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Katinka

Lena war so aufgeregt. Es war nicht nur endlich September, sondern somit auch bald Herbst. Das war ihre Lieblingsjahreszeit und diese sehnte sie jedes Jahr herbei. Der Herbst war auch ihre kreativste Phase, denn sie hatte sich vor einigen Jahren der Poesie verschrien und schrieb Gedichte. Mit ihrem Werk "Sweet September" hatte sie sogar den zweiten Platz in einem großen Wettbewerb gewonnen. Sie war stolz wie Oskar gewesen. Sie schrieb es in einer Phase von heftigem Liebeskummer, kurz nach einer Trennung. Die Worte flossen nur so aus ihr heraus. 

Aber das war längst Vergangenheit und Lena schaute wieder nach vorn. Und sie freute sich auf den Herbstzirkus, der seit zwei Jahren von Mitte September bis Mitte Oktober in ihrer Heimatstadt gastierte. Kommenden Samstagabend war es soweit. Lena würde mit ihrem besten Freund in die Vorstellung gehen. Sie war total aufgeregt, sie liebte den Zirkus einfach. Die Menschen, die dort arbeiteten, waren in ihren Augen mehr als besonders. Sie besaßen eine Aura, die Lena selten bei einem Menschen überhaupt gesehen hatte. Die Artisten zogen sie magisch in ihren Bann. Lena hielt regelrecht den Atem an, wenn diese durch die Lüfte flogen, als wäre es das normalste der Welt.

Ihre Lieblingsdarstellerin war Katinka. Eine schlanke, aber muskulöse Seiltänzerin mit langen, blonden Haaren. Ihr Gesicht war fein wie das einer Porzellanpuppe. Mit vollen, roten Lippen und Augen, so blau wie der Himmel. Lena war bei ihrem Anblick nicht nur sofort fasziniert, sondern regelrecht verzaubert gewesen. Nach der Vorstellung ging sie mit ihrem besten Freund Lenny auf einen Cocktail in eine Bar. Der war alsbald genervt von Lena, denn sie sprach die ganze Zeit nur von dieser Artistin. Katinka hier, Katinka da. Eigentlich wollte er ihr heute etwas Wichtiges erzählen, aber sie ließ ihn kaum zu Wort kommen. Sie schwärmte und schwärmte und hörte gar nicht mehr auf.

Dann legte sie auch noch ihre Hand auf die von Lenny und sah ihn zuckersüß an.

"Bitte Len, geh mit mir morgen in die Nachmittagsvorstellung...bitte bitte, ich will Katinka nochmal fliegen sehen..." flehte sie förmlich. 

Lenny dachte, er hört nicht richtig. Wortlos entzog er sich ihr und starrte sie an. Dann leerte er sein Glas in einem Zug, wünschte ihr noch einen schönen Abend und verließ die Lokalität. Ungläubig und unglücklich zugleich starrte Lena ihm hinterher. Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

Scheiße, Lenny wollte ihr heute Abend etwas Wichtiges erzählen und sie hatte ihn die ganze Zeit mit der heißen Artistin genervt. Ganz große Scheiße!

Lenas schlechtes Gewissen wuchs mit jeder Stunde mehr, in der sie Lenny nicht erreichen konnte. Weder reagierte er auf ihre Nachrichten, noch ging er an sein Handy. Dabei war sie so neugierig gewesen auf das, was er ihr unbedingt sagen wollte. Aber dass er sie jetzt erstmal ignorierte, hatte sie wohl verdient.

Dennoch nahm sie allen Mut zusammen und saß am nächsten Nachmittag in der Vorstellung, um Katinka fliegen zu sehen. Doch richtig genießen konnte Lena die Show nicht, denn ihre Gedanken schweiften immer wieder zu Lenny und der Frage, was er ihr gestern wohl Wichtiges sagen wollte.

