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Heimliche Blicke

Ich weiß, es ist nicht richtig, was ich hier tue.

Aber ich kann nicht anders.

Ich komme nicht umhin, immer wieder zu schauen.

Zu ihr. 

Zu diesem zarten Wesen mit den kupferfarbenen Haaren, die ihr helles Gesicht umrahmen.

Ihr gesamter Körper ist eine helle Landschaft, von dem sich nur die rosafarbenen Knospen und das dunkle Dreieck abheben.

Die karamellfarbenen, wachen Augen strahlen eine Magie aus, der ich mich nicht entziehen kann.

Der winzige Leberfleck über ihrer linken Oberlippe ist ein weiteres Highlight und macht sie besonders.

Die makellosen, weißen Zähne, die sie viel zu selten zeigt, zeugen von guter Pflege oder einem guten Zahnarzt.

Der rote, herzförmige Mund, den ich nie wagen würde, zu küssen.

Sie ist für mich Schönheit par excellence. 

Unantastbar.

 

"Hey, Bruderherz, kommst du mit uns feiern?" stürmt meine jüngere Schwester in meine vier Wände und stört mich so sehr, dass ich fast mein nagelneues Teleskop zertrümmert hätte. Wütend schaue ich sie an. "Ach Mensch, Manuel, die Sterne kannste doch immer noch betrachten. Es ist Samstagabend und normale Menschen gehen feiern!" 

Ich bin kein normaler Mensch, bin ich nie gewesen. Schon nach meiner Geburt wäre ich am liebsten zurück in die warme Höhle gekrochen, aus der mich meine Mutter ohne meine Einwilligung gepresst hatte. Aber dafür gibt es kein Rückfahrticket. Also muss ich mich wohl oder übel seit nunmehr einundzwanzig Jahren mit mir und meiner abnormen Schüchternheit abfinden. Allein mit anderen Menschen Worte zu wechseln, verlangt mir enorm viel Überwindung ab. Und meine bekloppte Sis' will mich mit zum Feiern schleppen. Aber mir schwant etwas...

"Ist Bille auch dabei?" Meine Schwester grinst mich unverhohlen an. "Na klar, ist Bille auch mit von der Partie."

Ich wusste es! Seit einigen Monaten schon versucht sie mich mit ihrer besten Freundin Sybille zu verkuppeln. Was für mich undenkbar ist und das liegt nicht nur am meiner Schüchternheit, sondern auch daran, dass ich Bille nicht im Entferntesten anziehend finde. Sie ist das genaue Gegenteil von meiner magischen, neuen Muse Ivana. Die schöne Nachbarstochter, die mit ihren Eltern auf der anderen Straßenseite eingezogen ist. Gut, dass sich niemand über mein plötzliches Interesse für Sterne gewundert hatte, als ich nach dem Standfernglas fragte vor einigen Wochen. Ich glaube, meine Mutter ist einfach nur froh darüber gewesen, dass es etwas gibt, das mich neben meinem Kunststudium noch interessiert. Dass dieses Teufelsding gar nicht für Sterne gedacht ist, sondern dafür, mir die holde Schönheit von gegenüber näherzubringen, ist mein bestgehütetes Geheimnis. Und ich spüre seitdem: Es ist herrlich, eines zu haben. Bisher gab es nichts Heimliches in meinem Leben. Aber der Einzug der neuen Familie brachte Licht in mein dunkles Dasein. Sie brachte Licht in mein Leben. Kupfer- und karamellfarbenes Licht, um genau zu sein. Ivana.

 "Ach komm schon, Manu", säuselt meine Schwester Silvi, die gerade ihr Abitur macht und danach Medizin studieren will. Es ist immer gut, einen Arzt in der Familie zu haben. "Ich bin doch bei dir", schiebt sie sanft hinterher. Silvi kennt mein Problem. Sie ist die einzige Person, der ich mich jemals anvertraut habe. Meine Schwester weiß so ziemlich alles von mir. Nur das mit Ivana nicht. Sie würde es nicht verstehen. Sie würde es widerlich finden. Und das ist es ja auch. Ich beobachte meine Nachbarin, ohne ihr Wissen. Aber ich liebe meine kleine Schwester und möchte nicht, dass sie schlecht von mir denkt. "Na gut", sage ich einem plötzlichen Impuls folgend, als Silvi sich meinem Teleskop nähert. Sie darf unter keinen Umständen mein Geheimnis herausfinden. Bevor sie das Fenster erreicht hat, dreht sie sich verwundert um. "Echt? Du kommst mit?" 

