Ein sekundenlanger Rülpser aus den tiefsten Eingeweiden löste sich und wurde vom kalten Winterwind auf eine lange Reise geschickt. Allein durch den Duft würden wohl die Englein auf den Wolken betrunken werden. Ich, mittlerweile ein alter Mann mit langem Bart, hatte offenbar ein paar Bier zu viel intus und mich verwirrt auf einem Schlitten niedergelassen, der herrenlos vor einer Kneipe parkte. Die dicke, rote Decke kam mir gerade recht, um mich darunter zu wärmen. Es dauerte nicht lange und ich schlief ein. Mein Schnarchen durchbrach die Stille der Nacht und man könnte glauben, es wären Förster am Werke und holtzen Bäume ab. Walter, das bin ich, hatte sich betrunken, weil er seine Angetraute in flagranti mit einem Zwerg erwischt hatte. Die hohle Nuss wollte ihm tatsächlich weismachen, dass dieser Knirps ein Elf wäre und ihr bei den Geschenken half. Für wie blöd hielt sie ihn denn wohl? Hat der Freggle die Geschenke in ihrem Mund gesucht oder etwa gedacht, sie hätte sie zwischen ihren Möpsen versteckt? Warum rede ich jetzt in der dritten Person von mir?
Und überhaupt: Ein Elf mitten in München? Es ist hier zwar saukalt, aber wir waren ja schließlich nicht am Nordpol, wo es nur so wimmelte von arbeitslosen Elfen. Ich konnte es nicht fassen, dass sie mich gegen einen Zwerg eingetauscht hatte. Was bitte hatte dieser Gnom, das ich nicht hatte? Davon abgesehen, war ich knapp 2 Meter groß und der angebliche Elf konnte sich mindestens 4 mal hinter mir verstecken. Das war jedenfalls der Grund, warum ich mich heute fast bis zur Besinnungslosigkeit voll laufen lassen hatte. Und der merkwürdige Typ im roten Anzug und dem weißen Rauschebart, der aussah, als wäre er frisch mit Perwoll gewaschen worden. Ein alter Mann ohne ein einziges, graues Haar. Das war mir mehr als suspekt. Aber seine Einladung zum Bier nahm ich dankend an und die recht merkwürdigen Gespräche mit ihm lenkten mich ein wenig von meinem Kummer ab. Diese liefen in etwa so ab:
"Seit wann trinkt der Weihnachtsmann denn Bier?" hatte ich ihn lachend gefragt. Er schaute mich brummend an.
"Glaubst du, wir saufen den ganzen Tag Milch und fressen Kekse, oder was?"
Ich lachte, weil ich genau so was in der Art wohl dachte. Und das schon mein ganzes Leben lang.
"Irgendwoher muss dieser monströse Bauch ja kommen!" stellte ich fest und zeigte auf seine stattliche Kugel.
"Und was macht so ein großer Kerl kurz vor Heiligabend in einer stinkenden Kneipe?" fragte er mich statt einer Antwort.
Ich starrte ihn mit großen Augen an und sagte erstmal gar nichts. Denn ich sah wieder den kleinen Gnom in unserem Ehebett vor meinem geistigen Auge und wurde wütend. Ich ballte meine Fäuste in den Taschen, bis es wehtat.
"Komm, du großer, trauriger Junge, trink ein Bier mit mir!" Hatte mich der Weihnachtsmann persönlich tatsächlich gerade auf ein frisches Helles eingeladen? Das könnte lustig werden, dachte ich bei mir und meine Hände entspannten sich etwas.
"Wieso bist du Weihnachtsmann geworden?" fragte ich ihn irgendwann an diesem Abend.
"Wegen der vielen Kekse und der Milch natürlich, was glaubst du denn?" lachte er und rieb sich den dicken Bauch.
Dann sah er mich ernst an: "Und warum bist du Lehrer geworden?"
"Woher weißt du das?" fragte ich ihn erstaunt.
"Der Weihnachtsmann weiß alles", gab er lachend zurück. Langsam wurde er mir unheimlich, der Kerl mit dem roten Mantel und dem weißen Bart. War er wirklich der Weihnachtsmann?
"Zweifle nicht, glaube!" stieß er aus und ließ mit einem Zwinkern seinen Bierhumpen gegen meinen knallen. Dann erzählte ich ihm meine Lebensgeschichte, warum ich unbedingt Lehrer werden wollte und schlussendlich auch, dass meine Frau mich mit einem Winzling, der sich als Elf ausgab, betrogen hatte.
"Ach herrje", seufzte er daraufhin, "das war bestimmt Randolph." Ich blickte ihn irritiert an. "Randolph? Ich verstehe nur Bahnhof!" Er errötete, der Weihnachtsmann wurde tatsächlich rot!
"Randolph ist sozusagen unser Chef-Elf. Und ab und an beamt er sich gern mal auf die Erde und geht der Fleischeslust nach."
"Ausgerechnet mit meiner Hilde!?" schrie ich entsetzt ob des Gehörten.
"Da muss ich ihn jetzt verteidigen. Er besucht nur die sehr unglücklichen Damen, um ihnen einige Stunden der Freude zu schenken."