Sie kannte Lenny erst seit einigen Monaten, aber er war ihr schon so sehr ans Herz gewachsen und ihr so nah, wie kein anderer Mensch es in den letzten Jahren geschafft hatte. Seine ganze Art, aber vor allem seine Empathie hatte sie umgehauen. Und er war auch der erste Mensch, der kein Problem mit ihrer Bisexualität hatte. Sie wurde meist schräg angeschaut, wenn sie diese Tatsache zur Sprache brachte. Keinesfalls wollte sie ihn verlieren und hoffte inständig, dass ihr Fauxpas von gestern nicht alles zwischen ihnen zerstört hatte.

Obwohl sie insgeheim wusste, dass ihr Lenny nicht so tickte und auch nicht nachtragend war, hatte sie Angst, ihn nie mehr wieder zu sehen. Erst in dem Moment wurde ihr das schmerzlichst bewusst. Ihr Herz begann zu rasen und ihr Atem wurde flach.

Nein, das durfte nicht geschehen. Niemals!

Sie wollte gerade aufstehen, als sich jemand auf den freien Platz neben ihr setzte und ihre Hand in seine nahm. Erschreckt sah sie nach links und blickte direkt in die bernsteinfarbenen Augen von Lenny. Ihr Körper entspannte sich augenblicklich. Schuldbewusst lächelte sie ihren besten Freund an. "Es tut mir leid, Len, so leid..." 

Er erwiderte ihr Lächeln und nun sahen sie sich gemeinsam den Rest der Vorstellung von Katinka an. Und plötzlich geriet Lenny selbst ins Schwärmen über die schöne, aber kühle Blondine. Seltsamerweise störte Lena das. Sie durfte von ihr schwärmen, aber Lenny? Nein, das fühlte sich irgendwie komisch an. Nachdem die beiden sich verabscheidet hatten, weil Lenny noch etwas vorhatte, suchten Lenas Augen nach Katinka. Völlig unerwartet trafen sich ihre Blicke und die kühle Blondine lächelte die junge Frau offen an. Wieder klopfte ihr Herz wie wild, aber diesmal nicht aus Angst, sondern vor Aufregung. Lena nickte ihr zu und wandte sich zum Gehen. Doch plötzlich nahm erneut jemand ihre Hand und hielt sie fest. Diesmal sah sie in eisblaue Augen, die sie erwartungsvoll anschauten. Katinka!

 

Wortlos führte sie Lena zu einem Wohnwagen, zeigte ihr durch eine Handbewegung, dass sie hineingehen sollte und verschloss hinter den beiden die Tür. Dann zog sie die Vorhänge zu und bot Lena einen Platz an. Ihr Herz explodierte fast in ihrer Brust, so aufgeregt war sie.

Die beiden Frauen unterhielten sich ein wenig und dann nahm die Artistin erneut Lenas Hand. Diesmal führte sie sie zu ihrem großen Bett im hinteren Teil des Wohnwagens. Lena fühlte sich wohl. Es war sauber, aufgeräumt und roch nach frischer Wäsche in Katinkas Bleibe.

Bereitwillig ließ sie sich von der schönen Artistin ausziehen und sah ihr dann verzückt dabei zu, wie sie sich ebenfalls entkleidete.

Ein makelloser Körper kam zum Vorschein und Lena konnte sich kaum daran sattsehen. Katinka ging zu ihrem Kühlschrank und kam mit allerlei Köstlichkeiten zurück. Diese verteilte sie mit glänzenden Augen auf dem nackten Körper von Lena. Nur, um die Leckereien dann mit ihrer geschickten Zunge von ihr herunter zu knabbern und zu lecken. Lena bebte vor Erregung und verzückte Sexlaute verließen ihre Kehle.

Ihr Körper wurde zu einer einzigen Oase der süßen Lust. Köstliche Schokocreme und Sahne klebten nun an ihrem Bauch, auf ihren Brüsten und ihren Oberschenkeln. Aber Katinka leckte alles brav sauber und ließ dabei ebenfalls betörende Laute der Lust von sich.

