Lautlos schien sie über den weichen Sand des Strands zu schweben.
Viel zu lange musste sie das Meer und die Sonne entbehren.
Viel zu lange hatte sie ihre einstige Heimat, die wunderschöne Insel Elba, nicht mehr gesehen.
Viel zu lange nicht mehr gerochen.
Viel zu lange nicht mehr geschmeckt.
Viel zu lange nicht mehr den lauen Sommerwind und die Sonne gespürt.
Aber jetzt war sie endlich wieder hier, an ihrem Lieblingsstrand.
Bei ihren Lieblingsmenschen.
Und bei ihm.
Anselmo.
Wie viele Jahre hatten sie sich nicht gesehen?
Zu viele.
Sie war gegangen, um in einem großen, innovativen Unternehmen eine Stelle anzunehmen und hatte Karriere gemacht.
Und Anselmo?
Er war ein Träumer, wollte ein berühmter Maler werden.
Ob er es inzwischen geschafft hatte? Sie wünschte es ihm von Herzen.
Ella war sein Lieblingsmotiv gewesen. Vom ersten Tag ihrer Begegnung an.
Er malte sie immer und immer wieder, in allen erdenklichen Posen.
Am Strand.
Nackt am Strand.
Im Bikini beim Sonnen.
Beim Schlafen.
Beim Baden.
Beim Essen.
Er liebte es, ihr dabei zuzuschauen. Er fand es ungeheuer erotisch, wie sie bestimmte Dinge aß.
Sogar beim Putzen, beim Spülen, beim Fegen ihrer kleinen, gemeinsamen Hütte.
Sein Pinsel war immer in Einsatz, außer er schlief und das kam nicht oft vor.
Es schien, als hätte Anselmo stets Angst, eine Gelegenheit verpassen zu können.
Einen Moment verpassen zu können, den er unbedingt farblich verewigen wollte.
Es war wie eine Sucht und Ella wurde es irgendwann einfach zu viel.
Da erschien ihr das Angebot aus Deutschland plötzlich gar nicht mehr so abwegig.
Es wirkte plötzlich auf Ella wie ein Sprungbrett aus dieser Beziehung, dieser sehr intensiven und engen Verbindung.
Sie liebte ihren Maler, ohne Zweifel liebte sie ihn sehr.
Sie liebte den außergewöhnlichen Sex mit ihm.
Ihre kleinen Spielereien und vor allem die ausgefallenen Rollenspiele.
Sie liebte die Abwechslung und insbesondere die Leidenschaft, die sie in ihr auslöste.
Es gab Nächte, da war sie schier unersättlich vor Erregung und Anselmo hatte alle Mühe, sie zu befriedigen.
Ella hatte nie zuvor eine solche Anziehung erlebt und schon gar nicht war sie jemals einem Mann wie Anselmo begegnet.
Doch es machte ihr auch gehörig Angst, dass er sie immerzu malen wollte und derart auf sie fixiert war.
Ja, manchmal hatte sie sich sogar gewünscht, er würde Interesse an einer anderen Frau entdecken.
Und dann kam Lucia. Mit einem Knall platzte sie in ihr beider Leben:
Groß, schlank, sportlich und dennoch weiblich. Langes, schwarzes Haar reichte ihr bis zu ihrem herrlich knackigen Po und schaukelte, wenn sie lief. Alles an ihr schien magisch zu sein.
Lucia war heiß wie Glut und verlockend wie eine verbotene Frucht.
Beide waren gleichermaßen fasziniert von ihrer Schönheit und Anmut.
Dennoch schlich sich Eifersucht bei Ella ein, als Anselmo begann, Lucia zu malen und ihr die Aufmerksamkeit schenkte, die sonst ihr allein zuteilwurde.
Es kam wie es kommen musste und Ella erwischte die beiden nur ein paar Tage später beim Liebestango in der Dämmerung am Strand. Es schmerzte viel mehr, als Ella gedacht hätte.
Und so wurde bald aus dem „zu viel“ ein schmerzendes „zu wenig“ von Anselmo.
Denn Ella zog sich mehr und mehr zurück, wollte sich nicht mehr von Anselmo malen lassen und zog schlussendlich sogar aus der gemeinsamen Hütte aus. Sie wohnte dann erstmal bei ihrem Onkel und ihrer Tante, die nur zwei ihrer vielen Lieblingsmenschen waren.
Nach diesen intensiven Jahren miteinander tanzte er nun offenbar mit Lucia und die Bilder von ihr wuchsen zu Stapeln an und verdrängten die von Ella. Und obwohl sie fand, dass Anselmo sein Feuer verloren hatte und nicht die Leidenschaft ausstrahlte wie bei ihr damals, konnte und wollte sie das nicht länger ertragen. Und obwohl sie nicht wusste, ob er Lucia nur malte oder auch tatsächlich den Tango der Liebe mit ihr tanzte, trennte sie sich schweren Herzens ganz und gar von ihrem Maler.
Kurz danach nahm sie das Angebot der deutschen Firma an, denn glücklicherweise hatte sie etwas Bedenkzeit bekommen. Somit war es noch nicht zu spät für einen Neubeginn in Deutschland.
Schweren Herzens verabschiedete sie sich von ihren Lieblingsmenschen und ihrer Wahlheimat Elba.
