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Erik's Wunsch

Der siebenjährige Erik leidet seit dem fünften Lebensjahr an einer tödlichen Krankheit und verbringt die meiste Zeit im städtischen Krankenhaus. Ursprünglich lebt er in einem Kinderheim, da er keinerlei Familie mehr hat. Weil sich sein Zustand in den letzten Wochen erheblich verschlimmert hat, ist er nun in einem Kinderhospiz, das zum Krankenhaus gehört und dort direkt angrenzt.
Erik wird nicht wieder ins Heim zurück kehren...
Seine Mentorin Angie, die zu seiner engsten Vertrauten geworden ist und die er sehr gern hat, sitzt fast jeden Abend an seinem Bett und hält seine kühle Hand. Erik ist sehr blass und schwach.

Dennoch hat er einen letzten Wunsch. Seitdem er einen Film gesehen hat, in dem eine verrückte Kissenschlacht veranstaltet wurde, träumt auch er davon. Einmal möchte er mit seinen Freunden aus dem Heim und den Menschen, die ihm wichtig sind, die weichen Vierecke durch die Lüfte schicken.
Eriks blaue Augen strahlen, während er Angie davon erzählt. Seine piepsige, kraftlose Stimme geht ihr direkt ins Herz und sie beschließt, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Dieses Ereignis soll etwas ganz Großes für den kleinen Jungen werden, der so tapfer gekämpft hat. Leider ist die Krankheit stärker als er und ihm bleiben nur noch wenige Tage. Die Ärzte haben alles versucht, leider vergebens. Höchstens eine Woche würde er noch durchhalten können, sagen sie.

Verstohlen wischt sich Angie ihre Traurigkeit von den Wangen, beugt sich über Erik und küsst ihn sanft auf die Stirn.

Leise geht sie aus dem Zimmer.

Am nächsten Morgen wendet sie sich an die Medien der Kleinstadt. Die Nachricht von Eriks Wunsch soll möglichst viele Familien erreichen. So viele Kinder wie möglich sollen sich an der Kissenschlacht beteiligen. Da sie von dieser Idee sehr gerührt sind, startet der Sender einen Aufruf an alle Kinder in Eriks Alter und Umgebung.


Wer sich angesprochen fühlt, ist am kommenden Sonntagnachmittag zu einer großen Kissenschlacht eingeladen. Und soll sich mit flauschigen und bunten Vierecken im Gepäck im großen Saal des städtischen Krankenhauses einfinden.

 

Angie hat vom Krankenhaus freie Hand bekommen, was die Gestaltung des großen Saales betrifft und schmückt ihn daher mit kleinen, großen und bunten Kissen. Sie hat fleißige Helfer und Helferinnen, die begeistert die Vorgaben von Eriks Mentorin umsetzen. Einige Stunden später ist der sterile Saal zu einer heimeligen Kissenlandschaft und einer Insel zum wohlfühlen umgestaltet. Beim Anblick der lebendigen Farben, die nun die Decke und den Boden dekorieren, schießen Angie erneut Tränen in die Augen. Sie hat den Jungen in der Zeit, in der sie nun im Heim arbeitet, sehr liebgewonnen. Doch jetzt muss sie sich zusammenreißen, um ihrem Schützling den schönsten Tag seines Lebens zu bereiten. Auch Getränke und Süßigkeiten hat sie besorgt und auf einem langen Board an einer der Wände platziert. Hier können die Kinder dann nach Herzenslust zugreifen und an Eriks Lieblingsweingummi hat sie ebenfalls gedacht. Jetzt noch ein wenig Musik zur Untermalung und alles ist bereit für Eriks letztem Wunsch.