Ehrliche Freude schleicht sich in ihr Gesicht. Und in mich das schlechte Gewissen. "Aber du hältst mir Bille vom Leib!" beeile ich mich zu sagen und schiebe Silvi sanft, aber bestimmt aus dem Zimmer. Zur Sicherheit drehe ich den Schlüssel im Schloß herum. Bei meiner allabendlichen Stunde mit Ivana will ich nicht gestört werden. Will es genießen, ganz in Ruhe. Jeden Abend um die gleiche Zeit geht sie nämlich der Körperhygiene nach. Diese besteht aus Duschen und Eincremen. Das ist wie ein Ritual. Und Silvi hatte mich dabei gestört. Jetzt habe ich bestimmt verpasst, wie sie ihren schönen, elfenbeinfarbenen Körper aus ihren Klamotten pellt und dabei genau vor dem Fenster steht. Als würde sie dies allein für mich tun. Nur für mich, ihrem heimlichen Verehrer. Als ich durch das Fernrohr luge, kommt sie gerade aus der Dusche in ihr Zimmer. Splitternackt offenbart sie sich mir. Setzt sich auf ihr bestimmt bequemes Bett und öffnet ihre Bodylotion. Mein Herz beginnt zu rasen, meine Handflächen werden feucht, ich bekomme Schnappatmung. Wie immer, wenn ich in diesen Hochgenuss komme. Aber nicht nur das, auch in meiner Jeans regt sich etwas. Erst, seit es Ivana in meinem Leben gibt, weiß ich, dass dieses Ding zwischen meinen Beinen nicht nur zum Pinkeln da ist. Und trotzdem ignoriere ich den kleinen, frechen Kerl da unten, der seinen eigenen Kopf hat und immer so auf Ivana reagiert. Niemals würde ich meine schöne Nachbarin als "Wichsvorlage", wie es die anderen Jungs nennen, missbrauchen. Das wäre, als würde ich sie beschmutzen und das widerstrebt mir. 

"Bist du fertig, Bruderherz?" wummert es an meiner Zimmertür. Scheiße, nein! Ich bin noch nicht fertig...Ivana ist noch nicht fertig. Sie ist gerade erst mal bei ihren festen, kleinen Brüsten mit der Lotion zugange. Das Beste kommt doch erst noch. Verdammt Silvi! 

"Wir müssen in 30 Minuten los, also mach dich schick und komm runter!" ruft meine Schwester und ich höre, wie sie die Treppen hinabsteigt mit ihren hohen Absätzen. Mein Zimmer liegt im Dachgeschoss, das mein Vater ausbauen lassen hat vor ein paar Jahren. Das ist sehr vorteilhaft, hier kann man sich wunderbar verkriechen. Ich genieße noch einen intimen Moment mit meinem Fernrohr und schaue Ivana ein paar Minuten bei der Körperpflege zu, bevor ich widerwillig ins Bad gehe um mich für einen Abend fertigzumachen, auf den ich ungefähr so viel Lust habe, wie auf einen Magen-Darm-Infekt. Aber ich habe es versprochen. Meine widerspenstigen Locken, die mir meine Mutter netterweise vererbt hat, zähme ich per Gel und rasiere mich. Bei den Klamotten fällt meine Wahl auf das weiße Shirt mit der roten Aufschrift "Lass es bleiben", das ich von meiner Sis' zum letzten Geburtstag bekommen habe. Dazu dunkle Jeans und rote Sneakers. Mein Spiegelbild sieht tatsächlich ganz passabel aus. 

"Na, Brüderchen, geht doch, siehst gut aus!" bemerkt Silvi, als ich nach unten ins Wohnzimmer komme. Meine Eltern schauen mich entgeistert an. "Wer bist du und was hast du mit unserem Sohn gemacht?" fragen sie fast synchron. 

