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Farbwechsel

„Kurt! Komm mal schnell her, das musst du dir ansehen!“ Helmut klang so aufgebracht, dass Kurt fast einen Sprint hinlegte, um von seinem Zimmer in Kurts zu gelangen.

„Was ist denn los?“ presste er deshalb etwas atemlos hervor.

„Alles schwarz da draußen! Sieh dir das an!“ forderte Helmut seinen Zimmergenossen auf und deutete ihm, ans große Bodenfenster zu kommen.

„Zieht etwa ein Unwetter auf?“ fragte Kurt auf dem Weg dorthin.

„Unwetter? Quatsch! Eine schwarze Horde hat unsere schöne Wiese belagert!“ klärte er seinen Kumpel erbost auf. Kurt verstand noch immer nicht und schaute verständnislos runter auf die Rasenfläche. Er konnte nichts entdecken, was Helmuts Ausbruch erklären würde und zuckte nur fragend mit den Schultern.

„Ja, bist du denn blind? Siehst du nicht die schwarze Pest da unten, die unseren schönen Rasen besetzt?“

Jetzt sah auch Kurt die schwarze Familie auf der Wiese. Die Eltern saßen auf einer Decke unter einem großen Baum, der ihnen und dem Picknickkorb Schatten bot und sahen ihren Kindern beim Spielen zu. Die etwa achtjährigen Mädchen spielten Federball miteinander und lachten. Und auch Kurt lachte und zwar Helmut aus.

„Was genau ist hier jetzt das Problem?“ fragte er den Frührentner. Aber wirklich erstaunt war er nicht über dessen Theater. Er kannte ihn ja schon etwas länger und wusste von der rassistischen Ader, die hin und wieder in ihm pochte.

Heute war Sonntag und Kurt und Helmut hatten für den sehr warmen Tag ein Picknick geplant. Sie wollten den Obst-Sonntag auf die Wiese verlagern. Denn einmal in der Woche mussten sie einen Obsttag einlegen. Verschrieben vom Betreiber des Hauses, in dem sie seit eineinhalb Monaten wohnten. Sie waren beide nach einem leichten Infarkt zur Reha hier. Beide privat versichert und gut betucht, leisteten sie sich diese Privatklinik. Hier hatten sie sich kennen gelernt. Sie verstanden sich eigentlich recht gut, nur beim Thema Rassismus tickten sie völlig unterschiedlich.

Es war Sommer und so verbanden sie den Obst-Sonntag gern damit, die Sonne zu genießen und auf der Wiese zu sitzen. Doch eben diese war nun von der dunkelhäutigen Familie besetzt worden, die sie noch nie zuvor dort gesehen hatten. Kurt allerdings hatte kein Problem damit, ahnte aber Schlimmes.

„Und nun?“ fragte er deshalb seinen Leidensgenossen.

„Auf keinen Fall werden wir uns unsere Wiese mit solchen Menschen teilen!“

Kurt traute seinen Ohren kaum. „Solche Menschen? Sind doch nicht anders als wir selbst.“

Nun lachte Helmut aus voller Kehle. „Nicht anders als wir. Der war echt gut, Kurti!“

Nun wurde es Kurt doch zu bunt. „Dann eben nicht, ich für meinen Teil werde jetzt meinen Obsttag beginnen. Ich habe Kohldampf und werde nun in der Salatbar meines Vertrauens eine mittelgroße Portion Obstsalat bestellen.“

„Dann geh doch!“ Helmut war beleidigt wie eine kleine dreijährige Zicke. „Ich bleibe hier und werde mir ein Duell mit meinem Schachcomputer liefern. Bis morgen!“

Damit schlug er die Tür zu seinem Zimmer zu und das hieß für Kurt, dass der heutige Tag gelaufen war.

Als er am Abend Vitamingeboostert zurückkehrte, war Helmuts Zimmertür noch immer geschlossen und als er ein Ohr an die Tür legte, hörte er ihn friedlich schnarchen.

Vielleicht hat er morgen wieder bessere Laune, hoffte er, erledigte seine Abendtoilette und begab sich ebenfalls zu Bett. Es dauerte nicht lange und auch er war eingeschlafen.

