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Versuchung am See

„Du weißt genau, wie langweilig das immer für mich ist!“ protestierte ich lautstark und mein Freund zog wie gewohnt eine beleidigte Schnute. Ein Sonntag im Monat war immer für seine Angelrute reserviert. In inniger Zweisamkeit saß er dann mit Angelina am See, hielt sie für Stunden in seinen Händen und behandelte sie fast zärtlicher als mich.

Direkt, nachdem er sie damals gekauft hatte, gab er ihr einen Namen und vollzog eine richtige Tauffeier. Und seitdem hörte sein Angelwerkzeug auf den klangvollen Namen 'Angelina'. Wahlweise nannte er sie auch Engelchen, wenn er sehr zufrieden mit ihrer Arbeit war. Manchmal ertappte ich mich dabei, dass sich so etwas wie Eifersucht in meinen Körper schlich, wenn ich ihn beim Angeln beobachtete. Und jedes mal fragte ich mich, warum er mich eigentlich immer dabei haben wollte, wenn er mich doch fast die ganze Zeit ignorierte.

Oder war ich vielleicht einfach ungerecht, weil unsere Beziehung nicht mehr so von Leidenschaft geprägt war wie früher? Man sollte seinem Partner sein Hobby lassen, alles andere wäre unfair und egoistisch. Jedoch fiel es mir mit der Zeit immer schwerer, eine magische Angelina neben mir zu dulden. Sie entwickelte sich zu einer gefährlichen Nebenbuhlerin. Aber eines hatte ich ihr voraus: Ich besaß eine schöne Figur und war zudem aus Fleisch und Blut. Und das würde ich nun gekonnt einsetzen, beschloss ich an einem Samstagnachmittag und fuhr geradewegs in die Stadt um einzukaufen. Mein Ziel war ein Geschäft für Bademoden. Ein richtig toller Bikini würde meinen Kerl schon auf andere Gedanken bringen und von Angelina ablenken, hoffte ich.

Warum war ich nicht schon viel früher auf diese Idee gekommen? Gut, dafür war es vor einigen Wochen noch zu kalt, aber wir hatten Ende Mai und es waren weit über 20 Grad. Da konnte ich ein wenig Bräune gut vertragen. Ich entschied mich für einen äußerst knappen, dafür aber teuren, schwarzen Bikini, den ich eigentlich letztendlich nur erwarb, weil die Verkäuferin so begeistert war.

Und dieses kleine, erotische Stück Stoff zierte längst meinen Körper, ich trugt den Bikini unter meinem Sommerkleid. In meiner Tasche waren Sonnenmilch und ein Strandtuch. Mein Plan sollte an diesem sonnigen Sonntag umgesetzt werden, heute war Stichtag. Also gab ich nach, schnappte mir meine Tasche und flötete so beiläufig wie möglich: „Okay, Schatz, dann werde ich in der Zeit ein wenig Sonne tanken. Heute ist der perfekte Tag dafür.“

Sven grinste über beide Ohren, weil ich nachgegeben hatte und ungefähr eine Dreiviertelstunde später waren wir an seinem Lieblingsangelort angekommen. Einem wunderschönen See, dessen wunderschöne Aussicht ich leider immer alleine genießen musste. Heute, so hoffte ich, würde mein Freund zur Abwechslung mal die Aussicht genießen, die ich ihm bieten wollte. Erst als er fertig auf seinem Stuhl saß und Angelina zärtlich in der Hand hielt, breitete ich das Strandtuch auf dem Steg aus, entledigte mich meines Kleides und strahlte mit der Sonne um die Wette.

Doch Sven sah mich überhaupt nicht an, er würdigte mich tatsächlich keines Blickes. Ich stand nur mit einem schwarzen Nichts bekleidet vor ihm und dennoch klebten seinen Augen am See fest. Er war ein Naturbursche durch und durch, aber so lange waren wir ja nun noch nicht zusammen, dass ich meine Wirkung auf ihn schon verloren haben könnte. Gut, der Sex wurde in den letzten Monaten immer weniger und ich fühlte mich zunehmend unattraktiver. Aber ich wollte nicht einfach aufgeben, ich liebte diesen Mann.