"Ist von Aliens entführt worden, weil er zu viel in die Sterne geschaut hat!" entgegne ich mit sarkastischem Unterton. Sie lachen nur und verkneifen sich weitere Kommentare, weil sie vermutlich froh sind, dass ihr Herr Sohn endlich mal ausgeht.

"Ist die Botschaft auf deinem Shirt für Bille?" zischt mir meine Schwester zu und zieht mich in den Flur.

"Das hast du mir geschenkt, schon vergessen?" zische ich zurück und ziehe grinsend meine schwarze Lederjacke über.

Sie wirft ihre helle Jeansjacke über die Schulter und knufft mich spielerisch in den Bauch: "Ich weiß, aber nicht für Bille!" 

"Pass auf deine Schwester auf und kommt nicht zu spät heim, Herrschaften!" tönt es aus dem Wohnzimmer, bevor wir das Haus verlassen. Bereits einige Minuten später erreichen wir den Club, in dem wir auf Silvis Freunde treffen werden. Der den glorreichen Namen Picasso trägt und gar nicht mal so übel aussieht. Ich bin gespannt auf das Innere. Ganz Gentleman öffne ich meiner Schwester die Tür und sofort schlägt mir ein Schwall warmer Luft, ein Mix aus Parfüm, Schweiß und Alkohol entgegen. Ich bin mit einer viel zu feinen Nase gesegnet und wieder einmal mehr verfluche ich diese Tatsache. Denn eigentlich möchte ich auf der Stelle kehrtmachen und zurück in den geschützten Raum. Zurück in meine Festung auf dem Dachboden unseres Hauses. Doch dann fällt mein Blick auf eine zierliche Rückansicht mit kupferfarbener Mähne an der Bar. "Ivana?" denke ich. Mein Mund wird staubtrocken, die Wüste Gobi hat sich in meiner Kehle festgesetzt. Dann rufe ich mir in Erinnerung, dass ich sie vorhin doch erst noch bei der Körperpflege gesehen habe und sie niemals so schnell fertig gestylt hier sitzen könnte. Demnach kann sie das nicht sein. Erleichtert atme ich endlich aus, nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit die Luft angehalten hatte. Eine stürmische Umarmung holt mich in die Realität zurück. Bille drückt mich freudig an sich und strahlt wie eine 60 Watt-Glühbirne. Dann schaut die beste Freundin meiner Schwester an mir rauf und wieder runter. "Geiles Shirt!" befindet sie, nimmt mich bei der Hand und zieht mich zu einem Tisch, an dem einge der Spezies sitzen, die ich lieber von hinten sehe. Menschen. Immerhin wohnen zwei mir vertraute Lebewesen dem Ganzen hier bei. Sivli und Bille. Die anderen bestehen aus zwei weiteren männlichen Studenten und zwei Mädchen im Alter meiner Schwester. Alle bis auf die Rothaarige haben alkoholische Getränke vor sich. Vermute ich zumindest. Das Mädchen mit den unzähligen Sommersprossen zieht durch einen Strohhalm eine hellblaue Flüssigkeit aus ihrem Glas, die nicht nach Alkohol aussieht.

"Was ist das? Sieht irgendwie lecker aus." frage ich sie, nachdem wir uns alle einander vorgestellt haben. Mit einem schüchternen Blick mustert sie mich: "Blaue Lagune." 

"Alkoholfrei!" ruft Bille und lacht. "Unsere Sissi verträgt nichts!" Das rothaarige Mädchen schaut verlegen auf ihre Hände und meine Schwester straft ihre Freundin mit einem bösen Blick ab. Typisch Sybille, das freche Luder! Von Alkohol habe ich nicht wirklich Ahnung, aber Blaue Lagune klingt exotisch und ich bestelle mir auch so ein Teil. Sissi schaut mich abwartend an, während ich das himmelblaue Gesöff ebenfalls durch einen Strohhalm sauge. Dabei fallen mir ihre grün gesprenkelten Augen auf, die sich nun verlegen hin und her bewegen. Sie scheint wohl ähnlich schüchtern zu sein wie ich. Das ist irgendwie süß. Genau wie dieses Zeug in meinem Mund, aber es schmeckt tatsächlich recht lecker.