Am nächsten Morgen wurde er unsanft aus dem Schlaf gerissen. Ein unmenschlich schriller Schrei drang in Kurts Gehörgang vor und sorgte dafür, dass er aus dem Bett fiel und auf dem harten Laminat landete. Schmerzhaft rieb er sich das Hinterteil. Und erstarrte fast, als er erneut einen gellenden Schrei aus dem Bad vernahm. War das Helmut, der da so kreischte wie eine verrückt gewordene Frau? War heute Freitag, der 13.? Was war bloß los mit seinem Mitbewohner? Stöhnend erhob er sich und wollte gerade zur Tür, als diese aufgerissen wurde und plötzlich ein dunkelhäutiger Mann in seinem Zimmer stand.

„Wer sind Sie und wie sind Sie hier hereingekommen?“ wollte Kurt wissen, „und wieso tragen Sie den knallgelben Pyjama meines Mitbewohners?“

„Du siehst es also auch?“ fragte der Mann hoffnungsvoll und seine Stimme kam Kurt seltsam vertraut vor.

„Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen das Du angeboten zu haben! Deshalb frage ich erneut: Wer sind Sie?“

„Mensch, ich bin es doch: Helmut! Du Dödel!“ rief der dunkelhäutige Mann aufgebracht.

Für einen Moment kam Kurt ins Schwanken, denn es gab nur einen, der ihn Dödel nannte: Helmut. Sein Mitbewohner liebte die Serie „Pastewka“ und hatte diesen Ausdruck von dort übernommen. Dennoch schnappte er sich das Handy vom Nachttisch.

„Ich rufe jetzt die Polizei!“

Blitzschnell war der vermeintlich Fremde bei Kurt und nahm ihm sein Smartphone aus der Hand.

„Kurt, ich bin es wirklich, verdammt noch mal! Ich bin Helmut! Als ich heute Morgen im Bad in den Spiegel geschaut habe, hat mich fast der Schlag getroffen. Ich bin schwarz wie die Nacht!“

Kurt stürmte in Helmuts Zimmer, aber sein Bett war leer. Er suchte auch im Bad und dem kleinen Entspannungsraum nach ihm. Keine Spur von seinem Mitbewohner.

„Wer sagt mir, dass Sie Helmut nicht umgebracht haben heute Nacht und in seinen hässlichen, gelben Pyjama geschlüpft sind?“ fragte Kurt, immer noch skeptisch.

„Na, du bist doch echt ein Dummdödel. Du weißt genau, dass diese Privatklinik hier bewacht wird und es fast unmöglich für Einbrecher ist, hier reinzukommen. Und wo hätte ich meine eigene Leiche denn hinbringen sollen?“

Kurt wusste darauf keine Antwort.

„Und Moment mal, mein Freund. Du findest meinen Lieblingspyjama hässlich?“ fragte der dunkle Mann beleidigt.

„Er ist grottenhässlich. Du siehst damit aus wie ein Kanarienvogel auf Entzug! Obwohl, wenn ich es mir recht überlege...mit deiner neuen Hautfarbe steht er dir irgendwie besser!“

Helmut musste lachen, trotz dieser grotesken Situation. Er lachte aus vollem Halse und Kurt stimmte mit ein. Doch die Heiterkeit währte nicht lange. Denn nur einen kurzen Augenblick später ging er Kurt plötzlich an die Gurgel. 

„Das kann doch nur ein Albtraum sein! Warum bin ich plötzlich schwarz?! Ich bin ein weißer Mann!“

Er war wie von Sinnen und als er seinen Mitbewohner zum Röcheln brachte, sah dieser nur noch eine Möglichkeit: Er verpasste seinem Peiniger einen kräftigen Kinnhaken, um sich endlich aus dessen Würgegriff befreien zu können. Helmut ging zu Boden wie ein nasser Sack. Kein Wunder, denn Kurt hatte früher lange Zeit geboxt. Doch auch er selbst sackte in die Knie und rang hustend nach Luft. 

