Susan stand vor ihrem großen Badezimmerspiegel und betrachtete sich eingehend. Dave hatte Recht: Sie hatte während ihrer Beziehung tatsächlich einiges an Gewicht zugelegt. Mit Herzklopfen tippte sie mit dem Fuß die Waage an, um diese einsatzbereit zu machen. Susan hielt den Atem an, während sie in Zeitlupe auf das ihr mittlerweile verhasste Ding stieg. Dennoch zeigte die Waage ihr gnadenlos die Wahrheit an: Sie hatte fast fünfzehn Kilogramm in den den letzten 1,5 Jahren zugenommen. Als Dave und sie sich kennen lernten, war sie sportlich noch sehr aktiv gewesen und hatte auf ihre Ernährung geachtet. Doch dann hatte sie plötzlich das Schreiben für sich entdeckt, das sehr schnell zu einer großen Leidenschaft wurde. Dave gefiel das überhaupt nicht, denn er bemerkte natürlich, dass Susan deswegen sehr viel am Laptop saß und ihren Sport sträflich vernachlässigte. Aber was er nicht wusste, war, dass Susan endlich ein Ziel vor Augen hatte: Sie wollte berühmt werden. Wollte mit ihren Werken ganz groß raus kommen. Aber nicht nur das, sie wollte die Menschen mit ihren Zeilen berühren. Sie wollte etwas bewegen, etwas bewirken. Im besten Falle Emotionen bei ihren Lesern auslösen. Also saß sie jede freie Minute am Laptop. Folglich kam es, wie es kommen musste. Dave trennte sich von Susan. Es dauerte nicht lange und sie konnte die neue Flamme an seiner Seite bewundern: Groß, attraktiv und schlank. Also das genaue Gegenteil von Susan. Sie fand sich seit der Trennung alles andere als attraktiv oder anziehend für die Männerwelt. Das bewirkte, dass Susan sich noch mehr hinter ihren Geschichten versteckte und sich so gut wie möglich vom anderen Geschlecht fern hielt. Doch dann kam alles anders. Nachdem sie ihre Werke einigen Verlagen geschickt hatte, bekam sie völlig unerwartet eine Einladung zu einer Vorlesung. Dort sollte sie nicht nur sich, sondern auch zwei ihrer Werke vorstellen. Der Verleger interessierte sich insbesondere für den Gedichtband, den Susan unter anderem eingereicht hatte. Er schrieb ihr, dass ihre Poesie nicht nur recht gut, sondern auch außergewöhnlich war. Röte schoss in Susans Wangen und ihr Puls beschleunigte sich bei dem Gedanken, dass sie einige ihrer Gedichte vor Fremden vortragen sollte. Denn da ging es auch schon mal ans Eingemachte, nicht immer ganz jugendfrei. Poesie für Erwachsene. Trotzdem tanzte sie nur Sekunden später durch ihr kleines Appartement, das sie seit der Trennung von Dave bewohnte und sprang vor Freude auf und ab. Sie freute sich wie ein kleines Kind. Endlich! Endlich hatte jemand ihr Geschriebenes zur Kenntnis genommen! Susan konnte es kaum fassen. Dann schnappte sie sich die Einladung und las sie nochmals. Erst stutzte und dann erstarrte sie. Sie musste dafür nach Noderney reisen. Der Insel, auf der sie unendlich viele Wochenend-Tripps mit Dave verbracht hatte. Wunderschöne Zeiten hatten sie dort verlebt. Aber das war nunmal Geschichte und sie musste nach vorn blicken. Susan verdiente gut als Web-Designerin und hatte am Wochenende ohnehin in der Regel frei und würde den Termin also wahrnehmen können. Sofort setzte sie sich an den Laptop, um die Reise zur schönen Insel zu buchen. Da sie aber einen möglichst guten Eindruck machen wollte, ging sie ab sofort wieder ins Fitness-Studio und ernährte sich gesünder. Sie hatte noch einige Wochen Zeit, sich auf dieses vielleicht lebensverändernde Event vorzubereiten. Die Aussicht darauf verlieh ihr offenbar Flügel, denn sie war so motiviert, dass sie tatsächlich 5 der überschüssigen Kilos verlor und ihr Körper durch die Fitness straffer geworden war. Sie war immer noch nicht wieder in ihrer alten Form, aber fühlte sich wesentlich besser und lebendiger als vorher. Vor allem aber fühlte sie sich wieder attraktiv! Und das strahlte sie auch aus: wesentlich mehr Zufriedenheit mit sich als noch vor einigen Wochen.
