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Nur ein Gefallen

Seit mein Kumpel mich um diesen bescheuerten Gefallen gebeten hatte, war ich völlig durcheinander. Warum hatte er überhaupt mich gefragt? Warum nicht Christine, unsere gemeinsame Freundin? Durch sie hatte ich David vor ein paar Monaten auf einer Party kennengelernt und die beiden kannten sich schon länger. Zudem stand sie total auf Abenteuer jedweder Art. Aber ich doch nicht! Nee, nee, nee! Ich war gestern Abend so geschockt gewesen, dass David meine Sprachlosigkeit einfach als ein Ja gewertet und sich dann - mir dankende Küsse zuwerfend - aus dem Staub gemacht hatte. Und gleichzeitg machte er mich noch zum Genheimnisträger, denn ich durfte niemandem davon erzählen. 

"Warum fragst du nicht einfach Christine? Die macht jeden Scheiß mit! Bitte, Dave, ich will das nicht tun!" mühte ich mich am Telefon ab. Das schien ihn null zu tangieren. "Chrissi hat nicht deine Klasse! Aber bitte sag ihr das nicht, ich will sie nicht unnötig verletzen."

Ich wollte gerade protestieren, da redete er schon weiter: "Ich brauche zu diesem Zwecke eine Dame mit Format. Chrissi ist ne verrückte Nuss und ich liebe sie! Aber diese Sache kann ich mit ihr nicht machen, da kommst nur du in Frage, Sandy."

Ich seufzte so laut und theatralisch, dass David es hören musste. Aber er ließ sich von dem Gedanken einfach nicht abbringen, dass er das nur mit mir durchziehen könnte. Auf der einen Seite fühlte ich mich ja auch irgendwie geehrt, andererseits war ich noch nie auf einem Maskenball. Und es zog mich auch überhaupt nichts dorthin. Ich fand solche Veranstaltungen eher gruselig als interessant. Das einzig Schöne an diesen Anlässen war die Garderobe der Gäste. Aber die Masken störten mich enorm. Die hatten etwas unheimliches an sich und verzerrten die Gesichter der Anwesenden auf unangenehme Art und Weise, fand ich. David und Chrissi lachten mich dafür stets aus. 

Und nun sollte ich selbst so ein verwegenes Ding tragen. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Als ich jedoch das Bild mit dem Kleid sah, das David mir geschickt hatte, begann ich zu strahlen. "Wow!", entfuhr es mir beeindruckt. Das war wunderschön! Ein Traum in saftigem Rot, der mich sofort an Feuer denken ließ. Vorne endete es eine Handbreit über den Knien und hinten hatte es eine lange Schleppe, ähnlich der eines Hochzeitskleides. Eine Seite ließ die Schulter frei und auf der anderen ging es schräg über die Brust. Ein wahrer Traum aus Seide! Fast war ich schon überzeugt, als David mir dann das Foto der dazugehörigen Maske schickte. Plumps! Unsanft war ich zurück auf den harten Boden der Realität geknallt. Die Maske war in rotgoldenen Farben gehalten und eher schlicht. Wenigstens würde sie nur mein halbes Gesicht verdecken, dachte ich und versuchte, mir selbst Mut zu machen. 

"Warum musst du überhaupt dorthin?" fragte ich David.

"Das ist eine Veranstaltung meiner Firma und es ist höchst gern gesehen, wenn alle Mitarbeiter mit ihren Partnern teilnehmen."

Aha! Jetzt war klar, wie der Hase lief. David war ein schwuler Single und brauchte mich als seine Scheinpartnerin. Mir war nicht wohl bei der Sache. Ich war immer für Ehrlichkeit.

"Dave, wann sagst du endlich deinem Umfeld und insbesondere deinem Chef, dass du auf Männer stehst?" Nur Chrissi und ich wussten bisher von seiner Vorliebe für das eigene Geschlecht. 

"Sandy, du weißt, das ist nicht so einfach. Das Ansehen der Firma..." 

"Das Ansehen der Firma könnte mich mal! Du bist ein hervorragender Grafiker und jedes Unternehmen kann froh sein, dich als Mitarbeiter zu bekommen!" 

Jetzt war es David, der laut und tief seufzte. "Bitte, Sandymaus, es ist ja nur für einen Abend und wir spielen ja nur das Pärchen." 

Immerhin hatte auch ich momentan keinen Partner und war so niemandem Rechenschaft schuldig. Also ließ ich mich schlussendlich von David breitschlagen. Das Tragen dieses Traumes in Feuerrot würde mich immerhin für die Strapazen entschädigen, dachte ich im Stillen. 

