Schwer atmend erreiche ich gerade noch meinen Nachtzug, der mich nach Paris bringen soll. Das ist eine wirklich schlechte Angewohnheit von mir, immer erst auf den letzten Drücker irgendwohin loszufahren. Heute lag es jedoch auch an dem unvorhersehbaren Stau wegen eines Unfalls auf der Hauptstraße zum Bahnhof, in dem ich zusammen mit dem Taxifahrer gesteckt hatte. Aber Gott sei Dank habe ich es noch rechtzeitig geschafft und bin froh, dass meine beiden Koffer längst schon in Paris im Hotel sind und ich nur eine kleine Reisetasche dabei habe. Als ich endlich meinen reservierten Platz gefunden habe, verstaue ich die Reisetasche und lasse mich auf den weichen, gepolsterten Sitz fallen. Das tut so gut und allein bin ich auch. Hervorragend! So wird es sicherlich eine entspannte und ruhige Zugfahrt nach Paris.
Leider hält die Stille nicht lange an, denn gerade als ich ein kleines Nickerchen machen will, wird die Schiebetür des Abteils betätigt und jemand kommt herein. Shit, ich habe für einen Moment vergessen, dass ein weiterer Fahrgast zusteigen würde. Deshalb sage ich nichts und tue so, als würde ich tief schlafen. Tatsächlich verhält sich die zugestiegene Person extra leise, was mich positiv stimmt. Die Neugierde lässt mich meine Augen einen kleinen Spalt öffnen und ich schaue direkt auf ein Bauchnabelpiercing. Ich schlussfolgere, dass mein Mitfahrer weiblich ist, gerade sein Gepäck verstaut und sich dafür nach oben streckt. Ich mache meine Augen nun ganz auf und sehe auch den Bauch um das Piercing herum in voller Pracht. Ich mag keine Piercings, aber dieses hier ist wirklich schön. So wie die gesamte junge Frau, die nun lächelnd mir gegenüber Platz nimmt.
„Entschuldigung, ich wollte Sie nicht wecken. Tut mir leid“, sagt sie mit honigsüßer Stimme und bindet ihr kastanienbraunes, leicht gewelltes Haar zu einem frechen Zopf am Hinterkopf zusammen. Das dazu erforderliche, gelbe Haargummi nimmt sie vom schmalen Handgelenk ihres linken Armes.
„Man muss immer vorbereitet sein“, zwinkert sie mir zu, "ich bin übrigens Claudette", stellt sie sich vor. Ich nicke wieder nur freundlich und sage nichts. Ihr zitronengelbes, bauchfreies Top strahlt förmlich von ihrer gebräunten Haut zu mir rüber. Der weiße, sehr kurz gehaltene Minirock zeigt ihre ebenfalls makellosen, glatten und goldbraunen Beine, die am unteren Ende in ebenfalls zitronengelben hohen Sandalen stecken. Das obere Ende verschwindet an der wahrscheinlich süßesten Stelle ihres Körpers unter dem weißen Minirock. Ihr Lidschatten ist ebenfalls gelb und bildet einen hübschen Kontrast zu ihren bernsteinfarbenen Augen und dem dunklen Teint. Alles harmoniert miteinander und wirkt überhaupt nicht bunt oder überladen, wie es oft bei Frauen der Fall ist. Ich bin so beeindruckt, ja fast eingeschüchtert von ihrer perfekten Erscheinung, dass ich kein Wort herausbringe.
„Entschuldigen Sie, ich plappere hier und Sie wollen lieber schlafen...“ mutmaßt sie und lächelt mich erneut an. Eigentlich nervt es mich, wenn Menschen meinen, sich ständig entschuldigen zu müssen, aber ihr kann ich deswegen irgendwie nicht böse sein. Es ist, als würde die Sonne aufgehen, wenn sie lächelt und das ist Entschädigung genug für mein unterbrochenes Nickerchen. Aber es ist mir nur recht, dass sie denkt, ich würde lieber schlafen wollen als mit ihr zu reden, so kann ich meine Gedanken ordnen und meine aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle bringen. Deshalb nicke ich ihr einfach nur freundlich zu und schließe meine Augen erneut.
Aber auch diesmal ist mein Nickerchen nur von kurzer Dauer. Denn ich spüre plötzlich zarte Hände auf mir, die mich streicheln. Mein Gesicht wird liebkost, meine Lippen nachgezeichnet und meine Haare sanft durchfahren. Ich bin unschlüssig, was ich nun tun soll, denn es fühlt sich wirklich gut an. Also genieße ich noch einen langen Moment diese liebevolle Behandlung, bevor ich meine Augen öffne. Und da lächelt sie mich wieder an, die Sonne mit den wunderschönen, kastanienbraunen Haaren.
„Tut mir leid, ich konnte einfach nicht widerstehen“, entschuldigt sie sich zum dritten Mal an diesem verrückten Abend.
„Halt endlich die Klappe...“ flüstere ich und ziehe sie an mich heran, um sie zu küssen. Natürlich bleibt es nicht beim wilden Herumknutschen, dieses heiße Zungenspiel erregt uns dermaßen, dass wir uns kaum noch beherrschen können. Gierig ziehen wir uns gegenseitig aus und erkunden lustvoll unsere Körper. Verwöhnen uns bis der befreiende und höchst genussvolle Orgasmus uns wie eine Welle mitreißt. Im Nachtabteil steht die Luft vor Erregung. Ist quasi lustgeschwängert und unsere leisen Stöhngeräusche trägt der Fahrtwind durch das gekippte Fenster nach draußen. Erschöpft lassen wir uns nebeneinander in die Sitze fallen.
„Na, das muss ja ein toller Traum gewesen sein“, vernehme ich eine Stimme aus weiter Ferne. Nur ganz langsam dringt sie zu mir vor. Irritiert öffne ich meine Augen und blicke mich um. Neben mir liegt niemand. Wo ist Claudette? Die freche Schönheit mit den leuchtenden Haaren, sitzt noch immer ganz brav und komplett angezogen mir gegenüber und grinst mich wissend an. Und ich werde sicherlich rot wie eine Tomate, als ich kapiere, dass ich all das nur geträumt habe und offenbar nicht stumm geblieben bin. Wie peinlich!
„Da bin ich fast ein wenig neidisch“, säuselt Claudette. Ich räuspere mich lautstark, hole meine Wasserflasche aus der Reisetasche und nehme erst einmal einen großen Schluck. Das ist so erfrischend wie die Art meiner Mitfahrerin! Aber ich muss sie ohnehin vergessen, ich habe gar keine Wahl. Denn im schönen Paris wartet mein frisch angetrauter Ehemann auf mich und hat keine Ahnung davon, dass ich eine kleine Neigung zum weiblichen Geschlecht habe. Ich wollte es nicht unnötig kompliziert machen, beziehungsweise ihn nicht verunsichern. Statt dessen hat mich das Aufgehen dieser sündigen Sonne in meiner Seele nun selbst total verwirrt. Aber ich liebe meinen Mann und das schon seit einigen Jahren und das soll auch so bleiben. Und ich freue mich tierisch auf unsere gemeinsame Zeit in der Stadt der Liebe.
Und Claudette wird wohl bleiben, was sie ist: Eine unvergesslich süße Begegnung...
Oder?
Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Cover: pixabay
Tag der Veröffentlichung: 05.07.2022
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Mein Beitrag zum Erotikwettbewerb Juni/Juli 22