Ehe sie sich versah, saß sie auf der Fähre, die sie zur Insel bringen würde. Es herrschte reger Seegang und das Gefährt schaukelte ganz ordentlich. Susan war ein wenig übel, sie fühlte quasi, wie sie immer blasser wurde.
"Alles in Ordnung bei Ihnen?" fragte eine fremde Stimme. Susan blickte auf und direkt in ein wunderschönes, braunes Augenpaar, das sie besorgt musterte. Die vorherige Blässe wandelte sich umgehend in eine Röte. Verlegen räusperte sie sich und stotterte mehr, als dass sie sprach. Was die Farbe ihres Gesichts nur noch mehr verdunkelte. "Ja...ja...nein, ich meine...das liegt wohl daran, dass die Fähre heute so schaukelt..." stammelte sie und senkte den Kopf. Die Situation war ihr ziemlich peinlich.
"Mein Hobby wird das Reisen mit Fähren wohl auch eher nicht", entgegnete der junge Mann lachend. "Ich müsste eigentlich aussehen wir Hulk, zumindest im Gesicht!", scherzte er und lockerte damit die Situation etwas auf. Denn Susan vergaß in dem Moment ihre Schüchternheit und lachte laut auf.
"Der Beruhigungstee hier an Bord soll recht gut sein. Soll ich uns welchen holen?", fragte der Fremde lächelnd. Susan nickte dankbar und erwiderte zaghaft sein Lächeln.
"Ich heiße übrigens Steve", stellte er sich kurz später vor und reichte ihr eine große Tasse mit wohlriechendem Tee. "Darf ich mich zu Ihnen setzen?"
Wieder nickte Susan und stellte sich ebenfalls vor. Den Rest der Überfahrt saßen sie zusammen, jedoch überwiegend schweigend und tranken den wohltuenden Tee. Steve gefiel Susan sehr. Die braunen Augen, das dunkle Haar, der schön geschwungene Mund und der Bart machten ihn sehr attraktiv. Doch rechnete sie sich keinerlei Chancen bei ihm aus. In dem Moment fühlte sich plötzlich wieder dick und hässlich. Doch sie schwor sich, die restlichen zehn Kilo auch noch loszuwerden. Denn wenn sie erstmal ihre alte Figur zurück erlangt haben würde, dann hätte sie auch wieder eine positive Ausstrahlung auf das andere Geschlecht. Dachte Susan zumindest.
Aber das war jetzt erst einmal zweitrangig, denn am Abend würde sie in einer Cocktailbar ihre Lesung halten und nur das war jetzt wichtig. Sie musste sich vorbereiten, musste ihre Stimme für heute Abend schonen. Und doch hätte sie sich gerne mit Steve richtig unterhalten, aber vielleicht begegnete sie ihm ja nochmal auf der Insel. Ihr Zimmer war bis Sonntagnachmittag gebucht und auch sein Aufenthalt dauerte bis Sonntag, wie er ihr verraten hatte.