Dennoch kam besagter Samstagabend viel zu plötzlich und ich war dann doch tierisch aufgeregt. David und ich hatten uns eine wunderschöne Kennenlerngeschichte zurechtgebastelt, falls wir unabhängig voneinander danach gefragt würden. Damit auch ja nichts schiefgehen konnte. Mir war noch immer nicht wohl bei der Sache, aber was tat man nicht alles für seinen besten Freund?

In dem Abendkleid fühlte ich mich fast wie eine Königin, aber nur fast. Dieser rote Seidentraum fühlte sich wunderbar an und gar nicht kratzig, wie ich befürchtet hatte. Es war, als schlüpfte ich in einen anderen Körper, als wäre ich jemand anderes und nicht mehr die 27jährige Sandy, freiberufliche Kinderbuchillustratorin und Köchin aus Leidenschaft. Meine schwarzen, langen Haare trug ich zu einer Hochsteckfrisur. Das war Chrissis Werk und sie hatte eine tolle Arbeit geleistet. Sie hatte rote Spangen verwendet und so war das farbliche Bild von gold, schwarz und rot mehr als stimmig. Als wir - untergehakt wie ein Paar - den Festsaal betraten, war mir, als wären alle Augenpaare auf uns gerichtet. Bildete ich mir die plötzliche Stille nur ein oder herrschte diese tatsächlich? Statt mich geschmeichelt zu fühlen, brach mir der Angstschweiß aus und ich war tatsächlich froh, diese groteske Maske zu tragen.  

"Alles ist gut, mein Liebling, bleib ganz ruhig", säuselte David mir ins Ohr. Ein kleiner Schrei entfuhr ihm, als ich ihm in den Arm kniff. "Autsch! Das ist aber gar nicht ladylike!" Ich lachte und wir schritten direkt auf Davids Chef und seine Frau zu. Sie begrüßten uns so herzlich, wie die Masken es zuließen. "Endlich lernen wir Sie kennen, Sandy!" Ich nickte wortlos und hielt mich krampfhaft an Davids Arm fest. Nach einem kurzen, bedeutungslosen Wortwechsel holten wir uns an der Bar einen Cocktail, der ebenso rot war wie mein Kleid. Welches einige der anwesenden Gäste wortreich bewunderten, genau wie mich. Die Unbekannte an Davids Seite hatte nun endlich ein Gesicht, naja zumindest ein halbes. Ich hätte nie gedacht, dass ich tatsächlich einmal froh über eine Maske sein würde, doch heute war ich es! Als wieder Gäste auf uns zukamen, flüchteten wir auf die Tanzfläche. Ein langsamer Song wurde gespielt und wir starrten einander aus den Masken heraus verzweifelt an. 

"Ich schaffe das, ich schaffe das!", ging mir durch den Kopf und ich ging auf David zu. Er nickte und breitete die Arme aus, um meinen Körper zu umschlingen. Es war das erste Mal, dass ich ihm derart nah kommen würde und mein Herz begann aufgeregt zu flattern. Überhaupt war ich schon seit gefühlten Ewigkeiten keinem Mann mehr näher als einen Meter gekommen. Lag es daran, dass es schon so lange her war, dass ich so nervös auf die plötzliche Nähe zu David reagierte? Ein Ziehen ging durch meinen Bauch und mein Herz klopfte wie verrückt in meiner Brust, als er mich ganz nah an sich zog. Wir bewegten uns langsam und rhythmisch zur Musik. Irrte ich mich oder war David ebenfalls ein wenig aufgeregt? Da er ein ganzes Stück größer war als ich, legte ich meinen Kopf an seine Brust. Während eine seiner Hände zärtlich über meinen Rücken fuhr, beschleunigte sich sein Herzschlag ganz deutlich. Und meiner ebenfalls, als seine andere Hand in meinen Nacken wanderte und mir eine Gänsehaut bescherte. Ich sog diese Zuwendung auf wie ein trockener Schwamm das Wasser. Es war so verdammt lang her, dass ich dies erlebt hatte. Meine Hände gingen nun ebenfalls auf Wanderschaft. Sie waren neugierig geworden und erfühlten Davids Körper. Strichen über seine muskulösen Schultern und Arme, wanderten über sein breites Kreuz bis hinunter zu seinem Po, wo sie schlussendlich verweilten. David war definitiv erregt. Ich spürte es ganz deutlich und das nicht nur wegen seines beschleunigten Atems. Mein Expartner war auch gleichzeitig mein bisher letzter Sexualpartner gewesen. War ich ausgehungert oder warum reagierte mein Körper so auf die Nähe zu ihm und was er mit seinen Händen tat? Und wieso überhaupt waren wir in dieser heißen Situation, wenn er doch eigentlich schwul war? Nur deshalb hatte ich mich dazu hinreißen lassen! Ich würde mich doch jetzt nicht in einen Typen verlieben, der auf Männer stand? Das hatte mir gerade noch gefehlt! In meine Gedanken hinein hob David plötzlich mein Kinn an, sah mir tief in die Augen und kam mit seinen Lippen verdächtig nah. Es fehlte nicht mehr viel zum Kuss, doch im letzten Moment drehte ich mich weg und legte den Kopf erneut an seine Brust. Ich hörte ihn deutlich seufzen, er war enttäuscht. Wieso um alles in der Welt war er bitte enttäuscht?! Wenn, dann läge dies doch wohl an mir. Was sollte das alles? Ging das Spiel nicht langsam doch etwas zu weit? Ja, doch! David trieb das Spiel definitiv zu weit und so löste ich mich aus seiner Umarmung und holte mir einen weiteren Cocktail an der Bar. 