"Wie kommt es, dass wir uns noch gar nicht kennen?" fragt Anita, die andere Abiturientin und ich spüre, wie ich erröte. Verdammte scheisse! Das hat mich jetzt kalt erwischt! Bloß nicht stottern, Manuel, nur jetzt bloß nicht stottern!" hoffe ich im Stillen. Sie ist wirklich sehr hübsch und das bringt mich völlig aus dem Konzept. Ihre hellblonden Haare sind zu einem langen Zopf geflochten und ihr Fransenpony endet genau über ihren Augenbrauen. Um Zeit zu schinden, leere ich meinen alkoholfreien Cocktail bis zur Hälfte. Anitas blaue Augen mustern mich neugierig. "Nun", sage ich und meine Stimme klingt heiser, "ich bin nicht so der Party-Typ. Gehe selten aus." 

"Selten?" mischt sich Bille in das Gespräch, "du gehst niemals aus. Dein Zimmer verlässt du nur für die Uni oder zum Pinkeln."

Sie lacht, aber niemand stimmt mit ein. Stattdessen erntet sie einen erneuten, bösen Blick meiner Schwester. Ich will eigentlich direkt wieder heimgehen. Zu meinem Fernrohr. Zu Ivana. Ich kann einfach nicht mit Menschen, ich fühle mich hier fehl am Platz. Man sieht ja, was dabei herauskommt, wenn ich einmal meine Festung verlasse, um unter ihnen zu weilen. Abgesehen von der Uni und damit verbundenen Exkursionen bin ich am liebsten für mich allein. Der Abend fühlt sich für mich an wie eine mittlere Katastrophe. Aber Anita bleibt davon völlig unbeeindruckt und lächelt mich auf so süße Art an, dass mir mit einem Mal ganz heiß wird. "Da hast du aber richtig was verpasst", sagt sie und ich nicke einfach nur wortlos. Das ist am einfachsten. Nur nicken, bloß nicht sprechen müssen.

"Ja, finde ich auch, du solltest öfter mit uns hierher gehen." Jetzt bin ich komplett verwirrt und ein wenig überrascht, denn dieser Satz kam aus dem Mund von Sissi. Das muss sie richtig viel Überwindung gekostet haben. Ihre Sommersprossen scheinen dunkler als vorhin und ihre grünen Augen zittern unruhig. Während meine Schwester mit den beiden Jungs eine rauchen geht, sitzt Bille mit verschränkten Armen am Tisch und beobachtet uns argwöhnisch. Dann steht sie plötzlich auf, bedenkt mich mit einem eiskalten Blick und verzieht sich, wahrscheinlich zu Silvi und den Jungs draußen vor der Tür. Das ist mir nur recht, ich mag diese kleine Runde, die nun entstanden ist und auch die Stimmung, die zwischen uns Dreien nun herrscht. Beide Mädchen gefallen mir so gut, dass ich mich nicht entscheiden könnte, wenn ich es müsste. Natürlich kommen sie nicht an die Schönheit und Anmut meiner magischen Nachbarin heran, aber sie sind schon verdammt nahe dran. Und - was mir auffällt - meine Sehnsucht nach Ivana ist längst nicht mehr so intensiv wie es vorhin noch der Fall war.

Könnte das reale Leben doch etwas für mich sein? frage ich mich instinktiv.