„Kurt?“ fragte eine Stimme, die wie Helmuts klang, nur viel weinerlicher, „was soll ich denn jetzt machen? Ich kann doch nicht so rausgehen.“

Als Kurt endlich wieder zu Atem kam, drehte er sich langsam zu dem vermeintlich fremden Mann um. „Ist dir eigentlich klar, dass du mich gerade fast umgebracht hättest? Du bist wahnsinnig!“ „Wie würdest du dich denn fühlen, wenn du morgens aufwachst und einen schwarzen Mann im Spiegel siehst?“ rief Helmut hysterisch. So langsam glaubte Kurt selbst daran, dass es sich hier um seinen Mitbewohner handelte, obwohl dies doch anatomisch und überhaupt so gar nicht möglich war. Sein Gehirn wehrte sich vehement dagegen, den fremd aussehenden Mann als Helmut zu akzeptieren. Plötzlich aber bekam er ein schlechtes Gewissen, denn dann wäre er kein Deut besser als sein Leidensgenosse. Der Mann, der in dem Pyjama aussah, wie ein Paradiesvogel war innerlich Helmut, aber äußerlich nicht mehr. Wie konnte so etwas geschehen? Man konnte doch nicht über Nacht schwarz werden! Was passierte hier? Wollte Gott ihm eine Lektion erteilen?

Plötzlich hatte Kurt eine Idee. „Komm, wir müssen hier raus. Lass uns irgendwo einen Kaffee trinken gehen und zusammen überlegen, was wir tun können.“

„Ich kann mich doch so nicht auf die Straße wagen! Was sollen denn die Leute denken?“

„Großer Gott, Helmut! Jetzt komm mal wieder runter auf den Boden der Realität! Du BIST jetzt schwarz! Komm damit klar, mein Freund und hör auf zu jammern!“

Kurt hatte regelrecht die Nase voll vom Gewimmer seines Mitbewohners. Wenn er so weitermachte, würde er es noch schaffen, dass die beiden einen weiteren Infarkt bekämen.

„Was willst du sonst tun? Dein Gesicht und deine Hände weiß anmalen?“

„Na gut“, gab Helmut endlich klein bei, „aber auf deine Verantwortung! Wehe, mich sieht jemand, den wir kennen!“

Er schlüpfte in seinen Sonntagsanzug und zog sich seine Schirmmütze tief ins Gesicht. Als Kurt ebenfalls startbereit war, verließen sie die Privatklinik und steuerten auf ihr Stammcafé zu. Helmut starrte die ganze Zeit auf den Boden, damit niemand seine neue Hautfarbe sehen konnte. Im Café angelangt, suchten sie einen Tisch in der hintersten Ecke auf. Antonia, die freche, aber sehr nette Bedienung, ließ nicht lange auf sich warten. Mit Stift und Block bewaffnet, setzte sie sich zu ihnen an den Tisch.

„Hey, Kurt, mein alter Lieblingszausel, heute gar nicht mit Helmut, unserem Teilzeitrassisten hier?“

Er grinste breit. „Doch, in gewisser Weise schon.“

Helmut gab ihm unter dem Tisch einen Tritt gegen das Schienbein, was ihm einen bösen Blick von Kurt einbrachte. Die hübsche Kellnerin blickte ihn verständnislos an:

„Wie auch immer. Was wollt ihr beide denn trinken?“ Und an Kurt gewandt: „Du, wie immer eine Wiener Melange?“

Er nickte zustimmend, darauf freute er sich jeden Mittwoch und jeden Sonntag, wenn sie in dem Café einkehrten und mit der hübschen Antonia flirteten. Kurt ein wenig mehr, er mochte sie sehr gern. Leider war sie viel zu jung für ihn und daher beließ er es beim Flirt. Zum Leidwesen von Helmut steckten einige der Gäste im Lokal bereits die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln. Mittlerweile hatten sie wohl bemerkt, dass seine Hautfarbe dunkler war als ihre eigene. Ansonsten sah er aus wie Helmut, die blauen Augen und die grauen Haare waren geblieben. Lediglich seine Haut war so schwarz geworden wie seine Seele. 

"Seit wann dürfen denn Afrikaner in diesem Etablissment verkehren?" fragte eine ältere Dame, die mit teuren Klunkern behangen war.

"Ich bin kein Afrikaner, verdammt noch mal! Ich bin Deutscher!" setzte sich Helmut zur Wehr.

Die alte Frau lachte zynisch und ihre ebenfalls weibliche Begleitung stimmte mit ein.

"Ja sicher Junge. Und die Erde ist eine Scheibe!"

„Lady, ich dulde hier keinen Rassismus“, mischte sich Antonia ein, „hier darf jeder rein, der sich zu benehmen weiß. Und das gilt ebenso für Sie.“

Die alte Dame schnaubte verächtlich und bedachte den dunkelhäutigen Helmut mit einem bitterbösen Blick. Der war verdächtig still geworden. „Wie heißt du eigentlich?“ fragte Antonia ihn und was er denn trinken wolle.