"Habe ich etwas falsch gemacht?", fragte er mich, nachdem er sich ebenfalls mit einem Cocktail wieder zu mir gesellt hatte. Ich sah ihn erstaunt an. "Du bist schwul, schon vergessen?", zischte ich leise zu ihm rüber. Er druckste herum, trat von einem Fuß auf den anderen, wirkte mit einem Mal total nervös. Er fuhr sich durch seine dunklen Locken, die ich heimlich immer bewundert hatte. 

"Was ist denn los mit dir, Dave?"

"Naja, eigentlich bin ich so ziemlich hetero..."

Ungläubig starrte ich ihn an. Ein verlegenes Grinsen und eine Röte legten sich auf sein Gesicht. Am liebsten hätte ich ihm meinen Drink in selbiges geschüttet.

"Wie bitte?!?"

Wieder raufte er sich die Haare.

"Als wir uns damals auf der Party durch Chrissi kennengelernt haben", begann er zu erzählen,

"warst du noch nicht lange Single und hattest die Nase voll von uns Kerlen. Ich hingegen war sofort in dich verknallt..."

Ich schlug mir die Hand vor die Stirn, weil mir gleich eine ganze Lichterkette aufging.

"Und weil ich an dem Abend so ziemlich alle Männer verteufelt hatte und mir auch keine Freundschaft mehr mit ihnen vorstellen konnte, hast du dich aus der Not heraus schwul gemacht!?" 

"Ja...", gab er kleinlaut zu, "ich wollte einfach nur in deiner Nähe sein, irgendwie mit dir Zeit verbringen können. Auf keinen Fall wollte ich dich nach diesem Abend einfach aus meinem Leben verschwinden lassen."

Nun musste ich doch lachen. "Und Chrissi hat bei dem Scheiß auch noch mitgemacht. Krass!" 

"Es ist ihr sehr sehr schwergefallen, dich quasi zu belügen. So oft schon wollte sie dir die Wahrheit sagen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat. Aber ich konnte sie immer gerade noch davon abhalten. Du kannst dir sicher vorstellen, wieviel Überredungskunst meinerseits dazu nötig war."

"Im Überreden bist du scheinbar ziemlich gut."

Er fasste mir an die Schultern und sah mich inständig an. "Bitte sei Chrissi nicht böse, sie hat gelitten wie ein Hund. Ich bin der Arsch in diesem unfrommen Spiel."

Ich sah in seine braunen Augen und konnte ihm irgendwie nicht länger böse sein. Sein Dackelblick brachte mich schon immer zum Schmelzen und es gab einige Momente, in denen ich mir gewünscht hatte, er wäre nicht schwul. Doch davon wusste niemand, nicht einmal Chrissi hatte ich das erzählt. Jetzt ärgerte ich mich darüber, denn dann hätte David sich vielleicht schon viel früher als Hetero zu erkennen gegeben. Wie oft hatte er es mir in meinen Träumen schon mit seinem Finger oder seiner Zunge gemacht, obwohl es meine Hand gewesen war, die mich unter der Bettdecke bis zum Höhepunkt verwöhnt hatte. Und jetzt standen wir uns gegenüber wie zwei Deppen!

"Aber heute Abend, als du mir so nah warst, konnte ich mich nicht mehr beherrschen, hatte meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Sandy, es tut mir wirklich von Herzen leid", sagte er und klang ziemlich geknickt. Ja, ich war sauer, dass er mir sein Schwulsein nur vorgespielt hatte! Richtig stinkig sogar! Aber ich spürte, wie nach und nach ein anderes Gefühl den Zorn beseite schob: Erleichterung! Ein bisschen konnte ich ihn sogar verstehen, seine Verzweiflung hatte diese blöde Idee geboren. Und mir wurde langsam klar, dass auch ich längst in David verliebt war und in mir keimte der Verdacht, dass ich ihm diesen Fauxpas in naher Zukunft verzeihen können würde...

 

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Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Cover: google
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2023

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Mein Beitrag zum Erotik-Wettbewerb September 23

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