Doch bereits ein paar Augenblicke später wird es wieder ungemütlicher und lauter. Meine Schwester, Bille und die Jungs kehren zurück an unseren Tisch. Ehe ich mich versehe, schnappt Bille meine Hand und zieht mich auf die kleine Tanzfläche. Die Musik ist mir bis jetzt gar nicht wirklich aufgefallen, aber sie ist auch nicht besonders laut. Was mir aber auffällt, ist, dass ich noch nie in meinem Leben getanzt habe und puterrot werde. Was fällt Bille ein, mich so zu blamieren? Ich stehe stocksteif auf dem Parkettboden und halte die Luft an. Verwirrt schaut die beste Freundin meiner Schwester mich an. "Was ist los mit dir?" zischt sie in meine Richtung. Und dann sehe ich, dass auch die anderen vom Tisch aufstehen und sich zu uns gesellen. Zumindest stehe ich nun nicht mehr unfreiwillig im Mittelpunkt des Geschehens. Sie umringen mich und dann flüstert Anita mir ins Ohr, dass ich einfach das machen soll, was sie macht. Augenblicklich lässt meine Anspannung nach. Und so schaue ich genau auf ihre Bewegungen und ahme sie nach. Das klappt besser als gedacht. Ein Gefühl von Dankbarkeit überkommt mich und mir wird plötzlich ganz warm. Sie hat mich gerettet. Und kann zudem fantastisch tanzen, jedenfalls finde ich ihre Bewegungen sehr schön. Mit glänzenden Augen schaue ich ihr dabei zu. Bekomme gar nicht genug von ihren kreisenden Hüften und ihrem wackelnden Hinterteil. Es sieht ziemlich sexy aus, wie sie ihre Arme dabei hebt und sich durch diese Bewegung ihr Busen frech nach vorn schiebt. Und zum zweiten Mal an diesem verrückten Tag meldet sich mein bestes Stück. Ich bin erregt, verdammte Scheiße! Aber das ist ja auch kein Wunder bei Anitas herrlichen Kurven. Meine Augen fixieren ihre Brüste wohl mehr als normal, denn sie fasst unter mein Kinn und hebt meinen Kopf an. "Hier spielt die Musik, mein Lieber!" lacht sie und schlingt ihre Arme um meinen Hals. Die unvermittelte Berührung ihrerseits und die damit verbundene Nähe ihres warmen Körpers lässt mein Herz in meiner Brust für einen Moment stehenbleiben. Ich kann die sich bildenden Schweißperlen auf meiner Stirn fühlen. Zudem noch feuchte Hände, zittrige Knie und dann Herzrasen. Das kenne ich doch alles...

"Ivana", flüstere ich erschrocken, fast entsetzt und fühle mich plötzlich wie ein Betrüger. 

"Wer ist Ivana?" fragt Anita und mein Gesicht färbt sich dunkelrot, ich spüre es. "Scheiße, verdammte Scheiße!" denke ich nur und ringe mit den Worten. "Du musst dich verhört haben, ich habe Anita gesagt", lüge ich, weil ich keinen anderen Ausweg aus dieser Situation sehe. Das letzte, das ich will, ist, sie verletzen. "Ich kenne gar keine Ivana."

Das ist ja nicht so ganz gelogen, denn ich kenne sie ja nicht persönlich. Dennoch, das schlechte Gewissen breitet sich in mir aus. Sie lächelt mich unbekümmert an und ich beruhige mich langsam wieder. Dann legen sich meine Hände automatisch auf ihre Hüften und ich ziehe sie noch näher an mich heran. Diese neuen Gefühle, die mich gerade übermannen, gefallen mir außerordentlich gut. Alles in mir kribbelt und das vermag selbst der Blick durchs Fernrohr nicht in mir auslösen. Das hier ist eine völlig neue Erfahrung und ich kann irgendwie nicht genug davon kriegen, obwohl es mich total kirre macht. Anitas Busen drückt sich gegen meinen Oberkörper und das löst eine weitere Welle der Erregung in mir aus. Oh mein Gott! Ich bin überwältigt von meinen Gefühlen, offenbar spielen meine Hormone total verrückt!

Ein neuer Song beginnt und da es eine schnellere Nummer ist, löst sich Anita von mir, sehr zu meinem Bedauern. Aus dem Augenwinkel sehe ich Bille auf mich zukommen und ahne schlimmes. "Jetzt starten wir beide einen neuen Versuch!"