„Ich bin es doch, Helmut. Der Teilzeitrassist!“ sagte er sarkastisch.

„Ja sicher!“ lachte die freche Bedienung, „deinen Namen muss ich auch nicht wissen, aber deine Bestellung schon.“

Helmut seufzte unsäglich tief und gab sich vorerst geschlagen. „Ich nehme, wie immer, einen Chai Latte light nach dem Zuckerarmen Rezept des Hauses.“

Nachdenklich ließ Antonia den Stift sinken und schaute Helmut lange an.

„Wer sind Sie und was haben Sie mit Helmut angestellt?“

„Genau das gleiche habe ich ihn heute Morgen auch schon gefragt, aber er behauptet felsenfest, der neue, schwarze Helmut zu sein“, brachte Kurt ein. Antonia lachte auf.

„Wer bitte soll euch beiden das glauben?“ fragte sie, „andererseits wäre das schon irgendwie geil, dass ausgerechnet unser Kleinstadtrassist plötzlich selbst zum Sonderling wird.“

„Wie nennt man das noch gleich? Ach ja: Karma!“ stellte Kurt lachend fest. Helmut dagegen war so gar nicht zum Lachen zumute. Er konnte die abwertenden Blicke der beiden alten Damen förmlich spüren. Aber er spürte noch etwas: Wut. Unbändige Wut! Und bevor noch ein Unglück passieren könnte, dass die beiden Alten nicht überleben würden, stürmte er lieber nach draußen. Dort atmete Helmut tief ein und wieder aus, ganz so, wie er es in den Therapiestunden gelernt hatte. Den Stress weg atmen. Das funktionierte leider nicht immer. So auch in diesem Fall. Daher stürmte Helmut wieder ins Café und baute sich vor den beiden alten Frauen auf: „Ich bin Helmut Kuntze und eigentlich weiß. Zudem bin ich hier geboren und somit ein reiner Arier.“

Die Schmuck behangene, kauzige Alte verfiel in schallendes Gelächter. Leider führte dies dazu, dass sie sich an dem Stück Kuchen verschluckte, das sie gerade in ihren gierigen, vorlauten Mund geführt hatte. Sie fing an zu husten und zu röcheln.

„So tun Sie doch was!“ schrie ihre weibliche Begleitung hysterisch, „sonst haben Sie sie auf dem Gewissen!“ Antonia war blitzschnell zur Stelle, zog die Frau in die senkrechte Stellung hoch und umarmte sie von hinten. Helmut stand unter Schock und Kurt zückte sein Smartphone, um den Notruf zu wählen. Antonia befreite die Alte durch den Heimlich – Griff aus ihrer lebensbedrohlichen Situation. Die Rettungskräfte, die kurz danach vor Ort waren, untersuchten die Frau. Aber da es ihr soweit gut ging und alles in Ordnung war, konnte sie im Café bei ihrer Freundin bleiben.

„Sie haben der Dame vermutlich das Leben gerettet“, richtete einer der beiden Medizinmänner das Wort an Antonia, „vielen Dank für Ihr beherztes Eingreifen.“

Die hübsche Bedienung errötete leicht.

'Bei mir ist sie noch nie rot geworden', dachte Kurt unwillkürlich.

„Das ist wirklich ein schönes Café“, stellte der Rettungssanitäter lächelnd fest, während sein Kollege sich an der Theke einen Kaffee zum Mitnehmen bestellte. Niemand hätte wohl damit gerechnet, dass die alte Dame nach ihrer Nahtoderfahrung noch einen oben drauf setzen würde, doch genau das tat sie!

„Afrikaner haben hier keinen Zutritt, auch wenn sie Rettungskräfte sind. Sie sind ja nicht mal richtiger Arzt!" schnaubte sie verächtlich, "das wird ja immer schöner in Deutschland!“

Jetzt platzte Antonia endgültig der Kragen und aus der verlegenen Röte im Gesicht von eben wurde eine Wutfarbe.