Nach dem Anlegen der Fähre verabschiedeten sich die beiden kurz, aber herzlich voneinander. Ein wenig traurig war Susan schon, denn sie hatte gehofft, dass Steve nach ihrer Nummer fragen würde. Leider war das nicht der Fall. Er wusste lediglich, wo sie untergebracht war. In der netten, kleinen Pension, in der sie gebucht und die sie kurz später erreicht hatte, packte sie das Outfit für den Abend aus und hängte es an die Kleiderschranktür. Auf keinen Fall sollte es Falten werfen. Ein schwarzes, nicht zu enges und zugleich seriöses, aber schönes Kleid, das sie sich extra für diesen besonderen Anlass gekauft hatte. Dazu würde sie passende Stiefel tragen. Schwarz machte nunmal schlank und sie wollte sich ja wohlfühlen in ihrer Haut beim Vorlesen.
So recht konnte Susan sich nicht auf ihren Auftritt in der Bar konzentrieren, ihre Gedanken schweiften immer wieder ab zu Steve. Ob sie ihn wohl jemals wiedersehen würde? Sie hatte ihn nicht einmal gefragt, wo er wohnte. Nichtsdestrotrotz machte sie sich eine Stunde später hübsch, indem sie leichte Wellen in die sonst glatten, langen und kastanienbraunen Haare zauberte und ein dezentes Make-up auflegte. Ihre recht vollen Lippen brachte sie mit einem Lippgloss zum Glänzen, nachdem sie ihre Zähne geputzt hatte. Sie lächelte ihrem Spiegelbild zufrieden entgegen, schnappte sich ihren Mantel samt Zimmerschlüssel, die Tasche mit dem Laptop und machte sich auf den Weg zur Cocktailbar. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie mit zittrigen Händen die Tür öffnete und eintrat.
"Wow! Ich hätte Sie fast nicht wiedererkannt, Susan! Dieses Kleid sieht toll an Ihnen aus, es unterstreicht Ihre schönen Rundungen absolut."
Diese zwei Sätze krochen wie durch einen Nebel in Susans Ohren und waberten durch ihren Gehörgang. Hatte sie sich vielleicht sogar verhört?
21 Worte, die Susans Welt aus den Angeln hoben. Eine Welt, in der Frauen wie sie zu dick waren. Wortlos starrte sie den Mann an, aus dessen Mund dieses Kompliment kam. Steve! Er stand lässig an der Bar, in der Hand einen Cocktail und steckte in einem schicken, schwarzen Anzug. Darunter trug er ein weisses Hemd, dessen oberste Knöpfe geöffnet waren und einen Blick auf seine gebräunte Brust zuließen. Innerlich erchauerte sie, weil der Anblick sie erregte.
Erregung, dieses Gefühl hatte sie seit der Trennung von Dave nicht mehr verspürt und es verwirrte sie ein wenig.
"Hallo Steve", brachte sie nun endlich hervor und bemühte sich Contenance zu wahren. "Das ist ja eine Überraschung, Sie hier zu treffen. Freut mich!"
Sie hielt ihm ihre schwitzige Hand entgegen. Er grinste und nahm sie stattdessen einfach in den Arm. Eine Horde Schmetterlinge erwachte durch die unerwartete Nähe in Susans Bauch. Zum wiederholten Male beschleunigte sich ihr Puls bedenklich und sie hoffte, er würde das nicht bemerken.
"Wir sollten uns endlich duzen, meinst du nicht auch?", flüsterte er ihr ins Ohr.
"Ja..." krächzte sie zurück und wurde rot vor lauter Verlegenheit. Ihre Stimme versagte und das war ihr mehr als peinlich. Sie brauchte sie ja insbesondere noch für den heutigen Abend. Und weniger Panik wäre auch nicht schlecht, ihr Herz raste noch immer. Susan räusperte sich einmal kräftig und sah Steve in die Augen.
"Ich muss mich jetzt auf den Abend vorbereiten. Vielleicht sehen wir uns ja später noch auf einen Drink?"
"Auf jeden Fall, ich freue mich. Ich habe auch noch etwas zu erledigen. Bis später", verabschiedete er sich.
"Sind Sie Susan?", fragte eine freundliche Frauenstimme und löste damit endlich ihren Blick von Steve, dem sie hinterher geschaut hatte, bis er hinter einer Tür verschwunden war. Nervös nickte Susan und reichte der Dame mittleren Alters ihre Hand.