Da ich ja schlecht Nein sagen kann, tanze ich widerwillig mit ihr und mein kleiner Freund da unten hat sich eiligst zurückgezogen. Sybille deutet mit dem Kopf zu Simon und Silvi und grinst viel sagend. Meine Schwester und der junge Medizinstudent knutschen mitten auf der Tanzfläche und scheinen alles um sich herum zu vergessen. Das will ich auch, denke ich unwillkürlich und meine Augen suchen automatisch nach Anita. Doch sie ist nicht zu sehen. Stattdessen begegne ich dem traurigen Blick von Sissi. Ihre grünen Augen scheinen einige Nuancen dunkler geworden zu sein. Was ist mit ihr los? Erst jetzt fällt mir auf, dass sie ganz allein tanzt. Aber es sieht so anmutig aus, so leicht, als würde sie über das Parkett schweben. Ab und zu schließt sie ihre Augen. Es wirkt, als tauche sie beim Tanzen in eine andere Welt ein. Die schüchterne Sissi mit den süßen Sommersprossen. Unerwartet öffnet sie die Augen und sieht mich an. Ich fühle mich ertappt wie ein Spanner. Verlegen starre ich sie an und registriere, wie sie verschämt mit einer ihrer roten Locken spielt. Auch Sissi ist ein sehr hübsches Mädchen, ebenso wie Anita, nur wesentlich schüchterner. 

"Ähem, Manuel, wir beide waren doch gerade am Tanzen..." höre ich Bille protestieren, aber ich reagiere nicht auf sie. Es ist, als würde mich jemand zwingen, Sissis Blick zu halten und je länger wir uns anschauen, desto heller werden ihre schönen, grünen Augen. Die Traurigkeit von vorhin ist verschwunden. Das laute Lachen von Anita holt mich auf den Parkettboden zurück. Sie hängt an Torben, dem anderen Medizinstudenten, und albert mit ihm herum, als wäre nichts zwischen uns gewesen. Ist das ihr scheiß Ernst gerade? Ich fühle Wut in mir aufsteigen. Sie schlingt die Arme um ihn, ganz so wie sie es vorhin bei mir getan hat. Was zum Teufel soll das alles? Fragend schaue ich meine Schwester an, doch sie zuckt nur entschuldigend mit den Achseln. Und bevor Bille mich wieder in ihre Fänge bekommen kann, schnappe ich mir Sissi und tanze mit ihr. Erneut ertönt eine langsamere Nummer und das Mädchen mit den Sommersprossen sieht mich schüchtern, aber erwartungsvoll an. Vorsichtig und mit klopfendem Herzen nehme ich ihre Hände und lege sie auf meine Schultern. Dann umfasse ich ihre schmalen, aber dennoch weichen Hüften. Fast wie in Zeitlupe nähert Sissi sich mir und legt zaghaft ihren Kopf auf meine Brust, denn ich bin ein ganzes Stück größer als meine Tanzpartnerin. Instinktiv erweckt eine Art Beschützerinstinkt in mir und ich lege eine Hand auf ihr Haar. Wow! denke ich nur und drücke sie sanft noch näher an mich, obwohl das eigentlich gar nicht mehr möglich ist. So wiegen wir uns zum Rhythmus der Musik hin und her und spüren den schnellen Schlag unserer Herzen. Ich weiß, ich möchte sie nie mehr loslassen und ewig so weiter mit ihr tanzen. Was für ein Abend! So viele verschiedene Gefühle prasseln auf mich ein wie ein Regenschauer und das zum ersten Mal in meinem Leben. Sie hauen mich um, verwirren mich...

Dann hebt Sissi ihren Kopf und schaut mich an. Dieser Blick...er schiebt alles bisherige in den Hintergrund. Er ist verschämt und schüchtern, aber auch voller Zärtlichkeit, Vertrauen und Leidenschaft. Und dieser Blick lässt in meinem Bauch unzählige Schmetterlinge tanzen. Es gibt nur noch uns beide auf der Tanzfläche. Und plötzlich ist da ein Feuer in ihren grünen Augen und mir wird heiß und kalt. Fühlt sich so verliebt sein an? Es keimt ein Bedürfnis in mir auf, das ich noch nie verspürt habe. Ich will Sissi auf der Stelle küssen. Sie denkt wohl auch daran, denn unsere Münder kommen sich gleichzeitg näher. Und als unsere Lippen aufeinandertreffen, höre ich irgendwo ein Feuerwerk explodieren. 

 

Impressum

Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 26.09.2022

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mein Beitrag zum Erotik-Wettbewerb September/Oktober 2022

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