„Sie verlassen jetzt sofort dieses Lokal! Hier haben nämlich nur Damen Zutritt und Sie haben mir erneut bewiesen, dass Sie keine sind. Raus mit Ihnen!“

„Das ist jawohl eine Unverschämtheit!“ mischte sich die andere ältere Frau nun ein, „wir werden damit an die Presse gehen, darauf können Sie sich verlassen, sie unverschämtes Früchtchen!“

„Genau!“ pflichtete ihr die Schmuckfrau bei, „und dann flirtet dieses Luder auch noch völlig ungeniert mit einem Farbigen vor unseren Augen. Unglaublich!“

Kurt und Helmut nahmen sich jeder eine der Damen zur Brust und schoben sie mit sanfter Gewalt durch die Tür nach draußen. „Auf Wiedersehen und zwar auf Nimmer!“

Antonia und der afrikanische Rettungssanitäter waren mittlerweile beim nächsten Schritt angelangt: Sie tauschten Telefonnummern aus. Die junge Frau war ungewohnt still und schüchtern geworden. Kurt war sofort klar, dass dies bedeutete, dass sie Interesse an dem gut aussehenden Mann hatte. Helmut beobachtete die Szene eher argwöhnisch. In seiner Brust schlug noch immer das Herz eines weißen Mannes mit seltsamen Ansichten aus grauer Vorzeit. 

Die beiden Frührentner wussten, wann es Zeit war, die Segel zu streichen. Also verabschiedeten sie sich von Antonia und traten den Rückweg zur Klinik an. Helmut spürte jeden Blick auf sich und zog sich erneut seine Schirmmütze tief ins Gesicht.

„Ich habe plötzlich Lust auf Schokoladeneis!“ Eine Horde Teenies umringte die beiden Männer und schüttete sich aus vor Lachen. Kurt war für sie uninteressant. Helmut war das Objekt ihrer Begierde. Er war schwarz und sie alle weiß.

Die Halbstarken schubsten ihn herum wie einen Ball. Sie machten sich über ihn lustig, weil er zwar dunkelhäutig war, aber nicht wie ein Afrikaner aussah. Er war eben Helmut, nur schwarz.

„Hört auf! Lasst mich in Ruhe! Bitte hört endlich auf!“ schrie er und suchte nach seinem Freund Kurt, der ihn vielleicht aus dieser Misere retten konnte. Aber er war nirgends zu sehen.

„Kurt, Kurt! So hilf mir doch bitte, Kurt!“

„Was ist denn los, Helmut?“ fragte der Gerufene besorgt, „geht es dir nicht gut?“

Helmut war wie in Trance und rief immer wieder seinen Namen. Kurt wusste sich nicht anders zu helfen und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Das schien zu wirken, denn Helmut riss die Augen auf und starrte seinen Mitbewohner an: „Wo sind sie hin? Wo sind diese halbstarken Monster? Sind sie weg?“ Schützend hielt er sich die Arme vors Gesicht.

„Kann es sein, dass du einen heftigen Albtraum hattest, Helmut?“ fragte Kurt und legte ihm beruhigend eine Hand auf seine Schulter. Daraufhin nahm er ganz langsam seine Hände runter, schlug die Augen auf und sah sich um.

„Wie spät ist es?“

„Es ist sieben Uhr am Morgen. Warum fragst du?“

„Sieben Uhr morgens? Und ich bin wirklich in meinem Zimmer in der Klinik?“ fragte Helmut ungläubig.

„Ja, natürlich sind wir in der Klinik. Und du liegst mit deinem grottenhäßlichen, quietschgelben Pyjama in deinem Bett. Was ist denn los mit dir?“

"Und ich bin nicht schwarz? Ich bin wirklich nicht schwarz? Oder bin ich immer noch schwarz, Kurt?"

"Was zum Teufel...?"

Helmut sprang aus dem Bett und stürmte ins Bad. Der Spiegel beantwortete seine Frage. Der Frührentner atmete erleichtert auf. Er war wieder weiß. Weiß wie die Wand. Nach dieser Horrornacht war es nicht verwunderlich, dass er ungesund blass aussah. Ihm wurde klar, dass er den schlimmsten Albtraum seines Lebens gehabt und dieser sich so real angefühlt hatte, wie nie zuvor.

Und noch etwas wurde ihm klar: Er musste seine Einstellung gegenüber anderen Menschen nicht nur überdenken, sondern grundlegend ändern. Sonst würde er den schwarzen Dämon in seiner Seele niemals wieder loswerden. 

 

 

Impressum

Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 19.06.2022

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mein Beitrag zum Wortspiel. Runde 163

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