"Nur keine Aufregung, Sie schaffen das schon", zwinkerte sie wissend. "Ich bin Melanie, aber alle nennen mich nur Mel."
Ihr fester Händedruck hatte etwas Beruhigendes und Susans Anspannung ließ tatsächlich etwas nach.
"Ich lasse Ihnen jetzt einen Prosecco bringen, der wird Sie etwas lockerer machen und dann werden Sie nur so durch den Abend fliegen. Viel Erfolg, Susan."
Mel zeigte auf eine kleine Bühnenerhebung, auf der ein gemütlicher Sessel und ein kleiner Beistelltisch stand.
"Sie können dort oben schon einmal Platz nehmen. Der Kellner wird Ihnen das Getränk bringen und Sie können sich ein wenig einlesen, bis die ersten Gäste eintrudeln. In Ordnung?"
Susan nickte wortlos und begab sich auf die kleine Bühne. Aufgeregt nahm sie Platz auf dem schwarzen Ledersessel und öffnete ihr Laptop. Eine Bedienung brachte ihr den Prosecco und Susan nahm einen großen Schluck. Prickelnd glitt er ihre trockene Kehle hinunter und sie schloss kurz ihre Augen. Das Genuschel der Leute kam näher und sie wagte vorsichtig einen Blick durch die Bar. Sie sah Menschen, die sich an Tischen oder die Bar setzten und sie gespannt ansahen. Neugierig wurde sie beäugt und Susan hoffte inständig, dieser hungrigen Meute gerecht zu werden. Sie leerte ihr Glas in einem Zug und schlug die Beine übereinander. Es waren ja nur zwei ihrer Gedichte, die sie vortragen sollte und das würde sie schon irgendwie schaffen. Sie musste! Und sie wollte!
Doch dann bekam sie ganz plötzlich weiche Knie und war froh, bereits zu sitzen. Andernfalls wäre sie in diesem Augenblick hintenüber gekippt. Kein geringerer als ihr Ex Dave spazierte lässig mit seiner neuen Schönheit an der Hand zur Tür herein und ließ sich unweit der Bühne nieder. Jetzt schwitzten ihre Hände nicht nur, sondern wurden triefnass.
"Was macht der denn bitte hier?"
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, sie wollte nur noch weg! Raus hier! Raus aus dieser unmöglichen Situation!
Es dauerte eine Zeit lang, bis auch Dave Susan erkannte. Seine Augenbrauen schossen ungläubig nach oben und er starrte sie mit offenem Mund an.
Bis seine Begleitung ihn grob anstieß, weil sie sein Verhalten natürlich nicht einordnen konnte. Unruhig rutschte Susan auf dem Sessel herum, ihre Hände zitterten, als sie auf dem Laptop das erste Gedicht öffnete, das sie vortragen wollte. Mit allem hatte sie gerechnet, aber damit, dass ihr Ex und seine Neue ausgerechnet dann auf Norderney sein würden, wenn sie hier wäre, ganz bestimmt nicht. Wie viel Zufall konnte es eigentlich geben? Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrem Arm, die sie beruhigend drückte. Dann sah sie in die braunen Augen von Steve und eine wohlige Wärme durchfuhr ihren Körper. Die Anspannung fiel ein wenig von ihr ab und sie lächelte ihre neue Bekanntschaft dankbar an.