Diese machten Lena derart an, dass sie ganz unerwartet einen gewaltigen Orgasmus bekam, dessen Saft sich mit der Süßspeise vermischte und Katinka fast süchtig danach zu machen schien. Denn sie wollte immer mehr davon.

 

Ein störendes Geräusch drang plötzlich in Lenas Ohren und drohte, ihre Erregung und den herannahenden, zweiten Orgasmus zu stoppen. Sie versuchte krampfhaft, sich nicht ablenken zu lassen und Katinka ihren Wunsch zu erfüllen, aber das Geräusch drängte sich weiterhin hartnäckig in ihren Gehörgang. Es klang wie ein Klingeln. Doch nun ging es in ein wildes Klopfen über. Lena schlug die Augen auf und sah sich verwirrt um.

Das konnte doch nicht sein! Sie lag in ihrem, zugegebenermaßen ziemlich nassen, Bett in ihrer eigenen Wohnung. Wo war der Wohnwagen hin und wo war Katinka?

Irgendjemand klopfte und klingelte abwechselnd offenkundig an ihrer Wohnungstür und das machte sie plötzlich fuchsteufelswild.

Und wütend! Denn hier und jetzt hatte sie jemand aus ihren Sweet Dreams geholt und das fand sie alles andere als toll! 

Aber Moment! Das war alles nur ein Traum?

Natürlich war es nur ein Traum. Katinka und Lena hatten sich zwar tatsächlich angelächelt, aber die Artistin hatte sie nicht mit in ihren Wohnwagen genommen. Es war bei diesem intensiven Blickkontakt und dem Lächeln geblieben. Schade!

 Aber irgendetwas musste wohl passiert sein, denn sonst würde dieser Jemand nicht um halb drei in der Früh fast ihre Tür aus den Angeln heben. Also griff sie nach ihrem Morgenmantel und öffnete dann vorsichtig ihre Wohnungstür mit vorgelegter Kette.

"Wer ist da?", fragte sie in die Dunkelheit. 

 Dann wurde das Treppenlicht eingeschaltet und sie sah in das bedröppelte Gesicht ihres besten Freundes. Lena war sofort alarmiert.

 "Len? Ist was passiert?" Die Wut war einer ehrlichen Besorgnis gewichen.

"Warte", bat sie ihren besten Freund, legte die Kette zur Seite und ließ Lenny in ihre Wohnung.

Seine bernsteinfarbenen Augen sahen so traurig aus wie nie zuvor. Aus einer Intention heraus nahm sie ihn einfach in die Arme und drückte ihn an sich. Er sagte nichts. 

"Alles wird gut, Len", flüsterte sie an sein Ohr. 

"Es tut mir so leid, Lena, ich dachte, sie wäre bei dir...ich dachte, du würdest...ich dachte, ich störe euch..." stammelte er und Lena verstand nur Bahnhof. 

Sie schob ihn von sich, damit sie ihn ansehen konnte. Bedröppelt sah er auf den Boden und scharrte mit dem rechten Fuß. 

"Wovon redest du, Lenny?", fragte sie streng. Er vermied es, sie anzusehen. "Was ist los, Lenny?", hakte sie deshalb unerbittlich nach. 

Er raufte sich verlegen die Haare. "Ich habe dich stöhnen hören, Lena...und da dachte ich, du und Katinka..."

Sie lachte laut auf. Obwohl ihr gar nicht danach zumute war, lachte sie. War war los mit ihm? War er etwa eifersüchtig?

"Ich hatte einen intensiven Traum von Katinka und mir, wenn du es genau wissen willst."

Sie seufzte inbrünstig, weil ihr wieder einfiel, dass er sie dabei gestört hatte. 

"Warum dachtest du eigentlich, dass sie bei mir wäre?"

Lennys Gesicht verfärbte sich dunkelrot. Erneut raufte er sich die dunklen Locken. 