Meine Kinnlade klappte mir gefühlt bis auf meine Füße. Wortlos starrte ich den Weihnachtsmann an: "Du verarscht mich doch gerade, oder?"
Er brach in schallendes Gelächter aus. "Natürlich! Ich liebe es, die Leute auf den Arm zu nehmen!"
Ich lachte mit ihm und es fühlte sich gut an, endlich mal wieder überhaupt etwas zu Lachen zu haben. Aber nur so lange, bis er mir beichtete: "Aber dass Randolph bei deiner Hilde war, ist leider keine Verarsche. Auch Elfen haben Bedürfnisse." Meine Hände ballten sich von selbst zu zwei Fäusten, die ich dem besoffenen Weihnachtsmann nun drohend unter die Nase hielt.
Er grinste mich unter seinem unverschämt weißen Bart an. "Hättest du dich in den letzten Monaten mehr um deine Angetraute gekümmert und weniger um deine süßen Schülerinnen, dann stündest du jetzt nicht besoffen hier in meiner Kneipe." Ich stieß laut die Luft aus. "Was fällt dir ein...?"
"Irgendjemand muss dir endlich mal die Leviten lesen, mein Freund. Leider besteht dein Freundeskreis zum größten Teil aus Jammerlappen, die sich nicht trauen, dir zu sagen, was sie denken." Ich dachte echt, ich höre nicht richtig. Aber der Weihnachtsopa meinte das alles bierernst. Und genau so ein Maß bestellte ich mir nach dieser Moralpredigt. Nach einem sehr sehr sehr großen Schluck Bier wischte ich mir den Mund mit dem Handrücken ab und sah den Weihnachtsmann an: "Dir ist wohl gar nichts heilig? Wie war das mit Stille Nacht, Heilige Nacht? Schau dich doch mal selbst an, alter Mann! Hockst in einer Kneipe und säufst eine Maß nach der anderen!" Er grinste breit. "Richtig, aber mit dem Unterschied, dass ich das hier genieße. Du jedoch bist ein großer, trauriger Junge von fast 60, der mit den süßen Früchtchen in seiner Berufsschule flirtet, weil es zuhause schon seit Monaten nicht mehr läuft." Fassungslos sah ich ihn an, schluckte schwer. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen, aber ich konnte doch nicht den Weihnachtsmann schlagen. Auch wenn er gar nicht so heilig war, wie man es als Kind eingetrichtert bekommen hatte.
"Mach dich nicht noch unglücklicher, als du eh schon bist", sagte der Alte in ruhigem Ton. Offensichtlich konnte er meine Gedanken lesen. "Ich vertraue dir ein Geheimnis an. Das hier, das ist nur für dich sichtbar. Du bist hier der einzige Gast, der mich als das sehen kann, was ich wirklich bin: Der Weihnachtsmann. Für alle anderen hier bin ich ein stinknormaler Kneipenbesitzer." Vor lauter Schreck ließ ich die Maß fallen, die ich gerade ansetzen und leeren wollte. "Nicht schon wieder!" schimpfte eine rundliche, ältere Dame und beeilte sich, die Schweinerei zu beseitigen. "Danke, Trudchen", sagte er an sie gewandt. "Wie bitte???" war alles, was ich rausbrachte. "Wiederhole das!" forderte ich den Alten mit großen Augen auf.
"Kapierst du es immer noch nicht?" fragte er und seufzte. "Ich führe zwei Leben. Eines als Weihnachtsmann und ein geheimes als Kneipier. Oder auch umgekehrt. Je nachdem, wie man es sehen will."
"Du willst mir also weismachen, dass das deine Kneipe hier ist? Aber hauptberuflich beschenkst du die Menschen, säufst Milch und frisst Kekse." Ich brach in schallendes Gelächter aus und konnte gar nicht mehr aufhören. Plötzlich hatte ich wie aus dem Nichts eine neue Maß in der Hand. Mein Lachen erstarb augenblicklich. Spätestens jetzt glaubte ich ihm. Das war Zauberei, das Bier in meiner Hand war einfach da. Verblüfft sah ich an und er grinste erneut über das ganze Gesicht. Dann nahm er die rundliche Dame an die Hand und ging zu einer Wendeltreppe, die in den oberen Bereicht führte.
"Du wirst das mit Hilde in Ordnung bringen, hörst du?"
Ich nickte, denn ich wollte sie nicht verlieren.
"Ich werde jetzt auch der Fleischeslust nachgehen", erklärte er zwinkernd und lächelte die Dame an, die sich daraufhin an ihn schmiegte. "Und du wirst derweil gleich schön deinen Rausch ausschlafen und morgen wird alles gut sein."
Sagte es und verschwand nebst der rundliche Dame im Obergeschoss. Und so war ich nun im Schlitten des Weihnachtsmannes gestrandet, um meinen Rausch auszuschlafen. Und morgen würde ich zu meiner Hilde gehen und retten, was noch zu retten war. Der Weihnachtsmann wird es schon richten. Oder hatte ich all das etwa nur geträumt?
Ende
Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Cover: google.de
Tag der Veröffentlichung: 18.07.2023
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