"Viel Glück!", flüsterte er ins Ohr und ließ sich dann ganz in der Nähe der Bühne nieder, um ihr ebenfalls zuzuhören. Mit einigem Argwohn hatte Dave die Szene beobachtet, die sich ihm dargeboten hatte. Im ersten Moment hatte er seine Ex gar nicht erkannt. Sie sah heute ungewohnt hübsch aus. Dieses Kleid stand ihr außerordentlich gut und ihre roten Lippen glänzten verführerisch. Ihre Haare, die sie sonst einfach nur faul auf dem Kopf zusammengebunden hatte, fielen ihr in schönen Wellen über die Schulter bis fast zu ihrem Po. Dave spürte ein Ziehen in der Magengegend und konnte seinen Blick einfach nicht von seiner Exfreundin abwenden. Auch wenn das absolut unhöflich gegenüber Saskia war, er konnte einfach nicht anders. Es war so lange her, dass Susan so sexy ausgesehen hatte und das ließ ihn nicht kalt. Auch in seiner Hose wurde es verdächtig eng und er errötete unwillkürlich. Fühlte sich ertappt.
Susan bekam von alldem nichts mit, sie trug längst ihr erstes Gedicht vor. Noch etwas unsicher, aber der Applaus verwandelte ihre Schüchternheit in Mut und so brachte sie ihre zweiten Verse schon wesentlich souveräner vor. Und auch hier ließ der Applaus nicht lange auf sich warten. Es gab zwar einige nicht begeisterte Gesichter, aber den meisten Gästen gefiel Susans Darbietung und sie forderten eine Zugabe. Dave hingegen wurde immer unruhiger, denn die erotischen Gedichte, die seine Ex in einer ihm unbekannten Tonlage in ihrer Stimme vortrug, ließen sein Glied leider nicht wieder abschwellen, im Gegenteil.
In seiner Panik schoss er vom Stuhl hoch, murmelte eine Entschuldigung und flüchtete sich in die sanitären Anlagen. Was war denn bloß heute Abend los mit ihm? In seinem Kopf und auch seinem Körper herrschte das pure Chaos. Es gab nur eine Möglichkeit: Er musste sich hier und jetzt Erleichterung verschaffen, sonst würde sein Schwanz, der seinen eigenen Kopf hatte, noch platzen. Deshalb schloss er sich in eine der WC-Kabinen ein und setzte den Gedanken in die Tat um.
Währenddessen hatte sich Steve, der ein guter Beobachter war, zu Saskia an den Tisch gesetzt und sie gefragt, ob alles in Ordnung sei. Die hübsche Blondine nickte und lächelte den ihr Fremden dankbar an. Das alles brachte Susan so aus dem Gleichgewicht, dass sie um eine kurze Pause bat. Instinktiv ging sie dorhin, wo auch Dave hin verschwunden war. Sie öffnete die Tür zum Herrenklo und schaute sich um, niemand war hier. Doch dann hörte sie Geräusche aus eine der Kabinen. Es klang wie leises Stöhnen. Weinte Dave etwa? Susan rief nach ihm, aber bekam keine Antwort von ihrem Expartner. Stattdessen ging langsam die Tür der Kabine auf und ein verschwitzter Dave mit roten Wangen trat heraus. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen!
"Hast du da drin etwa...?", fragte sie entsetzt.
"Und ich blöde Kuh habe mir Sorgen um dich gemacht!"
Sie drehte sich zum Gehen.
"Warte!", rief er und blickte sie zerknirscht an. "Ich weiß doch auch nicht, was da vorhin mit mir passiert ist. Ich habe dich gesehen...und du siehst so toll aus...da ist...da sind irgendwie die Pferde mit mir durch gegangen. Ich...ich habe das doch nicht geplant, dass dein Anblick mich derart umhauen würde..."
Er machte eine Pause und seufzte aus vollstem Herzen.
"Ich wusste doch nicht einmal, dass ich dir hier begegnen würde, das musst du mir glauben."
Er machte einen Schritt auf sie zu und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Sein Mund kam immer näher und näher. Susan befand sich in einem totalen Gefühlschaos. Sie wusste im Moment überhaupt nicht mehr, was sie denken oder fühlen sollte. Dave war im Begriff sie zu küssen, obwohl er in Begleitung seiner Neuen hier war. Ja, die Trennung hatte ihr wehgetan und sie war eine Zeit lang traurig. Aber wollte sie ihren Ex überhaupt zurück?