"Weil...weil...naja...weißt du..."

Lena verschränkte die Arme vor der Brust und tippelte mit einem Fuß wartend. Lenny wusste, was das bedeutete und musste nun mit der Sprache raus. 

"Man, ich bin so dumm gewesen, Lena. Ich habe Katinka angesprochen und..."

 

"Was? Du wolltest sie mir ausspannen?", stieß Lena verletzt aus.

 

Jetzt musste Lenny lachen. "Lenamaus, wie kann ich dir jemanden ausspannen, mit dem du noch nichtmal ein Wort gesprochen hast?"

 

Ein ungewohntes Gefühl stieg in der jungen Frau auf. Es fing als ein Stechen in der Magengegend an, breitete sich dann langsam in ihrem Körper aus und blieb wie ein Stachel in ihrem Herzen stecken. 

Nun war Lena über alle Maßen verwirrt. Was geschah hier, an diesem frühen Herbstmorgen? Sie fröstelte plötzlich und schnallte ihren Morgenmantel enger. 

Lenny machte einen Schritt auf sie zu. "Ich habe Katinka angesprochen, weil ich gesehen habe, wie sie dich angeschaut hat. Und du sie."

 Seine Stimme klang ehrlich und zärtlich zugleich. Seltsamerweise legte sich eine Gänsehaut auf Lenas Körper, die sie vom Kopf bis zu den Zehen berieselte. Unverhofft nahm er ihre Hand in seine und ohne jede Vorwarnung waren da plötzlich unzählige Schmetterlinge in Lenas Bauch und begannen zu tanzen. 

Er sah ihr tief in die Augen:

"Ich habe ihr von deiner Schwärmerei erzählt und ihr gesagt, dass sie dich ansprechen soll. Ich wollte dir etwas Gutes tun, dich glücklich machen. Aber gleichzeitig habe ich mir selbst das Schlimmste angetan, ohne es zu wissen. Erst der Schmerz hat mich wach werden lassen."

 

Weitere Erklärungen waren unnötig, Lena verstand es auch so. Beide hatten diese Monate, die sie sich erst kannten, offenbar gebaucht, um sich ihrer Gefühle füreinander bewusst zu werden.

Und sie hatten Katinka gebraucht.

Langsam ließen sie sich auf Lenas Bett sinken und sahen sich tief in die Augen. Bei ihrem ersten Kuss dachten beide, ihre Lippen würden vom Feuer miteinander verschmelzen. Im Morgengrauen dieses Herbsttages schliefen sie zum ersten Mal miteinander und es war unbeschreiblich. Engumschlungen dösten sie nur wenige Stunden, bis der Wecker klingelte. Denn sie mussten beide am nächsten Tag arbeiten. Doch den Schlafmangel sah ihnen niemand an. Nur das Strahlen in den Augen wurde vom Außen wahrgenommen.

Lena und Lenny waren endlich wieder glücklich. Und das miteinander. 

Was Lenny Lena sagen wollte an dem Abend in der Bar, hatte mit seinen verwirrten Gefühlen für sie zu tun. Aber da sie unaufhörlich von Katinka geschwärmt hatte, dachte er, es wäre aussichtslos. Er wollte Lena glücklich machen. Aber er hatte das nicht zuende gedacht und sich schlussendlich selbst unglücklich gemacht mit seiner Aktion.

 

Später bedankten die beiden sich bei Katinka. Zu ihrer Verblüffung sagte sie ihnen, dass sie sofort gespürt hatte, dass die beiden zusammengehören. Und das war damals der einzige Grund, warum sie Lena nicht angesprochen hatte. 

 

Die Liebe geht manchmal seltsame Wege.

 

ENDE

 

 

Impressum

Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Cover: pixabay
Tag der Veröffentlichung: 30.09.2024

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mein Beitrag zum Erotik-Wettbewerb im September 2024

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