Bald trudeln auch schon die ersten Mädchen und Jungen ein.
Bewaffnet mit schönen Kissen machen sie es sich auf dem Boden gemütlich. Wenig später steht Erik in seinem Bett vor der Tür und wartet auf Einlass. Langsam öffnet Angie den großen Saal. Vor lauter Aufregung klopft sein kleines Herzchen ihm bis zum Hals. Er hält die Luft an, während er samt Bett ganz langsam in den großen Saal geschoben wird. Er ist unendlich blass, aber seine Augen strahlen und er richtet sich auf. Mit offenem Mund schaut er sich um und kann kaum fassen, wie viele Kinder und Kissen im Saal sind. Die Süßigkeiten, insbesondere die Weingummivampire, entdeckt er natürlich auch bald. Und speichert alle Details ab. Erik sagt kein Wort, so überwältigt ist er von Angies Aktion.
Die süßen Vampire lachen ihn an, doch er fühlt sich heute besonders schwach und schafft es kaum aus dem Bett. Als er gestern Abend beim Zähne putzen in den Spiegel geschaut hat, erinnerte ihn sein Gesicht auch an Vampire. Blass mit dunklen Rändern unter den müden, blauen Augen.
Genüsslich schiebt er sich das leckere Weingummi in den Mund und spült mit Orangensaft hinterher. Jetzt strahlen seine Augen erneut. Im Saal jedoch ist es so ruhig geworden, dass nur noch die Musik zu hören ist.

 

Niemand sagt ein Wort, betretenes Schweigen hat sich eingeschlichen. Alle Augen sind auf den Siebenjährigen gerichtet. Angie entdeckt einige geschockte Gesichter und beschließt, einzugreifen.

 

„Die Kissenschlacht ist eröffnet!“ ruft sie in die Kinderschar und klatscht laut in die Hände. Eriks Augen glänzen vor Freude und er weiß gar nicht recht, wo er zuerst hinschauen soll, als seine Gäste beginnen, ihre farbenfrohen Kissen zu werfen. Vergnügt beobachtet er das wilde Treiben und möchte am liebsten mitmischen. Doch fehlt ihm die Kraft dazu und somit begnügt er sich weiter mit dem Zuschauen. Die lachenden Kinder wirken ansteckend auf ihn und er gluckst leise. So fröhlich wie heute war er schon lange nicht mehr. Angie bemerkt sogar, dass sein Gesicht etwas an Farbe gewonnen hat. Die Aufregung und der Spaß haben Eriks Wangen erröten lassen und er wirkt nicht mehr so fahl. Seine zarten Lippen sind schön durchblutet und nicht blass wie sonst.

Angie lächelt Erik versonnen an, eine Träne rollt über ihre Wange. Gerührt beobachtet sie das Treiben seiner Freunde aus dem Heim und der Schule, die er jedoch schon lange nicht mehr besuchen kann.

Und auch die vielen fremden Kinder, die sich auf den Weg zu Erik gemacht haben, berühren ihr Herz.

Es ist laut und tubulent, aber es wird ein unvergessliches Ereignis für alle bleiben. Eine Weile schaut sie noch der Kissenschlacht zu, die das Potenzial hat, in die Geschichte einzugehen.

Vielleicht ist es sogar die Jahrhundert-Kissenschlacht!

Auf jeden Fall ist sie etwas Besonderes, denn sie ist der letzte Wunsch von Erik.

Die Augen der jungen Mentorin wandern zurück zu seinem Bett, das mitten im Tumult steht, damit der Junge alles hautnah erleben und sehen kann. Ihr Herz bleibt für einen Augenblick stehen, als sie ihn auf dem Bauch liegend auf dem Kissen ruhen sieht. Sie kämpft sich zu ihrem Schützling durch, schiebt das Bett etwas an die Seite und legt ihre Hand auf seinen Rücken.

Sein Körper fühlt sich warm an, aber Erik regt sich nicht. Angie bemerkt, dass sich sein Brustkorb nicht mehr hebt und senkt. Sie weiß, dass er sich auf seine letzte Reise begeben hat.

 

Tränen laufen über ihr Gesicht, während auf seinem ein zufriedenes Lächeln liegt.

 

Impressum

Texte: Alle Rechte am Text bei der Autorin
Bildmaterialien: google.de
Tag der Veröffentlichung: 02.08.2015

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