Normalerweise waren wir immer ganz allein und ungestört an diesem Seestück. Nun, letzteres war ja eigentlich egal, da es ja leider nie zu unanständigen Handlungen zwischen Sven und mir kam. Er kümmerte sich nun mal in der Zeit ausschließlich um Angelina.

Denn ich konnte keine Fische fangen. Und selbst mein Köder, das schwarze Nichts, konnte Sven nicht ablenken. Resigniert nahm ich etwas von ihm entfernt Platz auf meinem Strandtuch und fischte den Roman aus meiner Tasche, den ich in weiser Voraussicht eingepackt hatte.

„Das gibt aber einen hübschen Sonnenbrand, wenn Sie nicht aufpassen!“ warnte plötzlich eine mir fremde Stimme und holte mich aus dem Geschehen meines Buches. Ich sah auf und erblickte einen gut aussehenden, jungen Mann mit einem dunklen Lockenkopf, der mich frech angrinste.

Ich schielte zu meinem Freund rüber, aber der hatte die Augen geschlossen, während Angelina in seiner rechten Hand ruhte. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Juckte den denn gar nichts mehr? Selbst dann nicht, wenn jemand ganz offensichtlich mit mir flirtete?

Na gut, dachte ich, dann werde ich dich ab jetzt ebenso ignorieren, wie du mich, lieber Sven.

„Sie haben recht, sehr aufmerksam von Ihnen. Ich habe meine Sonnencreme zwar dabei, aber völlig vergessen, sie aufzutragen“, lachte ich verlegen und kramte nach der Flasche.

„Wenn Sie mögen, dürfen Sie mich gerne Tobias nennen“, feixte er und reichte mir eine Hand. Wieder sah ich zu Sven hinüber, aber er war völlig versunken in seinem Tun.

Zu allem entschlossen ergriff ich die Hand des Fremden und lächelte ihn an.

„Angenehm, ich heiße Miranda, aber meine Freunde nennen mich nur 'Mira'.“

„Hallo Mira, schön, dich kennenzulernen.“ Sein Lachen war wirklich umwerfend und zeigte sehr schöne, weiße Zähne. Damit war das Eis gebrochen und wir konnten uns nun duzen.

Er schaute nun ebenfalls zu Sven.

„Kennst du den Typen oder warum siehst du immer zu ihm rüber?“

 

Oh je, was jetzt? Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass mein Freund mich komplett ignorierte und ich den Konkurrenzkampf gegen eine Angelrute verloren hatte. Das war mir defintiv zu peinlich!

Entsetzt über meine eigene Kaltblütigkeit hörte ich mich: „Ach der...das ist nur ein Freund, den ich bei seinem Lieblingshobby begleiten und dabei ein wenig Sonne tanken wollte“, sagen.

„Na dann wird er ja nichts dagegen haben, dass ich dir den Rücken eincreme, oder?“ ging Tobias direkt zum Angriff über.

Das klang herrlich verlockend, aber das schlechtes Gewissen machte sich trotzdem in mir breit, als ich ihm lächelnd die Sonnenmilch in die Hand drückte. Ich hielt den Atem an, während er die schützende Milch auf meinen Rücken tropfen ließ. Die Berührung seiner warmen Hände aber schlug ein wie ein Blitz. Und dieser traf auch mich unwillkürlich, weil ich derart heftig auf einen Fremden reagierte. War ich denn so ausgehungert oder gar verzweifelt?

Ich dachte nicht länger darüber nach und schloss meine Augen. Genoss jede Sekunde dieser unerwarteten Zuwendung. Viel zu lange war ich nicht mehr zärtlich berührt oder begehrt worden. Das zeigte sich jetzt in voller Härte. Der Fremde aber war ein vollendeter Gentleman, er rieb ganz brav nur meinen Rücken ein. Zu diesem Zwecke öffnete er mein Bikini-Oberteil und mir lief ein Schauer über selbigen. Seine Hand wanderte verdächtig weit nach unten und ich hielt erneut den Atem an. Doch er blieb weiterhin brav und als er nach vollendeter Arbeit mein Oberteil wieder schloss, entwich mir unabsichtlich ein enttäuschter Seufzer. Tobias beugte sich über mich und kam ganz nah an mein Ohr.

