem ausgeprägten „Pfleger Micha“ Syndrom. Auch eine weitere Schwester, undefinierbaren Alters, welche mit ein par, rötlich gefärbten Haarstränen versucht, sich aus dem „Grau“ zu erheben, taut nach zwei Tagen beim ansprechen auf, und wird fast „mitmenschlich“. Andere, zum Inventar gehörende Schwestern, auf die offensichtlichen Baumängel angesprochen, reagieren äußerst vorwurfsvoll:“ SIE haben doch ein schönes Zimmer! In den anderen sind überall tiefe Risse, und wenn es regnet, steht das Wasser nicht nur in den Aufzügen!“ eine andere entgegnete barsch: “Meine, vom Krankenhaus bescheinigten Fähigkeiten werden vom neuen Träger nicht anerkannt; ich bin gekündigt! “und fügte hinzu: „Achtzig Angestellte sind schon gekündigt.“
Wiederum eine weitere Angestellte fasste es zusammen: „Wenn an ihrem Haus35 Jahre lang nichts getan wird, sieht es auch so aus!“ Auf meine Frage: „Wer ist denn der neue Träger?“ bekam ich wortwörtlich, knapp und präzise auf den Punkt gebracht: “Das Letzte!“
Mein Fazit: Was bleibt, ist wohl nur der Abriss. Es ist der österliche Niedergang, auf dem sich vor allem die Stimmung der Angestellten befindet.
„Vergessene Welt“
Meine Frau entstammt aus einem sogenannten „dritte Welt“ Land, und auch ich halte mich jährlich lange genug dort auf, um ihr Urteil bestätigen zu können: SO, sieht es bei uns im Krankenhaus nicht aus!
Gestern wurden in den umliegenden Städten der Kreuzgang Jesu nachgespielt. In vielen Stationen wurde der körperliche und seelische Niedergang eines Mannes, auf dem Weg zum Henker in Spielscenen auf den Straßen dargestellt. Es ist Ostern. Der körperliche und seelische Niedergang des Krankenhausgebäudes und seiner Angestellten ist deutlich sichtbar.
In der vergangenen Nacht brannten ringsherum die Osterfeuer. Die vernichtende Kraft des Feuers wird im kollektiven Gedächtnis des Krankenhauses schon lange vorhergeahnt. Und das Todeszeichen des Kreuzes ist mental schon als Kran mit Abrissbirne im Anrollen begriffen..
Doch vom anderen Aspekt, vom Erhellenden des Feuers, und vom Symbol des Kreuzes als Auferstehung ist hier, am Ostersonntag nichts zu spüren.
Ostersonntag; Das Fasten hat wie das Feuer auch eine reinigende Wirkung. Die „bösen“ Bakterien im Darm besiegt, freut sich mein Magen und Darm auf den Neuanfang, in Form von, zunächst nur Zwieback. Mit bewusstem Genuss von mir wird auch diese kleine Freude als Auferstehung empfunden. Ich bin kein religiöser Mensch, und es ist mir egal, ob es die Auferstehung vom Kreuz, die des Phönix aus der Asche oder die der Natur aus der Winterstarre ist, . . . Für mich ist Ostern!
Ich werde nach Ostern das Krankenhaus verlassen und ich hoffe, dass es für viele, die im Moment schon geistig, und später vielleicht auch real ihren Arbeitsplatz zu Grabe getragen haben, und die den Tod ihres Arbeitsortes betrauern, dass es für viele Dieser Menschen auch eine Auferstehung, ein neues, lebenswertes Leben geben mag.

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Texte: Cover Foto: picture-alliance/ ZB/dpa-Zentralbild
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2011

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