Nein, das war sowas von vorbei! Und dann erschien Steve vor ihrem inneren Auge und sie wusste, was zu tun war.
"Dave, ich wünsche dir wirklich alles Gute, aber wir Zwei sind fertig miteinander."
Damit ließ sie ihn einfach stehen und ging zurück auf die Bühne. Die Leute applaudierten, als sie sich wieder auf dem Ledersessel niederließ. Doch ihre Augen suchten nach Steve und nur nach ihm. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass er inzwischen wieder an seinem eigentlichen Platz saß und Dave sich wieder zu seiner Begleitung gesellt hatte. Für einen kurzen Moment dachte sie wirklich, dass Steve sie für die blonde Schönheit fallenlassen würde, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte mit ihnen. Sie nahm sich vor, nach der Vorlesung mit ihm zu sprechen und all das aufzuklären. Das war sie ihm schuldig.
Auch die nächsten beiden Gedichte, die Susan vortrug, kamen sehr gut bei der Mehrheit des Publikums an. Danach klappte sie den Laptop zu und stellte sich kurz vor. Sie erzählte ein bisschen von sich und wie sie zum Schreiben gekommen war. In dem Moment wurde Saskia, der neuen Partnerin von Dave, dann wohl klar, dass Susan keine geringere war als die Ex ihres Begleiters. Ihr Gesicht verdüsterte sich und sie stellte Dave sauer zur Rede. Die beiden verließen dann überstürzt die Bar, was Susan erleichtert zur Kenntnis nahm. Steve jedoch war nicht verärgert oder gar sauer. Er hatte ziemlich schnell gecheckt, was Sache war und hatte kein Problem damit. Er meinte, dass Dave ein Depp wäre, weil er sie hat gehen lassen und lud Susan auf einen weiteren Prosecco ein. Die beiden setzten sich in eine versteckte Niesche, in der es herrlich dunkel war und nur zwei Kerzen auf dem Tisch brannten. Als sich ihre Blicke begegneten und Steve seine Hand auf ihre legte, erwachte erneut die Horde Schmetterlinge in Susans Bauch und ihr wurde klar, dass sie sich nicht gegen ihre Gefühle für Steve wehren konnte. Das wollte sie auch gar nicht. Allerdings hatte er auch noch eine Überraschung für Susan. Er war nämlich nicht zufällig hier. Er arbeitete für den Verlag, der Susan die Lesung für heute Abend angeboten hatte. Er war die rechte Hand von Melanie und sie verließ sich wohl ganz gern auf sein Urteil. Damit hatte Susan nicht gerechnet, aber es war ihr im Grunde auch egal. Denn sie wusste, dass ihre Arbeit irgendwann Früchte tragen würde. Und nur das hatte ihr an diesem Abend ein gutes Angebot von Melanie eingebracht, das sie nur zu gern annahm.
Susan mochte Steve schon, als er sich auf der Fähre um sie gesorgt hatte, obwohl sie da nicht wirklich gut aussah. Im Gegenteil. Zudem wurde ihm erst heute Abend klar, dass sie die Lesung halten würde. Es musste Schiksal gewesen sein und kein Zufall, dass sie heute Abend hier erneut aufeinander trafen.
"Ich hätte dich ohnehin in deiner Pension aufgesucht", gestand Steve ihr mit verliebtem Blick. "Du hattest mich schon auf der Fähre."
Ein Zitat, beziehungsweise eine Szene aus einem ihrer Lieblingsfilme kam ihr plötzlich in den Sinn.
Es stammte aus dem Klassiker "Schokolade zum Frühstück" Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie Marc Darcy zu Bridget Jones den Satz sagte, der alles ins Rollen brachte: "Ich habe Sie unheimlich gern...so wie Sie sind."
Denn was gibt es Besseres, als einen Partner zu haben, der einen genau so liebt, wie man ist.
ENDE
Texte: Alle Rechte am Text liegen ausschließlich bei mir
Cover: freundliche Überlassung meines Sohnes Marcel W.
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2024
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