Anselmo hinterließ sie einen kurzen Brief, sie wollte nicht wortlos ein neues Leben ohne ihn anfangen.
Und jetzt war sie wieder hier, zurück in der Vergangenheit.
Seit Jahren hatte sie keinen Urlaub gemacht und nur gearbeitet.
Sie war müde und kaputt und die Sehnsucht nach Elba wuchs mit der Zeit ins Unermessliche.
Hatte sie auch Sehnsucht nach Anselmo?
„Ella? Bist du es wirklich?"
Wie vom Donner gerührt zuckte sie zusammen und fuhr herum.
Anselmo schaute sie zärtlich und mit einem erfreuten Glitzern in den dunkelbraunen Augen an.
Liebevoll strich er ihr diese ewig widerspenstige Strähne ihrer roten Mähne hinter das rechte Ohr.
Unwillkürlich erschauerte sie bei seiner Berührung und gegen ihren Willen gefiel ihr das.
Eine Woge der Leidenschaft erfasste sie in dem Moment, in dem auch eine Welle des Meeres den Strand spülte und ihre Füße umspielte. Eine sehr intensive Gänsehaut überrieselte sie.
Seine Nähe löste einen inneren Sturm in ihr aus.
Es hatte sich nichts geändert.
„Was machst du hier?“ fragte sie tonlos.
Anselmo lächelte.
„Ich weiß nicht, irgendetwas in mir sagte, dass ich zum Strand gehen soll. Ich weiß, es klingt verrückt...“
„Absolut nicht“, entgegnete Ella zärtlich und lächelte.
Sie wollte ihn. Nach all den Jahren wollte sie ihn immer noch so sehr...
Er kam ganz nah, wollte sie küssen und Ella war mehr als bereit dazu.
Langsam näherte sie sich seinen lüsternen Lippen...
Doch dann ging ihr Blick an ihm vorbei und es traf sie fast der Schlag:
Etwas abseits stand Lucia im Sand und hatte ein kleines Mädchen auf dem Arm, das genau die gleiche Schönheit und Anmut ausstrahlte wie ihre Mutter.
Ella erstarrte zur Salzsäule.
Anselmo war also mittlerweile mit ihr verheiratet und inzwischen sogar Vater geworden.
Sie wurde blass, Übelkeit stieg in ihr hoch und dann wurde es schwarz um sie.
Als sie kurz später erwachte, sah sie in ein sonnengebräuntes Gesicht mit kleinen Fältchen und dunklen Augen. Schwarze Locken umrahmten es.
"Da ist sie ja wieder!" kam es erleichtert aus dem Mund des freundlichen Gesichts über ihr.
Ein Mann mittleren Alters, sehr attraktiv.
Ella setzte sich auf. Anselmo hatte den Arm um sie gelegt und reichte ihr etwas Wasser.
Er sah so glücklich aus. Und unglaublich erleichtert.
Aber warum?
Spielte er mit ihr? Offenbar war er doch längst fest liiert und hatte sogar ein Kind.
Erst jetzt sah sie, dass der attraktive Mann mit den Locken den Arm um Lucia gelegt hatte.
Nun trug er das kleine Mädchen auf dem Arm und strahlte glücklich.
"Pierre ist Arzt und seit zwei Jahren mit Lucia verheiratet. Er hat dich im Nu wieder wach bekommen mit seinem Zauberduft-Fläschchen, das er immer in Reichweite hat."
Er machte eine Pause und sah Ella zerknirscht an.
"Wir hatten damals nur diese eine Begegnung am Strand, das musst du mir glauben."
Das tat richtig körperlich weh. Ella seufzte tief.
"Ja, ich bin einmal schwach geworden bei Lucia, aber ich konnte dich nicht vergessen. Das könnte ich wahrscheinlich niemals. Du bist wie in meinem Herzen verankert. Und ich habe mir eines geschworen für den Fall, dass wir uns nochmal wiedersehen."
Ella war erleichtert, dass er doch noch frei für sie war. Mehr als erleichtert.
Und sie selbst war auch nicht perfekt. Sie nahm sich vor, ihm den Fehltritt zu verzeihen.
Sie selbst war damals ja ebenfalls von Lucias Schönheit gefangen.
Aber jetzt war sie nur noch neugierig auf das, worauf Anselmo hinauswollte.
Er stand auf. "Warte bitte kurz hier", bat er sie zärtlich und Ella konnte nur still nicken.
Kurz später kam er mit einem Bild zurück, das in eine Decke gehüllt war.
Behutsam legte er es vor ihr in den Sand.
"Bitte pack es aus", sagte er mit einem Blick, der voller aufrichtiger Liebe und Zuneigung war.
Mit zittrigen Händen schälte sie es aus der samtigen Decke und enthüllte das schönste Bild, das sie je gesehen hatte:
Es zeigte Anselmo und Ella in ihrer gemeinsamen Hütte. Sie hatte er in seinem Lieblingskleid gemalt: Ein weisses, sehr durchsichtiges Sommerkleid mit dünnen Trägern. Er kniete nackt vor ihr auf dem Steinboden, trug einen wunderschönen Ring in seiner Hand und machte ihr einen Antrag.
Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2020
Alle Rechte vorbehalten