„Wenn du eine Fortsetzung willst, dann komm morgen Abend wieder hierher, aber alleine“, flüsterte er verheißungsvoll. Ich erschauderte und eine Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper. Die Aussicht auf mehr mit dem attraktiven Lockenkopf verwirrte mich ordentlich. Meine Gedanken fuhren Achterbahn und meine Erregung kämpfte mit meinem schlechten Gewissen, das sich schon wieder einschlich. Trotzdem war dies ein verlockendes Angebot, sogar sehr sehr sehr verlockend. Aber ich war nun mal leider kein Single. Leider? Hatte ich wirklich leider gedacht? Bedauerte ich diesen Umstand wahrhaftig? Das stimmte mich irgendwie traurig und ich entschied mich schweren Herzens für einen Korb an Tobias. Denn ich liebte Sven ja und wollte uns noch nicht aufgeben.

Gerade, als ich antworten wollte, drang eine wütende Stimme in meinen Gehörgang. Alarmiert schreckte ich hoch und sah erst Tobias, der sich fluchend den Kiefer rieb und dann einen wütenden Sven, dessen Gesicht rot wie ein Krebs war. Erschreckt schlug ich mir die Hand vor den Mund und eilte zu Sven, um ihn zurückzuhalten. Gott sei Dank war das gar nicht mehr nötig, denn Tobias gab sich geschlagen und entfernte sich schimpfend. Was hatte ich da nur angestellt? Ich war so dumm gewesen! Schuldbewusst erwartete ich ein Donnerwetter sondergleichen. Doch stattdessen nahm mein Freund mich einfach nur in den Arm und drückte mich liebevoll an sich. Jetzt verstand ich gar nichts mehr. War es ihm jetzt egal oder nicht, dass ich im Begriff war, eine Dummheit zu begehen?

„Ich war so ein Idiot, Mira!“ sagte er völlig überraschend, „als ich sah, dass der Kerl seine Finger an dir hatte, ist mir wohl eine Sicherung durchgebrannt."

Sanft lächelte er mich an: "Aber dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen!"

„Was meinst du damit?“ fragte ich nervös.

Sven druckste herum und fuhr sich durch sein blondes Haar. „Ich dachte eigentlich, dass ich dich nicht mehr liebe oder du mich...ach ich weiß auch nicht, vielleicht habe ich dich auch in letzter Zeit als selbstverständlich angesehen und dabei irgendwie deine Bedürfnisse vergessen...“

Zerknirscht sah er mich an. Ich war fassungslos. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet!

"Aber ich war so dermaßen eifersüchtig auf diesen Heini, als er dir den Rücken eingecremt hat, dass mir in dem Moment klar wurde, dass ich dich immer noch liebe wie am ersten Tag!"

Mir fiel ein Stein vom Herzen, so laut, dass ich dachte, Seven könnte es hören. 

 Erleichtert und glücklich schlang ich meine Arme um ihn. Leidenschaftlich wie schon lange nicht mehr küssten wir uns. Aber nicht nur das, zum ersten mal liebten wir uns an diesem wunderschönen Fleckchen Erde. So innig, so wild und hemmungslos wie nie zuvor!

 

Angelina hatte also doch nicht gewonnen, aber ich nahm mir fest vor, sie ab jetzt nicht mehr als Konkurrenz zu betrachten, sondern als das, was sie war: Das Hobby meines Freundes, der seine Angelrute danach in den Schuppen brachte um seine restliche Zeit mit mir zu verbringen.

 

Impressum

Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Cover: Freundliche Überlassung von Roland Tilg, einem leidenschaftlichen Angler
Tag der Veröffentlichung: 07.06.2020

Alle Rechte vorbehalten

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